Intellektuelle Redlichkeit. Eine Annäherung

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WORKING PAPERS
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theories & commitments
Intellektuelle Redlichkeit
Eine Annäherung
Thomas Schiendorfer
University of Salzburg/Austria
Poverty Research Group
FWF (AUSTRIAN SCIENCE FUND):
RESEARCH PROJECT Y 164
Jänner 2005
“Theories and Commitments” is the Series of
Working Papers
of an interdisciplinary research group.
Editor: Clemens Sedmak
"Theories and Commitments" is the Series of Working Papers of an interdisciplinary research group. We are focussing on
a) analyzing the foundations of theories and the construction of theories in the
humanities and the social sciences
b)exploring the connection between theories and (both epistemic and ethical)
commitments
c) tackling questions of interdisciplinarity and comparative epistemology
These Working Papers are intended to be points of reference for discussion:
"Administrative and bureaucratic practice has disseminated the terms ‚working
papers' or, notably in American idiom, ‚position papers'. These terms could be
useful in defining a certain stage and style of intellectual argument. A 'working' or a 'position' paper puts forward a point of view, an analysis, a proposal,
in a form which may be comprehensive and assertive. It seeks to clarify the
'state of the art' at some crucial point of difficulty or at a juncture from which
alternative directions can be mapped. But its comprehension and assertiveness
are explicitly provisional. They aim at an interim status. They solicit correction, modification, and that collaborative disagreement on which the hopes of
rational discourse depend. A 'working paper', a 'position paper', is one which
intends to elicit from those to whom it is addressed a deepening rejoinder and
continuation" (George Steiner)
In this sense, we would be grateful for any comments and feedback.
Contact:
Prof. Clemens Sedmak
Department of Philosophy
Franziskanergasse 1, A – 5020 Salzburg, Austria/Europe
[email protected]
Please visit our homepage: www.sbg.ac.at/phi/projects/theorien.htm
ISSN 1728-0494
Intellektuelle Redlichkeit angesichts
beschädigten Lebens
5
Clemens Sedmak
Intellektuelle Redlichkeit ................................................... 11
Eine Annäherung
Thomas Schiendorfer
Zielsetzung .............................................................................................................
1. Der Intellektuelle ..........................................................................................
1.1 Problematik einer Begriffsbestimmung ...................................................
1.2 Einige Differenzierungen ............................................................................
1.3 Der gesellschaftliche Rahmen des Intellektuellen ................................
1.4 Zuspitzung – Polarisierung .........................................................................
1.5 Möglicher gemeinsamer Nenner ...............................................................
1.6 Ausführungen zur Definition ....................................................................
2. Paradigmatische Intellektuelle der Gegenwart ...............................
2.1 Sir Karl R. Popper .........................................................................................
2.2 Vaclav Havel ...................................................................................................
2.3 Carl Friedrich von Weizsäcker ..................................................................
2.4 Evaluierung .....................................................................................................
3. Intellektuelle Redlichkeit ..........................................................................
3.1 Akademische Redlichkeit ............................................................................
3.2 Hinweise auf intellektuelle Redlichkeit ....................................................
3.2.1 Humanistische Einstellung ......................................................................
3.2.2 Kritische Grundposition ..........................................................................
3.2.3 Sprache ..........................................................................................................
3.2.4 Politisches Interesse ..................................................................................
3.2.5 Selbstreflexion .............................................................................................
3.2.6 Voluntativer Akt und optimistische Grundhaltung ..........................
3.2.7 Intellektuelle Redlichkeit als supererogatorisches Element ............
11
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76
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3.3 Fazit ................................................................................................................... 83
4. Resümee ........................................................................................................... 84
5. Literaturverzeichnis .................................................................................... 85
Intellektuelle Redlichkeit angesichts beschädigten
Lebens
Clemens Sedmak
Was bedeutet intellektuelle Redlichkeit angesichts einer moralisch defekten Umwelt und der Realität beschädigten Lebens? Um ein aktuelles Beispiel vom Januar 2005 zu nehmen: Was bedeutet intellektuelle Redlichkeit
angesichts der Flutkatastrophe in Südasien?
Zunächst wird man hier an die Idee eines „Überlegungsgleichgewichts“ denken und an das Bemühen, wohlerwogene Urteile zu fällen. Ein
„reflective equilibrium“ bezieht sich auf die Abstimmung von Prinzipien
und Einzelurteilen angesichts einer partikulären Situation, wohlerwogene
Urteile zielen darauf ab, sämtliche relevanten Aspekte und alternativen
Perspektiven zu berücksichtigen und relevante Fragen zu stellen. Um
wohlerwogene Urteile fällen zu können, bedarf es einerseits intellektueller
Fähig keiten. So gesehen ist intellektuelle Redlichkeit durchaus auch eine
Frage der „skills and capabilities“, also der Fähigkeiten und Fertigkeiten,
näherhin der Fähigkeit, relevante Fragen stellen, relevante Aspekte identifizieren und alternative Perspektiven berücksichtigen zu können. Andererseits schließt das Bemühen um wohlerwogene Urteile auch die Bereitschaft zur Wahrheitssuche, zum Blick auf den anderen und die je andere
Perspektive, zum Eingeständnis des Primats der Wahrheit vor etwaigen
Eigeninteressen ein. Wohlerwogene Urteile entstehen aufgrund bestimmter Handlungen und fallen damit auch in eine moralisch relevante Sphäre,
weil Handlungen gesetzt und unterlassen werden können und dies gerechtfertigt werden kann.
Wohlerwogene Urteile in Bezug auf die Flutkatastrophe sind sicherlich ein hohes Gut. Urteile, die Hintergründe und Ursachen, Kurzzeitfolgen und Langzeitkonsequenzen, Beteiligte und zugewiesene Rollen, Handlungsoptionen und Fragen der Prioritätensetzung, Mittel und Ressourcen
berücksichtigen, sind Voraussetzung für einen einigermaßen gedeihlichen
Umgang mit der Katastrophe. Wohlerwogene Urteile schützen vor der
Macht der Bilder, weil eine bestimmte Distanz zu dem zu beurteilenden
Geschehen, dem Iudicandum, gewahrt wird und das Iudicandum in einen
größeren Kontext eingebettet wird. Wohlerwogene Urteile schützen vor
der Macht von Betroffenheiten und schaffen es, um mit Seneca zu reden,
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Working Papers Theories & Commitments, Nr. 10, Jänner 2005
den Schritt von „misericordia“ (Mitleid als von Gefühlsregungen bestimmtes Phänomen) zu „clementia“ (Milde als Form vernunftgemäßen
und besonnenen Urteilens) zu tun. Wohlerwogene Urteile schützen vor
der Macht der Masse und Massenmedien und auch vor der Macht einer
„politischen Korrektheit“, weil die mit der Erarbeitung wohlerwogener
Urteile verbundene Verpflichtung auf die Wahrheit nicht von Opportunitätsüberlegungen gegängelt werden will. Wohlerwogene Urteile schützen
vor der Macht von Eigeninteressen und Effekthascherei, weil sie auch
Selbstdistanz und Metareflexion einschließen. Schließlich birgt jede Reaktion auf eine Katastrophe insofern die Gefahr einer Überreaktion in sich,
als (i) sämtliche Lebensbereiche unter dem Aspekt der Katastrophe beurteilt werden, was eine totale Prioritätenverschiebung mit sich bringt, die
nur kurzfristig durchzuhalten ist, (ii) die Konzentration von Hilfe und
Energie in einem bestimmten Bereich Energie aus anderen Bereichen abzieht und dort sogar für Entpflichtungen sorgen kann, (iii) eine Kluft zwischen momentaner Betroffenheit und aktuellen Hilfszusagen und tatsächlich langfristig auch erbrachter Hilfe entstehen kann, (iv) der Eindruck eines Operierens auf einem „ad-hoc“-Niveau (von einer Katastrophe zur
nächsten getrieben) nicht geleugnet werden kann. Kein Zweifel: Wohlerwogene Urteile angesichts der Flutkatastrophe sind notwendig und, wenn
man so sagen kann, auch heilsam. Sie drücken die beiden entscheidenden
Aspekte aus, durch die Intellektuelle in der Literatur charakterisiert werden: Verpflichtung auf die Wahrheit und Distanz zu etablierten Urteilen
und etablierten Mechanismen der Urteilsbildung.
Die Flutkatastrophe mit ihren 200.000 Toten und dramatischen
Einzelschicksalen, der Zerstörung weiter Landstriche, der Hilfswelle nach
der Flutwelle mit allen logistischen und ethischen Fragen – die Flutkatastrophe erfordert wohlerwogene Urteile. Wohlerwogene Urteile laden hier
zunächst zur Langsamkeit ein. Hier scheint ein Paradox zur raschen Hilfe
und den Erfordernissen der Dramatik der Situation vorzuliegen. Wir stoßen hier auf eine Variante der Logodizee: Wie Vernunft und Vernunftgebrauch rechtfertigen angesichts von schreienden Ungerechtigkeiten und
unbestreitbarem Handlungsbedarf? Intellektuelles Arbeiten zeichnet sich
u.a. durch eine gewisse Entlastung von Handlungszwang und Entscheidungsdruck aus. Gadamer beschreibt die Philologie als die Kunst des langsamen Lesens und mahnt damit ebenso die Langsamkeit ein wie Ludwig
Wittgenstein, der das „Lass dir Zeit!“ zum Gruß der Philosophen erkoren
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hat. Dass mit der Flutkatastrophe nicht nur langsames Fragen, sondern
auch rasches Handeln verbunden ist, lässt Reflexion zu einem Luxus werden. Dennoch werfen auch akute Katastrophen langfristige und tiefer liegende Fragen auf, die der Reflexion bedürfen. Ein Eingeständnis dieser
Kluft zwischen dem Schreien der Welt und dem Schweigen des Menschen
mag Teil der intellektuellen Redlichkeit sein, die wesentlich mit der Einsicht in die eigenen Grenzen zu tun hat. Ein wohlerwogenes Urteil weiß
um den Geltungsanspruch, den es berechtigterweise erheben darf.
Und dennoch scheint die Fähigkeit, wohlerwogene Urteile zu treffen,
angesichts der Flutkatastrophe zu kurz zu greifen. Haben wir, wenn wir
Urteile treffen, wie wohlerwogen immer sie sein mögen, den Anforderungen intellektueller Redlichkeit Genüge getan? Würden wir jemanden, der
besonnen Empfehlungen darüber abgibt, was zu tun sei und wie zu handeln wäre, intellektuell redlich nennen? Man kann sich des Eindrucks
schwer erwehren, dass intellektuelle Redlichkeit angesichts der Flutkatastrophe nicht allein im urteilenden Reden bestehen kann. Das Bild des
Nero, der auf das brennende Rom blickt, hat etwas Anstößiges an sich,
selbst wenn Nero in diesem Bild nicht dichten und musizieren würde. Die
Intellektuellen, die die Bilder der weggerissenen Häuser und Straßen, der
Trümmer und Ruinen, der Leichen und Verletzten, der Bergungstrupps
und Geberkonferenzen deuten und kommentieren, stehen unter dem Verdacht einer gewissen Unglaubwürdigkeit. Doch ist dies nicht zu viel verlangt? Intellektuelle sind Menschen des Wortes. George Steiner hat sie dadurch charakterisiert, dass sie einen Stift in der Hand halten, wenn sie ein
Buch lesen. Sie arbeiten mit dem Wort und lassen Wörter arbeiten. Intellektualität hängt wesentlich mit der Kunst des Lesens zusammen, ob es
sich nun um Texte oder Geschehnisse handelt, die entziffert und gedeutet,
gelesen und verstanden, interpretiert und eingeordnet, verglichen und vermittelt werden wollen. Hier könnte eine Unterscheidung weiterhelfen, die
Unterscheidung zwischen „Bedeutung“ und „Rolle“ von Wörtern,
zwischen „meaning“ und „force“, zwischen semantischem Wert und pragmatischem Wert. Wörter haben nicht nur eine Bedeutung, sondern auch
eine Rolle in einem bestimmten Kontext oder auch: ein Gewicht. Dieses
Gewicht hängt von der Verankerung von Wörtern in einem Kontext ab,
der aus sprachlichen wie außersprachlichen Elementen konstituiert ist.
Das Gewicht von sprachlichem Handeln hängt mit Konsistenzanforderungen zusammen – Konsistenz in Bezug auf die sprachlichen Äußerungen
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und Konsistenz in Bezug auf die Verbindung zwischen sprachlichem Handeln und außersprachlichem Handeln. Hier stoßen wir auf die Kategorie
der Glaubwürdigkeit: Sprachliches Handeln ist glaubwürdig, wenn es im
Lebenszusammenhang des Sprechers oder der Sprecherin ratifiziert wird.
Intellektuelle Redlichkeit hängt, so scheint es, wesentlich mit diesen Konsistenzforderungen zwischen Sprechen und Tun zusammen. Wohlerwogene
Urteile sind dann glaubwürdig, wenn sie auch das eigene Handeln anleiten,
wenn sie die Handlungsfähigkeit erhalten und Handlungsorientierung
geben. Intellektuelle Redlichkeit tangiert also nicht nur die Wohlerwogenheit, sondern auch die Glaubwürdigkeit des Urteils und damit auch jenen
Punkt, an dem die Schwelle vom Reden zum Tun überschritten wird.
Diese Schwelle rückt gerade angesichts von Katastrophen, angesichts
derer der Luxus der Indifferenz kaum begründbar scheint, ins Blickfeld.
Intellektuelle Redlichkeit ist ein Begriff, der die Chancen und das potentielle Gewicht intellektuellen Arbeitens unterstreicht. Wir wollen in diesem Zusammenhang aber auch die „Fallen“ nicht übersehen, in die Intellektuelle geraten können. Ich nenne drei solcher Fallen: Erstens stoßen
wir auf die Falle des Sophismus: Intellektuelle verstehen es, Grauzonen zu
schaffen, damit die Unterschiede zwischen „recht“ und „unrecht“ durch
Erzeugung von Komplexität zu verwischen, Handlungsunsicherheit zu erzeugen und letztlich jegliche Position zu rechtfertigen. Intellektuelle können beispielsweise Nothilfe und Aufbauhilfe ebenso argumentativ stützen
wie das Unterlassen von Nothilfe und das Unterlassen von Aufbauhilfe.
Intellektuelle können Spenden argumentieren und das Unterlassen von
Spenden begründen etc. Zweitens sind wir mit der Falle der Distanz konfrontiert. Es ist ein Charakteristikum für Intellektuelle, dass sie Distanz zu
etablierten Urteilsmustern und aktuellen Geschehnissen wahren und die
Ereignisse, wenn schon nicht „sub specie aeternitatis“, so doch unter einem Blickwinkel der Kontextualisierung und Distanzierung von einer Metaebene aus betrachten. Über die Flutkatastrophe in Ruhe nachdenken
können diejenigen, die nicht dramatisch in Mitleidenschaft gezogen wurden. Drittens haben wir die Falle des Zynismus zur Kenntnis zu nehmen.
Zynismus ist eine Einstellung, die von der ultimativen Fruchtlosig keit
menschlichen Lebens und Handelns überzeugt ist. Gerade weil Intellektuelle Geschehnisse in einen größeren Horizont einbetten können, ist diese
Falle nicht von der Hand zu weisen. Wenn ich ein bestimmtes Ereignis E
in einen Kontext K einbette, dann verliert E in der Regel an Gewicht,
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wenn ich K größer mache. Je größer K erscheint, desto nichtiger E (hier
liegt im Übrigen eine besondere theologische Herausforderung, die Bedeutung besonderen menschlichen Lebens angesichts der Einbettung in einen
umfassenden Horizont zu wahren, ja zu gewährleisten und erhöhen, und
damit die angedeutete Korrelation zwischen K und E zu durchbrechen).
Intellektuelle haben es in der Hand (oder im Kopf), die Flutkatastrophe in
den Kontext von „Naturkatastrophen“ oder „menschlichen Tragödien“
einzubetten, Referenzpunkte aus dem Fundus der Geschichte zu präsentieren oder überhaupt einen abstrakten Makrokontext anzubieten.
Intellektuelle Redlichkeit ist der Versuch, diese Fallen systematisch zu
meiden durch das Remedium von Engagement und Empathie – mit dem
Risiko, zu irren und zu scheitern. Hier sind wir auf einer Metaebene des
Nachdenkens über intellektuelle Redlichkeit angelangt: Intellektuelle Arbeit angesichts der Flutkatastrophe wirft – wie jedes Nachdenken angesichts der Beschädigung von Leben – Fragen nach einer Ethik des Nachdenkens auf. Ich nenne einige Aspekte. Hier ist zunächst die Zumutung
bitteren Fragens zu nennen. Es ist bitter, bestimmte Fragen angesichts der
Flutkatastrophe zu stellen: Die Frage etwa, inwieweit die Medienpräsenz
mit den betroffenen Touristinnen und Touristen der ersten Welt zusammenhängt; die Frage nach dem Wert eines menschlichen Lebens und die
Frage nach den unterschiedlichen Bewertungen menschlichen Lebens
(man denke an je nationale Fokussierungen); die Frage nach der Sinnhaftigkeit von Vergleichen („Die Katastrophe X ist vergleichbar mit der Katastrophe Y“) bzw. nach der Legitimation von Einstufungen („die größte
Katastrophe seit Ende des Zweiten Weltkriegs“); die damit zusammenhängende Frage, ob Tote aufgerechnet werden können („eine Katastrophe
mit 30 Toten ist tragischer als eine Katastrophe mit 10 Toten“); die Frage
nach der eigenen Rolle (Zuschauer? Täter? Opfer?) und den eigenen Reaktionen (moralisches Wohlgefühl angesichts bestimmter Handlungen
und Handlungsmöglichkeiten). Intellektuelle Redlichkeit hat damit zu tun,
die bitteren Fragen zuzulassen – und ohne Angst vor dem Ergebnis konsequent weiterzudenken, einen Denkweg also bis zum Ende zu gehen. Dazu
gehört auch das Eingeständnis bitterer Einsichten. Die Einsicht etwa, dass
auch bei einer Naturkatastrophe in der Regel diejenigen am meisten gefährdet sind und den größten Schaden erleiden, deren Leben von Verwundbarkeit und Schwäche geprägt ist. Solche Einsicht macht bescheiden.
Intellektuelle Redlichkeit hat damit wesentlich mit Bescheidenheit und
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einer Ethik der Selbstbeschränkung von Geltungsansprüchen zu tun angesichts der bitteren Einsichten. Das ist ganz offensichtlich eine Frage der
Selbst- und Metareflexion. Auch das können wir festhalten: Intellektuelle
Redlichkeit hat mit der Fähigkeit zu Selbstkritik (Selbstdistanz) und Metareflexion zu tun. Ein Nächstes: Zu einer Ethik des Nachdenkens gehört
auch eine behutsame Sprache. Intellektuelle Redlichkeit hat mit Besonnenheit auch in der Sprache zu tun, schließt damit Sensibilität ein. Sensibilität
kann als intellektuelle Tugend im Sinne des Thomas von Aquin betrachtet
werden und führt uns zurück zur Frage nach wohlerwogenen Urteilen:
Wohlerwogene Urteile sind Urteile, die auch Sensibilität einschließen –
gegenüber der Sache, um die es geht, und gegenüber den Betroffenen.
Intellektuelle Redlichkeit hat also mit der Fähigkeit zu wohlerwogenen
Urteilen, mit Konsistenz, mit Engagement und Empathie, mit Selbstreflexion und Bescheidenheit, mit Sensibilität und einer Kunst des Fragens zu
tun – und damit, dass man sich in einem Boot mit den anderen weiß. Angesichts der Flutkatastrophe ist diese Anerkennung von anderen entscheidend für Mit-Denken und Mit-Fühlen. Avishai Margalit hat von ikonischer Begründung von Menschenachtung gesprochen: „Im Gegensatz zur
religiösen Auffassung verdienen Menschen also nicht deshalb Achtung,
weil sie Ebenbilder Gottes sind, sondern deshalb, weil sie Ebenbilder voneinander sind.“ 1 Intellektuelle Redlichkeit hat letztendlich mit der Anerkennung der Alterität des anderen und der Ikonizität des anderen zu tun
und mit der Einsicht, dass wir Teil einer Menschheitsfamilie sind. Intellektuelle, so könnte man sagen, verfügen über einen allgemeinen Begriff von
Menschheit, der einen allgemeinen Begriff von Menschlichkeit ermöglichen kann.
1
A. Margalit, Menschenwürde zwischen Kitsch und Vergötterung. In: O. Neumaier et al.
(Hg.), Gerechtigkeit: Auf der Suche nach einem Gleichgewicht. Frankfurt/Main 2005
(derzeit im Druck).
Intellektuelle Redlichkeit
Eine Annäherung
Thomas Schiendorfer
Zielsetzung
Dieses Working Paper stellt den Versuch dar, den Intellektuellen2 zu fassen. Dabei scheint eine etymologische Begriffsklärung nicht wirklich zielführend zu sein, zumal sie das, was in einschlägigen Lexika zu finden ist,
nur neu formuliert. Viel interessanter nimmt sich dagegen die Aufgabe
aus, den Intellektuellen inhaltlich, d.h. seine Motive, seine Sichtweisen zu
studieren.
Von Anfang an stand deshalb als Leitmotiv der Überlegungen fest,
dass der Intellektuelle über ein bonum verfügt, das ihn zwar als Experten
für ein bestimmtes Fachgebiet ausweist, doch ihn nicht auf dieses allein
beschränkt, er es transzendiert und so allgemeine Relevanz erhält.
Dieses Mehr, das den Intellektuellen von anderen Wissenden abhebt
und daher als sein charakteristicum distinctivum bezeichnet wird, lässt
sich gleich vorweg mit dem Begriffspaar „Intellektuelle Redlichkeit“ benennen.
Diese Arbeit fragt also einmal, wer oder was der Intellektuelle ist, und
einmal, was intellektuelle Redlichkeit ist. Die Bestimmung der „Redlichkeit“ erfolgt auch nicht durch eine etymologische Klärung, sondern versucht den Terminus aus Leben, Schriften, d.h. aus zentralen Gedankengängen von Intellektuellen herzuleiten. Daher schien es zielführend zu
sein, einige Intellektuelle vorzustellen, um den Begriff „Redlichkeit“ inhaltlich zu belegen.
Daraus erklärt sich der Aufbau dieses Working Papers: Zuerst wird
das Bestimmungswort „intellektuell“, respektive „der Intellektuelle“ sortiert, im Anschluss, sozusagen als Beleg oder als Beglaubigung, dass die
2
Wenn in dieser Arbeit vom Intellektuellen gesprochen und das Maskulinum verwendet
wird, dann bedeutet das natürlich nicht ein Übergehen oder Nichtberücksichtigen weiblicher Denkerinnen. Die alleinige Verwendung der männlichen Form dient lediglich der
Optik des Textes. „Die/der Intellektuelle“ irritiert mitunter das Auge.
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Bestimmungen des Intellektuellen nicht unrealistisch sind, einige paradigmatische Intellektuelle angeführt und zur vorgenommenen Bestimmung
des Intellektuellen in Beziehung gesetzt, um dann abschließend wiederum
ausgehend von den beispielhaften Personen, das Grundwort, die Redlichkeit zu beschreiben. Dabei zeigt sich, dass es durchaus einen gemeinsamen
Nenner gibt, der sich freilich nicht als monolithischer Block präsentiert,
sondern sich aus verschiedenen Bausteinen und Aspekten zusammensetzt.
1. Der Intellektuelle
1.1 Problematik einer Begriffsbestimmung
Bei einer inhaltlichen, auf die Bedeutung abzielenden Sichtung zeigt sich,
dass das Phänomen des/der Intellektuellen sich als komplexer und vielschichtiger erweist, als man meinen könnte.
Eine bequeme Einteilung wäre sicherlich, sie bestimmten Berufsgruppen zuzuordnen bzw. sie mit diesen gleichzusetzen. Voraussetzung dazu ist
freilich, sie gewissen Tätigkeiten, sprich eindeutigen Berufsbildern zuzuteilen. Aus einer solchen Betrachtungsweise ergeben sich allerdings einige
Probleme. Regina Köpl hält fest, dass „die Anwendung empirischer Schichtungsmerkmale wie Einkommen, Stellung und Beruf, Status der Berufsqualifikation etc. daran scheitert, dass ein Intellektueller Millionär oder arbeitslos sein kann, ebenso freier Journalist wie beamteter Hochschullehrer“3.
Eine weitere Möglichkeit bietet die Bestimmung nach der Funktion.
Hier unterscheidet sie zwischen der Funktion in Bezug auf ein Kollektiv
wie beispielsweise einen Staat oder eine Interessensgruppe und den individuellen Bedürfnissen einer Person nach Sinn– und Orientierungsfindung.
Eine solche Einteilung bedingt allerdings immer eine Abhängigkeit von
einem spezifischen Kontext. Hier eröffnen sich unzählige Möglichkeiten,
so dass eine inhaltliche Festlegung, was der Intellektuelle ist bzw. was ihn
auszeichnet, nicht getroffen werden kann.
Als dritte Variante nennt sie Unterscheidung nach Tätigkeiten. Diese
scheidet für Köpl aus, weil eine große inhaltliche Nähe zu Berufsgruppen
3
Köpl, Regina, Von gefallenen Engeln zur Not der geistigen Arbeiter. Der Intellektuelle
als Kunstfigur moderner Subjektivität, in:Kreisky, E. (Hg.), Von der Macht der Köpfe.
Intellektuelle zwischen Moderne und Spätmoderne, Wien 2000, 109.
Working Papers Theories & Commitments, Nr. 10, Jänner 2005
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gegeben ist und sich damit ein weiteres ungelöstes Problemfeld ergibt,
nämlich „die traditionelle und ideologische überfrachtete Entgegensetzung
von manuellen und geistigen Tätigkeiten“ 4. Diese kritische Aufschlüsselung ist insofern berechtigt, als sie aufzeigt, dass eine Vielzahl von Vorentscheidungen getroffen werden müssen, die einseitige Folgerungen nach
sich ziehen. So würden z.B. weder Künstler (Schriftsteller, bildende
Künstler, Fotographen, Bildhauer, Musiker) noch andere Personen, die
entweder nicht einer eindeutigen Berufsgruppe zuzuzählen sind (Freiberufler), noch solche, die in ihrer Freizeit sich mit „intellektuellen Themen
oder Tätigkeiten“ beschäftigen, berücksichtigt.
Diese offensichtlichen Schwierigkeiten zeigen an, dass sich die Vielschichtigkeit intellektueller Betätigung einer sozialwissenschaftlichen Beschreibungskompetenz entzieht. Gerade um dieser Vielschichtigkeit gerecht zu werden, besteht für Köpl die adäquate Zugangsart in einer „kulturkritischen Sicht“, wobei der Intellektuelle als „paradigmatischer Ausdruck männlicher, abendländisch–neuzeitlicher Subjektivität“ 5 verstanden
wird. Paradigmatisch insofern, als nach der These von N. Elias historische
Epochen jeweils einen bestimmten Menschentyp generieren6. So wurde
der vormoderne Typus vom cartesianischen modernen abgelöst, welcher
sich als autonomes und sich selbst bestimmendes Subjekt versteht, weil
nur dieses den Bedürfnissen seiner Zeit nach Sicherheit und Gewissheit
entsprach. Die Änderung der Lebensumstände bewirkt heute eine Abkehr
von diesem Ideal freier Selbstbestimmtheit unter dem Primat der Vernunft. Dazu trug die postmoderne Rede vom „Tod des Subjekts“ 7 einer4
5
6
7
Ebd., 110.
Ebd.
Vgl. Elias, Norbert, Über den Prozess der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen, Bd. 2, Bern 21969, 386–396. In seinem „Entwurf zu einer
Theorie der Zivilisation“ beschreibt er die Psychologisierung und Rationalisierung der
Triebe während des 17. Jahrhunderts. Diese geht nicht von einzelnen Personen aus,
sondern vollzieht sich in der Auseinandersetzung der gesellschaftlichen Gruppierungen
und führt zu einem bestimmten Menschentyp.
Vgl. Foucault, Michel, Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaft, Frankfurt a.M. 1971. In seinem Hauptwerk argumentiert Foucault, dass der
Mensch stirbt, ebenso wie vor ihm Gott durch Nietzsche starb. Er meint dabei den
Menschen des 18. Jahrhunderts, wie ihn Kant vor Augen hatte. Die Anthropozentrik
nährt ein übersteigertes Selbstverständnis, das zu überhöhten Ansprüchen des Menschen gegenüber sich selbst und in den Narzissmus führt. Weil der Mensch schwach ist
und sich mit seiner angemaßten Rolle überfordert hat, postuliert Foucault den Tod des
14
Working Papers Theories & Commitments, Nr. 10, Jänner 2005
seits und die Relativierung jedes Wahrheitsanspruches andererseits bei.
Das ehemals selbstverständliche Bild des universell Gelehrten (des klassischen Intellektuellen) wird dadurch fragwürdig, denn die „Ausdifferenzierung der Gesellschaft in Lebensstile mit jeweils eigenen Wahrheiten“ 8 erschwert die Berufung auf das Allgemeine und Universelle.
Eine ähnliche Sicht vertritt Foucault, der von der Ablösung des
„klassischen Intellektuellen“ durch den „spezifischen Intellektuellen“
spricht. 9 Regina Köpl weist zwar darauf hin, dass neben den sich durchsetzenden Prototypen der rationalistischen Tradition auch Gegenbewegungen (Montaigne u.a., Romantik) vorhanden sind, aber trotzdem ergibt sich
aus dieser Sichtweise eine grundsätzliche Schwierigkeit: Es stellt sich die
Frage, ob es zulässig ist – gerade aus der Unsicherheit der postmodernen
Situation heraus –, einen vereinheitlichenden Blick auf die Vergangenheit
zu werfen. Genau wie Epocheneinteilungen im Nachhinein getroffen werden, so wird auch ein paradigmatischer Menschentyp im Rückblick entworfen. Ist es legitim, aufgrund der vielfältigen Erscheinungsweise der
Gegenwart, die Vergangenheit zu vereinheitlichen? Wie objektiv oder zutreffend kann dieser Blick auf die Vergangenheit sein, der klassifizierende
Blick, der niederschreibt, wer was gewesen ist? Klar ist, dass eine Kanonisierung der Geistesgeschichte einerseits durchaus Interpretations– und
Strukturierungsmöglichkeiten bereitstellt, andererseits aber zu selbstverständlichen Verfestigungen führen kann, die dann nicht mehr hinterfragt
werden.
Schwierigkeiten der angeführten sozialwissenschaftlichen wie kulturkritischen Bestimmungsversuche werfen die Frage nach alternativen Herangehensweisen auf. Hierbei ist an herkömmliche Definitionen des Intellektuellen zu denken.
8
9
Menschen, den Tod des Subjekts. „Durch die philologische Kritik, durch eine bestimmte Form des Biologismus hat Nietzsche den Punkt wiedergefunden, an dem Mensch
und Gott sich gehören, an dem der Tod des zweiten synonym mit dem Verschwinden
des ersten ist und wo die Verheißung des Übermenschen zunächst und vor allem das
Bevorstehen des Todes des Menschen bedeutet“ (Ebd., 412).
Köpl, Von gefallenen Engeln, 118.
Vgl. Said, Edward, Götter, die keine sind, Berlin 1997, 15.
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15
1.2 Einige Differenzierungen
Eine Situationsanalyse der modernen Welt wird immer die Ausdifferenzierung als wesentliches Merkmal erwähnen. Diese zeigt sich in einem kulturellen und religiösen Pluralismus, in unterschiedlichen Lebensstilen genauso wie in der Aufsplitterung der Wissenschaftsdisziplinen. Damit ergeben
sich neue Erwartungshaltungen, denen Intellektuelle gegenüberstehen,
und andere Rollen und Funktionen, die Intellektuelle einnehmen sollten.
Eine vergleichbare Gesellschaftsbeschreibung liefert Gramsci10 und
kommt zu einem ähnlichen Schluss, nämlich dass die veränderten Verhältnisse einen bestimmten Typ von Intellektuellen entstehen lassen. Er
nennt diesen neuartigen Akteur organischer Intellektueller und hebt ihn
vom traditionellen Intellektuellen ab. Während zu letzteren die Berufsgruppen Priester, Beamte und Lehrer zählen, die über Generationen die
gleiche Tätigkeit ausüben, zeichnet die organischen Intellektuellen aus,
dass sie in enger Verbindung mit gesellschaftlichen Gruppierungen und
wirtschaftlichen Unternehmen stehen. Diese bedienen sich der Intellektuellen, sie werden deren ausführende Organe. Die Intellektuellen sichern so
den Interessensgruppierungen Macht und helfen ihnen, Kontrolle auszuüben. Diese Beschreibung wird der momentanen, sehr aufgesplitterten
Gesellschaft insofern gerecht, als sie auch die sich neu herausbildenden
Berufssparten mitberücksichtigt. So zählen nach Gramsci auch Medienexperten, Journalisten, Unternehmens– und Politikerberater, Manager etc. zu
den Intellektuellen. Ganz wesentlich ist der Hinweis, dass diese Gruppe
auf die Gesellschaft aktiv einwirkt, ganz im Gegensatz zu den traditionellen Intellektuellen, die primär in der Ausbildung involviert sind. Kennzeichnend ist für beide Gruppen, dass „heute jeder, der in einem Bereich
arbeitet, der entweder mit der Herstellung oder Verteilung von Wissen zu
tun hat, ein Intellektueller im Sinne Gramscis ist“ 11.
In eine ähnliche Richtung weist auch die Darstellung Paul A. Barans,
der zwischen intellectual workers und intellectuals unterscheidet. Die Parallele zu Gramsci ist dabei nicht zu übersehen, insofern der intellectual
worker dem traditionellen Intellektuellen weitestgehend entspricht, er
sich also mit seinem spezifischen Wissen für einen genau vorgegebenen
10
11
Vgl. Gramsci, Antonio, Philosophie der Praxis, Frankfurt a. M. 1967, 405–432.
Said, Götter, die keine sind, 14f.
16
Working Papers Theories & Commitments, Nr. 10, Jänner 2005
gesellschaftlichen Bereich zuständig fühlt. Den damit verbundenen Anforderungen und (wirtschaftlichen) Bedürfnissen ist der intellectual worker Gehilfe bzw. ausführendes Organ. Ganz anders die Gruppe der intellectuals: Sie versuchen, „ihre Kompetenz im jeweiligen beruflichen Feld
mit der […] Gesellschaft, ihren Problemen und ihrer Entwicklung als
Ganzes zu verbinden“ 12. Das besondere Kennzeichen des intellectual
workers ist der „ethischer Neutralismus“.
Von primärem Interesse ist vorerst allerdings die annähernd deckungsgleiche Verwendung von traditionelle Intellektuelle (Gramsci) und
intellectual workers (Baran) und die divergierende Bedeutung der jeweils
anderen Bezeichnungen: Gramscis organischen Intellektuellen kommt
eine grundsätzlich andere Aufgabe zu als den intellectuals von Baran.
Letztere stellen nämlich eine geistig–moralisch intrinsische Instanz der
Gesellschaft dar, sie arbeiten und forschen auf Basis der universellen Prinzipien Wahrheit und Gerechtigkeit. Gramscis organische Intellektuelle
hingegen richten ihr Augenmerk auf partikuläre und spezifische Ziele, die
der jeweiligen Gesellschaft dienlich sein sollen. Eine Kluft ist sichtbar: Der
Intellektuelle ist einmal Erfinder und Vollstrecker von Interessen sowie
Notwendigkeiten materieller Art und einmal Vertreter ethischer Ideale.
Ein Spannungsfeld zeichnet sich hier ab, das von Wahrheitssuche,
Gerechtigkeitssinn auf der einen Seite und Nützlichkeit auf der anderen.
Die Suche nach dem geistigen Profil des Intellektuellen vermeidet die hier
emergierenden und äußerst problematischen Fragen wie „Was ist Wahrheit?“, „Was ist Gerechtigkeit?“ und versucht auch nicht den Forschungsgegenstand und das Wesen des Intellektuellen im Elfenbeinturm zu klären, sondern versucht den Weg bzw. die Beziehung zwischen Wissenserwerb und dem Bereich, auf den das Wissen angewendet wird, zu beleuchten. Werden diese problematischen Bereiche allerdings umschifft, drängt
sich aber unweigerlich die Frage auf, woher der Intellektuelle die Berechtigung bezieht, mit seinem Wort einzugreifen. Hat er seinen Sitz in der Gesellschaft, weil er verwertbares Wissen abliefert, oder dient er ihr als moralisches Gewissen? Welchen Stellenwert hat die Öffentlichkeit, wie sieht
die Beziehung zwischen dem Intellektuellen und seiner jeweiligen Öffent-
12
Kramer, Helmut, Wissenschaftler als Intellektuelle. Von der Kunst und der Notwendigkeit der Provokation, in: E. Kreisky (Hg.], Von der Macht der Köpfe, Wien 2000, 72.
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17
lichkeit aus? Lässt sich die intellektuelle Betätigung überhaupt von der Öffentlichkeit ablösen?
1.3 Der gesellschaftliche Rahmen des Intellektuellen
Diesen noch nicht berücksichtigten Aspekt der Öffentlichkeit thematisiert
in eindeutiger Weise Edward Said, indem er den Intellektuellen als jemanden definiert, der „die Fähigkeit besitzt, eine Botschaft, eine Sicht, eine
Haltung, Philosophie oder Meinung in der Öffentlichkeit und für eine Öffentlichkeit zu repräsentieren, zu verkörpern und zu artikulieren“ 13. Beachtenswert erscheint in dieser Aussage vorerst einmal der Hinweis auf die
Fähigkeit, sich adäquat zu artikulieren. Said erläutert seine Intention: „Das
Vermögen, Sprache geschickt zu verwenden, und das Wissen um den richtigen Zeitpunkt der sprachlichen Intervention sind zwei wesentliche Bestandteile des intellektuellen Handelns.“ 14 Selbstredend impliziert jede rhetorische Qualität auch das Wissen um den richtigen Zeitpunkt und nicht
bloß die treffende Wortwahl. Interessant ist hier nicht nur der Aspekt der
Macht der Sprache, sondern vielmehr die sprachliche Anforderung an den
Intellektuellen, die eine treffende Situationsanalyse sowie die unausgesprochene Forderung nach Publikumskenntnis inkludiert. Die Frage nach dem
richtigen Zeitpunkt der sprachlichen Intervention und der relevanten
Adressaten wird später noch eingehend erörtert.
Wesentlich für den vorläufigen Duktus ist die stehende Wendung „in
und für eine Öffentlichkeit“. Said erklärt diese Differenzierung nicht, jedoch darf angenommen werden, dass er unter „in“ die faktische Beschreibung des Redens und unter „für“ die Rede an spezifische Gruppen, einen
bestimmten Adressatenkreis meint. Diese Unterscheidung deutet an, dass
intellektuelle Rede zwar grundsätzlich von allen nachvollzogen werden
kann, auch wenn sie vorerst nur bestimmte Zusammenhänge, einen abgrenzbaren Personenkreis fokussiert. Sobald nun der Intellektuelle nach
Said in die Öffentlichkeit tritt, kommt es zur Vermengung von privater
und öffentlicher Sphäre. Said spitzt sogar zu: „So etwas wie einen privaten
Intellektuellen gibt es nicht; von dem Augenblick an, wo man etwas niederschreibt und veröffentlicht, tritt man an die Öffentlichkeit. Die nur öf13
14
Said, Götter, die keine sind, 17.
Ebd., 27.
18
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fentlichen Intellektuellen gibt es allerdings auch nicht.“ 15 Den damit verbundenen Verlust an Anonymität und Autonomie nimmt der Intellektuelle bewusst in Kauf. Er nimmt einen Standpunkt ein, wird in der Öffentlichkeit mit diesem identifiziert und hebt sich dadurch vom organischen
und traditionellen (Gramsci) wie auch vom intellectual worker (Baran)
ab. Die Überzeugung, dass der wahre Intellektuelle in selbstloser Weise
für seine Ideale einsteht und Verantwortung übernimmt, teilt er mit Barans Bild vom intelle ctual.
Was Baran und Said verbindet, findet sich auch bei Pierre Bourdieu.
Er geht ebenfalls von einer Doppelnatur des Intellektuellen aus, insofern
er diesen als bidimensionales Wesen charakterisiert.
„Um den Namen Intellektueller zu verdienen, muss ein Kulturproduzent zwei Voraussetzungen erfüllen: Zum einen muss er einer
intellektuell autonomen, d.h. von religiösen, politischen, ökonomischen usf. Mächten unabhängigen Welt (einem Feld) angehören
und deren besondere Gesetze respektieren; zum anderen muss er
in eine politische Aktion, die in jedem Fall außerhalb des intellektuellen Feldes in engerem Sinn stattfindet, seine spezifische Kompetenz und Autorität einbringen, die er innerhalb des intellektuellen Feldes erworben hat.“ 16
Was Said und Baran von Bourdieu unterscheidet, findet sich in dessen
Hinweis auf die Unabhängigkeit des Intellektuellen. Diese Autonomie
manifestiert sich auf zwei Ebenen: Einmal ist sie gekennzeichnet durch
praktische Distanz zum gesellschaftspolitischen Bereich und einmal durch
theoretische Freiheit in Bezug auf Unbeeinflussbarkeit beim Erwerb seiner spezifischen Kompetenz. Diese Trennung wird allerdings aufgehoben,
sobald der Intellektuelle öffentlich auftritt. In diesem widersprüchlichen
Spannungsverhältnis zu agieren, macht erst die besondere Qualität intellektuellen Handelns aus. Autonomie und Heteronomie bestimmen den
Intellektuellen. Er befindet sich in einem permanenten Kampf um Unabhängigkeit und er operiert in zwei scheinbar unvereinbaren Feldern.
Dieser Aspekt wird in besonderer Weise von Wolf Lepenies thematisiert. Er geht von einer Sphäre der Reflexion und einer Sphäre der politischen Aktion aus. Der Intellektuelle hat Alternativen zum momentanen
15
16
Ebd., 18.
Bourdieu, Pierre, Die Intellektuellen und die Macht, Hamburg 1991, 42.
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19
Status Quo parat, was heißt, dass er mit der gegebenen Situation nicht zufrieden und auf Veränderung aus ist. Er entwirft Ideen für eine bessere
Zukunft, hat Visionen, eine Utopie. „Die Utopie ist weniger eine Realitätsflucht als der Versuch, sich eine bessere Wirklichkeit durch die Kraft
des Gedankens und des Wortes herbeizusehnen und herbeizuschreiben.“ 17
Der Intellektuelle steht im Spannungsfeld von Realität und Idealität, von
Melancholie und Utopie, von Reflexion und Aktion. Diese nicht realisierten Entwürfe zehren am Intellektuellen, er entwickelt den Hang zur Melancholie und fällt in den Stand der Dauerreflexion zurück. Der Intellektuelle leidet an der Welt, er zieht sich zurück und spielt damit den Befürwortern des momentanen Zustandes in die Hände. Rekurrierend auf
Bourdieu verliert er somit die Berechtigung, Intellektueller genannt zu
werden, da er nur noch reflexions– und nicht mehr handlungsorientiert
ist. Er beschränkt sich ausschließlich auf sein intellektuell–autonomes Feld
und entbindet sich dadurch seiner gesellschaftlichen Verpflichtungen, er
bedient alleinig seine private Welt.
Das problematische Verhältnis von Nähe und Distanz zur Sphäre öffentlicher Macht und politischen Einflusses wird im Folgenden diskutiert.
1.4 Zuspitzung – Polarisierung
Die klassische Charakterisierung des Intellektuellen geschah durch Julien
Benda, welcher diesen extrem positionierte. Er bezeichnet ihn als clerc
und charakterisiert ihn in seinem Werk „Der Verrat der Intellektuellen“
als zu einer Gruppe zugehörig, deren Bestrebungen „vom Wesen her
nicht auf praktische Ziele ausgerichtet sind; Menschen, die ihre Befriedigung in Kunst, Wissenschaft oder metaphysischer Spekulation –, kurz, im
Besitz immaterieller Güter suchen und damit zu sagen scheinen: Mein
Reich ist nicht von dieser Welt.“18 Dabei kennt Benda zwei Varianten,
einmal den auf zweckfreie Tätigkeit des Geistes Ausgerichteten (Leonardo, Goethe) und den Moralisten (Erasmus oder Kant), welcher sich auf
universelle Prinzipien wie Wahrheit und Gerechtigkeit beruft. Den Verrat
ortet er in der Aufgabe ihrer Ideale, indem sie sich politische Eigenschaften zu eigen machten, Politik in ihre intellektuelle Tätigkeit einfließen ließen und politische Leidenschaften sogar begünstigten. Sie fördern natio17
18
Lepenies, Wolf, Aufstieg und Fall der Intellektuellen in Europa, Frankfurt a. M., 1992, 52.
Benda, Julien, Der Verrat der Intellektuellen, München 1978, 111.
20
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nale und damit partikulare Interessen, verpflichten sich einem Nützlichkeitskalkül, das sogar vor Verherrlichung von Körperkult, Heldentum,
Kriegswesen und moralischer Grausamkeit nicht zurückschreckt. Der Intellektuelle, der clerc, wird zum Handlanger, Funktionär der Mächtigen,
wobei er seine eigenen Vorteile und Interessen ins Zentrum stellt. Jedes universelle Wahrheitsempfinden entschwindet auf Kosten einer Nützlichkeitsethik, er bedient lediglich innerweltlich–materielle Werte. Die sich aufdrängende Frage lautet, welchen Teil der Intellektuelle selbst zu diesem Niedergang aktiv beitrug oder ob er nicht vielmehr nur eine Teilschuld trägt.
Zweifelsfrei steht fest, dass die eigentlichen clercs, die zweckfreien Denker
und Idealisten, verschwunden sind, es nur mehr Sophisten gibt. Vorbei sind
die Zeiten, in denen die wahren clercs bereit waren, für ihre Ideale und
Überzeugungen Verfolgung, ja sogar den Tod auf sich zu nehmen.
Das Benda’sche Ideal eines Intellektuellen findet sich auch bei Ortega
y Gasset: Der Intellektuelle ist in seinen Augen ein Berufener, ein Prophet.
Er übt nicht wie andere einen Beruf aus, sondern wird auserkoren, auserwählt. Wissenschafter, Philosophen oder andere intellektuelle Berufe geben in keiner Weise Aufschluss über das Wesen des Intellektuellen. „Die
meisten Intellektuellen, die sich in unseren Gesellschaftsordnungen herumtreiben, sind natürlich gar keine Intellektuellen, sondern spielen sich
nur als solche auf.“ 19 Die Berufung ist für Ortega y Gasset das bestimmende Erlebnis im Leben des Intellektuellen, er kann sich nicht entscheiden, ein solcher zu sein, er wird überwältigt. Er ist fremden Mächten ausgeliefert:
„Doch ist für die wesenhafteren, menschlicheren Themen das
sech sundzwanzigste Lebensjahr die Zeit der großen Erleuchtung,
der ersten Ekstase, in der die mächtigen Lämmergeier seine künftigen Ideen, ihre Krallen in das Hirn des Denkers schlagen und ihn
wie ein unschuldiges Lamm in die Höhe reißen. Denn die großen
Ideen sind nicht unser Besitz, wir sind vielmehr ihre Beute.“ 20
Eine Gemeinsamkeit findet sich in der Konzeption von Benda und Ortega y Gasset, der Intellektuelle wird als säkularer „Hoher Priester“ gese-
19
20
Ortega y Gasset, José, Der Intellektuelle und der Andere, in: W. Bergsdorf (Hg.], Die
Intellektuellen, Pfullingen 1982, 16.
Ebd., 18f.
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21
hen, der entweder mit „immateriellen Gütern“ ha ndelt (Benda) oder der
im (Fron)Dienst großer Ideen steht (Ortega y Gasset).
Nach Benda ist der klassische Intellektuelle, der sich universellen
Werten und Idealen verpflichtet fühlt, der völlig zweckfrei seiner Arbeit
nachgeht, verschwunden. Ist dieser Typus aber nicht ein Phänomen vorindustrieller Gesellschaften? Wenn man an Bendas historische Persönlichkeiten wie Leonardo oder Goethe denkt, kann sich dem Leser durchaus
dieser Eindruck aufdrängen. Außerdem: Sind die Anforderungen, welche
an den Intellektuellen damals gestellt wurden, nicht grundverschieden von
den Bedürfnissen, denen Intellektuelle heute entsprechen müssen? Ist
folglich der klassische Intellektuelle nicht mehr zeitgemäß?
Wenn man in vergangene Epochen blickt, kann man zweifelsfrei feststellen, dass das Weltbild ein einheitlicheres war, Neuerungen moderat
und überschaubar waren. Auch wenn die Zeit der Aufklärung wesentliche
wissenschaftliche und gesellschaftliche Revolutionen zeitigte, muss doch
festgehalten werden, dass sich der Mensch immer noch in einem festen
Gefüge befand, das ihm wenig Spielraum ließ: Sowohl Kirche als auch
staatliche Obrigkeit bestimmten den Rahmen, innerhalb dessen sich der
Mensch orientieren durfte. Darüber täuschen auch nicht die 150 Jahre zuvor stattgefundenen Religionskriege und die damit einhergehende Möglichkeit zur Neubesinnung hinweg. Auch hier gab es nur die Möglichkeit,
zwischen Autoritäten mehr oder weniger frei zu wählen, die in ihrer weltanschaulichen Kompetenz zumeist unhinterfragt blieben. Das Weltbild
war fest gefügt und unveränderlich. Leonardos Auftritt in der Renaissance
wurde nur von den Reichen und Adeligen wahrgenommen, hatte also nie
eine klassen– und milieuübergreifende Breitenwirkung erzielt. Auch Goethes Gedankengut wurde zuerst nur von Bürgern und Adeligen verarbeitet, hatte also zu seinen Lebzeiten nicht diesen Einfluss. Gleiches gilt für
die naturwissenschaftlichen Neurer. Die Änderungen im Weltbild, die sie
herbeiführten, waren ausschließlich bestimmten Schichten vorbehalten, sie
drangen nie in alle Bereiche der Gesellschaft vor. Zudem waren die Neuerungen zahlenmäßig überschaubar, ebenso wie die Wissenschaftsdisziplinen. War es daher nicht wesentlich leichter, den Typ des Intellektuellen
einerseits als zeitgemäß – das Neue war kalkulierbar – und andererseits als
notwendig anzusehen? War es daher nicht einfacher, Zusammenhänge
herzustellen und das Neue in den bereits bestehenden Kontext einzubetten?
22
Working Papers Theories & Commitments, Nr. 10, Jänner 2005
Ganz anders stellt sich für Benda die Situation im ausgehenden 19.
und beginnenden 20. Jahrhundert dar. Aufkeimende Nationalinteressen
und daran geknüpfte Animositäten führen zu einseitiger Parteinahme und
Anfeindungen anderen gegenüber. Sie sind verantwortlich, dass universelle Werte nicht mehr beachtet werden und ausschließlich das Partikulare
betont wird. Ist hier nicht Bendas Sehnsucht nach Einheit und Gemeinsamkeit von Werten zu sehen, die restaurativ den ehemaligen Zustand
idealisiert?
„Wissenschaft und Technik werden zum „kulturellen Kapital“, das
in zunehmendem Maß über die Wettbewerbsfähigkeit und die Position der nationalstaatlich verfassten Gesellschaften im Globalisierungsprozess entscheidet. Soziale Chancen und Zukunftsaussich ten der Menschen werden von der Fähigkeit der Individuen bestimmt, das Wissen als kulturelles Kapital aufzunehmen und damit
kenntnisreich und kompetent umzugehen.“21
Wissen wird nur noch unter dem Aspekt der Nützlichkeit und Verwertbarkeit betrachtet. Der klassische Intellektuelle als „konservativer Dauerreflektierer“ sitzt nur noch alten Werten auf und gilt daher als Verhinderer
des Fortschritts. Heute sind Wissenschafter als Spezialisten gefragt und
nicht die „klagende Klasse“ 22. Die Spezialisierung und der damit verbundene Expertenkult sind heute entwickelter denn je. Gibt es den Bedarf
nach dem idealisierten Benda’schen Intellektuellen überhaupt noch, ist die
Vorstellung von dessen Abgang nicht als natürliche zu bezeichnen oder ist
Benda in seiner Rede vom Verschwinden bzw. des Verrats Recht zu geben? Obgleich es diese zweckfreien Intellektuellen des Überblicks vermutlich nie gegeben hat, stellt sich doch die Frage, ob nicht ein Intellektueller der Zusammenschau bzw. Orientierung – nur eben mit anderen, bescheideneren Ansprüchen – gefragt ist?
Die angeführte Literatur gab einen Einblick in das Phänomen der
Intellektuellen und zeigte die Bandbreite möglicher Beschreibungen und
Bestimmungsversuche auf. Augenscheinlich dabei ist die Komplexität und
Diversität, die nicht zuletzt in der persönlichen Einstellung und Werthaltung des jeweiligen Autors begründet ist.
21
22
Kramer, Wissenschaftler als Intellektuelle, 69.
Vgl. Lepenies, Wolf, Das Ende der Utopie und die Rückkehr der Melancholie, in: M.
Meyer (Hg), Intellektuellendämmerung? Beiträge zur neuesten Zeit des Geistes,
München–Wien 1992, 16f.
Working Papers Theories & Commitments, Nr. 10, Jänner 2005
23
Zwischen einer allzu sehr idealisierten Position und einer allzu
vereinfachenden Wirklichkeitssicht kann ein Mittelweg gefunden werden,
der Ausdifferenzierungen zu beiden Polen hin zulässt, aber dennoch einen
Überbegriff erlaubt, der weder zu weit im Sinne Gramscis noch zu eng im
Sinne Bendas gefasst ist.
1.5 Möglicher gemeinsamer Nenner
Eine Begriffsbestimmung sollte Extrempositionen und damit verbundene
Einseitigkeiten vermeiden. Ziel ist, den Vorstellungen Bendas die Spitze
zu nehmen und der extremen Extension des Begriffs bei Gramsci entgegenzutreten. Denn nach Gramsci wäre dann jeder, der in irgendeiner
Form mit Wissen handelt oder dieses produziert, zu den Intellektuellen zu
zählen. 23
Als hilfreiche Differenzierung bietet sich die Unterscheidung zwischen ni tellektueller Arbeit im engeren und intellektueller Tätigkeit im
weiteren Sinn an. Unter Arbeit ist der Einsatz beruflicher Qualifikation zu
verstehen, die der Bestreitung des Lebensunterhaltes dient. Tätigkeit wird
hingegen verstanden als eine Beschäftigung, die keinem primären, direkt
verwertbarem Nutzen dient, sprich zweckfrei gesehen wird. Jedes sekundäre Interesse fällt damit sehr wohl in den Bereich intellektueller Tätigkeit,
wie beispielsweise Lebensorientierung, Sinnfindung sowie Überblick über
die oder Erweiterung der momentanen Lebenszusammenhänge.
Angewendet auf die vorhergehenden Beschreibungen des Intellektuellen lässt sich somit eine formale Unterscheidung treffen, die die zitierten
Intellektuellen in zwei Gruppen aufteilt: Zur ersten Partei zählen jene, die
beruflich mit Wissenserwerb, Wissensverarbeitung und Wissensanwendung zu tun haben. In dieser Gruppe befinden sich die organischen und
traditionellen Intellektuellen von Gramsci sowie die intellectual workers
von Baran. Gemeinsam ist diesen, dass sie bestimmten Berufsgruppen zuzuordnen sind. Meinungsforscher, Wirtschaftsanalysten, Wissenschafter etc. (organische Intellektuelle und intellectual workers), als auch
Priester, Richter, Lehrer etc. (traditionelle Intellektuelle ) haben ein abgegrenztes berufliches Betätigungsfeld. Entweder produzieren sie Wissen,
vermitteln es oder wenden es an. Es scheint daher sinnvoll zu sein, diese
23
Vgl. Said, Götter, die keine sind, 14f.
24
Working Papers Theories & Commitments, Nr. 10, Jänner 2005
Gruppe als Experten zu bezeichnen. Der Grad ihres Expertentums ist
hier nicht ausschlaggebend, sondern allein die Tatsache, dass sie für gewisse gesellschaftliche Felder zuständig sind. Sie leisten kognitive Arbeit,
für die sie qualifiziert sind und entlohnt werden.
Von der Gruppe der Experten grenzt sich die Gruppe der Intellektuellen ab: Gemäß der vorhin angeführten Unterscheidung zwischen intellektueller Arbeit und Tätigkeit, zeichnet den Intellektuellen aus, dass aus
der Arbeit eine Tätigkeit wird, die nicht nur der eigenen Lebensorientierung und Sinnfindung dient, sondern den privaten Radius hinter sich lässt
und bewusst die Öffentlichkeit (Bourdieu) sucht. Der Intellektuelle ist
Gewissen und Mahner der Gesellschaft. Er verspürt in sich ein Berufungserlebnis (Ortega y Gasset) und das Mandat, auf gesellschaftliche
Umstände, Prozesse etc. hinzuweisen. Er unterscheidet sich vom Experten dadurch, dass der Experte aus seiner berufsspezifischen Sicht auf besondere Schnittstellen im gesellschaftlichen Leben hinweist, wie beispielsweise die in den letzten Jahren in den meisten Staaten Europas geführten
Diskussionen bezüglich des Pensionsantrittsalters. Der Experte fokussiert
einen Punkt und äußert dazu seine Meinung. Hinzu kommt, dass der Experte nicht von sich aus auf die breite Öffentlichkeit zutritt, sondern in
seinem Kreis wirkt und publiziert. Erst aufgrund von Interesse und Einladung meinungsbildender Einrichtungen bzw. politischer Parteien verlässt
er seinen abgegrenzten Wirkungsbereich und erreicht die breite Öffentlichkeit. Im Unterschied zum Experten belässt es der Intellektuelle nicht
beim Auflisten von Fakten. Diese dienen ihm nur als Grundlage und nicht
wie beim Experten als Legitimation für den Gang in die Öffentlichkeit.
Der Intellektuelle addiert Fakten, nimmt eine Gesamtschau und Interpretation vor und bettet das Expertenwissen in einen größeren Zusammenhang ein.
Diese Unterscheidung von Experten und Intellektuellen umgeht die
eingangs von Köpl angeführte ideologische und unerwünschte Entgegensetzung von kognitiver und manueller Arbeit, denn Arbeit wird unabhängig vom ausführenden Körperteil dem Bereich des Expertentums zugeordnet. Wesentlich bestimmend für den Status als Intellektueller ist die
Art der kognitiven Aktivität, nämlich Arbeit oder Tätigkeit.
Die Gegenüberstellung von Experten und Intellektuellen lässt noch
eine weitere Differenzierung sinnvoll erscheinen, nämlich die von Kompetenz im Allgemeinen und Qualifikation im Spezifischen. Beide zusam-
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25
men können als Charakteristika des Intellektuellen angeführt werden. Der
Intellektuelle weist gegenüber dem Experten ein Bonum auf: Seine spezifische Qualifikation kann durchaus die gleiche wie die des Experten sein,
seine allgemeine Kompetenz hebt ihn jedoch von diesem ab. Allgemeine
Kompetenz meint die Fähigkeit, Erkenntnisse in größere Zusammenhänge einzubinden, den Zeitgeist, gesellschaftliche Zustände, Entwicklungstendenzen, mögliche Gewinner bzw. Verlierer von Prozessen zu orten. Dieses Vermögen geht mit dem Willen einher, auf Gefahren, Risiken
oder Chancen hinzuweisen. Dieses Können darf daher nicht als nacktes
und kaltes Können gesehen werden, sondern weist eben ein ethisches
Moment auf. Dieser allgemeine Kompetenzerwerb sollte möglichst autonom erfolgen, wobei der Schwerpunkt auf intellektueller Freiheit und
Selbstständigkeit liegt. Der Intellektuelle erkennt das Spannungsverhältnis
von Wirtschaft, Politik, Kultur und allgemeinen, überparteilichen menschlichen Interessen und meldet sich zu Wort.
Der Intellektuelle kann dabei als Typus und als Person gedacht werden. Als Typus agiert er, wenn er nur die Veranlagung hat, zur allgemeinen Lebensorientierung beizutragen. Der Intellektuelle als Typus hortet
sein Wissen um Lebens– und Wissenszusammenhänge. Der Intellektuelle
als Person hingegen ergreift das Wort und trägt damit aktiv zum gesellschaftlichen Zusammenhalt bei. Er denkt sich seine Ideale nicht nur, sondern versucht sie umzusetzen. Der Intellektuelle als Typus kann sich auf
seine bürgerliche Existenz als Experte zurückziehen, wenn primäre
Grundbedürfnisse im Vordergrund stehen, während der Intellektuelle als
Person sich Einschränkungen stellt: Auch wenn das gesellschaftliche
Klima jede freiwillige Beschäftigung mit intellektuellen Themen verunmöglicht, ökonomisch–politische Konstellationen intellektuelle Aktivität
erschweren, engagiert sich der Intellektuelle.
Neben dieser äußerlichen Begriffsbestimmung des Intellektuellen lässt
sich in groben Umrissen auch eine allgemeine inhaltliche formulieren.
Dem Intellektuellen muss es ein inneres Anliegen sein, das Recht auf
freie Bildung als Grundbedürfnis zu verteidigen, das Aufstehen wider den
Zeitgeist sollte zum inneren Impetus zählen.
Eine aktive und bewusste Distanz zum politisch–ökonomischen
Common Sense ergibt sich dadurch. Sie ist unabdingbare Voraussetzung
26
Working Papers Theories & Commitments, Nr. 10, Jänner 2005
für Kritikfähigkeit, die sich auf den gesamtgesellschaftlichen Kontext bezieht.
Intellektuell Tätige scheuen sich nicht vor öffentlichem Auftreten, da
ihnen die Fähigkeit zur Repräsentation gegeben ist. Wie wird einer bestimmten Zuhörerschaft ein Inhalt dargeboten? Dies zu antizipieren setzt
eine treffende Situationsanalyse voraus, die bedingt ist durch die Kenntnis
der Wirkmächtigkeit der Sprache und ihrer manipulativ–demagogischen
Kraft. Der Intellektuelle kennt den Unterschied zwischen Überredung und
argumentativer Überzeugung. Das inkludiert, dass er weiß, wann Wortmeldungen seinerseits unangebracht und wann sie notwendig sind. Dieses
Moment der Selbstreflexion ist ein entscheidender Faktor, denn sie bewahrt den Intellektuellen vor eigenen Stereotypisierungen wie auch davor,
jenen anderer aufzusitzen. Die oben angeführte Fähigkeit zur Distanz
zeigt hier ihre zweite Dimension: Kritische Selbstbetrachtung ermöglicht
erst das Aufdecken eigener als unhinterfragt übernommener und für
selbstverständlich genommener Überzeugungen.
Die Fähigkeit zur Repräsentation schließt die Frage nach der Glaubwürdigkeit ein. Tritt der Intellektuelle authentisch auf, steht er für seine
Überzeugungen auch ein? Er vertritt Haltungen, Einstellungen und Sichtweisen, an denen er selber gemessen wird. Dazu braucht es Freiheit und
Mut, denn er ermöglicht dadurch Kritik an seiner Person und zeitigt Widerstände, die mitunter gegen ihn persönlich gerichtet sein können. Es
zeigt sich also ein komplexes Maß an Wechselwirkung zwischen öffentlicher und privater Sphäre. Der Intellektuelle muss bereit zum Verzicht sein
und damit auch zu einer möglichen Einschränkung seiner Unabhängigkeit.
Sobald der Intellektuelle daran geht, sich für die praktische Verwirklichung seiner Ideale zu engagieren, büßt er automatisch seinen autonomen
Status ein.
Als Definition darf folgender Entwurf gelten:
Als Intellektueller gilt, wer sich mittels
(i)
kognitiver Tätigkeit mit der Welt oder gesellschaftlichen Ereignissen bzw. menschlichen Problemstellungen auseinandersetzt
und diese
(ii) als Kommunikator nachvollziehbar einer Öffentlichkeit zugänglich macht.
Working Papers Theories & Commitments, Nr. 10, Jänner 2005
27
Der Intellektuelle übertrifft dabei den Experten, da er mit Blick auf einen
(iii) größeren Zusammenhang agiert und
(iv) partielle Interessen hintanstellt.
Als Zusatz erscheint wesentlich, dass der Intellektuelle nicht als ein bestimmter Menschentypus verstanden wird, der, alles durchblickend, passiv in seinem Elfenbeinturm sitzt, sondern
(v) als Person – mitfühlend und gesellschaftliche Bewegungen aufnehmend – das öffentliche Leben mitgestaltet.
1.6 Ausführungen zur Definition
Um den ersten Punkt, die kognitive Tätigkeit, die Welt und Gesellschaft
reflektiert, abdecken zu können, muss der Intellektuelle über ein fundiertes Allgemeinwissen verfügen. Darunter wird eine umfassende Bildung
verstanden. Für diesen Aspekt können Kardinal Newmans Überlegungen
nutzbar gemacht werden. In seinen Vorträgen über das Wesen der Universität betont er die universale Bildung, die diese Institution zu fördern
hat. Die Universität soll ihr Studienangebot auf den ganzen Bildungskosmos ausweiten und zweckfreie Bildung ermöglichen. Sein Argument lautet: „Eine Verfassung des Geistes wird geformt, die das ganze Leben hindurch anhält: Freiheit, Unvoreingenommenheit, Gelassenheit, Maßhalten
und Weisheit sind ihre charakteristischen Merkmale, mit einem Worte das,
was ich in einem früheren Vortrag als ‚philosophische Geistesverfassung’
zu bezeichnen wagte.“24 Eine solche umfassende Bildung, die sowohl reiches Wissen wie Lebensführung und Empathie einschließt, erlaubt es, aktuell sich aufdrängende Probleme vor einem allgemeinen Hintergrund zu
beleuchten. Es geht darum, problemorientiert Fragen aufzuwerfen, relevante von irrelevanten Aspekten zu unterscheiden. Dies scheint nur dann
möglich zu sein, wenn der Intellektuelle allgemein–kulturelles Wissen besitzt, einen großen Bogen spannen und somit gegenwärtige gesellschaftli24
Newman, John Henry, Bildung als Selbstzweck, in: Ders., Vom Wesen der Universität.
Ihr Bildungsziel in Gehalt und Gestalt, Mainz 1960, 116. Das Ideal dieser umfassenden
Bildung sieht Newman im Gentleman verkörpert. „Es ist gut, ein Gentleman zu sein; es
ist gut einen gebildeten Geist, einen verfeinerten Geschmack, einen lauteren, ausgewogenen und gelassenen Sinn, eine vornehme und edle Haltung in der gesamten Lebensführung zu besitzen; all diese Eigenschaften gehen naturgemäß mit einem reichen Wissen Hand in Hand“ (ebd., 131f.).
28
Working Papers Theories & Commitments, Nr. 10, Jänner 2005
che Verhältnisse einordnen und deuten kann. In diesen Bereich fällt auch
der Wissensstand des Intellektuellen: Neben geisteswissenschaftlichen
Grundkenntnissen sollte er auch über naturwissenschaftliche verfügen.
Dies impliziert die Fähigkeit, sich Wissen in selbstständiger und kritischer
Weise anzueignen. Ein besonderes Können wird dabei vom Intellektuellen abverlangt, die Fertigkeit des Lesens. Clemens Sedmak stellt fest, dass
mit der Lektüre eines Textes grundsätzliche Fragen verbunden sind wie,
warum man gerade diesen Text wählt, welches Vorwissen benötigt wird.25
Ein zentraler Punkt wird in seiner Lesetheorie mit dem Begriff „otium“
markiert: Der Leser muss sich Freiheit und Selbstständigkeit bewahren.
„Eine Leserin, die frei ist von Verwertungszwängen und klaren Eigeninteressen, kann einem Text freier begegnen. ‚Otium’ ist das Gegenteil von
‚Druck’ und ‚Zwang’, und deswegen mit Zeitdruck und Verwertungszwängen nicht vereinbar.“ 26 Bildung ist ohne Lesen nicht denkbar, dieses
verlangt nach Freiheit und Offenheit, um dem Text gerecht zu werden.
Innere und äußere Beeinträchtigungen minimieren eine seriöse Wissensaneignung.
Die kognitive Tätigkeit, die Welt und Gesellschaft reflektiert, basiert
auf einer umfassenden Bildung. Zu dieser zählen nicht nur Kultur als Gedankengut und Geistesgeschichte, sondern auch die Kunstwerke, die materiellen Ausprägungen. In diesen finden sich verschiedene Ausdrucksformen und Problemstellungen des Menschlichen. So beschäftigen sich
Kunstwerke und ihre Künstler nie bloß mit der eigenen Biographie, es
scheinen immer die persönlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und Werte durch. Kunst ist eine Form der Infragestellung und
Provokation in expressiver Weise. Sie rettet den emotionalen Charakter
historischer Werke in die Gegenwart, so dass dieser nachvollzogen werden
kann. Vorteilhaft scheint es daher zu sein, wenn der Intellektuelle die
Kunstströmungen internalisiert hat und sie vielleicht in die öffentliche
Debatte einfließen lassen kann. So wird der Primat des rational–wissenschaftlichen Diskurses in Frage gestellt. Die Vielheit der literarischen Gesellschaftsbeschreibungen und Einzelschicksale gibt dem Intellektuellen
einen Überblick über die Mannigfaltigkeit menschlicher Lebensformen
und befähigt ihn, Seiten und Bedürfnisse seiner Gesellschaft zu kennen
25
26
Vgl. Sedmak, Clemens, Erkennen und Verstehen. Grundkurs Erkenntnistheorie und
Hermeneutik, Innsbruck 2003, 134ff.
Ebd, 139.
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29
und unter diversen Gesichtspunkten zu erörtern. Vom Intellektuellen
kann man natürlich nicht eine Detailkenntnis der musischen, künstlerischen und historischen Tradition erwarten, vielmehr soll das Vermögen
angesprochen werden, sich kulturhistorisch orientieren zu können.
In den Bereich der kognitiven Fähigkeiten fällt weiters, dass der Intellektuelle sich in einer Disziplin spezialisiert hat. Er sollte selber einen Expertenstatus haben, um die Problematik anderer Experten zu kennen. Ihm
muss das Ringen um Thesen bekannt sein, genauso wie die Tendenz, aus
dem eigenen Wissen heraus Wahrheits– und Verallgemeinerungsansprüche zu formulieren. Die Erweiterung des Spezialwissens durch Allgemeinwissen soll davor bewahren, von einem kleinen Segment voreilig auf große
Zusammenhänge zu schließen.
Der zweite Punkt, die Rolle des Intellektuellen als Kommunikator, inkludiert ein unverzichtbares rationales Element und garantiert die Vernünftigkeit. Jede Vermittlung gründet auf der Nachvollziehbarkeit des
Dargelegten, wobei diese nicht ausschließlich auf das Wort beschränkt
sein muss. Neben philosophischen, kultur– und wissenschaftskritischen
sowie politisch hellhörigen oder belletristischen Literaten können durchaus bildende Künstler oder Musiker mit ihren Kulturtechniken das Wort
ersetzen oder gar überhöhen. Als Beispiel sei hier der Musiker Igor Strawinsky angeführt, der bew usst mit seinen rhythmisch prägnanten Kompositionen Maschinenlärm imitierte, um so die Abhängigkeit des Menschen
von Maschinen, vor allem aber den durch die Maschinen bestimmten Lebensrhythmus des Menschen pointiert darstellte. Gleiches kann über Johann Sebastian Bach ausgesagt werden, der wiederholt naturwissenschaftliche Erkenntnisse, wie z.B. die Abstände der einzelnen Planeten als Intervalle, in seine Kompositionen mit einbezog und so die empirische Weltdeutung in die Alltagswelt einfließen ließ. Auch in den bildenden Künsten
lassen sich Beispiele finden. Erinnert sei hier an Francisco de Goya, der
besonders mit seinen Karikaturen von Adel und Klerus Prunksucht, Herrschaftsgelüste und Unterdrückung, also gesellschaftliche Zustände anprangerte.
Gemeinsam ist diesen Beispielen, dass diese Künstler alle zum einen
Experten waren, sich durch besonderes Wissen und durch außergewöhnliche Techniken auszeichneten, zum anderen jedoch zugleich ihre Ausdrucksfähigkeit für das allgemein Gesellschaftliche nutzten und so Be-
30
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schreibungen abgaben, respektive Kritik übten. Die Rolle als Kommunikator kann nur wahrgenommen werden, wenn die Vermittlung von Inhalten auch funktioniert, was bedeutet, dass Nachvollziehbarkeit ein notwendiges Kriterium ist. In der Verbalisierung scheinen Merkmale wie innere Konsistenz, Ausgehen von allgemein anerkannten Prinzipien auf und
verhindern so subjektive Verstiegenheiten.
Die Rolle des Intellektuellen als Kommunikator bedingt die Hinwendung an ein breites Publikum. Das Konstitutivum Öffentlichkeit sollte
dabei nicht nur als Auditorium, sondern auch als ausgelagertes geistiges
Organ des Intellektuellen aufgefasst werden. Öffentlichkeit wird einmal
begriffen als Zielpunkt medial vermittelter Inhalte und einmal als der Ort,
aus dem sich der Intellektuelle Inhalte für Überlegungen holt und der
Anlass für Analysen und Differenzierungen ist. Die erste Art der Öffentlichkeit wird als präsentierte Öffentlichkeit bezeichnet, denn sie ist der
Ort, an dem die Ausführungen des Intellektuellen einem breiten Publikum
zugänglich gemacht werden.
Die zweite Art der Öffentlichkeit kann als mediale Plattform verstanden werden, in der Äußerungen prinzipiell von jedem aufgenommen und
nachvollzogen werden können. Diese Form der Öffentlichkeit lässt sich
treffend mit sensitive Öffentlichkeit beschreiben. Die Welt– und Fakteninterpretation, die hier dargeb oten wird, wird über die physischen Sinne
aufgenommen. Neben dieser in Rundfunk, Zeitung und Fernsehen dargebotenen Welt existiert noch die nicht fertig formulierte Welt. Die Öffentlichkeit als Organ des Intellektuellen nimmt hier verschiedene Strömungen wahr und erkennt einen emergierenden Zeitgeist. Für diese Form von
Öffentlichkeit bietet sich der Ausdruck sensible Öffentlichkeit an, denn sie
stellt sozusagen den sechsten Sinn des Intellektuellen dar, ist also ein
Vermögen, das nicht jedem in gleicher Weise zur Verfügung steht.
Die Öffentlichkeit des Intellektuellen kennt somit drei Dimensionen.
Sensitive und sensible Öffentlichkeit gelten als subjektive Wahrnehmungsweisen. Anders verhält es sich mit der präsentierten Öffentlichkeit,
sie stellt das intersubjektive Moment und bietet folglich kriteriologische
Möglichkeiten, einen Kandidaten für den Status als Intellektueller zu besprechen. Die präsentierte Öffentlichkeit als vermittelter Inhalt birgt Kriterien, die einen Denker als Intellektuellen ausweisen. Das kann an einem
Beispiel exemplifiziert werden. Es lohnt sich allerdings, zuvor noch eine
hinführende und grundsätzliche Überlegung anzustellen.
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31
Die präsentierte Öffentlichkeit – also der durch die Medien vermittelte Inhalt – variiert und es zeigt sich gleich auf den ersten Blick eine
scheinbar unüberwindbare Hürde. Wie können die vielfältigen Themen,
die Intellektuelle in der Öffentlichkeit präsentieren, so zusammengefasst
werden, dass sich dabei ein gemeinsamer Nenner findet? Sind die verschiedenen Fachrichtungen nicht in unzählige Subdisziplinen aufgesplittert, aus deren unterschiedlicher Perspektive heraus die divergierenden
Veröffentlichungen resultieren? Macht es daher diese Einsicht unmöglich,
den in der Öffentlichkeit dargebotenen Inhalt des Intellektuellen zu sortieren? Nicht wirklich, denn jeder Inhalt wird immer mittels einer gewissen
Form dargeboten, d.h. einen „nackten“ Inhalt, einen Inhalt ohne Verpackung gibt es nicht. Somit gerät das Wie in den Blickpunkt. Aus dieser
Perspektive heraus wird als Inhalt nun nicht mehr ein angesprochenes
Faktum, eine vorgenommene Beschreibung oder Analyse verstanden,
sondern zusätzlich und etwas modifiziert Inhalt auch als Art und Weise
der Vermittlung aufgefasst. Ein anschauliches Beispiel, das die Problematik der präsentierten Öffentlichkeit vor Augen führt und die Frage nach
dem Intellektuellen stellt, hilft hier weiter.
Der „agent provocateur“ Peter Sloterdijk
Peter Sloterdijk leitet als Rektor die Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe und doziert dort als Professor für Philosophie und Medientheorie.
1983 wurde er mit seinem Buch „Kritik der zynischen Vernunft“ über den
engen Kreis der akademischen Philosophie hinaus bekannt. Berühmtheit
erlangte er anlässlich seines Vortrages „Regeln für den Menschenpark?
Ein Antwortschreiben zu Heideggers Brief über den Humanismus.“27
Von Interesse ist in diesem Zusammenhang weniger seine philosophische Ausrichtung bzw. inhaltliche Gewichtung, sondern vielmehr sein
Umgang mit Inhalten, die Art und Weise der Vermittlung wie auch seine
Präsenz und sein Verhalten in der Öffentlichkeit. Natürlich zählen hierzu
auch die Entgegnungen, die ihn aus den Medien erreichen, lösen sie doch
eine Reaktion aus und bestimmen so zumindest indirekt die Antwort. Es
scheint deshalb auch angebracht zu sein, den Intellektuellen nicht nur
durch sich selbst bestimmen zu lassen, sondern ihm eine zweite, nämlich
27
Sloterdijk, Peter, Regeln für den Menschenpark. Ein Antwortschreiben zu Heideggers
Brief über den Humanismus, Frankfurt a.M. 1999.
32
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die ihm von der Öffentlichkeit zugewiesene Beschreibung zukommen zu
lassen. Diese andere Zugangsweise zeigt den Intellektuellen nicht als einen
monologisierenden Menschen, sondern als Person, die in einem spannungsgeladenen Verhältnis von Rede und Gegenrede steht.
Zuerst wird hier in einer Kurzfassung der Duktus dieser Rede wiedergegeben und anschließend die breite öffentliche Diskussion.
Das breite öffentliche Interesse an Sloterdijk geht auf den Vortrag
„Regeln für den Menschenpark“ in Schloss Elmau (Oberbayern) im Juli
1999 zurück. Das Symposion, in dessen Rahmen Sloterdijk sprach, wurde
vom Van–Leer–Institut Jerusalem und dem Franz Rosenzweig–Center der
Hebräischen Universität Jerusalem mitorganisiert.
Diese Information ist für das Verständnis der Debatte nicht unerheblich, richtete sich doch ein nicht unbeträchtlicher Teil der Diskussion darauf, dass beim Vortrag jüdische Wissenschafter anwesend waren und es
einem Affront gleichkam, dass Humanismus als Zähmungs– und Züchtungsmethode beschrieben wird28. Unter Bezug auf Heidegger und Nietzsche 29 entsteht für Sloterdijk die Frage nach der Menschenzüchtung. „Die
Lichtung ist zugleich der Kampfplatz und ein Ort der Entscheidung und
der Selektion. […] Wo Häuser stehen, dort muss entschieden werden, was
aus den Menschen, die sie bewohnen, werden soll; es wird in der Tat und
durch die Tat entschieden, welche Arten von Häuserbauern zur Vorherrschaft kommen.“ 30 Nach Nietzsche sind – Sloterdijks Interpretation nach
– die Menschen vor allem „erfolgreiche Züchter“31. Von hier an wendet
28
29
30
31
„Humanismus als Wort und Sache hat immer ein Wogegen, denn er ist das Engagement für die Zurückholung des Menschen aus der Barbarei“ (ebd., 16). „Das latente
Thema des Humanismus ist also die Entwilderung des Menschen, und seine latente
These lautet: Richtige Lektüre macht zahm“ (ebd., 17).
Beide galten bekanntlich beim NS–Regime als Denker deutscher Leitkultur. Hier ist
von Interesse, dass Sloterdijk im Anschluss an Heidegger seine Fragen an den Humanismus stellt und so suggeriert, als könnten sie von Heidegger selbst formuliert worden
sein: „Wer zähmt den Menschen, wenn nach allen bisherigen Experimenten mit der Erziehung des Menschengeschlechts unklar geblieben ist, wer oder was die Erzieher wozu
erzieht? Oder lässt sich die Frage nach der Hegung und Formung des Menschen im
Rahmen bloßer Zähmungs– und Erziehungstheorien gar nicht mehr auf kompetente
Weise stellen?“ (Ebd., 32).
Ebd., 37.
„Aus Zarathustras Perspektive sind die Menschen der Gegenwart vor allem eines: erfolgreiche Züchter, die es vermocht haben, aus dem wilden Menschen den letzten Menschen zu machen“ (ebd. 39). Gleich darauf liest man: „Dies ist der von Nietzsche pos-
Working Papers Theories & Commitments, Nr. 10, Jänner 2005
33
sich Sloterdijk der Menschzüchtung zu und benennt diese mit seinem Neologismus als Anthropotechnik 32. Er weitet seinen Gedanken aus und
spricht davon, „dass die Domestikation des Menschen das große Ungedachte ist“ 33, weist darauf hin, dass Machtinteressen vorhanden sind und
betont den nicht wegzuleugnenden Zusammenhang, der zwischen „Lesen“ und „Auslesen“ sowie zwischen „Lektion“ und „Selektion“ besteht.
Im Anschluss daran zitiert Sloterdijk Platons Dialog „Politikos“ und dessen „Politeia“, um seine abendländische Tradition der Menschenzüchtung
zu untermauern34. Menschenzüchtung kann nicht geleugnet werden, sie
wurde bereits von Platon angedacht, jetzt kommt es aber darauf an, einen
„Codex der Anthropotechniken zu formulieren“ 35, weil es durchaus möglich ist, dass der Mensch einmal in die Lage kommt, eine genetische
Merkmalsplanung vorzunehmen 36. Sloterdijk rekurriert daraufhin auf die
Aufgabe von Platons königlichem Herrscher, „dass er die für das Gemeinw esen günstigsten Eigenschaften freiwillig lenkbarer Menschen auf
die wirkungsvollste Weise ineinander zu flechten versteht, so daß unter
seiner Hand der Menschenpark zur optimalen Homöostase gelangt.“ 37
Nach der „faschistischen Eugenik“ und einem Blick in die Zukunft, ins
„biotechnologische Zeitalter“, ergibt sich hier eben eine brisante Fragestellung. Der platonisch–königliche Herrscher wäre dann der Vollhumanist. „Die Aufgabe dieses Über–Humanisten wäre keine andere als die Ei-
32
33
34
35
36
37
tulierte Grundkonflikt aller Zukunft: der Kampf zwischen den Kleinzüchtern und den
Großzüchtern des Menschen …“ (ebd., 40).
„Aber der Diskurs über die Differenz und Verschränkung von Zähmung und Züchtung, ja überhaupt der Hinweis auf die Dämmerung eines Bewußtseins von Menschenproduktion und allgemeiner gesprochen: von Anthropotechniken – dies sind Vorgaben,
von denen das heutige Denken den Blick nicht abwenden kann …“ (ebd., 41f.).
Ebd., 43.
„Es ist die Signatur des technischen und anthropotechnischen Zeitalters, daß Menschen
mehr und mehr auf die aktive oder subjektive Seite der Selektion geraten, auch ohne
daß sie sich willentlich in die Rolle des Selektors gedrängt haben müßten“ (ebd., 44).
Ebd., (45).
„Ob aber die langfristige Entwicklung auch zu einer genetischen Reform der Gattungseigenschaften führen wird – ob eine künftige Anthropotechnologie bis zu einer expliziten Merkmalsplanung vordringt; ob die Menschheit gattungsweit eine Umstellung vom
Geburtenfatalismus zur optionalen Geburt und zur pränatalen Selektion wird vollziehen können – dies sind Fragen, in denen sich, wie auch immer verschwommen und
nicht geheuer, der evolutionäre Horizont vor uns zu lichten beginnt“ (ebd., 46f.).
Ebd., 53.
34
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genschaftsplanung bei einer Elite, die eigens um des Ganzen willen gezüchtet werden muss.“ 38
Dieser kurze Überblick macht klar, dass diese Rede einiges an Diskussionsmaterial in sich birgt. Interessant und selten erwähnt ist, dass Sloterdijk im gleichen Jahr bei einer Tagung über „Neue Wege des Humanismus“ anlässlich der Basler Humanismus–Feierlichkeiten denselben Vortrag gehalten hat – ohne jedoch ein solches Echo ausgelöst zu haben.
Der Ort und die geladenen Gäste bestimmten zumindest die erste Rezeptionsphase. So betitelt die „Frankfurter Rundschau“ (24.7.99) „Geister
und realer Spuk. Wie Peter Sloterdijk jüdische Denker das Entsetzen
lehrte“. Kurz darauf (26.7.99) will die „Süddeutsche“ wissen „Wer zähmt
die Philosophen?“, nachdem Sloterdijk laut „Süddeutscher“ dafür plädierte, die Menschen nicht durch Aufklärung, sondern durch Züchtung zu
verändern. Spätestens nach der Entgegnung Sloterdijks in der „Frankfurter Rundschau“ (31.7.99) weitet sich der Interessentenkreis, so dass Rezeption und Diskussion zum täglichen Intellektuellenthema werden. Sloterdijk titelt seine Klarstellung mit „Halluzinationen und Lügen“, spricht
von „lasziven Missdeutungen“ und von der „Jungen Ahnungslosigkeit“,
die dabei sei, „sich in den meisten Feuilletonredaktionen einzunisten“.
Reaktionen, die auf die deutsche Vergangenheit anspielen, ließen sich
noch genügend zitieren, doch verebbt diese Diskussion, nachdem eine
wegen der vorgetragenen Vorwürfe stattgefundene Diskussionsrunde unter der Leitung von Christoph Schmidt (Van–Leer–Institut, Jerusalem) die
Anschuldigen gegen Sloterdijks Anspielungen zurückwies.
Die zweite Rezeptionsphase wird durch einen „Zeit“–Artikel von
Thomas Assheuer (Nr. 36/2.9.99), mit dem Titel „Das Zarathustra–Projekt.
Der Philosoph Peter Sloterdijk fordert gentechnische Revision der Menschheit“, eingeleitet 39. Sloterdijk liest und holt schreibend zu einem Gegenschlag aus, indem er in der „Zeit“ (Nr. 37/9.9.99) zwei öffentliche Briefe,
38
39
Ebd., 54.
So heißt es im Assheuer-Text: „Mit einem Paukenschlag möchte Sloterdijk die Feindseligkeiten zwischen Philosophie und Naturwissenschaften beenden, um Wissen und
Geist, Philosophie und Naturwissenschaften zu versöhnen. Ihm schwebt eine demokratiefreie Arbeitsgemeinschaft aus echten Philosophen und einschlägigen Gentechnikern
vor, die nicht länger moralische Fragen erörtern, sondern praktische Maßnahmen ergreifen. Diesem Elitenverbund fällt die Aufgabe zu, mithilfe von Selektion und Züchtung die genetische Revision der Gattungsgeschichte einzuleiten. So wird Nietzsches
schönster Traum bald wahr: die Zarathustra–Fantasie vom Übermenschen.“
Working Papers Theories & Commitments, Nr. 10, Jänner 2005
35
einen an Assheuer und einen an Habermas, schreibt. Intellektuelle kommunizieren öffentlich, die mediale Resonanz ist beträchtlich, denn Sloterdijks
Vortrag wird nicht nur in den Printmedien diskutiert, sondern er wird zu
TV-Sendungen eingeladen, beispielsweise am 10.9.99 in das 3-Sat-Magazin
„Kulturzeit“ und am 26.9.99 in die Fernsehdiskussion im Nachtstudio des
ZDF. Ein Skandal ist losgetreten worden, Material zum Lehrstück „Was
zeichnet einen Intellektuellen aus?“ wird greifbar.
Was zeigt dieser Exkurs? Peter Sloterdijk setzt sich zwar in kognitiver
Weise und philosophiegeschichtlich kundig mit der Welt und gesellschaftlich relevanten Themen auseinander, doch werfen der Aspekt der Öffentlichkeit und die Art der Präsentation die Frage auf, ob Peter Sloterdijk als
Intellektueller gelten kann. Verdächtig kommt einem doch die Freude an
oftmaliger medialer Präsenz vor sowie die Leichtigkeit und Unbeschwertheit, mit der eine ernstzunehmende und geschichtsträchtige Fragestellung
ziemlich salopp und publikumswirksam vorgetragen wird.
Bourdieu liefert hier einen gewichtigen Einwand und ein bedenkenswertes Argument, denn der Intellektuelle zeichnet sich dadurch aus, dass
er nicht der journalistischen Angewohnheit des „fast reading and fast writing“40 anheim fällt. Bourdieus Überlegung erhalten Unterstützung von
Hans–Georg Gadamer. Dieser spricht sich gegen ein solches schnelles
und verwertendes Lesen aus: „Die Philologie nennt man seit Nietzsche die
Kunst des langsamen Lesens. Das ist in Wahrheit eine mehr und mehr
verschwindende Kunst, bei etwas zu verweilen, statt durch Texte durchzueilen und die Informationen abzuernten, die in ihnen gespeichert
sind.“ 41 Im Hinblick auf Sloterdijk heißt das, der Intellektuelle missbraucht
Texte nicht zu Gebrauchstexten, er schreibt nicht, um die Gunst des Publikums zu erhaschen oder weil dieses von ihm Gedanken erwartet, die seinen Wünschen oder Vorstellungen entsprechen. Er gehorcht nicht der
Diktatur des Marktes, welche die Gefahr einer Nivellierung der wissenschaftlichen Beurteilungsmaßstäbe in sich birgt.
Besonders Journalisten, die wissenschaftliche Erkenntnisse in Medien
leicht verdaulich servieren und dabei gleich eine Einordnung des Neuen
anbieten, geben sich all zu oft den Anschein von Seriosität. Hier kommt
40
41
Vgl. Bourdieu, Die Intellektuellen und die Macht, 55.
Gadamer, Hans–Georg, Gesammelte Werke in 10 Bänden, Bd. 8, Ästhetik und Poesie,
Tübingen 1985–1995, 271.
36
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es zu einer Anmaßung, nämlich dass die Beurteilungskirterien neutral sind,
obwohl sie in Wahrheit sehr wohl einer Verkaufsstrategie entspringen und
im kommerziellen Interesse von Medieneigentümern liegen. Jeder Feuilletonjournalist beschränkt durch seine Tätigkeit das autonome Feld des
Intellektuellen.
„Allgemeiner gesagt, macht sich der Einfluss des Journalismus, mit
seinen weltläufigen Kriterien – Lesbarkeit, Aktualität, Neuigkeitswert usf. – auf die kulturelle Produktion immer stärker geltend,
namentlich mittels des Drucks, den er auf die Veröffentlichungspraxis ausübt (was etwa dazu führt, daß die Fähigkeit, dem Produkt
eine „fernsehgerechte“ Form zu geben, zu einem Maßstab intellektueller Kompetenz wird).“ 42
Die Hinwendung an ein breites Publikum gilt zwar als Bestimmungsmerkmal des Intellektuellen, doch birgt es zugleich die Gefahr, der Publikums–
und Mediengefälligkeit zu verfallen. Die Öffentlichkeit und der Umgang
mit dieser gelten daher als Kriterium, ob jemand den Status eines Intellektuellen einnimmt oder nicht.
Punkt eins in der oben angeführten Definition43 des Intellektuellen betonte die kognitive Auseinandersetzung mit Welt und Gesellschaft, Punkt
zwei die Rolle als Kommunikator und Punkt drei spricht nun die unterschiedliche Perspektive von Experten und Intellektuellen und die daraus
resultierende Einbettung von Erkenntnissen an. Um das zu ermöglichen,
ist eine profunde Kenntnis der Geschichte notwendig, um ähnlich gelagerte Situationen in der Vergangenheit zu orten, die Deutungsmöglichkeiten anbieten. Der Dialog mit der Tradition leistet dabei einen wichtigen
gemeinschafts– und identitätsstiftenden Beitrag. Das Vergegenwärtigen
der Geschichte hat zugleich ethische und politische Implikationen. In diesem Zusammenhang spricht Clemens Sedmak von einer Ethik der Erinnerung: „Es kann auch kein Zweifel darüber bestehen, dass Arbeit an der
Geschichte Arbeit an kultureller Identität ist, mit weitreichenden politischen Implikationen. ‚Erinnern’ und ‚Vergessen’ sind politisch relevant
und von Interessen gelenkt.“ 44 Geschichte ist lebendig, sie wirkt in die Ge42
43
44
Bourdieu, Die Intellektuellen und die Macht, 57.
Siehe letzter Abschnitt in Punkt 1.5.
Sedmak, Clemens, Theologie in nachtheologischer Zeit, Mainz 2003, 66.
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37
genwart hinein. Eine gute Kenntnis der Tradition ist notwendig. Anhand
des geschichtlichen Rückblickes können Analogien gezogen, Problemkonstellationen und mögliche Lösungsvorschläge aufgezeigt werden. Gedacht wird dabei nicht, dass der zurückschauende Blick die automatische
Lösung von momentanen Problemen herbeiführt, zumal gewichtige Sorgen eindeutig heutigen Ursprungs sind. Ressourcenknappheit, Überbevölkerung, Umweltverschmutzung, extremes Reichtumsgefälle zwischen 1.
und 3. Welt etc. sind eindeutig Probleme des 21. Jahrhunderts. Daneben
kennt man auch ewig wiederkehrende Themen wie die Frage nach Krieg
und Frieden, die es zu jeder Zeit gegeben hat und auch heute noch gibt.
Neben diesen allgemeinen Fragen, die die Zukunft der Menschheit betreffen, offeriert der Blick in die Geschichte die Erkenntnis, dass es vor allem
die persönlich–existentiellen Probleme sind, die stets aufs Neue auftreten.
Die Grundfragen nach Lebensorientierung und Wertmaßstäben sind, den
einzelnen Menschen betreffend, die gleichen geblieben. Welche Prioritäten werden bei der Lebensgestaltung und Ausrichtung gesetzt? Die
Kenntnis der Geschichte führt daher zu einem umfassenderen Bild und
Verständnis des Menschen und ermöglicht in der Diskussion den gesamthistorischen Kontext und die tradierten Fragen und Antworten zu berücksichtigen.
Punkt vier steht in inhaltlicher Nähe zum gerade Besprochenen: Das
Wissen um und der Blick für den größeren Zusammenhang soll helfen,
die eigene Sicht zu relativieren und Eigeninteressen hintanzustellen.
Der Intellektuelle zeichnet sich durch eine besondere Geisteshaltung
aus. Diese muss flexibel sein, sich die Neugierde bewahren, vermeintliche
Problemlösungen und etablierte (Denk)Systeme und Sichtweisen immer
wieder hinterfragen. Neugierde bewirkt Unabhängigkeit. Bei H. Blumenberg heißt es: „Neugierde, Forschungstrieb, empirische Unbefangenheit
erwachen aber gerade aus dem Tabuisierungszwang des dogmatischen
Systems, das seinen Anhängern nicht nur bestimmte Fragen und Ansprüche abschneiden muß, sondern ihnen diese Entsagung mit einer besonderen Angemessenheit aus dem System begründet.“45 Neugierde bewahrt
45
Blumenberg, Hans, Die Vorbereitung der Aufklärung als Rechtfertigung der theoretischen Neugier, in: Friedrich, H. und Schalk, F.(Hg.), Europäische Aufklärung. Herbert
Dieckmann zum 60. Geburtstag, München 1967, 26. An anderer Stelle heißt es: „Die
Neugierde erscheint dabei als in zwei Rollen aufgespalten: sie ist sowohl die treibende
Urkraft in dem unabsehbaren Prozeß, den die Menschheit ohne Rücksicht auf den Ein-
38
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vor Konformismus, sie nimmt den Status einer Arbeitshaltung ein und
verstanden als geistige Begierde fungiert sie als Triebfeder, nicht ruhig und
träge auf bereits erworbenen Erkenntnissen auszuruhen. Dies beinhaltet,
sich von den Zwängen, die durch die Normen des Berufes vorgegeben
sind, durch eine Haltung zu distanzieren, die man mit E. Said als Amateurismus bezeichnen kann. Er versteht darunter, sich „von der Liebe zu den
Dingen und dem nicht nachlassenden Interesse an einer Erweiterung der
eigenen Sicht“ 46 leiten zu lassen. Weiters schreibt er: „Es geht darum, über
alle Hindernisse und Grenzen hinweg Querverbindungen herzustellen,
sich nicht auf ein Spezialgebiet festlegen zu lassen, sich um Ideen und
Werte zu kümmern, trotz der Einschränkungen eines Berufs.“ 47 Der Intellektuelle fühlt sich zu gesellschaftlich diskutierten Themen hingezogen, er
beteiligt sich leidenschaftlich an der Debatte, es ist ihm ein Bedürfnis, bisher nicht beachtete Zusammenhänge aufzuzeigen und sie einzubringen.
In Punkt fünf zeigt sich ein bestimmendes Moment des Intellektuellen: Er lebt als Person in der Gesellschaft, denkt und fühlt für sie. Ihm ist
nicht die Wissenschaftlichkeit der Meinungsbildung das primäre Anliegen,
sondern vielmehr die intellektuelle Verantwortung. Es geht ihm nicht nur
um die Vernetzung, das Zusammendenken der verschiedenen Inhalte in
Bezug auf die Haltbarkeit wissenschaftlicher Aussagen, sondern vor allem
um die Anwendung auf den Menschen. Der Intellektuelle weiß um die
problematische Beziehung zwischen Wissenserwerb und –anwendung,
zwischen Begründungs– und Verwertungszusammenhang.
Unbedingt gilt für den Intellektuellen, dass er seine Kompetenz in den
Dienst am Menschen stellt. Jegliches Wissen orientiert sich am Interesse
für den Menschen. Der Intellektuelle schafft nicht bloß eine Kultur für
den Intellektuellen, sondern für das Wohlergehen der Menschheit, er ist
eben nicht Intellektueller für sich, der nur seine eigene Neugier und die eigenen Interessen abdeckt, das heißt ohne Sendungsbewusstsein agiert und
die Öffentlichkeit nicht in seine Überlegungen mit einbezieht.
46
47
zelnen um die Erhellung und Bewältigung der Wirklichkeit führt, als auch das diesen
Prozeß irritierende, divergierende Agens, das den Einzelnen auf dem Zugang zu der
sein Glück verbürgenden Wahrheit bestehen äl sst.“ (Ders., Der Prozess der theoretischen Neugier. Erweiterte und überarbeitete Neuausgabe von „Die Legitimität der
Neuzeit“, dritter Teil, Frankfurt a. M. 1973, 216).
Said, Götter, die keine sind, 84.
Ebd., 84f.
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39
Der Intellektuelle fühlt sich dennoch dem Ideal intellektueller Autonomie verpflichtet und lässt dabei nicht außer Acht, dass er durch Einflüsse genannter Art gefährdet ist. Die Unabhängigkeit vom Common
Sense oder von Political Correctness lenkt sein Augenmerk auf die Sache,
den Untersuchungsgegenstand. Trotzdem verhält er sich dabei nicht wie
ein auf Detailfragen ausgerichteter Experte, der von Berufs wegen spezifische Sachfragen erörtert, sondern wie ein „Amateur“, den ein leidenschaftliches und selbstloses Interesse antreibt. Die Grundhaltung ist nach
Said nie Professionalismus:
„Unter Professionalismus verstehe ich, dass man seine Arbeit als
Intellektueller als etwas begreift, womit man seinen Lebensunterhalt verdient, zwischen neun und fünf, mit einem Blick auf die Uhr
und einem zweiten Blick auf das, was als korrektes professionelles
Verhalten angesehen wird; daß man sich also nicht ungebührlich
verhält, sich nicht über die akzeptierten Paradigmen und Grenzen
hinwegsetzt, seinen Marktwert und – ganz besonders – sein Outfit
im Auge hat, also harmlos, unpolitisch und „objektiv“ wird.“ 48
Der Intellektuelle ist Person, die sich in der Gesellschaft mit ihren Mitteln
engagiert.
Natürlich ist nicht das ganze Spektrum von Anforderungen an den
Intellektuellen abgedeckt. Diese Punkte verstehen sich als Diskussionsbasis und könnten durchaus noch erweitert werden (z.B. globaler Kontext).
Außerdem ist auch denkbar, dass ein naturwissenschaftlich orientierter
Denker von seinen Detailkenntnissen ausgehend immer weiter in geisteswissenschaftliche Fachbereiche vordringt. Entscheidend ist nicht die Zugangsweise – geisteswissenschaftlich oder naturwissenschaftlich –, sondern das Interesse für den Menschen sowie der Wunsch, Querverbindungen herzustellen, den Menschen in seinem gesellschaftlichen Kontext zu
betrachten. Voraussetzung ist immer ein kritisches Bewusstsein, das sowohl die eigene Position ins Auge fasst als auch die gesellschaftliche Realität und die brennenden Fragen der Zeit.
Ziel der Festlegung – wer der Intellektuelle ist, was ihn auszeichnet –
war es, ihn als denkenden und schreibenden Menschen zu charakterisieren, als jemanden, auf den man sich beruft, der medial präsent ist. Der
48
Ebd., 82.
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40
Intellektuelle ist Sprachrohr, übt Einfluss aus. So ist weder eine Revolution noch ein Gedankengebäude ohne ihn denkbar:
„Es hat keine größere Revolution in der modernen Geschichte
ohne Intellektuelle gegeben, wie es umgekehrt auch keine größere
Konterrevolution ohne Intellektuelle gegeben hat. Intellektuelle
sind die Väter und Mütter von Bewegungen gewesen und natürlich
ihre Söhne und Töchter, ja sogar ihre Neffen und Nichten.“ 49
Daher kommt seinem Handeln Bedeutung zu, die selbstverständlich Verantwortung inkludiert. Hier stellt sich dann zwangsläufig die Frage, ob er
seinen Verpflichtungen, die seine Rolle ihm verleiht, auch nachkommt.
Anders formuliert: Die Rolle, die der Intellektuelle als Ideenlieferant innehat, impliziert gewisse genuine Anforderungen an seine Verantwortung,
die die Frage nach intellektueller Redlichkeit notwendig inkludiert.
Bevor aber die Frage nach intellektueller Redlichkeit behandelt wird,
gilt es noch, einen Blick zurückzuwerfen und zu evaluieren, ob die Definition des Intellektuellen auch an der Wirklichkeit ausgerichtet ist, ob sie
Realisierungen kennt.
2. Paradigmatische Intellektuelle der Gegenwart
2.1 Sir Karl R. Popper
Poppers skeptische Grundposition
Popper war stets bemüht, gemäß der skeptisch–kritischen Tradition, die
grundsätzliche Unwissenheit des Menschen zu betonen. Er leitet dabei
seine Position von Sokrates ab, der durch seine Fragen zur Einsicht gelangte, dass niemand wirklich etwas wisse. Als weise gilt für Sokrates nur
der, der weiß, dass er nichts weiß. Neben Sokrates verortet Popper seine
Geisteshaltung bei Xenophanes, der sagt, dass alles Wissen von Unsicherheit und Vermutung geprägt ist:
„Sichere Wahrh eit erkannte kein Mensch und wird keiner erkennen
Über die Götter und alle die Dinge, von denen ich spreche.
49
Ebd., 16.
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41
Selbst wenn es einem einst glückt; die vollkommenste Wahrheit zu künden,
Wissen kann er sie nie: Es ist alles durchwebt von Vermutung.“50
Die Grundaussagen Sokrates’ und Xenophanes’ führen bei Popper jedoch
nicht zu einem misstrauischen Zweifel, der jede Erkenntnis relativiert,
sondern erwirken eine positive Sicht. Für ihn ist Skepsis gleichbedeutend
mit „prüfend betrachten, prüfen, erwägen, untersuchen, suchen, forschen“ 51. Daraus zieht Popper die Konsequenz, dass Wissen immer bloß
vorläufig ist und darum hypothetischen Charakter hat. Diese Aussage untermauert er mit Newtons Gravitationstheorie und ihrer Widerlegung
durch Einsteins Relativitätstheorie. Jedes Wissen ist von Vermutung
durchwebt und damit nicht absolut sicher, jede noch so abgesicherte Theorie darf nur als Annäherung an die Wahrheit verstanden werden. 52
Damit lehnt Popper den klassischen Wissensbegriff, der von der Idee
der Autorität ausgeht und Wissen als Wahrheit, Gewissheit und durch zureichende Gründe für das Behauptete bestimmt, ab.53 Wahrheit als nie
endgültig erfahrbare Komponente scheidet aufgrund des XenophanesTextes aus, Gewissheit und zureichende Gründe können wegen der Widerlegung Newtons durch Einstein ebenfalls nicht berücksichtigt werden.
„Wissen“, verstanden als nicht triviales Wissen, das im Besitz von Autoritäten ist, existiert nicht mehr, weil persönliches „Wissen“ immer nur ein
Segment abdeckt und unpersönliches, welches sich in Lexikonartikel wieder findet, nie von einer Person gewusst werden kann, zumal es sich auch
permanent ändert. Persönliches Wissen existiert ausschließlich für kurze
Zeiträume auf einem abgesteckten Gebiet, es ist nur temporär. 54
Dies hat für Popper weitreichende wissenschaftstheoretische Konsequenzen: Jede Theorie darf immer nur als Annäherung an die Wahrheit
gelten. Diese Annäherung geschieht durch Vermutung und Widerlegung,
gemäß seinem Falsifikationsprinzip, d.h. durch die von ihm so genannte
50
51
52
53
54
Xenophanes, zitiert nach: Popper, Karl R., Duldsamkeit und intellektuelle Verantwortlichkeit (gestohlen von Xenophanes und von Voltaire), in: Ders., Auf der Suche nach
einer besseren Welt. Vorträge und Aufsätze aus dreißig Jahren München 112002, 220.
Popper, Duldsamkeit und intellektuelle Verantwortlichkeit, 218.
Vgl. ebd., 222.
Vgl. Popper, Über Wissen und Nichtwissen, in: Ders., Auf der Suche nach einer
besseren Welt, 44.
Vgl. Popper, Duldsamkeit und intellektuelle Verantwortlichkeit, 224f.
Working Papers Theories & Commitments, Nr. 10, Jänner 2005
42
„Methode der Elimination falscher Theorien“ 55. Wesentlich ist, dass der
Wahrheitswert einer Theorie zwar nie bestätigt werden kann, weil es kein
eindeutiges Kriterium der Wahrheit gibt, man also, falls man sie erreicht
hat, nie sicher sein kann, sie auch zu besitzen. Was legitimerweise nur vorliegen kann, ist ein rationales Kriterium des Fortschritts in der Wahrheitssuche: Wissenschaft versucht als kritische Tätigkeit Fehler zu vermeiden,
um der Wahrheit näher zu kommen. Eine Hypothese ist dann besser als
eine andere, wenn sie (i) alles erklärt, was die alte auch erklärt, (ii) einige
Fehler der alten Hypothese vermeidet und (iii) Dinge erklärt, die die alte
nicht erklären konnte.
Popper hält damit an der Idee der objektiven Wahrheit fest, er ist optimistisch, denn die Menschheit wird sich ihr immer mehr nähern. Jeder Fortschritt hat ein Kriterium, an dem er gemessen werden kann: die Annäherung an die Wahrheit. Daher bedeutet Wissenschaft Wahrheitssuche. 56
Rationaler Diskurs
Die Wahrheitssuche vollzieht sich im Rahmen eines Wettbewerbs, der den
Maßstäben rationaler Kritik und objektiver Wahrheit verpflichtet ist. Das
Prozedere sieht folgendermaßen aus:
„Auf diese Weise können sich rationale Kritik, Maßstäbe der Rationalität – einige der ersten intersubjektiven Maßstäbe – und die
Idee einer objektiven Wahrheit entwickeln. Und diese Kritik kann
sich mit der Zeit zu systematischen Versuchen entwickeln, das, was
an den Theorien und Überzeugungen anderer Leute und auch an
den eigenen schwach und falsch ist, zu entdecken.“ 57
Poppers Rezept ist demnach ganz einfach. Mehrere Theorien oder Hypothesen messen sich und versuchen ein Phänomen zu erklären. Es zählt somit zur Aufgabe der Forscher, die Theorie zu finden, die die größte Plausibilität aufweist. Wichtig ist, dass möglichst viele Theorien sich am Diskurs beteiligen, wobei gilt, dass hochwahrscheinliche Theorien grundsätzlich suspekt sind, weil sie nur eine geringe Erklärungskraft auf weisen können. Daher sind unwahrscheinliche, unkonventionelle Zugangsweisen vor55
56
57
Popper, Vermutungen und Widerlegungen. Das Wachstum der wissenschaftlichen Erkenntnis, 2000, 81.
Vgl. Popper, Über Wissen und Nichtwissen, 50f.
Popper, Vermutungen und Widerlegungen, 556.
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43
zuziehen, denn sie sind angreifbar, was heißt, dass aus ihren Fehlern gelernt werden kann. Nur so ist ein Fortschritt zur Wahrheit hin denkbar.58
Eine Gefahr, die die Zulassung möglichst vieler Theoreme zum Diskurs beinhaltet, ist Popper durchaus präsent: die Haltung eines unkritischen Relativismus. Dieser Position setzt Popper den „kritischen Pluralismus“ entgegen. Diese Grundhaltung fühlt sich der Idee der Wahrheit
verpflichtet, während der Relativismus davon ausgeht, „dass alle Thesen
intellektuell mehr oder weniger gleich vertretbar sind“59. Der unkritische
Relativismus, der eigentlich alles toleriert, ermöglicht erst Anarchie, Gewalt und Unmenschlichkeit. Der „kritische Pluralismus“ dient dem Aufbau einer besseren Welt, er ist die Kontrollinstanz, die die Theorien zulässt, schlechte eliminiert. Dabei zeigt sich, dass die Prinzipien rationaler
Diskussion zugleich ethische sind. Popper nennt drei signifikante Prinzipien, die Fehlbarkeit, die vernünftige Diskussion und die Annäherung an die
Wahrheit. 60 Hinter diesen drei Prinzipien verbirgt sich seine Idee der pluralistischen Gesellschaft, die durch prinzipielle Gleichberechtigung aller
Menschen gekennzeichnet ist. Selbstbefreiung durch Wissen ist die grundsätzliche Aufgabenstellung der Wissenschaft. Hier orientiert sich Popper
an Kant, besonders an dessen „Aufklärungsschrift“ und argumentiert,
dass Selbstbefreiung durch Wissen die Voraussetzung für die geistige Befreiung von Sklaverei, von falschen Ideen ist. 61
Duldsamkeit und Toleranz
Selbstbefreiung durch Wissen muss sich immer gewahr sein, dass dieses
Wissen bloß ein vorläufiges ist, immer nur eine besondere Form der Annäherung an die Wahrheit darstellt. Diese entspringt immer einem bestimmten Gesichtspunkt, sprich einem Erwartungshorizont. Das bedingt,
dass ein unvoreingenommener Standpunkt nicht möglich ist. Diese subjektive Perspektive erlangt im Diskurs Korrekturen, der Horizont wird
erweitert. Fehler und Einseitigkeiten werden durch die Kritik anderer aufgezeigt. Weil der Intellektuelle Fehler macht, muss er bereit sein, von an58
59
60
61
Vgl. ebd., 85.
Popper, Duldsamkeit und intellektuelle Verantwortlichkeit, 216.
Ebd., 225.
Vgl. Popper, Selbstbefreiung durch das Wissen, in: Ders., Auf der Suche nach einer
besseren Welt, 150.
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deren zu lernen und noch mehr: Er muss ihnen dankbar sein, dass sie ihn
auf Irrtümer aufmerksam gemacht haben. Andererseits erwächst dadurch
auch eine Verpflichtung, nämlich die Mitstreiter – dabei aber eingedenk
der eigenen Irrtumsanfälligkeit – auf ihre Fehler aufmerksam zu machen.62
Diese offene Grundhaltung impliziert Toleranz. Jene ist immer angebracht außer bei der Intoleranz. Positiv gesehen ist sie ein Dulden, ein
Nachsichtigsein und bezieht sich auf das Regulativ der Wahrheitssuche.
Ideal ist eine Theorie, die viele Angriffsflächen hat, die zum Argumente–
Suchen auffordert. Ziel ist nie Unangreifbarkeit, sondern der Diskurs, die
Annäherung an die Wahrheit.
Relevant wird Toleranz in der „neuen Berufsethik“, die Popper einfordert und die mit intellektueller Redlichkeit zusammenhängt. Diese ist
gekennzeichnet durch das Prinzip gegenseitiger Anerkennung und wendet
sich vehement gegen die überkommene Autoritätsgläubigkeit, die einen
unvoreingenommen rationalen Diskurs verhindert. Autoritäten schützen
sich selber, geben vor, sicheres Wissen zu besitzen und lassen jede Fragehaltung wie Suche und Neugier vermissen. Vor allem aber schützen sie
sich gegenseitig und prägen so einen Dogmatismus und Rechthaberei. 63
2.2 Vaclav Havel
Die oben angeführte Arbeitshypothese kennzeichnete den Intellektuellen
als Menschen, der nicht berufsbedingt, sprich als Experte das Wort ergreift, sondern als jemanden, der aus einem inneren pädagogischen Bedürfnis die gesellschaftspolitische und mitmenschliche Umwelt durch sein
geistiges Auge betrachtet und auf sie einwirkt.
Havels kognitive Auseinandersetzung mit Gesellschaft und Politik,
seine öffentliche Präsenz, der Blick für einen größeren Zusammenhang
und sein persönlicher Einsatz weisen ihn als paradigmatischen Intellektuellen aus. So wie seine frühen Beiträge in Literatur– und Theaterzeitschriften als auch die Theaterstücke die Atmosphäre prägten, die schließlich
zum „Prager Frühling“ führten, so werden auch seine Essays wie die
62
63
Vgl. Popper, Duldsamkeit und intellektuelle Verantwortlichkeit, 228.
Vgl. ebd., 227.
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45
Reden als Staatspräsident, genauso wie seine Vorträge oder Zeitungsartikel
gehört und nehmen Einfluss 64.
Analyse der Gesellschaftsform
Als wesentliches Konstitutivum des Intellektuellen erschien die kognitive
Auseinandersetzung mit der Lebenswelt, d.h. auch dem politischen System. So unterscheidet Havel zwischen klassischen bzw. traditionellen und
posttotalitären Diktaturen. Im Gegensatz zu posttotalitären Diktaturen
sind klassische nicht historisch verankert, denn „… oft erscheinen sie als
Laune der Geschichte, als zufälliges Ergebnis zufälliger sozialer Prozesse,
beziehungsweise der Neigung einzelner oder der Massen.“ 65 Hingegen
sind posttotalitäre Systeme historisch motiviert und Resultat einer richtigen Einschätzung von sozialen Widersprüchen einer bestimmten Zeit.
Auszeichnendes Merkmal posttotalitärer Systeme ist deren elastische Ideologie, die einer säkularen Religion gleichkommt, und dem Menschen Sinn,
Inhalt und Sicherheit zu geben vermag und so fatale Auswirkungen nach
sich zieht. „Ein integraler Bestandteil der übernommenen Ideologie ist das
Delegieren des Verstandes und des Gewissens an die Vorgesetzten, das
heißt das Prinzip der Identifizierung des Machtzentrums mit dem Zentrum der Wahrheit …“66 Was die emotionale Situation seiner MitbürgerInnen betrifft, so bemerkt Havel in klassischen Diktaturen oftmals
einen revolutionären Enthusiasmus, Heroismus und Opferbereitschaft.
Klassische Diktaturen fördern Widerspruch, fordern heraus, während in
totalitären Systemen allzu oft Resignation und Müdigkeit um sich greifen,
denn klassische Diktaturen kennen an der Spitze eine Person, von der die
Unterdrückung abhängt, während posttotalitären Systeme grundsätzlich
durch die Ideologie bestimmt werden. Diese baut eine Machtstruktur auf
und etabliert so etwas wie eine metaphysische Ordnung, vergleichbar der
64
65
66
Als Beispiel kann hier sein Artikel vom 18. 6. 2004 in der „Washington Post“, “Time to
Act on North Korea”, p. A 29, gelten. Darin fordert er die EU, die USA, Japan und
Südkorea auf, eine gemeinsame Position gegenüber Nordkorea einzunehmen: “They
must make it clear that they will not offer concessions to a totalitarian dictator. They
must state that respect for basic human rights is an integral part of any future discussions with Pyongyang.”
Havel, Versuch in der Wahrheit zu leben, aus dem Tschechischen von G. Laub,
Reinbek b. Hamburg 102000, 11.
Ebd., 12.
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Monadologie von Leibniz: „Sie gibt allen diesen Gliedern die „Spielregeln“, das heißt bestimmte Regeln, Limits und Gesetzmäßigkeiten. Sie ist
das grundlegende Kommunikationssystem, das der ganzen Machtstruktur
gemeinsam ist und das sie integriert, ihr die innere Verständigung, Übertragung von Informationen und Anweisungen ermöglicht.“67
Als metaphysische Ordnung übernimmt sie dabei auch eine humanisierende Funktion: Ideologie gibt vor, sich auf die Welt zu beziehen und
gaukelt dem Menschen dabei die Illusion vor, er sei eine sittliche und würdige Person, wobei sie in Wirklichkeit einzig und allein den Existenzverfall
des Menschen beschleunige, Oberflächlichkeit, Anpassung und Verflachung bewirke.68 Der Mensch betrügt sich mittels der Ideologie selber,
sie verunmöglicht wahres Menschsein und ist für das „Leben in Lüge“
verantwortlich.
Die Ideologie entfaltet nicht nur in Bezug auf den persönlichen und
individuellen Lebensvollzug eine lähmende Wirkung, sondern verändert
auch ihre Funktion in Hinblick auf ihre gesellschaftspolitische Bedeutung:
War die Ideologie anfangs noch dazu da, die politische Macht zu lenken
und zu reglementieren, ihr die Legitimation zu verschaffen, so verkehrt
sich ihre Rolle: „Die Macht fängt an ihr zu dienen. Die Ideologie ‚entmachtet die Macht’, sie wird quasi selbst zum Diktator. Es scheint dann,
dass die These selbst, das Ritual selbst, die Ideologie selbst über Menschen
entscheiden und nicht die Menschen über sie.“ 69
Gewaltlosigkeit
Alle politische Macht dient in posttotalitären Regimen der Ideologie, es
kann daher zu keinem alternativen politischen Leben kommen. Politik
wird als Spiel um des Spieles willen wahrgenommen und hat jede Anbindung an alltägliche Sorgen verloren. Politische Veränderungen kommen
deshalb nicht von Politikern, sondern von Mathematikern, Philosophen,
Physikern, Schriftstellern, Historikern und einfachen Arbeitern, denn sie
leben am Puls der Zeit und haben einen nüchternen Blick für die Wirklichkeit, der nicht durch Visionen und abstrakte Utopien verstellt ist. Der
Kampf um die Freiheit, um die Verteidigung der Menschen– und Bürger67
68
69
Ebd., 19.
Vgl. ebd., 15.
Ebd., 20.
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47
rechte basiert dabei auf dem Legalitäts– und nicht auf dem Widerstandsprinzip. Widerstand ist nur dort angemessen, wo sich das System in Bewegung befindet wie beispielsweise in Kriegssituationen oder politischen, respektive sozialen Konflikten. Die posttotalitäre Gesellschaft ist hingegen
stabil, die Menschen beschäftigen sich mit der Anhäufung von Konsumgütern und würden deshalb einen Widerstand nicht akzeptieren. Ein Aufstand würde die Bürger nur stärker an das System binden.
Der eigentliche Grund, warum nicht der Widerstand gewählt wird,
liegt nicht in diesen Überlegungen, sondern in der prinzipiellen Ablehnung von Gewalt, denn Widerstand setzt auf Gewalt und erzeugt deshalb
auch (Gegen)Gewalt.70 Havel kennt nur eine Ausnahme, in der Gewalt zulässig ist: „Allgemein kann sie [die Dissidentenbewegung] dieses Prinzip
nur als notwendiges Übel in extremen Situationen akzeptieren, wenn man
sich der direkten Gewalt nicht mehr anders als durch Gewalt widersetzen
kann, wenn der Verzicht darauf die Unterstützung der Gewalt bedeuten
würden!“ 71 Jede Bewegung, die die Menschen– und Bürgerrechte einfordert, wird daher auf Gewalt verzichten müssen – eigentlich ist ihr diese
sogar wesensfremd, denn sie setzt auf das Legalitätsprinzip. Dieses besagt
wiederholtes öffentliches und offenes Auftreten, Insistieren auf Einhaltung der Gesetze und Hinweisen, dass dieses Begehren im Einklang mit
den Gesetzen steht. Dieses Legalitätsgesetz wird von den Menschen immer spontan und universell akzeptiert. 72
70
71
72
Vgl. Havel, Sommermeditationen, aus dem Tschechischen von J. Bruss, Reinbeck b.
Hamburg 1994, 130.
Havel, Versuch, 62f. So sieht Havel im europäischen Pazifismus einen wesentlichen
Auslöser für den 2. Weltkrieg, weil die Achtung vor der eigenen theoretischen Konzeption so hoch ist, dass ein Abrücken davon unvorstellbar wird.
In diesem Zusammenhang stellt sich Havel natürlich die Frage, ob es sinnvoll ist, sich
auf Gesetze zu berufen und deren Einhaltung einzufordern, wenn sie ohnehin nur Fassade sind und eine Form der totalen Manipulation darstellen. Dennoch ist dies die einzige Möglichkeit, zumal dabei die Verlogenheit des Systems zutage tritt: „Die Berufung
auf das Gesetz ist nämlich genau der Akt des ‚Lebens in Wahrheit’, der potentiell den
ganzen verlogenen Bau eben in seiner Verlogenheit bedroht: Er enthüllt immer wieder
vor der Gesellschaft und vor ihren Machtstrukturen den rituellen Charakter des Gesetzes“ (ebd., 68).
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Selbstreflexion
Der Begriff der Opposition wird in den ehemaligen Ostblockländern immer mit dem des Dissidententums in Verbindung gebracht, wenn nicht
sogar gleichgesetzt. Havel als einer der bekanntesten Dissidenten setzt
sich mit diesem Terminus auseinander: Kennzeichnend ist (i) ihre nonkonformistische und kritische Einstellung, die sie öffentlich und systematisch darlegen, wodurch sie (ii) Respekt im In– und Ausland ernten und so
im eigenen Land über ein gewisses Ausmaß an indirekter und tatsächlicher
Macht verfügen. (iii) Ihre Kritik transzendiert den lokalen Kontext, wobei
(iv) im Westen zumeist unabhängig von ihrem Beruf allgemein von Bürgerrechtlern gesprochen wird. (v) Dissidenten sind schreibende und intellektuell veranlagte Menschen. 73
Dieser positiven Charakterisierung steht ein gewisses Unbehagen
prinzipieller Natur und persönlicher Eigenart gegenüber: Zum einen ist
der Terminus etymologisch äußerst fragwürdig, denn „Dissident“ bedeutet „Abtrünniger“, was jedoch nicht zutrifft, denn der Dissident ist sich
selber treu geblieben. Außerdem ist „Dissident“ keine Berufsbezeichnung
für einen notorischen Nörgler und Unzufriedenen. Dissidenten finden
sich in vielen Berufsgruppen und Dissidententum meint ursprünglich, eine
gewisse Einstellung zu haben, nämlich das „Leben in Wahrheit“ zu leben.
Irreführend ist weiter, dass der Eindruck erweckt wird, dass es sich hierbei
um eine gesellschaftliche Kategorie handelt. Übersehen wird hier das bestimmende Moment der Zufälligkeit. Oft sind es bestimmte Situationen,
die eigene Vergangenheit oder zufällige Umstände, die dazu führen, dass
man opponiert. Vor allem mahnt Havel Bescheidenheit ein, wenn er betont, dass Dissidenten sich für andere Bürger einsetzen, aber durch eine
solche Bezeichnung als etwas Besonderes gehandelt werden und damit
eine Distanz zu ihren Mitbürgern aufgebaut wird.
Der moralische Mensch steht im Zentrum
In posttotalitären Diktaturen verliert der individuelle Mensch an Gewicht
und Bedeutung, er wird funktionalisiert und dient ausschließlich der Aufrechterhaltung und Eigenbewegung des Systems. Der Mensch schuf aus
freien Stücken ein solches System, wobei das posttotalitäre nur eine Fa73
Vgl. Havel, Versuch, 47f.
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49
cette einer generellen Unfähigkeit des modernen Menschen darstellt. „Die
‚Eigenbewegung’ unseres Systems ist nur eine bestimmte spezielle und
extreme Version der globalen ‚Eigenbewegung’ der technischen Zivilisation. Das menschliche Versagen, das dieses System widerspiegelt, ist nur
eine der Varianten des allgemeinen Versagens des modernen Menschen.
Die planetare Krise der menschlichen Situation durchdringt freilich die
westliche Welt genauso wie die unsere, nur dass sie dort andere gesellschaftliche und politische Formen annimmt.“ 74 Der große Unterschied
zwischen West und Ost findet sich lediglich in der Manipulationsmethode.
Diese problematische menschliche Situation wurzelt einmal in der
Technikgläubigkeit und einmal im Verzichten und Verdrängen eines höheren Sinns, den er unter anderem im Christentum gegeben sieht. 75 Das
Fehlen dieses höheren Sinns hat Auswirkungen, denn der Mensch verliert
seine sittliche und geistige Integrität. 76 Diese moralische Krise bewirkt ein
„Leben in Lüge“. Der Mensch ist der Konsumwertskala verfallen, hat kein
74
75
76
Ebd., 84. Havel rekurriert hier auf M. Heidegger, der von einer Krise der Demokratie
spricht, und indirekt auf E. Husserl und dessen Vortrag „Die Krisis des europäischen
Menschentums und die Philosophie“, gehalten im Mai 1935 in Wien. Besonders inspiriert ist Havel jedoch von Heidegger und seiner Techniksicht: „Die Technik – dieses
Kind der modernen Wissenschaften, die wiederum ein Kind der neuzeitlichen Metaphysik ist – glitt dem Menschen aus der Hand, hörte auf, ihm zu dienen, versklavte ihn
und zwang ihn, ihr bei der Vorbereitung seines eigenen Verderbens zu assistieren. Der
Mensch weiß keinen Ausweg: Er verfügt über keine Idee, keinen Glauben, geschweige
denn über eine politische Konzeption, die ihm die Herrschaft über die Situation zurückgeben könnte“ (ebd., 83).
Mehrmals betont Havel in seinen Reden als Staatspräsident die Aufgabe des Staates,
kirchliche Einrichtungen wie Ordenshäuser zu unterstützen, weil sie das geistige, sittliche und kulturelle Niveau der Staatsbürger heben. So beispielsweise in: Vaclav Havel,
Demokratie ist das Werk des Menschen. Rede anlässlich der Föderalversammlung, am
29.6.1990, in: Ders., Angst vor der Freiheit. Reden des Staatspräsidenten, Reinbek b.
Hamburg 1991, 92. Daneben findet sich bei Havel noch eine esoterische bzw. religionspluralistische Haltung: „That is the awareness of our being anchored in the earth and
the universe, the awareness that we are not here alone nor for ourselves alone, but that
we are an integral part of higher, mysterious entities against whom it is not advisable to
blaspheme. This forgotten awareness is encoded in all religions.” (Vaclav Havel: The
Need for Transcendence in the Postmodern World, in: http://www.worldtrans.org/
whole/havelspeech.htlm. Diese Rede hielt Havel am 4.7.1994 in der Independence Hall
in Philadelphia.)
Vgl. Havel, Angst vor der Freiheit. Von welcher Republik ich träume, Neujahrsansprache 1990, 11. Havel hält fest, dass der Mensch niemals nur Produkt der äußeren Welt
ist, sondern die Fähigkeit hat, sich auf etwas Höheres zu beziehen, auch wenn versucht
wird, diese Anlage zu zerstören.
50
Working Papers Theories & Commitments, Nr. 10, Jänner 2005
Gefühl höherer Verantwortung, ist nur dem eigenen Überleben verpflichtet, er ist daher ein demoralisierter Mensch. 77 Ganz anders das „Leben in Wahrheit“, es ist ein moralischer Akt, denn der Mensch übernimmt
Verantwortung für sich. Das „Leben in Wahrheit“ kennt vier Dimensionen, eine existentielle (man lebt authentisch), eine noetische (nüchterner
und unvoreingenommener Blick für die Wirklichkeit), eine moralische (es
ist beispielgebend) und eine politische. 78 Das „Leben in Wahrheit“ kann
aktiv und passiv sein, d.h. Dinge einfach nicht mehr tun oder etwas Konkretes unternehmen, was das Größere darstellt. Das „Leben in Wahrheit“
ist zuallererst eine innere Haltung, die nicht auf Gesetzen beruht und auch
nicht von idealen Gesetzen bewirkt werden kann. Gesetze schaffen nicht
das Bessere, dieses ist immer ein Werk des Menschen. 79 Havel fordert daher die Hinwendung zum konkreten Menschen, dem Menschen im Hier
und Jetzt und spricht von einer „existentiellen Revolution“ 80, die eine höhere Verantwortung impliziert und auf einer inneren Beziehung zum
Mitmenschen basiert: „Es handelt sich dabei also um die Rehabilitierung
solcher Werte wie Vertrauen, Offenheit, Verantwortung, Solidarität,
Liebe.“81 Dazu braucht es nicht Institutionen, sondern kleinere Strukturen, persönliches Vertrauen und persönliche Verantwortung. Diese Forderung kann nur dann erfüllt werden, wenn jeder bei sich ansetzt und in seinem persönlichen Umkreis die Welt verändert.82
2.3 Carl Friedrich von Weizsäcker
Es fällt nicht schwer, Carl Friedrich von Weizsäcker als Intellektuellen par
excellence auszuweisen. Für ihn ist der Blick über die einzelnen Wissenschaftsdisziplinen hinaus kennzeichnend, der eben nicht Ergebnisse eines
Fachbereiches verabsolutiert, sondern seinen Blick auf das Ganze richtet.
77
78
79
80
81
82
Vgl. ders., Sommermeditationen, 131.
Vgl. ders., Versuch, 28.
Vgl. ebd., 69.
Vgl. ders., Sommermeditationen, 118.
Ders., Versuch, 87.
Vgl. ders., Sommermeditationen, 132f. Havel setzt bei sich an: „Nämlich: unter allen
Umständen mich bemühen, anständig, gerecht, tolerant und verständnisvoll zu sein, zugleich aber unbestechlich und nicht zu belügen, kurz gesagt mich bemühen, mit aller
Kraft und dauernd in Übereinstimmung mit meinem Gewissen und meinem besseren
Ich zu sein“ (ebd., 132).
Working Papers Theories & Commitments, Nr. 10, Jänner 2005
51
So manifestieren sich in seinem Denken Einsichten aus Physik, Philosophie, Religion und Politik 83. Neben dieser kognitiven Auseinandersetzung
mit der sinnlichen, geistigen und gesellschaftlichen Welt, sticht besonders
sein öffentliches Engagement in sozialen und politischen Belangen hervor.
Besonders in der Auseinandersetzung um die atomare Aufrüstung während der Zeit des Kalten Krieges wird er einer breiten Öffentlichkeit bekannt, wobei er nicht parteipolitische oder blockspezifische Interessen
vertritt, sondern für das Wohl der Menschheit agiert 84.
Wissenschaft als Kulturtechnik
In Bezug auf Objektivität, Genauigkeit und Nachvollziehbarkeit der Naturwissenschaften wird der Physiker Weizsäcker vom Philosophen Weizsäcker relativiert: In der Wissenschaft herrscht der Empirismus. Erfahrungen werden gesammelt, die anschließend in mathematische Theorien
transformiert werden, um dann für die Vorhersage von zukünftigen Erfahrungen verwendet zu werden. Dieser Empirismus, der deskriptiv oder
dogmatisch verstanden werden kann, weist allerdings Schwächen auf: Der
beschreibende Empirismus muss die Tatsache akzeptieren, dass die Beschreibungen nie wirklich genau sind und auch nicht erklären, wie Erfahrung überhaupt zustande kommt. Der dogmatische Empirismus erklärt
die Erfahrung zur einzigen Grundlage menschlicher Erkenntnis, was allerdings nur eine wahre oder eine falsche Behauptung, nicht aber eine Tatsache darstellt. Nach Hume, Kant und Popper kann aus der Erfahrung
keine wissenschaftliche Theorie logisch abgeleitet werden, weshalb man
auch nicht aus der Kenntnis der Vergangenheit logisch auf die Zukunft
schließen kann 85. Konsequenz aus diesen Überlegungen ist für Weizsäcker
nicht ein Relativismus oder Skeptizismus, sondern die Suche nach einer
83
84
85
Gut erkennbar wird das in der Werkbiographie über Weizsäcker von D. Hattrup (Carl
Friedrich von Weizsäcker. Physiker und Philosoph, Darmstadt 2004), in der Physik,
Philosophie, Politik und Religion die Buchgliederung vorgeben und Weizsäckers Denken anhand dieser Themenschwerpunkte erläutert wird.
In der „Göttinger Erklärung“ von 1957 sprechen sich Weizsäcker und andere Wissenschafter unmissverständlich gegen die Herstellung oder Erprobung von Atomwaffen
aus und verweigern ihre Mitarbeit an solchen Projekten im Vorhinein.
Vgl. Weizsäcker, Die philosophische Interpretation der modernen Physik. Erste Vorlesung, in: Köhler, Werner (Hg.], Reden in der Leopoldina. Zum 80. Geburtstag des Physikers, Philosophen und Leopoldina–Mitglieds, Leipzig 1992, 132–135.
52
Working Papers Theories & Commitments, Nr. 10, Jänner 2005
neuen Zugangsweise. Diese findet er durch Thomas Kuhn, der Wissenschaft als ein Rätsellösen unter Anleitung eines bestimmten Paradigmas
und wissenschaftliche Revolutionen als Veränderungen eines solchen Paradigmas versteht. Das Paradigma diktiert dabei die Regeln, nach denen
die Wissenschafter forschen. In Anlehnung an Kuhn hängt für Weizsäcker
die Krise des Empirismus direkt mit dieser Erkenntnis zusammen, denn
die so genannten Tatsachen hängen von unserem eigenen Paradigma ab.
Es gibt also keine selbstständige und unabhängige Erfahrungsgrundlage,
die Sinnesdaten sind Resultat des jeweils vorherrschenden Paradigmas.
Weizsäcker relativiert die Wahrheit der Naturwissenschaft: „Unsere Naturwissenschaft sagt, wie man in der Natur handeln kann; sie sieht die
Natur so, wie sie der Willens– und Verstandeskultur erscheinen muss.
Diese Erscheinung ist kein Schein, aber sie ist nicht die volle Wahrheit.
Die volle Wahrheit wird keiner uns bekannten Kultur bekannt; jede Kultur hat ihr immanente Wahrnehmungsbedingungen.“ 86
Der dennoch nicht leugbare Fortschritt der Wissenschaften geschieht
mittels Revolutionen, wobei die Entwicklung der Wissenschaft – in Rekurs auf Darwins Selektionstheorie – nicht eine „Entwicklung zu“, sondern
eine „Entwicklung aus“ ist. Auf einer bestimmten Ebene agiert der Forscher nach den Regeln des jeweilig gültigen Paradigmas. Hier ist Philosophie kontraproduktiv. Wenn aber das überkommene Paradigma nicht mehr
richtig greift, kommt jemand auf einen neuen Gedanken, löst damit eine
Revolution aus und verabschiedet das alte Paradigma87. Bei dieser These
von Kuhn, der Weizsäcker zustimmt, bleibt er allerdings nicht stehen,
denn er ist davon überzeugt, dass es eine gute, allgemeine Theorie gibt, die
die alte rechtfertigt und ihr eine Ex–post–Rechtfertigung verleiht, die sie
als Grenzfall in die neue eingliedert. Der Weg der Physik führt daher trotz
Ausdifferenzierung in vielen Subdisziplinen zur Vereinheitlichung 88.
Das Wesen der Physik ist die Theorie und diese stellt neben Praxis
und Kunst eine der drei großen Ebenen der abendländischen Kultur dar,
die von den Griechen übernommen wurden. „Die Theorie, als der Zentralbegriff, das ist das distanzierte Anschauen des Wahren und Falschen,
86
87
88
Ders., Der Naturwissenschaftler, Mittler zwischen Natur und Kultur, in: Ders., Der
Garten des Menschlichen. Beiträge zur geschichtlichen Anthropologie, München, 100.
Vgl. ders., Ebenen und Krisen in der Entwicklung der Wissenschaft, in: Köhler, Werner
(Hg.], Reden in der Leopoldina, 276.
Vgl. ders., Die philosophische Interpretation der modernen Physik, 136.
Working Papers Theories & Commitments, Nr. 10, Jänner 2005
53
distanziert vom Affekt, nur wissen wollen, was ist.“ 89 Damit das für die
Griechen möglich wurde, bildeten sie die Theorie am Paradigma der Mathematik. Die Mathematik generiert dabei intellektuelle Gestalten, die sie
nicht als erfunden, sondern als entdeckt bezeichnet. Hier findet sich nun
die Verbindung von Physik, Mathematik und Wirklichkeit: „Theoretische
Physik ist die Anwendung der Mathematik auf die Wirklichkeit.“ 90
Das Nachdenken über und das Umgehen mit Natur stellt jedoch nicht
ein Privileg der Naturwissenschaft dar, sie ist nur eine besondere und vor
allem auch kulturelle Verhaltensweise zur Natur, die für das Abendland
kennzeichnend ist. Die mathematische Naturwissenschaft ist nicht in allen
Hochkulturen vorhanden, auch ist sie in anderen Kulturkreisen kein großes Denksystem, sondern dient als handwerkliches Hilfsmittel für den
Alltag91. Zwar wurde die mathematische Naturwissenschaft zum Kern der
neuzeitlichen Kultur, doch führen Umweltschäden, Freiheitsverlust durch
Krieg etc. die Kehrseite der Medaille vor Augen. Ihr unumschränktes
Wahrheitsmonopol ist gebrochen, sie erweist sich als paradigmenbedingt.
Wissenschaft, und insbesondere Naturwissenschaft, produziert Technik, die der Mensch nützt und mit der er umgeht, sie schafft also Kultur.
Der Anwendungsbereich der Wissenschaften erzeugt Kulturtechniken,
aber auch aus geistiger Sicht stellt sie eine eigene Ebene dar: „Kulturphilosophisch gesehen erscheint mir die Wissenschaft selbst, die Denkform der
Theorie, die objektivierende, beweisende, begriffliche Erkenntnis als ein
großes Paradigma. Schon die verstehende, hermeneutische Wissenschaft
ist ein anderes Paradigma. Und neben der Wissenschaft stehen politische
Moral, Kunst, Religion als eigene Wahrnehmungsweisen.“ 92 Es sind also
nicht die negativen Folgen der Wissenschaft, wie Umweltzerstörung oder
Waffenproduktion, die ihr die Vormachtstellung entziehen und ihr einen
egalitären Rang unter den anderen Gesellschaftsbereichen einräumen,
sondern die Einsicht, dass ihre Erkenntnis nicht Allgemeingültigkeit beanspruchen kann. Wissenschaft besitzt eine kulturelle und kulturbildende
Rolle. Wissenschaftliche Technik vermittelt ein Denken und man kann
nicht Produkte übernehmen, ohne dass man zugleich auch das Denken,
89
90
91
92
Ders., Ebenen und Krisen in der Entwicklung der Wissenschaft, 287.
Ebd., 288.
Vgl. ders., Der Naturwissenschaftler, Mittler zwischen Natur und Kultur, in: Ders., Der
Garten des Menschlichen, 92f.
Ders., Über die Krise, in: Ders., Bewusstseinswandel, München 1991, 47.
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das hinter den Produkten steht und das diese Produkte erst möglich gemacht hat, übernimmt.93
Wissenschaft ermöglicht ein gewisses Denken, wird damit zum Kulturträger, wird aber and ererseits wiederum von der Kultur, die sie mitbestimmt hat, rückwirkend beeinflusst. Erkenntnisse der Naturwissenschaft
verkünden nicht die volle Wahrheit, dürfen andererseits aber nicht als
Scheinerkenntnisse bagatellisiert werden. Sie übernimmt eine Mittlerfunktion zwischen Natur und Kultur.
Rechenschaft über die eigene Rolle
Wenn man Weizsäckers biographische Notizen liest, so fällt sofort auf,
dass er hier mit einer Bescheidenheit, Schlichtheit und einer Distanz zu
sich selber seine persönliche Geschichte Revue passieren lässt, ohne dass
dabei Eindringlichkeit und Authentizität zu kurz kommen. Schon im Alter
von zwölf Jahren wird ihm die Zusammengehörigkeit von Physik und
Philosophie bewusst.94 Der Sinn für das Ganze erwacht, doch macht ihm
sein Mentor Heisenberg klar, dass er, um Philosophie betreiben zu können, zuerst Physik studieren müsse. Weizsäcker wird von der Überzeugung geleitet, dass wesentliche geistige Schritte in den Zeitaltern immer in
anderen Gebieten getan werden. Als Mitbegründer der Quantenphysik
und nach jahrzehntelangem Umgang mit ihr, bleibt er immer noch ein
Fragender:
„Was meint man eigentlich, wenn man nach ein paar Jahrzehnten
des aktiven Umgangs mit der Quantentheorie sagt, man wünsche
sich, diese Theorie zu verstehen? Zunächst vielleicht, dass man
wagt, sich anhaltend über sie zu wundern. Man kann sich schon
darüber wundern, was in der Wissenschaft „Verstehen“ heißt. Wer
sich darauf versteht, ein Auto zu fahren, der versteht darum noch
lange nicht, wie der Motor funktioniert. Wer sich darauf versteht,
einen Motor zu bauen oder die Schrödingergleichung zu lösen, der
93
94
Vgl. ders., Der Naturwissenschaftler, Mittler zwischen Natur und Kultur, in: Ders., Der
Garten des Menschlichen, 93.
„Als Zwölfjähriger sah ich in einer Sommernacht den Sternenhimmel in seiner unbeschreiblichen Herrlichkeit. Ich wusste: hier ist Gott anwesend. Ich wusste auch: das
sind Gaskugeln. Ich ahnte, daß beides verschiedene Weisen sind, wie sich dieselbe
Wahrheit zeigt.“ (Weizsäcker, Rechenschaft vor der Öffentlichkeit: als Physiker zwischen Philosophie und Politik, in: Ders., Wahrnehmungen der Neuzeit, München 1985,
335.)
Working Papers Theories & Commitments, Nr. 10, Jänner 2005
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versteht noch nicht, warum die Gesetze gelten, die er benützt. […]
Aber ich bin überzeugt, die großen Fortschritte der Wissenschaft,
die seltenen Revolutionen, geschehen nur, wo diese Fragen wach
geblieben sind.“95
Fortschritte in der Wissenschaft gibt es nur dort, wo die Verstehensfrage
virulent geblieben ist. Ein wissenschaftlicher Standard darf nicht als Lösung eines Rätsels verstanden werden, sondern als Tor, durch das Fragezeichen eindringen. Fragehaltung und Bescheidenheit bestimmen im Alter
seinen wissenschaftlichen Forschergeist.
Während der Zeit des 2. Weltkrieges sieht er in seiner Funktion als
Wissenschafter die Möglichkeit, durch den Bau einer Atombombe politischen Einfluss zu gewinnen. 96 Spätestens ab dem Zeitpunkt der ersten
Atombombe ist für Weizsäcker klar, dass man sich als Naturwissenschafter fragen muss, wie man Naturwissenschaft betreiben kann, wenn sie solche politischen Auswirkungen hat. Dabei fungiert die Atombombe als ein
Wecksignal, das aus dem Schlaf reißt und eine Erkenntnis zu Tage bringt:
„Es gibt eine moralische Einsicht, der ich mich nicht habe entziehen können. […] Sie heißt in einem Satz zusammengefasst: Die Wissenschaft ist
für ihre Folgen verantwortlich“ 97. Dieser Satz zeigt für Weizsäcker drei
Dimensionen auf: 98
(i) Wissenschaft beginnt mit Neugier und Ehrgeiz, fördert aber ein
Wissen, das Macht darstellt. Wissenschaft ist Handeln und dieses weist
immer eine moralische Komponente auf. Eindringlich ist das Beispiel, das
Weizsäcker gibt: Eltern zeigen einem Kind, wie ein Streichholz zu handhaben ist, gehen spazieren und sehen bei ihrer Rückkehr das Haus in
Flammen. Genauso wenig wie das Kind für den Brand verantwortlich ist,
95
96
97
98
Ebd., 333f.
In einem Interview, das H. Jaennecke vom „Stern“ 1984 mit Weizsäcker führte, heißt
es: „Wenn ich nun eine Waffe mache, über die mit mir zu verhandeln niemand verhindern kann – vielleicht kriege ich Einfluß auf die Ereignisse, weiß der Himmel wie. Das
war mein Motiv. Und ich sage nachträglich, ich bin nur durch göttliche Gnade gerettet
worden – dadurch daß es nicht gegangen ist. Denn es wäre tödlich schief ausgegangen.
Ich habe damals mit jugendlicher Leichtfertigkeit eine Sache unternommen, die ich
nicht wieder anfangen würde, wenn ich heute in derselben Lage wäre.“ (Carl Friedrich
von Weizsäcker, Die Atomwaffe, in: Benzinger, O., (Hg.), Das Carl Friedrich von
Weizsäcker Lesebuch, München 1992, 33.)
Weizsäcker, Rechenschaft vor der Öffentlichkeit: Als Physiker zwischen Philosophie
und Politik, in: Ders., Wahrnehmungen der Neuzeit, 340.
Vgl. ebd., 340–344.
56
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sind es die Mächtigen, wenn sie die Wissenschaft missbrauchen. Der Wissenschafter ist verantwortlich.
(ii) Die Verantwortung des Wissenschafters muss dabei moralisch und
nicht legal verstanden werden. Die legale Verantwortung ist unabhängig
von Motiv und Gesinnung, sie betrifft ausschließlich die Übereinstimmung der wissenschaftlichen Forschung mit den geltenden Gesetzen. Die
moralische Verantwortung besagt, dass das Motiv des Handelns, respektive des Forschens der moralischen Forderung entsprechen muss.
(iii) Diese produktive Verantwortung bedeutet nicht Verzicht auf Wissenschaft und Wahrheitssuche. Der Wissenschafter ist Bürger und muss
mit seinen Fähigkeiten an Welt– und Gesellschaftsveränderungen mitarbeiten. Er kann aber nicht von der Verantwortung entbunden werden, die
Folgen und Verstrickungen seiner Arbeit rational zu durchdenken. Dies ist
eine Form der Mitverantwortung, die in einer Demokratie übernommen
werden muss.
Für Weizsäcker hatten diese Überlegungen Konsequenzen: In der
Zeit des Kalten Krieges eignete er sich militärisches Wissen an, um an der
Verhütung eines Atomkrieges aktiv mitwirken zu können, außerdem engagierte er sich in der Energie– und Entwicklungspolitik. Als interdisziplinärer Wissenschafter registrierte er allerdings, dass es wenige Gleichinteressierte gibt, mit denen er gemeinsam um die Wahrheit rittern konnte. 99
99
„Unser Institut hat Analysen gegeben, engagierte, heterogene, unabgeschlossene. Was
mir gefehlt hat, war die breite Konkurrenz. Wir waren in der Wissenschaft unseres Landes ein wenig allein. Es ist leichter, disziplinäre Wissenschaft zu machen als interdisziplinäre, und nach ein paar Anläufen kehr man zur leichteren Aufgabe zurück.“
(Weizsäcker, Rechenschaft vor der Öffentlichkeit: Als Physiker zwischen Philosophie
und Politik, in: Ders., Wahrnehmungen der Neuzeit, 344.)
Working Papers Theories & Commitments, Nr. 10, Jänner 2005
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„Krise“ als Charakteristikum der Gegenwart
Die Wahrnehmungsfähigkeit für Krisen 100 begründet Weizsäcker unter anderem mit einem Verweis auf sein Geburtsdatum. Seit seiner frühesten
Kindheit ist er mit Kriegsvorbereitung und Krieg konfrontiert. Er belässt
es jedoch nicht mit einem biographischen Hinweis, sondern schiebt ein
kulturphilosophisches Argument nach: Die gegenwärtige Krise ist eine
Krise der Hochkultur, die durch den Fortschritt der Technik und durch
das abstrakte Wissen herbeigeführt wurde.101 Unter Technik versteht
Weizsäcker die Bereitstellung von Mitteln für Zwecke, wobei die Zwecke
freigehaltene Zwecke sind. Mittel zu besitzen, bedeutet Verfügungsgewalt
und hat somit mit Macht zu tun. Auch wenn die Technik seit jeher zum
Überleben notwendig war, ist sie für den Menschen doch eine Art Sucht
und äußert sich in einem Drang nach Macht. Dieser ist rational durch die
Angst vorm Gegner gerechtfertigt und der Angst vor dessen Drang nach
Macht. Damit wird – ermöglicht durch die Technik – der Drang nach
Macht zu einem isolierten Trieb.102 Gefordert ist daher Askese und Selbstbeherrschung sowie das Abstandnehmen vom kindlichen Allmachtstraum,
alles zu machen, was möglich ist. Technik als Mittel für Zwecke hat nur
dort ihre Berechtigung, wo es Zwecke gibt. Der sinnvolle Gebrauch der
Technik erfordert eine Selbstbeschränkung.
Das Krisenpotential der Hochkultur begründet Weizsäcker damit,
dass sie, weil sie immer eine große Gemeinschaft darstellt, abstraktes Wissen produziert. Im Gegensatz zu großen Gemeinschaften herrscht in kleinen ein Quantifizierungs– und Objektivierungsverbot für gegenseitige
persönliche Leistungen. In großen Gesellschaften müssen die Probleme
des Zusammenlebens formal geregelt werden, wobei abstraktes Wissen,
Der Begriff der Krise lässt sich nicht vorschnell als Chance oder als Anzeichen eines
Untergangs bezeichnen. Im Bereich der Wissenschaft bedeutet Krise eine wachsende
Unzufriedenheit mit dem vorherrschenden Paradigma und das Vorstadium der wissenschaftlichen Revolution. Eigentlich entstammt der Terminus aber der Medizin. Als ein
Begriff des Arztes meint er nicht die Selbstbeschreibung des Patienten. Der Begriff der
Krise wird als Konjunkturschwankung genauso in der Ökonomie verwendet. Krisen
und die davor und danach angesiedelten – mehr oder weniger – stabilen Ebenen sind
Eigenschaften fast aller zeitlichen Vorgänge. (Vgl. Weizsäcker, Über die Krise, in:
Ders., Bewusstseinswandel, 66f.)
101 Vgl. ebd., 70.
102 Vgl. ders., Technik als Menschheitsproblem, in: Benzinger, O. (Hg.), Das Carl Friedrich
von Weizsäcker Lesebuch, 114–119.
100
58
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Recht, Geld und Macht entstehen. Das Krisenpotential der Hochkultur
liegt nun im richtigen Umgang des Menschen mit diesen objektiven
Strukturen. Vor allem hat der Mensch noch nicht gelernt, die Macht in
adäquater Weise zu gebrauchen. 103
Die Kultur des 20. Jahrhunderts ist durch Theorie und Technik bestimmt, die der Mensch nicht wirklich handhaben kann. „Unser Problem
ist, dass die Effizienz der neuzeitlichen Theorie und Technik – auch der
Technik der Menschenführung – unsere Weltverantwortung in eine Dimension erweitert hat, auf welche die Menschheit nie vorbereitet war und
heute nicht vorbereitet ist.“ 104 Diese Krise kann nur positiv gemeistert
werden, wenn die Wissenschaft erwachsen wird, d.h. wenn sie nicht nur
legal, sondern auch moralisch die Verantwortung übernimmt, indem sie
auf die Konsequenzen der Forschung ebenso viel Sorgfalt verwendet wie
auf die Forschung selber.
Neben dieser kulturellen Krise kennt Weizsäcker auch noch die
militärische und wirtschaftliche. Die militärische ist durch den drohenden
Atomkrieg gekennzeichnet und die wirtschaftliche durch zügelloses Bevölkerungswachstum, durch Vernichtung der ökologischen Grundlagen
und das Fehlen einer politischen und wirtschaftlichen Weltordnung, die
mit durchsetzbaren Gesetzen ausgestattet ist.
Ein weiteres Krisenmoment erkennt Weizsäcker in der gesellschaftlichen Stabilität. 105 Er unterscheidet zwischen subjektiver Gerechtigkeit, sie
bezeichnet gerechtes Handeln, und objektiver Gerechtigkeit, die einen gerechten gesellschaftlichen Zustand meint. Beide hängen durch die kantsche Unterscheidung von Legalität (Handeln gemäß dem Gesetz) und
Moralität (Handlung aus Achtung vor dem Gesetz) zusammen. Relevant
wird diese Differenzierung im politischen Diskurs. Gerechtigkeit kann es
nur geben, wenn es auch Freiheit, d.h. politische Freiheit gibt. Das beinhaltet eine Beschränkung unseres Urteils auf die Legalität der Handlungen
der Mitbürger und garantiert die Äußerungsfreiheit. Die Krise zeigt sich
nun weniger in der Beschneidung der Äußerungsfreiheit, sondern in der
Beurteilung der Motive der Aussagen des Anderen. Dies kommt einer Bewertung und Aburteilung des Mitmenschen gleich. Der Mitmensch ist
Vgl. ders., Über die Krise, in: Ders., Bewusstseinswandel, 68f.
Ebd., 65.
105 Vgl. ders., Soziale Gerechtigkeit, in: Benzinger, O. (Hg.), Das Carl Friedrich von Weizsäcker Lesebuch, 151–156.
103
104
Working Papers Theories & Commitments, Nr. 10, Jänner 2005
59
jedoch unbedingt ernst zu nehmen. „Es gibt im menschlichen Denken
und zumal im Denken des Westens eine Tendenz, die menschliche Person
für eine letzte Realität zu halten. Dies ist nicht bloß Egoismus. Es ist auch
die Haltung fundamentaler Ethik, die nicht erlaubt, irgend etwas ernster
zu nehmen als den Mitmenschen.“ 106
2.4 Evaluierung
Das vorige Kapitel stellte Grundgedanken und zentrale Äußerungen von
Intellektuellen dar. Sinn dieses Unterfangens war es nicht, diese ohnehin
bekannten Personen vorzustellen, sondern sie als paradigmatische Intellektuelle auszuweisen. Lassen sich nun diese Personen und ihre Gedanken,
ohne sie modifizieren zu müssen, in die getroffene Definition von Intellektuellen eingliedern? Ziel dieses Abschnittes ist es, noch einmal den einen oder anderen Kerngedanken dieser Denker aufzunehmen, um zu demonstrieren, dass die angeführte Definition ihre Berechtigung hat.
Zuerst wurde festgestellt, dass sich der Intellektuelle kognitiv mit
menschlichen und gesellschaftlichen Problemstellungen auseinandersetzt.
Bei Popper könnte man einwenden, dass die genannten gesellschaftlichen
Problemstellungen nur solche gedanklicher Art seien, die das tägliche Leben gar nicht berührten. Seine skeptischen und kritischen Überlegungen
schweben in einem theoretischen Raum, der die Alltagswelt – ausgenommen die einiger (Geistes)Wissenschafter – gar nicht berühre. Den Blick
für die Gesellschaft habe vielmehr Havel, denn er erkenne die Sorgen der
Mitmenschen. Eine solche populistische Argumentation verkennt jedoch,
dass alles, bevor es gesellschaftlich greifbar wird, in theoretischer Form
durchdacht wird. Es drängen nicht nur Ideologien als theoretische Konstrukte in die Verwirklichung, sondern genauso grundsätzliche Überlegungen wie: Persönliches und unpersönliches Wissen sind hypothetisch und
daher verbesserungsfähig. So lässt sich heute in der westlichen Welt
durchaus ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber Letztbegründungen
und absoluten Wahrheitsansprüche feststellen. Dass sich der Mensch im
Prozess der Wahrheitssuche befindet und nicht im Besitz der Wahrheit ist,
ist eine zentrale Aussage Poppers, die sich in der Einstellung vieler Menschen manifestiert hat. Dass Poppers Gedanken gesellschaftlich relevant
106
Ders., Wer ist das Subjekt in der Physik, in: Ders., Der Garten des Menschlichen, 186.
60
Working Papers Theories & Commitments, Nr. 10, Jänner 2005
sind, zeigt weiters, dass „Macht“ oder „sicheres Wissen“ in der Geschichte immer wieder zu Gewalt und Unmenschlichkeit geführt haben.
Popper setzt sich kognitiv mit diesen gesellschaftlichen Problemstellungen
auf theoretische Weise auseinander, wobei seine Stoßrichtung immer der
konkrete Mensch ist. 107 Von diesem Standpunkt aus sind Havels Ausführungen über posttotalitäre Regime nicht weniger theoretisch. Besonders
zeigt sich das in der Beschreibung der Funktion der Ideologie, die einen
monadologischem Charakter aufweist, d.h. sie gib die Spielregeln, die
Kommunikationsweise, kurz die innere und äußere Ordnung vor. Theoretisch heißt hier nicht weltfremd. „Theoretisch“ muss hier im Sinne C.F.
von Weizsäckers als frei von Affekten verstanden werden, als distanziertes
Anschauen108. Der nüchterne Blick von außen hilft der Gesellschaft.
Ähnlich wie bei Havel – nur motiviert durch einen anderen Anlass –
nahm auch C.F. von Weizsäcker mit seinem Engagement für ein atombombenfreies Deutschland zu virulenten gesellschaftlichen Fragen Stellung. Auch diese Auseinandersetzung erfolgt kognitiv und zuerst auf einer
theoretischen Ebene. Anfangs arbeitet er am Bau einer Atombombe mit
und überredet sogar Heisenberg dazu, später diskutiert er mit Wissenschaftern aus Deutschland über die Sinnhaftigkeit eines Atombombenprogramms und erarbeitet dann gemeinsam mit diesen die „Göttinger Erklärung“ und initiiert mit Jürgen Habermas Friedensforschung am Starnberger Max–Planck–Institut.
Neben der kognitiven Beschäftigung mit gesellschaftlichen Problemen
verbindet diese Denker ebenso die Nachvollziehbarkeit ihrer Reflexionen.
Popper steht in der skeptischen Tradition und rekurriert dabei auf historische Größen wie Xenophanes oder Sokrates und stützt seine Argumentation auf überprüfbare Einsichten, wie die des hypothetischen Wissens auf
die Widerlegung der Gravitationstheorie durch die Relativitätstheorie.
So wendet Popper in „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“ (Bern 1957) gegen
Platons Kriterium, dass der Staat für Sittlichkeit zu sorgen hätte, ein, dass der Staat eine
Schutzfunktion für die einzelnen Bürger übernehmen müsse. Genauso ist die Frage
„Wer soll regieren?“ falsch gestellt. Vielmehr müsse es heißen, wie lassen sich politische
Institutionen so gestalten, dass schlechte Herrscher möglichst wenig Schaden anrichten
können. Im Brennpunkt des Interesses stehen also der einzelne Mensch und seine Freiheits– und Selbstverwirklichungsrechte.
108 Vgl. Weizsäcker, Ebenen und Krisen in der Entwicklung der Wissenschaft, in: Köhler,
W. (Hg.)., Carl Friedrich von Weizsäcker, Reden in der Leopoldina, 276.
107
Working Papers Theories & Commitments, Nr. 10, Jänner 2005
61
Havels Beschreibung des Menschen in klassischen Diktaturen und
posttotalitären Systemen lässt sich auch bei anderen Autoren – wenn auch
mit anderer Stoßrichtung – nachlesen. 109 Die konzise Begriffsanalyse von
„Opposition“ und „Dissidententum“, die Konsumabhängigkeit des Menschen in Ost und West, der Verlust des Gefühls für Verantwortung und
die Negation des „Lebens in Wahrheit“ haben noch immer nicht an Aktualität verloren.
Weizsäckers Sichtweise der (Natur)Wissenschaft als einer Kulturtechnik neben anderen, die Nivellierung ihres Wahrheitsanspruchs, die Sichtweise von Technik als Bereitstellung von Mitteln für Zwecke oder die Interpretation der Gegenwart als Krisenebene und Durchgangsstadium zu
einer neuen Entwicklungsstufe scheinen sehr plausibel und sind gut begründet.
Was die präsentierte Öffentlichkeit angeht, so finden sich diese in den
Veröffentlichungen der Fachwelt genauso wie in Zeitungsartikeln oder
Vorträgen. Eindrucksvoll sind hier vor allem die Vortragsreisen von C.F.
von Weizsäcker nach seiner Pensionierung im Jahr 1980. Auch V. Havel
wird immer wieder in die USA zu Vorträgen eingeladen und schreibt Kolumnen für die „Washington Post“. Daneben kennt man ihn natürlich als
Redner in Europa.110 Denselben öffentlichen Wirkgrad kann K.R. Popper111 beanspruchen. Die sensitive und sensible Öffentlichkeit als Organe
zur Aufnahme des Zeitgeistes variieren, sind sie doch von der jeweiligen
Gesellschaftsform und den darin aufscheinenden besonderen Umständen
geprägt.
Die Reflexionen und Gedanken dieser Intellektuellen betreffen nicht
nur den lokalen Kontext, sondern weisen über den jeweiligen Kulturkreis
hinaus. Poppers Bücher sind auch in Sprachen übersetzt, die mit der
abendländischen Kultur wenig gemein haben. So kennt man Übersetzungen ins Chinesische, Arabische oder in einige afrikanische Sprachen.
Weizsäckers Arbeiten am Max–Planck–Institut beschäftigten sich mit dem
Nord–Süd–Konflikt und mit Umweltzerstörung, Havels Gesellschaftsanalyse trifft genauso auf alle totalitär geführten Staaten zu. Ein LokalkoZu denken ist hierbei an russischen Autoren wie Alexander Solschenizyn.
So hielt er 1990 die Rede zur Eröffnung der Salzburger Festspiele und im gleichen Jahr
die Eröffnungsansprache beim Gipfeltreffen der KSZE in Helsinki.
111 Als Beispiel neben vielen anderen sei hier der Vortrag „Erkenntnis und Gestaltung der
Wirklichkeit“ erwähnt, den er im Rahmen des „Forum Alpbach“ im August 1982 hielt.
109
110
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lorit lässt sich zwar in der Argumentation aufzeigen, doch weisen die
Überlegungen durchaus ein universalistisches Moment auf und sind daher
global relevant. Julien Bendas Einwand, der Intellektuelle sei in partielle
Interessen verstrickt, kann nicht gelten, denn sowohl Weizsäcker als auch
Havel agieren in ihrem Denken blockfrei. Ihnen geht es um die Freiheit
und Unabhängigkeit des Menschen wie um seine friedvolle Existenz. Allen gemeinsam ist als Anliegen der bessere Mensch.
3. Intellektuelle Redlichkeit
3.1 Akademische Redlichkeit
Eine bereits getroffene Differenzierung unterscheidet zwischen intellektueller Arbeit und intellektueller Tätigkeit. Akademische Redlichkeit fällt in
den Zuständigkeitsbereich intellektueller Arbeit und betrifft deshalb alle,
die in Forschung und Lehre tätig sind. Beispiele akademischer Unredlichkeit finden sich in Forschungs– und Wissenschaftsskandalen. Hierunter
fallen Plagiate beim Abschreiben sowie das Fälschen und Frisieren von
Daten. Ein zwar harmloses, aber anschauliches Beispiel ereignete sich
während der Zeit des Kalten Krieges: So erfanden ein amerikanischer und
ein britischer Wissenschafter zwei westliche Forscherkollegen, W. Gehring und M. Falkenstein, die in den 1980ern als erste den Error–Detektor112 mittels Instrumenten nachwiesen. Sie wollten damit den Vorsprung
russischer Wissenschafter nivellieren. Viel gravierender nehmen sich da
schon die Manipulationen in chemischen, biologischen oder medizinischen Laboratorien aus, bei denen unliebsame Daten vertuscht und eigentlich nicht aussagekräftige Daten den Status von unumstößlichen und
in die Zukunft weisenden Fakten erhalten.113 Mit solch bewusst veränder-
Der Error–Detektor beschreibt einen Mechanismus, der unser Handeln und unsere
Umgebung permanent auf Richtigkeit überprüft. Wenn keine Probleme auftreten, nehmen wir unsere Umgebung unbewusst wahr. Sobald sich nun aber ein Fehler ereignet,
merken wir jedoch jäh, dass z.B. die Waschmaschine nicht mehr schleudert oder der
Puls rast. Vgl. geoscience online: http://www.g–o.de/index.php?md=focus_
detail2&f_id=110&rang.
113 In diesem Zusammenhang ist die Rekonstruktion des Falls Heinz Breer von U. Schnabel und W. Bartens in der ZEIT (Müde Schnüffler im Labor, Nr. 21/03) aufschluss112
Working Papers Theories & Commitments, Nr. 10, Jänner 2005
63
tem Datenmaterial fließen dann Drittmittel, Gelder aus Industrie und Privatwirtschaft. Besonders problematisch wird die Situation dann, wenn
Krebsforscher wie Friedhelm Hermann in gleich 94 Fällen der Datenfälschung überführt werden.114 Gefälschte Daten lukrieren Drittmittel, damit
weitergeforscht werden kann, so dass die Pharmaindustrie Medikamente
produzieren kann, die dann den Patienten zugute kommen.
Akademische Redlichkeit bedeutet daher gewissenhaftes und ehrliches
Arbeiten. Seriöses Arbeiten schützt zwar nicht vor Irrtümern, doch sind
diese nichts Ungewöhnliches, wenn ein Forscher aufgrund seiner Daten
eine Theorie aufstellt, die später nach einer neuen Dateninterpretation einer neueren Theorie weichen muss. Zudem lassen Daten mitunter mehrere Theorien zu, weshalb Experimente durchgeführt werden, damit eine
Theorie bestätigt wird. Kommt es zu keiner Bestätigung, wird die Theorie
verworfen. Wird dieses Grundprinzip experimenteller Wissenschaft nicht
eingehalten und werden einmal gewonnene und außerordentliche Ergebnisse nicht mehr überprüft und wird weitergearbeitet, als wären die Daten
unumstößlich, dann kann man nicht mehr von gewissenhaftem Arbeiten
sprechen, denn Ungenauigkeiten und Datenschlampigkeit haben Methode. Der Skandal um Friedhelm Hermann war ausschlaggebend, dass sich
Wissenschaftsinstitutionen wie das Max–Planck–Institut mit dem Thema
wissenschaftliche Redlichkeit auseina ndersetzten. 115
Der Berufsverband Deutscher Soziologen (BDS) setzte sich 1993 mit
dem Thema der guten wissenschaftlichen Praxis auseinander und konnte
sich auf einen Ethikkodex116 einigen. Hier werden Anforderungen wie
Integ rität und Objektivität bei der Arbeit, Beachtung der Persönlichkeitsrechte der Untersuchten (z.B. freie Entscheidung bei der Mitwirkung an
und Einwilligung zu Experimenten), Fairness beim Publizieren u.a. genannt. Besonders in Hinblick auf die Persönlichkeitsrechte der Untersuchten kann die Wissenschaft die Übernahme von Verantwortung nicht
außer Acht lassen. Redliche wissenschaftliche Arbeit hat ethische Implireich und interessant. Sie bereichten von den Problemen, mit denen der Informant in
seiner zukünftigen wissenschaftlichen Karriere zu rechnen hat.
114 Vgl. ZEIT, Nr. 29/2001 bzw. Nr. 21/2003.
115 So verabschiedete der Senat des Max–Planck–Instituts am 24. November 2000 in Berlin einen für alle WissenschafterInnen verbindlichen Kodex für wissenschaftliche Redlichkeit und Verantwortung in der Forschung. Siehe:
http://www.mpg.de/pri00/hg_regeln.htm
116 http://www.userpage.fu–berlin.de/%7Eifs/bds/ethkod.html
64
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kationen. H. Lenk und M. Maring erarbeiteten unterschiedliche Typen
und Dimensionen von Verantwortung. Sie sprechen (i) von der Rollen–
und Aufgabenerwartung (Rollenpflichten, spezifische Aufgabenverantwortung, Loyalitätsverantwortung, kooperative Verantwortung von Institutionen) und von (ii) der universalmoralischen Verantwortung. Hierzu
zählen die direkte (gegenüber Personen) und die indirekte (Folgen von
Handlungen und Unterlassungen) Verantwortung, die Selbstverantwortung, die höherstufige (Vertragspflichten) und die moralische Verantwortung von Institutionen. 117 Akademische Redlichkeit, respektive gute wissenschaftliche Praxis, beschränkt sich nicht nur auf die Fehlerfreiheit im
Vorgang der Untersuchung oder Forschung, sondern sprengt den reinen
wissenschaftlichen Rahmen, weil das Umfeld (Personen, Institutionen
etc.) ebenfalls berücksichtigt werden muss.
Der Zusammenhang zwischen Wissenschaft und Ethik scheint auch
in den „Ethischen Grundsätzen für gute wissenschaftliche Praxis“ der
Universität Salzburg auf. Es wird ausdrücklich hervorgehoben, dass wissenschaftliche Unredlichkeit die Wissenschaft schädigt und deshalb auch
die Verantwortung gegenüber der Gesellschaft nicht wahrnimmt.118
Akademische Redlichkeit betrifft natürlich gleichfalls den geisteswissenschaftlichen Sektor. Hier ist es vornehmlich der Umgang mit fremdem
geistigen Eigentum, das nicht ordnungsgemäß wiedergegeben oder zitiert
wird.
Als besondere Form der akademischen Redlichkeit kann die journalistische Tätigkeit angesehen werden. So listet der Ehrenkodex119 für die österreichische Presse Grundsätze für die publizistische Arbeit auf: Er
spricht von Wahrhaftigkeit, Sauberkeit und Korrektheit. Daneben findet
Vgl. Lenk, Hans und Matthias Maring, Ethikkodices und Verantwortung in der Soziologie und in den Sozialwissenschaften, in: Lübschen, Günther (Hg.], Das Moralische in
der Soziologie, Opladen 1998, 300f.
118 Vgl. http://www.sbg.ac.at/organisation/senat/aktuelles/uniethik.htm. Erwähnenswert
ist hierbei die Muss–Bestimmung, dass diese Grundsätze dem wissenschaftlichen Nachwuchs und den Studenten zu vermitteln sind.
119 Die kurze Version findet sich im Internet unter http://www.religionsfreiheit.at/
ehrenkodex.htm und spricht von Verantwortung gegenüber der Öffentlichkeit und dem
eigenen Gewissen sowie von Gefahren der Einflussnahme von Personen auf die Zeitung als auch von Schreibenden auf öffentliche Personen. Die längere Version hingegen
(http://www.aurora–magazin.at/journalismus/kodex.++htm) pflegt einen allgemeineren Ton und hebt die ethische Dimension des Schreibens hervor.
117
Working Papers Theories & Commitments, Nr. 10, Jänner 2005
65
man noch für verschiedene andere Berufsgruppen wie z.B. Ingenieure
oder Richter fachspezifische Anleitungen zur Redlichkeit.
Gemeinsam ist diesen Richtlinien, dass sie auf die jeweilige (intellektuelle) berufsspezifische Arbeit zugeschnitten sind und seriöses Arbeiten garantieren wollen. Akademische Redlichkeit meint daher Techniken, die in
der gewissenhaften Ausübung einer Profession eine wesentliche Aufgabe
erfüllen. Hiervon ist die intellektuelle Redlichkeit zu unterscheiden. Weil
intellektuelle Tätigkeit ein anderes Betätigungsfeld als intellektuelle Arbeit
hat, nämlich einen Beitrag zur Lebensorientierung und Sinnfindung zu
leisten, unterscheiden sich auch ihre Aufgabenbereiche. So wie auf den
Experten die akademische Redlichkeit maßgeschneidert ist, so gehört zum
Intellektuellen die intellektuelle Redlichkeit.
3.2 Hinweise auf intellektuelle Redlichkeit
Nachdem akademische Redlichkeit als Arbeitstechnik und Methode charakterisiert wurde, scheint es sinnvoll zu sein, intellektuelle Redlichkeit als
innere Haltung, genauer als Grundhaltung und geistiges Fundament für
alles Denken und Schreiben zu verstehen. Als Einstellung ist sie bestimmendes Moment des Intellektuellen. Intellektuelle Redlichkeit kann nicht
etwas Formales, wie etwa beim Experten das Einhalten bestimmter Regeln, bedeuten, sondern wird als geistiges Prinzip, das sich inhaltlich manifestiert, aufgefasst. Was sind nun die markanten Inhalte und Motive, die
intellektuelle Redlichkeit kennzeichnen?
3.2.1 Humanistische Einstellung
Der Begriff Humanismus120 signalisiert immer, dass es um den Menschen
geht und impliziert zugleich ein pädagogisches, politisches oder anthro120
Der Begriff Humanismus weist in mehrere Richtungen. Einmal bezeichnet er (i) eine
Richtung in der Pädagogik und indiziert die Beschäftigung mit dem, was der Ausbildung einer höheren Kultur des Menschen dient, und einmal (ii) bestimmt er eine
Epoche, vornehmlich die Zeitspanne des 14. und 15. Jahrhunderts, die auf Inhalte der
Antike zurückgriff. Weiters (iii) wird er im 20. Jahrhundert gerne für eine weltanschauliche Position bzw. für ein bestimmtes Philosophieren gebraucht. So fragt beispielsweise J.P. Sartre expressis verbis in einem Buchtitel „Ist der Existentialismus ein Humanismus?“. Auch H. Marcuse, der als Entdecker der frühen Marx–Schriften gilt, bezeichnet
den Marxismus als Humanismus.
66
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pologisches Programm. Zielführend scheint es zu sein, wenn man Humanismus nicht als einen abstrakten Begriff verwendet und versteht, sondern
von Humanismus nur in Hinblick auf fassbare Beispiele spricht. Wenn
daher als ein wesentliches Substrat intellektueller Redlichkeit die humanistische Einstellung angeführt wird, dann besagt das, dass der jeweilige Intellektuelle in seiner Äußerung konkrete menschliche oder gesellschaftliche Situationen diskutiert.
Besonders evident ist diese Einstellung bei V. Havel: Er opponiert gegen die Ideologie und die Politik, die den Menschen anonymisiert und
damit Unterdrückung herbeiführt: „… je weniger irgendeine Politik von
dem konkreten menschlichen „hier und jetzt“ ausgeht, je mehr sie sich an
irgendein abstraktes „irgendwo“ und „irgendwann“ klammert, umso
leichter kann sie zu einer neuen Variante der Versklavung des Menschen
werden.“ 121 Intellektuelle Redlichkeit bedeutet daher nicht, in sozialen, politischen u.a. Visionen das Pro und Kontra um seiner selbst willen zu analysieren, sondern das Dafür und Dagegen in Bezug auf den Menschen zu
untersuchen. Das Verweilen in einem theoretischen Rahmen kommt einem Spiel–Spielen gleich, es verliert seine Anbindung an die Realität.
Thema ist hier nicht der Streit um den Primat von Theorie oder Praxis,
denn der Intellektuelle wurde als Person beschrieben, die sich kognitiv mit
ihrer Umwelt auseinandersetzt. Der Intellektuelle ist deshalb ohnehin dem
Bereich des Denkens zuzuschreiben, allerdings bleiben seine Reflexionen
nicht auf den Intellekt bezogen, sondern zielen auf den Menschen ab.
Ein außergewöhnliches Beispiel für eine humanistische Einstellung in
Geistes– und Naturwissenschaft kann man bei Weizsäcker entdecken:
Wenn er der Frage nachgeht, wer das Subjekt in der Physik sei, 122 gibt er
zu bedenken, dass die aristotelische Philosophie den Weg in die Erfahrungswissenschaften vorgab, so Fortschritt ermöglichte, wodurch der
Mensch aber das Wahrnehmungsvermögen für die Einheit verlor. Konsequenz war die Abnahme von Harmonie und Weisheit, die dem Menschen
Orientierung ermöglichen. Die moderne Physik, d.h. die Quantenphysik,
kehrt diesen Prozess wieder um, reduziert die Vielheit und Diversität und
rückt den Menschen wieder ins Zentrum. Die Quantenphysik war der
Anlass, dass der Beobachter, respektive das Subjekt, ausführlich diskutiert
121
122
Havel, Versuch, 41.
Vgl. Weizsäcker, Wer ist das Subjekt in der Physik, in: Ders., Der Garten des Menschlichen, 169–186.
Working Papers Theories & Commitments, Nr. 10, Jänner 2005
67
wurde. Aus dieser Diskussion ging hervor, dass man sich von der descartschen Trennung von Subjekt und Objekt distanzieren musste. Objekte
und Subjekte existieren als solche nur für endliche Subjekte. Fakten kann
es nur geben, wenn es Subjekte gibt. Fokussiert das Subjekt nun ein bestimmtes Objekt, kommt es immer zu einer indirekten Wahrnehmung der
dieses Objekt umgebenden Einheit. „In jedem Begriff ist eine Mitwahrnehmung von Einheit, aber die Einheit selbst kann nicht direkt durch
Begriffe beschreiben werden, denn dies ließe sie von der Vielheit abhängen; Vielheit jedoch, wie sie in Begriffen beschreiben wird, beruht auf der
begleitenden Einheit. Die Quantentheorie geht sogar über dieses alte platonische Argument hinaus. Vielheit ist letztlich nicht wahr. Der Begriff eines isolierten Objekts ist in der Quantentheorie nur eine Annäherung, und
eine schlechte.“ 123 Aus naturwissenschaftlicher Sicht ist also die letzte
Wirklichkeit eine Einheit.
Die Wahrnehmung der Aufsplitterung und Zerrissenheit der Welt, die
zur Desorientierung des Menschen führte, hat einen Mitgrund in einem
bestimmten Weltbild, das durch Natur– und Geisteswissenschaft geschaffen wurde. Weizsäcker bemerkt gegenwärtig eine Tendenz zur Umkehr
und registriert Anzeichen dafür, dass sich Harmonie und Weisheit wieder
einstellen, ohne dass dabei gewonnenes positives Wissen verloren geht. Es
wird nur neu eingeordnet und interpretiert.
So wie Scholastik, Naturwissenschaft und industrielle Revolution die
Einheit von Sippe und Familie sowie die Einheit von Mensch und Natur
zerstört haben, so schufen sie doch eine wirtschaftliche und informationelle Einheit der Menschheit, der eine politische folgen wird.
So wie die Quantenphysik den Menschen wieder ins Zentrum rückt,
so wird in einer neuen politischen Weltordnung die Menschheit, respektive ihr Überleben, das primäre Interesse sein. Die humanistische Einstellung Weizsäckers zeigt sich eben darin, dass er auch in der Physik eine
Diskussion über die Rolle des Menschen mitgestaltet hat und dabei den
Bogen zu anderen Disziplinen hin spannt. Man kann daher sagen, Weizsäcker propagiert eine neue Anthropozentrik, die von der Physik ihren Ausgangspunkt nimmt und den Menschen als eine letzte Realität setzt.
123
Ebd., 185.
68
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3.2.2 Kritische Grundposition
Eine kritische124 Grundeinstellung mobilisiert gegen Absolutheits– und
Letztansprüche. Diese manifestieren sich in der Wissenschaft genauso wie
in bestimmten Weltsichten, gesellschaftlichen und politischen Konstellationen. Profunde Kritik setzt immer die Kenntnis und Interpretation eines
gegenwärtigen Zustands voraus. Die Auseinandersetzung mit momentanen Verhältnissen bedingt dabei nicht immer ein Schlechtreden, sondern
kann sich darauf beschränken, Chancen und Risken, Tendenzen oder Perspektiven aufzuzeigen. Kritik im Sinn von etwas prüfen, beurteilen, beinhaltet daher nicht zwangsläufig ein Negativurteil. Neben dieser aktiven Form,
die Defizite bzw. Möglichkeiten anspricht, steht die passive, die Alternativen entwirft, Visionen, Utopien und konkurrierende Modelle schafft.
Wenn eine kritische Grundhaltung als Bedingung intellektueller Redlichkeit propagiert wird, dann deshalb, weil sie Unzufriedenheit anzeigt.
Voraussetzung jeder Kritik ist immer ein Unbehagen. Kritik basiert auf
Hellhörigkeit, geistiger Reg– und Wachheit, d.h. sie rekurriert auf einen
unruhigen, quirligen Geist. Dieses Vermögen meint dabei natürlich nicht
eine krankhafte Veranlagung, die ein permanent Unglücklicher, ein notorisch Nörgelnder und Lamentierer vorweist. Der Unterschied zwischen
dem intellektuell Redlichen und dem psychisch Verstörten liegt darin, dass
ersterer seine emotionale, biographische und situationsbezogene Konstellation transzendiert, während beim Kranken die momentane Situation Ursache und Auslöser für Beanstandungen ist. Kritikbewusstsein und Kritikfähigkeit als Konstitutivum intellektueller Redlichkeit bedeutet daher, dass
die Person von ihrer Position abstrahieren, in Distanz zu sich selber treten
kann, dass die Kritik nicht individuell–subjektive Gründe hat. Dabei sind
die biographischen Eckpunkte wie Erziehung, Art der Wissensaneignung,
124
Das Nomen Kritik geht auf das altgriechische ????e?? bzw. ???s?? zurück und bedeutet
beurteilen oder entscheiden. Bei Platon verdichtet sich ????e?? zur abwägenden und unterscheidenden Erkenntnis. Neben dem allgemeinen Unterscheidungsvermögen werden
die ethisch–politische und die richterliche Urteilskraft betont. Aristoteles übernimmt
diese Differenzierung. (Vgl. Bormann, Claus von, Die Geschichte des Kritikbegriffs
von den Griechen bis Kant, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Basel–Stuttgart 1984, 1249f.). Die Verwendung des Kritikbegriffs im altgriechischen Sinn kann für
den Intellektuellen und für intellektuelle Redlichkeit nutzbar gemacht werden, wird
doch Kritik nicht als wissenschaftliche Methode oder Schule, sondern als geistige Tätigkeit aufgefasst.
Working Papers Theories & Commitments, Nr. 10, Jänner 2005
69
Situationsanalyse etc. wie auch der momentane emotionale Zustand
durchaus verantwortlich für die Wahrnehmung von Umständen, doch
dient die Kritik nicht der Behebung subjektiver Malheurs oder der Förderung eigener Wünsche, sondern richtet sich auf einen allgemeinen gesellschaftlichen, politischen, wissenschaftlichen oder geistigen Zustand.
Ein Beispiel für einen wissenschaftlichen Zustand: Bei Popper wurde
aufgezeigt, dass es keine allgemeingültige wissenschaftliche Methode gibt,
die es erlaubt, auf der Grundlage empirischer Zeugnisse Theorien aufzustellen und zu beweisen. Die wissenschaftliche Rationalität besteht in
mehreren verschiedenen methodologischen Regeln. Nur so kann eine
beste Theorie gefunden werden. Diese ist unter den konkurrierenden
Theorien jene, die der Wahrheit am nächsten kommt. Diese Theorie ist
kritisch, weil der Forscher selber versuchen soll, seine Theorie zu widerlegen. Wissenschaft ist Problemlösen mittels Hypothesen und anschließender Fehlereliminierung. Diese theoretische kritische Einstellung weist den
Weg in die Lebenspraxis. Ein Problem generiert eine bestimmte Hypothese. Durch Kritik kommt es zur Fehlereliminierung bzw. Falsifikation,
daraufhin zu einem zweiten Problemfeld P2, dann zu einer zweiten Hypothese H2, anschließend zur zweiten Fehlereliminierung E2. Diese Reihe
setzt sich fort und man kommt dadurch der Wahrheit immer näher. Das
gleiche Schema findet auch in der Politik Anwendung, und zwar bei der
Veränderung einer gesellschaftlichen Institution.
Einen Kritiksinn zu haben heißt bei Popper, dass die innere Unruhe –
angestachelt durch Unzufriedenheit mit der gegenwärtigen Situation – antreibt, man sich auf die Suche begibt und dabei der Wahrheit ein Stück
näher kommt.
Auch bei Havel zeigt sich diese innere Unruhe. Das „Leben in Lüge“
schafft eine innere Unzufriedenheit, die nicht in einer miserablen wirtschaftlichen Situation begründet liegt. Bei ihm wird besonders deutlich,
dass er nicht die eigene Stellung verbessern möchte, er strebt also Verbesserungen über seinen Radius hinaus an. Die Kritik am System wurzelt im
eigenen Unbehagen.
Gleiches lässt sich bei Weizsäcker demonstrieren: Sein Problembewusstsein zeigt ihm die Ambivalenz des Fortschritts, der außer enormen
70
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Angenehmlichkeiten materielle und strukturelle Besorgnisse 125 für die
Menschheit zu Tage fördert. Die innere Sehnsucht lässt ihn die absoluten
Erkenntnisansprüche der Naturwissenschaft relativieren und verweist die
Naturwissenschaft unter die anderen Kulturtechniken, so dass sie nur lokal und temporär eine Vorrangstellung beanspruchen kann.
3.2.3 Sprache
Die Sprache steht in enger Verbindung mit der humanistischen Grundeinstellung. Sprache transportiert Inhalte, ihre Verwendung beschreibt eine
Situation, hat als Gegenstand ein Wofür oder ein Wogegen bzw. entwirft
ein alternatives Szenario. Erkenntnis ist an Sprache gebunden, weshalb
vom Sprachgebrauch abhängt, was wahr und wirklich ist. Dabei lässt sich
der Inhalt nicht von der Form lösen. So kann ein seriöser Inhalt ironisierend wiedergegeben werden, so dass der Wahrheitsgehalt nicht mehr
wahrgenommen wird.
Gemäß der Sprechakttheorie ist Sprache eine bestimmte Form der
Praxis, denn in ihr wird gehandelt. Im verbalen Verurteilen ha ndelt man,
es wird eine Wirklichkeit geschaffen. Fängt der Mensch in der Sprache zu
handeln an, übermittelt er Einstellungen, Einsichten und Werthaltungen,
dann erhält Sprache einen ethischen Stellenwert. Wird mit der Sprache
fahrlässig umgegangen, reduziert sich ihre Wahrheitswertfähigkeit. Die Seriosität der Sprachverwendung indiziert deshalb auch das Maß der Verantwortung sich und anderen gegenüber. Eindringlich beschreibt George
Steiner das Wesen der Sprache und den Auftrag, der daran geknüpft ist:
„Das Geheimnis der Sprache ist groß; die Verantwortlichkeit für sie und
ihre Reinheit ist symbolischer und geistiger Art, sie hat keineswegs nur
künstlerischen, sondern allgemein moralischen Sinn, sie ist die Verantwortlichkeit selbst, menschliche Verantwortlichkeit schlechthin, auch die
Verantwortung für das eigene Volk, die Reinerhaltung seines Bildes vorm
Angesicht der Menschheit …“126 Sprache dient nicht bloß dem Gedankenaustausch, denn in ihr spiegeln sich menschliche Werte und Haltungen.
Vgl. Weizsäcker, Der Mensch im naturwissenschaftlich–technischen Zeitalter, in: Ders.,
Im Garten des Menschlichen, 49–56.
126 Steiner, George, Das hohle Wunder, in: Ders., Sprache und Schweigen. Essays über
Sprache, Literatur und das Unmenschliche, Frankfurt a.M. 1967, 166. Thema dieses
Essays ist der Niedergang der deutschen Sprache durch den Nationalsozialismus. Dieser höhlte endgültig die deutsche Sprache aus, er vergleicht ihn mit freigewordner Ra125
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71
Der inhaltliche Zusammenhang von humanistischer Grundeinstellung
und sprachlicher Sensibilität ist nicht von der Hand zu weisen: In erster
Linie interessiert nicht das reine, abstrakte Wissen, sondern dessen Anwendung und Bedeutung für das konkrete Leben. Hier lässt sich also ein
pädagogischer Impetus ausmachen.
Ein ausgeprägtes Sprachbewusstsein wird daher als Charakteristikum
intellektueller Redlichkeit aufgefasst.
Der Inhalt, das Was, von Äußerungen, vor allem aber die Aufbereitung, das Wie, weist intellektuelle Redlichkeit aus. Um das näher zu erläutern, bietet sich ein nochmaliger Blick auf Peter Sloterdijk, seine Menschenparkrede und die Kontroverse im Feuilleton, an.
Schriftsteller gehen mit der Wirklichkeit – auch der von Texten – um.
Sie experimentieren mit Wörtern, heben gefährliche und brisante Themen,
zerlegen sie in Bausteine und stellen sie anschließend wieder zusammen.
Sloterdijk kennt nun verschiedene Möglichkeiten, andere Autoren zu zitieren, zu kommentieren und zu ironisieren. 127 Was allerdings auffällt ist,
dass er Anspielungen, die er gerade gemacht hat, nicht erläutert. Sloterdijk
verwendet wie in eben zitierter Stelle Wörter wie „Magna Charta“, die
fortschrittlich und positiv konnotiert sind, verschafft sich damit beim Rezipienten eine bejahende Zustimmung, setzt jedoch kurz darauf eine Zäsur, in dem er das Einvernehmen mit dem Leser auf einen anderen Inhalt,
in dem Fall auf die Menschenzüchtung überträgt. Damit erweist er sich als
Provokateur, der zum Nachdenken anregt. Er lässt dem Leser aber keine
Zeit, diesen Sprung zu überdenken, denn innerhalb des gleichen Satzes
dioaktivität, die bis heute (1967) schädigt. „Etwas von der Lüge und dem Sadismus
setzt sich im Mark der Sprache fest. Unmerklich zunächst, so wie radioaktive Ausstrahlungen sich stillschweigend im Knochenmark festsetzen“ (164f.).
127 Es mutet etwas sarkastisch an, wenn man die Einleitung zur Besprechung von Platons
„Politikos“ liest. Man gewinnt den Eindruck, als führe Sloterdijk mit Platon ein Gespräch über das bereits damals virulente Thema der Möglichkeit der (genetischen) Veränderung von Menschen. So lautet die Einführung zu dieser fiktiven Diskussionsrunde:
„Es gehört zur Signatur der Humanitas, daß Menschen vor Probleme gestellt werden,
die für Menschen zu schwer sind, ohne dass sie sich vornehmen könnten, sie ihrer
Schwere wegen unangefasst zu lassen. Diese Provokation des Menschwesens durch das
Unumgängliche, das zugleich das Nichtbewältigbare ist, hat schon am Anfang der europäischen Philosophie eine unvergeßliche Spur hinterlassen – ja vielleicht ist die Philosophie selbst diese Spur im weitesten Sinn. […] Plato hat in seinem Dialog Politikos […]
die Magna Charta einer europäischen Pastoralpolitologie vorgelegt“ (Sloterdijk, Regeln
für den Menschenpark, 47).
72
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findet sich eine weitere Wortungewöhnlichkeit, die „Pastoralpolitologie“,
eine Anspielung auf religiöse Menschenlenkung gepaart mit politischer
Ideologie. Auch hier werden zwei eigentlich nicht zusammengehörige
Themenbereiche zusammengefügt. Sloterdijk entfacht auf diese Weise einen Gedankensturm im Kopf des Rezipienten. Dieser bewirkt beim Leser
ein stolzes Lächeln auf der Stirn, hat er doch in Windeseile verschiedene
gedankliche Welten miteinander kombiniert. Der Leser beschäftigt sich
nur noch mit sich selbst. Der Autor verbirgt jedoch mit Hilfe solcher
sprachlichen Gebärden seine eigene Position, wird dadurch nicht richtig
greifbar. Eine sachliche Diskussion kommt deshalb nur schwer auf.
Die Vermittlung eines Inhalts, der Wie–Aspekt, weist den Verfasser
als Wortakrobaten aus und es entsteht der Eindruck, als stehe die Verpackung im Vordergrund und die Sache selbst – wie sah Platon wirklich die
Aufgabe des Politikers – tangiere nur peripher. So schafft hier die Sprache
eine Wirklichkeit, die vom historischen Dialog abgehoben ist, ihn eigentlich nur noch als Anlassfall für die eigene Artikulation benützt. Die Wahrheitswertfähigkeit der Sprache wird hier in Mitleidenschaft gezogen, sie
dient lediglich dem selbstverliebten Spieltrieb der sprachlichen Kombinationsfähigkeit.
Die Causa Sloterdijk liefert noch zusätzliches Material: Nachdem dieser Vortrag Sloterdijks öffentlich rezipiert worden war, kam es zu einem
regelrechten verbalen Schlagabtausch, der mit einigen sprachlichen Tiefschlägen geführt wurde. Der Umgang der Autoren miteinander demonstrierte eine Vakanz von Redlichkeit. So wurden nicht sachliche Kontroversen ausgetragen, sondern persönliche Angriffe geführt.
Thomas Assheuer eröffnet den Schlagabtausch mit einer Diskreditierung: „Philosophen, so lautet eine landläufige Beschwerde, wohnen hinter
dem Mond, von dem sie auch keine Ahnung haben. Sie spekulieren im
Sonnenschatten der eigenen Weltdeutung, verstehen von der Naturwissenschaft nichts und von Gentechnologie noch weniger.“128 Er knüpft
daran eine Verharmlosung und Beleidigung Sloterdijks: „Für einen Augenblick klammert sich Sloterdijk an seinen Hausgott Heidegger.“ 129 Daran
fügt sich nahtlos ein Lächerlichmachen und Deklassieren, das Slo terdijk in
die Provinz verweist: „Dennoch entspringt Sloterdijks skandalöse Rede
Assheuer, Peter, Das Zarathustra–Projekt. Der Philosoph Peter Sloterdijk fordert eine
gentechnische Revision der Menschheit, in: Die ZEIT, 36/1999.
129 Ebd.
128
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nicht nur der Verwirrung eines Weltanschauungsphilosophen, der in den
Fußstapfen von Nietzsche und Heidegger versinkt und sich dabei einbildet, er könne im Stadtwald von Karlsruhe die Moderne begraben.“ 130
Sloterdijk kontert in seinem Antwortschreiben: 131 Er degradiert Assheuer zu einem Schüler, schreibt in einem Lehererton, der Bemühen suggeriert, aber nicht verhehlen kann, dass die Belehrung auf keinen fruchtbaren Boden fällt. Er bezeichnet Assheuer als „Problemgans“, die eine
„Wahnsinnsarie“ singt und die in selbstverliebter Weise den Alarm ästhetisiert. Assheuer mache nur Publicity für sich und die Kritische Theorie.
Im anschließenden zweiten Brief wendet er sich Habermas zu. Er unterstellt ihm bösen Willen in der Verbreitung von Gerüchten, die ihn selber
betreffen. Er gibt sich Habermas gegenüber jovial, denn er gewährt ihm
„den Bonus des Älteren“. So wirkt diese Bescheidenheit und Demut gespielt. Sloterdijk attestiert Habermas Fahrlässigkeit und Mutwilligkeit in
der Verletzung kollegialer, akademischer und publizistischer Sitten, weil er
zum Falschlesen angeleitet habe. Schließlich mündet seine Polemik in die
Demontage des Gegners.132 Interessant ist, dass Sloterdijk einräumt, von
der – für ihn evidenten – Hetze gegen ihn tief getroffen und verletzt worden zu sein. 133 Er ortet bei Habermas eine Kommunikationsverweigerung,
den Versuch ihn zu zensurieren, wirft ihm Unehrlichkeit und Ehrverletzung vor. Die Liste ließe sich fortsetzen.
Fasst man die gegenseitigen Vorwürfe zusammen, dann kann man folgende Liste erstellen:
(i) Persönliche Angriffe: nicht argumentieren, sondern be– und verurteilen, absichtlich kränken und missverstehen, Suche nach medialer Aufmerksamkeit und öffentlicher Rezeption, Unterstellen von Selbstverliebtheit, Eigenlob, Selbstbezüglichkeit; Ziel solcher Attacken ist es, den OpEbd.
Sloterdijk, Peter, Die Kritische Theorie ist tot, in: Die ZEIT, 37/1999.
132 „Sie gehören zum inhumanen Erbe des ideologiekritischen Denkstils, der bei ihnen
gewiss nicht schlimmer ausgeprägt ist als bei anderen Vertretern dieser inzwischen nicht
mehr ganz so ansehnlichen Tradition. Sie sind hierin nur ein durchschnittlicher Träger
einer problematischen Gewohnheit, die man einst mit dem Ehrennamen der Kritik
umkleidete“ (ebd.).
133 „Was glauben Sie, was geschähe, wenn das Ding Sloterdijk mit einem Mal zu sprechen
begänne? Wie wäre es, wenn dieses Ding, dieser Mechanismus, als nervöses An–sich,
als schmerzempfindliches Es eine Reaktion zeigte, eine Überreaktion sogar, wer weiß?
Wenn das Ding auf den Gedanken käme, eine Ehre zu haben?“ (ebd.).
130
131
74
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ponenten zu deklassieren, in persönlich zu treffen und zu verunsichern,
indem dessen Beruf, seine Persönlichkeit und sein Charakter wie auch die
Fähigkeit des Wissenserwerbs ins schiefe Licht gerückt werden.
(ii) Vermischung der sachlichen Information mit persönlichen Elementen: Der Text wird wiedergegeben bzw. der Inhalt referiert, doch wird
er durch die Sätze davor oder danach, die subjektive und einseitige Kommentare transportieren, verzerrt. 134
(iii) Sachliche Auseinandersetzung: Die Wiedergabe der Äußerungen
ist falsch, das Gesagte wird unzulässigerweise und nicht ohne ideologischen Hintergedanken uminterpretiert.
Die intellektuelle Unredlichkeit findet sich in den Punkten (i) und (ii).
Wie die Debatte redlich, d.h. nüchtern und sachlich, gestaltet hätte werden
können, zeigt der Aufsatz von Ernst Tugendhat135. Er fasst den Inhalt in
drei Thesen zusammen und diskutiert – ohne jede Polemik, aber doch mit
Humor und Witz – Sloterdijks Ansatz. Es fallen keine großen Worte, es
wird lediglich der Inhalt besprochen und zu Erkenntnissen der Genforschung 136 in Beziehung gesetzt.
Erinnert wird man bei dieser Debatte an Weizsäckers Forderung nach
Gerechtigkeit im Denken: 137 Erst wer ein Plädoyer für die ihm entgegengesetzte Meinung geben kann, ist reif, eine eigene Überzeugung zu vertreten. Intellektuelle Redlichkeit im Bereich der Sprache erfordert daher zuerst einmal eine wertungsfreie Wiedergabe einer von der eigenen Meinung
divergierenden Position. In diesem sehr persönlich geführten Wortgefecht
scheint die Schlichtheit und Einfachheit der Sprache, vor allem aber der
sehr wohlwollende und positive Ton Weizsäckers als ein Kontrapunkt auf.
Ein Beispiel: „Ihm schwebt eine demokratiefreie Arbeitsgemeinschaft aus echten Philosophen und einschlägigen Gentechnikern vor, die nicht länger moralische Fragen erörtern, sondern praktische Maßnahmen ergreifen. Diesem Elitenverbund fällt die Aufgabe zu, mithilfe von Selektion und Züchtung die genetische Revision der Gattungsgeschichte einzuleiten. So wird Nietzsches schönster Traum bald wahr: die Zarathustra–
Fantasie vom Übermenschen“ (Assheuer, Das Zarathustra–Projekt, in: Die ZEIT,
36/1999).
135 Tugendhat, Ernst, Es gibt keine Gene für die Moral. Sloterdijk stellt das Verhältnis von
Ethik und Gentechnik schlicht auf den Kopf, in: Die ZEIT 39/1999.
136 Vgl. dazu auch: Zimmerli, Walther Ch., Die Evolution in eigener Regie. In einem Punkt
hat Sloterdijk Recht: Über die Normen für gentechnische Eingriffe muss öffentlich debattiert werden, in: Die ZEIT 40/1999.
137 Vgl. Weizsäcker, Soziale Gerechtigkeit, in: Benzinger, O. (Hg.), Das Carl Friedrich von
Weizsäcker Lesebuch, 152f.
134
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In diesem Zusammenhang darf noch einmal auf Popper zurückgegriffen werden. Sehr eindringlich äußert er sich gegen die großen Worte:
„Was ich oben […] die Sünde gegen den heiligen Geist genannt habe – die
Anmaßung des dreiviertel Gebildeten –, das ist das Phrasendreschen, das
Vorgeben einer Weisheit, die wir nicht besitzen. Das Kochrezept ist:
Tautologien und Trivialitäten gewürzt mit paradoxem Unsinn. Ein anderes Kochrezept ist: Schreibe verständlichen Schwulst und füge von Zeit zu
Zeit Trivialitäten hinzu. Das schmeckt dem Leser, der geschmeichelt ist,
in einem so „tiefen“ Buch Gedanken zu finden, die er schon selbst einmal
gedacht hat.“ 138 Poppers Worte sind ein Aufruf, auf Wortschwall und verbale Oberflächigkeit zu verzichten, denn mit dem Instrumentarium Sprache lässt sich viel Unheil anrichten: „Ich bin der Überzeugung […], dass
wir – die Intellektuellen – fast an allem Elend schuld sind, weil wir zu wenig für die intellektuelle Redlichkeit kämpfen.“ 139 Für Popper ist damit
Sprache das Medium, in dem intellektuelle Redlichkeit aufscheint. Sprechen bedeutet Handeln, es ist mit Pflichten verbunden und damit ethisch.
3.2.4 Politisches Interesse
Eine Verpflichtung, die aus der Zugehörigkeit zu einer Gesellschaft resultiert, ist Verantwortung zu übernehmen. Das zeigt sich darin, dass man
seine Umwelt mitgestaltet. Von Weizsäcker weiß man, dass ihn einige
gerne als Kandidaten bei der Wahl zum deutschen Bundespräsidenten gesehen hätten. Er selbst lehnte eine Kandidatur ab, weil er der Überzeugung war, er könne auch auf seinem Gebiet dem allgemeinen Interesse
dienen. Parteien hält er für wichtige Institutionen, doch trat er zeitlebens
keiner bei, weil er immer den Verdacht einer Interessenspolitik vermeiden
wollte. 140 Politisch engagierte er sich bei unabhängigen Initiativen in diversen Projekten, wie z.B. in der erwähnten Göttinger Erklärung von 1957
oder als Leiter einer Forschungsstelle für Kriegsverhütung.
Bei Havel löste die Politik sein öffentliches Engagement aus. Sie bildet
den Motor und das Motiv seines Denkens. Das konstruktive ZusammenPopper, Gegen die großen Worte. Ein Brief, der ursprünglich nicht zur Veröffentlichung bestimmt war, in: Ders., Auf der Suche nach einer besseren Welt. Vorträge und
Aufsätze aus dreißig Jahren, München 112002, 103.
139 Ebd., 109.
140 Vgl. Weizsäcker, Rechenschaft vor der Öffentlichkeit: Als Physiker zwischen Philosophie und Politik, in: Ders., Wahrnehmungen der Neuzeit, 346f.
138
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leben der Menschen, die Sorge und die gemeinsame Arbeit für eine bessere Zukunft sind Thema seiner Reden als Staatspräsident. Gemeinsam ist
beiden Autoren, dass sie zwar anfänglich die eigene Nation im Blick haben, doch daneben gewinnt die Sorge um die gesamte Menschheit an Bedeutung. Weizsäckers Anliegen entfaltet sich zu Ansätzen einer „Global
Governance“. Diese weltumspannende Regierungspolitik steht für ein politisches Modell mit den Zielen der Verrechtlichung und Verstärkung von
internationalen Beziehungen besonders über die UNO. Diese internationalen Intentionen können genauso bei Havel aufgespürt werden. So hält
er 1990 zwei Reden, eine Rede vor der UNO und eine in der parlamentarischen Versammlung des Europarates.
Intellektuelle Redlichkeit in Zusammenhang mit Politik darf als tendenzielle Geisteshaltung des Intellektuellen verstanden werden. Der Denker greift hier für gewöhnlich nicht als aktiver Politiker ein, sondern interessiert sich für internationale Zusammenhänge, für weltumspannende
Themen und Probleme. Intellektuelle Redlichkeit meint in dieser Hinsicht
ein Abwägen, ein In–Beziehung–Setzen von emergierenden Fragen. Der
Intellektuelle demonstriert damit Distanz zu Partikularinteressen und hat
einen Blick für globale und allgemein gültige Prozesse wie Inhalte.
3.2.5 Selbstreflexion
Wie stellen sich Intellektuelle selber dar, welches Bild vermitteln sie von
sich der Öffentlichkeit? Zu denken ist hierbei einmal an die klassische
Ich–Rede, wie sie in Biographien 141 vorkommt. Kennzeichnend für diese
Texte ist oftmals eine Idealisierung, eine Ästhetisierung oder Selbsterniedrigung. Eine solche Sichtweise des Intellektuellen auf sich selber scheidet
aus, denn sie signalisiert Hybris und Eitelkeit. Vielmehr ist hier die Bescheidenheit und die innere Ruhe und Sicherheit angebracht, die Weizsäcker auszeichnen. Wenn er Rechenschaft über seine eigene Rolle ablegt,
dann liegt ihm viel daran, dass die Leser zwischen ihm und seinem Anliegen unterscheiden: „Ich werde aber vor allem versuchen, die Sache deutlich zu machen, für die ich stehe, und die unvergleichlich wichtiger ist als
141
Typische Beispiele für solche Biographien sind die „Confessiones“ des Augustinus oder
Goethes „Dichtung und Wahrheit“.
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meine Person.“ 142 Er charakterisiert sich als einen Bescheidenen, der immer noch ein Fragender und Stauender geblieben ist. Das Feld seiner
Untersuchungen ist so groß, dass er schon zufrieden ist, wenn er etwas
zur Begriffsklärung beitragen konnte. 143 Außerdem ist er nicht jemand, der
auf alles sofort Antwort geben kann, er braucht „meditative Spielräume“.
In einer „Notiz zum 70. Geburtstag“144 zeichnet er ein Bild von sich, das
ihn als Zweifelnden und Unsicheren zeigt. Er gibt ein Gespräch mit Karl
Barth wieder, in dem er seine Mitverantwortung für die Atombombe eingesteht und deshalb darüber nachdenkt, ob es verantwortungsvoll ist, weiterzuforschen.
Ähnliches kann bei Popper gefunden werden. Wenn er seine biographischen Eckdaten, als Tischlerlehrling oder Philosophieprofessor, in Erinnerung ruft, dann sprechen nicht Stolz und Hochmut aus ihm. Er sieht
darin ein Privileg, an das ein Auftrag geknüpft ist, nämlich Erkenntnisse in
bescheidener Form zu vermitteln und sich nicht als orakelnder Philosoph
auszugeben. 145
Havel übertrifft diese Bescheidenheit und Demut. In seiner Schlussrede vor dem Prager Gericht von 1999 begehrt er nicht gegen das gegen
ihn gefällt Urteil auf, sondern will seine Strafe als Opfer für eine gute und
gerechte Sache auf sich nehmen. 146 Er stellt sich dadurch selbst in die
zweite Reihe, ist sich selber nicht die wichtigste Person und verweist damit
auf Ideale, die höher anzusetzen sind als der persönliche Freiheitsentzug.
Bescheidenheit demonstriert Havel auch, wenn er einräumt, nicht immer
Recht gehabt zu haben: „Doch wenn ich mich irre, dann ist das ausschließlich die Konsequenz der beschränkten Schärfe meines Geistes, der
Unaufmerksamkeit, ungenügender Bildung oder meiner Unzulänglichkeiten, niemals aber die Folge von ideologischer Blindheit oder Fanatismus.
Deshalb macht es mir auch keine Schwierigkeiten, eine Ansicht zu ändern,
wann immer ich feststelle, dass ich mich irre.“ 147 Diese Selbstschilderung
zeugt von geistiger Offenheit und Veränderungsbereitschaft und signaliWeizsäcker, Rechenschaft vor der Öffentlichkeit: Als Physiker zwischen Philosophie
und Politik, in: Ders., Wahrnehmungen der Neuzeit, 329.
143 Vgl. ebd., 334.
144 Vgl. ebd., 353–357.
145 Vgl. Popper, Gegen die großen Worte, 100.
146 Vgl. Havel, Die Schlussrede von Vaclav Havel am 21. Februar 1989 vor dem Prager
Gericht, in: Ders., Versuch, in der Wahrheit zu leben, 8.
147 Havel, Sommermeditationen, 60.
142
78
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siert zugleich Überparteilichkeit. Sein Denken ist nicht der eigenen Person
oder einer bestimmten Gruppe verpflichtet. Hier klingt Martha Nussbaums primäre und sekundäre Loyalität an: In „Cultivating Humanity“
fragt sie nach den Eigenschaften des Bürgers in der heutigen multikulturellen Gesellschaft und fordert einen Weltbürger und Kosmopoliten, der
zuallererst durch die primäre Loyalität bestimmt ist, d.h. der der gesamten Menschheit verpflichtet ist. Die sekundäre Loyalität gilt dann nationalen, lokalen, berufsspezifischen u.a. Interessen. 148 Das darin vorgestellte
pädagogische Konzept fußt auf drei Säulen, dem überprüfenden Leben,
der Verpflichtung zum Weltbürger und der narrativen Imagination. Das
überprüfende Leben rekurriert auf Sokrates Technik der Infragestellung
und macht klar, dass es keine nicht hinterfragbaren Überzeugungen geben
darf, dass Tradition und Verhaltensmuster vor der Vernunft bestehen,
konsistent und gerechtfertigt sein müssen. Bücher dürfen nicht als absolute Autoritäten gelten, denn diejenigen, die in ihrer jeweiligen Tradition
viele kanonische Bücher gelesen haben, glauben, weise zu sein. Das führt
zu Arroganz und unterbindet jeden Forschergeist. Bücher müssen als Anleitung zum selbstständigen Denken benützt werden.149 Ihr zweites Anliegen, der Weltbürger, ist ein Playdoyer für eine multikulturelle Erziehung,
denn nur dadurch können Respekt und Dialog Einzug halten. Die narrative Imagination betont den Perspektivenwechsel, die Empathie und
Einnahme des anderen Standpunktes. Das führt nicht zu kritikloser Übernahme der fremden Position, sondern ermöglicht erst in der anschließenden Gegenüberstellung mit der eigenen eine fundierte Auseina ndersetzung
und Kritik.
Diese Überlegungen von Martha Nussbaum begleiten wie ein Cantus firmus die Selbstreflexionen von Havel, Popper und Weizsäcker, sie bekräftigen, dass intellektuelle Redlichkeit mit einer bestimmten Fragehaltung
sich selbst gegenüber beginnt, sie eine Einstellung des Intellektuellen zu
sich selber inkludiert. Das zeigt sich besonders in ihrer Verpflichtung oder
Loyalität gegenüber der Menschheit. Ihre Selbstbeschreibungen zeugen
von einem Apostolat bzw. einem Dienst am Menschen. Sedmak bringt
Vgl. Nussbaum, Martha C, Cultivating Humanity. A Classical Defense of Reform in
Liberal Education, Cambridge 72003, 9.
149 Vgl. ebd., 33ff.
148
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79
diese Haltung auf den Punkt: „Intellektuelle Arbeit als ein Dienst verstanden, bedeutet auch, nicht die Aspekte der Selbstpromotion in den Mittelpunkt zu stellen, sondern die geleistete Arbeit und die eigene Person in einem Ganzen zu situieren.“ 150 Bescheidenheit, Fehlen von Hybris und von
außen geleitetem Ehrgeiz, Offenheit, Lern– und Veränderungsbereitschaft, Ruhe, Rückzug und „meditative Spielräume“ werden als geistige
Charakteristika intellektueller Redlichkeit zugeschrieben.
3.2.6 Voluntativer Akt und optimistische Grundhaltung
Intellektuelle können beschrieben werden als Personen, die sich mit
menschlichen Problemen befassen, die sich noch nicht allen Menschen als
greifbar zeigen, die sich erst langsam herauskristallisieren. Sie stehen damit
an einer Schnittstelle eines Prozesses, in dem das Alte noch nicht ganz
verschwunden ist und das Neue nur als Tendenz, als Andeutung vorhanden, d.h. noch nicht wirklich sichtbar ist. Ihre Sensibilität drückt sich in
einer geistigen Grundhaltung aus, die vielleicht als Vorsichtigkeit oder Behutsamkeit gedeutet werden kann. Diese Eigenschaft leitet sich von ihrem
Status quo ab. Sie nehmen eine Zwischenposition ein, sie sind keinem Extrem zuordenbar. Inhaltlich steht dieses Merkmal im Zusammenhang mit
der oben erwähnten Bescheidenheit. Das Dasein in einer Zwischenwelt
bedeutet, dass sie alte Muster, Weisheiten, Wahrheiten studiert haben,
diese aber für die Gegenwart als untauglich oder bedenklich, wenn nicht
als falsch einstufen. Intellektuelle Redlichkeit stellt eine geistige Charaktereigenschaft dar, die sich in Toleranz gegenüber anderen Sichtweisen bewährt, die Demut und Nachsicht anzeigt, weil sie nicht die eigene Sichtweise verabsolutiert. Dieser Grundhaltung widerspricht dabei nicht, dass
Einstellungen und Sichtweisen mit Nachdruck und in aller Deutlichkeit
vorgebracht werden. Intellektuelle Redlichkeit inkludiert das Wissen darum, dass die eigene Überzeugung ebenso wie die anderer irrtumsanfällig
ist. Irrtumsanfälligkeit steht hier in Beziehung zu Wertneutralität, denn
auch diese kann der Intellektuelle nicht von sich aussagen, auch ist sie
keine letzte und endgültige Wahrheit, sondern nur ein hoher ethischer
Wert. Intellektuelle Redlichkeit zeigt sich in der Übung zu wertfreier
Analyse. Damit haftet ihr ein individuelles und subjektives Moment an.
150
Sedmak, Clemens, Katholisches Lehramt und Philosophie. Eine Verhältnisbestimmung,
Freiburg im Breisgau 2003, 306.
80
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Diese persönliche Seite thematisiert Weizsäcker: „Übung in wertfreier
Analyse bedeutet für jeden von uns zunächst eine Schulung in der Distanz
von sich selbst, also einen Schritt auf dem Weg zur menschlichen Reife.
Sie zielt auf Überwindung des Wunschdenkens, auf Einübung der Selbstkritik, auf Distanz zur eigenen Ideologie, auf Erwachsenwerden.“151 Die
Einübung auf Wertfreiheit bzw. Wertneutralität zeigt somit ein prozessuales Moment an. Übertragen auf die intellektuelle Redlichkeit heißt das,
dass diese ein Ziel anzeigt, auf das man sich hinbewegt, wobei natürlich
Rückschläge genauso vorkommen können. Der Wille und der Vorsatz
werden damit zu einem zentralen Moment intellektueller Redlichkeit.
Oben wurden Intellektuelle als Menschen beschreiben, die sich an einer Schnittstelle befinden, weil sie keinem Extrem zuordenbar sind. Sie
leben in einer Zwischenwelt. Dieser Terminus will eine Aufbruchs– und
Umbruchsstimmung anzeigen, die immer mit Ungewissheit verbunden ist.
Dieses Wahrnehmen eines Schwebezustandes indiziert dabei nicht
zwangsläufig einen Zukunftspessimismus. Im Gegenteil: Popper als auch
Weizsäcker sehen zuversichtlich in die Zukunft. Popper ist optimistisch
und sieht keinen Grund, die Hoffnung auf eine bessere Welt aufzugeben.152 Weizsäcker erkennt trotz Ambivalenz des Fortschritts positive
Anzeichen und registriert eine Aufbruchsstimmung.153 Havel fragt sogar,
ob die bessere Zukunft wirklich nur eine Angelegenheit eines fernen Dort
ist und ob sich das Bessere nicht vielleicht schon im Hier zeigt. Eine positive Zukunft ist bereits angebrochen: „Wir stehen an der Schwelle einer
neuen Ära der Globalität, einer Ära der offenen Gesellschaft, einer Ära, in
der Ideologie von Ideen abgelöst werden.“154
Intellektuelle Redlichkeit signalisiert eine geistige Offenheit, eine suchende, fragende und tendenziell optimistische Grundhaltung.
Weizsäcker, Gottesfrage und Naturwissenschaften, in: Benzinger, O. (Hg.), Das Carl
Friedrich von Weizsäcker Lesebuch, 129.
152 Vgl. Popper, Selbstbefreiung durch Wissen, 157f.
153 Vgl. Weizsäcker, Wer ist das Subjekt in der Physik, in: Ders., Der Garten des Menschlichen, 170.
154 Havel, Sommermeditationen, 153.
151
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81
3.2.7 Intellektuelle Redlichkeit als supererogatorisches Element
Intellektuelle Redlichkeit misst sich am Verhalten gegenüber und an der
Behandlung anderer Positionen, Einstellungen und Menschen. Damit eröffnet dieser Begriff den Blick in eine ethische Dimension.
Grundsätzlich gibt es bei ethisch relevanten Handlungen drei Klassifizierungsmöglichkeiten, obligatorische, erlaubte und verbotene. Gebotene
und verbotene Handlungen sind einforder– und einklagbar, erlaubte neutral. Nachdem intellektuelle Redlichkeit als positive geistige Eigenschaft
beschrieben wurde, brauchen verbotene Handlungen nicht weiter beachtet
zu werden. Es erübrigt sich auch, wegen der positiven Konnotation intellektuelle Redlichkeit als erlaubte bzw. indifferente Handlung zu behandeln, denn fließt sie in eine Auseinandersetzung ein, ist sie schon kraft ihres Daseins zu begrüßen. Zu fragen ist, ob intellektuelle Redlichkeit dem
obligatorischen Bereich zuzuordnen ist. Für einige akademische Berufe
und deren Betätigungsfelder gibt es Kriterienkataloge, an denen das professionelle Verhalten und Vorgehen gemessen werden kann. Dort gibt es
Sanktionierungsmöglichkeiten, die akademische Redlichkeit ist also einklagbar. Völlig anders stellt sich die Situation beim Intellektuellen dar. Für
geistige Haltungen, Umgangsformen und Behandlungsweisen kann es
keine judizierbaren Schablonen oder Gesetze geben. Somit sprengt intellektuelle Redlichkeit die herkömmlichen Beurteilungsmaßstäbe für ethisches Handeln und ist einem anderen, einem übergeordneten Bereich zuzuzählen, dem der Supererogation155. Dieser Terminus steht für Handlungen, die jenseits jeder moralischen Pflicht anzusiedeln sind. Als klassisches
Beispiel für solche Handlungen wird gerne der biblische Samariter angeführt, der einen Verwundeten auf seinen Esel packt, ihn zum nächsten
Gasthaus bringt und ihn dort auf seine eigenen Kosten verarzten und versorgen lässt. Ein anderes Beispiel ist Maximilian Kolbe, der in Auschwitz
sein Leben für das eines Familienvaters ließ. Supererogatorische Handlungen sind demnach solche, die moralische Bewunderung zeitigen, weil sie
155
Der Begriff der Supererogation wird in ethischen Theorien eher selten systematisch diskutiert. Eine Ausnahme bildet die römisch katholische Tradition, in der dieser Terminus durch Thomas von Aquin besetzt wurde, dessen Inhalt und Relevanz danach Lutheraner und Calvinisten strikt negierten. Danach geriet diese Theorie aus dem Blickfeld
und erlebte erst im 19. und 20. Jahrhundert durch A. Meinong, J.O. Urmson, R. Chisholm und Paul McNamara eine Renaissance. Vgl. Wessels, Ulla, Die gute Samariterin.
Zur Struktur der Supererogation, Berlin 2002, 151–194.
82
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über das Maß der moralischen Verpflichtung weit hinausgehen und daher
nicht eingefordert werden können. Ein wesentliches Kriterium ist ihre
Freiwilligkeit.
Wie lässt sich nun dieser Terminus für die vorliegende Untersuchung
nutzbar machen? Bedeutet das Fehlen eines Kriterienkatalogs für Intellektuelle automatisch, dass jede geistige oder sprachliche Handlung, die
nicht offensichtlich interessengeleitet ist oder andere ungebührlich diskreditiert oder verletzt als supererogatorisch einzustufen ist? Intellektuelle
Redlichkeit als ein Vermögen, als eine Geisteshaltung und innere Einstellung, die bereit ist, Verantwortung zu tragen, darf dann als supererogatorisch gelten, wenn sie auf die drei Pole Subjekt, Verantwortungsbereich
und auf die Instanz, der gegenüber Verantwortung übernommen wird, bezogen ist. 156 In Bezug auf das Subjekt, den Intellektuellen, bezieht sich das
supererogatorische Moment auf Pflichten gegenüber sich selbst und rekurriert auf die geistig intrinsische Instanz. Gemeint ist damit der Wissenserwerb, der in autonomer Weise vollzogen wird und darum von keiner anderen Autorität abhängt. Außerdem stellt sich hier der Intellektuelle den
Fragen von Kompetenz und Mandat für den Verantwortungsbereich.
Anders verhält es sich gegenüber den anderen beiden Dimensionen,
Verantwortungsbereich und Instanz. Diese zeigen Pflichten gegenüber
anderen an. Hier bedeutet intellektuelle Redlichkeit, dass der Intellektuelle
seine Stimme erhebt und durch seinen unverbrauchten und unparteiischen
Blick Unberücksichtigtem und Unberücksichtigten Gehör verschafft. Er
ergreift Partei, ohne notwendigerweise deren Interessensvertreter zu werden. Hier kommt es besonders darauf an, wie Stellung bezogen wird. Die
Pflichten gegenüber anderen splitten sich in das „Was“, ein bestimmter
gesellschaftlicher Zustand, eine politische Konstellation, eine Kultur–
oder Geisteshaltung wird angesprochen, und das „Wie“, sprich die sprachliche Formulierung und der Umgangston.
Darüber hinaus muss noch auf einen weiteren Aspekt der Verantwortung hingewiesen werden. Genau wie Sprache, so setzt auch Wissen
Handlungen. „Etwas zu wissen, heißt, mein Handeln danach auszurichten.
Wissen ist kein Rucksack, den ich jederzeit ablegen kann.“ 157 Der Intellektuelle ist keine gespaltene Persönlichkeit, er integriert die erworbenen
156
157
Vgl. Sedmak, Clemens, Theologie in nachtheologischer Zeit, Mainz 2003, 60.
Ebd., 84.
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Erkenntnisse in sein Leben, richtet es danach aus. Wissen führt daher in
die Praxis und bestimmt den Alltag, es verändert Wahrnehmungen, beeinflusst die Emotionen und ist handlungsleitend. Damit zeigt sich ein Konnex von Wissen und Ethik, Erkenntnisse verpflichten und bewirken die
intellektuelle Tätigkeit. Vom Wissen geht ein pädagogischer Impetus aus,
den der Intellektuelle nicht beiseite schiebt, er stellt sich ihm. Daraus erwächst Verantwortung, die supererogatorisch zu verstehen ist, sie zeigt
sich in einem pädagogischen Eros und manifestiert sich in der Einstellung
des Intellektuellen.
Intellektuelle Redlichkeit wird als supererogatorisch gesehen, weil sie
ein „mehr“ als die übliche und die zu erwartend Pflicht und Verantwortungsübernahme gegenüber sich und gegenüber anderen darstellt. Als ein
Werk der Übergebühr verlangt sie dem Mitmenschen Hochachtung ab,
d.h. der Mitmensch ist die Instanz, die darüber entscheidet, ob Supererogation vorliegt oder nicht.
3.3 Fazit
Intellektuelle Redlichkeit charakterisiert eine innere Einstellung, eine aktive Haltung, die auf geistige Tätigkeit bezogen ist und die vor der moralisch–geistig intrinsischen Instanz bestehen muss. Intellektuelle Redlichkeit bezieht sich auf den Denkenden selber und zielt auf eine Optimierung
der eigenen Urteilsfähigkeit ab. Als geistige Tätigkeit meint sie daher ein
sich ständiges Korrigieren, das dazu dient, den eigenen lokalen wie bildungsethymologischen Kontext zu transzendieren, um sich Verallgemeinerungen und absoluten Wahrheitsansprüchen entgegenzustellen, um
Rechthaberei und Eigeninteressen zu verhindern. Intellektuelle Redlichkeit ist die fundamentale Einstellung des Intellektuellen, die supererogatorische Züge aufweist.
Darüber hinaus wird intellektuelle Redlichkeit verstanden als ein
Bündel von supererogatorischen Handlungen gegenüber Mitme nschen, die
sich vor allem im Umgang mit Diskussionsbeiträgen bewähren muss. Sie
ist zugleich die nach außen gekehrte Seite der inneren Haltung, die sich
um Gleichgewicht, um Übernahme von Verantwortung bemüht und die
im Dienst der Sache und des Menschen steht.
84
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4. Resümee
Was ist das Neue oder das Besondere, das dieses Working Paper unterbreitet hat?
Es stellt den Versuch dar, einige unterschiedliche Konzeptionen des
Intellektuellen zueinander in Beziehung zu setzen, sie zusammenzufassen
und in ein neues Begriffsschema zu integrieren.
Aus der Darstellung der vorgestellten Intellektuellen lässt sich die getroffene Begriffsbestimmung oder Definition des Intellektuellen begründen. So bestehen trotz divergierender Auffassungen von Baran, Said,
Bourdieu, Benda, Ortega y Gasset oder Lepenies über den Intellektuellen
offensichtliche Zusammenhänge und Parallelen, die eine Klassifizierung
rechtfertigen, zumal sie sich bei Weizsäcker, Havel und Popper auffinden
lassen. Als gemeinsamer Nenner ist daher die Definition des Intellektuellen,
der sich als Person in öffentlicher, aktiv mitgestaltender, vermittelnder,
nachvollziehbarer und kognitiver Weise mit menschlichen und gesellschaftlichen Themen jenseits des Expertenstatus auseinandersetzt, abgesichert.
Diese Konzeption liefert indirekt gleich die dazugehörigen Eigenschaften wie die humanistische Einstellung, die geistige Haltung einer kritischen Grundposition, die besondere Funktion der Sprache und hier besonders ihre Verwendung, die politische Interessiertheit, ein elaboriertes
Maß an Aufgeklärtheit über sich selbst, die optimistische Grundhaltung
und den Willen zu Ehrlichkeit und Unvoreingenommenheit sowie die
grundsätzliche Bereitschaft, mehr zu leisten als eingefordert werden kann.
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Working Papers Theories & Commitments, Nr. 10, Jänner 2005
In der Reihe THEORY & C OMMITMENTS sind bisher folgende Hefte
erschienen:
01
Robert DEINHAMMER (Hg.): Was heißt interdisziplinäres Arbeiten?
02
Scott FOLEY/Christoph KÜHBERGER/Clemens SEDMAK: Ethics of Science. Overview and Exemplification. November 2003
03
Daiva DÖRING et al.: Wissenschaft, Wertfreiheit, Lebensform.
04
Daniel BISCHUR /Clemens SEDMAK: ‚Aber ich bin eben auch ein Mensch’. Zum Umgang mit ethischen Fragen im Wissenschaftsalltag. Dezember 2003
05
Martin DÜRNBERGER/Markus R OSSKOPF: Option für die Armen. Zwei theologische
Zugänge. Jänner 2004.
06
Robert DEINHAMMER et al.: ‚Man kann nicht denken, was man nicht tut’. Commitments und wissenschaftliche Theoriebildung. Februar 2004
07
Clemens SEDMAK: Option für die Armen. Eine Gebrauchsskizze.
08
Martin DÜRNBERGER/Clemens SEDMAK: Erfahrungen mit Interdisziplinarität.
Juni 2004
09
Magdalena HOLZTRATTNER et al.: UCA – Eine Universität übernimmt die Verantwortung. Dezember 2004
Homepage: http://www.sbg.ac.at/phi/projects/start/index.htm
Mai 2003
November 2003
Februar 2004
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