pers. Kopfbogen Präsident - Niedersächsischer Landtag

Werbung
Vortragsabend
mit der
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN ZU GÖTTINGEN
am 24. November 2015 um 18.00 Uhr
„Vorstoß in die unbekannte Tiefsee“
Begrüßung
Dr. Gabriele Andretta
Vizepräsidentin des Niedersächsischen Landtages
*
Grußwort
Prof. Dr. Stefan Tangermann
Präsident der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen
*
Vortrag
„Vorstoß in die unbekannte Tiefsee“
Professor Dr. Dr. h. c. Gerold Wefer
Akademie der Wissenschaften zu Göttingen
MARUM Zentrum für Marine Umweltwissenschaften
Universität Bremen
*
Aussprache
*
Schlusswort
Dr. Gabriele Andretta
Vizepräsidentin des Niedersächsischen Landtages
-2Beginn: 18.00 Uhr.
Begrüßung
Dr. Gabriele Andretta
Vizepräsidentin des Niedersächsischen Landtages
Vizepräsidentin Dr. Gabriele Andretta: Sehr geehrter Herr Präsident der Akademie,
lieber Herr Tangermann! Sehr geehrter Herr Professor Dr. Wefer! Meine sehr geehrten Mitglieder der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen! Liebe Kolleginnen
und Kollegen des Landtages - stellvertretend begrüße ich Herrn Landtagsvizepräsidenten Klare! Auch ist unser ehemaliger Landtagspräsident, Herr Professor
Wernstedt, gekommen. Auch Ihnen ein herzliches Willkommen! Meine Damen und
Herren! In Vertretung von Herrn Präsidenten Busemann darf ich Sie alle heute hier
bei uns im Landtag begrüßen.
Es ist eine gute und schöne Tradition, dass wir im Landtag alljährlich im späten
Herbst einen Akademieabend veranstalten. Damit ehrt der Niedersächsische Landtag eine Institution, die, von König Georg II. von Großbritannien und Kurfürst von
Hannover im Jahre 1751 als Forschergesellschaft in Göttingen gegründet, zum
Kernbestand unserer wissenschaftlichen Einrichtungen gehört und die - das darf ich
sagen - in der wechselvollen Geschichte unseres Landes eine der wenigen historischen Kontinuitäten bildet.
Wenn wir die Tradition des „Jour fixe“ auch in dieser Legislaturperiode hochhalten,
dann tun wir dies nicht allein als Ehrerweisung vor den wissenschaftlichen Leistungen der Akademie und ihrer Mitglieder, obwohl dies schon Anlass genug wäre. Wir
tun dies aus der tiefen Überzeugung, dass Demokratie Dialog braucht. Wir hoffen,
dass insbesondere der Dialog mit Einrichtungen wie der Akademie der Wissenschaften dazu beitragen kann, Antworten auf die komplexen Fragestellungen unserer heutigen Gesellschaft zu finden, uns gelegentlich zur Selbstreflektion veranlasst
und vielleicht auch etwas Orientierung in diesen unruhigen Zeiten geben kann.
„Fecundat et ornat“ heißt der Wappenspruch der Göttinger Akademie. Damals war
er auf die Universität gemünzt, auf die sie „befruchtend und zierend“ wirken sollte.
Heute, lieber Professor Tangermann, gilt dies für das ganze Land und weit darüber
hinaus.
Die Bandbreite der an unseren gemeinsamen Abenden behandelten Themen zeigt
das Spektrum der Expertise der Akademie, aber auch die Offenheit - das möchte ich
betonen -, mit der Sie immer wieder aktuelle Fragen unserer Bürger aufnehmen. Ich
erinnere an Fragen des Gesundheitswesens, an Vorträge zu Methoden in der Pflanzenzüchtung mit dem - ich zitiere - „Zauber der Gentechnologie“ oder an den Vortragsabend „Sonne - mit welcher Energie wollen wir leben?“ und - für uns Politiker
besonders interessant - an Vorträge zu Verfassungsfragen und zu Aspekten des
Parlamentarismus. So sprach Professor Heun vor zwei Jahren - über den Parlamentarismus in der Verfassungsrechtsprechung. Im letzten Jahr brachte Professor Göske uns die Beziehung Theodor Fontanes zum britischen Parlamentarismus näher.
Meine Damen und Herren, heute verlassen wir diesen uns Abgeordneten vertrauten
Bereich. Dafür stoßen wir im Geiste in Bezirke vor, die nicht nur den meisten Mitgliedern dieses Hauses völlig fremd und geheimnisvoll sein dürften.
-3Es ist jetzt tatsächlich schon 2 600 Jahre her, dass Thales von Milet, der wohl älteste Philosoph der sogenannten abendländischen Tradition, den Satz formuliert hat,
dass es das Meer sei, aus dem alles entstanden sei und zu dem alles zurückkehre.
Gegen den ersten Satzteil würde heute noch kaum jemand Einspruch zu formulieren wagen. Erst am vergangenen Freitag wurde in der Süddeutschen Zeitung aus
der Genforschung berichtet, dass der Mensch und der auf dem Meeresboden lebende Eichelwurm 8 700 Gene gemeinsam haben. Ich war tief erstaunt: Der Tiefseewurm und wir sind also enge Verwandte!
Aber auch der zweite Teil des Satzes von Thales, dass alles wieder ins Meer zurückkehren werde, bekommt unter den Vorzeichen des Klimawandels, der schmelzenden Polarkappen und Gletscher und des stetigen Ansteigens des Meeresspiegels eine sehr merkwürdige, beinahe furchterregende Aktualität.
Sehr viel jünger, wenngleich auch in einer uns wissenschaftlich sehr fernen Vergangenheit entstanden, ist das folgende Zitat, das ebenfalls noch immer eine gewisse
Gültigkeit beanspruchen kann:
„Die großen Tiefen des Ozeans sind uns völlig unbekannt; die Sonde hat sie
nicht erreichen können. Was geht in diesen Tiefen vor? Was für Geschöpfe leben 12- bis 15 000 Meilen unter der Meeresoberfläche, oder können da leben?
Wie sind diese Tiere organisiert? Darüber kann man kaum eine Vermutung aufstellen.“
Viele von Ihnen werden diese Worte kennen. Sie stammen aus Jules Vernes Roman „20 000 Meilen unter dem Meer“, der im Jahr 1869 zuerst erschienen ist. Auf
die eine oder andere Art stimmen sie noch immer. Noch immer halten das Meer und
die Tiefsee überall dort, wo es der Wissenschaft gelingt, in sie vorzudringen, sensationelle Unglaublichkeiten für uns bereit - ob im Bereich der organischen wie der anorganischen Chemie, der Geologie, der Ichthyologie, der Bakteriologie oder zahlloser anderer Disziplinen der Naturwissenschaften.
Noch immer kann sich, wie Jules Verne es im 19. Jahrhundert tat, ein Schriftsteller
vom Schlage Frank Schätzings in seinem Roman „Der Schwarm“ von 2004 eine intelligente, uns in ihrer andersartigen Organisation fast vollends unverständliche maritime Lebensform ausdenken, ohne dass unsere Wissenschaft in der Lage wäre,
Professor Wefer, aufzustehen und zu sagen: Nein, gibt es nicht! Wir waren da und
haben nachgeschaut.
Denn noch immer ist uns das Meer letztlich so unvertraut und fremdartig, wie es zu
Lebzeiten von Jules Verne war. Das Meer ist letztlich immer noch ein gigantischer
weißer Fleck in der Kartografie unserer Naturwissenschaften, während in uns allen
mehr und mehr die Gewissheit reift, dass die Zukunft unseres Planeten in vielerlei
Hinsicht ganz unmittelbar und mit ganz und gar unweigerlichen Folgen von unserem
ökologischen Handeln abhängt.
Herr Professor Dr. Wefer, Sie haben sich bereiterklärt, uns heute Abend auf Ihre
Reise in die Tiefsee mitzunehmen und vielleicht etwas Licht in das Dunkel zu bringen. Dafür danke ich Ihnen schon jetzt und bin mit Ihnen allen gespannt auf den
Vortrag!
(Beifall)
*
-4Grußwort
Prof. Dr. Stefan Tangermann
Präsident der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen
Prof. Dr. Stefan Tangermann: Sehr verehrte Frau Vizepräsidentin des Landtages,
liebe Frau Andretta! Sehr geehrter Herr Vizepräsident Klare! Herr Professor
Wernstedt! Verehrte Abgeordnete des Hohen Hauses! Meine sehr verehrten Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir bedanken uns sehr herzlich dafür,
dass wir erneut nach vielen Jahren, die inzwischen eine Tradition begründet haben,
in diesem Hause zu Besuch sein dürfen und in den Dialog mit dem Parlament unseres Bundeslandes und mit der Öffentlichkeit eintreten.
Wir kommen ausgesprochen gerne zu Ihnen. Sie, Frau Andretta, haben den Gründer der Akademie erwähnt, Georg II., den damaligen Souverän. Jetzt ist das frei
gewählte Parlament der Souverän dieses Landes. Selbstverständlich kommen wir
gerne zu unserem Souverän. Ich füge gleich hinzu: Letztlich natürlich auch, weil Sie
die Haushaltsgewalt im Lande haben und von daher so freundlich sind, dafür zu
sorgen, dass wir in der Akademie überleben können; denn ganz ohne Haushalt geht
es nicht. Er ist sparsam, aber bisher gerade ausreichend bemessen. In Zukunft
brauchen wir ein bisschen mehr. Das sage ich an dieser Stelle aber eher nebenbei.
Aber die Akademie kostet das Land nicht nur Geld, sondern sie bringt auch etwas
ein, weil sie und ihre Mitglieder im großen Umfang Forschungsaktivitäten betreiben,
die im Rahmen des sogenannten Akademienprogramms gemeinsam vom Bund und
den jeweiligen Sitzländern finanziert werden. An der Stelle ist die Göttinger Akademie unter den acht Landesakademien, die es in Deutschland gibt und die in der
Union der deutschen Akademien der Wissenschaften zusammenarbeiten, eine ganz
besonders erfolgreiche Institution, die sehr viel mehr Mittel aus anderen Teilen des
Bundes und aus anderen Bundesländern einholt als sie vom Land selbst bekommt.
Insofern ist das eine lohnende Investition, wenn uns die Landesregierung das Überleben finanziell ermöglicht.
Wir haben eine große Zahl solcher Forschungsvorhaben, die ich hier nur deshalb
erwähne, weil ich denjenigen unter Ihnen im Raum, die vielleicht keine sehr präzise
Vorstellung von dem haben, was eine Akademie so tut - immerhin ist der Begriff
„Akademie“ als solcher nicht geschützt - einen kurzen Eindruck geben möchte, was
eigentlich unser Geschäft ist. Es ist zu einem sehr großen Teil Forschung.
Erstens gibt es die großen, langfristigen Forschungsvorhaben, die über 15, 20 oder
25 Jahre laufen und wegen ihrer Langfristigkeit in Universitäten, die eine sehr viel
kürzere Durchlaufzeit haben, gar nicht betrieben werden könnten. So handelt es
sich um Editionen der Werke bedeutender Denker und Forscher. So handelt es sich
um Wörterbücher wie das Deutsche Wörterbuch der Brüder Grimm und das GoetheWörterbuch. Es handelt sich um die Aufarbeitung und Verfügbarmachung von Inschriften sowohl in Niedersachsen als auch in ägyptischen Tempeln und um andere
Vorhaben dieser Art - insgesamt um das, was als Erschließung und Vergegenwärtigung und Verfügbarmachung unseres kulturellen Erbes bezeichnet wird.
Eine solche Akademie ist also eine große Forschungsinstitution. Wir haben uns gerade entschlossen, unsere Forschungsaktivitäten in Zukunft sogar noch weiter auszubauen und zu intensivieren.
Zweitens ist eine Akademie auch das, was mit dem altmodischen Begriff „Gelehrtengesellschaft“ beschrieben wird, in der Wissenschaftler quer über das gesamte
-5Spektrum der Wissenschaften von der Theologie bis hin zur Mathematik über alle
anderen Wissenschaftsbereiche hinweg zusammenkommen und einander aus ihren
Fächern in wissenschaftlichen Vorträgen berichten, die dann in der Gesamtheit der
Mitglieder aus all diesen Wissenschaftsgebieten diskutiert werden - also gelebte Interdisziplinarität im wahrsten Sinne des Wortes. Deshalb ist die Akademie etwas,
was in der Form an vielen anderen Orten der Wissenschaft gar nicht mehr betrieben
werden kann, weil dort die Notwendigkeit besteht, sich immer weiter zu spezialisieren und immer weiter in die Tiefe des eigenen Faches vorzudringen. Diese Notwendigkeit ist dort so überragend, dass die Zeit und die geistige Freiheit für das Gespräch mit Vertretern anderer Fächer oft nicht mehr existiert.
In den Akademien geschieht genau dieses, und daraus erwachsen häufig neue Forschungsideen und Ansätze, ohne die die Wissenschaft deutlich ärmer wäre.
Schließlich betreibt die Akademie genau das, was Sie, Frau Andretta, freundlicherweise erwähnt haben: Sie tritt in den Dialog mit der Gesellschaft ein. Auch das, haben wir uns vorgenommen, wollen wir in Zukunft noch ein wenig intensiver machen
als bislang. Der heutige Abend ist einer dieser Abende, an denen wir einen solchen
Dialog pflegen wollen. Frau Andretta, Sie haben schon auf die beiden vorangegangenen Vortragsabende dieser Art hingewiesen, die in der Tat dem Rahmenthema,
das der Herr Landtagspräsident für die ganze Reihe an Vorträgen ausgewählt hatte - „PARLAMENTSLEBEN“ - entsprochen haben. So sprachen Herr Heun über den
Parlamentarismus im Verfassungsrecht und Herr Göske im vergangenen Jahr über
Fontane und den Parlamentarismus.
Dass wir heute ein ganz anderes Thema gewählt haben, hat damit zu tun, dass wir
die Breite dessen, was in unserer Akademie an Wissenschaft vertreten ist, zum
Tragen bringen wollen. Dazu gehört eben auch der naturwissenschaftliche Bereich
in ganz starkem Maße. In der Tiefsee befindet sich ein Parlament nicht - deshalb
war es nicht so ganz unmittelbar möglich, dass heutige Thema mit dem Parlamentarismus zusammenzubringen. Ich bin mir aber sicher, dass dieser Vortrag dennoch
im hohen Maße Ihr Interesse finden wird; denn Herr Wefer ist in seinem Gebiet hoch
kompetent.
Ich darf ihn hier kurz vorstellen. Herr Wefer ist ein Kind Niedersachsens, aufgewachsen in der Wesermarsch. Zum Studium hat er sich noch ein bisschen weiter
nach Norden bewegt. Er hat in Kiel studiert, aber auch in Miami, und zwar Geologie
und Paläontologie. Er war dann wissenschaftlicher Angestellter im Sonderforschungsbereich 95 „Wechselwirkung Meer - Meeresboden“ in Kiel. Dort ist er auch
promoviert worden mit einer Dissertation über Umweltproduktion und Sedimentation
benthischer Foraminiferen in der westlichen Ostsee.
Am dortigen geologisch-paläontologischen Institut in Kiel hat er dann weitergearbeitet. Er hatte Forschungsaufenthalte in La Jolla in Kalifornien. In Kiel ist er daraufhin
habilitiert worden. Dort war er für ein halbes Jahr Professor. 1985 hat er einen Ruf
als Professor für Allgemeine Geologie mit dem Schwerpunkt Meeresgeologie an der
Universität Bremen angenommen.
Dort war er Gründer und bis zum Jahre 2012 auch Direktor des Forschungszentrums der Deutschen Forschungsgemeinschaft MARUM - Zentrum für Marine Umweltwissenschaften, einer Institution, die mit modernsten Methoden und eingebunden in die internationale Forschung die Rolle des Ozeans im System Erde zum
Thema gemacht hat, wobei er einen besonderen Blick auf den globalen Wandel geworfen hat.
-6Seit 2008 ist Herr Wefer ordentliches Mitglied unserer Akademie. Ich will gar nicht
erst den Versuch machen, Ihnen über die Publikationen von Herrn Wefer zu berichten - dann würden wir den Rest dieses Abends damit verbringen. Ich will Ihnen einfach nur sagen - und Sie müssen es mir abnehmen -: Er gehört zu den meistzitierten Geowissenschaftlern Deutschlands.
Herr Wefer ist mit seiner wissenschaftlichen Arbeit durch eine Reihe bedeutender
Auszeichnungen hervorgehoben worden, von denen ich nur wenige nenne: 2001
hat er den sehr begehrten Communicator-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft erhalten, ein Preis, der an Wissenschaftler verliehen wird, die im besonderen
Maße in der Vermittlung wissenschaftlicher Ergebnisse an eine breitere Öffentlichkeit erfolgreich gewesen sind.
Er hat sich mit diese Zielsetzung auch als Vorsitzender des Lenkungsausschusses
von „Wissenschaft im Dialog“ befasst.
Im Jahr 2007 hat die Fakultät für Mathematik und Naturwissenschaften der Universität Oldenburg ihn durch die Verleihung des Ehrendoktortitels ausgezeichnet. Herr
Wefer hat im Jahr 2011 die Alfred Wegener Medal der Europäischen Geowissenschaftlichen Union erhalten. Im Jahr 2014 erhielt er die Francis P. Shepard Medal
der Society for Sedimentary Geology in den USA.
Im Jahr 2011 hat er im Übrigen auch den Stadtmusikantenpreis des Landes Bremen
erhalten. Herr Wefer, was dahinter stand, müssen Sie uns noch einmal erläutern.
Sein Lebensthema - Sie werden heute davon erfahren - ist die Geschichte des Ozeans, insbesondere des Südatlantiks und seiner im Laufe geologischer Zeiträume
wechselnder Strömungs- und Ablagerungsbedingungen. Er hat daran gearbeitet,
Wechselwirkungen zwischen geologischen und biologischen Prozessen im Meer zu
erkunden und damit Beiträge für eine nachhaltige Nutzung der Ozeane geleistet. Er
hat die Geheimnisse des Meeres auf einer Vielzahl von Expeditionen mit verschiedenen Forschungsschiffen erkundet. Er kann uns heute zwar nicht mitnehmen auf
ein Forschungsschiff, aber er kann uns einiges von dem berichten, was er dort erkundet hat. Wir freuen uns sehr auf Ihren Vortrag, Herr Wefer!
(Beifall)
*
-7Vortrag
„Vorstoß in die unbekannte Tiefsee“
Professor Dr. Dr. h. c. Gerold Wefer
Akademie der Wissenschaften zu Göttingen
MARUM Zentrum für Marine Umweltwissenschaften
Universität Bremen
Prof. Dr. Dr. h. c. Gerold Wefer: Sehr geehrte Frau Vizepräsidentin Andretta! Lieber Herr Tangermann - herzlichen Dank für die Einführung! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal möchte ich in einer
Bemerkung auf die enge Beziehung zwischen Parlament, Regierung und Wissenschaft eingehen. Sie besteht u. a. darin - Sie werden das später sehen -, dass wir
nicht mit Ruderbooten auf den Ozeanen fahren können. Wir sind auf eine gute Ausrüstung angewiesen. Das Engagement von Niedersachsen bei der Bereitstellung
von Infrastruktur wird dadurch dokumentiert, dass das Land die Führungsrolle und
eine Teilfinanzierung für den Bau der neuen „Sonne“ - ein fantastisches Forschungsschiff - übernommen hat, das im vergangenen Jahr in Dienst gestellt worden ist. Der Heimathafen ist Wilhelmshaven. Leider wird das Schiff aber nur selten
nach Wilhelmshaven kommen, weil es überwiegend im Pazifik arbeitet und z. B. in
Singapur in die Werft geht. Aber es fährt als Botschafterin Niedersachsens mit dem
Heimathafen Wilhelmshaven jetzt um die Welt.
Bevor ich näher auf die Meeresforschung eingehe, möchte ich mich recht herzlich
bedanken, dass ich hier im Niedersächsischen Landtag vortragen darf. Ich bin von
den Räumlichkeiten hier begeistert. Ich finde, hier herrscht eine tolle Atmosphäre.
Ich bedanke mich bei Ihnen auch dafür, dass Sie Interesse an unseren Forschungsarbeiten haben.
-8-
In Deutschland gibt es eine internationale, sehr sichtbare Meeresforschung, angesiedelt
- an Einrichtungen der Helmholtz-Gemeinschaft,
- an Instituten der Leibniz-Gemeinschaft,
- an mehreren Max-Planck-Instituten,
- an Bundesforschungseinrichtungen sowie
- an Universitäten und
- an Museen.
Besonders möchte ich auf Einrichtungen in Oldenburg und Wilhelmshaven hinweisen. In Oldenburg erbringt das Institut für Chemie und Biologie des Meeres der Carl
von Ossietzky Universität Oldenburg und in Wilhelmshaven das Institut Senckenberg am Meer besondere Forschungsleistungen.
Eigentlich müsste auf der Karte auch Hannover gekennzeichnet sein, weil auch die
Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe und das Leibniz-Institut für Angewandte Geophysik hervorzuheben sind. Ich freue mich, dass ihr früherer Präsident Wellmer heute Abend zugegen ist.
Das Konsortium Deutsche Meeresforschung (KDM) ist ein Verein, und für die BGR
ist es wohl nicht so einfach ist, als Einrichtung des Wirtschaftsministeriums Mitglied
zu werden. Gleichwohl arbeiten wir eng zusammen; darauf werde ich in meinem
Vortrag noch eingehen.
Die herausragenden Forschungsleistungen drücken sich auch in drei Exzellenzclustern mit Meeresforschungsthemen in Kiel, Hamburg und Bremen aus.
Organisiert werden diese Aktivitäten durch das KDM mit einem Büro im Wissenschaftsforum in Berlin und in einem kleineren Büro in Brüssel. Das KDM hat sich
zum Ziel gesetzt, umfassende Forschungsplanung zu betreiben, insbesondere in internationalen Kooperationen. Das KDM hat vor einigen Jahren eine Schrift zum Bedarf an Forschungsschiffen in Deutschland herausgegeben und das Konsortium ist
zum Ansprechpartner für Entscheidungsträger, Landesregierungen und die Bundesregierung geworden. Das KDM macht auch Vorschläge für neue Infrastrukturen und
sein Management. So wird derzeit ein Neubau der „Polarstern“ geplant. Außerdem
soll gemeinsam ein Einsatz für die Forschungsschiffe „Poseidon“ und „Meteor“ geschaffen werden; die Planungen zum entsprechenden Neubau laufen. Hierfür ist ei-
-9ne 90-%-Finanzierung durch die Bundesregierung vorgesehen; die restlichen 10 %
werden durch die Länder getragen.
Wir kommen jetzt zu den wissenschaftlichen Themen. Ich möchte in Erinnerung rufen, wie der Ozean aussieht. Vor 100 Jahren hat man gedacht, der Ozeanboden sei
eine ebene Fläche. Heute wissen wir, dass es auch dort große Gebirge gibt. Wenn
man den Fuß einiger untermeerischer Berge nimmt, die als Inseln aus den Ozeanen
herausragen, dann sind diese Erhebungen höher als die höchsten Berge des Himalayas.
Aus diesem Themenkreis will ich nur einen Teilbereich herausgreifen und mich auf
die Tiefsee beschränken und über einige Aktivitäten unseres Forschungszentrums
ebenso wie von anderen Instituten berichten.
Beginnen möchte ich mit folgendem Statement: „Über den tiefen Ozean wissen wir
heute weniger als über Mond oder Mars.“
- 10 -
Warum das so, ist zeigen einige Bilder. Die Erdoberfläche lässt sich im Detail durch
Satelliten erkunden. Als ein Beispiel nehme ich einmal Norddeutschland mit Hannover und dem Landtag. Die Technik ist heute so weit, dass man auch Details erkennen kann, das ist auch häufig in den Nachrichten zu sehen, z. B. im Zusammenhang
mit Luftangriffen im Nahen Osten oder beim Bau von großen Anlagen. Sogar im Dezimeterbereich können Objekte erkannt und identifiziert werden. Diese Satellitentechnik kann man natürlich auch anwenden für die Erforschung von Mond, Mars oder anderen Planeten.
Anders sieht es jedoch in der Tiefsee aus. Wenn wir mit der gleichen Technologie
und Vergrößerung die Ozeanoberfläche betrachten, z. B. den Bereich des Mittelozeanischen Rückens im Nordatlantik, dann sieht man nur einige große Strukturen,
die mit der unterschiedlichen Dichte des Wassers und der Gesteine der Erde zusammenhängen und sich damit auch in der Morphologie des Oberflächenwassers
ausdrücken. Leider muss man feststellen, dass man mit Satellitensensoren nicht in
den tiefen Ozean blicken kann, und deshalb muss man Geräte zur Verfügung haben, mit denen man in die Tiefen des Ozeans abtauchen kann.
Wenn man ein solches Forschungsfahrzeug benutzt, eröffnet sich eine völlig neue
Welt. Das Bild rechts unten mit den Schwarzen Rauchern zeigt völlig unbekannte
Phänomene. Aus einem solchen Black Smoker entweichen bis zu 400 °C heiße Lösungen, wodurch derartige schornsteinartige Gebilde entstehen, die möglicherweise
von wirtschaftlichem Interesse sind, weil sie auch seltene Metalle enthalten.
- 11 -
Wir beschäftigen uns mit den komplexen Komponenten und Prozessen im System
Erde.
Wir beschäftigen uns mit heißen Quellen, also Bereichen, wo heiße Lava austritt.
Als Pendent dazu gibt es auch kalte Quellen, Austritte von Gasen und Fluiden im
Bereich der Kontinentalhänge.
Wir beschäftigen uns mit Umweltarchiven; damit lässt sich das Klima der Frühzeit
mit unterschiedlichen Auflösungen rekonstruieren, und dadurch erhält man Hinweise
über das Funktionieren der Klimamaschine auf der Erde. Dieses Archiv ist für die
letzten 100 Millionen Jahre sehr detailliert und kann bis zu 180 Millionen Jahre vor
heute zurückgehen; das sind die ältesten Sedimente, die man noch vorfindet. Ältere
Sedimente gibt es nicht im Ozean, weil der Ozeanboden immer wieder verschluckt
wird. Wenn man noch ältere Sedimente studieren will, muss man an Land gehen.
Wegen der Plattentektonik ist der Ozeanboden relativ jung.
Wir beschäftigen uns mit der tiefen Biosphäre in bis zu 2 km Tiefe und mehr; im Sediment gibt es Organismen, die dort leben. Wir interessieren uns dafür, wie häufig
sie vorkommen und um welche es sich handelt.
Ein anderes Thema sind Gashydrate, sogenanntes Methaneis, Anreicherungen von
Methan und anderen Gasen in Form von Hydraten. Vor einigen Jahren ist überlegt
worden, diese Gashydrate wirtschaftlich zu nutzen. Heute wird eher diskutiert, ob
durch die Erwärmung der Ozeane an den Kontinentalhängen zusätzliches Methan
freigesetzt wird und inwieweit das zum Klimawandel beiträgt.
Hangstabilitäten und Georisiken sind weitere Fragestellungen und als Anbindung
auch an das Oberflächenwasser biogeochemische Kreisläufe. Frage ist z. B.: Was
passiert mit dem Material, welches vom Oberflächenwasser in die Tiefsee absinkt?
Der tiefe Ozean spielt auch eine große Rolle bei der Speicherung von CO2 und bei
der Verteilung von Wärme. Etwa ein Viertel des von den Menschen verursachten
CO2-Ausstoßes wird von den Ozeanen aufgenommen. Kaltes Oberflächenwasser
sinkt in den Polargebieten ab und benötigt einige tausend Jahre, bis es im Nordpazifik wieder an die Oberfläche kommt. So kann CO2 langfristig festgelegt werden.
- 12 Zur Erforschung des tiefen Ozeans benötigen wir spezielle Geräte, Fahrzeuge,
Bohrgeräte oder Verankerungen. In der unteren Bildreihe sind einige dargestellt, auf
die ich zum Teil näher eingehen werde.
Zuvor möchte ich aber auf einige Detailfragestellungen eingehen. Austritte von Fluiden und Gasen an den Kontinentalhängen sind Prozesse, die häufig mit dem Salzaufstieg - der Bildung von Salzstöcken - in Verbindung stehen. Dieser Prozess hat
nicht nur hier in Norddeutschland eine große Bedeutung für die Lagerstättenbildung
von Erdöl und Erdgas. Ähnliche Prozesse laufen auch an den Kontinentalhängen
ab. Beispielsweise hängen die Erdölvorkommen vor Angola oder vor Brasilien mit
Salzaufstiegen zusammen. Durch die Ablagerung der Sedimente an den Kontinentalhängen und den dadurch entstehenden Druck werden Fluide und Gase ausgepresst.
Ähnliche Vorgänge entstehen durch die Pressung an aktiven Rändern, z. B. vor
Südamerika im Bereich der Anden oder auch vor Japan und Indonesien. Es gibt
auch natürliche Austritte von Erdöl an einigen Stellen, verbunden mit der Bildung
von Gashydraten. Dort bilden sich spezielle Lebensgemeinschaften, die ähnlich sind
wie die Lebensgemeinschaften am Mittelozeanischen Rücken. Sie leben in Symbiose mit Bakterien und sind unabhängig von der Nahrung aus dem Oberflächenwasser, welche im Rahmen der Fotosynthese gebildet wird.
- 13 -
Ein weiteres Beispiel sind die Zirkulationswege am Mittelozeanischen Rücken. Sie
haben bereits das Foto des Schwarzen Rauchers gesehen. Dort tritt bis zu 400 °C
heißes Wasser aus, und es bilden sich Sulfide, die für die Schwarzfärbung sorgen.
Es handelt sich natürlich nicht um Rauch.
Kaltes Wasser sinkt an Rissen in die Erde. Es wird über große Entfernungen transportiert, und auf dem Wege durch die Kruste wird es aufgeheizt, wobei aus den Basalten Elemente gelöst werden. Bei dem Austreten in die Wassersäule an anderer,
entfernter Stelle werden bestimmte Minerale mit Metallanreicherungen in Form von
Schornsteinen ausgefällt, die möglicherweise wirtschaftlich interessant sind.
Zur Erforschung der Phänomene im tiefen Ozean werden modernste Technologien
eingesetzt. Drei möchte ich hier kurz vorstellen:
Remotely Operated Vehicles (ROV) sind Fahrzeuge, die mit einem Kabel verbunden
sind. Über Kupferdrähte wird Energie übertragen, und ein Glasfaserkabel dient der
Datenübertragung. Diese Geräte können zeitlich fast unbegrenzt eingesetzt werden.
Wir haben schon bis zu 20-stündige Tauchfahrten durchgeführt. Bemannte Fahrzeuge können in der Tiefsee dagegen nur für rund dreistündige Forschungen am
- 14 Meeresboden eingesetzt werden; denn diese Fahrzeuge sind batteriebetrieben, und
das Abtauchen, die Forschungen und das Auftauchen nehmen jeweils rund drei
Stunden in Anspruch.
Autonome Unterwasserfahrzeuge (AUV) sind batteriebetriebene torpedoähnliche
Fahrzeuge, die selbstständig abtauchen und den Meeresboden vermessen. Autonome Unterwasserfahrzeuge dienen der Gewinnung hochauflösender bathymetrischer Datensätze. Man kann das Fahrzeug ungefähr einen Tag einsetzen.
Das MeBo ist ein Meeresbodenbohrgerät als Ergänzung zu Bohrschiffen. Es handelt
sich um ein Bohrgerät, welches am Meeresboden abgesetzt wird und dort bis 200 m
tief bohren kann. Es hängt ebenfalls an einem Kabel und kann z. B. sehr teure
Bohrschiffe ersetzen.
Im Folgenden möchte ich die Unterschiede zwischen einer Vermessung des Meeresbodens von einem Forschungsschiff und einem AUV aus zeigen. Sie sehen eine
Karte eines Bereichs in ungefähr 3 500 m Wassertiefe mit einer Vermessung vom
Schiff. Wir können mit unseren Fächerecholoten - früher wurden einstrahlige Echolote eingesetzt - einen Streifen Meeresboden vermessen, der ungefähr zweimal so
breit ist, wie die Wassertiefe. So erstellen wir schon sehr gute Karten, die Basis sind
für die Einsätze mit dem Tauchroboter.
- 15 -
Kleinere Bereiche, die besonders interessant für uns sind, untersuchen wir anschließend mit dem AUV, welches 50 m über dem Meeresboden Kurse abfährt.
Diese übereinander gelegten Kartenausschnitte desselben Bereichs zeigen, dass
durch die Vermessung von einem AUV aus sehr viele Details sichtbar gemacht werden können. Selbstverständlich kann kein großes Gebiet vermessen werden, sondern man kann sich nur gezielt bestimmte Beispiele heraussuchen.
- 16 -
Aus diesen Profilen wird eine Detailkarte erstellt, hier z. B. aus ca. 3 260 m Wassertiefe. Sie sehen sehr viel mehr Details in der Morphologie, und diese Karten nutzen
wir für den Einsatz unserer Fahrzeuge. Das AUV wird vom Schiff ins Wasser gelassen und fährt dann in Spiralen zum Meeresboden.
Der kurze Film1, den ich Ihnen nun zeige, zeigt eine Vermessung aus dem Schwarzen Meer aus dem Gebiet vor der Krim. Heute sind diese Untersuchungen natürlich
nicht mehr möglich, sie liegen einige Jahre zurück. Auf der Detailkarte sehen Sie einen sogenannten Schlammvulkan. Dort treten Gase und Fluide aus.
Für eine derartige Erfassung sind rund drei Tage für eine Fläche von 1 km² anzusetzen.
Die Karten sind die Basis für die spätere Untersuchung mit dem Unterwasserroboter
und dienen z. B. zur Identifizierung von Rutschungen, in diesem Fall verbunden mit
linear angeordneten Gasaustritten. Derartige Rutschungen sind z. B. zu vermeiden,
1
Der Film stand für die schriftliche Dokumentation des Vortrags nicht zur Verfügung.
- 17 wenn für die Öl- oder Gasförderung am Meeresboden Geräte installiert werden;
denn diese sollen nicht in die Tiefsee abrutschen.
Die Kante des Schelfs liegt in rund 200 m Tiefe. Die dünnere weiße Linie zeigt die
700-m-Tiefenliene an. In der Karte werden mehrere Rutschungskörper (Slides)
deutlich, und man erkennt den Austritt von Gasen an linear angeordneten Störungszonen.
Solche Vermessungen dienten auch der Erforschung der Auswirkungen des Erdbebens vor Japan im März 2011 auf die Morphologie des Kontinentalhanges. Wir hatten die Möglichkeit, mit dem Forschungsschiff „Sonne“ dort zu arbeiten. Wir erinnern
uns alle noch daran, dass bis zu 38 m hohe Tsunami-Wellen die Küste vor
Fukushima erreicht haben.
Die Ursache dieses Erdbebens war die Kollision eines Sporns der Nordamerikanischen Platte mit der Pazifischen Platte, die sich ungefähr mit 9 cm pro Jahr aufeinander zubewegen. Das Besondere an dem Erdbeben war, dass der Erdbebenherd
in relativ geringer Tiefe lag, in etwa 25 km Tiefe. Sonst sind dort im Japanischen
Bogen Erdbeben häufig, die in 150 bis 200 km Tiefe ausgelöst werden.
- 18 Das Erdbeben verursachte einen Tsunami. Welche Auswirkungen der Tsunami auf
die Sedimente des Kontinentalhanges hatte, war eine der Fragen, die wir zusammen mit unseren japanischen Kollegen beantworten wollten.
Sehr schnell nach dem Erdbeben war bekannt, dass sich vor Sendai die Kruste
ruckartig - in Teilen von Sekunden - nach Ostsüdost bewegt hat, in einzelnen Bereichen bis zu 50 m. Das konnte man aus Vermessungen feststellen.
Diese Erdbeben hängen mit dem globalen Plattensystem zusammen. In diesem
Gebiet handelt es sich um die Grenze zwischen der Pazifischen und der Nordamerikanischen Platte. Die Kollisionen sind häufig verbunden mit Erdbeben, hier gezeigt
durch rote Punkte, die sich ganz besonders am Rand des Pazifiks konzentrieren.
Aber auch am Mittelatlantischen Rücken und im Mittelmeerbereich treten Erdbeben
auf, manche von ihnen führen auch zu Tsunamis. Ein Beispiel ist die Zerstörung
Lissabons durch ein Erdbeben und einen nachfolgenden Tsunami im Jahre 1755.
- 19 -
Wir konnten bereits ein Jahr nach dem Erdbeben mit Unterstützung der Bundesregierung und der Deutschen Forschungsgemeinschaft zusammen mit unseren japanischen Kolleginnen und Kollegen mit der „Sonne“ - das Vorgängerschiff der im vergangenen Jahr in Dienst gestellten neuen „Sonne“ - eine vierwöchige Expedition in
das Gebiet vor Sendai und Fukushima durchführen. - Die hier gezeigte alte „Sonne“
fährt jetzt als argentinisches Forschungsschiff.
Ziel war es, dieses Gebiet genau zu vermessen und mit Karten zu vergleichen, die
von den Japanern 1999 erstellt wurden. Die gleichen Geräte und die gleichen Korrekturfaktoren kamen zum Einsatz, sodass die Veränderungen dokumentiert werden
konnten.
- 20 -
Hier sehen Sie ein Profil vom Kontinentalhang durch den 7,5 km tiefen Tiefseegraben in die Tiefseeebene. In diesem Bild sieht man anhand der Farben, wo sich morphologisch viel geändert hat. Gelbe und dunkle Färbungen zeigen Bereiche ohne
wesentliche Veränderungen der Morphologie an. Die roten Farben dokumentieren in
den beiden Grafiken, wo sich der Meeresboden besonders stark verändert hat.
Das ist im Bereich des Tiefseebodens, und die Frage war, wodurch die Änderungen
verursacht wurden. Es gibt ältere Seismikprofile von 1999 - also vor dem Erdbeben -, und diese Vermessungen konnte man mit aktuellen aus 2011 - also nach dem
Erdbeben - vergleichen.
Sie sehen, dass sich die Morphologie in dem relativ flachen Tiefseegraben verändert hat, also große Aufwölbungen stattgefunden haben. Es war u. a. zu klären, ob
diese morphologischen Unterschiede durch Hangrutschungen verursacht wurden.
- 21 -
Die Untersuchungen unserer Kerne und auch die Vermessungsarbeiten haben gezeigt, dass es sich nicht um einen Hangrutsch handelt. Es ist kein Material vom
Kontinentalhang in die Tiefsee abgerutscht, sondern durch die kontinuierliche Pressung von 9 cm pro Jahr wurde Druck aufgebaut, und eine ruckartige Auslösung hat
dazu geführt, dass ein Keil ausgepresst wurde. Bohrungen mit einem japanischen
Bohrschiff haben gezeigt, dass diese Bewegungen auf einer Tonlage abgelaufen
sind. Diese Tonlage hat wie ein Schmiermittel gewirkt, und diese morphologischen
Veränderungen haben zur Entstehung des Tsunamis beigetragen.
Jetzt sind wir schon beim zweiten Gerät, das ich vorstellen möchte: Es ist ein Unterwasserroboter.
- 22 -
So sieht es auf dem Deck eines Forschungsschiffes aus, in diesem Fall handelt es
sich um das Forschungsschiff „Meteor“. Unter dem A-Rahmen steht das Gerät und
wird von dort in das Wasser gelassen. Verbunden ist das Fahrzeug mit einem armierten Kabel. Das ROV fährt selber zum Meeresboden und wieder nach oben. Die
Energieversorgung erfolgt über das Kabel. Man kann also unbegrenzt lang tauchen
bzw. so lange, bis die Leute müde sind oder genügend Informationen und Proben
gesammelt wurden.
Das ROV wird durch zwei Piloten von einem Kontrollcontainer aus gesteuert. Von
dort ist eine Übertragung in ein Labor möglich, sodass sich bis zu 20 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an dem Tauchgang beteiligen können.
Ein weiterer Container dient als Werkstattcontainer; denn immer wieder sind Reparatur- und Wartungsarbeiten durchzuführen.
Mit einigen Bildern will ich auf wissenschaftliche Fragestellungen eingehen. Wie
schon erwähnt, untersuchen wir Gashydrate und die Stabilität der Hänge. Hier sehen Sie ein Stück brennendes Gashydrat, in diesem Fall Methan.
- 23 Untersucht wurde auch untermeerischer Vulkanismus, die Bildung ozeanischer
Kruste: An den Mittelatlantischen Rücken steigt Lava auf, erkaltet dort und bildet die
sogenannten Pillow-Basalte, die fossil auch aus dem Harz bekannt sind.
Hydrothermalquellen hatte ich schon erwähnt, ebenso den Energie- und Lösungstransport.
Kaltwasserkorallen sind ein relativ neues Thema. Man wusste bereits, dass es solche Korallen gibt, aber nicht, wie sie im Detail aussehen und in welcher Artenvielfalt
sie vorkommen. Dieses Thema wird beispielsweise am Institut Senckenberg am
Meer in Wilhelmshaven bearbeitet, und mit der Biodiversität beschäftigt sich z. B.
das IBCM Oldenburg.
Ein weiteres aktuelles Thema ist die Entstehung des Lebens auf der Erde: Hat sich
an dem heißen mittelozeanischen Rücken zuerst organische Substanz gebildet?
Die Fotos zeigen übrigens auch die Schönheit und Farbenvielfalt in großen Tiefen
des Ozeans. Ab 100 bis 200 m Tiefe dringt kein Sonnenlicht mehr in die Tiefe vor.
Gleichwohl weisen die Organismen dort viele Farben auf.
ROVs werden auch benutzt, um Sedimentproben zu nehmen. Hier sehen Sie einen
Bakterienrasen in einem anoxischen Gebiet. Die schwarze Farbe zeigt, dass kein
Sauerstoff im Sediment vorhanden ist; die schwarze Färbung ergibt sich durch Sulfide. Die beiden grünen Punkte sind Laser, um die Entfernung festzustellen.
- 24 -
Das Gerät besitzt einen Greifarm, der gezielt Proben nehmen kann.
Als Beispiel für geradezu feinfühlig entnommene Proben möchte ich Erzausscheidungen von einem Schwarzen Raucher zeigen. Die glitzernden Ablagerungen im
Inneren sind die Metallausscheidungen, die möglicherweise abbauwürdig sind.
- 25 -
Bei unserer ersten Fahrt - es war eine Testfahrt von Las Palmas aus - hatten wir
Biologen als Gastforscher an Bord und sollten ein paar Krebse einsammeln. Wir benutzten anfangs ein Teesieb. Doch bevor die Krebse in der Kiste waren, waren sie
auch schon wieder herausgeschwommen. Jetzt benutzen wir ein Staubsaugersystem, saugen das Wasser ein und können damit Krebse in ausreichender Menge einfangen.
- 26 -
Ein anderes Forschungsgebiet sind sogenannte Asphaltlagen im Golf von Mexiko in
rund 3 300 m Wassertiefe. Dort tritt Erdöl auf natürlichem Wege an Schwächezonen
aus und bildet Asphalte, weil die feinen Bestandteile sich in die Wassersäule verflüchtigen. Diese Asphalte werden innerhalb kürzester Zeit durch sogenannte Bartwürmer besiedelt, die auf diesen Asphalten leben.
Immer wieder treffen wir auch die bereits erwähnten Gashydrate an, sogenanntes
Methaneis. In einem Tiefenbereich von 500 bis 1 500 m befindet man sich im Stabilitätsfeld von Gashydraten. Austretende Gase gehen unter den dortigen Bedingungen in die feste Phase über. Zusammen mit Wasser bilden sie ein Hydrat.
Seit einer Weile wird diskutiert, wie groß diese Gashydratvorkommen sind. Ein Kubikmeter Methanhydrat kann neben 0,8 m³ Wasser rund 164 m³ Methangas enthalten. Diese gewaltigen Methanmengen im Bereich der Kontinentalhänge sind durchaus beeindruckend.
Diskutiert wird, ob diese Methanvorkommen zur Energieversorgung genutzt werden
können. Die Vorkommen sind nach der Auffassung mancher Fachleute gewaltig,
sehr viel höher als die Vorräte aus Kohle, Erdgas und Erdöl zusammen. Die Ab-
- 27 schätzungen sind jedoch sehr ungenau, muss man ehrlicherweise sagen. Niemand
weiß so recht, wieviel wirklich vorhanden ist.
Beteiligt an den Untersuchungen der Gashydrate ist u. a. Herr Kuhs, ein Göttinger
Kristallograf, der die Möglichkeit hat, die Gashydrate unter tiefen Temperaturen zu
analysieren; denn bei höheren Temperaturen schmelzen die Hydrate. Ein Thema
ist, ob durch die Erwärmung der Ozeane mehr Methan aus Gashydraten freigesetzt
wird, die den Treibhauseffekt verstärken können. Ein ähnlicher Prozess wie bei der
Erwärmung von Permafrostböden, z. B. in Nordsibirien.
Abbauverfahren zur Gewinnung der Gashydrate gibt es nicht. Auch ein Austausch
von CO2 mit Hydrat im Zusammenhang mit Carbon Capture and Storage war diskutiert worden: Man verbringt aus Kraftwerken abgeschiedenes CO 2 in die Sedimente
und ersetzt das Methan aus den Gashydraten.
Die Diskussion, auch die politische, geht im Hinblick auf die Gashydratgewinnung
eher dahin, dass man Gashydrate aus dem Permafrostbereich leichter gewinnen
kann und dass man nicht unbedingt in den Ozean gehen muss.
Ein zweiter kurzer Film2 zeigt den Einsatz des Tauchroboters, das Aussetzen vom
Achterdeck des Schiffs aus und das Abtauchen durch die Wassersäule sowie das
Erreichen des Meeresbodens. Zu sehen sind Gasaustritte, die mit einem Trichter
aufgefangen werden. Es kommt darin schnell zu milchigen Verfärbungen, die die
Hydratbildung anzeigen.
In der Begrüßung ist Herr Schätzing mit seinem Buch „Der Schwarm“ erwähnt worden. Viele Ideen hat er durch lange Gespräche mit unterschiedlichen Leuten auch
aus unserem Bereich erhalten. Auch wenn er einen Science-fiction-Roman verfasst
hat, so wird unsere Arbeitsweise von ihm doch ziemlich genau wiedergegeben. Allerdings sind die wissenschaftlichen Inhalte unserer Arbeit doch etwas anderer Art.
Das nächste Thema, auf das ich eingehen möchte, betrifft Tiefseekorallen. Die
Kaltwasserkorallen werden in enger Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen
aus Wilhelmshaven und Kiel untersucht. Es handelt sich um zwei Arten Madrepora
2
Der Film stand für die schriftliche Dokumentation des Vortrags nicht zur Verfügung.
- 28 aculata und Lophelia pertusa, die riesige Riffe aufbauen, häufig in Tiefen zwischen
200 bis 1 200 m.
Diese Kaltwasserkorallenriffe haben eine Ausdehnung wie die tropischen Riffe, aber
eine völlig andere Lebensweise. Im europäischen Raum kommen die Tiefseekorallen am Kontinentalhang und am Mittelozeanischen Rücken in den genannten Wassertiefen über eine Distanz von rund 4 500 km vor.
Derartige Korallen hatte man schon zuvor in Fischernetzen gefunden, wusste aber
nicht, wie sie leben, wie weit sie verbreitet sind und mit welchen anderen Organismen sie zusammenleben. Mittlerweile ist bekannt, dass diese Riffe eine große Artenvielfalt zeigen.
- 29 -
Ferner wurde bekannt, dass diese Riffe teilweise durch Tiefseefischerei zerstört
werden. Uns wurde berichtet, dass einzelne Fischer zunächst nur mit Scherbrettern
die Korallen zerstören, um daran anschließend in einem zweiten Zug mit Tiefseenetzen die Fische zu fangen.
Das Sichtbarmachen der Zerstörung durch Scherbretter - links unten - hat dazu geführt, dass Schutzgebiete für die Tiefseekorallen eingerichtet wurden, u. a. vor Norwegen. Ein weiteres Foto der Folgen der Tiefseefischerei zeigt, dass sich in den Korallen auch Netzreste verfangen haben.
- 30 -
Wir kommen nun zu Bohrungen in der Tiefsee; bisher haben wir uns in der Wassersäule oder am Meeresboden „aufgehalten“. Für diese Forschungen besteht ein internationales Programm, das Integrated Ocean Discovery Program (IODP), an dem
ungefähr 30 Nationen beteiligt sind. Dieses Programm wurde vor einigen Jahren
aufgelegt. Sein erstes Vorgängerprogramm, das Deep See Drilling Project, wurde
1968 ins Leben gerufen. Der erste Nachfolger hieß Ocean Drilling Program. Dass
derartige Projekte zur internationalen Gewinnung von Tiefseebohrkernen über eine
so lange Zeit immer wieder neu beantragt werden können, ist bemerkenswert. Dabei muss allerdings der Name immer wieder geändert werden.
So hieß der Vorläufer des gegenwärtigen IODP „Integrated Ocean Drilling Program“.
Nach dem Deepwater-Horizon-Unglück erschien gerade den US-amerikanischen
Partnern der Namensbestandteil „Drilling“ sehr problematisch im Hinblick auf die
Bewilligung durch den US-Kongress, sodass der Namensbestandteil „Discovery“
gewählt wurde.
Das IODP betreibt drei Bohrkernlager, darunter auch eines in Bremen. In Deutschland wird dieses Projekt durch die BGR in Hannover betreut und über die Deutsche
Forschungsgemeinschaft und andere Einrichtungen finanziert. Das IODP dürfte das
erfolgreichste geowissenschaftliche Programm der Welt sein.
Im Rahmen dieses Programms werden mehrere Bohrschiffe eingesetzt. Ein Bohrschiff wird von den USA zur Verfügung gestellt, die „JOIDES Resolution“. Es kann
bis zu 2 km tief bohren in Wassertiefen von bis zu 3 000 m. Dabei wird ein Reentry
Cone eingesetzt, sodass das Bohrgestänge gezogen und wieder eingeführt werden
kann. Dieser Trichter hat einen Durchmesser von 2 m, nach dem mit der in der Grafik gezeigten Reentry Camera gesucht werden kann.
Die Europäer mieten Bohrschiffe für Mission Specific Operations an und bohren
damit z. B. mit Eisbrecherunterstützung im Arktischen Ozean auch im extremen
Flachwasser Es sind Gebiete, die mit den anderen beiden Bohrschiffen nicht angefahren werden können.
Japan hat vor einigen Jahren ein neues Schiff in Dienst gestellt, die „Chikyu“ - japanisch für „Erde“ -, ein gigantisches Schiff. Das Besondere an dem Schiff ist, dass es
mit einem Blow-out-Preventer ausgerüstet ist. Viele kennen dieses Gerät, weil eine
derartige Einheit beim Deepwater-Horizon-Unglück im Golf von Mexiko nicht funkti-
- 31 oniert hat; denn ein Blow-out-Preventer soll verhindern, dass Erdöl oder Erdgas in
die Wassersäule austritt.
Ein Bohrschiff, hier die große japanische „Chikyu“, ist wie eine kleine Stadt, eigenversorgt mit über 100 Leuten an Bord, technischem Personal und Wissenschaftlern
aus aller Welt, insbesondere aus Europa, Japan und den Vereinigten Staaten. Das
Bohren ist harte körperliche Arbeit, die natürlich durch Technik unterstützt wird. Hier
werden ungefähr 9 m lange Bohrkerne in einem Vorgang erreicht, die in 1,5 m lange
Sektionen geschnitten werden, weil man sich mit 9 m langen Bohrkernen nicht auf
dem Schiff bewegen kann.
Die „Chikyu“ verfügt über einen geschlossenen Spülkreislauf. Das Bohrgut wird
nicht am Meeresboden abgelagert, sondern kommt wieder auf das Schiff zurück, die
Gesteine werden dort abgetrennt und die Bohrflüssigkeit kann wieder benutzt werden.
Bereits an Bord werden erste Analysen an den Bohrkernen durchgeführt. Unter sterilen Bedingungen werden Proben genommen, und Kerne werden mit unterschiedlichen Geräten untersucht, z. B. mit einem Röntgengerät, um Strukturen zu erkennen. Mit einer Presse wird das zwischen den Körnern befindliche Porenwasser ausgepresst und anschließend analysiert. Es sind natürlich ganz geringe Mengen, aber
bereits mit einigen Tropfen kann man heute viele Analysen durchführen. Auf diese
Weise kann bereits an Bord ein großer Datenschatz gewonnen werden.
Es gibt eine Übereinkunft, dass Teilnehmer an einer Forschungsfahrt für ein Jahr
den Erstzugriff auf die Proben haben; danach stehen sie allen auf Antrag zur Verfügung. Die Bohrproben lagern in einem der drei Bohrkernlager. In Bremen liegen
145 km Bohrkerne in 220 000 Boxen. Jedes Jahr kommen rund 200 Forscher in unser Labor und arbeiten mit den Kernen.
- 32 -
Aus dem umfangreichen Programm des IODP möchte ich eine Expedition herausgreifen, die im Seegebiet zwischen Japan und Russland stattgefunden hat. Ziel der
Bohrung waren Kohleflöze in über 2 km Tiefe, und es sollte erforscht werden, bis in
welchen Sedimenttiefen Leben überhaupt möglich ist. Man muss bedenken, dass
pro Kilometer eine Temperaturerhöhung von etwa 30°C auftritt.
Bei 2 000 m Sedimenttiefe können also schon Temperaturen von 70 bis 80 °C auftreten. Solche Bohrungen können nur mit einem größeren Bohrschiff durchgeführt
werden, das auch die entsprechende Menge an Bohrgestängen transportieren kann
und über einen geschlossenen Spülkreislauf sowie einen Blow-out-Preventer verfügt. In Kohleflözen muss Gas erwartet werden.
- 33 -
Grundlage für die Auswahl solcher Bohrlokationen sind sehr umfangreiche Vorstudien, insbesondere auch seismische Messungen. Ich will bei diesem Bild nicht ins
Detail gehen, aber zeigen, dass man schon gute Vorstellungen hat, was man bei einer Bohrung zu erwarten hat. Mit den seismischen Untersuchungen kann z. B. festgestellt werden, wie die Gesteine gelagert sind: horizontal, schräg oder als Falte.
Dieses seismische Profil zeigt in gut 2 km Tiefe mächtige Lagen von Kohle.
Vielleicht klingt es nicht nach sonderlich viel, wenn ich von 2 km tiefen Bohrungen
spreche, wenn man sich den Erdradius von 6 370 km vor Augen hält. Dann merkt
man immer wieder, dass wir nur an der Oberfläche herumkratzen. Aber auch die
Landbohrungen sind auf maximale Tiefen von 10 bis 12 km beschränkt; wahrscheinlich erinnern Sie sich an das Kontinentale Tiefbohrprogramm. Auch dabei wurde
deutlich, wie schwierig es ist, in derart großen Tiefen zu bohren, insbesondere auch
wegen der Temperaturzunahme. Im Ozean ist das noch viel schwieriger, sodass wir
durchaus froh sind, wenn wir 2 km Bohrtiefe erreichen.
Hauptziel der Expedition war es, diese Fragen zu beantworten: Gibt es in dieser Tiefe noch Leben in den Sedimenten? Bis zu welchen Extrembedingungen kann Leben
existieren? Welche Wechselbeziehungen bestehen dort? Zudem sollte geklärt wer-
- 34 den, ob es sich um Bakterien oder Archaeen handelt, wie sie dort leben und in welcher Dichte sie vorkommen. Damit ist auch zu untersuchen, welche Rolle sie im
Budget der gesamten organischen Substanz auf der Erde spielen.
Diese Abbildung zeigt den bisherigen Kenntnistand zur Zellkonzentration mit zunehmender Tiefe; die Tiefenskala ist logarithmisch skaliert. In den flachen Sedimentbereichen gibt es die größte Zahl von Organismen. Bis gut 1 000 m Tiefe konnten Bakterien und Archaeen nachgewiesen werden. Jetzt kann man die Abbildung
auf über 2 200 m Sedimenttiefe erweitern.
Zum europäischen Beitrag: Eine neue Möglichkeit, Bohrungen durchzuführen, ohne,
dass man ein Bohrschiff zur Verfügung hat, ist ein Unterwasserbohrgerät, das, mit
einem dicken Kabel verbunden, am Meeresboden abgesetzt wird. Dadurch sind wir
für unsere Arbeit nicht auf ein Bohrschiff angewiesen; denn es kann von den „üblichen“ Forschungsschiffen wie der „Meteor“, der „Sonne“ oder der „Polarstern“ aus
eingesetzt werden.
- 35 -
Wir haben eines der beiden Geräte im November 2014 von der „Sonne“ aus bei
Helgoland getestet. Wir hatten das Glück, dass das Morgenmagazin von ARD und
ZDF mit an Bord war, sodass wir unseren Mitbürgern von den Arbeiten berichten
konnten.
In diesem rechten Bild sehen Sie den Größenvergleich, oben das Forschungsschiff
und unten das Bohrgerät in 2 000 m Wassertiefe.
Das Gerät hängt an einem dicken Kabel. Es trägt das 10 t schwere Gerät nicht nur,
sondern überträgt auch über Kupfer- und Glasfaserkabel Energie und Daten. Damit
dient es auch der Steuerung des Gerätes. Wir haben das Gerät zusammen mit der
Firma PRAKLA Bohrtechnik in Peine entwickelt. Diese Firma baut sonst normale
Bohrgeräte für die Erschließung von Grundwasser. Im Zuge der Entwicklung wurde
die normale Bohrtechnik für den Tiefwassereinsatz umgebaut. Die Bohrstangen
werden in einem Magazin mit nach unten genommen, und ein Greifarm setzt die
Bohrstangen ein.
- 36 -
Man kann mit diesem Gerät sowohl Sedimente als auch Festgestein erbohren. Das
Gerät wird derzeit am Mittelozeanischen Rücken für Arbeiten in basaltischen Gesteinen im Rahmen des IODP eingesetzt. So soll geklärt werden, wie sich die Basalte dort verändern und welche Mikroorganismen in den Basalten leben.
Das Bohrgerät kann auf verschiedenen Schiffen einsetzt werden. In der Nähe des
Meeresbodens werden die Beine abgeklappt, und das Gerät wird hydraulisch ausgerichtet. Dann kann man vom Schiff aus gesteuert bohren. Alles ist ferngesteuert
und wird videoüberwacht mit Greifarmen durchgeführt.
- 37 -
Es ist auch die Installation von Messgeräten im Bohrloch möglich. Wir können von
dem Bohrgerät aus die Messgeräte einsetzen, die später von einem Unterwasserroboter (ROV) wieder geborgen werden.
- 38 -
Das Bohrgerät ist mobil und kann in 6 x 20‘ Containern weltweit verschifft werden.
Hier ist gerade die Ankunft in Montevideo zur Verladung auf die „Meteor“ zu sehen.
Mit diesem Bild von der Abendstimmung im Hafen von Montevideo möchte ich
schließen und mich für Ihre Aufmerksamkeit bedanken.
(Beifall)
*
Aussprache
Prof. Dr Stefan Tangermann: Vielen Dank, Herr Wefer, für Ihren Vortrag. Wir haben noch ein wenig Zeit für Fragen und Anmerkungen.
Prof. Dr. Wolfgang Sellert: Sie dokumentieren den Meeresboden und erstellen
sehr detaillierte Karten. Sie haben sogar Ursachen für den Tsunami vor Japan feststellen können. Kann man aus Ihren Forschungen auch Parameter gewinnen, mit
- 39 denen man Tsunamis oder gar Erdbeben vorhersagen kann? Oder sind diese Parameter vielleicht auch für andere Forschungsunternehmungen wichtig, um solche
Prognosen treffen zu können?
Prof. Dr. Dr. h. c. Gerold Wefer: Erdbebenvorhersage ist in Japan natürlich ein
großes Thema. Auf einer gemeinsamen Pressekonferenz in Tokio wurde immer
wieder danach gefragt.
Erstens muss man feststellen: Erdbeben kann man nicht bezüglich des Zeitpunkts
vorhersagen. Man kann aber Risikokarten erstellen. Unser Ziel ist, die gesamten
Zusammenhänge und Ursachen festzustellen. Wenn sie genau bekannt sind, können wir darlegen, in welchen Gebieten sich durch die Bewegungen starke Pressungsdrucke aufbauen und Erdbeben wahrscheinlich sind. Die Japaner verfügen
über viele Bohrungen mit installierten Messsystemen, und damit kann man feststellen, welche Gebiete mit besonders hoher Wahrscheinlichkeit für ein Erdbeben in
Frage kommen.
Außerdem gibt es in Japan sehr gute Tsunami-Frühwarnsysteme.
Aber man kann nicht vorhersagen, dass das nächste Erdbeben oder der nächste
Tsunami übermorgen oder in drei Jahren auftritt.
Ich war auf dieser Pressekonferenz durchaus etwas überrascht, wie weitgehend
sich meine japanischen Kollegen bezüglich Vorhersage äußern. Das TohokuErdbeben war im Übrigen nicht vorhergesagt worden. Sehr viele frühere Untersuchungen fanden südlich der Bucht von Tokio statt, weil man annahm, dass es ein
besonders gefährdetes Gebiet ist. Dort stoßen drei Platten zusammen. Insofern waren die Kollegen von dem eingetretenen Erdbeben sehr überrascht, sie fühlten sich
sogar irgendwie mitschuldig an der Katastrophe, weil sie dieses Gebiet als nicht besonders gefährdet betrachtet hatten.
Frage aus dem Publikum: Wie sehen die Eigentumsverhältnisse in den Meeresregionen aus, zu denen Sie vorgetragen haben? Gibt es internationale Abkommen
dazu? Denn es gibt einen Wettbewerb um Rohstoffe und um ihre Sicherung. Insofern ist Ihre Arbeit, Herr Wefer, auch als eine strategische Zukunftsaufgabe zu sehen. Wie sehen also die Konkurrenzen aus, und wie muss man sich aufstellen?
Prof. Dr. Dr. h. c. Gerold Wefer: Bislang war die 200-Seemeilen-Grenze für die
wirtschaftliche Nutzung das Maß der Dinge. Seit 10 oder 20 Jahren liegt hierzu eine
Neuregelung vor. Demnach kann diese Ökonomische Zone erweitert werden, wenn
ein Staat nachweisen kann, dass der Kontinentalhang noch weiter als 200 Seemeilen von der Küste entfernt liegt. Dafür wird die Mitte zwischen Tiefsee und Schelf als
Grenze des Kontinents zum Ozean herangezogen.
Das beste Beispiel dafür ist vielleicht Russland. Russland versucht, für den Lomonossow-Rücken nachzuweisen, dass dieser ein Teil Sibiriens, also des eurasischen
Kontinents, ist. Mit dieser Argumentation soll begründet werden, dass dieser Rücken zur Ökonomischen Zone Russlands gehört. Um das zu unterstreichen, hat
Russland von einem U-Boot aus dort eine russische Fahne auf dem Meeresboden
platziert.
Dabei spielt die Meeresbodenvermessung eine große Rolle. So hat Irland mehr Besitz unter Wasser als an Land. Es hat seine 200-Meilen-Zone nicht nur detailliert
vermessen, sondern auch mit den genannten Argumenten erweitert.
- 40 Prof. Dr Stefan Tangermann: In Fortsetzung dieser Frage: Welche in der Tiefsee
oder im Meer allgemein vorhandenen Rohstoffe lassen sich derzeit am besten wirtschaftlich nutzen? Welche Probleme entstehen bei ihrer Gewinnung?
Prof. Dr. Dr. h. c. Gerold Wefer: Erdöl, Erdöl, Erdöl, Erdgas! Zu 90 % geht es um
Kohlenwasserstoffe, und dann kommt der Rest.
Ich hatte Manganknollen und Sulfide als mögliche Lagerstätten angesprochen.
Deutschland verfügt über zwei Konzessionen, um solche Vorkommen durch die
BGR im pazifischen und indischen Ozean zu untersuchen. Aber ich glaube, wir sind
sehr weit davon entfernt, dass diese Rohstoffe aus der Tiefsee gewonnen werden.
Aktuell plant man, bei Papua-Neuguinea diese Rohstoffe im Flachwasser zu gewinnen.
Prof. Dr. Hans-Joachim Fritz: Sie haben Fotos von untermeerischen Lebewesen
gezeigt. Wozu braucht die Natur Farbe in absoluter Dunkelheit?
Prof. Dr. Dr. h. c. Gerold Wefer: Letztlich bin ich als Geologe nicht der richtige Ansprechpartner für dieses Thema. Nach all dem, was ich gehört habe, geht man davon aus, dass diese Arten aus lichtbeeinflussten Habitaten in die absolute Dunkelheit ausgewandert sind und die Farben behalten haben. Aber darauf kann ich nicht
kompetent antworten.
Gleichwohl fasziniert mich dieser Umstand auch immer wieder. Wir nutzen diese
fantastischen Aufnahmen für einen Kalender. Er beinhaltet beeindruckende Bilder,
und sie wurden in etwa 2 000 m Wassertiefe aufgenommen. Wenn man in dem
Steuerungscontainer eines solchen Fahrzeugs sitzt, ist man immer wieder begeistert, welche Artenvielfalt es dort gibt, gerade auch an den Black Smokern. In einem
Bereich von 20 oder 30 cm um sie herum gibt es viele Arten und Organismen, z. B.
Krebse, die Bakterien abweiden. Dort warten, haben mir Biologen berichtet, auch
Fische auf Krebse, die zu nahe an die heiße Quelle gekommen sind, gekocht werden und herunterfallen. Das ist eine völlig neue Welt, die einen begeistert! - Deshalb
fahre ich in meinem Alter immer noch zur See.
(Heiterkeit)
Prof. Dr Stefan Tangermann: Was können Sie aus dem, was Sie in der Tiefsee erfahren, auf den Ursprung des Lebens schließen?
Prof. Dr. Dr. h. c. Gerold Wefer: Nach wie vor wird diskutiert, ob das Leben im Bereich der heißen Quellen entstanden ist. Herr Stetter, Mitglied der Akademie in
München, hat sich intensiv damit befasst. Diese Frage ist noch nicht geklärt - wie
überhaupt die Frage - nach meinem Wissensstand -, wie das Leben auf der Erde
entstanden ist. Die heißen Quellen sind aber sicherlich Orte, wo das Leben auf der
Erde - aus mir nicht erklärbaren Gründen - entstanden sein könnte.
Prof. Dr Stefan Tangermann: Ich bedanke mich herzlich bei Ihnen, Herr Wefer, für
Ihren Vortrag und bei Ihnen allen für Ihre Anwesenheit und Teilnahme. Ich freue
mich aufs nächste Jahr.
(Beifall)
*
- 41 Schlusswort
Dr. Gabriele Andretta
Vizepräsidentin des Niedersächsischen Landtages
Vizepräsidentin Dr. Gabriele Andretta: Ich darf mich dem Dank ausdrücklich anschließen. Das war eine spannende Reise, auf die Sie uns mitgenommen haben,
Herr Wefer. Ich glaube, viele von uns haben jetzt viel Lust, auf der „Sonne“ anzuheuern. Wenn Sie noch Leichtmatrosen gebrauchen können - Herr Klare und ich
würden uns anbieten.
(Heiterkeit)
Ihnen, Herr Professor Tangermann, sowie der Akademie, verehrte Mitglieder, möchte ich ausdrücklich danken, dass Sie die gute Tradition wieder mit Leben gefüllt haben. Wir freuen uns aufs nächste Mal. Dann wird unser junges Land Niedersachsen
einen runden Geburtstag feiern: Es wird 70 Jahre alt. Ich weiß, mit der Akademie
können wir nicht mithalten. Aber auch darauf sind wir stolz, und vielleicht fällt uns
etwas Spannendes zu diesem Jubiläumsjahr ein. Ich freue mich sehr darauf.
Es bleibt mir noch Frau Dr. Bötel und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der
Landtagsverwaltung zu danken, die diese Veranstaltung wie immer wunderbar professionell vorbereitet haben. Dafür meinen herzlichen Dank!
Ihnen allen möchte ich für Ihr Kommen danken. Bleiben Sie uns wohl gewogen! Es
gibt spannende Fragen zu diskutieren. Herr Wefer, es war selten so gut hier im Plenarsaal - auch das kann ich Ihnen versichern. Es war sehr spannend!
Kommen Sie bitte gut und sicher nach Hause.
(Beifall)
Schluss: 19.27 Uhr.
Herunterladen