Ressource, Risiko und ohne Alternative: warum die Politik nicht auf

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Leonard Novy
BBE-Newsletter 22/2007
Ressource, Risiko und ohne Alternative: warum die Politik
nicht auf E-democracy verzichten kann
Traditionelle Parteibindungen lösen sich auf, sichere Prognosen zum
Wahlverhalten der Bürger sind kaum mehr möglich, viele Bürger treten den
Weg zur Wahlurne erst gar nicht mehr an. Gleichzeitig steht die Politik unter
dem permanenten Druck der Massenmedien. Ob sie sich nun geschickt den
Gesetzmäßigkeiten einer mediatisierten Gesellschaft angepasst hat, oder ob
die Medien, wie der Politologe Thomas Meyer vor ein paar Jahren warnte, die
Politik
„kolonisiert“
haben,
bleibt
dahingestellt.
Fest
steht,
die
Medienabhängigkeit der Politik ist in der Berliner „Mode- Ereignis- und
Stimmungsdemokratie” (Gunther Hofmann) gestiegen. Parteikommunikation
wird zusehends zur Marken- und Macherkommunikation, der innerparteiliche
Dialog bleibt da schon mal auf der Strecke. Reformen werden – siehe „Agenda
2010“ oder „Rente mit 67“ – handstreichartig und im Hauruckverfahren
durchgepeitscht. Vermehrt, vielfach auch ausschließlich, erfahren selbst
Mitglieder von Entwicklungen ihrer Partei, Programme und Strategien das erste
Mal in der Presse.
Was kurzfristig Entscheidungskosten zu verringern scheint, kann Reformerfolge
gefährden.
Wenn
noch
nicht
einmal
die
eigenen
Anhänger
willens
beziehungsweise in der Lage sind, die eigene Linie zu vertreten, verfangen
Botschaften auch parteiübergreifend nicht. So geriet ausgerechnet die Agenda
2010, das größte Reformprojekt der letzten Jahre, dem „Medienkanzler“
Gerhard Schröder zum Vermittlungsdesaster – und der SPD bis heute zur
schweren Hypothek. Die Politik, so ein gängiger Vorwurf, habe sich von der
Basis abgekoppelt und unterwerfe sich dem Diktat von Medien, Markt und
(wahlweise oder) Demoskopie. Und die Kluft zwischen oben und unten,
zwischen frontstage und backstage-Politik, vertieft sich noch, je mehr die
Parteien – im Wahlkampf wie im politischen Alltag – ihre Öffentlichkeitsarbeit
ausbauen.
So
verändernden
unverzichtbar
eine
Medienlandschaft
professionalisierte,
angemessene
der
sich
rasant
Außenkommunikation
ist:
Marketing, Politikinszenierungen und Personalityshows laufen der klassischen
Vorstellung, dass es sich bei demokratischer Politik um einen aktiven Prozess
handelt, auf den auch der Einzelne Einfluss haben kann, zu wider.
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Frustrationen sind die Folge. Der Mitgliederschwund der großen Parteien
spricht eine klare Sprache. Ein weiteres Indiz sind Umfragen, denen zufolge
das Vertrauen in die demokratischen Institutionen und insbesondere die
Parteien schwindet. Offensichtlich gelingt es kaum mehr, dem Bürger die
Sinnhaftigkeit der oft mühsamen demokratischen Aushandlungsprozesse vor
Augen zu führen und ihn von der Qualität der erzielten Lösungen zu
überzeugen.
Ein vielversprechendes Mittel, diesen Zustand zu überwinden, sehen
Optimisten im Internet, dessen Potenzial für politische Kommunikation und
Partizipation oft unter dem Begriff E-democracy subsumiert wird. Längst hat
sich das Internet nicht nur bestehende Öffentlichkeiten erschlossen, es schafft
neue Kommunikationsräume. Seine Interaktivität und Responsivität, also die
Möglichkeit, in Echtzeit auf Informationen zugreifen und unmittelbar darauf
reagieren zu können, haben den Mythos des egalitären Medientyps begründet
und Hoffnungen geweckt, dass daraus neue Möglichkeiten politischer
Mitwirkung entstehen können.
In der Tat ermöglicht das Internet theoretisch ein Mehr an Selbstbestimmung,
Flexibilität und Informationspluralismus: Traditionelle Hierarchien, Gatekeeper
und
Meinungsführer
Onlineprojekte,
wie
können
etwa
umgangen
die
werden.
Kontroll-
und
Sowohl
innovative
Transparenzinitiativen
http://www.theyworkforyou.com/ oder www.abgeordnetenwatch.de, als auch
Projekte in konkreter Anbindung an klassische Politikprozesse (virtuelle
Parteitage, Programmforen, etc.) zeichnen sich durch Zeit- und Raumflexibilität
aus, was die Einstiegsschwellen für Einsteiger senkt. Sie demokratisieren das
Agenda-Setting und ersetzen die klassische Abwärtskommunikation durch
horizontale Strukturen. So können themenabhängig Communities entstehen, in
denen nicht nur der Austausch von Informationen und Meinungen stattfindet,
sondern in denen jenseits von Ortsvereinen und Hinterzimmern Politik
gemeinsam gestaltet und erfahren werden kann. Als erste Metropole
experimentiert die Stadt Köln mit einem Online-Bürgerhaushalt, Parteien wie die
SPD sind dabei, sich „web 2.0“-Technologien für ihr Mitgliedernetz zunutze zu
machen.
Als Kanal für flexibilisierte Beteiligungsformen kommt das Internet den
veränderten
Wertorientierungen
einer
Gesellschaft
entgegen,
die
sich
zunehmend außerhalb traditioneller politischer Strukturen organisiert und statt
der
Gemeinschaftserfahrung
„Ortsverein“
flexible
und
themenorientierte
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Gestaltungsmöglichkeiten sucht. Zugleich entstehen damit Gegengewichte „zur
Wirklichkeit parteienstaatlicher Allzuständigkeit“ (Ulrich Sarcinelli). Spätestens
hier wird deutlich, dass das Internet sowohl eine Ressource als auch ein Risiko
für politische Organisationen darstellt. Beteiligung über das Internet kann nur
funktionieren, wenn Regierung wie Parteien auf einen gewissen Teil der
Kontrolle verzichten – kommunikativ wie substanziell – und wenn sie die
Vermittlung von Politik tatsächlich um den Aspekt des Zuhörens erweitert. Doch
während der Einsatz des Internets im Regierungsalltag im Ausland, etwa in den
Niederlanden oder Großbritannien, längst eine Selbstverständlichkeit ist, hält
sich die Begeisterung für wirklich innovative Onlineformate hierzulande noch in
Grenzen. In Großbritannien machte sich der ehemalige Premier Tony Blair mit
einem
E-Petitionssystem
ein
etabliertes
Onlineformat
für
die
Regierungskommunikation zunutze und sammelte in den ersten acht Monaten
des Bestehens über 4 Millionen Unterschriften unter mehreren tausend
Petitionen. Das „Beta“-Zeichen auf der Projektseite signalisierte dem Nutzer,
hier an einem Versuch teilzuhaben. Es verweist aber auch auf eine
Experimentierfreudigkeit, die in Deutschland wohl unvorstellbar wäre.
Eine breite politische Beteiligungskultur lässt sich nicht allein durch technische
Innovation herbeiführen. Wichtig ist, dass das online-Handeln in der offline-Welt
nicht ohne Folgen bleibt; dass die Folgen politischen Handelns als eine Art
Return on Investment wahrnehmbar sind, so dass es sich erkennbar lohnt, sich
in politische Prozesse zu involvieren.
Die zentrale Frage ist jedoch, ob und unter welchen Umständen es das Internet
vermag, die Desinteressierten an das politische Geschehen heranzuführen und
zu mobilisieren? Bestärkt es nicht vielmehr lediglich den Aktivismus der ohnehin
bereits politisch Interessierten, die das Netz ergänzend zu konventionellen
Kanälen politischen Engagements nutzen? Die Prognosen der CyberOptimisten, denen zufolge das Internet quasiautomatisch ein Revival der
athenischen Agora bewirke, sind in jedem Fall zu hoch gegriffen. Es käme einer
Illusion gleich, zu glauben, der Schritt zur interaktiven Beteiligungsdemokratie
sei bereits vollzogen, nur weil die Technik das technische Potenzial dafür
bereitstellt. Längst ist die „digitale Spaltung“, also die ungleiche Verteilung des
Zugangs zu digitalen Informations- und Kommunikationstechnologien, nicht
überwunden. Dazu kommt: Zugang alleine schafft weder Orientierung noch
führt er einem Automatismus gleich zur fundierten Meinungsbildung, die
Mitwirkung vorangehen könnte. Medienkompetenz und Wissensmanagement
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werden daher weiter an Bedeutung gewinnen – als zentrale Herausforderung
für die politische Bildung.
Und so kann, wer von E-democracy redet, von der offline-Politik, von der
Notwendigkeit etwa, politisch Aktiven auch ohne lange Parteikarrieren mehr
Mitsprache
und
politisches
Gewicht
zu
verleihen,
nicht
schweigen.
Erwägenswert im Sinne direktdemokratischer Konzepte wäre es auch, mehr
Entscheidungsprozessen
auf
die
Mikroebene
zivilgesellschaftlicher
Willensbildung zu verlagern. Dies würde allerdings die Bereitschaft der Politik
zu einem Machttransfer von oben nach unten voraussetzen, was - unabhängig
von der Frage der Realisierbarkeit - eine Umsetzung nicht wahrscheinlich
erscheinen lässt. Die Parteien werden indes nicht umhinkommen, neue
Partizipationsmöglichkeiten zu schaffen, die einen Dialog zwischen Spitze und
Basis eröffnen. Sie sollten dabei kreativer vorgehen als in den 90er Jahren.
Schon damals war es en vogue, direkt-demokratische Elemente in die
parteiinterne Willensbildung einzuführen, zu versuchen, Parteistrukturen zu
öffnen. Doch gelang es nicht, die Organisationskulturen der Parteien nachhaltig
zu verändern und jenen neuen Partizipationsbedürfnissen Rechnung getragen,
die auf die (auch temporäre) Mitwirkung an konkreten politischen Projekten
ausgerichtet sind.
Oft
wurde
in
Mitgliederparteien
der
Vergangenheit
beschworen.
Stets
der
Niedergang
haben
sie
der
auf
klassischen
gesellschaftliche
Veränderungen reagiert. Unabhängig davon, ob sie sich zu „Profiparteien“,
„Berufspolitikerparteien“ oder, wie es der Politikwissenschaftler Uwe Jun
formulierte, „professionalisierten Medienkommunikationsparteien“ entwickeln:
Für Parteien wie auch für jede Regierung gilt: wollen sie ihre gesellschaftliche
Verankerung sichern und ihre Gestaltungskraft bewahren, müssen sie schon
während der Themenfindung und Politikformulierung (und nicht lediglich als Teil
der
nachträglichen
PR)
eine
ernsthafte
und
systematische
Dialogkommunikation mit der Öffentlichkeit betreiben. Auch, aber nicht nur über
das Internet.
Leonard Novy ist Projektmanager bei der Bertelsmann-Stiftung.
Kontakt
[email protected]
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