Ferienkurs Experimentalphysik 4 - TUM

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Ferienkurs Experimentalphysik 4
Vorlesung 2
Schrödingergleichung des Wasserstoffatoms, Quantenmechanische
Addition von Drehimpulsen, Korrekturen der einfachen Theorie
des Wasserstoffatoms, Atome im Magnetfeld
Markus Perner, Rolf Ripszam, Christoph Kastl
16.02.2010
1 Das Wasserstoffatom
In diesem Kapitel wollen wir Lösung der Schrödingergleichung des Wasserstoffatoms besprechen. Als Einelektronensystem ist es neben den Ionen He+ , Li++ , usw. das einzige
Atom, für das die Schrödingergleichung exakt, d.h. analytisch, lösbar ist. Die Einsichten
in die Physik des Systems, die wir in diesem Zusammenhang gewinnen, bilden die Grundlage für das Verständnis der komplexeren Verhältnisse bei den Mehrelektronenatomen.
1.1 Schrödingergleichung für Einelektronen-Atome
Ausgangspunkt für die Untersuchung ist der Hamiltonoperator des Systems
~2 2
Ze2
1
~2
2
∇K −
∇e −
Ĥ = −
2mK
2me
4π0 |r K − r e |
Der erste Term repräsentiert die kinetische Energie des Kerns mit Ladung Z · e, der
zweite die kinetische Energie des Elektrons und der dritte die potentielle Energie der
Coulomb-Wechselwirkung zwischen Kern und Elektron.
Wir wollen nun die Eigenzustände des Hamiltonoperators, d.h. die Lösungen der stationären Schrödingergleichung finden. Es handelt sich hierbei um ein Zweikörperproblem,
das aber analog zur klassischen Mechanik durch Verwendung von Schwerpunktskoordinaten auf ein Einkörperproblem zurückgeführt werden kann. Man erhält für die Relativbewegung folgende Gleichung
2
~ 2
− ∇ + V (r) ψ = Eψ
2µ
mit der reduzierten Masse µ, welche den Effekt der Bewegung um den gemeinsamen
Schwerpunkt von Kern und Elektron erfasst.
µ=
me · mK
me + mK
Die Symmetrie des Coulombpotentials legt die Verwendung von Kugelkoordinaten nahe.
Der Hamiltonoperator zerfällt dann in einen winkelabhängigen und in einen radialen Anteil. Unter Verwendung des Drehimpulsoperators L̂ = r̂×p̂ lautet die Schrödingergleichung
"
#
p̂r
L̂2
+
+ V (r) ψ = Eψ
2µ 2µr2
1
1.2 Eigenschaften der Lösungen
Das genaue Verfahren zur Lösung der Schrödingergleichung wollen wir hier nicht weiter verfolgen, sondern lediglich ihre Eigenschaften diskutieren. Die Lösung lässt sich
schreiben als
ψ(r, θ, φ) = Rn,l (r) · Ylm (θ, φ)
Die Lösungsfunktionen hängen von drei ganzzahligen Parametern n, l, m ab. Dabei ist
• n = 1, 2, . . . die Hauptquantenzahl.
• 0 ≤ l ≤ n − 1 die Drehimpulsquantenzahl.
• −l ≤ m ≤ l die magnetische Quantenzahl.
Rn,l ist der radiale Anteil der Wellenfunktion. Ylm sind die sogenannten Kugelflächenfunktionen.
Sie besitzen ihrerseits wieder eine Produktdarstellung
Ylm = Plm (cos θ)Φm (φ)
und sind Eigenfunktionen von L̂2 und zugleich von L̂z . In den Eigenzuständen gilt
hL̂2 i = l(l + 1) · ~2
hL̂z i = m · ~
Die Quantenzahl l bestimmt den Betrag des Drehimpulses, während m den quantisierten
Wert der Drehimpulskomponente in z-Richtung angibt. Die Funktionen Plm sind Polynome in cos θ. Φm besitzt die einfache Form
1
Φm (φ) = √ eimφ
2π
Die möglichen Energien der Zustände ergeben sich zu
µZ 2 e4
=
820 h2 n2
Z2
= 13.6 eV 2
n
En = −
Die Hauptquantenzahl n gibt also die Energie des Zustands an. Die quantenmechanische
Berechnung mit Hilfe der Schrödingergleichung ergibt die gleichen Energieeigenwerte wie
das Bohrsche Atommodell.
Die Energie, der Drehimpuls und die z-Komponente des Drehimpulses sind in einem
stationären Zustand (n, l, m) Erhaltungsgrößen. Der Zustand ist durch die Angabe der
Quantenzahlen, die mit den Erhaltungsgrößem verknüpft sind, eindeutig charakterisiert.
Man spricht in diesem Zusammenhang von guten Quantenzahlen.
Experimentelle Befunde haben gezeigt (Stern-Gerlach-Experiment), dass man dem Elektron neben dem Bahndrehimpuls noch einen Eigendrehimpuls S, den Spin, zuweisen
2
|m|
l
Zustand
Zustand
0
s
0
σ
1
p
1
π
2
d
2
δ
3
g
3
φ
4
f
4
γ
Tabelle 1: Bezeichungen der Zustände (l, m)
muss. Nach den quantenmechanischen Regeln für Drehimpulse gilt für den Betrag S =
p
s(s + 1) · ~ und für die z-Komponente Sz = ms ~. Für das Elektronen findet man
experimentell
s=
1
2
→
ms = ±
1
2
Der Zustand des Elektrons wird somit nicht mehr durch drei Quantenzahlen (n, l, ml ),
sondern durch vier Quantenzahlen (n, l, ml , ms ) charakterisiert.
Da die Energie eines Zustandes nur von der Hauptquantenzahl n, nicht aber von l, ml ,
ms abhängt, gibt es für gegebenes n immer mehrere entartete Zustände. Die Anzahl
der Zustände für gegebenes n ist
g = 2·
n−1
X
(2l + 1) = 2n2
l=0
Oft bezeichnet man die Zustände nach der Buchstaben-Nomenklatur die in Tabelle 1
angeben ist.
Alle s-Zustände (l=0) besitzen eine kugelsymmetrische Wahrscheinlichkeitsverteilung.
Anschaulich kann man dies folgendermaßen verstehen: Für verschwindenden Drehimpuls
ist keine Richtung im Raum ausgezeichnet. Die Lösung der Schrödingergleichung sollte
somit die volle Symmetrie des Coulombpotentials, also die Kugelsymmetrie, wiederspiegeln.
Summiert man die Aufenthaltswahrscheinlichkeiten |ψn,l,m (r, θ, φ)|2 bei festem n über
alle erlaubten Werte von l und m, so ergibt sich die gesamte Aufenthaltswahrscheinlichkeit im Zustand n. Sie ist immer kugelsymmetrisch. Man bezeichnet deshalb die
Summe aller Zustände für einen festen Wert von n als eine Elektronenschale.
3
2 Quantenmechanische Addition von Drehimpulsen
Der quantenmechanische Drehimpulsoperator kann in Analogie zum klassischen Drehimpuls definiert werden, wenn man die klassischen Größen durch die entsprechenden Operatoren ersetzt.
L̂ = r̂ × p̂ =
~
r×∇
i
Der so definierte Drehimpulsoperator erfüllt die folgenden, sogenannten fundamentalen Kommutatorrelationen:
i~L̂x = [L̂y , L̂z ]
i~L̂y = [L̂z , L̂x ]
i~L̂z = [L̂x , L̂y ]
ˆ für dessen
Diese Gleichungen definieren einen abstrakten Drehimpuls. Jeder Operator J,
Komponenten obige Kommutatorrelationen gelten, ist ein Drehimpulsoperator. Die Eigenzustände des Operators sind durch zwei Quantenzahlen j und mj charakterisiert. Jˆ2 und
Jˆz besitzen gemeinsame Eigenfunktionen, wobei die Eigenwerte von folgender Form sind
Jˆ2 ~2 j(j + 1)
Jˆz
mj ~
j
ganz- oder halbzahlig
mj = −j, −j + 1, . . . , j − 1, j
Es ist oft notwendig, zwei Einzeldrehimpulse Jˆ1 und Jˆ2 zu einem Gesamtdrehimpuls
Jˆ = Jˆ1 + Jˆ2 zu kombinieren. Es ist deshalb von Interesse, wie man die Eigenschaften
von Jˆ aus denen von Jˆ1 und Jˆ2 ableiten kann. Zunächst stellen wir fest, dass der durch
Jˆ = Jˆ1 + Jˆ2 definierte Operator auch tatsächlich ein Drehimpulsoperator ist, das heißt
die Kommutatorrelationen erfüllt. Die Eigenzustände des Operators sind folglich durch
die Quantenzahlen j und mj charakterisiert. Es stellt sich nun die Frage welche Werte
j und mj annehmen können. Man kann zeigen, dass gilt
|j1 − j2 | ≤ j ≤ j1 + j2
−j ≤ mj ≤ j
Auf einen Beweis dieser Aussage wird an dieser Stelle verzichtet. Als Beispiel wollen wir
die Quantenzahlen j und mj des Gesamtdrehimpulses eines Elektrons mit Bahndrehim-
4
puls l = 0, 1, 2 und Spin s =
1
2
betrachten.
l
s j
0
1
2
1
2
- 12 , 12
1
1
2
1
2
- 12 , 12
3
2
- 32 , - 21 , 12 , 32
3
2
- 32 , - 21 , 12 , 32
5
2
- 25 , - 32 , - 12 , 12 , 23 , 52
2
1
2
mj
3 Korrekturen der einfachen Theorie des
Wasserstoffatoms
3.1 Relativistische Korrektur der Energieterme
Zur Berechung der Energieverschiebung gehen wir statt von der klassische EnergieImpulsformel
p2
T =
2m
von der relativistischen Energie-Impuls-Beziehung aus.
E 2 = E02 + c2 p2
Die kinetische Energie T eines Elektrons ergibt sich als Differenz zwischen Gesamtenergie
E und Ruheenergie E0 = m0 c2 .
s
q
p2
T = p2 c2 + m20 c4 − m0 c2 = m0 c2 1 + 2 2 − m0 c2
m0 c
Für p2 << m20 c2 können wir den Wurzelterm in eine Taylorreihe entwickeln. Wir berücksichtigen
Terme bis zur 4.Ordnung in p.
s
p2
1 p2
1 p4
1+ 2 2 =1+
−
+ O(p6 ) =
2 2
4 4
m0 c
2 m0 c
8 m0 c
1
p2
p4
2
=
m0 c +
−
+ O(p6 )
m 0 c2
2m0 8m30 c2
5
Einsetzen der Entwicklung ergibt
p2
p4
p2
p4
2
−
−
m
c
=
−
=
0
2m0 8m30 c2
2m0 8m30 c2
= T0 − ∆Erel
T = m 0 c2 +
Der zweite Term stellt die relativistische Korrektur der Energieterme dar. Zur Berechnung des Erwartungswertes der Energiekorrektur nehmen wir wie üblich die Ersetzung
p → −i~∇ vor
Z
~4
∗
h∆Erel i =
ψn,l,m ∇4 ψn,l,m
d3 r
3 2
8m0 c
= ··· =
2 2
Z α
3
1
3
= En
−
+ O(α )
n
4n l + 1/2
Für das Wasserstoffatom gilt natürlich Z = 1. Den dimensionslosen Faktor α bezeichnet
man als Sommerfeldsche Feinstrukturkonstante
α=
e2
1
≈
4π0 ~c
137
Die relativistische Energiekorrektur ist im wesentlichen von der Größenordnung α2 ≈
5 · 10−5 . Wir werden später sehen, dass auch die Energiekorrektur durch die Berücksichtigung
der Spin-Bahn-Kopplung proportional zu α2 ist.
3.2 Magnetisches Moment
Ein Elektron mit Drehimpuls L erzeugt auf Grund seiner Ladung −e ein magnetisches Dipolmoment µ. Diese Tatsache können wir in einem halbklassischen Modell
beschreiben, in dem die Bewegung des Elektrons auf einer
p klassischen Kreisbahn erfolgt,
wobei der Drehimpuls die Quantenbedingung |L| = ~ l(l + 1) erfüllt.
Ein auf einer Kreisbahn mit Frequenz ν = v/(2πr) umlaufendes Elektron stellt einen
elektrischen Strom
I = −e · ν = −
e·v
2πr
dar, der ein magnetisches Moment
µ = I · A = Iπr2 n̂ = −
evr
n̂
2
erzeugt. A ist der Flächenvektor senkrecht zur Umlauffläche. Der Bahndrehimpuls des
6
Elektrons ist gegeben durch
L = r × p = me rv · n̂
Damit erhält man den Zusammenhang zwischen magnetischem Moment und Bahndrehimpuls
µl = −
e
·L
2me
Definiert man das Bohrsche Magneton als
µB =
e~
2me
kann man für das magnetische Moment schreiben
µl = −
µB
L
~
Für das magnetische Spinmoment des Elektrons gilt
µs = −gs
µB
S
~
Der Faktor gs ≈ 2 heißt Landé-Faktor. Er kann mit einer relativistischen Quantenmechanik begründet werden.
Die Energie eines magnetischen Dipols im homogenen Magnetfeld beträgt
E = −µB
3.3 Spin-Bahn-Kopplung
Die Wechselwirkung des magnetischen Moments µs mit dem Magnetfeld B l , das durch
die Bahnbewegung des Elektrons erzeugt wird, wird als Spin-Bahn-Kopplung bezeichnet. Zur Berechnung der Spin-Bahn-Kopplung verwenden wir ein halbklassisches Modell. Wir nehmen an, dass sich das Elektron auf einer Kreisbahn mit Radius rpum den
Kern bewegt. Der Drehimpuls soll die quantenmechanische Bedingung |L| = ~ l(l + 1)
erfüllen.
Um das Magnetfeld, das durch die Bahnbewegung verursacht wird, am Ort des Elektrons
zu bestimmen, machen wir folgende Überlegung: Im Ruhesystem des Elektrons bewegt
sich der Kern auf einer Kreisbahn um das Elektron, siehe Abb. 1. Diese Kernbewegung
entspricht einem Kreisstrom, dessen Magnetfeld B l mit Hilfe des Gesetzes von BiotSavart berechnet werden kann. Am Ort des Elektrons gilt:
7
Abbildung 1: Im Ruhesystem des Kerns bewegt sich das Elektron um den Kern (links).
Im Ruhesystem des Elektrons kreist der Kern um das Elektron (rechts).[R.
Gross, Vorlesung Experimentalphysik 4, 2003]
Zeµ0
Zeµ0
· v × (−r) =
·r × v =
3
4πr
4πr3
Zeµ0
·L
=
4πr3 me
Bl =
mit L = me · r × v. Man beachte, dass im Ruhesystem des Elektrons die Kernposition
durch −r gegeben ist.
Für die Energieaufspaltung durch die Wechselwirkung des magnetischen Spinmoments
mit dem Magnetfeld ergibt sich dann
∆ELS = −µs · B l = gs
→ En,l,s = En +
µB Zeµ0
·
· (L · S)
~ 4πme r3
Ze2 µ0
· (L · S)
8πm2e r3
mit gs ≈ 2.
Hierbei wurde schon der sogenannte Thomas-Faktor beachtet. Denn bei der Rücktransformation ins Ruhesystem des Elektrons ergibt sich bei genauer relativistischer
Betrachtung auf Grund des Elektronenspins ein zusätzlicher Faktor 1/2.
Durch den Kopplungsterm kommutieren Sz und Lz nicht mehr mit dem Hamiltonoperator, das heißt Sz und Lz sind keine Erhaltungsgrößen mehr. Deshalb geht man zur
Beschreibung des Systems über zum Gesamtdrehimpuls
J =L+S
Man kann zeigen, dass in diesem Fall J 2 und Jz Erhaltungsgrößen sind. Das System
wird dann durch die Quantenzahlen j und mj beschrieben. Mit Hilfe von J können wir
das Skalarprodukt L · S weiter auswerten. Durch Quadrieren der Definitionsgleichung
8
erhält man
→
J 2 = (L + S)2 = S 2 + 2 L · S + L2
1 2
S ·L =
J − L2 − S 2
2
1
= ~2 [j(j + 1) − l(l + 1) − s(s + 1)]
2
Zur Berechnung der Spin-Bahn-Kopplungsenergie benötigen wir noch den Wert des Faktors 1/r3 . Bei der Herleitung hatten wir Gebrauch von einer klassischen Betrachtung
gemacht und angenommen, dass sich das Elektron in einem wohldefinierten Abstand r
auf einer Kreisbahn um das Proton bewegt. Quantenmechanisch gesehen befindet sich
das Elektron natürlich nicht auf einer definierten Bahn und wir können nur die Aufenthaltswahrscheinlichkeit des Elektrons in einem bestimmten Volumenelement bestimmen. Wir können allerdings den Erwartungswert des Terms 1/r3 und somit die mittlere
Spin-Bahn-Kopplungskonstante ā berechnen.
Z
µ0 Ze2 ~2
1
ā =
φ
φn,l,m dr
n,l,m
8πm2e
r3
Berücksichtigt man sowohl die relativistischen Korrekturen, als auch die Spin-BahnKopplung so ergibt sich, dass die Energie der Zustände des Elektrons nicht von der
Bahndrehimpulsquantenzahl l abhängt. Alle Zustände mit gleichen Quantenzahlen n
und j haben die gleiche Energie. Das Ergebnis ist die Feinstruktur der Wasserstoffatoms.
(Man beachte En < 0)
En,j = En + ∆Erel + ∆ELS =
1
3
Z 2 α2
−
= En 1 +
n
j + 1/2 4n
In komplexeren Atomen ist es nicht ohne weiteres möglich, das Magnetfeld, in dem sich
das Elektron bewegt, zu berechnen. Deshalb schreibt man die Spin-Bahn-Kopplung auch
in folgender Form
µB
|S|Bl cos (]S, L) =
~
µB
S ·L
= gs |S|Bl
=
~
|S| · |L|
gs µB Bl 1
=p
[j(j + 1) − l(l + 1) − s(s + 1)] =
l(l + 1) 2
a
= [j(j + 1) − l(l + 1) − s(s + 1)]
2
∆ELS = −µs · Bl = gs
9
mit der Spin-Bahn-Kopplungskonstanten.
gs µB Bl
a= p
l(l + 1)
Abbildung 2: Aufspaltung durch Spin-Bahn-Kopplung und relativistische Energiekorrektur. Niveaus mit gleichem j und n sind energetisch entartet. [R. Gross,
Vorlesung Experimentalphysik 4, 2003]
3.4 Lamb-Verschiebung
Durch höchstauflösende Spektroskopie am Wasserstoffatom stellte es sich heraus, dass
durch die Berücksichtigung relativistischer Korrekturen und der Spin-Bahn-Kopplung
das Spektrum des Wasserstoffatoms immer noch nicht vollständig beschrieben werden
kann. Eine weitere Korrektur stellt die sogenannte Lamb-Verschiebung dar, die im
Rahmen der Quantenelektrodynamik erklärt werden kann.
Die physikalische Ursache der Lamb-Verschiebung ist die Tatsache, dass das Elektron
innerhalb der Grenzen der Unschärferelation
∆E · ∆t ≥
~
2
virtuelle Photonen emittieren und absorbieren kann ohne die Energieerhaltung zu verletzen. Durch den Rückstoß bei der Emission und Absorption führt das Elektron eine
Zitterbewegung um den Kern aus, was zu einer Verschiebung der Energieniveaus in
der Größenordnung von 10−6 eV führt. Infolgedessen fallen Energieniveaus mit gleichem
n und j aber unterschiedlichem l nicht exakt zusammen.
10
3.5 Hyperfeinstruktur
Untersucht man die Feinstruktur des Wasserstoffatoms mit sehr hoher Auflösung, so
stellt man fest, dass die Feinstrukturkomponenten ihrerseits eine Substruktur besitzen.
Diese sehr kleine Aufspaltung, die man nur mit dopplerfreien spektroskopischen Methoden auflösen kann, nennt man die Hyperfeinstruktur.
Ursache der Hyperfeinstruktur ist die Tatsache, dass wir dem Kern ebenso wie dem Elektron einen Eigendrehimpuls I zuordnen müssen, den sogenannten Kernspin. Analog zur
Spin-Bahn-Kopplung müssen wir deshalb die Wechselwirkung des Kernmoments mit
dem Magnetfeld, das durch den Gesamtdrehimpuls des Elektrons erzeugt wird, berechnen. Das magnetische Kernmoment ergibt sich zu
µi = gi
µK
·I
~
mit dem Kern-g-Faktor gi und mit dem Kernmagneton
µK =
e
~
2mp
Man sieht sofort
µK
me
1
=
=
µB
mp
1836
Da die Größe der Aufspaltung wesentlich vom Betrag des Kernmoments bestimmt wird,
ist die Aufspaltung auf Grund der Hyperfeinstruktur ungefähr um obigen Faktor kleiner
als auf Grund der Feinstruktur.
Die Energie im Magnetfeld B j des Elektrons beträgt im halbklassischen Modell
E = −µi · B j = µi Bj cos (](J , I)) =
µK
J ·I
= gi |I|Bj
~
|J| · |I|
Das weitere Vorgehen ist analog zur Spin-Bahn-Kopplung. Zur Auswertung des Skalarprodukts führen wir den Gesamtdrehimpuls F = J + I ein. Die Hyperfeinenergie beträgt
dann
∆EHFS =
A
[f (f + 1) − j(j + 1) − i(i + 1))]
2
mit der Hyperfeinkonstanten
gi µK Bj
A= p
j(j + 1)
Man beachte, dass die Berechnung des Magnetfelds Bj im allgemeinen sehr komplex ist.
11
Die Struktur der Hyperfeinaufspaltung ist in der obigen Darstellung jedoch sehr einfach
zu erkennen. Die Zahl der Hyperfeinkomponenten entspricht der Anzahl der möglichen
Realisierungen von F . Für das Proton gilt
1
i= ,
2
gi = 5.59
Der Gesamtdrehimpuls kann somit nur zwei Werte annehmen
f =j±
1
2
Jede Feinstrukturkomponente spaltet damit in zwei Hyperfeinstrukturkomponenten auf.
3.6 Vollständiges Termschema des Wasserstoffatoms
Abbildung 3: Vollständiges Termschema des Wasserstoffatoms mit allen bisher bekannten Wechselwirkungen. Die Fein- und Hyperfeinstruktur, sowie die LambVerschiebung sind aus Gründen der Übersichtlichkeit nicht maßstabsgerecht gezeichnet [Gross, Vorlesung Experimentalphysik 4, 2003].
12
4 Verhalten im Magnetfeld
4.1 Normaler Zeeman-Effekt
Wir wollen nun den Einfluss eines äußeren Magnetfeldes auf die Energieniveaus untersuchen. Der Spin des Elektrons soll zunächst noch vernachlässigt werden. In einem
äußeren Magnetfeld B ist die potentielle Energie eines magnetischen Dipols mit dem
magnetischen Moment µl gegeben durch
E = −µl · B
Im Falle des Elektrons mit Bahndrehimpuls L erhalten wir
E=
µB
L·B
~
Wir betrachten ein homogenes Magnetfeld in z-Richtung. In Richtung des Magnetfeldes
kann der Drehimpuls nur die diskreten Werte m~ annehmen
µB
m~B
~
= µB · m · B
E =
mit dem Bohrschen Magneton
µB = 9.274 · 10−24 JT−1
= 5.789 · 10−5 eVT−1
Der Abstand zweier benachbarter Linien ist
∆E = Em+1 − Em = µB · B(m + 1 − m) = µB · B ≈
≈ 5.8 · 10−5 eVT−1 · B
Die zu einer Quantenzahl l gehörenden entarteten Energieniveaus spalten in einem
äußeren Magnetfeld aufgrund des mit dem Bahndrehimpuls verknüpften magnetischen
Moments in 2l + 1 äquidistante Niveaus auf. Dieser Effekt heißt normaler ZeemannEffekt. Die Aufspaltung liegt in der Größenordnung von 10−5 eV. Es sei noch einmal
darauf hingewiesen, dass der Spin des Elektrons bisher vernachlässigt wurde. Die obigen
Betrachtungen gelten deshalb nur für Systeme mit S = 0.
13
4.2 Anomaler Zeeman-Effekt
Bei Berücksichtigung des Spins ist die Aufspaltung der Atomzustände in einem Magnetfeld im Allgemeinen komplizierter als dies in Abschnitt 4.1 durch den normalen ZeemanEffekt beschrieben wurde. Das magnetische Moment setzt sich dann aus einem Bahnund einem Spinmoment zusammen.
µj = −
µB
(L + gs S)
~
Abbildung 4: Magnetisches Moment und Gesamtdrehimpuls sind für S 6= 0 nicht mehr
parallel.
Wie Abb. 4 zeigt, ist das magnetische Moment µj nicht antiparallel zum Drehimpuls J .
Der zeitliche Mittelwert des magnetischen Moments hµj i ist gleich der Projektion von
µj auf J .
J
=
|J |
µB L · J
S ·J
=−
+ gs
~
|J |
|J |
hµj i = µj ·
Mit J = L + S stellen wir die Skalarprodukte wieder als Summe von Betragsquadraten
dar
1 2
J + L2 + S 2
2
1
= ~2 [j(j + 1) + l(l + 1) − s(s + 1)]
2
L·J =
1 2
J − L2 + S 2
2
1
= ~2 [j(j + 1) − l(l + 1) + s(s + 1)]
2
S ·J =
14
mit gs ≈ 2 erhalten wir
3j(j + 1) + s(s + 1) − l(l + 1)
p
· µB =
2 j(j + 1)
|J |
= −gj · µB
~
hµj i = −
Der Landé-Faktor gj ist definiert als
gj = 1 +
j(j + 1) + s(s + 1) − l(l + 1)
2j(j + 1)
Die Zusatzenergie E in einem homogenen Magnetfeld, das in z-Richtung orientiert ist,
beträgt
E = −hµj iz B = mj · gj · µB
Damit erhalten wir die Aufspaltung zwischen zwei benachbarten Zeeman-Komponenten
zu
∆E = gj µB B
Die Aufspaltung ist für gegebenes j und l äquidistant. Im Gegensatz zum normalen
Zeeman-Effekt hängt hier die Größe der Aufspaltung von j und l ab, so dass im allgemeinenen mehr Spektrallinien auftreten.
4.3 Paschen-Back-Effekt
Wir haben bisher den Fall betrachtet, dass das durch die Bahnbewegung des Elektrons
erzeugte Magnetfeld viel größer ist als das externe Feld. In diesem Fall bleibt die Kopplung von L und S zu J erhalten. Bei genügend starken Magnetfeldern ist die Wechselwirkung der beiden magnetischen Momente µl und µs mit dem Magnetfeld stärker als die
Spin-Bahn-Kopplung. S und L koppeln dann nicht mehr zum Gesamtdrehimpuls. Die
z-Komponenten orientieren sich unabhängig voneinander längs der Magnetfeldrichtung
gemäß den Quantisierungsregeln Lz = ml ~ und Sz = ms ~. Die magnetische Zusatzenergie ist dann gegeben durch
µB
(L · B + gs S · B)
~
= µB (ml + gs ms )B
E=
Sowohl für den Paschen-Back-Effekt, als auch für den Zeeman-Effekt gilt: Will man
ebenfalls den Kernspin berücksichtigen, muss man beachten, dass das Feld Bj , das von
der Elektronenhülle am Kernort erzeugt wird, sehr stark ist (10 T < Bj < 100 T). Dieses
muss also zusätzlich berücksichtigt werden. Für eine kurze Diskussion siehe z.B. Hak-
15
en, Wolf, Atom- und Quantenphysik, Kapitel 20.5. Für den Fall eines verschwindenden
Drehimpulses L = 0 der Elektronenhülle, wird am Kern kein intrinsisches Magnetfeld
erzeugt. Die Aufspaltung im Megnetfeld lautet dann
E = gs ms µB B − gi mi µK B
Man beachte das negative Vorzeichen des Kernspinanteils, das aus dem positiven Kernmoment resultiert.
4.4 Anwendbarkeit auf komplexere Atome
Viele Überlegungen aus den vorherigen Abschnitten gelten auch für komplexe Mehrelektronenatome. Man muss dabei nur die jeweilige Kopplung der Drehimpulse und Spins
des Elektronensystems beachten. Insbesondere gilt für die Spin-Bahn-Kopplung und für
die Hyperfeinstruktur
a
[j(j + 1) − l(l + 1) − s(s + 1)]
2
A
= [f (f + 1) − j(j + 1) − i(i + 1))]
2
∆ELS =
∆EHFS
16
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