978-3-446-42037-3 Weitere Informa

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Leseprobe
Hans-Gerrit Vogt, Heinrich Schultz
Grundzüge des praktischen Strahlenschutzes
ISBN: 978-3-446-42037-3
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sowie im Buchhandel.
© Carl Hanser Verlag, München
Genetische Strahlenschäden
87
7.4 Genetische Strahlenschäden
Bestrahlungen der Fortpflanzungsorgane können in den Keimdrüsen oder Keimzellen genetische Schäden verursachen. Als genetische Schäden werden Veränderungen des Erbgutes (Mutationen) einer Person bezeichnet, die lediglich bei der Nachkommenschaft dieser Person, nicht hingegen bei ihr selbst, krankhafte Erscheinungen hervorrufen, oder die
bereits frühzeitig die Lebensfähigkeit von Nachkommen verhindern. Für derartige Schäden lässt sich eine untere Grenze der Dosis, unterhalb der eine Wirkung mit Sicherheit
nicht auftritt, nicht angeben. Genetische Strahlenschäden werden daher zu den stochastischen Strahlenschäden gerechnet. Zumeist wird angenommen, dass die Wahrscheinlichkeit einer Erbgutschädigung unabhängig von der zeitlichen Folge der Bestrahlungen etwa
proportional zur insgesamt empfangenen Dosis zunimmt.
Mutationen können einzelne Gene (Genmutation) oder auch Chromosomen in Struktur
oder Anzahl (Chromosomenaberrationen) betreffen. Hinsichtlich der Art der Vererbung
kann bei den Mutationen theoretisch zwischen rezessiv und dominant vererbbaren Mutationen unterschieden werden, wobei in der Praxis häufig eine eindeutige Zuordnung nicht
möglich ist. Die rezessiven Mutationen sind dadurch charakterisiert, dass sie sich erst
auswirken, wenn zwei Keimzellen mit gleichartiger Mutation zur Fortpflanzung kommen.
Diese Voraussetzung ist in der Regel erst nach mehreren Generationen gegeben, so dass
Erbschäden aufgrund solcher Mutationen zunächst unerkannt bleiben. Dominante Mutationen wirken sich demgegenüber bereits in der 1. Generation aus. Die dominant vererbten
Mutationen verursachen frühzeitig erkennbare Schäden, die zu einem so großen Fortpflanzungsnachteil führen, dass sie in der Bevölkerung nach etwa 5 bis 20 Generationen
praktisch eliminiert sind. Sie stellen deshalb für die allgemeine Gesundheit der Bevölkerung letzten Endes ein geringeres Risiko dar als rezessive Mutationen, die zunächst unerkannt bleiben und erst nach mehreren Generationen in Erscheinung treten, wenn sie bereits im Erbgut beider Elternteile vorkommen.
Die klinische Wirkung, die von solchen Mutationen beim Menschen hervorgerufen wird,
kann von leichten Anomalien bis zu schweren Leiden reichen, sowie zu Fehl- und Totgeburten führen. Bei etwa 1,65% aller Lebendgeburten wird heute mit Defekten gerechnet,
die auf dominante oder geschlechtsgebundene Mutationen zurückzuführen sind (z.B.
Schielen, Kurzfingrigkeit). Das Auftreten rezessiv bedingter Anomalien wird als wesentlich seltener eingeschätzt (0,75%, z.B. Farbblindheit, Taubstummheit, Albinismus).
Durch Chromosomenaberrationen bedingte Erkrankungen (z.B. Down-Syndrom) haben
eine Häufigkeit von etwa 0,4%. Darüber hinaus werden bei über 70% der Lebendgeburten Defekte vermutet, die kein regelmäßiges Erbverhalten aufweisen und teilweise erst in
höherem Alter manifest werden (irregulärer oder multifaktorieller Erbgang, z.B. angeborene Herzfehler, Epilepsie, Asthma).
Für das durch Strahlenexposition bedingte zusätzliche genetische Risiko gibt es nur grobe
Schätzwerte, die im Wesentlichen aus Untersuchungen an Mäusen hervorgehen, da auch
in Hiroshima und Nagasaki bislang keine signifikante Erhöhung der Anzahl genetischer
Schäden beim Menschen vorliegen. Dabei wird unterschieden zwischen direkt ermittelten
88
Biologische Wirkung ionisierender Strahlung
Schätzwerten, die unmittelbar aus den Anzahlen strahleninduzierter und spontaner dominanter Mutationen im Tierorganismus abgeleitet werden und indirekt bestimmten Schätzwerten, die auf der Ermittlung der so genannten Verdopplungsdosis beruhen. Darunter ist
die Dosis zu verstehen, die in einer Generation gerade ebenso viele Mutationen erzeugt,
wie spontan auftreten. Bei Annahme gleicher Mutationsraten für Maus und Mensch und
bei bekannter Verdopplungsdosis (1 Gy bei der Maus), kann damit das strahleninduzierte
genetische Risiko als Bruchteil des spontanen Risikos verschiedener humangenetisch erfasster Erbkrankheiten (s.o.) ausgedrückt werden.
Schätzungen gehen davon aus, dass der Risikokoeffizient für Erbschäden bei einer fortdauernden Strahlenexposition einer Bevölkerung für die erste Generation der Nachkommenschaft etwa 0,41% bis 0,64% pro Gy und für die zweite Generation etwa 0,53% bis
0,91% pro Gy beträgt. Somit würden in der zweiten Generation einer andauernden Strahlenexposition mit beispielsweise 10 mGy auf 1 Million Lebendgeburten insgesamt rein
rechnerisch bis zu 91 strahleninduzierte Erbschäden auftreten, im Vergleich zu 7,4·105
natürlich vorkommenden Erbschäden. Das Auftreten strahleninduzierter rezessiver Anomalien wird dabei als vernachlässigbar gering eingeschätzt. Für das Risiko der Auslösung
genetischer Strahlenschäden bei späteren Generationen der Nachkommenschaft gibt es
bislang keine verlässlichen Aussagen. Allerdings wird von einem langfristigen Gleichgewicht zwischen entstehenden Mutationen und durch Selektion ausscheidenden Mutationen ausgegangen [beir90, icrp00c, unscear01].
Das Risiko für Erbschäden wird im Strahlenschutz durch den entsprechenden Wichtungsfaktor wT bei der Ermittlung der effektiven Dosis berücksichtigt (s. Tab. 6.2), wobei die
ICRP ein Detriment von gd = 0,8% pro Sv für berufstätige Erwachsene und gd = 1,3%
pro Sv für die Gesamtbevölkerung vorgeschlagen hat (s. Kap. 6.2.2.2, [icrp91a,
icrp91b]).
7.5 Natürliche und zivilisatorische Strahlungsquellen
Die direkte Beurteilung der gesundheitlichen Gefährdung der Bevölkerung durch strahlungsinduzierte Krebserkrankungen und Erbgutveränderungen anhand von Erfahrungswerten für den Menschen ist offensichtlich erst nach vielen Generationen möglich. Als
unmittelbarer Anhaltspunkt für eine Strahlenexposition, die der Bevölkerung durchschnittlich zugemutet werden kann, dient die Exposition durch die natürliche ionisierende
Strahlung in unserer Umwelt und ihre Schwankungsbreite, der alle Lebewesen seit jeher
ausgesetzt waren.
Die natürliche Strahlenexposition wird durch 3 Strahlungsquellen verursacht. Die kosmische Strahlung, die primär aus dem Weltraum stammt, und die terrestrische Strahlung, die von den natürlich radioaktiven Stoffen in der Erdkruste ausgeht, führen zu einer äußeren (externen) Strahlenexposition. Durch Inhalation und Ingestion von
natürlichen radioaktiven Stoffen kommt eine interne Strahlenexposition im Menschen
selbst zustande [eis97].
Natürliche und zivilisatorische Strahlungsquellen
89
Die vor allem aus der Galaxis sowie von der Sonne kommende primäre Komponente der
kosmischen Strahlung besteht vorwiegend aus hochenergetischen Protonen und einem
kleineren Anteil an Heliumkernen. Es sind Teilchenenergien bis zu 1014 MeV nachgewiesen. Bei Wechselwirkungen dieser Teilchen mit den Atomen der oberen Atmosphärenschichten entstehen energiereiche Nukleonen, Spallationsprodukte und andere Elementarteilchen, die sich bei weiteren Reaktionen kaskadenartig vermehren können und die
sekundäre Komponente der kosmischen Strahlung bilden. Die in Meereshöhe resultierende Ortsdosisleistung wird im Wesentlichen von den sehr durchdringungsfähigen Myonen8 sowie Elektronen und Neutronen erzeugt. Sie beträgt in Mitteleuropa etwa 32 nSv/h.
Insgesamt ergibt sich für die kosmische Strahlenexposition eine mittlere effektive Dosis
der Bevölkerung von 0,3 mSv pro Jahr (s. Tab. 7.8).
Im erdnahen Bereich verdoppelt sich die Ortsdosisleistung der kosmischen Strahlung mit
zunehmender Höhe etwa alle 1500m. Die maximale Strahlenexposition durch kosmische
Strahlung ist in den periodisch wiederkehrenden Zeiträumen geringer Strahlungsaktivität
der Sonne zu erwarten, da die solaren Teilchenkomponenten die galaktische Strahlung beeinflussen. Bei geringer solarer Aktivität wurden in der Äquatorregion Ortsdosisleistungen von 1 μSv/h in 8 km Höhe und von 2,5 μSv/h in 12 km Höhe ermittelt. Durch den
Einfluss des Erdmagnetfeldes liegen die entsprechenden Ortsdosisleistungen in der Polregion bei 2 μSv/h bzw. 8 μSv/h. Für die Ortsdosisleistungen bei hoher solarer Aktivität
werden Werte bis zu etwa 2 μSv/h in 12 km Höhe angegeben [ssk03b].
Von den durch die kosmische Strahlung vor allem bei (n,p)-Reaktionen ständig neu gebildeten so genannten kosmogenen Radionukliden tragen H-3, Be-7, C-14 und Na-22 durch
Inkorporation geringfügig zur internen Strahlenexposition bei.
Die im Wesentlichen durch Gammastrahlung verursachte terrestrische Strahlenexposition
geht von den so genannten primordialen Radionukliden in der Erdkruste aus, die so große
Halbwertzeiten haben, dass sie seit Entstehung der Erde immer noch vorhanden sind. Die
meisten dieser Nuklide gehören in eine der 3 Zerfallsreihen dieser Nuklide, von denen
nur die von U-238 und Th-232 ausgehenden Reihen nennenswert zur Strahlenexposition
beitragen. Von den primordialen Radionukliden außerhalb der Zerfallsreihen ist lediglich
K-40 von Bedeutung. Tab. 7.3 gibt einen Überblick über den Wertebereich und den Mittelwert des Gehalts an natürlich radioaktiven Stoffen in Gestein, Bau- und Abfallstoffen
sowie sonstigen Materialien.
Aufgrund der unterschiedlichen Zusammensetzung von Boden und Untergrundgestein
unterliegt die terrestrische Strahlung starken regionalen Schwankungen. Bei Messungen
der Gammastrahlung im Freien in Deutschland in den Jahren 1972 bis 2001 ergaben sich
Ortsdosisleistungen zwischen weniger als 5 nSv/h bis zu etwa 450 nSv/h. Typische Werte
für Norddeutschland liegen zwischen 75 und 105 nSv/h, während in Mittelgebirgen Werte
bis zu 230 nSv/h festgestellt wurden. Der Mittelwert wird mit 57 nSv/h angegeben.
8
kurzlebige, masse- und (±)ladungsbehaftete Elementarteilchen, Ruheenergie: 105 MeV; ca. 1 GeV
Energieverlust pro 50 cm Eisenabschirmung
90
Biologische Wirkung ionisierender Strahlung
Tab. 7.3: Messwertbereich und Mittelwert der spezifischen Aktivität verschiedener Baustoffe, Rückstände und sonstiger Materialien [bmu02f, bmu03h]
Material
Spezifische Aktivität in Bq/kg
K-40
Granit
Basalt
Kalkstein, Marmor
Kies, Sand
Natürlicher Gips
Tuff, Bims
Ton, Lehm
Ziegel, Klinker
Beton
Kalksandstein
Leichtbeton
Kupferschlacke
Braunkohlenfilterasche
Feldspat
Monazitsand
(Indien)
PK-Dünger*
Superphosphate**
Steinkohle
Ra-226
Th-232
Bereich
Mittelwert
Bereich
Mittelwert
Bereich
Mittelwert
600–4000
190–3800
< 40–240
3–1200
6–3800
500–2000
300–2000
100– 2000
50–1300
40–800
700–1600
300–7300
12–6100
1000
270
90
380
70
1000
1000
700
450
200
1100
520
147
30–500
6–36
4–41
1–39
2–70
< 20–200 0
< 20–90 00
10–200
7–92
6–80
< 20–90 00
860–2100
4–200
100
26
24
15
10
100
40
50
30
15
30
1500
82
17–3110
9–370
2–200
1–640
1–100
30–3000
18–2000
12–2000
4–710
1–600
< 20–80 000
18–7800
6–150
120
29
5
16
7
100
60
52
23
10
30
48
51
2000–4000
< 40–7000
3000
40
40–100
30–1000
60
600
70–2000
50–3000
100
2000
52–1400
7–700
5900
96
225
230–5200
5–150
370
375
32
15–4400
5–6300
15
30
21
** Deutschland
** Maximalwerte: K-40: 6200 Bq/kg; Ra-226: 1150 Bq/kg; U-238: 3000 Bq/kg
In Gebäuden verursachen Wände und Decken durch die in den Baumaterialien enthaltenen natürlich radioaktiven Stoffe einerseits und die unterschiedliche Abschirmungswirkung andererseits zusätzliche Änderungen der Strahlenexposition. Dabei ist innerhalb
von massiven Häusern in der Regel stets eine größere Ortsdosisleistung zu erwarten als
im Freien. Bei starken regionalen Schwankungen in einem Wertebereich zwischen
20 nSv/h und 700 nSv/h wird ein Mittelwert der Ortsdosisleistung in Gebäuden von
80 nSv/h angegeben. Unter Berücksichtigung einer Aufenthaltszeit von 5 Stunden pro
Tag im Freien ergibt sich daraus eine mittlere effektive Dosis der Bevölkerung durch terrestrische Strahlung von etwa 0,4 mSv im Jahr (s. Tab. 7.8) [bfs97a/b, bfs98b, bfs03b,
bmi78, bmu03h, bon90, fs85, ssk98a].
Gegenwärtige Messungen liefern verschiedentlich noch erhöhte Ortsdosisleistungen
durch Cs-137+ aus der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl im April 1986. Die aus dieser externen Strahlenexposition resultierende mittlere effektive Dosis für Erwachsene in
Deutschland wird mit etwa 13 μSv im Jahr eingeschätzt. In einigen Bereichen des Voralpengebiets können allerdings bis zum Faktor 10 höhere Dosiswerte erreicht werden.
Natürliche und zivilisatorische Strahlungsquellen
91
Einige kleinere Gebiete auf der Erde weisen besonders hohe Ortsdosisleistungen der Umgebungsstrahlung auf, da im Untergrund hohe Aktivitätskonzentrationen natürlich radioaktiver Stoffe vorliegen (thoriumhaltiger Monazitsand in Brasilien, Indien und Kenia,
Granitgestein mit hohem Thorium- und Urangehalt in Frankreich). In Tab. 7.4 sind Beispiele für Orte extrem hoher Strahlenexposition mit den maximal gemessenen Ortsdosisleistungen zusammengestellt. Über Gelände des Uranbergbaus in Schweden sind noch
darüber hinausgehende Ortsdosisleistungen bis zu 100 μSv/h gemessen worden [val00,
wei96].
Tab. 7.4: Regionen mit erhöhter terrestrischer Strahlenexposition (Maximalwerte)
[bon90, kie92, sie96, unscear93]
Land (Region)
Frankreich (Granitbezirke)
Indien (Kerala-Küste)
Indien (Tamil Nadu)
Brasilien (Atlantikküste)
Kenia (Mombasa)
Iran (Stadt Ramsar)
Ortsdosisleistung
nSv/h
2500
4000
6000
4000
12000
30000
Die durch Inhalation bedingte interne Strahlenexposition kommt fast ausschließlich
durch die radioaktiven Folgeprodukte der aus den natürlichen Zerfallsreihen stammenden
gasförmigen Radionuklide Rn-222 und Rn-220 zustande. Diese Gase diffundieren aus
Boden, Baumaterialien und Wasser in die Atmosphäre und gelangen zusammen mit den
radioaktiven Folgeprodukten, die sich als Schwermetallionen an die Aerosole anlagern,
über die Atemluft in die Lunge. Ein Teil der eingeatmeten Partikel wird im Bereich der
Luftröhrenverzweigungen (Bronchien) und Lungenbläschen (Alveolen) abgelagert, wo
besonders empfindliche Zellmasse bestrahlt wird.
Im größten Teil Deutschlands liegt der Wertebereich der Aktivitätskonzentration des
Rn-222 in der Luft im Freien zwischen 5 und 30 Bq/m3. In Gebieten mit besonderen
geologischen Bedingungen werden Konzentrationen bis maximal 80 Bq/m3 im Jahresmittel erwartet. Allerdings sind in bergbaulich beeinflussten Gebieten (Schlema) auch
Maximalwerte bis zu 1500 Bq/m3 in der bodennahen Luft ermittelt worden. Charakteristisch für große Gebiete Nord- und Mitteldeutschlands sind Aktivitätskonzentrationen
von 10–15 Bq/m3.
In den meisten Häusern mit hoher Radonkonzentration ist der Bodenbereich unter dem
Haus die Hauptquelle der Rn-Zufuhr. Die Radonkonzentration in der Bodenluft in 1m
Tiefe gilt dementsprechend als Kenngröße zur Identifizierung von Gebieten, in denen
vermehrt radonbelastete Häuser anzutreffen sind. Bei Aktivitätskonzentrationen unter
10 kBq/m3 in der Bodenluft sind erhöhte Radonkonzentrationen in Häusern kaum zu erwarten. Dies betrifft etwa 20% der Fläche Deutschlands, insbesondere das norddeutsche
92
Biologische Wirkung ionisierender Strahlung
Tiefland. Aktivitätskonzentrationen über 80 kBq/m3 in der Bodenluft, die etwa bei 9%
der Fläche Deutschlands anzutreffen sind, führen dagegen in älteren Häusern häufig zu
Radonkonzentrationen von mehr als 400 Bq/m3. Die in etwa 50000 Wohnungen in
Deutschland durchgeführten Untersuchungen der Radonkonzentration in der Raumluft
von Häusern liefern stark schwankende Messergebnisse. Die Messwerte liegen im Bereich zwischen einigen Bq/m3 und über 10000 Bq/m3, wobei ein Mittelwert von etwa
50 Bq/m3 angegeben wird. In Bergbaugebieten wurden in Einzelfällen kurzzeitig bis zu
600 kBq/m3 und im Jahresmittel 15 kBq/m3 erreicht. Verschiedentlich sind auch die verwendeten Baumaterialien (z.B. bei Verwendung von Bergwerksabfällen) als Ursache erhöhter Radonkonzentration in Gebäuden ermittelt worden. Der Beitrag von Baumaterialien ist jedoch zumeist deutlich geringer als 100 Bq/m3 und beträgt im Durchschnitt etwa
30 Bq/m3 [bfs93c, bfs95, bfs97a/b, bfs03d, bfs05a, bmi85].
Gemäß Empfehlung der EU-Kommission sollten Wohnhäuser saniert werden, wenn die
Radonkonzentration den Referenzwert von 400 Bq/m3 überschreitet. Für Neubauten wird
ein Planungsrichtwert von 200 Bq/m3 vorgegeben. Als Obergrenze eines unvermeidbaren
Normalbereichs der langfristigen Radonkonzentration in Häusern sieht die Strahlenschutzkommission einen Wert von 250 Bq/m3. Bei darüber hinausgehenden Konzentrationen werden Sanierungsmaßnahmen empfohlen, mit denen der Transfer von Radon aus
dem Gebäudeuntergrund in die Häuser verringert wird (z.B. Erhöhung der Lüftungsrate,
Abdichtung von Fundament und Kellerwänden, Gasdrainage [bfs96d, cot87, icrp88a,
leh01, ncrp89, ssk88f, ssk92d, ssk02a].
Bei Annahme einer langfristigen Aufenthaltswahrscheinlichkeit in Räumen von 80%,
eines Gleichgewichtsfaktors 0,4 und der mittleren Rn-Konzentration von 50 Bq/m3 folgt
eine jährliche gleichgewichtsäquivalente Radonexposition in Räumen von 16 Bq ⋅ a/m3
(0,79 mJ ⋅ h/m3). Unter Berücksichtigung der Dosis-Konversions-Konvention für die allgemeine Bevölkerung ergibt sich die damit verbundene effektive Dosis zu 0,9 mSv
(s. Tab. 7.8, Kap. 10.3.1) [ett02, ssk98d, ssk01].
Zu der über die Nahrungsaufnahme verursachten Strahlenexposition tragen außer den
Radionukliden aus den Zerfallsreihen sowie den primordialen Radionukliden K-40 und
Rb-87 auch die oben genannten kosmogenen Radionuklide merklich bei. Infolge ihrer
nuklidspezifischen Verteilung im Organismus werden die verschiedenen Organe und
Gewebe des menschlichen Körpers unterschiedlichen Strahlendosen ausgesetzt.
Tab. 7.5 und 7.6 zeigen Zusammenstellungen der spezifischen Aktivitäten einiger natürlicher Radionuklide in Nahrungsmitteln und Aktivitätskonzentrationen in Wasser.
Ferner sind in Tab. 7.7 die Ergebnisse von Aktivitätsmessungen des künstlichen Radionuklids Cs-137 wiedergegeben, das bei der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl freigesetzt wurde.
Bezüglich der insgesamt durch Inkorporation natürlich radioaktiver Stoffe (außer
Radon) verursachten effektiven Dosis gilt ein mittlerer Wert von 0,3 mSv pro Jahr. Die
durch die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl im Jahr 2001 verursachte zusätzliche
effektive Dosis durch interne Strahlenexposition wird mit weniger als 2 μSv angegeben.
93
Natürliche und zivilisatorische Strahlungsquellen
Tab. 7.5: Mittelwert* der spezifischen Aktivität natürlich radioaktiver Stoffe in Nahrungsmitteln in
Deutschland [bmu03h]
Nahrungsmittel
Getreide
Kartoffeln
Kohl
Möhren
Obst
Beerenobst
Pilze
Fleisch
Fischfleisch
Milch
Spezifische Aktivität in Bq/kg Frischmasse
K-40
U-238
150
150
130
100
50
140
120
90
100
50
0,10
0,60
0,30
0,70
0,60
0,40
1,30
0,01
4,10
k. A.
Ra-226
Pb-210
0,300
0,200
0,200
0,200
0,200
2,200
1,200
0,100
1,500
0,025
Po-210
1,40
0,10
0,30
0,60
0,20
8,40
1,20
0,50
0,80
0,04
0,300
0,100
0,200
0,600
0,100
1,600
1,300
2,000
1,100
0,024
* Die obere Grenze des Wertebereichs kann bei K-40 um den Faktor 3, bei den übrigen Nukliden bis etwa
zum Faktor 10 über dem Mittelwert liegen
k. A. keine Angabe
Tab. 7.6: Konzentrationen wichtiger natürlich radioaktiver Stoffe in Wasser in Deutschland
[aen01, bfs00b/c, bfs03d, bmu03h, mic01, rüh95, ssk04b]
Nuklid
H-3
K-40
Pb-210
Po-210
Rn-222
Ra-226
Ra-228
U-234
U-238
Th-228
Th-232
Aktivitätskonzentration in mBq/l
Meerwasser
(Nord-, Ostsee)
Grundwasser
Trinkwasser
Mineralwasser
Bereich
Bereich
Bereich***
Medien
Bereich
Mittel
20–100
11800–12300
0,4–2
0,6–1,9
k. A.
0,8–8
0,8–8
47
40–44
0,004–0,3
0,0004–0,029
< 40–400
11–15000
< 1–200
< 1–80
2·103 –1,5·106*
< 4–400
< 1–30
k. A.
1–200
k. A.
0,4–70
3–800
< 0,2–170
< 0,1–40
< 1·103 –1,6·105
< 0,5–32
< 0,5–23
< 0,5–350
< 0,5–310
0,2–6
< 0,1–4
200
70
1,5**
0,5**
5900
5
3**
6**
5**
0,2**
0,1**
30–16000
2–53
0,4–9
–
< 0,5–310
k. A.
0,4–2800
0,4–1400
1–56
k. A.
–
1500
9
2
–
23
k. A.
19
7
9
k. A.
k. A. keine Angabe
*** Extremwerte: Katharinenquelle in Sybillenbad: bis 4,5 kBq/l; Wettinquelle in Bad Brambach: bis
23,3 kBq/l
*** Schätzwerte, abgeleitet aus Messdaten in Gebieten erhöhter natürlicher Radioaktivität
*** die obere Bereichsgrenze wird durch die 95%-Perzentile gebildet, d.h. in 5% der Fälle treten höhere
Werte auf, die in Extremfällen bis zu zwei Größenordnungen darüber liegen können.
94
Biologische Wirkung ionisierender Strahlung
Tab. 7.7: Spezifische Cs-137-Aktivität in Nahrungsmitteln in Deutschland [bmu03h]
(Messungen aus dem Jahr 2002)
Nahrungsmittel
Rohmilch
Rindfleisch
Schweinefleisch
Reh
Wildschwein
Seefisch
Süßwasserfisch
Kartoffeln
Roggen
Hafer
Weizen
Blattgemüse
Wurzelgemüse
Steinobst
Kernobst
Pfifferling
Maronenröhrling
Steinpilz
Kaffee
Tee, schwarz
Blütenhonig
Babynahrung
Spezifische Aktivität von Cs-137
in Bq/kg Frischmasse
Bereich
Mittel
Anzahl der
Messungen
< 0,01 – 2,8
< 0,04 – 19,3
0,05 – 2,68
0,14 – 677
0,11 – 1780**
< 0,1 – 11
< 0,1 – 1,9
0,03 – 0,84
0,03 – 2,05
< 0,08 – 1,38
< 0,02 – 1,6
0,01 – 3,8
0,03 – 2,02
0,02 – 2,47
0,01 – 0,47
0,74 – 357
16,5 – 1310
0,82 – 330
0,19 – 0,25
< 0,5 – 1,72
0,06 – 303
< 0,001 – 7,24
< 0,20*
< 0,77
< 0,23
< 42
< 213
0,26***
0,42***
< 0,16
< 0,2
< 0,23
< 0,16
< 0,21
< 0,18
< 0,15
< 0,13
< 78,4
286
55,1
< 0,21
< 0,94
< 39,4
< 0,17
1146
374
369
141
445
99
26
177
173
19
338
710
186
113
195
54
42
48
3
3
21
253
*** Trinkmilch: < 0,1 Bq/kg
*** im Einzelfall wurden Werte von mehreren zehntausend Bq/kg gemessen
*** Medianwert
Aufgrund der regionalen Schwankungen der natürlichen Strahlenexposition kann zwischen zwei Orten durchaus mit jährlichen Expositionsunterschieden bis zu 5 mSv bei der
effektiven Dosis gerechnet werden. Für Strahlenexpositionen, die durch den Umgang mit
künstlichen Strahlungsquellen verursacht werden, ist in Deutschland bei Einzelpersonen
der Bevölkerung eine effektive Dosis von 1 mSv im Jahr als Grenzwert festgelegt. Damit
dürfte die zusätzliche mittlere Strahlenexposition der Bevölkerung vermutlich in der Größenordnung der mittleren Schwankungsbreite der von Wohnort und Lebensweise der Personen abhängigen natürlichen Strahlenexposition liegen. Diese Überlegung ist heute ein
wesentliches Argument bei der Begründung „zumutbarer“ Strahlenexpositionen für die
allgemeine Bevölkerung.
In Tab.7.8 sind neben den Beiträgen der natürlichen Strahlenexposition auch noch die Anhaltswerte für die derzeitige mittlere Strahlenexposition durch zivilisatorische Strahlungs-
Natürliche und zivilisatorische Strahlungsquellen
95
Tab. 7.8: Mittlere effektive Dosis der Bevölkerung in Deutschland im Jahr 2002 [bmu05a]
Strahlungsquelle
Effektive Dosis
in mSv im Jahr
Natürliche Strahlenexposition
Kosmische Strahlung
Terrestrische Strahlung
Aufenthalt im Freien
Aufenthalt in Gebäuden*
Ingestion
Inhalation von Radon
Aufenthalt im Freien
Aufenthalt in Gebäuden*
2,1
Zivilisatorische Strahlenexposition
Röntgendiagnostik
Nuklearmedizinische Diagnostik
Industrieerzeugnisse, technische Strahlungsquellen
Störstrahler
Berufliche Strahlenexposition
Kerntechnische Anlagen
Fallout von Kernwaffenversuchen
2,1
Tschernobyl-Reaktorkatastrophe
Bodenstrahlung
Inkorporierte radioaktive Stoffe
< 0,015
< 0,013
< 0,002
Gesamte mittlere Strahlenexposition
4,2
0,3
0,4
0,1
0,3
0,3
1,1
0,2
0,9
2,0
0,13
< 0,01
< 0,01
< 0,01
< 0,01
< 0,01
* Zivilisatorisch beeinflusste natürliche Strahlenexposition
quellen angegeben. Die künstliche Strahlenexposition wird im Wesentlichen durch die
(zur Gesundheitsfürsorge erfolgenden) medizinischen Strahlenexpositionen verursacht.
Tab. 7.9 zeigt dazu beispielhaft die bei einigen häufiger vorkommenden röntgendiagnostischen Untersuchungen zu erwartenden effektiven Dosen. Bei der Einschätzung der
Strahlenexpositionen der einzelnen Untersuchungsarten ist allerdings zu beachten, dass
die Organdosen der bestrahlten Gewebe wesentlich höher liegen können, zumal häufig
nur Teile von Geweben und Organen bestrahlt werden. Zusätzlich sind für einige Aufnahmearten die vom Bundesamt für Strahlenschutz veröffentlichten diagnostischen Referenzwerte (DRW) der Oberflächendosis (Hautdosis) angegeben, die bei guter und üblicher Praxis nicht überschritten werden sollen. Die Oberflächendosis kann als
charakteristische Messgröße dienen, mit deren Hilfe die Strahlenexposition des übrigen
Körpers aus den Bestrahlungsbedingungen berechnet werden kann [ber95, dre93, fri97,
gal00, icrp86a, ssk95a, unscear88, vog89].
In Tab. 7.10 sind die effektiven Dosen für einige nuklearmedizinische Untersuchungsverfahren mit dem üblichen Wertebereich der applizierten Aktivität zusammengestellt.
Schilddrüsen-, und Skelettszintigraphien waren in den Jahren 1996 bis 2000 die am häu-
96
Biologische Wirkung ionisierender Strahlung
figsten durchgeführten Untersuchungen in Deutschland. Die Skelettszintigraphie lieferte
mit fast 50% den größten Beitrag zur kollektiven effektiven Dosis.
Tab. 7.9: Mittlere Werte der effektiven Dosis bei häufigen Röntgenuntersuchungen an Standardpatienten (70 ± 5 kg) (Ergebnisse von Messungen des BfS und aus Forschungsvorhaben in Deutschland) [bfs03a, bmu03h, ssk04d]
Untersuchungsart
Effektive Dosis E
in mSv
Oberflächendosis (DRW)
in mGy
Röntgenaufnahmen
Zahn
Gliedmaßen (Extremitäten)
Schädel
Halswirbelsäule in 2 Ebenen
Brustkorb (Thorax), 1 Aufnahme
Mammographie beidseits in je
2 Ebenen
Brustwirbelsäule in 2 Ebenen
Lendenwirbelsäule in 2 Ebenen
Beckenübersicht
Bauchraum (Abdomenübersicht)
≤ 0,01
0,01–0,1
0,03–0,1
0,09–0,15
0,02–0,05
0,2–0,6
0,5–0,8
0,8–1,8
0,5–1,0
0,6–1,1
ap, pa: 5; lat: 3
ap: 0,3; lat: 1,5
10
ap: 7; lat: 12
ap: 10; lat: 30
ap: 10
10
Röntgenaufnahmen und -durchleuchtung
Magen
Darm (Dünndarm bzw. Kolonkontrasteinlauf)
Galle
Harntrakt (Urogramm)
Bein-Becken-Phlebographie
Arteriographie und Interventionen
,
,
,
6–12
10–18
1–5
2,5–7
0,5–2
10–20
Computertomographie
Kopf
Wirbelsäule
Brustkorb (Thorax)
Bauchraum (Abdomen)
,
,
,
,
2–4
3–10
6–10
10–25
DRW: Diagnostische Referenzwerte
ap: von vorn
pa: von hinten
lat: von der Seite
Hinsichtlich der Folgen des Reaktorunfalls von Tschernobyl sei auf die ausführlichen
Darstellungen in der Fachliteratur hingewiesen [bel00, bfs90, bfs91b, bfs92a/b, bfs94,
bfs96a/e, che91, fs86, kin03, krö89, nea87, nea02, nea06, ram86, ras88, sch87a, ssk86b,
ssk87, ssk96a, ssk06b, unscear00a/b].
Arbeiten in natürlichen Strahlungsfeldern
Tab. 7.10:
97
Effektive Dosen nuklearmedizinischer Untersuchungen bei Erwachsenen [dgn99, icrp88c,
icrp93a, ssk95a]
Untersuchung
Schilddrüse
Radioiodtest
Radioiodtest
Herzmuskel
(Myocard)
Skelett
Lunge
Leber
Tumordarstellung
mit PET3
Radiopharmakon
Applizierte
Aktivität in
MBq
Energiedosis1
mGy/MBq
Effektive
Dosis2
mSv/MBq
Tc-99m-Pertechnetat
I-131 (NaI)
I-123 (NaI)
Tl-201-Chlorid
20–8000
1–500
5–10
50–150
0,084 Dd
500 Sd,000
4,5 Sd
,0,54 Ni0
0,013
15,000
0,15
0,23
Tc-99m-Phosphonate
und Phosphate
Tc-99m-DTPA
Tc-99m-SchwefelKolloid
(F-18) Flurdeoxyglucose (FDG)
500–1000
0,063 Kn
0,008
20–4000
40–1200
,0,047 Bl
0,074 Lb
0,007
0,01
350–7500
,0,17 Bl
0,027
1 Energiedosis pro applizierte Aktivität für das am höchsten belastete Organ; Dd Dickdarm, Sd Schilddrüse, Ni Niere, Kn Knochen, Bl Blase, Lb Leber
2 Effektive Dosis pro applizierte Aktivität
3 Positronen-Emissions-Tomographie
7.6 Arbeiten in natürlichen Strahlungsfeldern
Die natürliche Strahlenexposition durch die kosmische Strahlung und die natürlichen Radionuklide in unserer Umwelt kann in Deutschland effektive Dosen bis zu etwa 6 mSv erreichen, ohne dass der Mensch darauf durch zivilisatorische Maßnahmen Einfluss
genommen hat. Beim Fliegen in größeren Höhen, durch Verwendung natürlicher radioaktiver Stoffe oder durch den Eingriff in die Erdkruste kann dieser Wert jedoch überschritten werden, so dass eine Überwachung der betroffenen Personen aus der Sicht des Strahlenschutzes angebracht erscheint. Ursache für die Strahlenexposition durch natürliche
Radionuklide (NORM9) sind vor allem Uran und Thorium mit ihren radioaktiven Folgeprodukten. Die Inhalation dieser Radionuklide liefert dabei in den meisten Fällen den
größten Beitrag zur effektiven Dosis der Beschäftigten. An einigen Arbeitsplätzen werden relativ hohe Strahlenexpositionen durch Radon und seine Folgeprodukte erzeugt.
Eine Radonkonzentration von 1000 Bq/m3 kann bei Arbeitszeiten von 2000 h im Jahr und
einem mittleren Gleichgewichtsfaktor von 0,4 einer effektive Dosis von etwa 6 mSv
gleichgesetzt werden (s. Kap. 10.3.1).
Im Folgenden sind typische Arbeiten im Zusammenhang mit natürlichen Strahlungsquellen in Deutschland sowie die erwarteten effektiven Dosen im Jahr zusammengestellt
[bie96, bfs99, bmu02f, bmu03d, bmu03h, iaea03a, ssk97a].
9
Naturally Occuring Radioactive Material
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