Suizidprävention - Michael Wissussek

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EMOTIONSPFLEGE
Nach dem Modell von Michael Wissussek
Kapitel: Suizidprävention
E IN ANGEWANDETES
B ETREUUNGS - UND
H ANDLUNGSPRINZIP
Suizidalität, ein komplexes Problem
Suizidalität umfasst gesellschaftlich-kulturelle, individuellpsychologische und biographische Aspekte. Suizid und
Suizidalität ist sehr individuell, komplex und Gesellschaftlich nicht abgrenzbar. Suizidprävention ist daher nur inter-
disziplinär unter Beteiligung aller Berufs- und Fürsorgestel-
Grundsatz:
Die Ignoranz der
Gesellschaft und der Wertverlust
innerhalb des eigenen sozialem
Umfeldes führen in vielen Fällen zur
Depression, welche in vielen Fällen
Auslöser für eine suizidale Tendenz
sein kann.
len und unter Einbezug der Angehörigen möglich.
Das Recht
auf Selbstbestimmung:
Die Selbsttötung das Tabu
Es gibt ein Recht auf Leben, aber keinen Zwang zum Leben. Deshalb hat jeder Mensch auch das Recht, sein eige-
Um die Tabuisierung suizidalen Verhaltens zu brechen, müssen sich die Einstellungen gegenüber
suizidalem Verhalten ändern. Der Wandel der Einstellungen entlastet Suizidgefährdete und ihre Angehörigen und öffnet Wege für eine bessere Prävention und Versorgung suizidgefährdeter Menschen.
FÜR DEMENZKRANKE
nes Leben zu beenden – sei es, indem er lebensverlängernde Maßnahmen verweigert oder den Freitod wählt
(BverfGE 53, S. 131 ff.). Trotz dieser klaren juristi-
M ENSCHEN UND
DEREN A NGEHÖRIGE ,
schen Regelung ist der Freitod eines Menschen, und
mag er noch so wohlüberlegt sein, ein menschliches
Drama. Das gilt insbesondere für die Hinterbliebenen.
Prävention und Hilfe ist erst dann möglich,
Fakt: In Deutschland ist weder der Suizid noch die
wenn man erste Anzeichen der Verzweiflung
Beihilfe zum Suizid strafbar.
und erste „ Helft mir –Signale“ erkennt. Viel zu
oft wird es besonders alten Menschen nicht
Schuld als Ursache ?
zugetraut, dass auch in einer solchen Verzweif-
NACH DEM
Bei jedem Suizid bzw. Suizidversuch eines Betroffenen
sind immer die Angehörigen der Frage der Schuld ausgesetzt und bleiben oft über Jahre traumatisiert. In Einzelfällen
kann es zu einem Suizidales Verhalten von Angehörigen
aufgrund von depressiven Syndromen mit Gedanken an
Schuld kommen. Darum steht die Angehörigenfürsorge in
der Prävention und Nachsorge mit an erster Stelle.
lung sind, dass der Freitod als einzige Lösung
gesehen wird. Viele Helfer verkennen die Situation, weil sie glauben, dass alte Menschen zu
sehr in den Strukturen ihrer Religion verankert
G RUNDSATZ VON
M ICHAEL W ISSUSSEK .
sind. Unter dem Motto:“ Das tun die nicht!“
Achtung !!
In der Regel senden Betroffene Hinweise aus wenn sie suizidale Absichten haben. Sehr oft machen sie sogar direkte
Andeutungen, dass sie Suizid begehen wollen. Ein klarer Hilferuf, welcher gehört werden möchte!! Zugleich zeigen sie
häufig auffälliges Verhalten: Sie reagieren ungewöhnlich aggressiv, ziehen sich aus Freundschaften und familiären Beziehungen zurück. Es leiden allerdings nach aktuellen Studien mehr als 40 Prozent aller Heimbewohner und ein Viertel
aller ambulant betreuten Patienten unter depressiven Störungen. Da die Betroffenen aus Scham und Angst vor Ausgrenzung oftmals die Krankheit verstecken, sollten wir Fürsorgenden besonders intensiv wahrnehmen und zuhören! Die Verharmlosung der eigenen psych. Situation ist oft eine Verschleierung der beabsichtigten Selbsttötung.
Michael Wissussek 2011
..nachdenklich
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Nur noch vier Tage waren es bis zu Antonias Hochzeit. Sie wusste bereits, dass sie schwanger
war. Ihr Großvater sollte beim großen Fest dabei sein, obwohl ihre Großmutter wenige Monate zuvor an Brustkrebs gestorben war. Die Großeltern nahmen in Antonias Leben eine bedeutende Rolle
ein. Doch die Vorfreude wich dem Schock. "Mein Großvater erschoss sich mit einer Feuerwaffe.
Irgendetwas hatte einen Schalter in seinem Kopf umgelegt", erzählt sie auf einem Suizidforum in
Internet. "Er litt unter Depressionen."
Antonias Großvater war 76 Jahre alt, einsam, alkoholabhängig. Damit gehörte er einem Teil der
Bevölkerung an, in dem sich viermal so viele Menschen das Leben nehmen wie im Durchschnitt.
Männer über 75 Jahren begehen am allerhäufigsten Suizid. Im Jahr 2004 töteten sich in Deutschland etwa 55 Männer dieser Altersgruppe pro 100.000 Einwohner, stellten die Weltgesundheitsorganisation fest - viel mehr als in den meisten west- und südeuropäischen Ländern.
"Die Menge der Selbsttötungen unter alten Menschen steigt exponentiell", sagt Manfred
Wolfersdorf, Experte für Suizidprävention und Chefarzt der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie
und Psychosomatik des Bezirkskrankenhauses in Bayreuth. Obwohl sich in Deutschland insgesamt
immer weniger Menschen das Leben nehmen, steigt seit Jahren der Anteil der Hochbetagten. Die
jüngsten Zahlen des Statistischen Bundesamtes von 2007 beweisen: Von den 9.402 Menschen,
die sich in Deutschland umbrachten, ist mehr als jeder Dritte älter als 65. Zwei Drittel dieser knapp
3.400 alten Menschen waren Männer.
Wie viele Selbstmordversuche unter alten Leuten jährlich zu verzeichnen sind ist unbekannt. "Darüber gibt es keine Forschungen", berichtet Wolfersdorf. Aber wie alte Menschen sich das Leben
nehmen, ist kein Geheimnis - eher ein Tabu. "Sie wählen deutlich härtere Methoden als jüngere
Menschen. Vor allem Männer erhängen oder erschießen sich, stürzen sich vor Züge oder springen
aus großer Höhe. Frauen dagegen vergiften sich häufig", erklärt Wolfersdorf. Generell beobachten Fachleute, dass die Entscheidung für den Suizid bei Alten anders erfolgt als bei Jungen.
Die Art und Weise des Tötungsversuchs ist meistens wohlüberlegt. Eine Rettung nach der
Tat soll möglichst ausgeschlossen werden.
Was treibt alte Menschen in den Suizid? "Ohne meine Frau hat das Leben keinen Sinn mehr für
mich", sagt ein 70-Jähriger, der anonym bleiben will. Seine Frau ist an Krebs erkrankt. Reinhard
Lindner, Psychotherapeut und Neurologe am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, kennt solche Aussagen: "Vereinsamung und Isolation tragen zu einem Suizid im Alter bei." Experten des
Nationalen Suizidpräventionsprogramms für Deutschland, das seit 2004 existiert, fanden zudem in
zahlreichen Patientengesprächen heraus, was weitere Motive für Selbsttötungen alter Menschen
sind: Nicht wenige wollen ihren Angehörigen nicht als Pflegefall zur Last fallen - oder sie plagen
sich mit chronischen Schmerzen.
Verwendungsnachweis:
Interview mit Manfred Wolfersdorf,
Experte für Suizidprävention und
Chefarzt der Klinik für Psychiatrie
Michael Wissussek / Emotionspflege2011
Prävention
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Suizidprävention in der Demenzpflege Riedlingen
Definition:
Depressive Störungen sind eine tief greifende Beeinträchtigung des Gefühls- und
Gemütslebens. Sie äußern sich in einer krankhaft freudlosen und niedergedrückten
Stimmung. Häufig werden Depressionen begleitet von mangelndem Selbstwertgefühl, Hoffnungslosigkeit und Antriebslosigkeit.
Es besteht ein direkter Zusammenhang zwischen Pflegebedürftigkeit und dem Risiko einer depressiven Störung. Menschen, die stationär versorgt werden, leiden
häufiger unter Depressionen als ambulant versorgte Patienten oder gesunde Menschen. Wenn ein Bewohner unter Demenz, insbesondere unter der AlzheimerKrankheit leidet, steigt das Risiko einer Depression deutlich an.
Grundsätze:
Eine Depression ist eine ernstzunehmende Krankheit, die in jedem Fall von
einem Facharzt behandelt werden muss.
Depressionen sind kein unabwendbares Schicksal, sondern können zumeist
gut therapiert werden. Dies gilt auch für Depressionen in Verbindung mit
Demenz.
Wir begleiten diese Behandlung in enger Absprache mit dem Arzt durch eine
angepasste Betreuung.
Da viele Bewohner ihre Depressionen aus Scham verbergen, ist es für Pflegekräfte schwierig, diese Krankheit zu erkennen. Daher sollte bereits ein
begründeter Verdacht mit dem Arzt besprochen werden.
Als Demenztagespflege oder häusl. Betreuungsdienst sind unsere Möglichkeiten zur Pflege depressiver Menschen begrenzt. Wenn ein Schützling so
depressiv ist, dass ein Suizid unmittelbar droht, sollten Möglichkeiten der
Einweisung in ein psychiatrisches Krankenhaus unter Einbezug einer fürsorgenden Begleitung, wie im Demenzlotsensystem vorgesehen, in Betracht
gezogen werden.
Bei der Prävention, Feststellung und Behandlung von Depressionen sollten
die Bezugspflegekraft, die Ärzte und die Angehörigen eng zusammen arbeiten.
Alle Maßnahmen werden schriftlich dokumentiert.
Ziele:
Die Sicherheit des Bewohners, etwa vor einem Suizidversuch, ist gewährleistet.
Depressionen werden von den Pflegekräften schnell und korrekt als solche
erkannt.
Ein Bewohner, der unter Depressionen leidet, wird menschlich, pflegerisch
und medizinisch optimal versorgt.
Michael Wissussek / Emotionspflege2012
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Vorbereitung:
Das Personal kennt die Grundsätze der Emotionspflege und ist in
das Demenzlotsensystem integriert. Regelmäßige Fortbildung zum
Thema Suizid und Depression sind wichtig.
Wir sensibilisieren auch andere Berufsgruppen, etwa Hauswirtschaftskräfte oder Ergotherapeuten, und bitten diese, entsprechende
Beobachtungen an die Pflegekräfte weiterzugeben.
Durchführung:
Symptome:
Das individuelle Depressionsrisiko jedes Bewohners wird in Fallbesprechungen und bei der Teamsitzung regelmäßig thematisiert.
Depressionen werden frühzeitig im Dialog mit Bewohnern angesprochen. Dem Bewohner wird verdeutlicht, dass Depressionen keine
normale und unausweichliche Alterskrankheit sind.
Selbst scheinbar nebensächliche Äußerungen des Bewohners etwa
über Selbstmordabsichten muss die Pflegekraft ansprechen und klären, ob es einen tiefer gehenden Hintergrund dafür gibt. Die Aussagen des Betroffenen dürfen nicht auf die "leichte Schulter" genommen werden.
Wenn es nachvollziehbare Umstände für den Todeswunsch gibt, sollte das Personal fürsorgendes Verständnis für die Gedanken zeigen,
ohne die Lebenssituation des Bewohners zu verharmlosen. Mit etwas
Einfühlungsvermögen wird der Bewohner vielleicht über seine Suizidabsichten sprechen.
Angehörige und Betreuer werden auf etwaige Depressionen angesprochen und um weitere Informationen gebeten.
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Der Bewohner verweigert medizinische Therapien, etwa die
übliche Medikamenteneinnahme.
Es gibt "stumme Hilferufe", etwa Beinahe-Unfälle durch
scheinbare Unachtsamkeit.
Der Bewohner zeigt ein erhöhtes Schmerzempfinden.
Der Bewohner weint häufig, zeigt Schlafstörungen oder halluziniert.
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Michael Wissussek / Emotionspflege 2012
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Symptome:
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Prävention
Controlling:
Vorbereitungen für den Suizid (z.B. Tabletten sammeln )
Die vom Betroffenen genommenen Medikamente werden regelmäßig auf entsprechende Neben- und Wechselwirkungen kontrolliert.
Etwa: Sedativa, Betablocker, Antipsychotika, Benzodiazepine usw.
Bei körperlichen Beeinträchtigungen wird immer auch deren Einfluss
auf das Depressionsrisiko in Betracht gezogen. Etwa: Unterfunktion
der Schilddrüse, Elektrolytstörung, Herzinsuffizienz usw.
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Nachbereitung:
Das Interesse am eigenen Aussehen schwindet.
Der Betroffene isst weniger und magert ab, ohne dass es
dafür eine medizinische Erklärung gibt.
Der Betroffene äußert vermehrt Selbstvorwürfe wegen vergangener - etwa familiärer - Entscheidungen.
Der Betroffene zeigt Denk- und Konzentrationsdefizite.
Der Betroffene spricht vage von einem "drohenden Unheil"
Scheinbar beiläufig kommt der Betroffene bei Unterhaltungen immer wieder auf das Thema Tod zu sprechen.
Der Mensch verschließt sich immer mehr und bricht Kontakte zu Freunden und Angehörigen ab.
Der Betroffene verschenkt Gegenstände, die ihm vorher besonders wichtig waren.
Der Betroffene bringt Ordnung in seine Angelegenheiten
(Testament usw.), obwohl ihn dieses vorher nie interessierte.
Selbst jahrelang gepflegte Interessen und Hobbys werden
unwichtig.
Es kann verstärkten Alkoholmissbrauch geben.
Der Betroffene zeigt Minderwertigkeitsgefühle.
Der Mensch musste vor kurzer Zeit einen Schicksalsschlag
verkraften (Tod des Ehepartners, schwere eigene Krankheit, Streit mit Angehörigen usw.)
Es hat bereits einen misslungenen Selbsttötungsversuch
gegeben.
Stärkere Überwachung des Zimmers, soweit das die Wahrung der Intimsphäre erlaubt. Der Bewohner wird häufiger
besucht.
Die korrekte Einnahme ärztlich angeordneter Medikamente
wird stärker überwacht. Ein Horten etwa von Schlafmitteln
muss verhindert werden.
Ggf. wird der Bewohner in eine psychiatrische Klinik eingewiesen.
Personal- und Angehörigenfürsorge, um in Hilfestellung die mentalen Belastungen im Umgang mit depressiven Bewohnern zu verarbeiten.
Michael Wissussek / Emotionspflege 2012
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Michael Wissussek / Emotionspflege2012
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