Vorlesung PC-7 Biophysikalische Chemie 2. Vorlesung Norbert Hampp 1 Rückblick Summary 1. Vorlesung • Die gesamte Biomasse verwendet etwa 2% der solaren Einstrahlung für die Aufrechterhaltung und Vermehrung der Biomasse – Schlüssel-Prozess: Photosynthese • Die Natur benutzt nur eine begrenzte Anzahl von Grundbausteinen (DNA/RNA; Proteine, Lipide, Kohlenhydrate, …) – Recycling und Wiederverwendung – Minimierung der Anzahl unterschiedlicher Synthesewege – Optimierung der Synthesekapazitäten • Biologische Strukturen entstehen durch Selbstorganisation. Kompartimentierung ist essentiell um Thermodynamik kontrollieren zu können (∆S > 0) – Membranen bzw. Zellen sind der Schlüssel 2 Proteine und Proteinfaltung Übersicht • Aminosäuren, essentielle AS, L-Aminosäuren • Proteinbiosynthese • Was sind Proteine? • Strukturebenen • Proteinbiosynthese • Proteinfaltung • Sterische Beschränkungen • Mechanismen und Konzepte • Thermodynamik der Proteinfaltung • Modelle zur Beschreibung der Proteinfaltung • Proteinfaltung und Simulationen 3 Proteine Geschichtliches Den Begriff Proteine prägte Jöns Jakob Berzelius (1779-1848). Er leitet sich von griech. proteos der Erste, der Wichtigste ab. In einem 1840 erschienenem Lehrbuch der Chemie von Melchers ist der Begriff das erste Mal dokumentiert. Die deutsche Bezeichnung Eiweiß bezieht sich auf die Beobachtung, dass bei einem gekochten Ei die als Protein identifizierte Masse, das Eiklar, beim Kochen weiß wird. Es ist denaturiertes Eiweiß, dessen ursprüngliche oder natürliche Struktur durch Hitze zerstört wurde. Die Bezeichnung Albumin (lat. albus weiß) für eine Proteingruppe leitet sich davon ab. Durch Bildung von zusammengesetzten Worten wie z.B. Ovalbumin (lat. ovus Ei) oder Serumalbumin (lat. serum Blutwasser) versuchte man die Albumine nach ihrer Herkunft zu differenzieren, da dies mittels Schmelzpunkt oder Siedepunkt nicht möglich ist. Asparagin 1806 erstmals aus Spargelpflanzen (Asparagus) isoliert. http://webpeda.ac-montpellier.fr/spc/ABCDORGA/Famille/WWAA2.htm 4 Aminosäuren 20, 22, 250, …… 20 α-Aminosäuren sind die ‘klassischen‘ Bausteine der Proteine (=proteinogene Aminosäuren). 2 Aminosäuren die nur einige Organismen nutzen. Viele modifizierte (prozessierte) Aminosäuren. Pflanzen und eine Reihe von Mikroorganismen können alle für den Aufbau ihrer Proteine notwendigen Aminosäuren selbst synthetisieren. Tierische Organismen sind dazu nicht in der Lage. Manche Aminosäuren müssen mit der Nahrung zugeführt werden (=essentielle Aminosäuren). http://de.wikipedia.org/wiki/Aminosäuren 5 Proteinogene Aminosäuren 20 Stück - α-L-Aminosäuren - Zwitterionisch 6 Aminosäuren Einteilung nach ‘Funktionen‘ 7 L-Aminosäuren Nur L-Aminosäuren ? Valinomycin [–L-Milchsäure–L-Valin–D-Hydroxyisovalerian–D-Valin–] Uwe Meierhenrich Amino Acids and the Asymmetry of Life: Caught in the Act of Formation, Springer, ISBN-10: 3540768858 8 Proteinogene L-Aminosäuren 20 proteinogene, 10 “essentielle“ Aminosäuren Seitenketten der 20 proteinogenen Aminosäuren: Orange: unpolar, hydrophob Grün: polar, hydrophil, neutral Violett: polar, hydrophil, sauer Cyan: polar, hydrophil, basisch 9 Aminosäure, Peptide, Proteine Ribosomale Proteinbiosynthese Katalysierte Kondensationsreaktion Fraktale Ladungsverteilung 10 Ribosomale Proteinbiosynthese Geburt eines Proteins 11 Strukturaufklärung des Ribosoms Chemie Nobelpreis 2009 Venkatraman Ramakrishnan Thomas Steitz Ada Jonath 12 Proteinfunktionen Diversität ihrer 3-D-Struktur - große Funktionsvielfalt: • Katalyse • Enzyme = biologische Katalysatoren • Photosynthese • Transport (selektiv) • Komplexierung von Ionen, kleinen Molekülen und Metaboliten • Ausbildung von Membranporen und Pumpen • Erkennung und Signalweiterleitung Rezeptoren, G-Proteine Antikörper • Strukturproteine Netzwerke von Protein-Filamenten (z.B. Kollagen) • Bewegung Zellteilung Molekulare Motoren Muskeln 13 Kurze physiologisch relevante Peptide Hormone / Neuropeptide • Oxytocin (Wehen auslösend) H2N-Gly-Leu-Pro-Cys-Asn-Gln-Ile-Tyr-Cys-COOH H2N-Gly-Arg-Pro-Cys-Asn-Gln-Phe-Tyr-Cys-COOH. • Vasopressin (Nierenfunktion) 14 Strukturbildung in Proteinen Disulfidbrücke ∆G - ∆H - ∆S - ∆G = ∆H +T·∆S 15 Proteinfaltung Die 3-D-Struktur eines Proteins ist essentielle Voraussetzung für seine Funktion. Fehlfaltungen sind Ursache vieler Krankheiten (Alzheimer, Parkinson, BSE…). Bei Fehlfaltungen wird ein Protein in eine 3-D-Struktur überführt, die nicht dem nativen Zustand entspricht. Das Verständnis der genauen Mechanismen des Faltungsprozesses ist von größtem Interesse. 16 Sequenz-Konformations-Relation Christian B. Anfinsen - Nobelpreis Chemie 1972 Zusammenhang von Aminosäuresequenz und biologisch wirksamer Konfirmation Ribonuklease 1. Zerstörung der Enzymaktivität Denaturierung mit Harnstoff und Dimeraptoethanol, 2. Wiederherstellung der Enzymaktivität Dialyse der Denaturierungs-Reagenzien Schlussfolgerung Proteine haben die intrinsische Eigenschaft von selbst ‘ihre‘ Struktur anzunehmen (Selbstorganisation). Alle Information steckt in der AA-Sequenz (= Primärstruktur). Dieser Zusammenhang wurde für viele Proteine nachgewiesen, ist aber nicht allgemein gültig. 17 Alle Informationen liegt in der Primärstruktur Anfinsen - Experiment Ribonuclease A • 1) Entfaltung • 2) Erneute Faltung C. B. Anfinsen, Science, 1973, 181 (96), 223–230. 18 Proteinstrukturen Selbstorganisierende Nanostrukturen • Proteine sind lineare Heteropolymere mit einer definierten Länge. (Primärstruktur) • Die Aminosäurekette nimmt spontan eine Überstruktur an. (Sekundärstruktur) • Die prästrukturierte Aminosäurekette faltet sich, in der Regel spontan, in eine spezifische 3-D-Struktur – Diese wird durch die Sequenz der Aminosäuren bestimmt. – Diese ist essentiell für die Funktion des Proteins. (Tertiärstruktur) • Mehrere gefaltete Proteine können sich zu Funktionseinheiten zusammenlagern. (Quartärstruktur) 19 Proteinfaltung Strukturebenen 20 Proteine Warum bilden sich gerade diese Strukturen aus? α-Helix β-Faltblatt 21 Proteinfaltung Zeitliche Abfolge 22 Thermodynamik der Proteinfaltung Faltung findet in einem offenen System statt • • • • Die native Konformation eines Proteins entspricht dem Zustand der niedrigsten freien Enthalpie (nur näherungsweise gültig) Wichtig für die Richtung der Faltung ist die Differenz der freien Enthalpie zwischen dem nativen und dem gefalteten Zustand eines Proteins System: Protein + Umgebung (Wasser, Membran) Enthalpie • • • • • Wasserstoffbrückenbindungen Ionische Wechselwirkungen (Coulomb-Kräfte) Disulfidbrücken Van der Waals – Wechselwirkungen Entropie • ∆G = ∆H − T ∆S Hydrophober Effekt 23 Thermodynamik der Proteinfaltung Energiebilanz • Folgende Beiträge müssen für die Proteinfaltung berücksichtigt werden: ∆GKette = ∆HKette − T ∆SKette • Polypeptidkette: ∆GTransfer • Lösungsmittel (Wasser): ∆GSolv • Gesamtbilanz: ∆Gtotal = ∆GKette + ∆GTransfer + ∆GSolv • Seitengruppen: • Der Übergang des Proteins von (R)andom nach (N)ativ erfolgt spontan, wenn gilt ∆Gtotal < 0 24 Thermodynamik der Proteinfaltung Energiebilanz ∆Gtotal = ∆HKette + ∆HTransfer + ∆HSolv − T ∆SKette − T ∆STransfer − T ∆SSolv ∆HKette < 0 R →N ∆HSolv < 0 R→N Van-der-Waals-Wechselwirkungen, Wasserstoffbrückenbindungen. Beitrag klein. T ∆SKette > 0 N→R R-Zustand günstiger („mehr Chaos“). T ∆SSolv < 0 R→N lokale Ordnung des Wassers, hydrophobe Moleküle werden durch Käfigstrukturen vom übrigen Wasser abgeschirmt. ∆SSolv liefert den größten Betrag; die Entropie des Wassers bewirkt in entscheidendem Maße die spezifische Faltung der Polypeptidkette („hydrophober Effekt“) 25 Entropische Beiträge des Lösungsmittels Hydrophober Kollaps 26 Modelle der Proteinfaltung Grundannahmen Nucleation-condensation-Modell (P. N. Wetlaufer, PNAS 1973, 70, 697.) (structuring sequences) Es werden einige kritische kinetische Nuklei geformt, um die herum der Rest der Struktur wächst. (distance related folding) Framework Modell (O. B. Ptitsyn & A. A. Rashin, Biophys. Chem. 1975, 3, 1.) Zunächst falten sich die Sekundärstrukturelemente. Diese ordnen sich dann im ratenlimitierenden Schritt zur 3D-Struktur. Modell des hydrophoben Kollapses (K. A. Dill, Biochemistry 1985, 24, 1501.) (core driven folding) Treibende Kraft ist der hydrophobe Effekt. Wasser wird unspezifisch verdrängt. Die abschließende Umordnung des kollabierten Zustands ist ratenlimitierend. 27 Proteinfaltung Random walk • Protein mit n Aminosäuren – 2n Torsionswinkel φ, ψ – davon hat jeder Winkel 3 stabile Konformationen • damit ergeben sich: 32n mögliche Konformationen – ≅ 10n Konformationen – (Seitenketten sind nicht berücksichtigt) • Atombindungen reorientieren sich mit ~10-13sec – Die notwendige Zeit für die Realisierung aller möglichen Konformationen (75 Aminosäuren) ist dann in etwa 1075·10-13sec = 1062 sec – Das Universum existiert (angeblich) seit ca. 20 Mrd. Jahren (6·1017sec) So geht es also nicht !!! 28 Thermodynamik der Proteinfaltung konzertierter selbstverstärkender Prozess Strukturierte Trichterkontur der Energie: Protein wird in seine native Konformation geleitet; Faltung in kurzer Zeit möglich[1]. [1] Wolynes, PNAS 1998, 95, 11037. 29 Proteinfaltung Analyse der Gleichgewichtslage • Die freie Enthalpie für die Faltung von Proteinen liegt nahe am thermodynamischen Gleichgewicht. • Kleine Änderungen der Temperatur, der Zusammensetzung des Umgebungsmilieus (Zn, Cu, Pb, EtOH), Mutation einer Aminosäure, Kontakt mit anderen Proteinen oder zwischen identischen Proteinketten können zur Entfaltung mit anschließender Fehlfaltung führen. • In Zellen gibt es sogenannte Chaperone (Proteine), die diese Fehlfaltung unter Energiezufuhr reparieren können. 30 Proteinfaltung Simulation – Random walk, aber ‘multiscale‘ 31 Proteinfaltung … there is no stable state in protein 3-D structure 32 Proteinbiosynthese Chaperone – with a little help from friends 33 Wege der Proteinfaltung mögliche Strukturen 34 Proteinaggregation und Proteinfaltung Nativer Zustand nicht immer der energetisch günstigste 35 Proteinfaltung mit Simulationen MD erlaubt detaillierte Einblicke in Faltungsprozesse[3] [3] Daggett, Fersht, TIBS 2003, 28, 18. 36 Proteinfaltung Live THz Spektroskopie KITA-Spektroskopie erlaubt Echtzeit-Beobachtung (=Kinetic Terahertz Absorption Spectroscopy) Im unbeeinflussten Wasser werden die Wasserstoffbrückenbindungen zwischen den einzelnen Molekülen ca. alle 1,3 Picosekunden geöffnet und geschlossen - es herrscht ziemliche Unordnung. Schon kleine Konzentrationen von Proteinen bringen die Wassermoleküle allerdings mehr auf Linie: Die dynamischen Bewegungen des Wassernetzwerkes werden durch das Protein verändert. Bekannt war ebenfalls, dass gefaltete Proteine einen deutlich anderen Einfluss auf die Wassermoleküle ausüben als ungefaltete. Die KITA-Spektroskopie erlaubte jetzt erstmals Einblicke in die Zeit zwischen diesen beiden Zuständen. Seung Joong Kim, Benjamin Born, Martina Havenith, and Martin Gruebele: Real-time detection of proteinwater dynamics upon protein folding by Terahertz absorption. Angewandte Chemie, Hot Topic Beitrag http://www3.interscience.wiley.com/journal/121356250/abstract 37 Molekulardynamik-Simulationen …. und ihre Grenzen Blue-Gene: 20 Petaflops „Blue-Jeans“: Fold-It 38 Proteinfaltung Basic facts • Faltung erfolgt hierarchisch – Primärstruktur induziert Sekundärstruktur induziert Tertiärstruktur • Faltung ist Entropie getrieben – Enthalpie von kovalenten und koordinativen Bindungen – Entropie aus „Wasserverdrängung“ aus dem „Kern“ der Proteine • Nativer Zustand muss nicht der thermodynamisch stabilste sein – Amyloide Plaques – Chaperone • Molekulardynamik Simulationen – keine Lösung (falscher Weg, unzureichende Mathematik) • Experimentelle Methoden der Proteinreinigung – ‘Tagesgeschäft‘, Fällung, Chromatographie, …. 39