Conference report workshop sickness Endversion mit Bildern

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Sickness Hunger, War and Religion from the
perspective of Archaeology, History and
Anthropology. A peste, fame et bello libera nos,
Domine!
04.03.2011 bis 05.03.2011, München, Deutschland
Sponsors: Rachel Carson Center, Staatssammlung für Anthropologie und
Paläoanatomie München, Museum Mensch und Natur München
Conveners: Michaela Harbeck (Staatssammlung für Anthropologie und
Paläoanatomie München), Kristin von Heyking (Ludwig-Maximilians-Universität
München), Uwe Lübken (Rachel Carson Center)
Scientific committee: Prof. Dr. G. Grupe (Fakultät für Biologie der LMU, AG
Anthropologie & Umweltgeschichte München), Dr. M. Harbeck
(Staatssammlung für Anthropologie und Paläoanatomie München), PD. Dr. U.
Lübken (Rachel Carson Center), Prof. Dr. C. Mauch (Rachel Carson Center),
Prof. Dr. C. Metzner-Nebelsick , Dr. des. H. Schwarzberg, PD Dr. W.-R. Teegen
(alle Institut für Vor- und Frühgeschichtliche Archäologie und
Provinzialrömische Archäologie, LMU München).
A peste, fame et bello, libera nos Domine! (Von Pest, Hunger und Krieg erlöse uns, O
Herr!).
Über große Zeiträume der menschlichen Geschichte wurde das Leben der
Menschen durch Krankheit, Hunger, Krieg und Religion bestimmt. Diese vier Aspekte
stellen
somit
vier
wesentliche
Determinanten
menschlicher
Bevölkerungsentwicklungen dar und sollten in dem Workshop anhand von konkreten
Beispielen diskutiert werden.
Der Workshop war eine gemeinsame Initiative der Arbeitsgemeinschaft Prähistorische
Anthropologie und Paläoanatomie (APPA) der Gesellschaft für Anthropologie e.V.,
Deutschland und des Rachel Carson Center for Environment and Society. Die
Aufgabe
der
APPA
ist
die
Analyse
vergangener
Bevölkerungen
mittels
naturwissenschaftlicher Methoden, während sich das Rachel Carson Center mit der
Interaktion von Mensch und Umwelt aus geisteswissenschaftlicher Perspektive
auseinandersetzt. Vor diesem Hintergrund sollten Fragestellungen innerhalb der
Themen des Workshops sowohl von geistes- als auch naturwissenschaftlichen Seiten
beleuchtet werden, um eine interdisziplinäre Perspektive und damit neue Einsichten
zu gewinnen. Um dieses Ziel zu erreichen, wurde im Vorfeld des Workshops um die
Einreichung von Panels von zwei bis vier Vertretern verschiedener wissenschaftlicher
Disziplinen gebeten. Aus der überraschend großen Vielfalt und Menge der
eingereichten Vorschläge wurden vom wissenschaftlichen Komitee sechs Themen
ausgewählt, die auf dem Workshop vorgestellt und diskutiert wurden. Ergänzt wurde
das Programm durch 16 zehnminütige Kurzvorträge, in denen aktuelle Studien aus
den Bereichen Krankheit, Hunger, Krieg und Religion vorgestellt wurden. Auf dem
Workshop waren damit 38 Sprecher aus acht verschiedenen Ländern und von
unterschiedlichsten
Disziplinen
wie
Anthropologie,
Archäologie,
Geschichte,
Mikrobiologie, Medizin oder Genetik vertreten.
Hinzu kam eine ebenfalls überraschend große Anzahl von Zuhörern, nicht nur aus der
Universitätslandschaft Münchens, sondern von verschiedensten wissenschaftlichen
Instituten aus der Schweiz, Österreich und Deutschland. Insgesamt belief sich daher
die Zahl der Teilnehmer auf ca. 100 Personen.
Übersicht
Zu Beginn des Meetings wurden diese durch Michaela Harbeck, die zweite
Sprecherin der APPA, im Namen der Gesellschaft für Anthropologie sowie durch
Christof Mauch, den Direktor des Rachel Carson Centers, und Michael Apel, den
Gastgeber und Direktor des Museums Mensch und Natur, begrüßt.
Christof Mauch während seiner Eröffnungsrede
Danach folgte das erste Panel, das das Leben und Sterben des Pharao
Tutenchamun
(um
1332-1323
v.
Chr.)
und
damit
verbundene
generelle
Fragestellungen zur 18. Dynastie und zur Krankheitsbelastung des Alten Ägypten
während des Neuen Reiches zwischen der 18. und der 20. Dynastie beleuchtete.
Angekündigt
waren
Vertreter
der
Ägyptologie
und
naturwissenschaftlicher
Disziplinen. Hauptsächlich aufgrund der aktuellen politischen Situation in Ägypten
konnten drei der vier Sprecher nicht am Workshop teilnehmen. Allerdings stellte der
verbleibende Sprecher Albert Zink (Direktor des Institute for Mummies and the
Iceman, Bozen, Italien) in einem 40minütigen spannenden Vortrag die neuesten,
interdisziplinären Ergebnisse auch der anderen Sprecher vor.
Beispielsweise wurden mit Hilfe von genetischen Methoden elf königliche Mumien
untersucht, um diese zu identifizieren und um die Verwandtschaftsverhältnisse zu
Tutenchamun zu analysieren. Zusätzlich konnten verschiedene Pathologien, z.B. die
Köhler II-Krankheit und eine Malariainfektion, am Pharao diagnostiziert werden. Die
Köhler II-Erkrankung bietet eine Erklärung für die zeitgenössischen Abbildungen des
Pharaos, die ihn mit Gehstöcken zeigen, sowie den Fund von Medikamenten und
Gehhilfen in seinem Grab. Weiterhin wurde eine Reihe von Malformationen auch bei
anderen Mitgliedern der Familie festgestellt, deren Ursachen in dem, durch die
genetischen Ergebnisse bestätigten, Inzest der Familie zu suchen sind. Ein weiterer
interessanter Aspekt der vorgestellten Arbeit war die Prüfung von Erkrankungen, die
die
androgyne
Darstellung
des
Pharaos
Amenhotep
IV.
(Echnaton
[engl.
Akhenaten], um 1351-1335 v. Chr.) in vielen Reliefs, Statuen und Skulpturen erklären
könnte. Für ein solches morphologisches Erscheinungsbild könnte z.B. das MarfanSyndrom oder das Wilson-Turner-Syndrom verantwortlich sein.
Albert Zink im Gespräch
All diese Erkrankungen konnten allerdings ausgeschlossen werden, so dass davon
ausgegangen werden muss, dass es sich hierbei um eine von der Realität
abweichende künstlerische Darstellung handelte. Die anschließende Diskussion
befasste sich hauptsächlich mit letzterem Aspekt und gab so Einsichten in die
Kunstgeschichte des Alten Ägypten. Zusätzlich wurde über die Todesursache des
Pharao diskutiert. Es wurde geschlussfolgert, dass das Zusammentreffen von
Infektionskrankheiten wie Malaria mit Knochennekrosen, verursacht durch die KöhlerII-Erkrankung,
durchaus
für
den
frühen
Tod
des
Pharaos
im
Jugendalter
verantwortlich gewesen sein könnte.
Heiko Prümers (Kommission für Archäologie Außereuropäischer Kulturen des
Deutschen Archäologischen Institutes, Bonn), Martin Trautmann (A und O Anthropologie und Osteoarchäologie, Praxis für Bioarchäologie Tübingen) und
Markus Ball (Eberhard-Karls-Universität Tübingen, Institut für Humangenetik) setzten
sich im folgenden Panel mit der vorspanischen Siedlungen in den Llanos de Moxos in
Bolivien und besonders mit der Krankheitsbelastung der Bevölkerung auseinander.
Heiko Prümers stellte zunächst den Fundkomplex in Bolivien im archäologischen und
insbesondere ökologischen Kontext vor. So liegt die Untersuchungsregion in einem
Savannengebiet, deren Böden als nährstoffarm und ungeeignet für Landwirtschaft
gelten, wobei dies insbesondere durch wiederkehrende Überschwemmungen
erschwert wird. Allerdings belegen beispielsweise die Faunenreste ein sehr breites
Spektrum bejagbarer Tierspezies und archäologische Artefakte weisen auf den
Anbau von beispielsweise Mais durch die historische Bevölkerung hin. Es konnten im
Untersuchungsgebiet insgesamt 200 Siedlungen von 5-100 ha Größe prospektiert
werden, von denen bis auf 23 m Höhe erhaltene Plattformgebäude im Zentrum
besonders auffällig waren. Zwei Beispiele des 5.-14. Jhs. n. Chr., Loma Mendoza und
Loma Salvatierra, wurden detailliert vorgestellt.
Vortragende des Panels „Syphillis in El Dorado“, von rechts nach links: Marin Trautmann, Heiko
Prümers, Markus Ball
Martin Trautmann gab einen Überblick über die Bevölkerungsstruktur der Population
und ging insbesondere auf den Gesundheitszustand ein. Es zeigten sich wenig
Anzeichen von Gewalt, kaum Hinweise auf Mangelernährung, aber ein erstaunlich
hoher Prozentsatz von Skelettveränderungen, die für eine bakterielle Erkrankung mit
Frambösie (Yaws), einer tropischen Infektionskrankheit, oder mit Syphilis bzw. einer
ihrer Vorläuferarten sprechen. Dies ist insofern interessant, als dass der geographische
Ursprung dieser Erkrankung noch ungeklärt ist und verschiedene Theorien zur
historischen Epidemiologie existieren. Markus Ball untersuchte die Überreste der
Verstorbenen mit molekulargenetischen Methoden, um die morphologisch erstellte
Diagnose zu untermauern. In sechs von 45 Fällen gelang es, den pathogenen Erreger
nachzuweisen, wobei dies interessanterweise hauptsächlich bei Individuen gelang,
die keine spezifischen morphologischen Veränderungen zeigten. Bei dem Erreger
handelte es sich Treponema pallidium, was die Syphillis-Erkrankungen bestätigt. Die
anschließende Diskussion bezog sich hauptsächlich auf diesen Nachweis und die
generelle Möglichkeit des Nachweises von Erregern mittels alter DNA.
Kaspar Staub während seiner Präsentation, am Tisch: Christina Papageorgopoulu und Frank Rühli
Ein weiteres Panel befasste sich mit den Ursachen und Auswirkungen von
Hypothyroidismus, der Unterfunktion der Schilddrüse aus archäoanthropologischer,
historischer und klinischer Perspektive. Zunächst gab Frank Rühli (Anatomisches
Institut,
Universität
Zürich)
einen
Überblick
auf
welche
Weise
eine
Schilddrüsenunterfunktion medizinisch entstehen kann. Einer der möglichen und
überaus wichtigen Auslöser ist Jodmangel, der in den Alpenregionen häufig
anzutreffen war. Ein Mangel an Jod manifestiert sich im Krankheitsbild des
Kretinismus. Neben der Ausbildung eines Kropfes kommt es am Skelett zu
unterschiedlichen Entwicklungsstörungen, wie beispielsweise Minderwuchs.
Christina Papageorgopoulou (Johannes-Gutenberg-Universität, Mainz) zeigte in Ihrer
Präsentation beispielhaft an einem mittelalterlichen Schweizer Befund überzeugend
die
Möglichkeit,
diese
Erkrankung
auch
an
Skelettmaterial
in
historischen
Bevölkerungen zu detektieren. Ihre Studie ist die erste, die sich mit der
Diagnosemöglichkeit
von
Hypothyroidismus
in
einem
historischen
Kontext
beschäftigt. Der Ansatz eröffnet die Möglichkeit, für Zeiten ohne historische Quellen
diese Erkrankung in einer Bevölkerung nachzuweisen. Der Umwelthistoriker Kaspar
Staub (Anatomisches Institut, Universität Zürich) befasste sich mit der Geschichte und
Bekämpfung des Jodmangels durch die Verabreichung von jodiertem Speisesalz im
20. Jahrhundert. Außerdem stellte er anhand von historischen Quellen einen
Zusammenhang zwischen Körperhöhe und dem Auftreten eines Kropfes als
Auswirkung von Jodmangel, her. Die anschließende Diskussion befasste sich mit den
Nachweismöglichkeiten
der
Erkrankung
am
Skelett
und
ihren
Pest
ist
generellen
Auswirkungen auf eine Population.
Die
Epidemiologie,
Forschungsgebiet,
archäologischer
Entstehung
dass
und
sowohl
Quellen
Verbreitung
durch
Erkenntnisse
die
der
Auswertung
gewinnt,
wobei
ein
aktuelles
historischer
und
neuerdings
das
Methodenspektrum durch die molekulargenetische Analyse rezenter und historischer
Erreger der Pest erweitert wird. Trotzdem ist weiterhin umstritten, ob das Bakterium
Yersinia Pestis tatsächlich der Auslöser aller großen Pestpandemien ist. Unklar ist auch,
wie die Ausbreitung und der epidemiologische Verlauf der Seuche in der Geschichte
verlief. Aufgrund der Aktualität und der vielen Ansatzmöglichkeiten dieser
Fragestellung fanden sich in diesem Thema sechs Wissenschaftler unterschiedlichster
Disziplinen auf dem Workshop zu einem Panel zusammen.
Zunächst gab Barbara Bramanti (Johannes-Gutenberg-Universität, Mainz) eine
Einführung
in
das
Thema:
Es
wurden
die
drei
großen
Pandemien
der
Menschheitsgeschichte vorgestellt: die Justiniansiche Pest des 6. Jhs. n. Chr., der
schwarze Tod des Mittelalters und die Pest des 19. Jhs. Die Arbeitsgruppe um Barbara
Bramanti versucht, die Hypothese zu testen, ob die großen Pestpandemien für die
ungleiche Ausprägung bestimmter schützender, genetischer Varianten in Europa
verantwortlich sein könnten. Um diese Hypothese überprüfen zu können, müssten
allerdings erstmals Pestopfer sicher identifiziert werden. Dies stellt eine Schwierigkeit
dar, da sich weder historische Berichte klar über die Ursache von aufgefundenen
Massengräbern zur Pestzeit äußern, noch die Erkrankung sichtbare Spuren am Skelett
hinterlässt.
Raffaella Bianucci (University of Turin, Italy) befasste sich mit den Bestattungsformen
der
Pestopfer.
Dabei
ging
sie
insbesondere
auf
die
unterschiedlichen
Bestattungsformen auf dem Land und in urbanen Zentren ein: Während in den
Städten Massengräber nach einer Pestepidemie vorkamen, war die Anzahl der Toten
auf dem Lande wesentlich geringer, so dass die Bestattungen von Pestopfern häufig
nach dem normalen Muster verliefen und somit nicht von „normalen“ Grabbefunden
zu trennen sind. Stefanie Hänsch (Johannes-Gutenberg-Universität Mainz) gelang es
Yersinia
pestis
spezifische
DNA
an
mittelalterlichen
potentiellen
Pestopfern
nachzuweisen und molekulargenetisch einzuordnen. Damit konnte bestätigt werden,
dass der Erreger des Schwarzen Todes des Mittelalters tatsächlich Yersinia Pestis ist
und weitere Aussagen zum epidemiologischen Verlauf gemacht werden. Mark
Achtman (University College Cork, Irland) fokussierte vor allem auf die evolutionäre
Entwicklung des Yersinia pestis-Stammes und lokalisierte mittels molekulargenetischer
Untersuchungen moderner Stämme dessen Entstehung in China. Die Ausbreitung
erfolgte demnach von Ost nach West. Weiterhin können anhand der genetischen
Daten die modernen Stämme nicht älter als ca. 2600 Jahre sein. Dem stehen die
historischen Quellen, vorgestellt von Ole Benedictow (University of Oslo, Norway),
entgegen. Er verwies auf die Beschreibungen von Pestepidemien schon für einen
Zeitraum vor 3200 Jahren und bezweifelt die Entstehung der Pest in China, da hier in
historischen Zeiten diese Erkrankung nicht erwähnt wird. Die Widersprüche in der
historischen und populationsgenetischen Datenlage führten anschließend zur einer
hitzigen Debatte und zeigten den weiteren Forschungsbedarf hinsichtlich einer
möglichen Synthese der beiden Disziplinen. Elisabeth Carniel (Institut Pasteur, Paris,
Frankreich) gab abschließend einen Überblick über die aktuelle Situation von
Pesterkrankungen weltweit, zeigte die häufigsten rezenten Infektionswege auf (z.B. in
den USA sind die häufigsten Überträger Katzen) und verdeutlichte sehr anschaulich
die möglichen Krankheitsverläufe.
Vortragende des Panels The Plague, von rechts nach links: Barbara Bramanti, Raffaella Bianucci,
Stephanie Hänsch, Mark Achtman, Elisabeth Carniel, Ole Benedictow.
Als Beispiel für die Krankheitsbelastung, die Ernährung und die Lebensweise einer
prähistorischen
Bevölkerung
präsentierten
Dušan
Borić
(Cardiff
University,
Großbritannien) und Marija Radović (Belgrade University, Serbia) ihre Analysen der
meso- und neolithischen Populationen verschiedener archäologischer Fundplätze
(insbesondere Lepenski Vir und Vlasac) entlang der Donau am sogenannten
Eisernen Tor [Danube Gorges]. Dabei stand die Frage im Mittelpunkt, wie sich der
Gesundheitszustand und die Lebensgewohnheiten von Populationen während des
Wandels von einer aneignenden zu einer produzierenden Wirtschaftsweise während
der Neolithisierung änderten.
Vortragende am Tisch links Marija Radović, rechts Dusan Borić und am Pult der Chair Heiner
Schwarzberg
Zu diesem Zweck wurden Individuen aus den drei unterschiedlichen Zeitepochen dem älteren Mesolithikum, einem jüngeren Mesolithikum am Übergang zum
Neolithikum und dem Neolithikum - untersucht. Dabei ermittelte Marija Radović den
hygienischen
Zustand
Schmelzhypoplasien
der
Zähne
(enamel
(oral
health),
hypoplesia),
die
wie
Kariesfrequenz
Rückschlüsse
auf
und
den
Gesundheitszustand zulassen, wobei sich Populationsunterschiede fanden. Deutlich
erkennbar war zum einen, dass die im Neolithikum lebenden Menschen weniger
Stressmerkmale an den Zähnen aufweisen. Der Archäologe Dušan Borić zeigte
weiterhin Studien zu Nahrungsgewohnheiten der damals lebenden Bevölkerung, die
er mit Hilfe von Isotopenanalysen nachvollzog. Sehr wichtig ist hier die Erkenntnis,
dass ein klarer Wechsel in der Subsistenzweise stattgefunden hat: Die deutlich auf
aquatisch lebenden Tieren wie Fisch basierte Nahrungsweise im Mesolithikum wurde
im Neolithikum immer weniger. Diese Ergebnisse sind von besonderer Bedeutung, da
sie den fast einzigen Zugang zu den Lebensgewohnheiten der Menschen dieser
Zeiträume bieten. Borić stellte außerdem den Vortrag von Sofija Stefanovic vor, die
aus gesundheitlichen Gründen nicht nach München kommen konnte: Nach ihren
Untersuchungen wurden pathologische Veränderungen an 30 Schädeln der
diskutieren archäologischen Fundplätze am Eisernen Tor [Danube Gorges] gezeigt,
die als Anzeichen von Infektionskrankheiten, möglicherweise von Erkrankungen an
Trepanoma-Arten, gedeutet werden könnten.
Das Topic „Krieg“ wurde von einem Panel behandelt, das sich mit den Überresten
des antiken Schlachtfeldes am Kalkrieser Berg bei Osnabrück auseinandersetzte. Die
drei Vortragenden Birgit Großkopf (Georg-August-Universität Göttingen), Susanne
Wilbers-Rost (Museum und Park Kalkriese) und Achim Rost (Universität Osnabrück)
stellten
aus
archäologischer,
anthropologischer
und
historischer
Perspektive
überzeugend dar, dass sich von diesem Fund eine direkte Verbindung zur historisch
überlieferten Varusschlacht im Jahre 9 n. Chr. ziehen lässt, bei der die XVII., die XVIII.
und die XIX. Legion sowie drei Alae und sechs Kohorten von insgesamt 15000-20000
Mann Truppenstärke an einer Engstelle zwischen einem Mittelgebirgsausläufer und
einem Moor auf einer Gesamtfläche von ca. 30 km2 vernichtend von den Germanen
geschlagen wurden.
Vortragende des Panels „Varusschlacht“, von links nach rechts Birgit Großkopf, Susanne Wilbers-Rost,
Achim Rost
Die weitere wissenschaftliche Auswertung beschäftigte sich vor allem mit dem
Geschehen, dass auf die Schlacht folgte. Menschliche Knochen wurden fast
ausschließlich in Gruben aufgefunden, deren wissenschaftliche Auswertung durch
Birgit Großkopf erfolgte. Trotz der schlecht erhaltenen Überreste wurde deutlich, dass
die Individuen bereits in skelettiertem Zustand waren, und daher nicht römischer Sitte
gemäß verbrannt, sondern in Gruben deponiert wurden, was sich mit Tacitus‘
historischen Berichten über eine spätere Bestattung der Opfer bei einem Besuch des
Schlachtfeldes durch Germanicus im Jahre 15 n. Chr. deckt. Susanne Wilbers-Rost
präsentierte die archäologischen Spuren der Schlacht. Insbesondere die Bedeutung
einer teilweise während der Kampfhandlungen eingestürzten Wallanlage, die als Teil
eines von Germanen planmäßig angelegten Hinterhaltes gedeutet werden kann,
wurde dargestellt und anschließend diskutiert. Insbesondere dort, wo durch
Wallversturz größere Teile von Maultierskeletten mit Resten der Schirrung erhalten
geblieben sind, wurden gelegentlich sogar Einzelheiten der Kampfhandlung
erkennbar. Achim Rost machte am Beispiel von Kalkriese eindrücklich deutlich, dass
man generell von der Menge aufgefundener Militaria nicht direkt auf Ausmaß und
Intensität einer Schlacht schließen kann, sondern dass andere Faktoren wie Plündern,
Leichenfledderei, das Verschrotten von Metallteilen und das Bergen von Gefallenen
und deren Ausrüstung das Fundbild prägen und gab damit neue Impulse zur
Schlachtfeldarchäologie. Auch für Kalkriese konnte die systematische Sammlung und
Bergung von wiederverwendbaren Objekten nachgewiesen werden. Weiterhin
führte Rost im Vergleich andere archäologisch untersuchte Orte von antiken,
mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Kampfhandlungen aus Europa und Amerika
an.
Diese großen Fallstudien wurden durch kurze Vorträge ergänzt, die einen Überblick
über aktuelle Projekte und Ergebnisse verschiedener wissenschaftlicher Standorte des
deutschsprachigen Raumes geben sollten.
Mit dem Thema „Sickness“ befasste sich eine Reihe von Präsentationen. So zeigte
Ingrid Wiechmann (LMU München) den erfolgreichen Nachweis von Pesterregern an
Individuen eines mittelalterlichen Massengrabes in Bayern, während sich Lisa Seifert
(LMU München) mit der Möglichkeit der Detektion von Tuberkulose-Erregern
beschäftigte. Anna Zipp und Phillip von Grumbkow (Georg-August-Universität
Göttingen) untersuchten ein Massengrab aus Kassel aus dem frühen 19. Jh., wobei
sie die Individuen als napoleonische Soldaten identifizieren konnten. Besonders
interessant ist in diesem Zusammenhang der molekulargenetische Nachweis von
Typhuserregern (Bartonella quintana, die als Verursacher von Epidemien während
Napoleons Russlandfeldzug 1812 gelten. Gerhard Hotz (Naturhistorisches Museum
Basel; Institut für Prähistorische und Naturwissenschaftliche Archäologie Universität
Basel) und Jürgen Mischke (Deutsches Seminar der Universität Basel) präsentieren
den
sehr
seltenen
mittelalterlichen
interdisziplinär
Fund
Friedhofes
in
einen
einer
des
Hundebandwurmzyste
Baseler
größeren
in
Barfüßerklosters.
Kontext
gestellt,
Überresten
Dieser
der
Fund
den
des
wurde
generellen
Gesundheitszustand der Stadt Basel und die hygienischen Verhältnisse zu dieser Zeit
beinhaltete. Loukas Konstantinou präsentierte den Fund eines Porossarkophags aus
Eleusis/Griechenland, analysierte die darin enthaltenen menschlichen Überreste und
stellte Überlegungen zu deren Todesursache an.
Das Thema Hunger bzw. Ernährung und ökologischer Kontext im weiteren Sinne
wurde ebenfalls von verschiedenen Sprechern aufgegriffen. Ferdinand Neuberger
(LMU
München)
gelang
der
Nachweis
von
Hungerepisoden
anhand
von
Haaranalysen historischer und rezenter Individuen. Olaf Nehlich (Max-Planck-Institut
Leipzig) sowie Gisela Grupe und Andreas Rott (LMU München) setzen sich mit den
Möglichkeiten und Schwierigkeiten von Isotopenanalysen (insbesondere von
Schwefel)
an
Individuen
historischer
Gräberfelder
zur
Rekonstruktion
von
Ernährungsmustern auseinander.
Eine Reihe von Vorträgen zeigten Beispiele von vorgeschichtlichen wie auch
historischen kriegerischen Auseinandersetzungen. Steve Zäuner (Eberhard-KarlsUniversität Tübingen) bestätigte mittels anthropologischer Analyse ein Kampfereignis
als Ursache der Vernichtung der chalkolitischen Siedlung von Junacite in Bulgarien
Ende des 5. Jts. v. Chr., während Christine Cooper (Referat Denkmalpflege und
Archäologie, Fürstentum Liechtenstein) anhand traumatologischer Untersuchungen
an dem menschlichen Skeletten aus der spätmittelalterlichen Schlacht von Dornach
von 1499 Möglichkeiten diskutierte, den am Skelett entstandenen Traumata die
verursachenden Waffen zuzuordnen. Alexander Lutz (LMU München) stellte seine
Studien zu zwei Massengräbern aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges vor und
Bettina Jungklaus (Berlin) konnte mittelalterliche Bestattungen auf dem Schlossberg
von
Lebus
bei
Frankfurt/Oder
als
Opfer
einer
historisch
erfassten
lokalen
Bischofsfehde aus dem 13. Jh. identifizieren. Nadine Carlichi präsentierte einen
neuen methodischen Ansatz, traumatisch bedingte Bruchlinien an Skelettmaterial
sichtbar zu machen.
Religiöse Aspekte, die in der Form von Grabkonstruktionen und der Totenbehandlung
sichtbar werden können, sprachen Ken Massy und Nadja Hoke (LMU München) bei
der Vorstellung ihrer Arbeit über früh- und mittelbronzezeitlichen Gräber aus der
Münchner Schotterebene an. Barbara Teßmann (Freie Universität, Berlin) stellte ihre
Ergebnisse der anthropologischen Analyse von skeletalen Überresten der mittleren
Bronzezeit aus Monkodonja und des Grabhügel von Mušego dar, wobei sie der
Frage nachging, ob es sich bei einer Gruppe der Bestatteten um Eliten handeln
könnte und die soziale sowie die religöse Dimension der vorgestellten Grabfunde
besprach. Eine interessante Einzelbestattung einer Frau von Tarrenz in Tirol besprach
Harald Stadler (Universität Innsbruck) und zeigt anhand verschiedener Merkmale,
dass es sich bei ihr um eine Heilerin gehandelt haben könnte, die Anfang des 17. Jhs.
abseits jeder Siedlung mit dem Gesicht nach unten verscharrt und evtl. das Opfer
einer Tötung aus rituellem oder abergläubischen Hintergrund wurde.
Am Rande der Konferenz wurden die Problemfelder bei der Zusammenarbeit der
Disziplinen diskutiert. Insbesondere bei der eigenständigen Interpretation oder der
Bewertung von Ergebnissen eines fremden Fachbereiches sind ohne intensiven
Dialog aufgrund der großen methodischen Unterschiede häufig Fehleinschätzungen
die Folge.
Der Workshop verdeutlichte allerdings anhand mehrerer Fallbeispiele, dass auch das
überaus große Potential, dass in der fächerübergreifenden Analyse historischer
Fragestellungen liegt. So konnte anhand der Fallstudien zum alten Ägypten und der
Varus-Schlacht gezeigt werden wie die Synthese historischer, archäologischer und
anthropologischer Daten zu neuen Erkenntnissen führte. Und dieses Potential ist noch
lange nicht ausgeschöpft! So verspricht insbesondere die Naturwissenschaft mittels
molekulargenetischer Methodik zukünftig große Fortschritte bei der Erforschung
historischer Epidemiologie. Ein erster Anfang wurde anhand einiger Beispiele zur
Erforschung der Pest, der Syphilis, des Typhus und der Tuberkulose während des
Workshops sichtbar und inspirierte zu weiteren Projekten. Neue Fragen warfen
insbesondere
multidisziplinäre
Überlieferungen
übereinzubringen
und
sind,
Untersuchungen
naturwissenschaftliche
wie
im
Falle
der
auf,
in
Ergebnisse
Analysen
zur
denen
nicht
historische
grundsätzlich
Epidemiologie
des
Pestgeschehens. Gerade diese Fälle animieren allerdings zu vertiefender Forschung
auf dem jeweiligen Gebiet um die Komplexität der Fragestellung zu erfassen und
eine Synthese der Ergebnisse der unterschiedlichen Disziplinen zu erreichen.
Michaela Harbeck, Kristin von Heyking und Heiner Schwarzberg
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