AR UA HS SM TE EN L L U N G E N Interdisziplinäres Denken ist in höchstem Maße inspirierend Eine Frage der Perspektive: das Wahrnehmbare ist richtig - und falsch zugleich Christina Lissmann: Das Herbarium des Heraklit Ausstellung ab dem 11.Oktober 2012 in der Boutwell Draper Gallery, Sydney, Australien „Jede Philosophie verbirgt auch eine Philoso- die festgefahrenen Erwartungen widerspricht phie; jede Meinung ist auch ein Versteck, und damit für eine neue Perspektive der jedes Wort auch eine Maske“ (Fried- Wahrnehmung zu plädieren - das ist rich Nietzsche, Werke III - Jenseits die Intention der Medienkünstle- von Gut und Böse). Die Welt rin Christina Lissmann, die als verändert sich - nur ist dies Mittlerin zwischen Kunst, Phi- heute durch die rasan- losophie und Wissenschaft te Entwicklung neuer arbeitet. Es ist diese Art Technologien noch der künstlerischen Zu- viel deutlicher spür- sammenführung, der bar als früher. Das Korrespondenz und zunehmend globa- auch des Diskurses le Denken und die, zwischen Kunst und auch (geografisch) Wissenschaft bzw. schnellere Erreich- Wirtschaft, der für barkeit modifiziert einen notwendigen, auch das menschliche globalen und spannen- Denken. Alles wird ver- den Dialog sorgen kann, netzter, internationaler, ohne den eine konstruk- zusammenhängender - tive Auseinandersetzung und damit auch schneller. um das Zerbrechen von Tra- Alles fließt zusammen und ditionen und die Vernetzung ist gleichzeitig doch dauernd in neuer Werte in der jetzigen Welt Bewegung. Jeder kennt dieses Phä- nicht mehr sinnvoll wäre. Sol- nomen, dass Dinge scheinbar zufällig cherart gestaltete Kunstprojekte geschehen, die sich nachträglich in sind nicht nur gesellschaftlich einem zusammenhängenden Kontext Chrstina Lissmann; Herbarium; Foto hinter hochwertigem Acryl-Glas, relevant, sondern fördern und darstellen: panta rhei (griechisch „Alles Ø 150 cm © VG Bild-Kunst, Bonn 2012 fordern auch das interdisziplinäre fließt“), als ein auf den griechischen Denken. Eine neue und bewusste Philosophen Heraklit zurückgeführ- menschliche Erwartungshaltung entstehen, Anfrage an die gesellschaftliche ter, jedoch erst in späterer Zeit geschaffener die aus einer oftmals erlebten, deshalb aber Funktion von Fotografie, Film, Medieninstalla- Aphorismus, beschreibt diesen Umstand. Den nicht unbedingt wahren Situation resultiert - tion, Malerei - überhaupt von jeglicher Arten abhängigen Zusammenhang von Faktoren, die und daraus können sich Vorurteile, Klischees, von Kunst. wir nicht oder kaum beeinflussen können und Stereotype entwickeln. Diesem Zustand entge- In dieser Hinsicht ist die aktuelle Ausstellung unserem eigenen Handeln lässt häufig eine genzuwirken, also eine Situation zu kreieren, der Künstlerin „Das Herbarium des Heraklit“ 36 ARTPROFIL A U S S T E L L U N G E N in Sydney ein prägnantes Beispiel. Obwohl He- Texte Kunstwerke erklären, versucht die raklit als Philosoph selbst unter den Gelehrten Ausstellung Texte visuell verständlich nicht einfach zu erfassen ist - von seinem zu machen. „Die Arbeiten (der Werk sind nur Fragmente überliefert, Ausstellung) zeigen die kost- und selbst diese finden sich haupt- bare Sammlung einzigarti- sächlich nur als Zitate in Texten ger Blüten und seltener anderer Autoren - wagt die Gewächse, die Heraklit aktuelle Ausstellung eine in einsamen Stunden visuelle Interpretation seiner zusammengestellt Philosophie. In Werken und durch besonde- wie „Authenticity“, „Vir- re Konservierungs- tue“ oder „Herbarium“ Te c h n i k e n d e r ist unsere Wahrnehmung Nachwelt erhalten abstrahiert, gedreht, fo- konnte“, erklärt kussiert, auf etwas ge- die Künstlerin mit richtet, was wir wie durch feiner Ironie. Mit ein Brennglas betrachten. ihrer Methodik, die Manches wird aufgrund im gewissen Sinne der Vergrößerung sichtbar, einer - wie Christina erkennbar und damit erklärbar, Lissmann es formuliert oder besser: wahrnehmbar. Das - „umgekehrten Herme- Unscharfe rückt in den Hintergrund, neutik“ entspricht, sorgt die die Form wird zu Zeit und damit zu Künstlerin dafür, dass nicht Spra- etwas künstlerisch Interpretierbarem, aber che als kausales Medium fungiert, nicht Ausgesprochenem. Eine künstleri- sondern, im Gegenteil, das reine sche Betrachtung auf Metaebene. visuelle Erkennen einen gleichran- Christina Lissmann hebt hier den Aspekt Christina Lissmann; Authenticity; gigen Erkenntnisgewinn gewährt. visueller Exegese heraus. Auf die traditio- Foto hinter hochwertigem Acryl-Glas, Es geht um subtile Irritationen der nell erläuternden Texte und (pseudo-)wis- Ø 20 cm © VG Bild-Kunst, Wahrnehmung und allein um das senschaftlichen Abhandlungen verzichtet Bonn 2012 nachhaltige Wissen, dass sich Ver- die Künstlerin, denn die Fokussierung auf stehen bei weitem nicht nur über das rein Sichtbare erlaubt eine andere, Sprache definiert. spezifischere Wahrnehmung. Wo sonst Michaela Buchheister Christina Lissmann ist in Chicago geboren Weitere Infos: und arbeitet weltweit als Kulturjournalistin, Neue Kunst Gallery - Michael Oess der Schnittstelle zwischen Philosophie und Konzeptionerin und Medienkünstlerin an Kunst. Sie ist unter anderem Autorin zahl- Zirkel 32 reicher Künstlerporträts, Dokumentationen 76133 Karlsruhe und Filmessays. Ihr Studium in Köln und Deutschland Wien in den Fächern Kunst (als persönliche Assistentin bei Sigmar Polke), Philosophie, Telefon: +49 (0) 721 1305721 Kunstgeschichte und Ethnologie schloss sie Mobil: +49 (0) 151 15613713 Web: www.neuekunst.de E-Mail: [email protected] mit ihrer Promotion in Philosophie über Christina Lissmann; Virtue; Foto hinter hochwertigem Acryl-Glas, Ø 20 cm © VG Bild-Kunst, Bonn 2012 „Der Traum bei Nietzsche“ ab. Die Künstlerin lebt und arbeitet in Berlin und wird in Deutschland von der Neuen Kunst Gallery Karlsruhe vertreten. ARTPROFIL 37