6 Mechanische Schwingungen und Wellen 6.1 Schwingungen 6.1.1 Entstehung von Schwingungen und ihre Eigenschaften VERSUCH 1 Ein Gewichtsstück ist an einer Schraubenfeder aufgehängt. Zieht man es aus der Ruhelage eine Strecke nach unten und gibt es dort frei, so führt es eine vertikale Schwingung aus. VERSUCH 2 Einen ähnlichen Vorgang beobachtet man an einer Stahlkugel, die an einem Faden als Pendel aufgehängt ist. Bewegt man sie aus der Ruhelage nach der Seite und lässt sie los, so führt sie eine seitliche Pendelschwingung aus. Bei beiden Experimenten klingt die Schwingung mit der Zeit ab. Diese Dämpfung wird zunächst vernachlässigt. FF1 Fr 0 =0 FF0 Ruhelage s Fr FG F s2 FG FF2 Fr2 FG Abb. 1 Auch bei der Stahlkugel zeigt eine Kräftezerlegung der Gewichtskraft, dass die Komponente F mit der Spannkraft des Fadens im Gleichgewicht steht und die Komponente Fr immer zur Ruhelage hin gerichtet ist. Auch die Stahlkugel steht also unter dem Einfluss einer rücktreibenden Kraft. Die rücktreibende Kraft beschleunigt den Körper zur Ruhelage, sodass er dort seine größte Geschwindigkeit erreicht. Infolge seiner Trägheit kann er dort nicht zum Stillstand kommen und bewegt sich über die Ruhelage hinaus. Weil er sich dann entgegen der rücktreibenden Kraft bewegt, nimmt seine Geschwindigkeit ab, bis er seine Bewegungsrichtung umkehrt und sich wieder in Richtung Ruhelage bewegt. Diese Vorgänge wiederholen sich periodisch und es entsteht eine Schwingung. % Ergebnis FG s1 Fr1 die resultierende Kraft Fr 2 = FF2 – FG nach oben. Oberhalb der Ruhelage ist dagegen die Federkraft kleiner als in der Ruhelage und wir haben eine nach unten gerichtete, negative Resultierende Fr1 = FF1 – FG < 0. Das Gewichtsstück m steht also in beiden Fällen unter dem Einfluss einer zur Ruhelage hin gerichteten rücktreibenden Kraft Fr . Rücktreibende Kraft bei einer Feder- und Pendelbewegung % Auswertung Beide Versuche lassen eine Voraussetzung erkennen, die für das Entstehen einer Schwingung erfüllt sein muss. Beim ersten Versuch (Abb. 1) ist in der Ruhelage die Feder so weit gedehnt, dass die nach oben ziehende Federkraft FF und die Gewichtskraft FG im Gleichgewicht stehen FF0 – FG = 0. Beim Dehnen der Feder wächst die Federkraft und es entsteht Jeder träge Körper, der unter Einfluss einer rücktreibenden Kraft steht, kann zu Schwingungen angeregt werden. Der Bewegungsablauf ist davon abhängig, nach welcher Gesetzmäßigkeit sich die rücktreibende Kraft mit der Entfernung von der Ruhelage ändert. Befolgt sie, wie z. B. bei einer Feder, das Hooke’sche Gesetz (Abschnitt 1.5.11), so ist die Kraft Fr proportional zur Elongation oder Auslenkung s. Da die rücktreibende Kraft Fr der Auslenkung s stets entgegengesetzt gerichtet ist, gilt das Kraftgesetz: Fr = –D · s Die hier eingeführte Größe D entspricht bei einer Feder der schon in Abschnitt 1.5.11 eingeführten Richtgröße; bei Schwingungen wird diese Bezeichnung allgemein für den Quotienten D = –Fr /s verwendet. Eine bei diesem Kraftgesetz entstehende Schwingung nennt man eine harmonische Schwingung. 185 6.1.1 Entstehung von Schwingungen und ihre Eigenschaften Die Dauer einer vollen Auf- und Abwärtsbewegung bzw. einer vollständigen Hin- und Herbewegung ist die Schwingungs- oder Periodendauer. Sie ändert sich mit der Masse des schwingenden Gewichtsstückes und beim ersten Versuch auch mit der Richtgröße der Feder. Die folgenden Versuche untersuchen diesen Zusammenhang etwas genauer. VERSUCH 3 VERSUCH 4 An eine Feder mit der Richtgröße D = 0,08 N/cm = 8 N/m werden nacheinander verschiedene Gewichtsstücke mit der Masse m angehängt. Zur Erhöhung der Genauigkeit messen wir mit einer Stoppuhr die Zeitdauer von zehn Schwingungen und berechnen daraus die Schwingungsdauer. Bei der gleichen Versuchsanordnung lassen wir jetzt das angehängte Gewichtsstück mit der Masse m = 0,2 kg unverändert und benützen Federn mit unterschiedlichen Richtgrößen D. Auch bei den hier entstehenden Schwingungen messen wir die Periodendauer. % Auswertung Aus der nachstehenden Wertetabelle erkennt man das Anwachsen der Schwingungsdauer T bei zunehmender Masse m. Da T sich jedoch erst verdoppelt, wenn eine vierfache Masse angehängt wird, bilden wir nicht den Quotienten T/m, sondern T/ ;l ml und tragen den erhaltenen Zahlenwert in die fünfte Spalte ein. (Sechste Spalte siehe unten unter Zusammenfassung.) % Anwendung Bei diesem Versuch nimmt die Schwingungsdauer mit zunehmender Richtgröße ab und zwar halbiert sich die Schwingungsdauer bei einer viermal größeren Richtgröße. Deshalb tragen wir in die fünfte Spalte T · ;l Dl ein. (Sechste Spalte siehe unter Zusammenfassung.) Wertetabelle m D Wertetabelle 10 T T 0,1 kg 8 N/m 7,1 s 0,71 s 0,2 kg 8 N/m 9,9 s 0,99 s 0,4 kg 8 N/m 14,1 s 1,41 s ; ; D T/ ;lml T llll m 2,25 2,21 2,23 6,35 6,26 6,31 % Ergebnis Die Schwingungsdauer ist proportional zu ;l ml, also T d ;l ml m llll D 10 T T 0,2 kg 4 N/m 14,2 s 1,42 s 0,2 kg 8 N/m 9,9 s 0,99 s 0,2 kg 16 N/m 7,1 s 0,71 s ; D T/ ;lDl T llll m 2,84 2,80 2,84 6,35 6,26 6,35 % Ergebnis Die Schwingungsdauer ist umgekehrt proportional zu ;l Dl, also T d 1/ ;l Dl VERSUCHE 3 UND 4 % Zusammenfassung m ml und T d 1/ ;l Dl lassen sich zusammenfassen: T d llll Die beiden Ergebnisse T d ;l ;D Zur Prüfung tragen wir bei beiden Versuchen in einer sechsten Spalte den Wert des Ausdrucks ; ; m = T · llll D ein. T/ llll D m T; I ; ; llll lllllll lllllllll D N/m kg s–2 Dieser Ausdruck hat die Einheit: T =s =s =1; m kg kg % Ergebnis ; llll T D ist also eine reine Zahl. m ;mllllD hat bei allen Teilversuchen nahezu den Wert 6,3. llll llll D Es ergibt sich demnach: T ; ≈ 6,3 T≈ 6,3 ; m m D Der Ausdruck T · 186 Entstehung von Schwingungen und ihre Eigenschaften 6.1.1 Den genauen Wert des bei der Wurzel stehenden Faktors findet man theoretisch aus dem Vergleich einer Schwingung mit einer gleichförmigen Kreisbewegung: Man erhält dann: Fs = –m · r · w 2 · s /r = –m · w 2 · s. Sowohl Fr wie auch Fs sind also proportional zur Entfernung s von der Ruhelage, wobei der Richtgröße D das konstante Produkt m · w 2 entspricht: ; lll D D = m · w 2 oder w = m VERSUCH 5 rotierende Scheibe mit Stift und Motorantrieb Bildschirm Projektionslampe Schattenbild einige Meter Da bei der Gültigkeit des gleichen Kraftgesetzes auch die gleiche Bewegung entstehen muss, ergibt sich hieraus, dass eine harmonische Schwingung als Projektion einer gleichförmigen Kreisbewegung betrachtet werden kann. s Schwingung und Kreisbewegung Ein Experimentiermotor trägt eine Scheibe, an der ein Stift befestigt ist (Abb. 2). Daneben ist eine Masse an einer Schraubenfeder aufgehängt. Man reguliert nun die Drehfrequenz des Motors so, dass die Umlaufzeit genau der Periodendauer der Masse entspricht, und regt diese so zu Schwingungen an, dass bei der Projektion auf den Bildschirm der umlaufende Stift und die schwingende Masse sich um die gleiche Strecke auf und ab bewegen. Dann stimmen die beiden Bewegungen nicht nur in der Periode und ihrer größten Auslenkung überein, sondern sie bewegen sich während des ganzen Ablaufs auf dem Bildschirm exakt nebeneinander. % Ergebnis Eine harmonische Schwingung kann man als Projektion einer gleichförmigen Kreisbewegung auffassen. Dieses Ergebnis folgt auch aus dem Vergleich der Kraftgesetze von Schwingung und Drehbewegung. Für die schwingende Masse gilt das Hooke’sche Gesetz Fr = –D · s. Die gleichförmige Kreisbewegung ist eine Folge der konstanten Zentripetalkraft Fp = m · r · w 2 (Abschnitt 1.9.3). Für die Projektion der Kreisbewegung auf die s-Achse der Abb. 3 benötigt man auch nur die s-Komponente der Zentripetalkraft. Man erhält sie durch Multiplikation mit dem sin f = s /r. Da die Kraftkomponente und s stets entgegengerichtet sind, ist ein negatives Vorzeichen zu berücksichtigen. f Fs f= w·t Projektionsrichtung Abb. 3 s=r ˆ Abb. 2 Fp v s v0 Schwingung als Projektion einer gleichförmigen Kreisbewegung Die Projektion der Kreisbewegung erhält man nach Abb. 3, indem man den Radius r mit dem Sinus des mit der Winkelgeschwindigkeit w wachsenden Winkels f = w · t multipliziert: s = r · sin f = r · sin (w · t). Diese Gleichung gilt auch für eine Schwingung, bei der zum Zeitpunkt t = 0 die Auslenkung s = 0 ist. Beim Federpendel wird eine solche Schwingung dadurch angeregt, dass man der Masse in der Ruhelage einen Stoß nach oben versetzt. Der Kreisradius r stellt für die Schwingung den größten Wert der Auslenkung s dar, den man als Amplitude oder Schwingungsweite ŝ (lies sDach) bezeichnet. Der Winkel f = w · t wächst bei der Kreisbewegung gleichmäßig mit der Zeit; er wird Phasenwinkel genannt. Damit erhält man die Gleichung für die Auslenkung der Schwingung mit den Anfangsbedingungen s = 0 und v > 0: Weg-Zeit-Gesetz einer harmonischen Schwingung s = ŝ · sin (w · t ) Die Umlaufgeschwindigkeit bei der Kreisbewegung hat den konstanten Wert v = r · w (Abschnitt 1.9.3). Da sie tangential gerichtet ist, erhält man ihre Projektion auf die x-Achse durch Multiplika- 187 6.1.1 Entstehung von Schwingungen und ihre Eigenschaften tion mit cos f = cos (w · t ); ersetzt man auch noch r durch s, so erhält man: Geschwindigkeits-Zeit-Gesetz einer harmonischen Schwingung v = ŝ · w · cos (w · t ) = v̂ cos (w · t ) ŝ x s = sˆ ·sin w t T 2 3T 4 Zeit t T Geschwindigkeit v ŝw v = sˆ w ·cos w t T 2 T 4 Abb. 4 3T 4 T Zeit t Ablauf einer harmonischen Schwingung Abb. 4 zeigt die Zeitabhängigkeit der Elongation und der Geschwindigkeit in grafischer Darstellung. Man erkennt den periodischen Wechsel der beiden Größen nach einer Sinus- bzw. Cosinusfunktion und die Tatsache, dass die Geschwindigkeit beim Durchgang durch die Ruhelage am größten ist. Die Dauer einer vollen Hin- und Herbewegung ist die Schwingungs- oder Periodendauer T. Sie entspricht der Zeit für einen Umlauf bei der Kreisbewegung. Ihr reziproker Wert ist die Frequenz f. f= 1 T 1 [ f ] = = Hz s Für die SI-Einheit der Frequenz [ f ] = s –1 wird bei Schwingungen meist die Bezeichnung Hertz (Hz) verwendet: 1 Hz = 1 s–1. Der Zahlenwert von f gibt an, wie oft T in 1 s enthalten ist. f ist also die Anzahl der Schwingungen in 1 s und entspricht der Drehfrequenz n bei der Kreisbewegung (Abschnitt 1.4.3). Weil bei der Kreisbewegung der Umfang 2 r · p mit der Geschwindigkeit r · w in der Zeit T zurückgelegt wird, erhält man noch folgende Beziehungen: T = 2rr· ·wp = 2wp f= 1 = w T 2p 188 Schwingungsdauer einer harmonischen Schwingung T = 2 p m ;llll D Die Schwingungsdauer einer harmonischen Schwingung ist also proportional zur Wurzel aus der Masse und umgekehrt proportional zur Wurzel aus der Richtgröße; sie ist dagegen unabhängig von der Amplitude der Schwingungen. Elongation T 4 Setzt man w = 2 p /T in die in Versuch 5 abgeleitete Beziehung D = m · w 2 ein, so erhält man: Während der Schwingung wandelt sich mit dem periodischen Wechsel des Ortes und der Geschwindigkeit auch kinetische Energie in potentielle um und umgekehrt. Beim Durchgang durch die Ruhelage hat die potentielle Energie ihren geringsten und die kinetische ihren größten Wert. Mit steigender Elongation muss die rücktreibende Kraft überwunden werden; folglich nimmt die potentielle Energie zu. An den Umkehrpunkten hat sie ihr Maximum, die kinetische Energie ist Null. Mit der in Abschnitt 1.7.2 angegebenen Formel Wpot = 1/2 D s 2 sowie s = ŝ · sin (w · t ) und v = v̂ cos (w · t ) gilt allgemein: Wpot = 1 D · s 2 = 1 D · ŝ 2 sin2 (w · t ) 2 2 Wkin = 1 m · v2 = 1 m · ŝ 2 · w 2 · cos2 (w · t) = 2 2 1 = m v̂2 cos2 (w · t) 2 Für die Summe beider Energiearten erhält man unter Berücksichtigung von D = m · w 2: Wpot + Wkin = 1 D · ŝ 2 sin2 (w · t ) + 2 1 + m · ŝ 2 · w 2 · cos2 (w · t) = 2 1 = D · ŝ 2 [sin2 (w · t ) + cos2 (w · t)] = 2 1 1 = D · ŝ 2 = m · v̂ 2 2 2 Die Summe beider Energiearten ist also während der ganzen Schwingung konstant; es tritt nur eine gegenseitige Umwandlung auf. Dieses Ergebnis bestätigt auch hier die Gültigkeit des Satzes von der Erhaltung der Energie. Eine mechanische Schwingung stellt einen periodischen Wechsel zwischen potentieller und kinetischer Energie dar. Entstehung von Schwingungen und ihre Eigenschaften 6.1.1 Die gefundenen Formeln gelten für alle Schwingungen von elastischen Körpern, wenn m die schwingende Masse und D die Richtgröße, nämlich der konstante Quotient D = –Fr /s aus der rücktreibenden Kraft und der Elongation ist. Pendel 6.1.2 E Nennen Sie die Voraussetzungen und Eigenschaften einer harmonischen Schwingung. R Warum können alle elastischen Körper harmonische Schwingungen ausführen? BEISPIEL 6.1.2 Pendel Eine Schraubenfeder verlängert sich beim Anhängen der Masse 3,6 kg um 1 m. Die Masse befindet sich zunächst in der Ruhelage s = 0 und wird durch einen Stoß nach oben zu Längsschwingungen angeregt. Welche Periodendauer hat die Schwingung, zu der die Masse angeregt werden kann? Welche Elongation und welche Geschwindigkeit besitzt sie 0,1 s nach dem Durchgang durch die Ruhelage, wenn ihre Schwingung eine Amplitude ŝ = 40 cm besitzt? Die einfachste Form eines Pendels ist eine Stahlkugel an einem dünnen Faden. Sie ist nahezu die Verwirklichung eines mathematischen Pendels aus einem schweren Massepunkt an einem masselosen Faden. Die Abhängigkeit der Schwingungsdauer von der Masse, der Amplitude und der Länge des Pendels erkennt man aus Versuchen. VERSUCH 1 Die Richtgröße D ist die Federkonstante: 2 kg D = F = 3,6 kg · 9,81 m/s = 35,3 2 s 1m s ; ; 3,6 kg llll= 2 p lllllllllllllllll =2s T=2p m D 35,3 kg/s2 w= 2p T = 3,14 s–1 Phasenwinkel nach 0,1 s: f = w · t = 3,14 s–1 · 0,1 s = 0,314 = = 0,314 · 180° p = 18° s = ŝ · sin (w · t ) = 40 cm · sin 18° = 12,36 cm v = ŝ · w · cos (w · t) = = 40 cm · 3,14 s–1 · cos 18° = 119,5 cm/s AUFGABEN Q Die Masse m = 2 kg, die sich zwischen einer Druckfeder (D1 = 0,62 N /cm) und einer Zugfeder (D2 = 0,18 N/cm) befindet, wird in Schwingungen versetzt. Berechnen Sie die Periodendauer. W Welche Richtgröße hat eine Feder, wenn eine an ihr aufgehängte Masse m = 1,6 kg eine Schwingung mit der Schwingungsdauer 0,8 s ausführt? Wie groß ist die rücktreibende Kraft im Umkehrpunkt bei einer Amplitude von 5 cm? Abb. 1 Schwingungsdauer und Masse bei einem Fadenpendel Eine Stahl- und eine gleich große Aluminiumkugel werden an gleich langen Fäden als Pendel aufgehängt (Abb. 1). Lässt man beide Kugeln außerhalb der Ruhelage frei, so entsteht eine Schwingung. Dabei zeigt sich aber kein Unterschied in der Schwingungsdauer, obwohl beide Kugeln stark unterschiedliche Massen besitzen. % Ergebnis Die Schwingungsdauer eines mathematischen Pendels ist unabhängig von seiner Masse. 189 9.2.1 Radioaktivität 9.2 Kernphysik 9.2.1 Radioaktivität Im Jahre 1896 fand der französische Physiker Becquerel, dass von der Pechblende, einem uranhaltigen Mineral, ununterbrochen eine Strahlung ausgeht, ohne dass Energie zugeführt werden muss und ohne dass sich an dem Mineral eine Veränderung erkennen lässt. Zwei Jahre später entdeckte das Ehepaar Curie1 das Element Radium, das neben dem Uran in der Pechblende enthalten ist. Es sendet eine noch viel intensivere Strahlung aus als das Uran und war wegen seiner außerordentlich geringen Konzentration zunächst nicht bemerkt worden. Auch bei einigen wenigen anderen in der Natur vorkommenden Elementen tritt eine ähnliche Strahlung auf; sie erhielt den Namen Radioaktivität. VERSUCH 1 Elektroskop Zu Versuch 1 (Abb. 1): Ein Elektroskop wird durch Anlegen einer Spannung geladen. Das Blättchen spreizt sich weit vom Bügel ab und verbleibt in dieser Stellung, weil es sich in trockener Luft nicht entladen kann. Bringt man ein radioaktives Präparat in die Nähe, so fällt das Blättchen man kurzer Zeit herunter. % Ergebnis Von einem radioaktiven Präparat gehen Strahlen aus, welche die Luft leitend machen. Sie erzeugen in ihr bewegliche Ladungsträger, also Ionen und Elektronen. 332 Folie zum Zählgenerator + – Zentralelektrode Abb. 2 radioaktives Präparat Abb. 1 Um weitere Eigenschaften der radioaktiven Strahlung zu erkennen, ist ein Elektroskop zu wenig empfindlich. Ein besseres Nachweisgerät für diese Strahlen ist das Geiger-Müller-Zählrohr (Abb. 2). Mantelelektrode Geiger-Müller-Zählrohr Es besteht aus einem Metallzylinder, der auf der einen Seite durch eine dünne, gasdichte Folie abgeschlossen ist, die von radioaktiven Strahlen durchdrungen werden kann. Am anderen Ende befindet sich eine isolierende Platte, durch die eine zentrale Elektrode geführt ist. Zwischen Elektrode und Zylindermantel wird eine Spannung zwischen 400 V und 1500 V gelegt. Der Innenraum ist mit einem Füllgas mit einem Druck von etwa 400 mbar gefüllt. Erzeugt eindringende radioaktive Strahlung im Zylinder Ladungsträger, so werden diese in dem elektrischen Feld so stark beschleunigt, dass sie beim Zusammenstoß mit einem Molekül des Füllgases neue Ladungsträger erzeugen. Auch diese können bald weitere Ladungsträger erzeugen, sodass der Vorgang lawinenartig ansteigt. Die Ladungsträger machen das Füllgas leitend, sodass eine Entladung die Spannung zwischen den beiden Elektroden für kurze Zeit, meist weniger als 0,0001 s zusammenbrechen lässt. Die Entladung stellt einen Strom dar, der verstärkt und in einen Spannungsimpuls umgesetzt wird. Ein elektronischer Zähler registriert die Impulse und errechnet die Anzahl der Impulse pro Zeit, die Pulsrate. Mit einem Geiger-Müller-Zählrohr kann man daher alle radioaktiven Strahlen zählen, die in ihm mindestens ein Paar von Ladungsträgern erzeugt haben. 1 Pierre und Marie Curie entdeckten in Paris die Elemente Radium und Polonium. Marie Curie, 1867 bis 1934, geb. in Warschau. Radioaktivität 9.2.1 Mit einem solchen Zählrohr führen wir weitere Versuche aus: len geringfügig wie positiv geladene Teilchen, b-Strahlen stark wie negativ geladene Teilchen, g-Strahlen aber überhaupt nicht abgelenkt. VERSUCH 2 Wir bringen das Geiger-Müller-Zählrohr in die Nähe eines Poloniumpräparates. Es zählt in kurzer Zeit Tausende von radioaktiven Strahlen. Wird die Entfernung zwischen Zählrohr und Präparat auf einen Wert über 10 cm vergrößert, so hört das Zählen plötzlich fast ganz auf. Auch ein Blatt Papier, das zwischen Zählrohr und das Präparat gehalten wird, schirmt die Strahlung ab. Dann ersetzen wir das Polonium durch ein Präparat mit radioaktivem Thallium. Auch bei ihm kann man eine starke Strahlung feststellen. Sie nimmt mit zunehmender Entfernung zwischen Präparat und Zählrohr allmählich ab, hat aber eine größere Reichweite als die Strahlung von Polonium. Zur Abschirmung braucht man einen dicken Karton. Schließlich verwenden wir ein Cobalt-Präparat. Das Zählrohr zeigt eine geringere Anzahl von Ionisierungen, die mit zunehmender Entfernung noch weiter abnimmt. Erst bei dicken Platten z. B. aus Blei ist eine Schwächung feststellbar. % Ergebnis Von verschiedenen radioaktiven Präparaten gehen sehr verschiedene Strahlen aus. Man bezeichnet die des Poloniums als a-Strahlen, die des Thalliums als b-Strahlen und die des Cobalts als g-Strahlen. Schickt man die Strahlung eines gemischten Präparats durch eine Blende (Abb. 3) und danach in ein starkes Magnetfeld, so werden die a-Strah- Weitere Untersuchungen führten zu dem Ergebnis: Die radioaktive Strahlung enthält drei unterschiedliche Bestandteile. In einem elektrischen oder magnetischen Feld wird sie in Komponenten aufgespalten, die man als a-, b- und g-Strahlen bezeichnet. Die a-Strahlen bestehen aus zweifach positiv geladenen Heliumionen. In Luft besitzen sie bei jedem radioaktiven Element eine charakteristische Reichweite von einigen cm. Von festen Stoffen werden sie schon in sehr dünnen Schichten vollständig absorbiert. Die b-Strahlen sind Elektronen, die nahezu mit Lichtgeschwindigkeit ausgestrahlt werden. Zur Absorption sind Materialschichten von einigen mm Dicke erforderlich. Die g-Strahlen sind eine elektromagnetische Strahlung, ähnlich wie die Röntgenstrahlen. Im elektrischen oder magnetischen Feld werden sie nicht abgelenkt. Ihr Durchdringungsvermögen ist größer als das der Röntgenstrahlen. Erst dicke Schichten, z. B. mehrere cm Blei, können sie merklich schwächen. Die Atomkerne, von denen die Strahlen stammen, werden durch die Strahlungsemission verändert. So entsteht aus dem Uran nach einigen Zwischenstufen das Radium und aus ihm schließlich stabiles Blei. Dabei zerfällt in gleichen Zeiten stets der gleiche Bruchteil der Ausgangsmenge, die Radioaktivität nimmt also nicht linear, sondern exponentiell mit der Zeit ab (Abb. 4). m g radioaktives Präparat Abb. 3 a-, b- und g-Strahlen in einem Magnetfeld th Abb. 4 th 8 m0 m0 Bleiblende 4 b 2 m0 m0 a th t Zerfallskurve eines radioaktiven Stoffes 333