G. Krämer: Geschichte des Islam Krämer, Gudrun: Geschichte des Islam. München: C.H. Beck Verlag 2005. ISBN: 3-40653516-X; 334 S. Rezensiert von: Wolfgang G. Schwanitz, Deutsches Orient-Institut Hamburg Die Islamwissenschaftlerin Gudrun Krämer lehrt seit einem Jahrzehnt an der Freien Universität Berlin. Die bald Mittfünzigerin trat durch Bücher über Mubaraks Ägypten, Juden am Nil, Demokratie und Islam sowie die Geschichte Palästinas hervor. Jetzt wartet sie mit einer Geschichte des Islam für ein breites Publikum auf. Daher ist das Werk so geordnet, dass es auf Themenschwerpunkte abzielt. Acht Kapitel behandeln die Anfänge des Islam unter Muhammad, die frühen Eroberungen und Reiche sowie das Abbasiden-Kalifat mit Ausflügen in Kultur und Wissenschaft. Kapitel vier bis sechs loten Schiiten, Muslime und Christen sowie den Mongolensturm aus. Die letzten Kapitel gelten Reichen der Osmanen, der Safawiden in Iran und der Moghuln in Indien sowie den Reformen seit der Zeit um 1800. Dieses Werk hat einen kursorischen Charakter. Auf die üblichen Fussnoten ist wohl im Wunsche nach Kürze und mit Rücksicht auf Popularität verzichtet worden. Das hat schon Vorteile, doch den Nachteil, dass so manche Aussage nicht zurückverfolgt werden kann. Sehr konzentriert behandelt die Expertin Themen, die für sich genommen bereits Bücher abgegeben haben - oder könnten. Eine wirklich bravouröse Leistung. Der Wunsch freilich, möglichst viel zu berühren, lässt des Öfteren weniger Raum, Probleme zu erörtern. Über den Propheten Muhammad zum Beispiel notiert Gudrun Krämer, dessen Geschichte müsse man auf der Basis muslimischer Quellen schreiben oder gar nicht. Nun ist indes allgemein bekannt, dass zeitgenössische Quellen über das Leben des Propheten rar sind, dass den nichtmuslimischen Quellen gleichwohl eine beachtliche Rolle zuwächst, man denke nur an Christoph Luxenbergs Thesen um den syro-aramäischen Wortschatz im Koran. Interessant beschreibt Krämer die Zwiste, in die Muhammad durch seine Offenbarung geriet, etwa seine Wendung gegen die Juden von Medina. Er hoffte, sie würden ihn als Prophet anerkennen (S. 23): „Entschiedener als zuvor deutete Muhammad den Islam nun als Erneuerung der monotheistischen ’Religionen Abrahams’ (din oder millat Ibrahim) und wertete damit das Juden- wie das Christentum als spätere und zudem verfälschende Versionen dieser ursprünglich-reinen Offenbarungsreligion ab.“ Ja, er sah sich als Siegel der Propheten an, als reinen Monotheist. Daraus folgen freilich Probleme mit den anderen monotheistischen Religionen. Nicht zuletzt gründet sich darauf die muslimische Ansicht, „höher zu stehen“. Für die Ära nach 1800 lotet Gudrun Krämer etwas zu wenig Probleme der Interaktionen mit dem Westen aus. Und das, obwohl sie laut Vorwort die Beziehungsgeschichte in den Mittelpunkt rücken wollte. Offenbar versteht sie darunter vor allem auch die Geschichte von Beziehungen islamischer Subregionen untereinander. Diese Räume hat sie jedenfalls prägnant und im Vergleich zu anderen Geschichten des Islam ebenso neuartig dargestellt. Vor allem fällt dies im Abschnitt „Neue Horizonte“ auf, in dem sie Europas koloniale Expansionen, die Entfaltung des Islam in Südostasien und im subsaharischen Afrika überschaut. Kurzum, es wäre interessant, wenn auch nicht unbedingt für das vorliegende Werk relevant, einmal mehr über Krämers Konzept der Beziehungsgeschichte zu lesen, zumal sie darauf auch in ihrem eingangs schon erwähnten Band über Palästina verwiesen hat. Wohltuend fällt auf, dass sie die europäische Kolonialexpansion nüchtern umreißt. In diesem Kapitel wie anderenorts verweist sie auf die Vorreiterrolle der so genannten Handelsgesellschaften wie der East Indian Company, mit denen im 16. Jahrhundert viel begann. Erst 200 Jahre später dominierte das Streben nach Siedlungskolonien, und 1900 haben staatliche Bürokratien diesen Teil der auswärtigen Beziehungen gänzlich in ihre Hand genommen, wobei es gravierende Unterschiede etwa zwischen den britischen und französischen Ansprüchen und Realitäten gab. Auch hier entwickelten die Preußen ihre Eigenheiten bei der Gründung der Brandenburgisch-Afrikanischen Kompanie, die seit 1682 in knapp einem halb- © H-Net, Clio-online, and the author, all rights reserved. en Jahrhundert ähnliche Entwicklungsstadien durchlief und die islamische Geschichte tangierte. Solche Ereignisse wären erwähnenswert und runden das Bild ab. Üblicherweise werden unter dem Schlagwort „Beziehungsgeschichte“ gleichwohl die Beziehungen zwischen dem Islam und dem Westen abgehandelt. Zum Beispiel könnte man unter diesem Aspekt in einer Geschichte des Islam von einer deutschen Autorin erwarten, auch den in der Tat nicht gering zu wertenden Einfluss deutscher Philosophen, Literaten, Romantiker und Politiker auf Intellektuelle und Regierende im Osmanischen Reich und die sich daraus ergebenden Konsequenzen zu berühren. So sehr es zu begrüßen ist, dass Gudrun Krämer vor allem der inneren Entwicklung nachgeht und aus sich heraus erklärt, so wenig haben sie sich im Vakuum abgespielt. Vielmehr gab es eine intensive Interaktion erst mit den deutschen, europäischen und asiatischen Einflüssen, sodann mit dem amerikanischen Einwirken. Daran haben nach dem Millenium nicht wenige Autoren erinnert, darunter Ian Buruma und Avishai Margalit in ihrem Buch zum Okzidentalismus, sowie Robert Irwin in seinem Band „For the Lust of Knowing. The Orientalists and Their Enemies“. Reformer an der Macht wie Ägyptens Muhammad Ali haben die von Krämer sehr gut skizzierten Veränderungen nicht aus der Luft gegriffen, sondern sie standen auch unter einem deutschem Einfluss. Heinrich Fürst von Pückler-Muskau beispielsweise „sass bei Muhammad Ali auf der Ottommane“, wie er es formulierte, und beriet den ägyptischen Herrscher in verschiedenen Fragen der Modernisierung am Nil. Die preußische (durch die belgische) Verfassung von 1850 hat bei den Osmanen als ein Muster gedient wie auch der ideelle Einfluss aus Österreich-Ungarn nicht gering war, ausgeübt unter anderem von Prinz Metternich. Ohne dies kann man die zunehmende islamistische Gegenreaktion auf die reformerische und hernach zunehmend radikal-nationalistische Verwestlichung kaum erklären. Gleichwohl sollten konzertierte deutschosmanische und später deutsch-arabische Jihad-Aktionen wenigstens erwähnt werden, die vor, in und nach den beiden Weltkriegen den Islamismus stark beflügelt haben. Zwar erwähnt Krämer zum Beispiel den Massenmord an den Armeniern, der, wie sie schreibt, „einem Genozid gleichkam“. Jedoch erhellt sie nicht, dass die durch Kaiser und Kanzler unterstützten Kreise um den Diplomaten Max von Oppenheim durch ihre Jihad-Propaganda Öl in muslimisch-christliche Konflikte im Reich der Osmanen gegossen haben. Dieser Jihad im „islamischen Hinterland unserer Feinde“ sollte gegen die britischen, französischen und russischen Kolonialherren entfacht werden. Aber sowohl Oppenheim als auch Kriegsminister Enver Pascha war klar, dass er im türkischen Herzland beginnen und Rechtfertigungen für Übergriffe gegen Armenier liefern würde. Dieses deutsche Wirken hinter den Kulissen nicht zu erwähnen, übergeht den Forschungsstand. Trefflich hat Krämer die Entwicklung an den mittelöstlichen Flügeln zusammengefasst, sowohl im Iran als auch in der späteren Türkei. Was sie über Mustafa Kemal sagt, enthält eine einprägsame Formulierung (S. 288): „Atatürks brachiale Säkularisierung belastete die Idee des Säkularismus in der gesamten islamischen Welt.” Dennoch nahmen sich zunächst einige Führer den Weg der Türkischen Republik zum Vorbild, vom nachmaligen Shah Reza in Iran bis zu Ägyptens Präsident Jamal Abd an-Nasir. In ihrer unmässigen Radikalität haben sie auf lange Sicht genau das Gegenteil von dem befördert, was sie wollten: säkulare Reformen, die essentiell stets auf die Verwestlichung hinausliefen, im Kalten Krieg nach Washingtoner oder auf die Veröstlichung nach Moskauer Modellen. Die islamische Revolution Ayatollah Khomainis, der Islamismus Usama Bin Ladins und die Versuche, die Türkei zu entsäkularisieren, sind Gegenbewegungen, die Rückkehr zu islamischen Ursprüngen. Gudrun Krämer nennt es „islamische Wende“, wobei fraglich ist, ob Bin Ladin „jede reformerische Graswurzelarbeit ablehnt“ und den bewaffneten Jihad als Alleinmittel favorisiert. Nicht wenige leben von seiner Basisarbeit weltweit. In Gudrun Krämers Literaturliste fehlen so maßgebende Autoren wie Philipp K. Hitti, Michael Cook und Bernard Lewis, wobei von letzterem ein Dutzend Werke in deutscher Sprache vorliegen, die genau jene Problema- © H-Net, Clio-online, and the author, all rights reserved. G. Krämer: Geschichte des Islam tisierungen von Wechselbeziehungen in der Geschichte des Islam mit anderen Regionen behandeln, die der Leser hier nun zuweilen vermissen mag. Manches sind Ermessensfragen. Andere Punkte kann sie in Nachauflagen verbessern. Gudrun Krämer hat eine bündige Gesamtschau zur Geschichte des Islam vorgelegt, die einen Meilenstein auf dem deutschsprachigen Markt setzt. Steht nur noch zu hoffen, dass ihr Meisterwerk auch ins Englische übertragen - und bald publiziert wird. Wolfgang G. Schwanitz über Krämer, Gudrun: Geschichte des Islam. München 2005, in: H-Soz-u-Kult 21.10.2006. © H-Net, Clio-online, and the author, all rights reserved.