Strategy Dr. Britta Cornelius, Dr. Mike Radmacher, Dr. Christian Kleinhans Always On Wie der Einzelhandel die vielfältigen Möglichkeiten des mobilen Internets für sich nutzen kann Der Einzelhandel ist im Zeitalter des ­Internets angekommen. Eine Verschnaufpause gibt es nicht: Konsumenten n­ utzen das Internet nahezu immer und überall. Jetzt muss der Einzelhandel mobile ­Strategien als Antwort auf das veränderte Kundenverhalten ­entwickeln. 8 Detecon Management Report • 2 / 2011 Always On „ 2011 wird […] in die Geschichte des deutschen Einzelhan­ dels als das Jahr eingehen, in dem der Online-Vertrieb als ­Ergänzung zum stationären Handel den Durchbruch geschafft hat“, prog­nostiziert Wolfgang Werner, Vorstandsvorsitzender der Praktiker Bau- und Heimwerkermärkte Holding AG1. Und ­tatsächlich hat sich etwas getan im deutschen Online-­Handel: Die deutschen Konsumenten haben 2009 für rund 15,5 ­Milliarden Euro ­Waren und Dienstleistungen im Internet ge­ kauft. Erstmals gingen im Versandhandel mehr als 50 Prozent der Bestellungen über das Internet ein und der E-CommerceUmsatz wächst seit 2003 durchschnittlich um 18 Prozent pro Jahr2. Selbst Unternehmen wie die Media-Saturn-Gruppe, die sich lange gegen den Online-Handel gesträubt haben, wollen noch in diesem Jahr einen Online-Shop eröffnen. Dazu kaufte Media-Saturn kürzlich den Onlinehändler redcoon, der Großes vor hat: Redcoon plant nach eigenen Angaben, den Umsatz in den nächsten fünf Jahren zu verdoppeln und damit auf eine Milliarde Euro zu steigern3. Der Einzelhandel ist also angekommen im Zeitalter des Internet, aber die Technik erlaubt keine Verschnaufpause: Das Internet ist zunehmend nicht mehr nur zu Hause oder am Arbeitsplatz verfügbar, sondern nahezu überall. Immer mehr Menschen sind „always online“ und nutzen dies auch. Herr Meier kauft nahezu täglich mit seinem Smartphone ein. Er beginnt schon morgens nach dem Aufstehen damit, wenn er Schlagzeilen aktueller Nachrichten überfliegt, wichtige Artikel direkt herunter lädt und am Frühstückstisch liest, bevor der Kiosk um die Ecke öffnet. Kurz danach bestellt er das Taxi zum Flughafen mit seinem Smartphone nicht nur mit einem Klick, sondern bezahlt es auch gleich damit, indem er das mobile Endgerät als Geldbörse nutzt. Unterwegs hat er Last Minute noch ein Flugticket bestellt und dabei einen Gutschein seines Reisebüros eingelöst, der ihm gestern anlässlich des 30sten Firmenjubiläums auf sein Smartphone zugeschickt wurde. Die Boardkarte landet auch direkt auf seinem mobilen Endgerät, so dass Herrn Meier am Flughafen genug Zeit bleibt, einige Buchrezensionen auf seiner Lieblings-Community zu lesen. Durch diese Empfehlungen bestellt er als Geschenk für seine Frau auf der mobilen Webseite eines Buchhändlers sicher den richtigen Roman, der hübsch verpackt bei seiner Rückkehr am Abend in der Filiale am Flughafen für ihn bereitstehen wird. Bevor er 1 Lebensmittelzeitung vom 06.01.2011: Trends 2011 – Interviews 2 GfK (2010): WebScope-Panel 3http://www.heise.de/newsticker/meldung/Redcoon-peilt Milliardenumsatz-an-1220684.html (Download am 05. April 2011) ins Flugzeug steigt, bestellt er über seine mobile Einkaufsliste noch die Lebensmittel, die seine Frau auf dem Rückweg von der Arbeit in der Supermarktfiliale abholen wird. Er freut sich schon auf das gemeinsame Kochen und hofft, am Abend mit seiner Frau einen neuen Auftrag feiern zu können. So oder so ähnlich kann das Internet heute überall für die Ab­ frage von Produktinformationen, zum Finden von Geschäften oder direkt für Einkäufe genutzt werden. Für den Einzelhandel genügt es also nicht mehr, den Internetnutzer am Schreibtisch zu bedienen. Sowohl Online- also auch stationärer Handel ­werden durch das überall verfügbare mobile Internet herausge­ fordert. Zukunftsfähig ist nur, wer auch den mobilen „always on“-Konsumenten erreicht und dessen Gewohnheiten bedient. Always-on: Digitaler Lebensstil und Mobilität verändern das Kundenverhalten Schon heute nutzen über 20 Millionen Deutsche ein Smart­ phone4. Diese Zahl wird sich nach Einschätzung verschiedener Analysten in nur wenigen Jahren verdoppeln. Diese neue Gene­ ration von intuitiv bedienbaren Endgräten mit großen farbigen Displays, der Ausbau der Mobilfunknetze mit einer deutlichen Erhöhung der Datenübertragungsgeschwindigkeit und neue ­attraktive Tarifmodelle für das mobile Surfen treiben die Nut­ zung des mobilen Internets voran. 23 Prozent der Smartpho­ nenutzer tun dies bereits täglich5. Durch das ­mobile Internet wird das mobile Endgerät vom Kommunikations- zum Inter­ aktionsmedium und zum Mittelpunkt eines digitalen Lebens­ stils. Die s­ituationsabhängige Nutzung bestimmt den mobilen Mehrwert und verändert gleichzeitig Ansprüche und Verhal­ tensmuster: Vorausschauende Planung wird durch Ad-hoc Ent­ scheidungen ersetzt. Entscheidungsfähigkeit heißt in Zukunft, die benötigten Informationen schnell und zuverlässig überall abrufen zu können. Im Durchschnitt surfen deutsche Nutzer rund sieben Stun­ den pro Woche, also eine Stunde pro Tag, mobil mit verschie­ denen Endgeräten (Handy, Smartphone oder Netbook). Das wöchentliche Zeitbudget für das Lesen von Zeitungen und Magazinen liegt derzeit mit 4,6 beziehungsweise 3,6 Stunden deutlich darunter6. In ihrer Metastudie zeigen die Analysten von 4 5 6 StrategyAnalytics (2010): Global Smartphone Sales Forecast by Country: Western Europe and North America TNS Infratest (2010): GO SMART 2012 European Interactive Advertising Association (2009): Mediascope Europe 2009 9 Detecon Management Report • 2 / 2011 Strategy Kirchner+Robrecht, dass 70 Prozent der mobilen Internetnut­ zer auch ihre E-Mails mobil empfangen, 43 Prozent mobile Na­ vigationsdienste nutzen, 36 Prozent unterwegs spielen und auch schon 25 Prozent mobil einkaufen7. Um zu erahnen, wie sich diese Entwicklung fortsetzen wird, lohnt ein Blick in die jün­ geren Bevölkerungsschichten. Mit digitalen Technologien und dem Internet von Kindesbeinen an vertraut sind inzwischen 31 Prozent der deutschen Bevölkerung, die sogenannten Digital Natives. Verbunden zu jeder Zeit und an jedem Ort als charak­ teristischem Differenzierungsmerkmal mobiler Zugangstechno­ logien ist hingegen die neue Generation der sogenannten Smart Natives. Diese Personen werden von Zukunftsforschern durch eine hohe Nutzungsintensität von Smartphones sowie Technikund Webaffinität gekennzeichnet. 43 Prozent der Smart Natives nehmen ihr Smartphone ganz bewusst zum Einkaufen mit, um sich unterwegs über Produkte und Preise zu informieren. 50 Prozent der Smart Natives geben an, schon einmal eine Kauf­ entscheidung aufgrund von Produkt- oder Preisinformationen, die sie über ihr Smartphone abgerufen haben, abgebrochen zu haben8. Der Kaufentscheidungsprozess wird um einen ständig und überall erreichbaren Kanal erweitert, der immer mehr an Bedeutung gewinnt. Immerhin schafft es die Barcode-Scanner Applikation „barcoo“, die es Konsumenten ermöglicht, durch das Sannen eines Produktbarcodes9 blitzschnell umfassende Produktinformationen/-bewertungen und Preisvergleiche aus dem Internet abzurufen, schon auf Platz 8 der von der ChipOnline-Redaktion erarbeiteten Liste der besten kostenlosen iPhone-Applikationen10. Insgesamt wurden im ersten Halbjahr 2010 in Deutschland 346 Millionen Applikationen heruntergeladen11. Doch der Einzel­ handel ist noch zurückhaltend. Im September 2010 suchten die Analysten von ABIresearch im Apple App Store nach „Shopping“ und landeten 1.625 Treffer. Bei den meisten davon handelte es sich um Location Finder, Barcode Scanner oder Special Deal Anbieter, die aufgrund von zuvor eingegebenen Präferenzen oder dem Standort des mobilen Internetnutzers personalisierte Angebote unterbreiten12. Innovative Applikationen von Händ­ lern sind noch rar. Die weltweit bisher monetär erfolgreichsten mobilen Händler sind die bisherigen Online-Spezialisten Ama­ zon and Ebay. Nach Schätzung von Analysten konnte Amazon über den mobilen Kanal weltweit im Jahr 2010 schon über 500 Millionen US-Dollar Umsatz verbuchen, Ebay erreichte diesen Wert schon 200913. Damit nicht wieder zehn Jahre vergehen, bis auch der traditionelle Einzelhandel im ­neuen Zeitalter des 7 S. Buschow, M. Olavarria (2010): Mobile Research Guide 2010 8 TNS Infratest (2010): GO SMART 2012 9 http://tagnition.de/ (Aufruf 05. April 2011) 10http://www.chip.de/bildergalerie/Kostenlose-iPhone-Apps-Die-50-besten Gratis-Programme-Galerie_33679693.html (Download am 05. April 2011) 10 Detecon Management Report • 2 / 2011 mobilen Internets ankommt, sollte man sich jetzt mit dem ver­ änderten Kundenverhalten auseinandersetzen und mobile Stra­ tegien als Antwort entwickeln. Mobile Lösungen: Neue Anwendungen unterstützen die ­Unternehmensstrategie Konsumenten sind heute ständig unterwegs und durch ­traditionelle Medien wie TV-Werbung oder Printmedien kaum noch ansprechbar. Die Unternehmensstrategie bestimmt, mit welchem Ziel solche mobilen Kunden angesprochen und in welcher Form der mobile Kanal genutzt werden soll. Denkbar sind verschiedene Möglichkeiten: • Durch den Einzug der mobilen Welt (Mobiletelefone, Tablets, …) in den Einzelhandel ist es möglich, bestehende Zielgruppen individueller anzusprechen. Der mobile Kanal kann als ein wei­ terer Kommunikationskanal für das sogenannte Mobile Advertising verwendet werden. Durch ihn kann der mobile Kunde jederzeit über aktuelle Aktionen, wie Rabatte oder Angebote in­ formiert werden sowie allgemeine Produktinformationen, zum Beispiel die Verfügbarkeit von Produkten, abrufen, einfach per SMS oder MMS direkt auf das Mobiletelefon. Die eigentliche Individualisierung erfolgt beispielsweise über den Aufenthalts­ ort des Nutzers. So erhält er nur diejenigen Angebote, die er aufgrund seines aktuellen Aufenthaltsortes überhaupt erreichen kann, zu Fuß oder mit dem Auto. Auch der mobile Webshop eröffnet neue Möglichkeiten der Individualisierung, da der Smartphone-Nutzer immer identifiziert werden kann. Einkau­ fen auf der Parkbank ist kein Problem mehr (Mobile Shopping). • Darüber hinaus kann der mobile Kanal auch zur Gewinnung neuer Zielgruppen genutzt werden. Jugendliche, die vielleicht keine Tageszeitung oder Handzettel einer Einzelhandelskette lesen, werden über Applikationen, zum Beispiel von Bravo, Hollister, Esprit, Billabong, Rewe oder Aldi Flyer, an digitale, einzelhandelspezifische Inhalte herangeführt und können ­diese, teilweise in einem Abo zu einem vergünstigten Preis, konsumie­ ren. Das digitale Bravo-Abo ist beispielsweise zehn Prozent gün­ stiger als die Printausgabe. Personen, die bisher k­ eine Lust auf das Herumtragen verschiedener Bonuskarten hatten, entschei­ den sich eventuell eher für einen Händler, der ein ­attraktives mobiles Bonusprogramm anbietet, bei dem das Telefon zur Identifikation genutzt werden kann (Mobile Loyality). Durch Push-Nachrichten in Apps ist der Händler gleichzeitig in der 11 BITKOM (2010): Research2guidance 12 M. Beccue, N. Strother (2010): Mobile Commerce Mobile Online Shopping, Software-based Proximity Payments 13Ebd. Always On dung bei Aldi oder Elektroartikel bei Plus. Die mobile App kann als Artikel-Finder (Instore Navigation) im Store eingesetzt oder zur Zahlung der Artikel an der Kasse verwendet werden (mobile Bezahlfunktion). Für die Darstellung und den Bezug beispielsweise der WMF-Töpfe innerhalb der App verlangt der Einzelhändler in der Regel eine Gebühr oder eine Umsatzbe­ teiligung. Das Smart Partnering der Gegenwart wird in den mobilen Kanal gehoben und bietet in Zukunft neben den Ver­ trieb physischer Güter vor allem neue Möglichkeiten für den Verkauf von digitalen Gütern (Zeitschriften, Software, Tickets etc.). Durch geschickte Kooperationen werden außerdem ge­ meinsame Werbeaktionen plan- und durchführbar, die sich im Netz herumsprechen (Viralmarketing). So wirbt ein Lebens­ mittelhändler zum Beispiel mit der spanischen Woche, in der spanische Lebensmittel besonders rabattiert sind, Chefkoch.de (Community-Anbindung) bietet über die App des Lebensmit­ telhändlers passende Rezepte an, einige Musiklabels spanischer Bands die passende Musik – und wenn es doch mit dem spa­ nischen Abend nicht so geklappt hat, wie es sollte, bietet ein Reiseunternehmen einen Kurztrip nach Malaga an, um die spa­ nische Woche hautnah zu erleben. Der Lebensmittelhändler er­ hebt für die Einbindung der Werbeinhalte innerhalb seiner App Gebühren, Chefkoch.de verdient über den Aufruf der Rezepte Lage, Rabatte bei einem sofortigen Einkauf innerhalb der näch­ sten 15 Minuten zu gewähren (Mobile Couponing) und den Erfolg solcher Aktionen sofort nachzuvollziehen. Apps wie „KaufDa“ oder „Mein Prospekt“ bieten dem mobilen Surfer auch heute schon die klassische Wocheneinlage mit aktuellen Angeboten, die anstatt den Briefkasten zu verstopften, bequem über das Mobiletelefon gelesen werden kann. Dabei erhält der Nutzer nur diejenigen Angebote auf sein Mobiltelefon, die auf­ grund seines aktuellen Ortes auch aufgesucht werden können. Ist man nicht ortskundig, unterstützt die App bei der Naviga­ tion zum nächsten Geschäft. Als Ergänzung zu klassischen An­ geboten kann über Ernährungstipps, Rezepte und gesponserten Sportveranstaltungen informiert werden, was wiederum zur An­ sprache eines gesundheitsbewussten Kundensegments führt. • Bisher als Informationsplattform betrachtet, können Apps auch als Kooperationsplattform dem Einzelhandel zusätzliche Erlösquellen erschließen, beispielsweise durch die Anbindung von Werbetreibenden (Smart Partnering). Neben der reinen Be­ reitstellung von Informationen können innerhalb einer mobi­ len App Produkte Dritter (Up- oder Cross-Selling) vertrieben werden, beispielsweise wie heute in Lebensmittelketten üblich WMF Töpfe oder Singer Messer bei Rewe, Funktionsbeklei­ Tabelle 1: Eignung verschiedener mobiler Lösungen zur Unterstützung der Unternehmensstrategien über den Kaufprozess Informationsphase Kaufphase After-Sales-Phase Mobile Advertising (Personalisiert und/ oder ortsbezogenen) Produktinformation (z.B. Produktverfügbar­ keit) Navigation (z.B. Filialfinder) Instore (Kommunikation mit dem Kunden im Laden, InstoreNavigation) Mobile Coupon­ ing (Personalisiert und/ oder ortsbezogenen) Mobile Shopping (über eine mobile Website oder eine App) Mobiles Bezahlen (z.B. Abrechnung über die Telefonrechnung) Mobile Loyality (Kartenmanager) After Sales Services (z.B Einkaufshistorie, Voting und Feedback) CommunityAnbin­ dung (Aus­ tausch) Individuellere Ansprache bestehender Zielgruppen ++ ++ + + ++ ++ ++ + + + Gewinnung neuer Zielgruppen + ++ ++ + + + ++ ++ + ++ Erschliessung neuer Erlösquellen + + + + ++ + Quelle: Detecon 11 Detecon Management Report • 2 / 2011 Strategy auf seiner Website (Werbefinanzierung) und die Musiklabels durch den Verkauf eigener Songs Geld. Um solche Aktionen durchzuführen, bedarf es einer mobilen Kundenabsprache, da klassische Werbemedien (TV, Print) nicht flexibel genug sind. Hohe Ansprüche: Mobile Kundenansprache stellt den Einzelhandel vor Herausforderungen Um die eine oder andere dargelegte Strategie umzusetzen, muss sich der Einzelhandel mit den Herausforderungen der mobilen Welt auseinandersetzen. Unterschieden werden kunden- und marktbezogene, technologische sowie organisatorische Heraus­ forderungen14. Um konkrete Herausforderungen zu veranschaulichen, sei das folgende fiktive Beispiel „Mobile App für einen Drogeriemarkt“ gewählt. Aus Kundensicht stellt sich die Frage, welche Informationen, die für mich als Kunden einen Mehrwert darstellen, die App eines Drogeriemarktes bieten kann? Um Anforderungen dieser Art zu erfassen, kann der Drogeriemarkt eine Umfrage in seinen Geschäften durchführen, die bereits bekannte Webseite nutzen oder aus den Erfahrungen anderer Drogeriemärkte schöpfen. Die Mehrheit der Kunden wünscht sich mit einer mobilen App Zugriff auf Informationen über aktuelle Angebote, einen Store Finder, aktuelle Öffnungszeiten und vor allen die Mög­ lichkeit der Foto-Entwicklung. Viele Drogeriemärkte und auch Lebensmittelhändler bieten ihren Kunden an, analoge Filme entwickeln zu lassen oder digitale Fotos auszudrucken. Aber auch bereits etablierte Kooperationen mit Herstellern, die ihre Produkte besonders hervorheben wollen, erhalten durch eine mobile App einen nie dagewesenen Zugang zu ihren bis dato anonymen Kunden. So können Braun oder Philips bei aktuellen Angeboten von Rasierern fünf Euro Rabatt über einen mobilen Gutschein gewähren (Bar Code über die Kasse lesbar). Pampers hingegen könnte den Kunden des Drogeriemarktes 15 Euro pro Monat Rabatt anbieten, wenn sie mit ihrem Handy ein mobiles Tagebuch führen, Bar Code der Pampers Verpackung scannen, einen Eintrag + Foto einstellen und anschließend die indivi­ duelle Windel hinsichtlich Tragekomfort oder Durchlässigkeit bewerten und damit Pampers einen wichtigen Hinweis darüber geben, was zu verbessern ist, damit der Kunde mit dem Produkt zufrieden ist. Die technischen Herausforderungen an eine solche App sind vielfältig und teilweise versteckt. Neben der Tatsache, dass ein App-Entwickler notwendig ist, der die Programmierung der 14 S. Buschow, M. Olavarria (2010): Mobile Research Guide 2010 Tabelle 2: Herausforderungen bei der mobilen Kundenansprache Kunden- und marktbezogene Herausforderungen • Wie sehen die Erwartungen eines Nutzers an einen mobilen Kanal im Einzelhandel aus? • Wie können individuellere Produkte durch verfeinerte Zielgruppen unter Verwendung des mobilen Kontexts entwickelt werden? • Haben Werbetreibende Interesse an dem mobilen Kanal des Einzelhandels und ist es dann vielleicht sinnvoll, strategische Kooperationen einzugehen? • Wie ist eine mobile Werbekampagne in unseren Marketing-Mix einzubinden (integrierte Kommunikation)? • Wie können wir den Werbeerfolg einer mobilen Kampagne messen? • Wie schaffen wir es, alle unsere Vermarktungskanäle zu verstehen und erfolgreich einzusetzen (Multichannel Management)? Technologische Herausforderungen • Haben wir das notwendige Know-how über die aktuell angesagten Web-Plattformen? • Kennen wir die heute am Markt verfügbaren mobilen Endgeräte, die wir adressieren sollten? • Wie lassen sich mobile Lösungen (z. B. mobile Website, Apps) in die Prozesslandschaft (z. B. bestehendes Redaktionssystem) unseres Unternehmens zur Abwicklung einer standardisierten Produktion und Distribution einbinden? • Schaffen wir es, eine ständige und fortlaufende Entwicklungskompetenz vorzuhalten, um den eigenen Service auf aktuellem Stand der Technik zu halten sowie neue Kundenbedürfnisse zu berücksichtigen? • Inwiefern berücksichtigen wir den Daten- und Privatsphärenschutz? Organisatorische Herausforderungen • Wie schaffen wir es auch langfristig, die notwendigen Kompetenzen aufzubauen, z. B. durch die Einstellung von Talenten? • Wie optimieren wir im Hinblick auf den mobilen Kanal unsere eigenen Prozesse (z. B. redaktionelle Prozesse erweitern bzw. anpassen)? • Haben wir eine Unternehmenskultur, die als innovationsfreundlich gilt (z. B. bereichsübergreifende Produktentwicklungen oder Methoden zum Innovationsmanagement)? Quelle: Detecon 12 Detecon Management Report • 2 / 2011 Always On Anwendung übernimmt, stellt sich bereits vorweg die Frage, für welches mobile Gerät eine Anwendung umgesetzt werden soll: Für iPhones, für Android Phones, für Blackberrys oder vielleicht doch keine App und nur eine mobile Webseite? Entscheidend ist, welche Endgeräte die potenzielle Zielgruppe ihrer App nutzt. Wichtig zu wissen ist, dass unterschiedliche Plattformen nicht kompatibel zueinander sind. Für jede Plattform ist eine eigene App zu entwickeln, für die unterschiedliche Programmiersprachen erforderlich sind. Weiterhin muss man darüber nachdenken, ob eine mobile App mit dem Inhalt des bereits existierenden Redaktionssystems (für die Webseite) befüllt werden kann: Sind Erweiterungen notwendig, die auch prozedurale Änderungen mit sich ziehen? Wie wird im Fall von Pampers für den Werbetreibenden die Anbindung eines Tagebuches gewährleistet? Diese und weitere Fragen, die teilweise tiefgreifende Eingriffe in die IT-Landschaft notwendig machen, sind im Vorfeld zu klären. Mit Bezug auf organisatorische Anforderungen gilt es, Personal aufzubauen, das in der Lage ist, die zuvor gestellten Fragen heute und auch in Zukunft zu beantworten. Eine wesentliche Aufgabe liegt darin, bestehende Unternehmensprozesse für die Integration eines mobilen Kanals und den damit verbundenen neuen Möglichkeiten zu optimieren beziehungsweise zu e­rweitern. Die reine Entwicklung von Apps ist nicht die größte Herausforderung. Kreativität und zukunftsgerichtete ICT-Infrastrukturen ermöglichen die Entfaltung von ­Innovationen, die auch durch das unternehmerische Umfeld gefördert werden muss. Beispielhaft für eine innovationsfreundliche Unternehmenskultur stehen Firmen wie Apple oder Google. Aber auch im deutschen Einzelhandel gibt es durchaus innovative ­Vorreiter. Die Metro Group beispielsweise betreibt ein systematisches ­Innovationsmanagement. Im Sinne eines konzernübergreifenden Austauschs kooperieren die für ­Innovationen zuständigen Mitarbeiter der Metro AG und des internen IT-Dienstleisters Metro Systems eng mit den Spezialisten der einzelnen Vertriebslinien. Außerdem beschäftigt sich die Metro Group Future Store Initiative als Kooperation von Handelsunternehmen, Konsumgüterherstellern, IT-Spezialisten und Dienstleistern schon seit 2002 mit den technologischen Neuerungen in der Handelsbranche. Der real – Future Store in ­Tönisvorst bei Krefeld gilt als Zukunftswerkstatt, in der man auf einer Verkaufsfläche von rund 8.600 Quadratmetern neue Konzepte und Technologien testet. Solche Maßnahmen schaffen eine innovationsfreundliche Unternehmenskultur, die kreative Talente anlockt. So gibt es von real schon seit 2007 als erste Applikation im deutschen Einzelhandel eine mobile Anwendung, damals zunächst für das Betriebssystem Symbian und seit Anfang 2010 auch für ­Android. Mit ihr kann man elektronische Einkaufslisten erstellen, ­Aktionsangebote abrufen und sich den Weg zum nächstgelegenen SB-Warenhaus anzeigen lassen. Zudem bietet die Applikation Zugriff auf eine Kochshow, in der Menüvorschläge per Video präsentiert und die dazugehörigen Rezepte angezeigt werden. Die notwendigen Zutaten lassen sich direkt in die elektronische Einkaufsliste übertragen. Darüber hinaus lassen sich die Angebote und Rezepte in sozialen Netzwerken wie Facebook und Twitter weiterempfehlen und veröffentlichen. Seit dem Start wurde die kostenlose Applikation nach eigenen Angaben der Metro Group über 180.000 Mal auf Smartphones installiert. Berücksichtigt man die aufgezeigten Herausforderungen, kommt man also heran an die mobilen „always on“-Konsumenten wie Herrn Meier, der den Auftrag übrigens ergattert und mit Hilfe des App-Videos ein tolles Menü gezaubert hat! Dr. Britta Cornelius ist Consultant im Bereich Strategy & Marketing. Ihre ­Beratungsschwerpunkte umfassen die Bereiche Business Innovation, Marketingstrategie und quantitative Marktforschung. Vor ihrer Tätigkeit bei der D ­ etecon studierte sie Betriebswirtschaftslehre und promovierte an der Johann-WolfgangGoethe Universität in Frankfurt im Bereich Marketing zu den Themen Wett­ bewerbspositionierung und kundenorientierte Neuproduktentwicklung. [email protected] Dr. Mike Radmacher ist Consultant im Bereich Strategy & Marketing mit dem Schwerpunkt Produktinnovationen. Durch eine Vielzahl von Projekten sammelte er Erfahrungen in der Entwicklung innovativer Konzepte und Produkte im ICT-Umfeld. Dazu gehörten neben der strategischen Portfolioentwicklung, auch konkreten Themen im Automotive und Retail Umfeld. Nicht nur die reine Entwicklung der Konzepte, sondern ebenso die Begleitung bei deren Umsetzung steht dabei im Vordergrund. [email protected] Dr. Christian Kleinhans ist der verantwortliche Segmentleiter für die Bereiche High Tech Industries und Retail & Consumer Goods. Er ist seit 2007 bei ­Detecon tätig und arbeitete zuvor als Experte für CRM und H ­ andelsmarketing für internationale Konzerne, unter anderem für Renault und die Deutsche Post AG. [email protected] 13 Detecon Management Report • 2 / 2011