Erkrankung mit vielen Facetten

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WISSENSCHAFT
NARZISSTISCHE PERSÖNLICHKEITSSTÖRUNG
Erkrankung mit vielen Facetten
Patienten mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung stellen sich Therapeuten
meist wegen komorbider Störungen vor. Sie sind häufig selbstdestruktiv, neigen
zum Abbruch von Beziehungen und zu Suizidversuchen.
Patienten mit einer narzisstiarzissmus zieht das Interesse auf sie. Im Umgang mit anderen geschen Persönlichkeitsstörung gelauf sich, weil es Hinweise ben sie sich überheblich. Mindesten als schwierige Mitmenschen
gibt, dass der Anteil der Narzissten tens fünf dieser Kriterien müssen erund unbeliebte Patienten. Sie leiin der Bevölkerung zunimmt. Meis- füllt sein, um die Diagnose stellen
den unter ihrer Störung, verursatens geht es hierbei jedoch um den zu können.
chen aber auch viel Leid bei andeAktuelle Forschungsbefunde lesubklinischen Narzissmus. Die paren. Schwierig im Umgang mit anthologische Form, die narzisstische gen nahe, dass die narzisstische Perderen Menschen sind die BetroffePersönlichkeitsstörung, findet weit- sönlichkeitsstörung noch weitere
nen (nach DSM-5) unter anderem
aus weniger Beachtung. Ein Grund Facetten als die aufgeführten bedeshalb, weil sie ständig Aufmerkdafür könnte sein, dass sie als we- sitzt. Während beispielsweise im
samkeit und Bewunderung einfornig verbreitet gilt, ein anderer, dass DSM-5 von einem hohen (grandiodern, diese aber anderen nicht zusie relativ selten empirisch unter- sen) Selbstwert ausgegangen wird,
kommen lassen. Sie werten andere
zeigt eine aktuelle Studie deutscher
sucht wird.
ab und treten oft überheblich auf.
Nach DSM-IV-TR beziehungs- Psychologen um Aline Vater von
Sie wollen stets im Mittelpunkt steweise DSM-5 gibt es folgende Kri- der Charité – Universitätsmedizin
hen, sind aber unfähig, sich in anterien für eine narzisstische Persön- Berlin, dass Betroffene einen nieddere einzufühlen und sich mit
lichkeitsstörung: Die Betroffenen haben ein grandioses GeDer Therapeut sollte nicht mit Gegenwehr ihnen zu identifizieren. Bedürfnisse und Gefühle andefühl der eigenen Wichtigkeit,
und Rückzug, sondern
rer Menschen nehmen sie nur
sie verlangen nach übermäßiger
wertfrei und wertschätzend reagieren.
zur Kenntnis, wenn sie für die
Bewunderung, sie idealisieren
eigene Person relevant sind.
sich selbst und sind stark von
Sie sind nicht in der Lage, tiefe und
Fantasien grenzenlosen Erfolgs, rigeren Selbstwert als gesunde Kondauerhafte Beziehungen einzugeMacht, Glanz oder Schönheit einge- trollpersonen aufweisen. Die amerihen. Sie haben kein authentisches
nommen. Sie glauben von sich, be- kanische Psychiaterin Elsa RonInteresse an anderen und benutzen
sonders und einzigartig zu sein und ningstam von der Harvard Medical
sie ausschließlich zur Erreichung
nur von anderen außergewöhnli- School in Belmont (USA) weist zueigener Ziele.
chen oder angesehenen Personen dem darauf hin, dass Betroffene
oder Institutionen verstanden zu nicht nur selbstverliebt und großwerden oder nur mit diesen verkeh- spurig, sondern durchaus auch unsiWegen komorbider Störungen
ren zu können. Darüber hinaus zei- cher, scheu, depressiv und übersenin Therapie
gen sie ein offensives Anspruchs- sibel wirken können. Dies scheint
Diese Eigenschaften macht den
denken und erwarten, bevorzugt be- auf den ersten Blick nicht zusamUmgang mit den Betroffenen nicht
menzupassen. Nach Ronningstam
handelt zu werden.
gerade einfach – dennoch wirken
dienen aber auch solche Facetten
sie oft anziehend und haben in beder Störung dazu, den Betroffenen
stimmten Lebensbereichen sogar
Ausnutzende Tendenzen und
das Gefühl von Überlegenheit zu
Erfolg mit ihrer Art, etwa in FühMangel an Empathie
rungspositionen. Fehlende FreundIn zwischenmenschlichen Bezie- verschaffen und sich psychisch zu
schaften, Isolation und andere Nachhungen sind sie häufig ausbeute- stabilisieren. Des weiteren wurde
teile können viele von ihnen oft lanrisch und ziehen zum Beispiel Nut- die narzisstische Persönlichkeitsstöge kompensieren. Erst ernsthafte
zen aus anderen Personen, um die rung im DSM-5 (Sektion III) teilKrisen und hoher Leidensdruck
eigenen Ziele zu erreichen. Ihnen weise neu konzeptioniert, etwa inführen sie in die Therapie, wo sie
mangelt es zudem an Empathie, das dem ihr nicht nur grandiose, sonsich aber zumeist wegen komorbiheißt, sie sind nicht willens oder fä- dern auch vulnerable Charakteristider Störungen vorstellen und behig, die Gefühle und Bedürfnisse ka zugeschrieben werden. Neuere
handeln lassen.
anderer zu erkennen oder sich mit Befunde und Entwicklungen wie
Auch in der Therapie zeigen sich
ihnen zu identifizieren. Außerdem diese deuten darauf hin, dass die Erdie Charakteristika der Erkrankung,
sind sie häufig neidisch auf andere forschung der Störung noch lange
sodass Therapeuten damit rechnen
oder glauben, andere seien neidisch nicht abgeschlossen ist.
N
Deutsches Ärzteblatt | PP | Heft 12 | Dezember 2014
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WISSENSCHAFT
müssen, arrogant und abwertend
behandelt zu werden. Die Patienten
sind darüber hinaus selbstdestruktiv und neigen zum Abbruch von
Beziehungen und zu Suizidversuchen. Sie verdrängen Abhängigkeitsbedürfnisse, erschweren den
Aufbau eines therapeutischen Arbeitsbündnisses und zeigen dissoziale Züge. Außerdem betrachten
sie ihr Verhalten oft als angemessen und sind daher nur schwer zu
Veränderungen zu motivieren. Dies
stellt Therapeuten vor besondere
Herausforderungen.
Es gibt eine Vielzahl an therapeutischen Ansätzen (zum Beispiel
psychoanalytische oder dialektisch-behaviorale), um die narzisstische Persönlichkeitsstörung zu
behandeln. Allerdings wurden bislang keine empirisch-wissenschaftlichen Studien zur Psychotherapie
narzisstischer Patienten publiziert,
daher meint die Psychologin Vater:
„Die Grundlagen einer spezifischen Psychotherapie sind aus wissenschaftlicher Sicht nicht geklärt.“ Schulenübergreifend lassen
sich in der Literatur dennoch verschiedene Therapieziele finden, so
zum Beispiel eine Verbesserung
der Beziehungsfähigkeit und Flexibilität, eine Reduktion narzisstischer Verhaltensweisen oder die
Aktivierung hilfreicher Ressourcen. Auch Techniken, die die Einsicht des Patienten in die Funktion
der narzisstischen Verhaltensweisen sowie eine realistische Selbstwahrnehmung fördern, oder die
zum Aufbau stabiler sozialer Bindungen oder zur Emotionsregulation beitragen, sollten vermittelt
werden. Darüber hinaus sollte der
Therapeut nicht mit Gegenwehr
und Rückzug, sondern wertfrei und
wertschätzend reagieren. Die erhöhte Suizidgefährdung der Patienten sollte bei jeder Behandlung
▄
berücksichtigt werden.
Dr. phil. Marion Sonnenmoser
LITERATUR
1. Ronningstam E: Narcissistic personality disorder: A clinical perspective. Journal of Psychiatric Practice 2011; 17(2): 89–99.
2. Vater A, Roepke S, Ritter K, Lammers CH:
Narzisstische Persönlichkeitsstörung. Forschung, Diagnose und Psychotherapie.
Psychotherapeut 2013; 58(6): 599–615.
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DERMATILLOMANIE
Ventil für negative
Gefühlszustände
Die Dermatillomanie oder „Skin-Picking-Disorder“ wird
den Impulskontrollstörungen zugeordnet. Auch sind
Ähnlichkeiten zu Zwangs- und Substanzmissbrauchstörungen sowie zur Borderline-Störung vorhanden.
it ihrer Haut beschäftigen
sich alle Menschen täglich,
etwa beim Waschen oder Pflegen.
Auch die Haut gelegentlich zu kratzen, zu drücken oder mit den Fingern
abzutasten, gehört zu den unbedenklichen und weit verbreiteten Verhaltensweisen. Etwa zwei bis fünf Prozent der Bevölkerung gehen jedoch
wesentlich brachialer mit ihrer Haut
um: Sie ziehen, quetschen, drücken,
reiben und kratzen heftig daran,
schneiden sich oder ziehen kleine
Hautstücke ab. Dazu werden Fingernägel und Zähne, aber auch Werkzeuge wie Pinzetten, Nadeln, Scheren und Messer eingesetzt. Meistens
fließt Blut, und es entstehen starke
Rötungen, vereiterte Stellen, offene
Wunden und Narben. Schmerzen
verspüren die Betroffenen während
ihrer Prozeduren offenbar keine, da
sie automatisch und wie in Trance ihrem zwanghaften Drang nachgehen,
die Haut zu „bearbeiten“.
M
Teufelskreis
Besonders häufig wird die Haut in
Gesicht und Hals, an Schultern,
Brust oder an den Händen malträtiert, aber auch an schwieriger
zugänglichen Körperstellen. Obwohl die Betroffenen wissen, welche negativen Konsequenzen mit
dieser „Zerstörungsarbeit“ einhergehen, können sie sie nicht verhindern und hören oft nur damit auf,
weil der Drang nachlässt oder weil
sie erschöpft sind. Das Bearbeiten
der Haut wird kurzfristig als entspannend, angenehm und stimulierend empfunden, dann aber stellen
sich Reue und Schuldgefühle ein.
Anschließend wird die Haut gepflegt und versteckt, bis erneut der
Drang einsetzt, sie als Ventil für negative Gefühlszustände zu nutzen.
Noch nicht verheilte Wunden werden erneut aufgerissen, sodass es
zu schmerzhaften Komplikationen
kommen kann. Darüber hinaus wird
der Hautbearbeitung übermäßig viel
Zeit und Aufmerksamkeit gewidmet, sodass andere Tätigkeiten vernachlässigt werden. Hinzu kommt
Scham wegen der offensichtlichen
Verletzungen, die dazu führt, dass
sich die Betroffenen zurückziehen
und das Haus eine Zeit lang nicht
mehr verlassen. Sie fürchten Fragen, Kritik und soziale Zurückweisung und isolieren sich, sodass ihr
Leben durch die Erkrankung immer
stärker eingeschränkt wird. Dies erhöht jedoch den inneren Leidensdruck, der wiederum durch eine
Traktierung der Haut abgebaut wird
– ein Teufelskreis entsteht.
Die hier beschriebenen Symptome gehören zum Krankheitsbild
„Dermatillomanie“, auch „Skin
Picking Disorder“ genannt. Sie tritt
besonders häufig in der späten
Kindheit oder frühen Jugend auf,
kann aber auch später ausbrechen,
vor allem zwischen dem 30. und 45.
Lebensjahr. Sie verläuft phasenhaft
und chronifiziert meistens, wenn
sie nicht behandelt wird. Der Frauenanteil beträgt circa 60 bis 90 Prozent, wobei die Dunkelziffer bei
Männern hoch ist. Als Ursachen
werden verschiedene Faktoren diskutiert, allerdings fehlen bislang
aussagefähige empirische Befunde.
Ausgelöst wird das schädigende
Verhalten oft durch eine Kruste, einen Sonnenbrand, einen Mückenstich, einen Hautausschlag oder einen Pickel in Verbindung mit indiDeutsches Ärzteblatt | PP | Heft 12 | Dezember 2014
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