Rajan – Rockstar und Retter der Wirtschaft

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Hintergrund:
Indien
Nr. 9 / 09. Februar 2015
Rajan – Rockstar und Retter der Wirtschaft?
Jens Rosendal
Der hoch dekorierte Chicagoer Professor Raghuram Rajan übernahm 2013 in einer schweren Wirtschaftskrise das Amt des Präsidenten der Indischen Zentralbank. Mit einem stringenten Programm und
ohne Angst vor der Regierung liberalisiert er seitdem die Finanzwelt des Subkontinents und führt die
indische Rupie behutsam zu niedriger Inflation, Stabilität und Kraft. Seine Ideen wie das Bankkonto für
alle oder Staatshilfen ohne korrupte Bürokratie sollen vor allem die armen Bevölkerungsschichten erreichen. Bis jetzt ist es eine Erfolgsgeschichte, der viele eine lange Dauer wünschen.
Im Spätsommer des Jahres 2013 durchlitt Indien eine schwere Wirtschaftskrise. Zur gleichen Zeit war die finanzielle Situation des Landes die
schlechteste seit der Wirtschaftskrise 1991. Die Inflationsrate betrug fast
zehn Prozent und die jährliche Wachstumsrate des BIPs, dem dritthöchsten in Asien, nur 4,4 Prozent. Aus europäischer Sicht scheint ein Wachstum von 3–4 Prozent beneidenswert, muss aber in Relation mit dem
Wirtschaftswachstum von neun Prozent 2010 und einem durchschnittlichen Wachstum von sechs Prozent in den letzten 30 Jahren gesetzt werden. Auch das Haushaltsdefizit war zu groß. Der Wert der indischen Währung, der Rupie (INR), fiel am 30. August 2013 auf einen Tiefstand von
68,85 INR gegenüber einem US-Dollar. Das erzeugte Befürchtungen einer
neuen Krise - der asiatischen Finanzkrise von 1997-1998 ähnelnd - die
die globale Erholung der Wirtschaft untergraben könnte.
Zur selben Zeit wurde bekannt gegeben, dass der bekannte Ökonom Raghuram Rajan das Amt des Präsidenten der Indischen Zentralbank (RBI)
übernehmen werde. Während seiner Amtszeit ist es ihm gelungen, die Inflationsrate auf unter acht
Prozent zu senken. Auch gelang es ihm den Wert der Rupie zu stärken, der sich mittlerweile zwischen
58–62 INR gegenüber dem US-Dollar eingependelt hat. Das Vertrauen in die indische Wirtschaft ist
dadurch entscheidend gewachsen.
Raghuram Rajan / Foto: Internationaler Währungsfond
Hintergrund: Indien Nr. 9 / Februar 2015
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Von der Lizenzherrschaft zu marktwirtschaftlichen Reformen
Indien ist eine relativ stabile Demokratie, aber seine schiere Größe und die Bevölkerungszahl lassen
effektives Regieren zu einer Herausforderung werden. Sowohl hinsichtlich der Bevölkerung, als auch
der Größe des vorhandenen Pools an Arbeitskräften, steht Indien global gesehen nach China auf Platz
zwei. Mehr als 80 Prozent der Inder sind Hindus, gleichzeitig ist die muslimische Gemeinschaft eine
der größten der Welt. Im Mai 2014 übernahm die neue Regierung unter Premierminister Narendra
Modi die Arbeit. Dieser versprach während des Wahlkampfes Reformen, die die Wirtschaftslage des
Landes stärken sollten. Indien ist Mitglied der G-20 und gehört auch zu den 20 größten Handelsnationen weltweit. Bei der wirtschaftlichen Entwicklung ist allerdings laut übereinstimmender Expertenmeinung noch viel Luft nach oben.
Um Indiens Wirtschaftswachstum besser nachvollziehen zu können, ist es nötig die Geschichte
der indischen Wirtschaft in zwei Phasen unterteilt zu betrachten. Die ersten 45 Jahre nach der
Unabhängigkeit als sozialistische Planwirtschaft
und die Zeit nach 1991 im Zeichen marktwirtschaftlicher Reformen. 1991 stand Indien kurz
vor der Zahlungsunfähigkeit, hat aber als Konsequenz Prinzipien einer freien Marktwirtschaft
übernommen und sich gegenüber dem internationalem Handel geöffnet. Der damalige Finanzminister Manmohan Singh führte diese Reformen
Straßenhändler / Foto: FNF-Projekt Indien
durch. Ein entscheidender Schritt war die Abschaffung des sogenannten Licence Raj (dt. in etwa: Lizenzherrschaft), einem kompliziertem System
zur Regulierung der Wirtschaft, dessen Folgen jahrzehntelanges geringes Wachstum und makroökonomische Instabilität waren. Singhs Reformen umfassten geringere Zolltarife, eine Neuregelung der
Währungskurspolitik sowie vereinfachte Bestimmungen für ausländische Investitionen. Der Schritt hin
zu einer freieren Wirtschaft resultierte in steigendem Wirtschaftswachstum, welches wiederrum zu
einem relativ großen Anstieg des Pro-Kopf-Einkommens führte.
Nach den wirtschaftlichen Reformen 1991, trieben vor allem erhöhte ausländische Investitionen, Indiens führende Rolle in der Informationstechnologie und der ansteigende inländische Konsum, durch
eine wachsende Mittelklasse, das Wirtschaftswachstum an. Das Rückgrat der Wirtschaft, bildet der
sich stetig vergrößernde Mittelstand, der Schätzungen nach bis 2040 ungefähr die Hälfte der Bevölkerung umfassen wird.1
Die Politik hemmt das Wachstum
Zu Beginn des Jahrtausends feierten westliche Medien Indiens demokratisches System und die Fortschritte hin zu einer liberalisierten Wirtschaft. Auch wurde angenommen, dass das Land nach und
nach mit der Wirtschaft Chinas mithalten könne. Sollte Indien dieses Ziel erreichen wollen, muss das
Wirtschaftswachstum nachhaltiger werden. Trotz des beeindruckenden wirtschaftlichen Fortschritts,
gibt es noch immer ernsthafte Probleme, denen begegnet werden muss. Die Weltbank setzt die Armutsgrenze bei 1,25$ pro Tag an. 2010 lebten ein Drittel der Inder von weniger und fast 70 Prozent
von unter 2$ am Tag. Zudem ist der Einkommensunterschied innerhalb der Bevölkerung gravierend.
1
OECD Development Centre 2010: The Emerging Middle-class in Developing Countries,
http://www.oecd.org/dev/44457738.pdf
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Laut des Knight Frank Wealth Report, liegt Indien mit 60 Milliardären auf dem sechsten Platz der Top
10 Länder für Milliardäre 2013. Die Anzahl dieser soll bis 2023 mit einer 98prozentigen Chance auf
119 steigen.2
Indiens Wirtschaftswachstum in den letzten drei Jahrzehnten ist mit einer jährlichen Wachstumsrate
von 6,4 Prozent und einer durchschnittlichen Wachstumsrate von 7,7 Prozent in den Jahren 2002 bis
2011 beträchtlich gestiegen. Im Jahr 2013 aber wurde die Wirtschaft erschüttert und das Wirtschaftswachstum ging auf 4,4 Prozent zurück. Der Wert der INR befand sich im freien Fall, was in
höheren Kosten für importierte Güter resultierte. Die Inflation und das Haushaltsdefizit stiegen. Indien
schlitterte in eine Wirtschaftskrise. Diese Entwicklung lässt sich auf zwei wesentliche Elemente zurückführen:
1. Zum einen gelang es der Regierung nicht ernsthaften strukturellen Problemen, die das Wachstum einschränkten, zu begegnen.
2. Zum anderen wurden gewaltige Umverteilungsmaßnahmen gestartet, außer Acht lassend, dass
diese einen Anstieg der Haushalts- und Handelsdefizite nach sich zogen.
Hinzu kommt, dass die Industrieproduktion nur einen Anteil von 14 Prozent an der gesamten Wirtschaftsleistung hat. In China macht dieser Anteil 34 Prozent aus.
Die Industrieleistung sank im Fiskaljahr 2013–2014 im Vergleich zum Vorjahr sogar, was die gesamte
Wirtschaft mit runtergezogen hat.3 Ein Ausbau dieses Bereiches würde mehr dringend benötigte Arbeitsplätze für unter- und gering qualifizierte Arbeitskräfte generieren.
Figure 1: India’s annual growth rate 1991-2014
Ein weiteres Problem ist die Subventionierung von Lebensmitteln, Energie, Treibstoffen und Dünger für
arme Bevölkerungsschichten. Diese Subventionen haben einen Anteil von 2,7 Prozent am BIP4, doch
verhindert massive Korruption, dass die ärmere Bevölkerung tatsächlich von den Vorteilen profitieren
kann. Agrarsubventionen haben Löhne in die Höhe getrieben, was sich wiederum negativ auf die Inflation ausgewirkt hat und aufgrund genereller Unsicherheit wurde in Gold investiert. So wurde Indien
abhängig von Fremdkapital, um Defizite auszugleichen.
2
Knight Frank Wealth Report 2014: http://www.thewealthreport.net/resources/thewealthreport2014.pdf
http://businesstoday.intoday.in/story/manufacturing-sector-is-dragging-down-india-economic-growth/1/203616.html
4
http://www.nytimes.com/2013/08/31/opinion/why-indias-economy-is-stumbling.html?_r=0
3
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Im August 2013 war offensichtlich, dass Reformen notwendig waren, um die wirtschaftliche Stabilität
wiederherzustellen, ineffiziente Verwendung von Steuergeldern zu unterbinden, Steueraufkommen
anzuheben und die Inflation in den Griff zu bekommen. Im September nahm Raghuram G. Rajan seine
Arbeit als Präsident der RBI.
Raghuram Rajan: Von der Universität in den indischen Sturm
Im September 2013 wagte Raghuram Rajan, Professor der University of Chicago, den Schritt in das durch hohe Inflation, schwache
Währung, steigende Fremdkapitalkosten, einemschwankendem
Aktienmarkt und geringem Wirtschaftswachstum verursachte
Durcheinander in Indien. Rajan ist vor allem dafür bekannt, dass er
als einer von wenigen im Vorfeld vor der Weltwirtschaftskrise
warnte. In seinem bekannten Werk Fault Lines stellt er eine potentiell noch schwerere Krise in Aussicht, sollten erhebliche Mängel
nicht behoben werden. Er hat einen ungewöhnlichen Blickwinkel
auf die Krise. Rajan wuchs in Indien auf und studierte dort Elektrotechnik. Zudem arbeitete er von 2003 bis 2007 als Chefvolkswirt
für den Internationalen Währungsfonds (IWF). Aufgrund seines
Hintergrunds, stellte die Öffentlichkeit einen hohen Anspruch an
ihn. Das Amt des Präsidenten der RBI übernahm er mit einem großen Knall.
Raghuram Rajan wurde am 3. Februar
1963 in Bhopal, Indien geboren. Er
arbeitete als Professor für Finanzen an
der UNIVERSITY OF CHICAGO und wurde
2003 mit dem Fischer Black Preis
ausgezeichnet, der alle zwei Jahre an
Finanzökonomen unter 40 Jahren
verliehen wird, die einen entscheidenden Beitrag zur Theorie und Praxis der
Finanzwelt geleistet haben.
Rajan ist Autor des bekannten Werkes
Fault Lines: How Hidden Fractures Still
Threaten the World Economy. Für dieses
Werk wurde er 2010 mit dem Financial
Times-Goldman Sachs Preis für das
beste Wirtschaftsbuch ausgezeichnet.
So sagte er an seinem ersten Amtstag: „Jeder neue Präsident der Zentralbank startet am Höhepunkt
seiner Popularität. Einige der Maßnahmen, die ich ergreifen werde, werden unbeliebt sein. Das Präsidentschaftsamt der Zentralbank ist nicht dazu bestimmt, Stimmen oder Facebook likes zu gewinnen.“5
Die Schwierigkeit, die sich ihm stellt, ist der Versuch, die Inflation in den Griff zu bekommen und
gleichzeitig das Wirtschaftswachstum zu fördern. An seinem ersten Amtstag ergriff er Maßnahmen
zur Stärkung der Währung und kündigte Reformen an, die es neuen Banken erleichtern sollte, eine
Lizenz zu erhalten. Eine seiner ersten Entscheidungen war die Erhöhung der REPO-Rate – der Zinssatz,
nach dem die Zentralbank Kredite an kommerzielle Banken vergibt – von 7,25 auf 7,5 Prozent. Ein
Versuch die steigende Inflation zu kontrollieren, auch wenn das Wachstum dadurch gehemmt wird.
Dieser Schritt überraschte viele und missfiel verständlicherweise indischen Industriellen und Haushalten, da die Kreditkosten stiegen. Rajan stellte so von Anfang an zwei Dinge klar: Zum einen, dass seine
Priorität in der Bekämpfung der steigenden Preise liegt, und zweitens, dass er nicht aufgrund von
Druck seitens der Regierung oder der Industrie nachgeben wird, auch wenn seine Maßnahmen kurzfristig gesehen das Wirtschaftswachstum hemmen.
Zudem kündigte er an, dass seine Reform des finanziellen Systems auf fünf Säulen beruht. Die erste
umfasst den geldpolitischen Handlungsrahmen, damit dieser für die Öffentlichkeit klar und nachvollziehbar wird. Zweitens, will er das indische Bankensystem reformieren. So soll die Eröffnung neuer
Filialen für Banken ohne Zustimmung seitens eines Regulators ermöglicht werden. Die dritte Säule
bildet die Liberalisierung der Märkte. Zudem strebt er an Finanzdienstleister in kleinen Städten und
ländlichen Gegenden zu etablieren. Die letzte Säule betrifft den Umgang mit der finanziellen Notlage.
Laut Rajan muss es finanziellen Institutionen durch Reformen erleichtert werden, sich aus Notlagen
5
Statement by Dr. Raghuram Rajan on taking office on September 4, 2013:
http://rbi.org.in/scripts/BS_PressReleaseDisplay.aspx?prid=29479
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ohne großen Wertverlust zu befreien. Diese Ziele will er einem Fünf-Jahres-Plan folgend erreichen und
durch die Veränderungen im Finanzsektor Indien zum Wachstum verhelfen.
Rajans Kampf gegen die Inflation
Bis Januar 2014 hob Rajan den Leitzins auf 8 Prozent. Dieser Schritt unterstreicht, dass er die Bekämpfung der hohen Inflation als Priorität sieht. Insbesondere hohe Lebensmittel- und Treibstoffpreise
trafen einen großen Teil der indischen Bevölkerung. Durch die Erhöhung des Leitzinses möchte die
Zentralbank den Weg für eine niedrige Inflationsrate ebnen, auch wenn dies auf kurze Sicht das Wirtschaftswachstum einschränkt. Nach der Erhöhung im Januar 2014 aber, wurde er auf demselben
Stand belassen (bis zur Leitzinssenkung im Januar 2015). Die Inflationsrate fiel zum ersten Mal innerhalb von 29 Monaten unter 8 Prozent und sinkt seitdem beständig.
Neben der Bekämpfung der hohen Inflationsrate,
fiel Rajan auch mit neuen Ideen auf, wie zum Beispiel Bankkonten für alle Bürger bis zum Jahr 2016.
Ein anderes wichtiges Ziel war das Auffangen des
Währungsverfalls. Im August überschritt die Rupie
die 68er Marke gegenüber dem US Dollar, aber
durch die Stärkung des Devisenmarktes gelang es
Rajan die Währung zu stabilisieren und Investoren
zurückzugewinnen. Ende März 2014 unterschritt die
Rupie zum ersten Mal seit September 2012 die 60er
Grenze gegenüber dem US Dollar und hat sich seitdem zwischen 58 und 62 INR gegenüber einem US
Dollar eingependelt. Als Konsequenz hat die Stärkung der indischen Währung den indischen Export
ausgebremst. Um ernsthafte Probleme für Exporteure zu vermeiden, kann die Rupie also nicht zu stark
an Wert gewinnen. Auf der anderen Seite kann eine
starke Währung zur Senkung der Inflationsrate beitragen, da Öl und andere Importe günstiger werden.
Das Erstarken der Rupie gegenüber dem Dollar lässt
sich zum Teil auch auf die von Rajan ergriffene
Aufgrund von Währungsunsicherheit ist Indien mit der größte
Maßnahme, Dollar in Indiens Aktien- und SchulGoldmarkt der Welt / Foto: FNF-Projekt Indien
denmarkt einfließen zu lassen, zurückführen. Rajan
muss aber vorsichtig mit einer Erhöhung des Kapitalflusses umgehen, da sonst unter anderem auf dem
Immobilienmarkt oder dem Aktienmarkt Vermögensblasen entstehen könnten. Auch führt dieser zu
einer Steigerung der Geldmenge, was wiederum den Inflationsdruck erhöhen würde.
In einem Bericht im August 20146 führte Rajan an, Indien habe sich aus der Krise befreit und sei nun
im Stande Investitionen zu tätigen. Im selben Monat entschied man sich auch dafür, nahezu alle Zinsraten unverändert beizubehalten. Laut Rajan habe die Formung einer stabilen Regierung Indiens Stand
im Hinblick auf Auslandsinvestitionen verbessert.
6
Third Bi-Monthly Monetary Policy Document 2014-2015:
http://www.rbi.org.in/Scripts/BS_PressReleaseDisplay.aspx?prid=31773
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Er erinnerte daran, dass die politische Stabilität eine entscheidende Rolle spielt und fügte hinzu, dass
Zentralbank und Regierung zusammen die makroökonomischen Rahmenbedingungen verbessert hätten. Seiner Einschätzung nach ist das Vertrauen in Indien hinsichtlich einer Reduzierung der Inflation
gewachsen.
Zur gleichen Zeit stieg die Inflationsrate im Einzelhandel auf
7,96 Prozent. Dies lässt sich vor allem auf steigende Kosten
für Lebensmittel wie Obst, Gemüse oder Milch zurückführen.
Rajan führte an, dass die RBI drei Jahre zuvor den Leitzins im
Zuge einer abnehmenden Inflation senkte, der Preisanstieg
trotzdem aber wieder bedenklich wurde. Nach ihm muss die
RBI sich diesem Kampf stellen, um den Leitzins danach auf
lange Sicht auf niedrigem Niveau halten zu können.
Ein Neubeginn für den Subkontinent?
Die Wirtschaft Indiens verfügt über enormes Potenzial, das
nur darauf wartet entfesselt zu werden. Die Bevölkerung des
Landes ist eine der größten der Welt und es besteht kein
Zweifel an der Möglichkeit, dass Indien die Rolle Chinas als
nächster wirtschaftlicher Gigant übernehmen kann. Während
seiner kurzen Amtszeit als Präsident der RBI gelang es Raghuram Rajan den Abwärtstrend der indischen Wirtschaft zu
durchbrechen und es gibt viele Anzeichen, dass die indische
Wirtschaft die Talsohle durchschritten hat. Die Inflationsrate
ist gesunken und die Währung hat sich stabilisiert. Auf der
anderen Seite aber hängt die Wirtschaft ihrem Potential
nach. Rajan hat sich bislang vor allem auf die Bekämpfung
der Inflation fokussiert - auf Kosten des Wirtschaftswachstums. Insbesondere indische Unternehmen haben nicht von
der Erhöhung des Leitzinses profitiert und Exportkosten sind
aufgrund der stärkeren Währung gestiegen.
Von stabilen Lebensmittelpreisen profitieren vor
allem die Armen / Foto: FNF-Projekt Indien
Interessant ist nun die Entwicklung der indischen Wirtschaft in den nächsten Monaten. Rajan hat sich
das Ziel gesetzt, die Inflationsrate bis Januar 2016 dauerhaft auf unter sechs Prozent zu senken. Dies
wird das Wirtschaftswachstum aber hemmen und es stellt sich die Frage, wie lange die indische Regierung bereit ist, dies hinzunehmen. Rajans große Popularität trägt aber zum Vertrauen der Inder und
dem Rest der Welt in ihn bei, wenn er die Bedeutung seiner Maßnahmen im Hinblick auf die aktuelle
Lage rechtfertigt. Auch das Vertrauen in die Wirtschaft Indiens ist in nur einem Jahr entscheidend
gestiegen, was Ökonomen dazu bewogen hat, ihre Wachstumsprognosen anzuheben.
Es bleibt abzuwarten wie lange die Politiker noch tatenlos zusehen, wie Rajan den Leitzins nur langsam senkt, statt das Wirtschaftswachstum zu beschleunigen. Bis jetzt hat die Interaktion zwischen
Zentralbank und Regierung funktioniert, die Frage aber bleibt wie weit Rajan gehen kann, bevor die
Politiker einen Riegel vor seine Politik schieben. Auch ist unklar wie die Reaktionen ausfallen, sollte er
das Inflationsziel nicht erreichen und Wirtschaftsindikatoren sich verschlechtern. So könnte ein externer Einfluss, der sich negativ auf Indien auswirkt, Rajan Probleme bereiten. Beispielsweise schuf das
Wetter in der Geschichte Indiens immer wieder Probleme. Während starker El Niño-Jahren fällt das
Wachstum des Agrarsektors um durchschnittlich 4,7 Prozent.
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El Niño ist ein Klimaphänomen, das sich alle zwei bis zwölf Jahre wiederholt, und die dadurch entstehende Dürre kann sich direkt auf das Wirtschaftswachstum und die Inflation auswirken. Entscheidender ist der Einfluss, den eine Dürre auf die Maßnahmen der RBI und der Regierung auswirken kann.
Bislang gehen Prognosen aber davon aus, dass das Inflationsrisiko nicht ansteigt. Das ist eine gute
Nachricht für Rajan, denn so lange er Erfolg vorweisen kann, wird er aller Voraussicht nach seine Politik unbehelligt fortsetzen können.
Barun Mitra, Leiter des Liberty Institute in Neu Delhi, führt an, dass die Inflation in Indien gewöhnlicher Weise von drei Komponenten beeinflusst wird: Währungs- und Fiskalpolitik sowie Regulierungsdichte. Die RBI hat relativ uneingeschränkte Kontrolle hinsichtlich der Fiskalpolitik, während Ausgaben
und das Haushaltsdefizit, ebenso wie regulatorische Rahmenbedingungen der Regierung obliegen.
Mitra glaubt, dass falls Rajan nicht überzeugt ist, dass die Regierung effektiv mit dem Haushaltsdefizit umgehen kann, die Zentralbank den Leitzins für ein weiteres Jahr unverändert lassen könnte. Viele
Beobachter sind ohnehin der Meinung, dass die RBI unter Rajan dem Druck der Regierung standhalten
wird, insbesondere in einem vergleichsweise günstigen internationalen wirtschaftlichen Klima.
Wird Rajans Politik Erfolg haben?
Neben der Bekämpfung der Inflation müssen noch weitere Mängel behoben werden, sollte Indien zu
seinem starken Wirtschaftswachstum zurückkehren wollen. So müssen zum Beispiel die Infrastruktur
und die Lebensbedingungen der armen Bevölkerung verbessert werden. Die Industrie würde von einem
höheren Lebensstandard profitieren und eine Politik der Verbesserung industrieller Rahmenbedingungen ist daher erstrebenswert für Indien. Das Ausmaß der industriellen Produktion ist viel zu gering und
insbesondere die Zulieferseite der Wirtschaft muss verbessert werden.
Barun Mitra: „ Es gibt zwei Dinge, die die Regierung in Angriff nehmen muss und die Aufmerksamkeit
brauchen. Zum einen die Subventionen mit einem Anteil von 2,26 Prozent am BIP, das entspricht 41,6
Milliarden US Dollar. Es ist allgemein bekannt, dass das Meiste aufgrund von Ineffizienz und Verschwendung den bedürftigen Teil der Bevölkerung gar nicht erreicht. Viele, darunter auch Rajan, haben sich für eine direkte Überweisung an Empfänger über Bankkonten ausgesprochen. Dies würde es
den Menschen ermöglichen, eigenständig Prioritäten zu setzen und Produkte direkt auf dem Markt zu
erwerben. Zum anderen müssen regulative Rahmenbedingungen verbessert werden. So wurde zum
Beispiel vor kurzem herausgefunden, dass zur Gründung eines kleinen Unternehmens in Delhi 45 Lizenzen und Genehmigungen eingeholt werden müssen und durch 75 Prozeduren gegangen werden
muss. Dieses Labyrinth an regulativen Bestimmungen zieht Korruption und Ineffizienz nach sich und
resultiert in erheblichen Kosten für den Gründer. Viele dieser Vorgänge könnten durch nationale, beziehungsweise staatliche Rechtsverordnungen vereinfacht werden.“
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Barun Mitra / Foto: FNF-Projekt Indien
Um Probleme hinsichtlich des Exports zu vermeiden, will Rajan die Rupie nicht zu sehr stärken. Das
Haushaltsdefizit, das ohnehin noch immer zu groß ist, würde ebenfalls negativ beeinflusst werden. So
wird er sehr wahrscheinlich versuchen, den Wert der Rupie zwischen 58–62 INR gegenüber dem US
Dollar zu halten. Seine Politik wurde durch die Geschehnisse auf internationaler Ebene gestützt. Der
Dollar scheint stabil und internationale Ölpreise sind, trotz der Kriege Irak und Syrien erheblich gefallen. Durch die neue Regierung und die Erwartungen einer wirtschaftlichen Wende, ist es zu einem
beachtlichen Zufluss von ausländischem Kapital gekommen, der das aktuelle Haushaltsdefizit stützt
und den Druck auf die Währung lockert. Es ist unmöglich vorauszusagen, wie lange dieser Zustand
anhalten wird. Beispielsweise kann eine Unterbrechung der Ölversorgung das Blatt abrupt wieder
wenden. Das durch die neue Regierung generierte Vertrauen in die Wirtschaft muss durch konkrete
Handlungen aufrechterhalten werden. Laut Mitra würde ein Vertrauensverlust sich negativ auf das BIP
auswirken, was es wiederrum erschweren würde, die Rupie im angestrebten Rahmen zu halten.
Bis jetzt war Rajans Arbeit erfolgreich und meiner Einschätzung nach wird Indien zu stärkerem Wirtschaftswachstum zurück finden. Jedoch stellen Probleme dieser Art jedes Land vor eine Herausforderung, die nicht schnell zu überwinden ist. Die Regierung muss vor allen Dingen die Umsetzung der
Entscheidungen verbessern. Die größte Gefahr für die indische Wirtschaft stellt ein externer Schock,
wie eine globale oder geopolitische Krise dar.
Indien ist einer der größten Ölkonsumenten und bezieht einen großen Teil des Öls über Exporte. Hohe
Ölpreise hätten demnach einen verheerenden Effekt auf das Land und würden das Haushaltsdefizit
vergrößern. Nichtsdestotrotz ist Indien heute besser für eine solche Krise gewappnet und würde aller
Voraussicht nach eine solche schneller überwinden können. Indien sollte an der Finanzpolitik festhalten und sollte das Ziel der Senkung der Inflationsrate erreicht werden, würde dies auch Wirtschaftswachstum nach sich ziehen.
Jens Rosendal ist finnischer Wirtschaftswissenschaftler und ehemaliger Praktikant der FNF.
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