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WISSEN MARKENSTRATEGIE
No frills, more profit
C U LT U R A L
CKING
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Nicht zuletzt hohe Ausgaben für Kundengewinnung und Kundenbindung ließen
das operative Ergebnis von E-Plus im zweiten Quartal dieses Jahres einbrechen.
Nun versucht der drittgrößte Mobilfunker, mit einer No-Frills-Marke (zu Deutsch:
kein Schnickschnack) an die Erfolge der Discounter im Lebensmittelhandel oder
Flugmarkt anzuknüpfen. Mit der Marke simyo verspricht E-Plus dem Kunden
marktbeste Preise, die durch Reduktion der Leistung auf das Kernprodukt
Prepaid-Karte sowie kosteneffiziente Abwicklung des Kundenservice direkt über
das Internet oder per E-Mail erreicht werden sollen. Droht damit den etablierten
Marken – auch der eigenen Marke E-Plus – ein Verlust ihres Marken-MehrWertes? Funktioniert die Trennung zwischen Billig- und Hochpreissegment, oder
setzt sich die Preisspirale nach unten in Bewegung? Drei Meinungen dazu.
Discount ist nur eine Facette –
erfolgreiche Mehrmarkenstrategie
in einem gesättigten Markt
Uwe Bergheim,
Vorsitzender der Geschäftsführung von E-Plus, Düsseldorf
M
it über 70 Millionen Teilnehmern gibt es in Deutschland
kaum noch einen Menschen
ohne Handy. Der Markt steuert auf die
Sättigungsgrenze zu, und die bisherigen
Instrumente der Kundengewinnung stoßen wie erwartet an die Grenzen ihrer
Effizienz. So ist es ökonomisch zumindest fragwürdig, Neukunden ungeachtet
ihres wahren Umsatzpotenzials über die
Dreingabe eines kostenlosen Handys
teuer zu erkaufen.
Über Jahre hinweg haben die Entwickler
ständig neue Technologien erarbeitet.
Die Frage „Was wollen die Kunden?“
stand dabei nicht im Mittelpunkt. Tatsache ist jedoch: Wer Kunden gewinnen
will, muss die Wünsche der Verbraucher
in den Mittelpunkt stellen. Dazu gehört,
unterschiedliche Zielgruppen individuell
zu bedienen. Unsere Antwort auf diese
Marktsegmentierung ist eine konsequente Multi-Marken-Strategie.
Der typische Privatkunde will einfach nur
preiswert mobil telefonieren. Dennoch
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greifen immer noch viele Teilnehmer
selten zum Handy. Ein Grund ist die Komplexität der Angebote. Hier setzt simyo
an. Der USP von simyo ist die radikale
Einfachheit des Produkts. Es gibt nur
einen einzigen Minutenpreis, rund um
die Uhr und in alle Netze. Zugleich liefert
simyo die Antwort auf die nach wie vor
hohen Gesprächspreise: Denn statt subventionierter Handys, kostenloser Hotlines oder der Beratung im Shop gibt es
bei simyo einfach preiswerte Minuten.
Derzeit wird die Marktentwicklung vereinfacht als Aufspaltung in ein Hoch- und
ein Niedrigpreissegment beschrieben.
Dies ist mitnichten der Fall. Wir werden
es in Deutschland bald mit deutlich
mehr Segmenten zu tun haben, die alle
ihr eigenes, maßgeschneidertes Angebot
und die dazu passende Kommunikation
erhalten.
Der Trend geht zu günstigeren Preisen.
Und dies ist ausdrücklich die einzig richtige Antwort auf unsere Marktsituation.
Im internationalen Vergleich sind die
Minutenpreise in Deutschland überhöht. Nicht umsonst steht Deutschland
an einer der letzten Stellen, was Nutzungsdauer und -häufigkeit angeht. Hier
besteht ein deutlicher Zusammenhang.
Angesichts der Tatsache, dass wir Mobilfunker künftig nur mehr verhältnismäßig
langsam über die Neukundengewinnung
wachsen können werden, ist es umso
wichtiger, durch Stimulanz der Handynutzungsdauer neue Umsatzpotenziale
zu Lasten des Festnetzes zu erschließen.
Mit der bisherigen Produkt- und Preispolitik haben die Anbieter dieses Ziel nicht
erreicht. Die Kunden haben sich zwar alle
zwei Jahre ein neues Handy abgeholt, es
angesichts der hohen Minutenpreise aber
nicht ausreichend intensiv genutzt.
Es wäre allerdings verfehlt, allein aus
den günstigeren Minutenpreisen auf
einen Preisverfall zu schließen. Die Kunden, die einen echten Billigpreis zahlen,
bekommen auch weniger Service. Der
Umkehrschluss stimmt ebenfalls: Telefonierer, die alle zwei Jahre ein billiges
absatzwirtschaft – Zeitschrift für Marketing 10/2005
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Handy und umfangreiche Serviceangebote wünschen, werden auf absehbare Zeit
niemals zu einem so günstigen Minutenpreis wie bei simyo Gespräche führen.
Schließlich sind die Subventionen für
Endgeräte und die Services Bestandteil
der Preispolitik eines jeden Tarifs. Die Anbieter könnten sich Discount-Preise gar
nicht leisten. Neben den Subventionen für
Endgeräte müssen die „großen Vier“ kostenloseCHotlines
oder
U LT U R
A Lein bundesweites
HAVertriebsund Shopnetz refinanzieren. So
CKING
bedienen diese Marken künftig ebenfalls
ein klar definiertes Zielgruppensegment:
anspruchsvolle Kunden, die Wert auf
persönliche Betreuung legen, mobile Datenangebote nutzen und regelmäßig neue
Handys wünschen. Auch muss E-Plus
Kannibalisierungseffekte, hervorgerufen
durch simyo oder BASE, nicht fürchten.
Bei einem Marktanteil von E-Plus von etwa 13,5 Prozent stammen 87 von 100 der
Neukunden aus einem der anderen Netze.
Und die übrigen 13 Kunden – so ehrlich
sind wir – finden bei simyo oder BASE,
unserer zweiten neuen Marke, ohnehin
das für sie bessere Angebot.
Sehenden Auges in den
Abgrund der Preisspirale
Jan Biallas,
Consultant am Institut für Markentechnik Genf
D
er Markt ist reif für eine Segmentierung“, stellt E-Plus-Chef Uwe
Bergheim fest und meint damit
reif für richtig billig. Natürlich sollen mit
simyo, dem neuen Mobilfunk-Billiglabel,
nur der Konkurrenz Kunden abspenstig
gemacht werden. An eine Kannibalisierung der eigenen Premiummarke glaubt
das Unternehmen nicht.
Mit Blick auf die Marktpotenziale und
eine freie Netzkapazität von rund zehn
Millionen Kunden meint der E-Plus-Chef,
mögliche Risiken kontrollieren zu können, und zieht den Schluss: „Wir haben
mehr zu gewinnen als zu verlieren.“
Als Gefahrenabsicherung hat E-Plus die
Zweitmarke simyo als eigenständige Gesellschaft gegründet. Sie soll sich durch
klar differenzierte (Nicht-)Leistungen
von E-Plus unterscheiden.
Wie jedes Billigangebot werden die simyoAngebote so kalkuliert sein, dass günstige
Preise offeriert werden können. Und hier
liegt das Problem: Die Rechnung geht nur
mit den kalkulierten Preisen und einem
kräftigen Umsatz auf. Selbst wenn das
simyo-Angebot gut angenommen wird,
gibt es für die Konkurrenz nichts Leichteres, als die einfachen Tarifangebote zu kopieren und vielleicht noch den einen oder
anderen zusätzlichen Service zu bieten.
Der Wettbewerb reagiert auf dauerhafte
Billigangebote der Konkurrenz erfahrungsgemäß mit den gleichen Mitteln. Damit
beschleunigt sich dann der Preisverfall im
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gesamten Markt. Sicherlich ist man bei
simyo vorbereitet, auch bei einem Preisverfall den Preisabstand wiederherzustellen.
Es stellt sich nur die Frage, wie oft man
die Tarife senken kann. Da der Preis jedoch
das einzige Unterscheidungsmerkmal ist,
kommt simyo bei jeder neuen Annäherung
der Wettbewerber in Zugzwang, mit einer
Tarifsenkung zu antworten.
Schnell werden die Verantwortlichen
feststellen, dass es in den heutigen Verdrängungsmärkten unmöglich ist, Preissenkungen mit einem Umsatzplus auszugleichen. Hinzu kommt, dass auch E-Plus
nun ständig auf die von der Zweitmarke
initiierten Angebotsturbulenzen im Markt
antworten muss. Und so dürfte es nicht
lange dauern, bis E-Plus sich gezwungen
sieht, selbst auch Billigtarife anzubieten.
Damit würde sich dann E-Plus genau der
Mittel bedienen, mit denen die eigens
hierfür gegründete Gesellschaft simyo
den Markt erobern sollte.
Spätestens wenn eine der beiden Seiten – E-Plus oder simyo – durch die
sich abwärts drehende Preisspirale unter
Druck gerät, wird die ursprüngliche Abgrenzungsstrategie hinterfragt werden.
Die Praxis beweist, wie schwierig es ist,
eine klare Abgrenzung aufrechtzuerhalten. Als zum Beispiel Daimler-Chrysler
den Smart einführte, wurde explizit auf
die Trennung der Marken verwiesen. Heute plant Daimler-Chrysler, Entwicklung,
Vertrieb, Einkauf und After-Sales-Service
von Smart in die jeweiligen Bereiche von
Mercedes-Benz Pkw zu integrieren sowie
die Smart-Modelle beim Mercedes-Händler zu verkaufen.
Nach mehreren Preisrunden und der
Preiskonkurrenz im eigenen Hause wird
man überlegen, wie simyo kontern kann,
ohne gleich den gesamten Tarif zu senken. Was liegt näher, als das Repertoire
der anderen wieder aufzugreifen: vergünstigte Handys, sonstige Accessoires,
Dienstleistungen et cetera. Damit würden
wieder jene Mittel eingesetzt, die eigentlich E-Plus vorbehalten sein sollten und
bewusst nicht angeboten wurden. Möglicherweise hat E-Plus inzwischen, auch
unter Druck des externen Wettbewerbs,
sein Prepaid-Konzept dem von simyo
angleichen müssen.
Damit wäre die einstmals konzipierte
Markentrennung zu Gunsten eines besonders billigen Angebots von beiden Seiten
unterlaufen worden. Die dafür eigens gegründete Gesellschaft würde zum reinen
Kostenfaktor ohne Gegenwert.
Der Markt hat wie immer die Herausforderung angenommen, und E-Plus steht
wieder dort, wo alles begonnen hat – nur
auf einem niedrigeren Preisniveau mit
einem geringeren Ertrag und dem zusätzlichen Kostenblock einer eigenständigen
Gesellschaft.
Ein findiger Manager wird dann wahrscheinlich beschließen: „Der Markt ist
reif für eine Segmentierung.“
absatzwirtschaft – Zeitschrift für Marketing 10/2005
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simyo – der Smart
C U LT U des
R A L Mobilfunks?
HACKING
Dr. Ekkehard Stadie,
Partner bei Simon Kucher & Partners, Bonn
Die Wahrheit ist nicht schwarz oder weiß.
simyo greift ein Phänomen stagnierender
Märkte auf. Wenn Marktwachstum nicht
möglich ist, werden bestehende Kundengruppen neu verteilt. Eine Strategie ist
die der immer feineren Segmentierung
mit Segmentangeboten. Zu glauben, dass
simyo Handy-Neukunden ans „Rohr“
bringt, wäre naiv. Vielmehr geht es darum,
Segmente bestehender Handy-Nutzer
präziser zu adressieren. Die Idee ist dabei,
möglichst viele der Wettbewerbskunden
anzusprechen und möglichst wenige von
E-Plus auf simyo downzugraden.
simyo ist ein klares Segmentangebot. Als
No-Frills-Produkt kopiert simyo das Geschäftsmodell der Billigflieger. Es spricht
die Gruppe der preisbewussten, informierten, internetaffinen Klientel an, welche die
Einfachheit eines Einheitspreises von 19
Cent schätzt. Neben Tarifdifferenzierung
verzichtet diese Gruppe auf subventionierte Handys plus jegliche Form des
persönlichen Kontakts/Vertriebs.
Ob ein Preiskrieg entsteht, hängt ausschließlich von der Reaktion des Wettbewerbs ab. simyo kommuniziert an ein
Segment einen attraktiven Preispunkt,
baut aber auch für viele Segmente die genannten Hürden im Vertrieb und Angebot
auf. Preisvorteil und Geschäftsmodell sind
einfach und kopierbar. Die Frage lautet, ob
und für wen „kopieren“ sinnvoll ist.
Für Vodafone und T-Mobile ist die Wahrscheinlichkeit, dass bei einem eigenen
„simyo“-Angebot ein Neukunde faktisch
ein „Altkunde“ der Premiummarke ist, bei
42 Prozent Marktanteil viermal so hoch.
Noch haben die Großen der Branche
richtigerweise nicht auf den Hauptmarken nachgezogen. Die Strategie lautet
Verteidigung, um das No-Frills-Segment
nicht kampflos E-Plus zu überlassen. Dies
geschieht einerseits über Kooperationen
wie Payback, andererseits werden die
eigenen Premiummarken wertiger positioniert. Im Prepaid-Bereich werden Flat50
Optionen für verkehrsschwache Zeiten
wie Wochenende und Abend angeboten.
Flat-Feeling gegen Commitment statt
Einheitspreis ohne Verpflichtung.
Premium-Marktführer anderer Branchen
bestätigen die Richtigkeit dieses Ansatzes.
TUI mit Discount Travel, Lufthansa mit
Germanwings und T-Online mit Congster
haben Steuerungsmarken positioniert,
mit denen sie an Trends teilhaben, gleichzeitig aber die Hauptmarke schützen oder
zum Teil auch (preislich) aufladen wie
beispielsweise Lufthansa.
Ein direkter Preiswettbewerb ins Premiumsegment wird durch simyo nicht erzeugt.
Vielmehr ist simyo ein weiterer Vorbote
der generellen Tendenz des Preisverfalls
durch Marktsättigung und Überkapazität
auf hohem Margenniveau.
E-Plus galt vor simyo bereits als preisgünstig positioniert. Jetzt unter die Hauptmarke E-Plus eine Günstigmarke simyo zu
setzen ist ein Spagat. Das Produkt ist zwar
sauber abgegrenzt. Die Preissensitivität
der E-Plus-Klientel ist jedoch strukturell
höher. Überproportional zum Marktanteil von E-Plus werden Neukunden
Downgrader von E-Plus zu simyo sein.
Auf Grund des fehlenden Bundles mit
einem Handy ist weiterhin die Rate der
aktiven Nutzung erfolgskritisch. Viele
werden die Karte als Zweitkarte „kein
Commitment, kostet ja (fast) nichts,
kein Risiko“ gekauft haben. Da nur eine
weitere Karte verkauft wird, wird ein signifikanter Anteil unterdurchschnittliche
oder gar keine Nutzung aufweisen. Dies
gilt umso mehr für Neukunden, die vom
Wettbewerb gewonnen wurden. Die Profitzahlen kennt nur E-Plus. Dass Kundenzahlen aber kein Indikator für den Erfolg
von simyo sind, liegt auf der Hand.
E-Plus wird es mit simyo und anderen
Angeboten kurzfristig nicht schaffen, das
zu attackieren, was zunehmend der wahre
verbleibende Customer Pain Point ist: Minutenpreise zu anderen Mobilfunknetzen.
90 Prozent der Kunden sind nicht bei
E-Plus/simyo. Hier kann E-Plus auf Grund
der Marktgröße mit Vodafone und TMobile nicht mithalten. Diese sind gut
beraten, den einzigen kurzfristig nicht
kopierbaren Wettbewerbsvorteil, Größe
der eigenen Kundenbasis, tariflich viel
stärker zu spielen. Damit sind Einheitspreise wie bei simyo nicht das Mittel
der Wahl für die Großen. Marketing für
Communities im eigenen Netz wird damit
immer wichtiger.
E-Plus hat über simyo das Jahr des Segmentmarketing ausgerufen. Es ist vergleichsweise einfach, analytisch unterschiedlichste Segmente zu identifizieren.
Dabei darf nicht vergessen werden, dass
E-Plus traditionell die schwächste MediaPower im deutschen Mobilfunkmarkt hat.
simyo ist eine neue Fantasiemarke für ein
Segment unbekannter Größe. Zukünftig
für jedes Segment eine eigene Marke zu bewirtschaften ist nicht Erfolg versprechend
und finanziell nicht durchhaltbar. Auch
E-Plus muss aufpassen, nicht den Fehler
der Automobilindustrie zu machen. Die
hat im Glauben daran, unterschiedlichste
Segmente profitabler adressieren zu können, noch und nöcher neue Autokonzepte
gelauncht . Letztendlich wurden durch
diese Variantenvielfalt aber primär Komplexitätskosten und Marketingaufwand
dramatisch erhöht.
Der Profit ist nicht gestiegen. Siehe Mercedes. Mit anderen Worten: Dass simyo
und seine zukünftigen Geschwister zum
Smart des Mobilfunks werden, ist nicht
ausgeschlossen.
UND IHRE MEINUNG?
Beschleunigt die Marke simyo die
Preisspirale in der Mobilfunkbranche
nach unten, oder handelt es sich
um einen genialen Segmentierungsansatz? Teilen Sie uns Ihre Meinung
mit unter www.absatzwirtschaft.de/
simyo-forum.
absatzwirtschaft – Zeitschrift für Marketing 10/2005
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