Region kultuR DIE SüDoSTScHWEIz | DieNSTAg, 4. JUNi 2013 Ursina Lardi: «Ich wechsle das Kleid, und dann geht es los» 10 «Oh Liebster, komm doch zu mir!» Am Sonntag war im Theater Chur Schlafen, Lieben und Singen mit Christoph Marthaler angesagt. Ein Fest der Lieder und der Hoffnungslosigkeit. Von Math�as Balz�r Chur. – Die zahlreichen Theatergänger, die sich zum Ende des trüben Wochenendes noch aufraffen konnten, im Theater Chur mit Christoph Marthaler das Schlafzimmer zu teilen, wurden reich belohnt. «King Size» ist zwar die kleinste Marthaler-Inszenierung seit Langem, aber sie hält, was das Label verspricht: Musiktheater der virtuosen, skurrilen, stellenweise abgründigen Art. «King Size» ist an diesem Abend nur das Bett, das Bühnenbildner Duri Bischoff in ein gold-blau schimmerndes, königliches Damen-Schlafzimmer gestellt hat. In ihm singt sich das Pärchen Michael von der Heide und Tora Augestad durch das Repertoire der Schnulzen und Schlager, der romantischen Liebes- und Schlaflieder. Das Paar tut dies mit schlafwandlerischem Können. Im, auf und unter dem Bett liegend, in der Dusche, in Showpose an der Rampe, in klassischer Liedvortrag-Manier, kurz: In allen möglichen und unmöglichen Stellungen – ohne zueinander zu finden. Begleitet werden die Schmachtenden vom Pianisten Bendix Dethleffsen, der bereits zu Beginn mit seinem «Wachet auf» in Endlosschlaufe klarmacht, dass all die schöne Musik hier Soundtrack ist für ein absurdes Schlafkammerspiel. Die begehbaren Schränke, die kaum erreichbare Minibar, das klassische und genüsslich zelebrierte Tür-auf-Tür-zu-Spiel heben den Abend ins Kunstvolle. Ein gefeierter Theaterabend: Urs�na Lard� sp��lt �hr Solo «D�� Kl��d�r d�r Frau�n» d��s� Woch� am TAK �n Schaan. Diese Woche ist Ursina Lardi mit ihrem ersten Solostück in Schaan zu Gast. Im Interview spricht sie über die Herausforderung, eine Frauenbiografie zu spielen und darüber, welche Rolle das Publikum spielt. M�t Urs�na Lard� sprach Claud�a Schn��bau�r Die Bündner Schauspielerin Ursina Lardi lebt in Berlin und führt das bewegte Leben einer erfolgreichen Darstellerin. Diese Woche steht sie als Rita in «Die Kleider der Frauen» auf den Brettern des TAK, Theater Liechtenstein in Schaan. Das Besondere am Stück: Sie steht alleine auf der Bühne. Das Besondere an dessen Entstehung: Lardi hat es zusammen mit dem Regie-Duo Thorsten Lensing und Jan Hein entwickelt. Die drei gespielten Szenen entnahmen sie einem Erzählzyklus der deutschen Schriftstellerin Brigitte Kronauer. Seit zwei Jahren gehört das Stück über Ritas Leben zu Lardis Repertoire, und jedes Mal begeistert sie Kritiker und Publikum. «Wenn man von sich erzählt, inszeniert man» Frau Lardi, w�rum geht es in «Die Kleider der Frauen»? Ursina Lardi: «Die Kleider der Frauen» sind eine lückenhafte Biografie über eine gewisse unzuverlässige Rita. Ich bin diese unzuverlässige Rita. Durch ihre Erinnerungen erkennt man, wie man selber mit seinen Erinnerungen umgeht.Wenn man von sich selbst erzählt, dann verändert man doch auch immer etwas, konstruiert etwas hinzu, lässt etwas weg, man inszeniert sich selbst und versucht so eine gewisse Ordnung in das Chaos des Lebens zu bringen. Das ist im Grunde schon Theater. Die Geschichten, die Rita über sich erzählt, sind wie verschiedene Kleider, die sie anzieht. Wie kam es �u der Idee, erstmals Pr�satexte Brigitte Kr�nauers auf die B�hne �u bringen? Als wir diese Geschichten lasen, hatten wir sofort Lust, aus einigen von ihnen Theater zu machen. Und diese Freude an einer Sache ist natürlich ein ganz wichtiges Entscheidungskriterium. Kronauer lässt auf wenigen Seiten komplexe Welten entstehen, hinzu kommt, dass in ihren Geschichten Grundfragen des Theaters wie Verwandlung und Verkleidung eine Rolle spielen. Daher hatte das alles auch etwas Naheliegendes und Unangestrengtes. Rita spielt ja selbst ständig. Sie steht in der Mitte des Lebens und spielt mit ihren Erinnerungen und mit ihrer möglichen Zukunft. Sie stellt sich sogar ihren eigenen Tod vor. Sie durchlebt ihn sozusagen spielend. Sie spielen drei Lebensphasen: das se�hsjährige Mäd�hen, die Studentin und die 90-Jährige. Wie v�ll�iehen Sie den We�hsel �wis�hen den Generati�nen? Ach, das ist eigentlich ganz einfach. Ich wechsle das Kleid, und dann geht es los. Die verschiedenen Alter werden durch die Texte lebendig. Was gefällt Ihnen an Rita? Wie sieht die private Ursina Lardi diese Pers�n? Rita ist auch oft wunderbar unkorrekt, das mag ich an ihr. Ich habe viel über sie gelacht. Sie stehen als Rita allein auf der B�hne. Was gefällt Ihnen an der Situati�n «Allein mit dem Publikum»? Ich hatte so was noch nie gemacht, ein Solo. Darin liegt der Reiz; in dem Risiko, etwas Neues zu versuchen. Ich überfordere mich absichtlich, um mich zu Neuem zu zwingen. Sie haben in den let�ten �wei Jahren das St��k s�h�n �ft gespielt und jedes Mal erhielten Sie sehr gute Kritiken. Geben Ihnen diese Erf�lge R��kenwind f�r S�haan? Über gute Kritiken freue ich mich natürlich immer. Auf der Bühne helfen sie aber nicht. Pr�ss�b�ld likerin genauso gerne gespielt wie Königin Elisabeth. V�n aussen betra�htet f�hren Sie ein unregelmässiges Leben. Wie erh�len Sie si�h und regenerieren die «innere Festplatte»? Ich spiele Klavier, und daher sorge ich meist dafür, dass am Drehort auch eines zur Verfügung steht. Sie spre�hen se�hs Spra�hen fliessend. Erlei�htert Ihnen diese Spra�hgewandtheit das Einstudieren der R�llen? Leider hilft das überhaupt nichts. «Ob Film oder Theater, ist nicht die Frage» Sie feiern in den let�ten Jahren Erf�lge s�w�hl im Film wie auf der B�hne. W� sehen Sie si�h lieber? Ob Film oder Theater, ist für mich nicht mehr die entscheidende Frage. Es kommt darauf an, was ich da zu tun habe und mit welchen Menschen ich zusammenarbeite. Wenn Sie spielen – ist Ihnen das Publikum egal �der gibt es ein «Wuns�hpublikum»? Wie sollte es mir egal sein? Es spielt ja eine entscheidende Rolle. Ein Theaterabend entsteht aus der Begegnung zwischen den Schauspielern und dem Publikum. Er wird von beiden Seiten gestaltet. Bei einem Solo ist es ja sogar so, dass das Publikum mein einziger Partner ist, also wünsche ich mir von ihm, was sich jeder von einem Gesprächspartner wünscht: Aufmerksamkeit, Humor, Geduld ... Gibt es eine Häufung v�n bestimmten Frauentypen, die Sie darstellen? Ich arbeite daran, dass das nicht passiert. Ich habe die obdachlose Alkoho- Was steht als Nä�hstes auf Ihrem Plan? Mitte Juni habe ich Premiere an der Schaubühne mit einer Uraufführung von Falk Richter. Im Juli und August drehe ich den Schweizer Kinofilm «Unter der Haut». «D�� Kl��d�r d�r Frau�n»: Urs�na Lard�. M�ttwoch, 5., und Donn�rsta�, 6. Jun�, 20 Uhr, SAL, Schaan. Keine Erf�llung, nur Lieder Dorthin – ins harmlos Kunstvolle – würde der Liederabend auch in seiner ganzen somnambulen Schönheit entschweben, wäre da nicht Nikola Weisse, die als einsamer Hausgeist durch den Erinnerungsraum ihres Schlafzimmers tappt. Diese Queen-Mother untergräbt die überbordende Liebesmüh und -hoffnung des jungen Paares mit trockener Lakonie. Kaum hat Von der Heide das «Ouvre tes jambes» an seine schlafende Bettpartnerin gerichtet, demonstriert Weisse anhand eines Notenständers die Tücken der Gelenkigkeit. Das Einzige, was sie noch besitzt, ist eine Handtasche, aus der sie auch mal Spaghetti isst, dass einem das Lachen im Hals stecken bleibt. Für sie sind «die Naturgesetze nicht mehr, was sie einmal waren», und sie weiss, dass so «mancher Notenständer noch nie eine Note gesehen hat». Bei Marthaler findet einmal mehr niemand Erfüllung. Die vollkommene Liebe existiert nur im Lied, in der Melodie. Sei es in dem Unterhaltungsinstinkte bedienenden «Tout-ToutSchlager» oder im tieftraurigen «Oh Liebster, komm doch zu mir». Von Graubünden an die Schaubühne Berlin Ursina Lardi wurde 1970 in Samedan geboren. Seit der Spielzeit 2012/13 ist sie festes Ensemblemitglied der Schaubühne Berlin. Ihre Schauspielausbildung absolvierte sie an der Hochschule für Schauspielkunst «Ernst Busch» in Berlin. Es folgten Engagements am Düsseldorfer Schauspielhaus, am Schauspiel Frankfurt, am Schauspiel Hannover, dem Deutschen Schauspielhaus Hamburg, der Schaubühne und dem Berliner Ensemble. Lardi ist auch in zahlreichen Fernseh- und Kinofilmen zu sehen, u. a. in dem vielfach ausgezeichneten Film «Das weisse Band» von Michael Haneke. (so) Es bleibt die Handtas�he: N�kola W��ss� sp��lt d�n sto�sch�n Kontrapunkt zu all�r L��b�smüh. B�ld Rolf Canal