Spiegelneuronen - Fachlehrerinnen und Fachlehrer K für

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Fachseminar für Sonderpädagogik Reutlingen
Armin Kirchhof
Unterlagen zum Kurzvortrag
(Auszüge Skript Ausgewählte Aspekte der Entwicklungspsychologie)
„Mitdenken und Mitfühlen“
Die Funktion und Bedeutung von Spiegelneuronen
im Rahmen des
Arbeitskreistreffen der Fachlehrer K
(Ergo- und Physiotherapeut/innen
an Sonderschulen
in Baden-Württemberg)
am
18. Oktober 2013
Fachseminar für Sonderpädagogik Reutlingen
A. Kirchhof
Ausgewählte Aspekte der Entwicklungspsychologie
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Spiegelneuronen
Ad-Hoc-Meldung 05.Dez. 2010
In der ZDF-Sendung "Wetten, dass..?" ist es am Abend zu
einem schweren Unfall gekommen. Ein Wettkandidat
verletzte
sich
bei
seinem
Sprung
über
ein
Auto
augenscheinlich schwer. Der 23-Jährige hatte versucht, mit
angeschnallten Laufprothesen ihm entgegenfahrende Autos
zu überspringen. Dabei kam es zu dem Unfall. Der
Verletzte wurde in die Universitätsklinik Düsseldorf
eingeliefert.
Das ZDF hatte nach dem Unfall die Sendung zunächst unterbrochen. Nach etwa einer
halben Stunde Pause, in der der Sender Musik-Ausschnitte aus vergangenen Sendungen
zeigte, verkündete Moderator Thomas Gottschalk den Abbruch von "Wetten dass..?". "Ich
halte es für meine Pflicht, Ihnen zu sagen, wir werden Ihnen nicht etwas vorspielen", sagte
er den Zuschauern." Sichtlich mitgenommen fügte er hinzu: "Wir wollen nicht auf heiter
machen, wenn wir nicht wirklich heiter sind."
Quelle: www.tagesschau.de
Auch die Zuschauer in der Halle sowie die Beobachter vorm TV wurden schlagartig von
tiefer Betroffenheit erfasst. Mitgefühl -insbesondere mit den Eltern des Verunglücktenmachte sich breit.
Wer kennt nicht das Phänomen, dass der Anblick eines gähnenden Menschen auch bei uns
selbst sofort spontanes Gähnen auslöst? Wer hat sich beim Füttern eines Babys noch nicht
dabei ertappt, den eigenen Mund einladend weit zu öffnen, um dem kleinen Erdenbürger
zur Nachahmung zu bewegen, damit er den Weg für den mit Speise beladenen Löffel oder
die Trinkflasche frei macht? Solche und ähnliche Phänomene sind heute biologisch
erklärbar.
Diese Beispiele, als auch der tragische Wetten dass“- Unfall zeigen uns auf, dass der
Mensch in der Lage ist Stimmungen des anderen wahrzunehmen und adäquate emotionale
Resonanzen zu zeigen- wir fühlen mit.
Dass dieser Vorgang ganz von alleine abläuft, d.h. ohne fortwährende Anstrengung kann
uns beruhigen. Doch wie kommt dies zustande?
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„Trotz einer beeindruckenden Ansammlung von neurobiologischen Wissens blieb die
entscheidende Frage unbeantwortet: Wie ist es – neurobiologisch gesehen- möglich, dass
das was ein Mensch fühlt, von anderen Menschen schnell und spontan erfasst werden
kann?“
Bauer in Caspary 2006, S. 40
A.1.1 Neuro-Plastizität
Zu den bedeutendsten Erkenntnissen der modernen Hirnforschung gehört, dass Umwelterfahrungen, insbesondere Erfahrungen, die wir mit anderen Menschen machen, in unserem
Körper biologische Auswirkungen haben. Was wir mit anderen Menschen erleben, hat
Einfluss auf die Aktivität unserer Gene und verändert die neuronale Architektur unseres
Gehirns. Dass sich die Nervenzellen unseres Gehirns, abhängig von dem was wir erleben
oder tun, permanent neu verschalten, wird mit dem Begriff der Neuro-Plastizität
bezeichnet.
vgl. Bauer in Caspary 2006, S. 36
A.1.2 Die Entdeckung der Spiegelnervenzellen (=Spiegelneuronen)
Zahlreiche neurowissenschaftliche Studien sichern das Wissen darüber, welche
Nervenzellen und Netzwerke im Gehirn tätig werden, wenn wir selbst handeln, wenn wir
unseren eigenen Körper spüren oder wenn Emotionen in uns hochsteigen.
Anfang der 1990er Jahre beschäftigten sich Forscher mit Nervenzell-Netzwerken der
motorischen Hirnrinde bei Affen welche den Plan für zielgerichtete Handlungen des Tieres
haben. Eine der vielen Nervenzellen „feuerte“ z.B. dann- und sie feuerte nur dann!- wenn
der Affe mit seiner hand nach einer Nuss griff.
Dabei machten sie folgende Entdeckung: Diese Nervenzellen waren nicht nur dann aktiv
wenn der Affe den griff nach der Nuss selbst ausführte, sondern auch dann, wenn der Affe
zusah, wenn jemand anderes nach der Nuss griff.
„Was ein anderer tut, dem ich beim Handeln zuschaue, führt also in mir, dem Beobachter,
zu einer stillen inneren Mitreaktion, als würde ich die Handlung im Stillen selbst
ausführen.
Die
Bezeichnung
für
Nervenzellen
dieser
Art
war
geboren:
Die
Spiegelnervenzellen, bzw. Spiegelneuronen.
Spiegel-Nervenzellen lassen sich auch beim Menschen nachweisen.
„Wenn Menschen zuschauen, wenn jemand anderes eine zielgerichtete Aktion ausführt,
kommt es im Beobachter zu einer stillen Mit-Aktivierung motorischer Nervenzellen, und
zwar genau jener Neurone, die in der Lage wären die Lage wären, die beobachtete
Handlung selbst zu veranlassen.“
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Spiegelneuronen befinden sich in unserem Gehirn und zeichnen sich dadurch aus, dass sie
unter sehr unterschiedlichen Umständen aktiv werden:
1. Wenn ein Mensch selbst in einer bestimmten Weise handelt,
2. wenn der Betreffende beobachtet, wie ein anderer die gleiche Handlung vornimmt und
3. wenn sich der Betreffende die Ausführung dieser Handlung nur vorstellt.
Diesen vielfältigen Fähigkeiten verdanken wir es, dass wir uns in andere „intuitiv
einfühlen“ können: Wie ihr Name verrät, „spiegeln“ Nervenzellen die beobachtete
Handlung in einer Weise, die das Gesehene in unserem Nervensystem gleichsam
„nachspielt“ (bzw. „simuliert“), so als führten wir die Handlung selbst aus. Das erklärt
beispielsweise, warum wir zusammenzucken, wenn wir sehen, dass einem anderen etwas
auf den Kopf fällt (Wir verhalten uns, als seien wir selbst betroffen).
Spiegelnervenzellen helfen uns also, andere Menschen zu verstehen und ihr Verhalten und
Fühlen vorauszusagen. Allerdings liegt hier zugleich auch der größte Fallstrick. Denn was
wir mit Hilfe unseres Nervensystems „nachspielen“, beruht ausschließlich auf unseren
ganz persönlichen Erfahrungen. Denn je nach der eigenen Prägung, muss das im Gehirn
simulierte Geschehen nicht zwingend etwas mit dem Beobachteten zu tun haben. Die
daraus abgeleiteten Schlussfolgerungen werden mitunter völlig daneben liegen.
vgl.Joachim Bauer: 2005.
Zusammengefasst lässt sich also sagen: Spiegelneuronen vermitteln uns das, was wir
meinen, wenn wir sagen, dass wir das Handeln eines anderen Menschen- -intuitiv und ohne
langes Nachdenken- verstehen.
Bezogen auf den „Wetten-dass…?“- Unfall stellt sich nun die Frage, inwiefern körperliche
Empfingen (z.B. Schmerz) eines anderen Menschen, den wir beobachten, in uns
spiegelbildliche Empfindungen wachrufen.?
Auch hierzu analysierten Forschergruppen was passiert, wenn wir miterleben , dass ein
anderer Mensch Schmerzen erleidet. Auch hier konnte gezeigt werden, dass auch die
Zentren der Schmerzverarbeitung Nervenzellen besitzen, die nicht nur dann „feuern“ wenn
Schmerz am eigenen Körper erlebt wird, sondern auch dann, wenn wir beobachten, wie
einem anderen Menschen Schmerz zugefügt wird.
Wir besitzen in unserem Gehirn also Nervenzellen für Mit-Leiden, und d.h.: Empathie
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A.1.3 Bedeutung der Spiegelneuronen
Spiegelneuronen sind das neuronale Format für eine frühe, basale Form der
Kommunikation und für eine erste wechselseitige soziale Einstimmung. Ohne das durch
Spiegelzellen vermittelte Imitationsverhalten könnte es zwischen Säugling und Umwelt
keine Kommunikation geben, Es könnte dann auch kein frühes intuitives Gefühl
zwischenmenschlicher Verbundenheit entstehen.
Zwar
besteht
bei
der
Geburt
eine
gewisse
genetische
Grundausstattung
an
Spiegelneuronen, diese bedeutet jedoch nicht, dass die Fähigkeit andere Menschen zu
verstehen angeboren ist. Gemäß dem Leitsatz „Use it or lose it“ müssen diese Schaltkreise
genutzt werden um in Funktion zu bleiben.
Um ihre Spiegelsysteme entwickeln zu können brauchen Säuglinge und Kleinkinder
liebevolle Anteilnahme und eine individuelle persönlich abgestimmte Zuwendung.
Die zurück gespiegelten Resonanzen, die das Kind von seinen Bezugspersonen erlebt, sind
das „Trainingsprogramm“ für die Spiegelsysteme des Kindes. Erfahrungen dieser Art
haben entscheidenden Einfluss darauf, dass das Kind seine eigene Empathiefähigkeit
entwickeln kann.
A.1.4 Pädagogische Konsequenzen
Nichtbeachtung macht behindert
Um lernen bzw. Erfahrungen speichern zu können, sind Spiegelnervenzellen auf
„Spiegelung“ durch andere Menschen angewiesen. So zeigen Eltern ihrem kleinen Kind,
wie sein eigenes Verhalten auf sie wirkt (etwa indem sie sein Lächeln mit einem eigenen
Lächeln beantworten). So lernt das Kind, Emotionen wahrzunehmen, zu benennen, zu
unterscheiden und zu regulieren. Vorenthalten oder Entzug von Spiegelung wird von uns
Menschen als grausam erlebt (etwa wenn jemand bewusst nicht beachtet wird, was z. B.
beim „Mobbing“ häufig vorkommt). Für unsere Entwicklung spielt es also eine große
Rolle, welche Art von „Nervenfutter“ wir vor allem zu Beginn unseres Lebens erhalten
haben. Wer als Kind wenig gespiegelt wurde, verankert in seinen Spiegelnervenzellen nur
wenige
oder
sehr
einseitige
Erfahrungen.
Im
späteren
Leben
werden
diese
Spiegelnervenzellen nur selten oder unter einseitigen Bedingungen „anspringen“ bzw.
kaum in „Resonanz“ (= Wechselwirkung) zu den beobachteten Phänomenen oder Personen
treten. Solchen Menschen fällt es schwer, sich in andere einzufühlen, weil ihre
Spiegelnervenzellen auf keine entsprechenden „kodierten Erfahrungen“ zurückgreifen
können. Sie wirken dann unberührt, kalt oder hilflos.
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Eine wichtige Aufgabe von Psychotherapie ist es daher, dem Patienten durch einfühlsame
Spiegelung noch fehlende grundlegende zwischenmenschliche Erfahrungen zu vermitteln
und so die Reaktionsmöglichkeiten seiner Spiegelnervenzellen zu vergrößern. Dabei ist es
wichtig, dass sich der Therapeut spontan, wertschätzend und authentisch verhält
(Prinzipien der Gesprächstherapie nach Rogers).
Im Spiegel elterlichen Verhaltens eigenes Befinden einschätzen lernen
Damit sich Handlungsabläufe bei Kindern mit Hilfe der Spiegelneurone im Gehirn
einprägen können, müssen sie von lebenden Vorbildern kommen (Fernsehen funktioniert
nicht, da es keine individuellen Interaktionen ermöglicht!). Nur wenn Betreuer persönlich
anwesend sind und das Spielen immer wieder in Gang bringen, werden Kleinkinder
zeitweise dazu übergehen, das Spiel selbst zu organisieren. Ohne entsprechende Anleitung
wirken Kinder in ihrem Verhalten und ihrer Körpersprache oft unentwickelt, meistens
grob, ungeschickt oder gehemmt.
Ein Kleinkind orientiert sich bei der Einschätzung aktueller Situationen daran, wie sie von
der Bezugsperson beurteilt wird. Es übernimmt die Bewertungen der Eltern sogar dort, wo
es um die eigene Befindlichkeit geht. Bei einem Sturz erkundigt es sich beispielsweise
durch einen Blick zur Mutter danach, ob ihm dieser Sturz sehr oder nur wenig weh getan
hat. Deren Antwort („Das tut doch nicht weh.“) liefert den Spiegelnervenzellen die
Regieanweisung dafür, wie sie künftig auf ähnliche Ereignisse zu reagieren haben Für den
permanenten Abgleich seiner eigenen Erfahrungen mit denen anderer braucht das Kind
präsente Eltern. Spielerisch übt es laufend zwischenmenschliche Handlungsstile ein.
Vorbeugende Befindensprüfung
Es gibt nicht nur Spiegelnervenzellen, die beim Handeln oder beim Beobachten von
Handlungen aktiv werden bzw. in Resonanz treten. Eine weitere Gruppe ist vor allem mit
der Handlungsplanung befasst. Eine dritte Gruppe wird aktiv, wenn es darum geht
herauszufinden, wie sich eine Handlung „anfühlt“. Dank dieses Dreierverbandes ist unser
Gehirn in der Lage, Handlungen nicht nur zu planen, sondern auch vorab zu prüfen, wie
sich der Handlungsablauf im Falle seiner Umsetzung anfühlen würde. Ein ungünstiges
Ergebnis („Handlung führt zu einem schlechten Befinden“) kann zu einem Verzicht auf die
geplante Handlung führen.
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Die Möglichkeit „hochzurechnen“, wie sich geplante Handlungen auf das Befinden
auswirken werden, fördert zugleich unsere Einfühlung in andere. Denn das „emotionale
Hochrechnungssystem“ wird nicht nur bei eigenen Handlungen aktiv, sondern auch bei
beobachteten Handlungen anderer („emotionale Resonanz“). Die Fähigkeit, sich eine
Vorstellung vom Innenleben eines anderen Menschen zu machen, nennt man auch
„Theory of Mind (TOM)“. Offenbar sind Spiegelnervenzellen deren biologische
Grundlage.
Angst und Stress trüben den Spiegel
Bei Angststörungen scheint das Hochrechnungssystem durchweg ungünstige Ergebnisse zu
errechnen.
Dies
mag
nicht
zuletzt
daran
liegen,
dass
die
Signalrate
von
Spiegelnervenzellen unter Angst, Anspannung und Stress stark abnimmt. Indem
Verhaltenstherapie die Spiegelnervenzellen zu neuen Erfahrungen regelrecht zwingt,
verändert sich nicht nur deren Reaktionsvielfalt, auch wächst die Datenlage für weitere
Hochrechnungen
bzw.
erweitert
sich
die
Vielfalt
alternativ
verfügbarer
Verhaltensprogramme. „Entspannungsmethoden“ bereiten den Spiegelneuronen optimalere
„Arbeitsbedingungen“.
Spiegeln vermittelt traditionelles Wissen
Spiegelnervenzellen werden aktiv, ohne dass wir es merken. Auch Reize unterhalb der
Bewusstseinschwelle (dargeboten in Bruchteilen von Sekunden) lassen Spiegelzellen
„anspringen“ (in Resonanz treten). Da ein Großteil menschlichen Wissens durch
Spiegelung weitergegeben wird (Verhaltensregeln und damit verbundene emotionale
Sanktionen, etwa in Form von Gewissensbissen und Scham), dürften Spiegelnervenzellen
an der Gestaltung unseres Zusammenlebens wesentlich beteiligt sein. Was einmal durch
Beobachtung in unser Vorstellungsrepertoire Eingang gefunden hat, ist künftig prinzipiell
vorstellbar und aufgrund der damit gebahnten Handlungsbereitschaft auch potenziell
realisierbar. Angesichts des heutigen medialen Überangebots (insbesondere in Form von
Bildern, die Gewaltakte zeigen) erscheint Psychohygiene (Enthaltsamkeit) dringend
geboten.
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Hemmung befreit
Während Spiegelsysteme bei Kleinkindern die starke Tendenz haben, Beobachtetes
sogleich nachzumachen, verfügt der Erwachsenen über hemmende neurobiologische
Systeme, die ihm Verhaltensalternativen eröffnen. Mit ihrer Hilfe kann der Erwachsene
Verhaltenstendenzen zunächst in Schwebe halten und dabei Alternativen prüfen
(insbesondere im Hinblick auf das damit jeweils verbundene eigene Befinden). Nach
ausreichender Klärung kann er dann einer bestimmten Verhaltensvariante den Vorzug
geben bzw. auf Handeln komplett verzichten. Menschen mit „Impulskontrollstörungen“
sind dazu nicht in der Lage. Ihre Spiegelnervenzellen lösen unweigerlich entsprechende
Reaktionen aus.
Resonanz und geteilte Aufmerksamkeit machen glücklich und „binden
Spiegelzellen zeigen besonders starke Aktivität, wenn sich eigene und beobachtete
(= gespiegelte) Handlung entsprechen. Hier entsteht eine besonders starke „Resonanz“
(Widerhall, Anklang), die im Fall positiver Spiegelungen (gelungener „Zuwendung“) sogar
„Glücksgefühle“ auslösen können (was auf einer vermehrten Freisetzung körpereigener
Botenstoffe, hier der „Opiode“, zu beruhen scheint). Eigenes Erleben und von der Umwelt
gespiegeltes Verhalten scheinen dann identisch zu sein. Zugleich sind eigene und fremde
Aufmerksamkeit auf den gleichen Inhalt gerichtet („joint attention“), so dass man sich mit
dem anderen verbunden fühlt, letztendlich also „Bindung“ entsteht. Vermutlich erlebt man
sich in einer solchen Situation auch als besonders „wirksam“.
Spiegelzellen sind somit auch wichtige „Kontaktorgane“, die abtasten und zu erfühlen
versuchen, was den anderen gerade bewegt. So lassen sie soziale Verbundenheit erleben.
Nicht zuletzt wird verständlich, warum Zuwendung Schmerzen besser ertragen lässt.
Wie Mit-Leid entsteht und vergeht
Da immer die gleichen Spiegelnervenzellen anspringen, egal ob man selbst handelt oder
das Handeln eines anderen beobachtet, fragt sich, wie der Organismus überhaupt erkennen
kann, wer denn nun der eigentlich Handelnde ist. Zugleich wird verständlich, wie „MitLeid“ im wahrsten Sinne des Wortes entsteht. Wer sich in der Gegenwart eines nahe
stehenden leidenden Menschen schlecht fühlt, hat mit Hilfe von Spiegelnervenzellen
offenbar einen vergleichbaren Zustand in sich selbst erzeugt. Interessanterweise zeichnen
sich „Sympathische Menschen“ („Sympathie“= Mitleid) nicht zuletzt durch ihre Fähigkeit
des „Nachempfinden-Könnens“ aus.
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Manche („Helfertypen“) laufen allerdings Gefahr, sich im Einsatz für andere „selbst zu
verlieren“. Sie können offenbar nicht mehr zwischen eigenem und fremdem Erleben
unterscheiden. Sie erleben das Leid der anderen genau wie eigenes, umgekehrt unterstellen
sie anderen (meist unbewusst) Gedanken und Gefühle, die vor allem sie selbst beherrschen.
Menschen können nur dann empathisch sein, wenn die dazu erforderlichen Grundlagen
durch entsprechende zwischenmenschliche Erfahrungen ausreichend „eingespielt“, also
„gebahnt“ und damit funktionsfähig gemacht wurden. Wo eine emotionale Resonanz fehlt,
kann
eine
„Alexithymie“
oder
ein
„Autismus“
vorliegen.
Eine
vorhandene
Empathiefähigkeit kann durch Extremerfahrungen von Gefühllosigkeit und Brutalität
nachträglich Schaden erleiden.
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Neurodidaktik
„Jeder Lernvorgang verändert das Gehirn nachweislich und deshalb nehmen Hirnforscher
auch das Lernen unter die Lupe und liefern neue und – so ihr Anspruch teilweise
revolutionäre Ergebnisse, die über das Lernen von kleinen Kindern Aufschluss geben, das
Lernen in der Schule allgemein erhellen und die Voraussetzungen und Möglichkeiten des
lebenslangen Lernens thematisieren. Grundlegende Lernmechanismen werden aufgedeckt,
um biologisch fundierte Thesen zum optimalen Lernen generieren zu können. Diese
Verbindung von Neurobiologie und Schule ist seit einigen Jahren als „Neurodidaktik“ im
Gespräch.“
Hirnforscher helfen inzwischen den Pädagogen bei der Entwicklung neuer Lernstrategien,
ja sie fordern sogar ultimativ mehr Einfluss auf die Pädagogik und wollen ihre
Erkenntnisse nun in Lehr-/Lernkonzepte umsetzen. Und gerade weil jeder Lernvorgang mit
einer Veränderung des Gehirns einhergeht, kann besser lehren, wer versteht, wann es
warum zu dieser Änderung kommt.
Professor Herbert Beck in „Erziehungswissenschaft und Beruf“, Heft 3/2003
Neue Erkenntnisse aus der zeigen ein differenzierteres Bild, wie Lernprozesse im Gehirn
verlaufen. Moderne Screening- Methoden ermöglichen mittlerweile dem Gehirn bei seiner
„Arbeit“ zuzuschauen um daraus Prinzipien abzuleiten und zu erfassen, was passiert, wenn
gelernt wird.
A7
Dieser Baustein steht im Zeichen der modernen Hirnforschung und deren Ableitungen für
pädagogisches Handeln. Nachdem wir zunächst das menschliche Gehirn in seiner Funktion
kennen gelernt haben, widmen wir den Speicherprozessen des Gedächtnisses und den
damit eng verbundenen Aufmerksamkeitsformen. Abschließend soll dann die Bedeutung
neurowissenschaftlicher Erkenntnisse für Lernprozesse, insbesondere nach Spitzer im
Mittelpunkt stehen.
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Das menschliche Gehirn
Das menschliche Gehirn setzt sich im Wesentlichen aus 5 Teilen zusammen, wobei jeder
Teil bestimmte Aufgaben wahrnimmt:
Zur interaktiven Seite „Die Areale des Gehirns“
 http://www.3sat.de/nano/diverses/gehirn.html
1. Großhirn - Das Großhirn ist der am höchsten entwickelte Teil des Gehirns. Es
ist unter anderem zuständig für die Funktionen Intelligenz und Sprache oder für die
Verarbeitung visueller Reize. Es teilt sich in eine rechte und linke Hirnhälfte, die
mit dem Balken verbunden sind.
2. Kleinhirn - Es steuert in erster Linie alle Bewegungsabläufe, also die
Koordination der Muskelbewegungen.
3. Zwischenhirn - Es ist die Zentrale des Hormonsystems. Es ist unter anderem
zuständig für sensorische Funktionen (z.B. schmecken).
4. Mittelhirn - Es regelt unter anderem die Augenbewegung.
5. Stammhirn - Das Stammhirn ist der Teil des Gehirns, der zwischen Endhirn
und Rückenmark liegt. Es unterteilt sich in Hypothalamus, Thalamus, Brücke und
verlängertes Rückenmark. Es enthält viele für die Koordination von Bewegungen
wichtige Schaltkerne.
Quelle: http://www.philognosie.net
Das Gehirn des Menschen wiegt etwa 1,4
Kilogramm,
macht
etwa
2
Prozent
des
Körpergewichts aus und verbraucht trotzdem
mehr als 20 Prozent der Energie des gesamten
Körpers. Es besteht im Wesentlichen aus
Nervenzellen
(Neuronen)
sowie
aus
Faserverbindungen zwischen den Neuronen.
Diese
Gliazellen
bilden
ein
Stütz-
und
Versorgungsgewebe für die Neuronen, nehmen
aber
auch
an
der
neuronalen
Erregungsverarbeitung teil. Die Gestalt der
Neurone ist außerordentlich verschieden, es gibt
im
menschlichen
Gehirn
etwa
hundert
Bildquelle:
http://www.teachsam.de
verschiedene Typen von Neuronen.
Roth, 2001, S. 164
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Jedes Neuron besitzt weite, baumartige Verzweigungen
(Dendriten), und einen langen Fortsatz, das Axon. Sowohl an
den Dendriten als auch am Zellkörper des Neurons enden die
Axone anderer Neuronen mit verknüpfenden Endknöpfchen
(Synapsen). Die einzelnen Nervenzellen sind durch Synapsen
vielfältig miteinander verbunden.
Abb. 1 Neuron
Bildquelle: Spitzer,2000, S. 19
Die Übertragung eines Nervenimpulses von einem Neuron
zum anderen geschieht an einer Synapse und je nach Stärke
der Übertragung kann der gleiche Input das eine Neuron
anregen, das andere jedoch nicht.
Die etwa 20 Milliarden Neuronen des Großhirns sind mit
jeweils bis zu 10 000 anderen Neuronen verbunden und
bilden ein unüberschaubares Netzwerk, das alles Denken,
Lernen, Fühlen und Handeln hervorbringt. Das Dogma der
heutigen Neurobiologie lautet deshalb, dass alle Leistungen
des
Gehirns
aus
den
Integrationsleistungen
einzelner
Abb.2: Synapse
Bildquelle: http://www.cartage.org
Das Gehirn ist damit das anpassungsfähigste Organ des Menschen und zugleich das komNervenzellen resultieren. vgl. Roth, 1997, S. 46
plexeste Gebilde des Universums.
Das "Limbische System" ist eine Sammelbezeichnung für eine Funktionseinheit aus
Teilen des Großhirns sowie Teilen des Zwischenhirns.
Zum
limbischen
System
gehören
u.a.
Hippocampus und Amygdala (Mandelkern). Es
spielt
die
entscheidende
Übertragung
von
Rolle
bei
Informationen
der
ins
Langzeitgedächtnis. Es liefert die emotionale
Bewertung aufgenommener Informationen und
bewertet
diese
für
die
Übertragung
ins
Langzeitgedächtnis.
Es bewertet alles nach "gut" und "schlecht" und steuert damit unser Verhalten. Durch die
emotionale Bewertung spielt es eine entscheidende Rolle bei Lernvorgängen und beim
Abrufen von neuen (Lern-) Informationen aus der Hirnrinde.
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Stellen sie sich den Hippocampus wie einen Pförtner vor. Er lässt Informationen durch,
oder auch nicht. Je nachdem, ob er Lust dazu hat. Das ist nämlich nicht garantiert, denn der
Hippocampus langweilt sich sehr schnell. Wenn da ständig dieselbe trockene Information
kommt, hat er keinen Spaß und schließt die Tür. Welche Tricks halten den Hippocampus
bei Laune? Abwechslung und Spaß!
Wenn ich z.B. den Satz „Der grüne Hut liegt auf dem großen Tisch“ ins Englische
übersetze und fünfmal wiederhole, um mir die einzelnen Vokabeln einzuprägen, dann
schaltet der Hippocampus einfach ab. (Bei Männern übrigens früher als bei Frauen).
Wenn ich den Satz aber verändere, funktioniert der Hippocampus wieder. Zum Beispiel:
„Auf dem großen Tisch liegt der grüne Hut“, oder: „Der große Hut liegt auf dem grünen
Tisch“ usw. Damit kann das Gehirn überlistet werden. Es hilft übrigens auch, wenn man
die Stimmlage verändert: Mal den Satz im Tenor, dann im Sopran sprechen und schon hat
der Hippocampus wieder Spaß am Lernen.
Die Amygdala, der Mandelkern liegt etwa in der Mitte unseres Kopfes und ist mit zwei
Exemplaren vertreten. Alles, was unsere Augen, Ohren und die anderen Sinne aufnehmen,
wird an die Wahrnehmungsareale des Gehirns weitergeleitet.
Von diesen Arealen geht alles zur Amygdala und wird von ihr streng
geprüft. Nähert sich Unheil oder eine Gefahr, wird sofort die Abwehr
mobilisiert. So ist die Amygdala eine sehr empfindliche „Alarmanlage“.
Bei Gefahr geraten wir in Erregung, springen zurück oder schlagen
blitzschnell zu. Angst ist ein normaler und notwendiger Teil unseres
Lebens. Viele Situationen, in denen wir Angst verspüren, werden im
Laufe unseres Lebens erlernt, aber Angst kann auch von Nachteil sein.
Heute wissen wir aus der Hirnforschung, dass Angst Kreativität
ausschließt. Beim Lernen „unter Angst“ lernen wir die Angst gleich mit.
Neueste Untersuchungen zeigen, dass unbewusste Erinnerungen auch
direkt in der Amygdala gespeichert werden können. Werden also unbewusste
Erinnerungen wachgerufen, so stellt die Amygdala den Körperzustand wieder her, wie er
beim Speichern des ursprünglichen Erlebnisses geherrscht hat (Herzklopfen, schwitzende
Hände, schneller Atem usw.).
Quelle: http://www.philognosie.net
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Bildquelle
steuert
fördert
Aufmerksam
Individuelles
In
Bildquellen:
daAnlehnung
Bildquelle:
6.
5.
4.
3.
2.
1.
Abfall
Stufe:
Stufe:
ca.b
Versuchsano
Interveniere
Ausdrucksm
Beobacht
Verstärke
Die
Bsp:
o
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Das
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http://www.learni
Umformen
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Abb.
Abb.
18
12-18
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ergänzende
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Kreisreakti
angeborene
erworbenen
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Emotio
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nur
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Abb
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2:
sensumoto
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Handlungs
(Mittel
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zum
O
etwasden
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Wie gelangt aber nun Wissen der Welt in unser Gehirn, wie wird es dort verankert, und
wie wird es bei der Wahrnehmung der Welt genutzt, um diese zu ordnen?
Diese Fragen haben zahllose Menschen über viele Jahrhunderte hinweg fasziniert und
ihren Forscherdrang herausgefordert.1 Hippokrates meinte z.B., dass das Gehirn der Sitz
der Seele wäre. Nun endlich verfügen wir über genügend Sachkenntnis, um solche Fragen
zu beantworten.2 Wer wissen wollte, wo das Gehirn welche Funktion ausführt, der musste
früher den Kopf öffnen. Dies ist heute dank der Entwicklung bahnbrechender Methoden
der Neurowissenschaft nicht mehr nötig: Man kann heute mit bildgebenden Verfahren dem
Gehirn bei der Arbeit (also beim Denken) zuschauen,3 ohne den Kopf öffnen zu müssen
(funktionelles Neuroimaging).4 Die Ergebnisse – wieder wird ein Paradigmenwechsel
propagiert
5
-sind auch für Pädagogen höchst befriedigend: Denn das Gehirn ist für das
Lernen optimiert und „kann nichts besser und tut nichts lieber“6 als ständig zu lernen –
vorausgesetzt man geht „richtig“ mit ihm um und liefert ihm die „richtigen“ Sachverhalte.7
Abb. 1: Geeignete Bewegungen für klinische fMRTUntersuchungen; a) komlpexe Fingeropposition
D2-5 gegen D1; b) Zehenflexion / extension; c)
vertikale Zungenbewegung bei geschlossenem
Mund, Bewegungsfrequenz > 2 Hz
Abb. 2: Somatotopes Mapping des
linkshemisphärischen primären sensorimotorischen
Kortex während selbstgetriggerter rechtsseitiger
Zehenbewegungen (links), Fingerbewegungen
(Mitte links) und Zungenbewegungen (Mitte
rechts). Schemazeichnung des motorischen
Homunculus (rechts).
Aus: Stippich, C. et al., Fortschr. Röntgenstr 2003;
175: 1042-1050
Abb. 1+ 2: funktionelles Neuroimaging
Bildquelle: http://www.klinikum.uni-heidelberg.de/
AG-Neuroimaging-funktionelle-Bildgebung.
1. Vgl. Düweke, Peter: Kleine Geschichte der Hirnforschung – Von Descartes bis Eccles,
München 2001
2. Vgl. Greenfield, Susan, A.: Reiseführer Gehirn, Heidelberg und Berlin 2003, S. 16 ff.
3. Vgl. Rüegg, Johann Caspar: Psychosomatik, Psychotherapie und Gehirn – Neuronale
Plastizität als Grundlage einer biopsychosozialen Medizin, Stuttgart 2003, S. 11 f.
4. Vgl. Spitzer, Manfred (2002): Lernen – Gehirnforschung und die Schule des Lebens,
Heidelberg und Berlin 2002, S. 37 und Singer, Wolf: Der Beobachter im Gehirn – Essays
zur Hirnforschung, Frankfurt am Main 2002, S. 37 f.
5. Vgl. Singer, Wolf: Das Bild im Kopf – ein Paradigmenwechsel. In: Gene, Neurone, Qubits &
Co., hrsg. Von Detlev Ganten u.a., Stuttgart und Leipzig 1999, S. 267 ff.
6. Spitzer, Manfred (2002): A.a.O., S. 14
7. Vgl. ebenda und Spitzer, Manfred (2003,1): Neue Erkenntnisse der Gehirnforschung für das
Lernen, Vortragsveranstaltung des Staatlichen Seminars für Schulpädagogik (BS) Stuttgart
gemeinsam mit der IHK Stuttgart am 17. März 2003 in Stuttgart.
Fachseminar für Sonderpädagogik Reutlingen
A. Kirchhof
Ausgewählte Aspekte der Entwicklungspsychologie
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