Mikrostrukturen der Governance

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Bora | Münte [Hrsg.]
Studien zur Politischen Soziologie Studies on Political Sociology
| 19
Mikrostrukturen der Governance
Alfons Bora | Peter Münte [Hrsg.]
ISBN 978-3-8329-7216-5
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19
Mikrostrukturen
der Governance
Beiträge zur materialen Rekonstruktion von
Erscheinungsformen neuer Staatlichkeit
Nomos
04.09.12 08:11
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Schriftenreihe „Studien zur Politischen Soziologie“
The series „Studies on Political Sociology“
herausgegeben von
is edited by
Prof. Dr. Andrew Arato,
The New School for Social Research, New York
Prof. Dr. Hauke Brunkhorst, Universität Flensburg
Prof. Dr. Regina Kreide,
Justus Liebig Universität Gießen
Band 19
Wissenschaftlicher Beirat
Amy Allen (Dartmouth College, USA)
Gurminder K. Bhambra (University of Warwick, GB)
Craig Calhoun (Social Science Research Council an der New
York University, USA)
Sergio Costa (Freie Universität Berlin)
Robert Fine (University of Warwick, GB)
Gerd Grözinger (Universität Flensburg)
Christian Joerges (Universität Bremen)
Ina Kerner (Humboldt-Universität Berlin)
Christoph Möllers (Humboldt-Universität Berlin)
Marcelo Neves (Universität São Paulo, Brasilien)
Patrizia Nanz (Universität Bremen)
Uta Ruppert (Goethe-Universität Frankfurt am Main)
Rainer Schmalz-Bruns (Leibniz Universität Hannover)
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Alfons Bora | Peter Münte [Hrsg.]
Mikrostrukturen
der Governance
Beiträge zur materialen Rekonstruktion von
Erscheinungsformen neuer Staatlichkeit
Nomos
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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in
der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische
Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
ISBN 978-3-8329-7216-5
1. Auflage 2012
© Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2012. Printed in Germany. Alle Rechte,
auch die des Nachdrucks von Auszügen, der fotomechanischen Wiedergabe und der
Übersetzung, vorbehalten. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.
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Inhalt
Mikrostrukturen der Governance und die Konstitution regulativer
Staatlichkeit: Umrisse eines Forschungsfeldes
Alfons Bora und Peter Münte
7
Governance, depolitisierende Rhetorik und soziale Positionierung in
partizipativen Verfahren
Detlef Sack
29
Die Form der Einwendung – eine Form der Öffentlichkeitsbeteiligung?
Textlinguistische Beobachtungen zu Mikrostrukturen der Governance
Heiko Hausendorf
51
Das offene Gespräch und seine Grenzen: Ein Sozialmodell und seine
Leistungen für die politische Willensbildung im Rahmen eines Verfahrens
partizipativer Technikbewertung
Alexander Görsdorf
79
Wissen und Gewissen: Neue Legitimationschancen im Kontext der
Ethisierung von Technikkonflikten
Alexander Bogner
113
Der kooperative Sozialstaat als Form der Governance: Deutungsmuster von
Fallmanagern in der Arbeitsverwaltung
Wolfgang Ludwig-Mayerhofer
137
Zur Moderation von Nutzungsbedürfnissen: Normative Vorstellungen zur
Partizipation von Bürgern bei der Stadtplanung
Chantal Magnin
163
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Politische Partizipation des Bürgers im demokratischen Nationalstaat: Eine
Lösung von Legitimitätsproblemen der Volkssouveränität?
Stefan Kutzner
Das Mediationsverfahren als sozialtechnologische Form
herrschaftstechnischer Versachlichung und inszenierter Herrschaftsfreiheit:
Eine Analyse eines Entwurfs der Vereinbarung über eine Mediation zum
Ausbau des Flughafens Wien
Peter Münte
Die Autoren
6
195
217
261
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Mikrostrukturen der Governance und die Konstitution regulativer
Staatlichkeit: Umrisse eines Forschungsfeldes
Alfons Bora und Peter Münte
Der Begriff der Governance ist zu Recht als unscharf bezeichnet worden, da er durch
eine Vielzahl unterschiedlicher und einander teilweise widersprechender Definitionen
charakterisiert ist (Pierre und Peters 2000: 7; Offe 2008; Briken und Dröge 2009:
122).1 Ursprünglich aus der Wirtschaftswissenschaft stammend (Coase 1937; Williamson 1975), wo er vor allem dazu diente, die Aufmerksamkeit auf die Unternehmensführung zu lenken, verbreitete sich die Governance-Semantik in den Politikwissenschaften insbesondere auf den Feldern der Internationalen Beziehungen (Rosenau
und Czempiel 1992; Rosenau 2000) und der Policy-Forschung (Mayntz 1998). Sie
bezeichnet dort zumeist eine durch „Verhandeln“ und „Kooperation“ gekennzeichnete
Staatlichkeit und markiert so den Gegensatz zu einer Staatstätigkeit, die sich in „hierarchischen Strukturen“ des demokratischen Nationalstaats vollzieht (Héritier 2002;
vgl. auch Kooiman 2002; Rosenau 1995; Schuppert und Zürn 2008). Insofern ist der
Begriff der Governance, so wie er in den Politikwissenschaften verwendet wird, eng
mit der Vorstellung einer sich wandelnden Staatlichkeit verknüpft (von Blumenthal
2005: 1153). Schließlich wurde er zum Kristallisationspunkt der Herausbildung einer
spezifischen analytischen Perspektive, die sich in einem mitunter sehr weit gefassten
Sinn mit den Koordinationsstrukturen sozialer Praxis befasst (Benz et al. 2007; Schuppert 2008).
Wissenschaftliche Analysen von Governance bewegen sich bislang eher auf der
Makroebene von Staaten bzw. supra- und internationalen Einheiten oder auf der Mesoebene von Organisationen und Netzwerken. Relativ geringe Aufmerksamkeit wird
demgegenüber der Mikroebene von Governance gewidmet, die allenfalls in Studien
zur „Governance als Kommunikation“ (Bang 2003; Schuppert 2006) am Rande berücksichtigt wird. Wenn es im Folgenden darum geht, eine Forschungsperspektive
einzurichten, in der die mit dem Begriff der Governance belegten Phänomene „mikroanalytisch“ untersucht werden sollen, so geschieht das freilich weniger in der Absicht, die klassische Unterscheidung zwischen Makro-, Meso- und Mikroebene fort-
1 Der Verweis auf die Uneindeutigkeit des Begriffs gehört gewissermaßen zum Standard der
Governance-Literatur. Es stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, woraus sich das auf diese
Weise äußernde Unbehagen an der Verwendung dieses Begriffs speist. Dies kann kaum damit
zusammenhängen, dass sich die sozialwissenschaftliche Terminologie ansonsten durch besondere
Präzision auszeichnet. Es rührt wohl eher daher, dass in der Governance-Diskussion die Grenzen
zwischen einer akademischen Verwendung des Begriffs und seinem politischen Gebrauch im Zusammenhang mit institutionellen Reformen fließend sind.
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zuführen. Es geht vielmehr darum, einen Typus materialorientierter Forschung auf
einem Feld zu erproben, das durch große analytische Unschärfen geprägt ist – in der
Absicht, gerade dadurch einen Beitrag zur begrifflichen Konturierung des Gegenstandes zu leisten, dass mit den Mitteln eines materialen Verständnisses von Soziologie
näher an ihn herangetreten wird. Die folgenden Überlegungen zum Begriff der
Governance haben deshalb auch nicht den Zweck, den „richtigen“ Governance-Begriff
herauszuarbeiten (so etwa Schuppert 2008), sondern den, die heute in zunehmendem
Maße als Governance thematischen Phänomene, denen sich die Beiträge des vorliegenden Sammelbandes widmen, zu umreißen und im Rahmen der zur Verfügung stehenden begrifflichen Mittel provisorisch einzuordnen.
Die Einrichtung dieser Forschungsperspektive erfolgt in fünf Schritten. Zunächst
wird der Governance-Begriff als eine Semantik der Umfokussierung beschrieben, die
in analytischer und normativer Hinsicht wie auch unter dem Gesichtspunkt der Ideologieproduktion bedeutsam ist (Abschnitt 1). Der Begriff der Governance wird zweitens in Abgrenzung vom Steuerungsbegriff konturiert. Ausgehend vom Steuerungsbegriff werden die mit der Governance-Semantik vorgenommenen begrifflichen Umfokussierungen herausgearbeitet. Der Aufstieg der Governance-Semantik wird vor
diesem Hintergrund als Ausdruck der Krise des Steuerungsdenkens gedeutet (Abschnitt 2). Drittens wird der Begriff der Governance aus der Perspektive einer Theorie
der Regulierung betrachtet. Auf diese Weise sollen wichtige analytische Differenzierungen (wieder-)eingeführt werden, die in der Governance-Diskussion in den Hintergrund getreten sind. Das betrifft zum einen das Moment der Entscheidung und Verantwortungszuschreibung und zum anderen den Umstand, dass die mit dem Begriff
der Governance adressierten Phänomene im Zusammenhang mit der fortschreitenden
Verwissenschaftlichung und Technisierung der Lebensverhältnisse zu sehen sind (Abschnitt 3). Viertens werden im Rückgriff auf regulierungstheoretische Überlegungen
die spezifischen Governance-Formen bestimmt, die im vorliegenden Sammelband im
Vordergrund stehen (Abschnitt 4). Fünftens werden die spezifischen analytischen
Möglichkeiten eines an den Mikrostrukturen sozialer Prozesse ausgerichteten materialorientierten Zugriffs auf die entsprechenden Erscheinungsformen der Governance
umrissen (Abschnitt 5). Schließlich sollen diese Möglichkeiten im Rahmen einer
Übersicht über die hier versammelten Beiträge verdeutlicht werden (Abschnitt 6).
1. Governance als semantisches Konstrukt versozialwissenschaftlichter
Wirklichkeitskonstitution
Der Begriff der Governance ist in der Form, wie er heute verwendet wird, ein sozialwissenschaftliches Konstrukt. Als vergleichsweise unbestimmter Begriff nahm er im
sozialwissenschaftlichen Diskurs vor allem dadurch Gestalt an, dass er mit einer Reihe
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dann auch als „governancetypisch“ bezeichneter Begriffe verknüpft wurde.2 In diesem
Zusammenhang prominente Begriffe sind: „Kooperation“, „Verhandlung“, „Netzwerk“, „Koproduktion“, „sektorenübergreifende Interaktion“, „hybride Kommunikation“, „Selbstregelung“, „Regelsystem“, „institutionelle Regelungsstruktur“ sowie
„Koordinationsstruktur“. Diese Begriffe wiederum werden in spezifischer Weise mit
klassischen staats- und gesellschaftstheoretischen Kategorien verbunden. So ist von
einem „kooperativen“ und „verhandelnden Staat“ die Rede, von „Regieren in komplexen Regelsystemen“, von einer „öffentlich-privaten Koproduktion öffentlicher Güter“ oder auch von „gesellschaftlicher Selbstregulierung“. Auf diese Weise ergeben
sich enge Verbindungen mit der Begrifflichkeit des auf verstärkte Teilhabe der sogenannten Zivilgesellschaft an politischen Entscheidungen gerichteten Partizipationsdiskurses wie auch mit der eines auf „Entstaatlichung“ zielenden neoliberalen Diskurses. Die „Produktion öffentlicher Güter“ ist dann entweder an die „Mitwirkung der
Betroffenen“, das „Engagement der Bürger“, den „Dialog zwischen gesellschaftlichen
Interessengruppen“ oder aber an „gesellschaftliche Selbstregelung“ und „Eigeninitiative“ gebunden.
Das auf diese Weise geschaffene Feld begrifflicher Verknüpfungen leistet zweierlei: Es stiftet eine für die sozialwissenschaftliche Forschung aufschlussreiche analytische Perspektive auf die soziale Wirklichkeit, indem bestimmte Aspekte in das Zentrum gerückt werden, die im klassischen staatstheoretischen Denken eher am Rande
standen. Zugleich aber konstituiert es eine lebenspraktische Perspektive, die durch
spezifische Relevanzstrukturen gekennzeichnet ist. Die Art und Weise, wie sich die
grundlegenden Zusammenhänge eines durch Staatlichkeit geprägten Zusammenlebens
neu zu ordnen beginnen, wenn man in diese Perspektive eintritt, hat weitreichende
normative Implikationen. In dieser Perspektive treten vor allem Aspekte hervor, die
heute positiv bewertet werden, wie Kooperation, Partizipation und Dialog, während
solche, die tendenziell verpönt sind, ausgeblendet werden: Herrschaft, Hierarchie,
Steuerung, Kontrolle, Hoheit usw. (so auch Mayntz 2008: 47). Bei aller semantischen
Prominenz der Governance-Begrifflichkeit existieren diese Phänomene selbstverständlich auf der sozialstrukturellen Ebene fort. Vor diesem Hintergrund lässt sich
Governance aus einer wissenssoziologischen Perspektive als eine „neue Sprache des
Regierens“ (Haus 2008: 95) bezeichnen, die ideologischen Charakter besitzt und das
stiftet, was im Jargon kritischer Theorie als „falsches Bewusstsein“ zu bezeichnen
wäre. Der Governance-Diskurs bringt eine Sprache hervor, in der sich analytische,
normative und ideologische Aspekte nicht voneinander trennen lassen.
Der sozialen Wirklichkeit selbst entnommen ist der Begriff der Governance Ausdruck einer weit fortgeschrittenen Versozialwissenschaftlichung der Praxis. Zur Kennzeichnung eines zu erforschenden Ausschnittes der sozialen Wirklichkeit wirft er die
2 Eine Auflistung solcher Begriffe bietet etwa Schuppert (2008: 22 f.).
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gleichen Probleme und vor allem Unschärfen auf wie alle sozialwissenschaftlichen
Begriffe, die zur Kennzeichnung eines Forschungsgegenstandes dieser Wirklichkeit
selbst entnommen sind, wie Politik, Wissenschaft, Staat, Familie usw. Der Unterschied
liegt darin, dass im vorliegenden Fall die Konstitution sozialer Wirklichkeit und ihre
sozialwissenschaftliche Beschreibung kaum mehr zu unterscheiden sind.
2. Governance im Unterschied zu Steuerung
Die mit dem Begriff der Governance erfolgenden Umfokussierungen werden besonders deutlich, wenn man ihn mit dem älteren Begriff der Steuerung vergleicht. Dieser
Vergleich bietet sich schon deshalb an, weil sich die Governance-Forschung als Fortführung der Steuerungstheorie betrachten lässt und von ihren Protagonisten auch so
verstanden wird (etwa Mayntz 2005). Vor diesem Hintergrund liegt es nahe, den Begriff der Governance historisch als Ausdruck einer Krise einer bestimmten Form von
Staatlichkeit zu deuten, für die der Begriff des „Interventionsstaates“ kennzeichnend
ist und als deren Reflexionsform die „Steuerungstheorie“ gelten kann.
Die Karriere des Governancebegriffs kann so betrachtet als Folge einer Krise des
„Interventionsstaates“ und des „Steuerungsdenkens“ seit den 1970er Jahren gedeutet
werden, die sich in einer politisch-praktischen Dimension vor allem als Krise wohlfahrtsstaatlicher Politik, in einem staatstheoretischen Sinne als Wandel der Staatsaufgaben (Grimm 1990) und den Ideen eines „schlanken Staates“ bzw. eines „kooperativen Staates“ (Ritter 1990; Voigt 1995) sowie im steuerungstheoretischen Diskurs als
Verabschiedung der Kybernetik erster Ordnung niederschlägt (vgl. Bora 2012). Diese
Krise führt auf der einen Seite zu einer verstärkten Betonung von Wettbewerb und
Eigeninitiative, die zumeist als neoliberal tituliert wird, auf der anderen Seite zu einer
eher im emanzipatorischen Diskurs gepflegten Hervorhebung von „Kooperation“ und
„Diskurs“. Der „Interventionsstaat“ wird zum „schlanken“ bzw. zum „Gewährleistungsstaat“, der auf mehr Wettbewerb und Eigeninitiative setzt, aber auch zum „aktivierenden Staat“, der das Engagement der Bürger fördert, aber auch einfordert. Regiert
wird durch die Liberalisierung, aber auch im Dialog mit den Betroffenen.
Für den Begriff der Steuerung ist charakteristisch, dass er von der Vorstellung eines
zielgerichteten Handelns ausgeht, das auf Verhaltensbeeinflussung gerichtet ist. Die
Steuerungstheorie beruht dabei freilich auf einer Reihe impliziter Voraussetzungen,
die den Rahmen betreffen, innerhalb dessen in diesem Sinne zielgerichtet gehandelt
wird.
Dieses Handeln erfolgt erstens im Horizont der ausdrücklichen Orientierung am
Gemeinwohl, zielt also in erster Linie auf die Produktion öffentlicher Güter.
Es ist zweitens staatszentriert. Ihm liegt ein lineares Modell der Einflussnahme „des
Staates“ auf „die Gesellschaft“ zugrunde. Das „Steuerungshandeln“ selbst erfolgt in-
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nerhalb der durch die Verfassung definierten institutionellen Strukturen. Dies wiederum impliziert, dass „staatliches Steuerungshandeln“ in den Legitimationsmechanismen des demokratischen Rechtsstaats fest verankert ist (Mayntz 2005: 16).
Drittens bedient es sich der „klassischen“ dem Staat zur Verfügung stehenden Mittel: Rechtssetzung, Verordnung und Anordnung; Überwachen, Eingreifen und Strafen;
Gewährung von Ansprüchen und Zuteilung von Leistungen und Gütern; Aufbau und
Unterhalt baulicher und kommunikativer Infrastrukturen.
Mit dem Begriff der Governance werden vor diesem Hintergrund folgende Umfokussierungen vorgenommen: Es werden erstens jene Foren in den Blick gerückt, in
denen kollektiv verbindliche Regelungen außerhalb des hierarchischen Staatsaufbaus
zustande kommen: durch Verhandlungen zwischen Staaten, auf verschiedenen Entscheidungsebenen und jenseits amtlicher Zuständigkeit, zwischen öffentlichen und
privaten Akteuren sowie zwischen privaten Akteuren, ohne Beteiligung des Staates.
Es werden zweitens die Regelungsstrukturen fokussiert, die auf diese Weise geschaffen werden, in denen aber auch die kollektiv verbindliche Regelung kollektiv
bedeutsamer Sachverhalte selbst erfolgt. An die Stelle eines linearen Modells der Einflussnahme tritt so die Vorstellung zirkulärer bzw. netzwerkartiger Beziehungen. Außerdem tritt das Zusammenspiel der verschiedenen Regelungsstrukturen in den Blick,
das bisweilen auch als das zentrale Thema der Governance-Forschung aufgefasst wird.
Schließlich wird der Begriff der Regelungsstruktur durch den der Koordinationsstruktur ersetzt (etwa Schuppert 2008). Jede Form der Koordination von Handeln, wie es
dann geschieht, als Governance aufzufassen, erscheint freilich nur unter der implizit
mitlaufenden Prämisse plausibel, dass Gesellschaft heute so gut wie vollständig
„durchregelt“ ist, also gewissermaßen als das Produkt eines beständig ablaufenden und
an verschiedenen Orten erfolgenden Prozesses des Formulierens kollektiv verbindlicher Regelungen aufgefasst werden kann.
Drittens verweist der Begriff Governance auf eine Reihe neuartiger Verfahren und
Arrangements, in denen Abstimmungen und Verhandlungen erfolgen sollen, die einen
hybriden und sektorenübergreifenden Charakter besitzen, indem sie unterschiedliche
gesellschaftliche Akteure zusammenführen, und die sich durch eine ausgeprägte Kooperations- und Sachorientierung auszeichnen. Es sind vor allem diese Verfahren und
Arrangements, über die der Governance-Begriff mit innovativen Demokratievorstellungen und Legitimationsverständnissen verknüpft wird, in denen Begriffe wie „Mitwirkung“, „Netzwerk“, „Kooperation“ und „Dialog“ eine Schlüsselrolle spielen.
Als ein Versuch der Bewältigung der Krise des Steuerungsdenkens können diese
Umfokussierungen unter verschiedenen Gesichtspunkten interpretiert werden. Zum
einen wird mit dem Governance-Konzept der in der Steuerungstheorie hervorgehobene
Steuerungsanspruch zugunsten einer Betrachtung eines grundsätzlich als veränderlich
betrachteten Zusammenspiels unterschiedlicher Koordinationsstrukturen zurückgenommen, was freilich kehrseitig mit dem über den Anspruch der Steuerungstheorie
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weit hinausreichenden Anspruch einer umfassenden Gestaltbarkeit der gesellschaftlichen Verhältnisse einhergeht. Zum anderen gewinnt dieser Gestaltungsprozess Anschluss an neuartige Demokratieverständnisse, wie sie vor allem in den Politikwissenschaften entwickelt wurden. Kennzeichnend für diese Verständnisse ist, dass sie
den Begriff der Demokratie aus dem Zusammenhang des im Prinzip der Volkssouveränität verankerten demokratischen Rechtsstaats herauslösen und an deliberative und
partizipatorische Demokratievorstellungen binden.
Der Möglichkeit eines „Governance-Versagens“ ist damit in zweifacher Hinsicht
vorgebaut. Der Saat „steuert“ nicht mehr, er wird vielmehr zum Zentrum einer Reflexion der „Governance-Strukturen“ – freilich in der Absicht, neue Gestaltungsoptionen
zu gewinnen und dementsprechend auch zu nutzen. Diese Gestaltungsoptionen wiederum sind hinsichtlich ihrer Erfolgsbedingungen doppelt interpretierbar: Auf der einen Seite geht es um Gewinne an Effizienz und Effektivität, auf der anderen aber um
„normative Gewinne“, die sich aus der im Governance-Diskurs mitlaufenden Präferenz für nicht-hierarchische „Governance-Strukturen“ ergeben sollen (in diesem Sinne
auch Offe 2008: 67 f.)
3. Governance aus der Sicht einer Theorie der Regulierung
In der Governance-Debatte hat – bei allen Unterschieden zur früheren Steuerungstheorie – der Gedanke gemeinwohlorientierter politischer Steuerung eine zentrale
Stellung beibehalten. Entsprechend fasst Zürn (2008: 554) den Begriff der Governance
wie folgt: „Governance soll heißen: Die Gesamtheit der kollektiven Regelungen, die
auf eine bestimmte Problemlage oder einen bestimmten gesellschaftlichen Sachverhalt
zielen und mit Verweis auf das Kollektivinteresse der betroffenen Gruppe gerechtfertigt werden.“
In diesem Zusammenhang hat nun in den letzten Jahren der ursprünglich in der
Rechtstheorie und Rechtssoziologie verankerte Begriff der Regulierung an Bedeutung
gewonnen. Obwohl auch dieser Begriff erhebliche Unschärfen aufweist, kann er für
das Verständnis moderner Staatlichkeit fruchtbar gemacht werden, wenn er im Sinne
des Grundgedankens einer gemeinwohlorientierten Gestaltungsaktivität verwendet
wird, die sich auf Feldern zu bewähren hat, welche durch Multi-Akteurs-, Multi-Ebenen- und Multi-Instrumenten-Beziehungen geprägt sind.
Der Begriff der Regulierung wird vor allem im Kontext von Markt- und Risikoregulierung sowie im Zusammenhang mit Forderungen nach einer Reform von Staatlichkeit gebraucht (Döhler und Wegrich 2010), umfasst allerdings in seinem Kern
grundsätzlich alle Aktivitäten gesellschaftlicher Gestaltung von der „klassischen“
staatlichen Regulierung bis zur gesellschaftlichen Selbstregulierung (Döhler 2011). In
seiner aktuellen Fassung geht er im Wesentlichen auf die amerikanische und britische
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Regulierungsforschung der 1990er Jahre zurück (Ayres und Braithwaite 1992). Dort
wird Regulierung allerdings bisweilen als eine spezifische Form von Governance aufgefasst. Braithwaite et al. (2007) verstehen beispielsweise unter Regulierung denjenigen Strang von Governance, der sich mit der Steuerung von Ereignissen und Verhalten
beschäftigt, während Governance darüber hinaus auch Gewährleistung und Verteilung
umfassen soll. Es bleibt allerdings unklar, weshalb Gewährleistungs- und Verteilungsmaßnahmen keine regulierende Qualität haben sollen. Sinnvoller erscheint es, unter
dem Begriff der Regulierung all jene Operationen zu fassen, die darauf zielen, einen
Zustand in einem zu regulierenden Bereich zu beeinflussen (Bora 2002; Hood et al.
2001; Döhler und Wegrich 2010). Nach dieser Auffassung ist der Begriff der Regulierung nicht auf kontrollierende und begrenzende Interventionen im Sinne regulatorischen Rechts beschränkt, sondern umfasst sowohl begrenzende und risikominimierende als auch fördernde und ermöglichende Maßnahmen. Black (1998) spricht von
„regulation as facilitation“ und in diesem Sinne befasst man sich auch in den Rechtswissenschaften beispielsweise mit Fragen der innovationsfördernden Regulierung (Eifert und Hoffmann-Riem 2009). Ganz in diesem Sinne spricht auch Schuppert (2008:
395) davon, dass „Governance“, als Handlungskoordination durch Regelungsstrukturen verstanden, „vor allem Regulierung“ sei.
Der Vorteil der regulierungstheoretischen Betrachtung liegt zum einen darin, dass
der Regulierungsbegriff den Entscheidungsaspekt und die damit zusammenhängenden
Schwierigkeiten wieder stärker sichtbar werden lässt. Diese lassen sich insbesondere
mit Hilfe der Risikotheorie als zirkulärer Komplex von Entscheidungsrisiko, Verantwortungsattribution und Risikoexternalisierung beschreiben (Bora 2002). Auf diese
Weise ließen sich die mit dem Governance-Begriff adressierten Phänomene auch wieder stärker mit einer Theorie des Politischen verbinden. Zum anderen wird aber auch
der Zusammenhang von Wissen und Entscheiden deutlicher als in der stärker auf institutionelle Strukturen gerichteten Governance-Forschung (Bora 2009a; 2009b). Dies
wiederum eröffnet eine für die Wissenschafts- und Technikforschung interessante
Perspektive auf Governance.
Dieser letzte Aspekt tritt nämlich vor allem dann hervor, wenn man Regulierung
als Moment fortschreitender Verwissenschaftlichung begreift und diesen Prozess der
Verwissenschaftlichung wiederum vor dem Hintergrund sieht, dass der Regulierungsgedanke als solcher an die Entstehung vergleichsweise voraussetzungsreicher Formen
des menschlichen Zusammenlebens gebunden ist. Diese Formen nehmen vor allem in
der Sozialform Stadt Gestalt an, dann, wenn das menschliche Zusammenleben durch
eine auf Dauer gestellte Praxis des Schaffens und Unterhaltens einer Infrastruktur, der
Rechtssetzung, des Erlassens von Verordnungen, der Gewährung von Leistungen und
der polizeilichen Kontrolle konstituiert wird. Unter diesen Bedingungen stellt sich
dann grundsätzlich die Frage nach dem Zusammenhang zwischen der je spezifischen
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Einrichtung des Gemeinwesens und seinem Gedeihen und damit auch die, ob es sich
denn besser einrichten lässt, als es der Fall ist.
Von Regulierung kann in diesem Zusammenhang u. E. allerdings erst dann gesprochen werden, wenn die Beziehung zwischen der Einrichtung und der Entwicklung
eines Gemeinwesens als prinzipiell berechenbar aufgefasst wird. Das Regieren im
Sinne einer im Unterschied zum Verwalten auf die Gestaltung des Gemeinwesens
gerichteten Praxis lässt sich dann nicht mehr als eine Frage der Klugheit begreifen. Es
wird zu einem wissenschaftlichen Problem und zum Bezugspunkt der Entstehung eines
spezifischen Typus von Wissenschaft, der im Folgenden als Regulierungswissenschaft
bezeichnet wird. Dieser Typus bildet sich in Form der Politischen Ökonomie und der
Bevölkerungswissenschaften heraus (hierzu Foucault 2006) und mündet in das technokratische Programm einer umfassenden Gesellschaftssteuerung durch Fachleute.
Sowohl die Steuerungstheorie als auch die Governance-Forschung lassen sich aus
wissenschafts- und techniksoziologischer Perspektive in diesem Zusammenhang der
Entstehung und Entwicklung der Regulierungswissenschaften einordnen.
4. Verfahren und Arrangements organisierter Kooperation und Konfliktbeilegung als
Governance-Formen des Latenthaltens antagonistischer Vergesellschaftung
Vor dem skizzierten Hintergrund beschäftigen sich die Beiträge des vorliegenden
Bandes mit speziellen Governance-Formen. Es geht weniger um die Pluralisierung und
die Veränderung der Orte, an denen die kollektiv verbindliche Regelung kollektiv bedeutsamer Sachverhalte erfolgt, auch nicht um die Betrachtung von Regelungs- bzw.
Koordinationsstrukturen im Allgemeinen. Im Zentrum des Bandes stehen vielmehr
Verfahren und Arrangements, mit denen gesellschaftliche Problemlagen gezielt bearbeitbar gemacht werden sollen und die in einem noch näher zu bestimmenden Sinne
als unkonventionell gelten können. Auch dieser Aspekt lässt sich in einer regulierungstheoretischen Perspektive präziser fassen.
Regulierung lässt sich grundsätzlich auch als Strukturbereitstellung auffassen: als
Bereitstellung von Normen, Sicherheit, Infrastruktur usw., deren Folgen berechenbar
sind oder doch zumindest als berechenbar gedacht bzw. im Rahmen entsprechender
Regulierungswissenschaften als grundsätzlich berechenbar unterstellt werden.3
Die bereitgestellten Strukturen können auf autonome Akteure abgestellt sein, die
ihre Interessen rational verfolgen und innerhalb entsprechender Strukturen durch die
Verfolgung ihres wohlverstandenen Eigeninteresses systematisch zur Herstellung kollektiv bedeutsamer Güter beitragen. Eigeninteresse und Gemeinwohl lassen sich innerhalb solcher Strukturen folglich überhaupt nicht trennen. Eine solche auf Struktur3 Zur Idee von Regulierung als Bereitstellung einer Regulierungsinfrastruktur siehe auch Schuppert
(2006: 413).
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bereitstellung angewiesene Form der Handlungskoordination, in welcher der Idee nach
die rationale Verfolgung des Eigeninteresses vom Ergebnis her mit dem Gemeinwohl
korrespondieren soll, stellt bekanntlich der Markt dar. Strukturbereitstellung kann aber
auch in Bezug auf ein sich moralisch betätigendes und bildendes Individuum erfolgen,
das sich für das Gemeinwohl engagiert und dem humanistischen Bildungsgedanken
entsprechend innerhalb der bereitgestellten Strukturen über die Verfolgung von Interessen hinaus als „Mensch“ frei entfaltet. Schließlich können die fraglichen Strukturen
auch der Konstitution eines auf kollektive Willensbildung zielenden politischen Diskurses dienen.
In allen diesen Fällen setzt das regulative Denken autonome Subjekte voraus, welche die Möglichkeiten der sich auf der Grundlage der bereitgestellten Strukturen eröffnenden Möglichkeiten systematisch nutzen, als homo oeconomicus, als dem Gemeinwohl verpflichteter Bürger, als ein nach Bildung strebender Mensch, als politisches Subjekt. Die Kehrseite des regulativen Denkens bildet somit eine Ethik der autonomen Lebensführung, die sich zwischen den Polen der Verfolgung ökonomischer
Interessen, dem Engagement für das Gemeinwohl, dem Streben nach Bildung und der
Anteilnahme an der politischen Willensbildung bewegt. Regulierung und Freiheit bilden so verstanden zwei Seiten einer Medaille. Die Einrichtung der Gesellschaft wird
in diesem Zusammenhang freilich selbst zu einem Politikum, aber auch zu einem wissenschaftlichen Problem. Diese doppelte Begründungsbedürftigkeit von Institutionen
kennzeichnet die Moderne.
Eine Implikation einer solchen auf autonome Interessenverfolgung, moralische Betätigung, kulturelle Selbstverwirklichung und politische Willensbildung abstellenden
Regulierungsstruktur sind freilich miteinander kollidierende Interessen sowie weltanschauliche und politische Auseinandersetzungen. Die auf der Grundlage entsprechender Strukturen ermöglichten Prozesse der Vergesellschaftung erlauben vielfältige Formen der Kooperation zwischen den sich zu ökonomischen, sozialen, kulturellen und
politischen Zwecken frei assoziierenden Individuen, gehen freilich mit ebenso vielfältigen Konflikten einher, die geregelt ausgetragen werden müssen und deshalb den
Bezugspunkt entsprechender Institutionen des Austragens von Konflikten bilden.
Diese Konflikte stellen aber auch den Bezugspunkt der Herausbildung einer auf das
Ganze gerichteten gesellschaftspolitischen Betrachtungsweise dar, in der sie als Kompatibilitätsprobleme und Koordinationsmängel wahrgenommen werden. Es ist diese
Betrachtungsweise, die das modernisierungstheoretische Denken des 20. Jahrhunderts
prägt und die letztlich auch der Governance-Diskussion zugrunde liegt. Governance
meint unter anderem auch dies: die Suche nach Regulierungsinstrumenten zur Erhöhung „gesamtgesellschaftlicher Rationalität“. Es geht um Instrumente, mit denen festgefahrene Konflikte verhandelbar gemacht und durch sektorenübergreifende Kooperation bessere Problemlösungen entwickelt und erweitere Gestaltungschancen eröffnet
werden sollen, mit denen, „brachliegendes Humankapital“ mobilisiert werden und die
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Entfaltung des Individuums in die unter übergeordneten Gesichtspunkten gesellschaftlich gewünschten Bahnen gelenkt werden soll. In diesem Zusammenhang wird dann
auch auf die sich heute bietenden Möglichkeiten des human engineering zurückgegriffen, wie sie in der wissenschaftlichen Organisation von Betriebsabläufen und im
Marketing entwickelt worden sind.
Regulierung erhält vor diesem Hintergrund ein neues Gepräge. War schon die mit
der Entstehung der regulierten Gesellschaft verbundene zunehmende Verwissenschaftlichung des Regierens Gegenstand ambivalenter Empfindungen, so tritt nun eine
weitere Ambivalenz hinzu. Die das Leben heute prägenden Regulierungsinfrastrukturen sind nicht mehr ohne weiteres mit einem empathischen Begriff von Freiheit vereinbar; sie setzen in einem, wie es scheint, immer größeren Maße Mitwirkungsbereitschaft voraus. Partizipation ist der Schlüsselbegriff dieser Entwicklung. Dies bedeutet
aber auch, dass die unter Regulierungsgesichtspunkten bereitgestellten Strukturen
nicht mehr zugleich auch eine auf Freiheit basierende Gesellschaft konstituieren, sondern zunehmend mit Kooperationszwängen einhergehen.
Es bilden sich so zwei im Widerstreit liegende Regulierungskulturen heraus. Neben
Freiheit sichernde Strukturen treten zunehmend solche, die auf weitreichenden Kooperationserwartungen beruhen. Dies wiederum erfordert eine mit diesen kooperationsorientierten Strukturen kompatible Ethik der Lebensführung und die Konstitution
eines Subjekts, das eine entsprechende „regulative Mentalität“ aufweist.
Die Governance-Semantik entschärft die Ambivalenzen der fortgeschrittenen regulierten Gesellschaft, indem sie Kooperation, Beteiligung und Vernetzung herausstellt. Der Kooperationszwang, das Beteiligt-Werden und das Netzwerkmanagement
laufen im Governance-Diskurs zwar immer mit, bleiben aber hinter der polierten
Oberfläche der schönen neuen Governance-Welt zumeist ebenso ungreifbar wie der
Umstand, dass sich all dies im Zeichen einer forcierten Verwissenschaftlichung von
Praxis vollzieht.
5. Materialorientierte Governance-Studien
Im Rahmen des vorliegenden Bandes sollen die Möglichkeiten eines materialorientierten Zugriffs auf die zuvor umrissenen Governance-Formen ausgelotet werden.
Kennzeichnend für einen solchen Zugriff ist, dass die entsprechenden Verfahren und
Arrangements nicht aus der Kenntnis des Materials schöpfend mehr oder weniger
treffend in den sozialwissenschaftlichen Diskurs eingeordnet werden, sondern in der
methodisch und theoretisch geleiteten Auseinandersetzung mit dem Material selbst
bestimmt werden.
Ein solcher materialorientierter Zugriff geht mit einem für entsprechende Analysen
typischen Detaillierungssog einher, der das freilegt, was hier mit dem Begriff der Mi-
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krostrukturen bezeichnet sein soll. Eine solche Analyse widmet sich dem materialen
Konstitutionsprozess der sozialen Wirklichkeit jenseits bloßer begrifflicher Einordnungen. Sie ermöglicht es deshalb in besonderer Weise, die Strukturen der sozialen
Wirklichkeit entgegen ihrer Zurichtung im Rahmen der etablierten und häufig auch
interessierten Deutungen zu rekonstruieren. Im vorliegenden Fall bedeutet das, die
Struktur von Governance entgegen den Suggestionen der Governance-Semantik zu
bestimmen und beides in ein Verhältnis zueinander zu setzen.
Die hier betrachteten Governance-Formen lassen sich im Rahmen einer materialorientierten Forschung auf mindestens drei Strukturebenen der Konstitution sozialer
Praxis untersuchen. Die Konstitution dieser Governanceformen kann in mikroanalytischer Perspektive erstens auf der Ebene der Semantik untersucht werden. Im Zentrum
steht hier die Betrachtung der durch die lebenspraktisch motivierten begrifflichen Verknüpfungen diskursiv entworfenen legitimationsrelevanten Gesellschaftsbilder.
Im vorliegenden Zusammenhang sind in dieser Hinsicht die veränderten Formen
staatlicher Selbstdarstellung wichtig, in denen sich das Bestreben äußert, vor allem den
hoheitlichen Charakter des Staates in den Hintergrund treten zu lassen. Der Staat stellt
sich stattdessen als Dienstleister, Partner, Moderator oder Mediator dar; er unterstützt
gemeinnützige Projekte und hält seine Bürger zu mehr Engagement an; er tritt als
Umsetzungsorgan der Vorschläge wissenschaftlicher Beratungsgremien oder aber als
dezisionistische Letztinstanz der nicht mehr in organisierten Konsens auflösbaren und
statt dessen als ethischer Dissens gerahmten Wertkonflikte auf. Kehrseitig werden
auch der Gesellschaft – Bürgern, Vertretern gesellschaftlicher Interessen, privaten Initiativen und Stiftungen, aber auch Unternehmen und Einrichtungen wie den Universitäten – veränderte Aufgaben zugewiesen. All dies erzeugt ein neuartiges Bild nicht
nur des Staates, sondern des gesellschaftlichen Zusammenlebens und -wirkens überhaupt. Die diskursive Erzeugung dieses Bildes wäre dabei ebenso zu untersuchen, wie
seine innere Architektonik, die einfließenden legitimationsrelevanten Prämissen, die
sich ergebenden Widersprüche und das Unthematische.
Die Konstitution dieser Formen kann zweitens auf der Ebene der interaktiven Herstellung sozialer Ordnung rekonstruiert werden. Im Mittelpunkt steht dann die Konstitution sozialer Ordnung im Rahmen der im Hier und Jetzt sozialer Praxis erfolgenden
Koordinationsprozesse. Es ist zu untersuchen, wie die konkreten Koordinationsformen
sozialer Praxis konstruiert werden, indem Rollenschemata etabliert, ausgearbeitet und
verhandelt sowie die entsprechenden sozialen Positionen eingenommen, zugewiesen,
umgedeutet oder auch abgelehnt werden (zur Dynamik sozialer Positionierungen Hausendorf und Bora 2006).
Von besonderem Interesse sind im Zusammenhang der hier betrachteten
Governance-Formen die Prozesse der Konstitution sozialer Ordnung, die im Rahmen
sogenannter hybrider Foren erfolgen. Es handelt sich dabei um Foren, in denen Bürger,
Interessenvertreter, Vertreter von Behörden, Politiker und Experten unter spezifischen
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Settingbedingungen und bisweilen unter Mitwirkung von Moderatoren und Mediatoren miteinander interagieren und in denen sich eine Dynamik entfalten soll, die zu den
von solchen Arrangements erwarteten Rationalitäts- und Legitimitätsgewinnen führen
soll. Es stellt sich dann vor allem die Frage, wie die Interaktion in solchen Foren, die
zumeist nur von ihrer Zusammensetzung her als hybrid sowie hinsichtlich der erwarteten Leistungen bestimmt wird, tatsächlich strukturiert ist und im Rahmen einer soziologischen Strukturanalyse als soziale Praxis zu bestimmen wäre.
Die Konstitution der hier betrachteten Formen der Governance lässt sich drittens
unter dem Gesichtspunkt der Habitusformation untersuchen, die diese Formen im
Vollzug der Praxis ebenso erzeugt, wie sie im Rahmen dieser Formen moduliert wird.
Governance ist in dieser Hinsicht als das Ergebnis eines Prozesses des Öffnens und
Schließens von Handlungsmöglichkeiten thematisch, in dem die denkbaren Alternativen zu diesen Formen, allmählich in den Hintergrund treten, um schließlich als Moment gesellschaftlicher Normalität zu verschwinden, während sich kehrseitig der
Raum der Optionen der Ausarbeitung und Fortentwicklung dieser Formen entsprechend verbreitert, so dass sich der Wandel der sozialen Wirklichkeit in den Bahnen
der Modifikation und Abwandlung eines immer gleichen Grundmusters zu vollziehen
beginnt.
Interessant ist im hier betrachteten Zusammenhang vor allem die Entstehung und
der Wandel des regulativen Habitus – ausgehend von einer Habitusformation, bei der
sich das regulative Moment überwiegend auf der kognitiven Ebene entfaltet, wenn es
nämlich um die sinnige Gestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse geht, während
der Alltag durch eine dem Ideal der Autonomie verpflichtete innengeleitete Lebensführung geprägt ist; über eine, die sich durch eine besondere Sensibilität für regulative
Signale auszeichnet, aber auch dadurch, dass mit einer solchen Sensibilität gerechnet
wird, so dass sich eine immer mehr außengeleitete Lebensführung herausbildet; hin zu
einer Formation, die sich durch jene ausgeprägte Kooperationsorientierung auszeichnet, die sich auch mit dem Begriff der Governance verbindet.
Die im vorliegenden Band versammelten Beiträge eint die Frage, inwiefern sich
über die Orientierung am Material Einsichten in die heute unter dem Begriff der
Governance diskutierten Phänomene gewinnen lassen. Sowohl die Annäherung an
diese Frage als auch die methodischen Zugriffe auf das betrachtete Material sind dabei
unterschiedlich. Eine viele Beiträge durchziehende Frage betrifft das Verhältnis von
Struktur, Leistung und Inszenierung bei den betrachteten Governance-Formen. Dies
ist deshalb kein Zufall, weil materialorientierte Untersuchungen sich in besonderer
Weise eignen, die Leistungen von Verfahren und Arrangements auf deren kommunikative Strukturen zu beziehen, die rekonstruierbaren Leistungen von den Leistungsversprechen zu unterscheiden sowie die Leistungsversprechen selbst als Gegenstand
einer eigenständigen Analyse einzurichten.
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Entsprechende Untersuchungen erlauben Aussagen darüber, welche Leistungen
von solchen Verfahren und Arrangements erwartet werden können und welche nicht.
Sie sind in der Lage zu erklären, warum entsprechende Verfahren und Arrangements
oft hinter ihren Erwartungen zurückbleiben bzw. unerwünschte Effekte besitzen. Die
entsprechenden Untersuchungen schließen an die klassische Implementationsforschung an, zeichnen sich aber durch ihren spezifischen Erklärungsanspruch aus, indem
sie Scheitern und Gelingen auf die rekonstruierbaren kommunikativen Strukturen beziehen.
Die auf der Ebene der programmatischen Selbstbeschreibung entsprechender Verfahren und Arrangements zu findenden Leistungserwartungen sind häufig ausgesprochen diffus (Abels und Bora 2004). Materialorientierte Untersuchungen leisten in dieser Hinsicht einen Beitrag zur analytischen Bestimmung der Leistungen, die in solchen
Verfahren und Arrangements faktisch erbracht und zur Verfügung gestellt werden.
Was leisten sie also und was leisten sie nicht? Welche Defizite lassen sich durch entsprechende Verfahren und Arrangements beheben und welche nicht? Wie werden diese
Leistungen faktisch aufgegriffen und genutzt? Diese Fragen lassen sich häufig erst
dann beantworten, wenn die Ergebnisse entsprechender Verfahren und Arrangements
sowie die Art und Weise, wie sie aufgegriffen und verwendet werden, anhand entsprechender Materialien untersucht werden.
Mit der analytischen Bestimmung der Kommunikationsformen solcher Verfahren
und Arrangements wird schließlich die übliche Governance-Rhetorik auf die realen
Strukturen dieser Verfahren und Arrangements hin durchstoßen, zugleich aber auch
die dieser Rhetorik zugrunde liegenden legitimationsrelevanten Deutungsmuster zum
Gegenstand einer eigenständigen Analyse gemacht. In diesem Zusammenhang lässt
sich insbesondere der häufig ausgesprochen sozialtechnische Charakter entsprechender Verfahren und Arrangements ebenso freilegen, wie die spezifischen Legitimationsvorstellungen, die sich in den Leistungsversprechen solcher Verfahren und Arrangements äußern.
6. Die Beiträge im Einzelnen
Detlef Sack gibt in seinem Beitrag einen Überblick über die Governance-Debatte und
entwickelt ein Klassifikationsschema, das es erlaubt, die verschiedenen Diskussionsstränge dieser Debatte einzuordnen. Er unterscheidet fünf Stränge der GovernanceDebatte: einen normativ-demokratisierungstheoretischen, einen netzwerktheoretischen, einen diskursanalytisch-deliberativen, einen institutionentheoretischen und einen historisch-materialistischen. Dabei untersucht er, wie Phänomene der sozialen
Positionierung – und hier vor allem der Wandel der Bürgerrolle – in den vorliegenden
Debattensträngen thematisch sind. Auf dieser Grundlage verortet er das Rahmenthema
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des vorliegenden Sammelbandes, die Mikrostrukturen der Governance, in dem diskurstheoretisch-deliberativen Strang der Governance-Debatte. Er kommt zu einer generell positiven Würdigung mikroanalytischer Ansätze, die aus der politikwissenschaftlichen Perspektive vor allem zur „Entmythologisierung“ der so genannten neuen
Formen des Regierens beitragen, auch wenn sie, so Sack, staatstheoretisch noch gründlicherer Fundierung und einer stärkeren Aggregation der empirischen Befunde bedürfen. Abschließend empfiehlt Sack vor diesem Hintergrund eine Ausweitung mikrostruktureller Analysen auf die „Hinterbühne“ politischer Kommunikation und auf politikfeldübergreifende Studien.
Heiko Hausendorf behandelt Dokumente aus einem Genehmigungsverfahren zur
Freisetzung gentechnisch veränderter Pflanzen, das eine Bürgerbeteiligung auf der
Grundlage schriftlicher Einwendungen vorsieht. Es handelt sich dabei um eine Form
der Bürgerbeteiligung, in der sich der Kooperationsgedanke als schriftliche Anhörung
vergleichsweise konventionell und rechtlich geregelt niedergeschlagen hat. Gleichwohl haben sich mit dieser Form weitreichende Leistungserwartungen verbunden.
Hausendorf untersucht diese Dokumente unter textlinguistischen Gesichtspunkten
und stellt die Frage, inwiefern sich das Anhörungsverfahren überhaupt als eine Form
der Bürger- bzw. Öffentlichkeitsbeteiligung rekonstruieren lässt. Er kommt zu dem
Ergebnis, dass dieses Verfahren in seinen konkreten Erscheinungsformen nicht nur
den mit dem Bürgerbeteiligungsgedanken in der Regel verknüpften Vorstellungen widerspricht. Aus textlinguistischer Sicht sei vielmehr fraglich, ob die Einwendung überhaupt eine Form darstelle, in der Bürgerbeteiligung kommunikativ hergestellt werden
könnte.
Die Analyse liefert einen textlinguistischen Beitrag zu der Diskussion, wie die Idee
der Bürgerbeteiligung verfahrensmäßig realisiert werden kann. In der GovernanceTerminologie formuliert stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, ob und wie
der Erfolg einer „participatory governance“ an die konkreten Formen der kommunikativen Realisierung des Verfahrens gebunden ist.
Alexander Görsdorf wendet sich in seinem Beitrag einer „innovativeren“ Form der
Bürgerbeteiligung zu, nämlich dem Modell der Konsensuskonferenz, einem außerrechtlichen Verfahren, das vor allem in technologiepolitischen Kontexten angewendet
wird. Er stellt Ausschnitte aus der Untersuchung einer Konsensuskonferenz zur Nanotechnologie vor, die auf der Grundlage einer hermeneutischen Sequenzanalyse
durchgeführt wurde. Dabei geht er der Frage nach, welche Beziehungen zwischen dem
Sozialmodell, das mit dem Verfahren eingerichtet werden soll, und den Leistungserwartungen an das Verfahren selbst bestehen. Das anvisierte Sozialmodell sei ein themenbezogenes und zwangloses Gespräch unter Gleichrangigen. Die erwartete Leistung bestehe in einer aus einem argumentativen Prozess hervorgehenden technologiepolitisch relevanten Bewertung. Die Konsensuskonferenz beruhe, so Görsdorf, auf der
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Annahme, dass ein generischer Zusammenhang zwischen Sozialmodell und Leistung
bestehe.
Görsdorf gelangt in seiner Analyse zu dem Resultat, dass bei der untersuchten Konsensuskonferenz die Einrichtung des gewünschten Sozialmodells an zentralen Stellen
des Verfahrens tatsächlich gelingt, dass aber kein Zusammenhang zwischen diesem
Gelingen und den tatsächlichen Leistungserwartungen an das Verfahren besteht. Das
zwanglose Gespräch unter Gleichrangigen nehme nämlich die Form taktvoller Geselligkeit an, die aber, um das Verfahren unter Leistungsgesichtspunkten fortzuschreiben,
zugunsten zielorientierter Aufgabenbearbeitung unterbrochen würde. Offene und
sachliche Gespräche, so der Befund, kämen im Verfahren nicht vor. Stattdessen wechselten Phasen taktvoller Geselligkeit und zielgerichteter Aufgabenbearbeitung einander ab, ohne dass sie, wie es das Modell der Konsensuskonferenz vorsehe, unter Leistungsgesichtspunkten ineinandergriffen. Käme es im Verfahren wirklich zu einer themenbezogenen Diskussion, so würde genau dies das anvisierte Sozialmodell aller
Wahrscheinlichkeit nach sprengen, indem nämlich die argumentative Auseinandersetzung selbst Ungleichheit erzeuge.
Görsdorfs Analyse macht deutlich, inwiefern das Verständnis des Erfolgs einer bestimmten Form von „participatory governance“ davon abhängt, dass der Zusammenhang zwischen den konkreten Kommunikationsprozessen im Verfahren und seinen
Leistungen bestimmt wird.
Alexander Bogner behandelt in seinem Beitrag Regelungsformen, mit denen Konflikte verhandelbar gemacht werden sollen. Seine Untersuchung geht dabei von der
Annahme aus, dass dies auf unterschiedliche Weise geschehen kann, unter anderem
dadurch, dass die Konflikte unterschiedlich gerahmt werden. Das Interesse Bogners
richtet sich auf die konkreten Manifestationen des Austragens von Konflikten, wobei
der Rahmung von Konflikten als einer Form „technologiepolitischer Governance“ das
besondere Augenmerk gilt. Vor diesem Hintergrund wendet er sich der Unterscheidung von Risiko und Ethik als alternativen Rahmungen des Austragens von Technikkonflikten zu.
Bogners These lautet, dass sich „Ethikexpertise“ im Unterschied zu einer „Risikobewertung“ dadurch auszeichnet, dass sie einen qualifizierten Dissens hervorbringt.
Sie impliziere Anerkennung einer Pluralität von Wertstandpunkten und mache eine
authentische Gewissensentscheidung in der „politischen Arena“ erforderlich, der gegenüber die „Autorität des Wissens“ als nachrangig zu betrachten sei.
In der vorliegenden, auf der Grundlage einer qualitativen Inhaltsanalyse erstellten
Studie befasst sich Bogner am Beispiel des Nationalen Ethikrates und der EnqueteKommission „Recht und Ethik in der modernen Medizin“ mit den Bezugnahmen der
Politik auf die in diesen Beratungsgremien formulierte Ethikexpertise. Er kommt dabei
zu dem Ergebnis, dass Ethikexpertise in den vorliegenden Fällen keineswegs, wie
häufig unterstellt, zu einer expertokratischen Entpolitisierung führt. Die dargestellte
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Pluralität von Standpunkten unterstreiche aus Sicht der Politik vielmehr die Notwendigkeit einer genuin politischen Entscheidung, wobei diese die Form einer individuellen Gewissenentscheidung annehme.
Bogners Beitrag verdeutlicht zweierlei: Er zeigt zum einen, dass für das Verständnis
der „Governance von Konflikten“ die Rahmung der Konflikte durch das Einrichten
von Gremien mit unterschiedlichem Arbeitsaufrag von zentraler Bedeutung ist. Zum
einen macht er deutlich, dass es vor diesem Hintergrund erforderlich ist, die konkreten
Erscheinungsformen des entsprechend gerahmten Konfliktes zu betrachten. So führt
„Konflikt-Governance“ im vorliegenden Fall, so das Argument, eben nicht, wie oft
vermutet, zu einer Entpolitisierung, sondern begründet den Zwang, auf eine bestimmte
Weise politisch zu entscheiden, nämlich auf der Grundlage einer authentischen Gewissensprüfung.
Wolfgang Ludwig-Mayerhofer wendet sich in seinem Beitrag einem ganz anderen
Feld der Governance zu, dem reformierten Sozialstaat als einer Form der „sozialstaatlichen Governance“. Er verweist darauf, dass die verbreitete Diagnose eines Abbaus
des Sozialstaates den grundlegenden Wandel des Sozialstaats verkennt, der sich nicht
mehr als reiner Sozialversicherungsstaat fassen lässt. Dieser Wandel gehe mit neuen
Anforderungen sowohl an den Staat als auch an die Bürger einher. Für die Bürger
bedeute dies unter anderem eine erhöhte Eigenverantwortung. Dem entspreche die
Semantik des „aktivierenden Staates“. Dieser Aktivierung der Bürger durch den Staat
wendet sich Ludwig-Mayerhofer in seinem Beitrag als einem Aspekt „sozialstaatlicher
Governance“ zu.
Dabei geht er von der Annahme aus, dass das Mitmachen der Bürger weder vorausgesetzt noch im Sinne der Herstellung eines neuen Menschentyps gedacht werden
kann. Es erfordere vielmehr ein „komplexes diskursives Arrangement“. Auf der Ebene
öffentlicher Debatten sei das Mitmachen als nicht mehr begründungspflichtige Normalität zu etablieren. Aber auch auf der Ebene der Verwaltungspraxis müsse „diskursive Arbeit“ geleistet werden, deren Gelingen angesichts der Vielfalt von Lebenswelten, mit denen die Sozialverwaltung konfrontiert sei, stets „prekär“ bliebe.
Auf dieser zweiten Ebene setzen die von Ludwig-Mayerhofer vorgestellten und mit
der dokumentarischen Methode durchgeführten Analysen an. Sie gehen von der Frage
aus, wie die im Rahmen „sozialstaatlicher Governance“ geforderte Kooperativität
zwischen Staat und Bürger hergestellt wird. Die betrachteten Fälle sind im Kontext
der auf Aktivierung umgestellten Arbeitsmarkpolitik angesiedelt und betreffen das dort
vorgesehene „Fallmanagement“. Die Analysen beruhen auf Interviews mit Verwaltungsmitarbeitern und beziehen sich speziell auf die besonderen Rahmenbedingungen
der Betreuung von „Personen unter 25“.
Ludwig-Mayerhofer bestimmt das Handeln der Verwaltungsmitarbeiter als pädagogische Intervention und fragt nach den Deutungsmustern, die dieser Intervention
zugrunde liegen. Anhand zweier kontrastiver Fälle arbeitet er zwei Deutungsmuster
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heraus; dabei sehe das eine die konsequente Durchsetzung arbeitsethischer Imperative
vor, während das andere auf dem Gedanken fallspezifischer Empathie beruhe.
Auch der Beitrag von Ludwig-Mayerhofer macht darauf aufmerksam, dass
Governance in konkreten Kommunikationsprozessen Gestalt annimmt. Der aktivierende Sozialstaat erfordert seine Umsetzung auf der Ebene der Kommunikation von
Verwaltungsmitarbeitern und „Arbeitssuchenden“. Dabei beleuchtet Ludwig-Mayerhofer einen bestimmten Aspekt dieser Kommunikationsprozesse: ihre Deutungsmusterabhängigkeit.
Chantal Magnin behandelt wiederum ein Verfahren der Bürgerbeteiligung. Die von
ihr betrachteten Fälle sind im Bereich der Stadtplanung angesiedelt – neben Umweltund Technikpolitik das Politikfeld, in dem partizipative Verfahren eine besonders
wichtige Rolle spielen. Anhand von Interviews mit Stadtplanern, die mit dem Verfahren der Objektiven Hermeneutik ausgewertet worden sind, geht sie der Frage nach,
welche normativen Bürgervorstellungen in partizipative Verfahren einfließen. Ziel der
Untersuchung ist eine Deutungsmusteranalyse, die es erlaubt, den geteilten und als
unproblematisch unterstellten Deutungshorizont zu bestimmen, in dem sich jene politischen Prozesse entfalten können, die in den Politikwissenschaften den primären
Gegenstand der Untersuchung bilden.
In diesem Zusammenhang arbeitet sie die Umrisse eines Bürgerverständnisses heraus, das in einem erheblichen Spannungsverhältnis zum Bürgerbegriff der repräsentativen Demokratie stehe, der auf institutionalisierten Individualrechten beruhe. Sie
deutet partizipative Verfahren als eine „Technik des Regierens“, mit der ursprünglich
kritische Ideen zur Indienstnahme der Zivilgesellschaft ohne Verankerung von Rechtsansprüchen verwendet würden.
Magnin wirft anhand der beiden von ihr betrachteten Fälle aber auch die Frage auf,
inwiefern das Bürgerverständnis von Stadtplanern selbst einem Wandel unterliegt.
Dieser Wandel fände in zwei Dimensionen statt. Sei die Bürgerbeteiligung im Planungsverfahren ein Rechtsanspruch gewesen, so nehme sie in den neueren Verfahren
einen informellen Charakter an. Aber auch bei den informellen Verfahren zeichne sich
ein Wandel ab. Dieser führe, wenn er sich bestätigen ließe, von Verfahren der Integration von Nutzungsinteressen zu einer mit Marketinginstrumenten inszenierten Bürgerbeteiligung.
Bei Magnin geht es ähnlich wie im Beitrag von Ludwig-Mayerhofer um die Deutungsmuster, die in Governance-Prozesse einfließen, sowohl um die Deutungsmuster,
die einen „participatory governance“ überhaupt erst ermöglichenden Sinnhorizont eröffnen, als auch jene, die der konkreten Ausgestaltung dieser Prozesse eine bestimmte
Richtung geben. Ihre Untersuchung macht in diesem Zusammenhang auf einen wichtigen Aspekt der Untersuchung von Prozessen der „participatory governance“ aufmerksam. Auch die in der Governance-Forschung in jüngerer Zeit verstärkt in den
Vordergrund tretende Frage nach der „demokratischen Qualität“ von Governance-
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Prozessen lässt sich erst im Rahmen einer Betrachtung der realen Kommunikationsstrukturen entsprechender Verfahren und der in ihnen implizierten Bürgerrollen befriedigend beantworten, wie sie in der Untersuchung von Magnin anvisiert wird.
Stefan Kutzner widmet sich dem Phänomen Partizipation von einer anderen Seite.
Kutzner entwickelt ein Modell des auf dem Prinzip der Volkssouveränität gründenden
demokratischen Nationalstaats und leitet daraus zwei unaufhebbare Spannungsverhältnisse ab, aus denen sich strukturelle Legitimationsprobleme ergäben. Dabei handele es sich auf der einen Seite um die Spannung zwischen Individualinteressen und
Allgemeininteresse, auf der anderen um die zwischen Entscheidungszwang und Begründungsverpflichtung. Letztere resultiere im Zusammenhang mit der Bestimmung
des Allgemeininteresses daraus, dass es immer Alternativen gäbe, deren Vernünftigkeit sich erst im Nachhinein zu erweisen vermögen würde. Angesichts dieser Strukturprobleme seien die im Namen des Volkssouveräns getroffenen Entscheidungen immer dem Verdacht der Usurpation ausgesetzt, sei es der durch Lobbyisten oder durch
Experten. Gegen die hierdurch „drohende Erosion demokratischer Legitimität“ wiederum sei das Ideal des „aktiven Bürgers“ als Gegenmittel in Anschlag gebracht worden.
Vor diesem Hintergrund wendet sich Kutzner verschiedenen institutionellen Formen zu, die eine verstärkte Beteiligung des Bürgers gewährleisten sollten, und prüft,
ob sie die identifizierten strukturellen Legitimationsprobleme zu beheben erlaubten.
In partizipativen Verfahren sieht Kutzner vor allem Beratungsgremien, welche die
Grundprinzipien der repräsentativen Demokratie unangetastet ließen, deshalb aber
auch keinen Beitrag zur Bewältigung der in Frage stehenden Legitimationsprobleme
leisten könnten. Die Verfahren der direkten Demokratie wiederum hätten den Charakter einer „plebiszitären Nachkontrolle“, deren bloße Möglichkeit eine größere Bürgernähe der parlamentarischen Entscheidung erzwinge, wodurch „in gewisser Weise
das Repräsentationsprinzip gestärkt“ werde. Schließlich wendet sich Kutzner der vor
allem von Habermas vertretenen Idee einer deliberativen Demokratie zu. Kutzner
wendet gegen Habermas ein, dass die Idee eines aus dem öffentlichen und herrschaftsfreien Diskurs resultierenden Konsenses aufgrund der realen Interessengegensätze und
Wertkonflikte sowie der konstitutiven Unabsehbarkeit der Folgen einer Entscheidung
illusionär sei.
Kutzner gelangt zu dem Schluss, dass die gängigen Ergänzungen zur repräsentativen Demokratie auf einem konfliktfeindlichen Harmonieideal beruhen, das letztlich
in vordemokratischen Legitimationsvorstellungen gründet und damit den eigentlichen
Vorzug der Demokratie verkennt, der gerade im Zulassen von Konflikten besteht. Vor
diesem Hintergrund regt er Deutungsmusteranalysen an, um zu prüfen, ob sich mit
dem Partizipationsgedanken tatsächlich solche vormodernen Legitimationsvorstellungen verbinden.
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Auch der Beitrag von Peter Münte behandelt mit der sogenannten Umweltmediation
ein partizipatives Verfahren. Er deutet es als eine Form des Konfliktmanagements und
ordnet sie in einen sich herausbildenden sozialtechnologischen Innovationszusammenhang ein. Die auf diese Weise zur Verfügung gestellten Instrumente dienen, so die
These, unter anderem der Struktursicherung einer auf der Anwendung von Sachverstand gründenden Herrschaft in politisierten Kontexten.
Im Zentrum des Beitrags steht die Analyse eines Dokumentes, das einem im Zusammenhang mit dem Ausbau eines Flughafens durchgeführten Mediationsverfahren
entstammt und eine wichtige Rolle bei der Einrichtung des Verfahrens spielte. Der
Analyse liegt die Frage zugrunde, wie im Konstitutionsprozess sozialer Wirklichkeit
mit den Mitteln der Sprache soziale Ordnung geschaffen wird, und zwar in Gestalt
konkreter Koordinationsformen sozialer Praxis, die sich unter anderem durch spezifische Rollenschemata und Positionierungsrahmen auszeichnen.
Die Analyse des Dokumententextes zeigt, inwiefern eine Schritt für Schritt den
Konstitutionsprozess sozialer Wirklichkeit nachzeichnende Rekonstruktion einen vielschichtigen Ordnungszusammenhang freizulegen vermag, der sehr viel differenzierter
ist, als die im sozialwissenschaftlichen Diskurs üblichen Kategorisierungen vermuten
ließen.
Münte arbeitet heraus, wie in einem situierten Erzeugungsprozess soziale Ordnung
im Sinne eines alles Handeln umfassenden Zusammenhanges entworfen wird und wie
dabei die vorliegenden Ordnungsmuster nicht nur reproduziert bzw. modifiziert, sondern in wesentlichen Dimensionen rekonfiguriert werden. Vor diesem Hintergrund
wird die These entfaltet, dass das betrachtete Mediationsverfahren auf einem sozialtechnologischen Manipulationsmechanismus beruht, mit dem ein politischer Konflikt
in eine kooperative Planungspraxis überführt wird.
Der Beitrag lenkt den Blick schließlich auch darauf, dass die Governance-Forschung, in dem Maße, in dem sie das in diesem Zusammenhang gefragte sozialtechnologische Wissen bereitstellt, einen lohnenswerten Gegenstand der Wissenschaftsund Techniksoziologie darstellt.
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