DISKUSSION

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M E D I Z I N
DISKUSSION
zu dem Beitrag
Sprachanbahnung über
elektronische Ohren –
So früh wie möglich
von
Prof. Dr. med. Rainer Klinke
Dr./SK Andrej Kral
Dr.-Ing. Rainer Hartmann
in Heft 46/2001
Frühförderung evident
Mit Freude muss man den Autoren
dieses Artikels danken, der die Frühförderung von Säuglingen mit Hörhilfen hervorhebt, und der unsere Erfahrung mit der Versorgung von Hörhilfen von Säuglingen bestätigt. So hat
unsere Praxis schon 1982 Normwerte
für die Registrierung von Hirnstammpotenzialen bei Säuglingen vorgelegt
(1). Weiterhin kann man die neurale
Reifung an den kognitiven Potenzialen älterer Kinder verfolgen (2, 3).
Sinnvoll ist ein Früherkennungsprogramm von Neugeborenen, dieses ist
jedoch auch in den USA nicht in allen
Bundesstaaten realisiert. Es wurde
von Marion Downs an der Universität
Colorado begründet, und in den USA
werden von 4 Millionen Geburten pro
Jahr 1,1 Millionen Kinder erfasst (4).
An der Universität Colorado gelang es
zwischen 1992 und 1998 die falschpositive Rate erfasster Schwerhörigkeiten von 6 Prozent auf 2 Prozent zu minimieren. Dieses sind international
gesehen optimale Werte. Da man in
Deutschland circa 800 000 Geburten
pro Jahr hat, ergibt sich eine Schwerhörigenzahl von 800 schwerhörigen
Kindern, ein Promille.
In Relation zu einer optimalen Erkennungsrate von 2 Prozent hieße es,
dass auf ein schwerhörig erkanntes
Kind 19 Eltern mit der möglichen Verdachtsdiagnose einer Schwerhörigkeit
konfrontiert und verunsichert werden.
Auch ist Deutschland von einer flä-
chendeckenden Früherkennung personell und finanziell weit entfernt. Daher würden wir zunächst als Übergangslösung das effektive Modell der
Universitätsklinik Amsterdam vorschlagen (5).
Auf pädiatrische Intensivabteilungen gelangen alle Risikokinder. Hier
liegt die Relation im Erkennen einer
Schwerhörigkeit bei 1 : 50. Damit wird
ein wesentlich größerer und effektiverer Faktor geschaffen, und man muss
nur diese Intensivstationen optimal
mit den entsprechenden Geräten zur
Messung von otoakustischen Emissionen und Hirnstammpotenzialen ausrüsten. Als Risikofaktoren werden folgende Erkrankungen angesehen (4):
❃ Kongenitale perinatale Infektionen mit Zytomegalie, Röteln, Syphilis,
Herpes und Toxoplasmose,
❃ Kraniofaziale Anomalien, Dysmorphien des Gesichtsschädels, Gaumenspalten, abnorme Ohrformen und
äußere Gehörgänge,
❃ niedriges Geburtsgewicht von
weniger als 1 500 g,
❃ Hyperbilirubinämie,
❃ Ototoxische Medikation,
❃ Bakterielle Meningitis,
❃ Apgarindex von 0 bis 4 nach einer
Minute, oder von 0 bis 6 nach fünf Minuten, Zustand nach längerer Beatmung,
❃ Familienanamnese mit Schwerhörigkeiten.
Auf diese Weise können Kinder aus
Risikogruppen schnell, sicher und effizient erkannt werden.
Ein weiteres Problem beginnt jedoch dann für die Eltern, das der Hörgeräteversorgung. Setzt man die 800
schwerhörigen Kinder in Relation zur
Zahl der HNO-Ärzte, ergibt sich, dass
ein HNO-Arzt ein schwerhöriges Kind
etwa alle vier Jahre sieht, bei Hörgeräteakustikern ist die Zahl nicht anders.
Eine kindgerechte Hörgeräteversorgung kommt so kaum zustande.
Literatur
1. Baschek V, Steinert W: Diagnostik neuraler kindlicher
Hörstörungen mittels Messung akustisch evozierter
Hirnstammpotentiale. Pädiat Prax 1982; 27: 245–
254.
2. Rothenberger A, Baschek V: P_300 in children with
different cognitive abilities. In: Rothenberger A:
Event-related potentials in children, developments in
neurology. Elsevier Biomedical Press 1982: 317–325.
Deutsches Ärzteblatt½ Jg. 99½ Heft 12½ 22. März 2002
3. Baschek V, Steinert W: Die Diagnostik zentraler Hörstörungen bei Kindern mit Legasthenie. Pädiat Prax
1997; 53: 433–442.
4. Horn KL et al.: Early Identification and intervention of
hearing-impaired infants. Otolaryngol Clin N Amer
1999; 6: 32.
5. van Staaten HLM et al.: Evaluation of an automated
auditory brainstem response infant hearing screening
method in at risk neonates. Eur J Pediatr 1996; 155:
702–705.
Dr. med. Volker Baschek
Dr. med. Wilhelm Steinert
Ebertstraße 20
45819 Gelsenkirchen
Schlusswort
Wir bedanken uns ausdrücklich für
den engagierten Leserbrief der Kollegen Baschek und Steinert, die das angesprochene Problem früh aufgegriffen haben. Sie formulieren hier Bedenken gegen ein generelles Gehörscreening mit Einwänden, die bei jedem
Screening diskutiert werden. Sicher
macht ein Screening nur einen Sinn,
wenn sich daraus therapeutische Konsequenzen ergeben. Dies ist beim
Gehörscreening ohne Zweifel der Fall.
Ferner sollte es sich um Störungen
handeln, die nicht extrem selten sind.
Angeborene Gehörlosigkeit oder
Schwerhörigkeit sind indessen vergleichsweise häufig. Baschek und Steinert geben selbst einen Fall auf 1 000
Lebendgeborene an. Zum Vergleich:
Das seit rund 30 Jahren eingeführte
Screening auf Phenylketonurie betrifft
einen Defekt, den man einmal auf
8 000 bis 10 000 Lebendgeborene zu
erwarten hat. Beim Hypothyreosescreening beträgt das Verhältnis in
Deutschland im Mittel 1 : 4 000. Seit
der Einführung der Tandem-Massenspektrometrie screenen wir bei Neugeborenen insgesamt 20 Parameter, aber
auf die häufigsten konnatalen Defizite,
die Hörstörungen, screenen wir nicht.
Dies zeigt wohl auch, dass das Hören
im Bewusstsein der Öffentlichkeit
nicht die Aufmerksamkeit findet, die
ihm gebührt.
Ohne Zweifel können positive Befunde Eltern verunsichern. Hier ist eine vernünftige Aufklärung vor dem
Screening gefragt. Es geht nicht darum, Schwerhörigkeit zu diagnostizieren, sondern darum, die Kinder herauszufinden, bei denen eine differen-
A 793
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zierte Diagnostik notwendig ist. Wenn
das den Eltern verständlich dargelegt
wird, dürfte es keine unzumutbaren
Verunsicherungen geben. Dass dies
möglich ist, wissen wir vom Ultraschall-Screening der Hüftgelenke und
der Harnwege.
Die von Baschek und Steinert zitierten Risikogruppen sind nicht das Problem. Kinder, die in ihrer Perinatalanamnese die genannten Risiken
aufweisen, werden in aller Regel engmaschig nachuntersucht, insbesondere
kinderneurologisch. Dabei werden
Hörstörungen mit hoher Wahrscheinlichkeit rechtzeitig gefunden. Das Problem sind hingegen Kinder ohne auffällige Anamnese, bei denen nicht
nach sensorischen Defiziten gefahndet
wird. Das sind nach Literatur und nach
Frankfurter Erfahrungen rund die
Hälfte aller schwerhörigen Säuglinge.
Gerade für diese Gruppe der „NichtRisiko-Kinder“ lohnt sich und braucht
man das Screening. Es kann überall
kostengünstig durchgeführt werden.
Andererseits ist Baschek und Steinert
lebhaft darin zuzustimmen, dass eine
Behandlung kindlicher Hörstörungen
nicht überall sondern ausschließlich in
wenigen Zentren erfolgen sollte, in denen pädaudiologische Erfahrungen
etabliert sind und weiter angesammelt
werden können.
Prof. Dr. med. Rainer Klinke
Physiologisches Institut II der
Johann Wolfgang Goethe-Universität
Theodor-Stern-Kai 7
60590 Frankfurt/Main
Referiert
Pille und Herzinfarkt
Über den Zusammenhang einer Koronarthrombose mit der Einnahme oraler
Kontrazeptiva wurde 1953 erstmals berichtet. Spätere Studien haben bestätigt, dass sowohl im venösen wie im
arteriellen Schenkel des Gefäßsystems
Berichtigung
In dem Beitrag „Indikationen zur Therapie der HIV-Infektion“ von Lange et al. in Heft 9 vom 1. März 2002 ist
in der Tabelle 2 ein Fehler aufgetreten. In der letzten Zei´
Tabelle 2
C
ein erhöhtes Thromboserisiko besteht.
Die Autoren untersuchten die Assoziation Pille und Herzinfarkt unter
oralen Kontrazeptiva der zweiten (Levonorgestrel) beziehungsweise dritten
Generation (Desogestrel oder Gestodene) und berücksichtigen dabei auch
genetische Faktoren wie den FaktorV-Leiden- und die G20210A-Mutation im Prothrombinogen.
Die Wissenschaftler kommen zu
dem Schluss, dass unter der Einnahme
von oralen Kontrazeptiva der zweiten
Generation das Herzinfarktrisiko erhöht ist, während bei den Kontrazeptiva der dritten Generation dieses Risiko niedriger liegt. Das Herzinfarktrisiko war ähnlich, gleichgültig, ob prothrombotische Mutationen vorlagen
w
oder nicht.
Tanis BC, van den Bosch MAAJ, Rosendaal FR et al.: Oral
contraceptives and the risk of myocardial infarction. N
Engl J Med 2001; 345: 1787–1793.
Dr. F. R. Rosendaal, Department of Clinical Epidemiology,
Leiden University Medical Center, Bldg. 1, C 9-P,
P.O.-Box 9600, 2300 RC Leiden, Niederlande, f.r.rosen
[email protected]
le der Tabelle ist in der Spalte „Plasma HIV-RNA“ ein
Wert „> 55 000 (RT-PCR oder bDNA)“ bei der Empfehlung „Therapieindikation bei rascher Progredienz“ genannt. Der korrekte Wert lautet „< 55 000 (RT-PCR oder
MWR
bDNA)“.
´
Indikationen zur Therapie einer antiretroviralen Therapie bei chronisch HIV-1-infizierten Personen
Klinische Kategorie
T-Zellen*
Plasma HIV-RNA*
Empfehlung
Symptomatische Infektion, Aids
Jeder Wert
Jeder Wert
Gesicherte Therapieindikation
Asymptomatische Infektion, Aids
< 200 Zellen/ml
Jeder Wert
Gesicherte Therapieindikation
Asymptomatische Infektion
200–350 Zellen/ml
Jeder Wert
Eine Therapie sollte immer angeboten werden
Asymptomatische Infektion
> 350 Zellen/ml
> 55 000 (RT-PCR
oder bDNA)
Mögliche Therapieindikation. Viele Experten
raten bei sehr hoher Viruslast zu einem Therapiebeginn. Engmaschige Kontrollen der CD4+-TZellen und Viruslast wird dringend empfohlen.
Asymptomatische Infektion
> 350 Zellen/ml
< 55 000 (RT-PCR
oder bDNA)
Therapieindikation bei rascher Progredienz.
Alternativ regelmäßige Kontrollen der CD4+-TZellen und Viruslast
* cave: technische und biologische Variabilität der Laborwerte
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Deutsches Ärzteblatt½ Jg. 99½ Heft 12½ 22. März 2002
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