Fall 8 - Lösung - Juristische Fakultät

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Juristische Fakultät
Konversatorium zum Bürgerlichen Recht I
WS 2012/2013
Fall 8 - Lösung
A. Anspruch des K gegen V auf Übereignung und Übergabe
des Bildbandes gemäß § 433 I 1 BGB
K könnte gegen V ein Anspruch auf Übereignung und Übergabe des Bildbandes gem.
§ 433 I 1 BGB haben.
I. Anspruch entstanden
Voraussetzung hierfür ist zunächst, dass zwischen K und V ein wirksamer Kaufvertrag
gemäß § 433 BGB zustande gekommen ist. Dieser setzt zwei in Bezug aufeinander
abgegebene, inhaltlich korrespondierende wirksame Willenserklärungen, Angebot und
Annahme, §§ 145, 147 BGB, voraus. Des Weiteren dürften keine rechtshindernden
Einwendungen vorliegen.
1. Angebot des K an V auf Abschluss eines Kaufvertrages
K könnte durch seinen Brief an K vom 3. 11. ein Angebot auf Abschluss eines Kaufvertrages erklärt haben.
Zur Erinnerung:
Das Angebot auf Abschluss eines Kaufvertrages ist eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung, die inhaltlich so bestimmt (bzw. durch Auslegung gem.
§§ 133, 157 BGB bestimmbar) ist, dass der Adressat das Angebot durch ein schlichtes
„Ja“ annehmen kann (essentialia negotii).
Eine Willenserklärung ist eine private Willensäußerung, die auf das Herbeiführen
einer Rechtsfolge gerichtet ist und sich aus einem objektiven („Erklärung“) und einem
subjektiven Tatbestand („Wille“) zusammensetzt. Sie wird wirksam, wenn sie vom
Erklärenden abgegeben worden und dem Empfänger auch zugegangen ist.
a) Objektiver Erklärungstatbestand der Willenserklärung
Das Verhalten des Erklärenden müsste sich aus Sicht eines objektiven
Beobachters in der Rolle des Erklärungsempfängers als die Äußerung eines
Rechtsfolgewillens darstellen. Hier schickt K den Brief mit dem Angebot ab. Darin
ist die Äußerung des Willens eine Rechtsfolge zu setzen, Abschluss eines
Kaufvertrags, zu sehen.
Bezüglich des objektiven Inhalts der Erklärung des K ist maßgebend, wie dieser
aus Sicht eines objektiven Dritten aufgefasst werden würde, §§ 133, 157. Insofern
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ist hier das objektiv Erklärte maßgeblich, also die 250 € (und nicht die von K
gewollten 150 €).
b) Subjektiver Erklärungstatbestand der Willenserklärung
Der subjektive Erklärungstatbestand setzt Handlungswillen, Erklärungsbewusstsein und Geschäftswillen voraus.
aa) Handlungswille
Zur Erinnerung:
Der Handlungswille ist gegeben, wenn ein vom natürlichen Bewusstsein
gesteuertes Verhalten vorliegt, also das Bewusstsein zu handeln. Keinen
Handlungswillen hat etwa der Schlafende oder ein aus Reflex Handelnder.
Es bestehen keine Bedenken hinsichtlich des Handlungswillens.
bb) Erklärungsbewusstsein
Zur Erinnerung:
Das Erklärungsbewusstsein ist das Bewusstsein, eine rechtlich relevante
Erklärung abzugeben, die auf einen rechtlichen Erfolg zielt.
Dem K ist bewusst, dass er mit dem Angebot eine rechtlich relevante Erklärung
abgibt. Er handelte also mit Erklärungsbewusstsein.
cc) Geschäftswille
Fraglich ist allerdings, ob K auch mit Geschäftswillen hinsichtlich des von ihm
objektiv erklärten Angebots über 250 € handelte.
Der Geschäftswille ist der Wille, mit der Erklärung eine ganz bestimmte
Rechtsfolge herbeizuführen, also das Bewusststein, eine rechtlich relevante
Erkärung abzugeben, die auf einen konkreten rechtlichen Erfolg zielt.
K hat sich bei Abgabe der Erklärung (Niederschreiben des Kaufpreises)
verschrieben. Sein Wille war nicht auf Abschluss eines Kaufvertrages zum Preis
von 250 €, sondern auf Abschluss eines Kaufvertrages zum Preis von 150 €
gerichtet. K handelte also hinsichtlich des Angebots über 250 € ohne
Geschäftswillen.
Der Geschäftswille ist jedoch kein konstitutives Element einer Willenserklärung.
Sein Fehlen führt lediglich zur Anfechtbarkeit der Willenserklärung.
Hintergrund:
Für die Frage, welche Folgen das Fehlen des Geschäftswillens für die Willenserklärung hat, sind drei Möglichkeiten denkbar. In Betracht kommt, dass
die auf einem Fehler beruhende Erklärung überhaupt keine rechtliche Wirkung
entfaltet – also unwirksam ist – (Schutz des Erklärenden),
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dass die Erklärung so gilt, als ob sie fehlerfrei zustande gekommen wäre – also
wirksam ist – (Schutz des Erklärungsempfängers) oder
dass die Erklärung gilt, der Erklärende aber die Möglichkeit hat, diese Wirkung
der Erklärung wieder zu beseitigen, d.h. die Erklärung zwar wirksam, aber
anfechtbar ist.
Das BGB entscheidet sich für den dritten Weg. Denn die Vorschriften über die
Willensmängel (§§ 116 ff. BGB) gehen davon aus, dass der Geschäftswille keine
konstitutive Voraussetzung für eine Willenserklärung ist. So zeigt z.B. der Wortlaut
des § 119 I BGB („Wer bei der Abgabe einer Willenserklärung ...“), dass eine
Willenserklärung auch dann gegeben ist, wenn der Erklärende eine Erklärung
dieses Inhalts überhaupt nicht abgeben wollte. Der ohne Geschäftswillen
Erklärende hat aber das Recht, seine Willenserklärung durch Anfechtung wegen
Inhaltsirrtums (§ 119 I Alt. 1 BGB) oder wegen Erklärungsirrtums (§ 119 I Alt. 2
BGB) zu beseitigen.
Auch wenn K keinen Geschäftswillen in Bezug auf das von ihm geäußerte
Rechtsgeschäft hat, so liegt dennoch eine Willenserklärung vor.
c) Abgabe
Eine empfangsbedürftige Willenserklärung ist abgegeben, wenn sie mit dem
Willen des Erklärenden aus dessen Machtbereich gelangt und in Richtung auf den
Empfänger in Bewegung gesetzt wird. Mit dem Aufgeben des Briefs bei der Post
durch den K verließ der Brief den Machtbereich des K und wurde in Richtung V in
Bewegung gesetzt. Somit ist die Abgabe gegeben.
d) Wirksamwerden der Willenserklärung
Die Willenserklärung müsste wirksam geworden sein. Bei empfangsbedürftigen
Willenserklärungen ist der Zugang dafür Voraussetzung, vgl. § 130 I 1 BGB (der
sich zwar dem Wortlaut nach nur auf Willenserklärungen unter Abwesenden
bezieht, aber auch bei Willenserklärungen unter Anwesenden analoge
Anwendung findet).
Zugang einer Willenserklärung unter Abwesenden bedeutet, „dass die Willenserklärung derart
in den Machtbereich des Erklärungsempfängers gelangt,
dass dieser unter normalen Umständen die Möglichkeit hat, von ihrem Inhalt
Kenntnis zu nehmen.“
Der Brief befand sich mit dem Einwurf in den Briefkasten im Machtbereich des V.
Zum Machtbereich des Erklärungsempfängers gehören insbesondere die von ihm
zur Entgegennahme von Erklärungen bereit gehaltenen Einrichtungen, wie zum
Beispiel Briefkasten, Postfach, Tonspeicher eines Anrufbeantworters, E-Mail
Postfach.
Unter gewöhnlichen Umständen war mit einer Kenntnisnahme durch V in dem
Zeitpunkt zu rechnen, in welchem üblicherweise mit der Leerung des Briefkastens
zu rechnen ist, also am Morgen des 4. November.
Damit ist dem V das Angebot des K am Morgen des 4. 11. zugegangen.
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e) Ergebnis
Mithin liegt ein wirksames Angebot des K gegenüber V auf Abschluss eines
Kaufvertrages über den Bildband zum Preis von 250 € vor.
2. Annahme des V gegenüber K
V müsste dieses Angebot des K wirksam angenommen haben (vgl. § 147 BGB).
Zur Erinnerung:
Die Annahme ist eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung, mit welcher der
Erklärende dem Angebot inhaltlich uneingeschränkt und bedingungslos zustimmt
(Umkehrschluss aus § 150 II BGB).
Eine Annahme könnte in dem Brief des V an K liegen, in welchem er erklärt, er nehme
dessen Angebot zu dem vorgeschlagenen Preis an.
Diese Erklärung müsste die subjektiven und objektiven Voraussetzungen einer
Willenserklärung erfüllen, abgegeben und dem K auch zugegangen sein (§ 130 I 1
BGB).
a) Objektiver Erklärungstatbestand
Die Erklärung des V er nehme das Angebot an ist als Äußerung eines
Rechtsfolgewillens zu verstehen.
b) Subjektiver Erklärungstatbestand
Weil V Handlungswillen, Erklärungsbewusstsein und Geschäftswillen aufwies, ist
auch der subjektive Erklärungstatbestand gegeben.
c) Abgabe
Indem V den an K adressierten Brief zur Post gebracht hat, hat er die Annahmeerklärung willentlich in Richtung des K in Verkehr gebracht und damit abgegeben.
d) Wirksamwerden der WE
aa) Zugang
Die Annahmeerklärung des V ist dem K gegenüber auch gem. § 130 I 1 BGB
zugegangen. Durch den Einwurf in den Briefkasten gelangte die Erklärung in den
Machtbereich des K. Mit einer Kenntnisnahme durch K war unter normalen
Umständen am Morgen des 5. 11. zu rechnen. Damit erfolgte der Zugang am
Morgen des 5. November.
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bb) Widerruf der Annahmeerklärung gemäß § 130 I 2 BGB
Das Wirksamwerden der Annahmeerklärung des V könnte jedoch durch Widerruf
nach § 130 I 2 BGB verhindert worden sein. Die Folge wäre, dass ein Kaufvertrag
mangels Annahmeerklärung nicht wirksam zustande gekommen ist.
Dies setzt voraus, dass V seine auf Abschluss eines Kaufvertrages mit K
gerichtete Annahmeerklärung gemäß § 130 I 2 BGB rechtzeitig widerrufen hat.
Der Widerruf ist seinerseits eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung,
d.h. zu seiner Wirksamkeit müssen sämtliche Voraussetzungen einer Willenserklärung und zudem Abgabe und rechtzeitiger Zugang des Widerrufs vorliegen.
(i) Objektiver und subjektiver Tatbestand
Der V hat eine Widerrufserklärung seiner Annahme abgegeben, indem er dem
K einen Brief mit entsprechendem Inhalt geschickt hat. Ein dahingehender
Rechtsbindungswille lag erkennbar vor (objektiver Tatbestand der Willenserklärung). V handelte auch mit Handlungswillen, Erklärungsbewusstsein und
Geschäftswillen (subjektiver Tatbestand).
(ii) Abgabe und rechtzeitiger Zugang der Widerrufserklärung
Durch die Ablieferung bei der Post hat V die Widerrufserklärung abgegeben
(vgl. oben).
Ein Widerruf setzt gem. § 130 I 2 BGB voraus, dass die Widerrufserklärung
dem Empfänger vor oder gleichzeitig mit der zu widerrufenden Willenserklärung zugeht.
(1) WE im Machtbereich
Die Widerrufserklärung des V ist durch den Einwurf in den Briefkasten des K
in dessen Machtbereich gelangt.
Vertiefung:
Der Widerruf muss nicht in der Erklärungsart erfolgen, die für die empfangsbedürftige Erklärung selbst gewählt wurde. Daher kann etwa eine schriftliche
Erklärung auch telefonisch widerrufen werden.
(2) Möglichkeit der Kenntnisnahme unter normalen Umständen
Unter gewöhnlichen Umständen war mit einer Kenntnisnahme durch K in dem
Zeitpunkt zu rechnen, in dem üblicherweise mit der Leerung des Briefkastens
zu rechnen ist, also am Morgen des 5. November.
Damit erfolgte der Zugang der Widerrufserklärung des V gleichzeitig mit dem
Zugang seiner Annahmeerklärung.
Beachte:
Es kommt gerade nicht darauf an, dass V tatsächlich zunächst den Brief mit
der Annahmeerklärung und erst dann den Brief mit dem Widerruf gelesen hat.
Relevant ist nur, dass die Möglichkeit der Kenntnisnahme gleichzeitig vorlag.
Folglich hat V die Annahmeerklärung rechtzeitig widerrufen.
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e) Ergebnis
Da V seine Annahmeerklärung wirksam und rechtzeitig widerrufen hat, ist diese
nicht wirksam geworden. Es fehlt daher an einer Annahme des von K erklärten
Angebotes auf Abschluss eines Kaufvertrages durch V. Demzufolge ist ein
Kaufvertrag zwischen V und K nicht zustande gekommen.
3. Ergebnis
Der Anspruch aus § 433 I 1 BGB ist daher nicht entstanden.
II. Ergebnis
Daher steht dem K gegen V kein Anspruch auf Übereignung und Übergabe des
Jugendstilbildbandes gemäß § 433 I 1 BGB zu.
B. Anspruch des V gegen K gem. § 433 II BGB
Aufgrund Nichtvorliegens eines Kaufvertrages kann V auch nicht von K Zahlung des
Kaufpreises gem. § 433 II BGB verlangen.
C. Anspruch des D gegen V auf Übereignung und Übergabe des Bildbandes gemäß § 433 I 1 BGB
D könnte gegen V ein Anspruch auf Übereignung und Übergabe des Bildbandes gem.
§ 433 I 1 BGB zustehen.
I. Anspruch entstanden
Dafür müsste der Anspruch zunächst entstanden sein. Voraussetzung hierfür ist
zunächst, dass zwischen D und V ein wirksamer Kaufvertrag i.S.d. § 433 BGB
zustande gekommen ist. Hierfür müssten Angebot und Annahme, §§ 145, 147 BGB,
gegeben sein.
Des Weiteren dürften keine rechtshindernden Einwendungen vorliegen.
1. Angebot
Ein solches könnte in der Erklärung des D, den Band für 200 € kaufen zu wollen, zu
sehen sein.
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a) Objektiver Erklärungstatbestand der Willenserklärung
Die von D abgegeben Erklärung ist aus Sicht eines objektiven Beobachters als
Äußerung eines Rechtsfolgewillens zu verstehen.
b) Subjektiver Erklärungstatbestand der Willenserklärung
Handlungswille, Erklärungsbewusstsein und Geschäftswille liegen vor.
c) Abgabe
Die Abgabe einer Willenserklärung unter Anwesenden setzt voraus, dass sie der
Erklärende derart äußert, dass sie wahrgenommen werden konnte. D hat seine
Erklärung am Telefon gegenüber V so geäußert, dass V sie wahrnehmen konnte.
Beachte:
Eine fernmündliche Erklärung (etwa am Telefon) stellt eine Willenserklärung unter
Anwesenden dar (§ 147 I 2 BGB). Anders dagegen bei Besprechen des Anrufbeantworters (= Erklärung unter Abwesenden).
d) Wirksamkeit der WE
Gemäß § 130 I 1 BGB wird eine empfangsbedürftige Willenserklärung, die in
Abwesenheit des Empfängers abgegeben wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in
welchem sie diesem zugeht. Vorliegend handelt es sich zwar um eine
empfangsbedürftige Willenserklärung, aber nicht um eine solche unter
Abwesenden, sondern um eine Erklärung unter Anwesenden (s. oben), sodass
§ 130 I 1 BGB nicht direkt zur Anwendung kommen kann. Jedoch wird nach dem
Rechtsgedanken des § 130 I 1 BGB ein Zugang auch i.R.v. Willenserklärungen
unter Anwesenden gefordert.
Abgegeben hat D ein Kaufpreisangebot i.H.v. 200 €. V hat sich allerdings verhört
und 300 € verstanden. Es stellt sich also die Frage, ob das Angebot über 200 €
dem V überhaupt zugegangen ist. Welche Anforderungen an den Zugang von
Willenserklärungen unter Anwesenden zu stellen sind, ist umstritten:
(i) (Strenge) Vernehmungstheorie
Nach e.A. wird eine mündliche Willenserklärung, die einem Anwesenden
gegenüber erklärt wird, erst in dem Zeitpunkt wirksam, in dem der andere
diese Willenserklärung zutreffend akustisch vernimmt, sog. Vernehmungstheorie oder strenge Vernehmungstheorie. Versteht der Empfänger die
Erklärung
beispielsweise
wegen
Schwerhörigkeit
oder
fehlender
Sprachkenntnis nicht oder falsch, so geht dies zu Lasten des Erklärenden
(Rüthers/Stadler, § 17 Rn. 56).
(ii) Eingeschränkte Vernehmungstheorie
Nach der sog. eingeschränkten oder abgeschwächten Vernehmungstheorie, reicht es für den Zugang der Erklärung (mit dem ursprünglich
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geäußerten Inhalt) aus, wenn die Erklärung vom Erklärungsempfänger zwar
nicht oder nicht richtig vernommen worden ist, der Erklärende aber annehmen
konnte, dass der Empfänger sie akustisch richtig verstehen werde, wenn der
Erklärende also keinerlei Anhaltspunkte für eine falsche oder unzutreffende
akustische Wahrnehmung haben durfte.
(iii) Anwendung auf den Fall
Nach der strengen Vernehmungstheorie wäre das Angebot des D dem V
niemals zugegangen. Denn V hat sich verhört und das Angebot des D,
nämlich auf Abschluss eines Kaufvertrages zum Preis von 200 €, akustisch
nicht zutreffend wahrgenommen.
Hintergrund:
Es liegt nach dieser Ansicht auch kein Angebot über 300 € vor. V hat zwar ein
Angebot auf Abschluss eines Kaufvertrages zum Preise von 300 €
wahrgenommen, ein solches hat K aber niemals abgegeben.
Nach dieser Ansicht fehlt es also insgesamt an einem wirksamen Angebot; die
Annahmeerklärung des V liefe ins Leere. Diese könnte höchstens noch als
eine Annahme unter Einschränkungen oder mit Änderungen und damit als ein
neues Angebot gem. § 150 II BGB verstanden werden. Dieses neue Angebot
ist dann aber niemals angenommen worden.
Nach der eingeschränkten Vernehmungstheorie ist das von D erklärte
Angebot mit dem Inhalt Abschluss eines Kaufvertrages zum Preis von 200 €
wirksam dem V zugegangen, da D laut Sachverhalt keine Zweifel daran
haben konnte, dass der V die Erklärung akustisch richtig verstanden hat.
(iv) Streitentscheid
Für die eingeschränkte Vernehmungstheorie spricht Folgendes: Wenn die
Erklärung vom Empfänger nicht (richtig) vernommen worden ist, der
Erklärende aber annehmen konnte, dass der Empfänger sie verstanden habe,
ist eine Entscheidung zuungunsten des Erklärenden im Sinne des Verkehrsschutzes nicht interessensgerecht.
Die Entscheidung für die strenge Vernehmungstheorie stünde zudem im
Widerspruch zum Grundgedanken des § 130 I 1 BGB, denn danach kommt es
gerade nicht auf die tatsächliche Kenntnisnahme der Erklärung durch den
Empfänger an, sondern nur darauf, ob dieser unter normalen Umständen
Kenntnis nehmen kann. Bei Berücksichtigung dieses Gedankens müsste ein
Zugang jedenfalls dann angenommen werden, wenn der Erklärende
vernünftigerweise keinen Zweifel daran haben kann, dass der Empfänger die
Erklärung auch akustisch richtig verstanden hat.
e) Ergebnis
Nach der Ansicht, der hier gefolgt wird, liegt ein wirksames Angebot des D über
200 € vor.
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2. Annahme durch V
Eine Annahmeerklärung des V gegenüber D liegt in der Zustimmung zu dessen
Angebot während des Telefongesprächs.
a) Objektiver Erklärungstatbestand der Willenserklärung
Die Zustimmung des V ist als Entäußerung eines Rechtsfolgewillens, gerichtet auf
Kaufvertragsabschluss, zu sehen.
Fraglich ist aber der objektive Inhalt von V Willenserklärung. Da V nur eine bloße
Zusage erklärt, also den Kaufpreis nicht ausdrücklich nennt, ist dieser durch
Auslegung (§§ 133, 157 BGB) zu ermitteln. V selbst will eine Annahmeerklärung
für ein Angebot über 300 € abgeben. Für die Auslegung von empfangsbedürftigen
Willenserklärungen ist aber nicht allein auf den Willen des Erklärenden, sondern
auch auf den objektiven Empfängerhorizont abzustellen (normative Auslegung).
Daher ist zu fragen, wie der D als Erklärungsempfänger die Annahmeerklärung
redlicherweise verstehen konnte und durfte: D hat die Erklärung des V natürlich
nur bezogen auf sein Angebot, also Abschluss eines Kaufvertrages zum Kaufpreis
von 200 €, verstehen dürfen und verstehen können.
b) Subjektiver Erklärungstatbestand der Willenserklärung
Hinsichtlich des subjektiven Erklärungstatbestands liegen Handlungswille und
Erklärungsbewusstsein vor. Zwar hat V keinen Geschäftswillen hinsichtlich der
Annahme i.H.v. 200 € (er hat sich verhört und ging von 300 € aus). Jedoch ist der
Geschäftswille keine zwingende Voraussetzung für das Vorliegen einer
Willenserklärung (vgl. oben).
c) Abgabe und Zugang
Abgabe sowie Zugang liegen vor.
3. Einigung über die essentialia negotii
Bezüglich der Einigung von D und V ist fraglich, ob eine solche auch in Bezug auf den
Kaufpreis vorliegt. Da der fehlende Geschäftswille des V in Bezug auf die 200 € aber
unbeachtlich ist, siehe oben, liegt die Einigung vor.
4. Ergebnis
Somit ist ein Kaufvertrag zwischen D und V über den Kauf des Bildbandes zum
Kaufpreis von 200 € wirksam zustande gekommen.
Mangels rechtshindernder Einwendungen ist der Anspruch des D gegen V auf
Übereignung und Übergabe des Jugendstilbildbandes gem. § 433 I 1 BGB damit
wirksam entstanden.
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II. Anspruch erloschen
Der Anspruch könnte jedoch wieder erloschen sein.
1. Durch Anfechtung gemäß § 142 I BGB
Der Anspruch des D gegen V aus § 433 I 1 BGB könnte durch eine wirksame
Anfechtung der Annahmeerklärung durch V gem. § 142 I BGB rückwirkend (ex tunc)
erloschen sein.
Beachte:
Im Obersatz ist immer die Rechtsfolge der Anfechtung voranzustellen sowie die
Norm, aus der sich diese ergibt: § 142 I BGB. Falsch wäre damit etwa folgender
Obersatz: „Der Anspruch könnte durch Anfechtung gem. § 119 I Alt. 1 BGB erloschen
sein.“; § 119 I Alt. 1 BGB regelt nämlich nur einen Anfechtungsgrund, also eine von
mehreren Voraussetzungen einer wirksamen Anfechtung.
Eine wirksame Anfechtung einer Willenserklärung führt gem. § 142 I BGB dazu, dass
diese als von Anfang an (ex tunc) nichtig gilt (anders etwa Wirkung des Rücktritts oder
der Kündigung: Wirkung ex nunc). Dies führt wiederum dazu, dass ein zunächst
entstandener Anspruch rückwirkend erlischt.
Eine wirksame Anfechtung setzt eine Anfechtungserklärung gegenüber dem richtigen
Anfechtungsgegner (§ 143 BGB), das Vorliegen eines Anfechtungsgrundes
(§§ 119, 120, 123 BGB), die Kausalität des Willensmangels für die Abgabe der
Willenserklärung und schließlich die Wahrung der Anfechtungsfrist (§§ 121, 124 BGB)
voraus. Zudem darf keine Bestätigung gem. § 144 BGB vorliegen.
a) Keine Bestätigung, § 144 I BGB
Eine Bestätigung i.S.d. § 144 I BGB liegt nicht vor.
b) Anfechtungserklärung, § 143 I, II BGB
V müsste die Anfechtung gegenüber dem D erklären, § 143 I, II BGB.
V hat zwar nicht den Begriff „Anfechtung“ verwendet, sondern den Begriff
„Kündigung“. Jedoch reicht es für das Vorliegen einer Anfechtungserklärung aus,
wenn sich durch Auslegung ergibt, dass der Erklärende nicht an dem Vertrag
festhalten will. Dies ist hier der Fall: Die Äußerung des V lässt klar erkennen, dass
er nicht mehr am Kaufvertrag mit D festhalten will.
Diese Erklärung erfolgte auch gegenüber D als dem richtigen Anfechtungsgegner.
c) Anfechtungsgrund, § 119 I Alt. 1 BGB
V könnte sich bei Abgabe seiner Willenserklärung über deren Inhalt geirrt haben
(Inhaltsirrtum i.S.d. § 119 I Alt. 1 BGB).
Ein Irrtum liegt vor, wenn (subjektiver) Wille und (objektive) Erklärung unbewusst
auseinanderfallen. Ein Inhaltsirrtum i.S.v. § 119 I Alt. 1 BGB liegt vor, wenn der
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Erklärende sich über die Bedeutung oder die Tragweite der abgegebenen
Erklärung irrt.
V ging davon aus, seine Willenserklärung habe die Annahme eines Angebotes auf
Abschluss eines Kaufvertrages zum Preis von 300 € zum Inhalt. In Wirklichkeit
aber hat seine Willenserklärung (nach dem objektiven Empfängerhorizont) den
Abschluss eines Kaufvertrages zum Preis von 200 € zum Inhalt (vgl. oben).
Damit erlag V einem Inhaltsirrtum, welcher gem. § 119 I Alt. 1 BGB zur
Anfechtung berechtigt.
d) Kausalität des Irrtums für die Willenserklärung
Der Irrtum des V müsste auch ursächlich dafür gewesen sein, dass er die
Willenserklärung abgegeben hat.
Es kann davon ausgegangen werden, dass V einem Verkauf des Bildbandes für
200 € nicht zugestimmt hätte (so jedenfalls seine ausdrückliche Erklärung).
e) Anfechtungsfrist, § 121 I 1 BGB
V müsste die Anfechtungserklärung innerhalb der Frist des § 121 BGB erklären,
also unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern.
V hat hier unverzüglich die Anfechtung erklärt.
f) Zwischenergebnis
V hat seine Willenserklärung wirksam angefochten. Der Kaufvertrag gilt damit
gem. § 142 I BGB als ex tunc nichtig.
2. Ergebnis
Der Anspruch des D gegen V aus § 433 I 1 BGB ist gem. § 142 I BGB ex tunc
erloschen.
III. Ergebnis
D hat keinen Anspruch gegen V auf Übereignung und Übergabe des Bildbandes aus
§ 433 I 1 BGB.
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Exkurs: Anspruch des D gegen V auf Schadensersatz gem. § 122 BGB
Wäre im Sachverhalt ersichtlich, dass dem D im Vertrauen auf die Wirksamkeit des
Kaufvertrages ein Schaden entstanden ist, so müsste ein Anspruch des D gegen V auf
Schadensersatz geprüft werden. Eine Prüfung könnte folgendermaßen aussehen:
Schadensersatzanspruch des D gegen V gem. § 122 BGB
D könnte gegen V einen Anspruch auf Ersatz seines Vertrauensschadens aus § 122 I
BGB haben.
1. V hat seine WE gem. § 119 I Alt. 1 BGB angefochten.
2. D kannte die Anfechtbarkeit der WE des V nicht und hat diese auch nicht fahrlässig
verkannt (§ 122 II BGB).
Mithin hat D einen Anspruch gegen V auf Ersatz seines Vertrauensschadens.
3. Fraglich ist die Höhe des gem. § 122 I BGB zu ersetzenden Schadens.
a) V muss D den Schaden ersetzen, den dieser dadurch erlitt, dass er auf die
Gültigkeit der WE des V vertraute. V muss D also so stellen, wie dieser stünde, wenn
er von dem Geschäft nie gehört hätte (sog. negatives Interesse). Schaden könnten
im vorliegenden Fall eventuell aufgewendete Fahrtkosten, Portokosten oder Telefonanrufe des D darstellen.
b) Allerdings ist der Vertrauensschaden nach oben begrenzt (§ 122 I a.E. BGB): Mehr
als das Erfüllungsinteresse (sog. positives Interesse) kann der Anfechtungsgegner
nicht verlangen. Erfüllungsschaden ist der Schaden, der entsteht, weil der
Vertragspartner seine Verpflichtung nicht ordnungsgemäß erfüllt. Der Geschädigte
kann also fordern, so gestellt zu werden, wie er stünde, wenn ordnungsgemäß erfüllt
worden wäre.
D. Anspruch des V gegen D gem. § 433 II BGB (-)
Mit dem Kaufvertragsschluss ist ein Anspruch des V gegen D auf Kaufpreiszahlung
aus § 433 II BGB grundsätzlich entstanden.
Durch die Anfechtung ist dieser jedoch gem. § 142 I BGB ex tunc erloschen.
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