Zentrum für Medizinische Ethik (ZME)

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Zentrum für Medizinische Ethik
MEDIZINETHISCHE MATERIALIEN
Heft 187
AUFSÄTZE ZUR BIOETHIK 1927 - 1947
FRITZ JAHR
Nachwort und Nachweise von Hans-Martin Sass
Dezember 2010
2. erweiterte Auflage September 2011
Fritz Jahr
AUFSÄTZE ZUR BIOETHIK 1927-1947
Inhaltsverzeichnis
1. Bio-Ethik. 1927
1
2. Der Tod und die Tiere. 1928
5
3. Tierschutz und Ethik. 1928
8
4. Soziale und sexuelle Ethik in der Tageszeitung. 1928
12
5. Wege zum sexuellen Ethos. 1928
14
6. Zwei ethische Probleme in ihrem Gegensatz und in ihrer Vereinigung
im sozialen Leben. 1928
18
7. Gesinnungsdiktatur oder Gedankenfreiheit? 1930
23
8. Unsere Zweifel an Gott. 1933
26
9. Drei Studien zum 5. Gebot. 1934
27
10. Jenseitsglaube und Ethik im Christentum. 1934
32
11. Die sittlich-soziale Bedeutung des Sonntags. 1934
34
12. Zweifel an Jesus? 1934
37
13. Ethische Betrachtungen zu innerkirchlichen Glaubenskämpfen. 1935
38
14. Glauben und Werke in ihrem Gegensatz und in ihrer Vereinigung. 1935
41
15. Drei Abschnitte des Lebens nach 2. Korinther. 1938
45
16. Der Sonntag – ein weltlicher Feiertag. 1947
51
Nachwort
53
Nachweise
56
Fritz Jahr (1895 – 1953), evangelischer Pastor in Halle an der Saale, formulierte 1927 den
Begriff und das Konzept von Bioethik. Mit Ausnahme des Schlüsselaufsatzes ‚Bio-Ethik‘ im
‚Kosmos‘ 1927 erschienen seine Schriften in lokalen theologischen und pädagogischen
Zeitschriften von geringer Auflage. Jahr fand wenig Echo in den politisch und kulturell
turbulenten zwanziger und dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Erst in diesem
Jahrhundert beginnt international die Diskussion über den von Jahr formulierten Bioethischen
Imperativ. Diese Edition stellt Material für den heutigen und zukünftigen bioethischen
Diskurs bereit. Die Schreibweise ist modernisiert, die Hervorhebungen durch Jahr sind
durchgehend kursiv geschrieben. Die Literaturhinweise in den Fußnoten sind von Jahr; auf
eine weitere Kommentierung wurde verzichtet. Ich danke Juliane Brenscheidt, Andrea
Bergmann-Delistat und Tanja Kohnen für die Mitarbeit an der Edition.
Washington D.C. im Dezember 2010
Hans-Martin Sass
Herausgeber:
Prof. Dr. phil. Hans-Martin Sass
Prof. Dr. med. Dr. phil. Jochen Vollmann
Prof. Dr. med. Michael Zenz
Zentrum für Medizinische Ethik Bochum e.V.
Ruhr-Universität Bochum, Gebäude NABF 04/297, 44780 Bochum,
TEL +49 234 32-27084/50, FAX +49 234 32-14452
Email: [email protected]
Internet: www.medizinethik-bochum.de
Der Inhalt der veröffentlichten Beiträge deckt sich nicht immer mit der Auffassung des
ZENTRUMS FÜR MEDIZINISCHE ETHIK BOCHUM. Er wird allein von den Autoren
verantwortet. Das Copyright liegt beim Autor.
©Hans-Martin Sass
1. Auflage Dezember 2010
2. erweiterte Auflage September 2011
Schutzgebühr: € 6,00
Bankverbindung:
Sparkasse Bochum
BLZ: 430 500 00
ISBN:978-3-931993-67-2
Kto.-Nr. 133 189 035
1.BIO-ETHIK. 1927
Eine Umschau über die ethischen Beziehungen des Menschen zu Tier und Pflanze
Die scharfe Scheidung zwischen Tier und Mensch, die seit Beginn unserer
europäischen Kultur bis zum Ende des 18. Jahrhunderts herrschend war, kann heute nicht
mehr aufrechterhalten werden. Die Seele des europäischen Menschen rang bis zur
französischen
Revolution
um
die
Einheit
von
religiöser,
philosophischer
und
wissenschaftlicher Welterkenntnis, aber diese Einheit haben wir seitdem unter dem Druck der
Erkenntnisfülle aufgeben müssen.
Es wird stets das Verdienst der modernen Naturwissenschaft bleiben, dass sie eine
vorurteilslose Betrachtung des Weltgeschehens erst möglich gemacht hat. Wir würden uns
heute als Wahrheitssucher aufgeben, wenn wir die Erfolge der Tierexperimente, Blutversuche,
Serumforschung u. v. a. ablehnen wollten. Andererseits dürfen wir nicht verkennen, dass
gerade diese wissenschaftlichen Triumphe des Menschengeistes den Menschen selbst seine
beherrschende Stellung im Weltganzen genommen haben. Die Philosophie, die früher der
Naturwissenschaft ihre Leitgedanken vorschrieb, musste nun selbst ihre Systeme auf
naturwissenschaftlichen
Einzelerkenntnissen
aufbauen,
und
es
war
nur
eine
dichterphilosophische Formulierung der Erkenntnis Darwins, wenn Nietzsche den Menschen
als ein recht minderwertiges Übergangsstadium zu einer höheren Entwicklung, als ein ‚Seil,
gespannt zwischen Tier und Übermensch‘ ansah.
Was folgte aus dieser Umwälzung? Zunächst die grundsätzliche Gleichstellung von Mensch
und Tier als Versuchsobjekt der Psychologie. Diese beschränkt sich heute nicht mehr auf den
Menschen, sondern arbeitet mit denselben Methoden auch auf dem Gebiet des Tierischen, und
wie es eine vergleichende anatomisch-zoologische Forschung gibt, so werden auch höchst
lehrreiche Vergleiche zwischen Menschen- und Tierseele angestellt. Ja, sogar die Anfänge
einer Pflanzenpsychologie machen sich bemerkbar, die bekanntesten ihrer Vertreter sind: G.
Th. Fechner in der Vergangenheit, R. H. Francé, Ad. Wagner und der Inder Bose in der
Gegenwart, so dass die moderne Psychologie alle Lebewesen in den Bereich ihrer
Forschungen zieht. Unter diesen Umständen ist es nur folgerichtig, wenn R. Eisler
zusammenfassend von einer Bio-Psychik (Seelenkunde alles Lebenden) spricht.
Von der Bio-Psychik ist nur ein Schritt bis zur Bio-Ethik, d.h. zur Annahme sittlicher
Verpflichtungen nicht nur gegen den Menschen, sondern gegen alte Lebeweisen. Sachlich ist
die Bio-Ethik durchaus nicht erst eine Entdeckung der Gegenwart. Als ein besonders
anziehendes Beispiel aus der Vergangenheit dürfte uns gerade jetzt die Gestalt des hl. Franz
von Assisi (1182-1226) mit seiner großen Liebe auch zu den Tieren in der Erinnerung
1
aufsteigen, der in seiner warmen Sympathie für alle Lebewesen der Rousseauschen
Schwärmerei für die ganze Natur um Jahrhunderte vorauseilte.
Als die Einheit der europäischen Weltanschauung gegen das Ende der Barockzeit zerbrach,
war das europäische Geistesleben auch zum ersten Mal in der Lage, fremde Gedankenwelten
vorurteilslos auf sich wirken zu lassen. Schon Herders umfassender Geist, der für kommende
Dinge damals vielleicht die feinste Witterung hatte, erwartete vom Menschen, dass er sich
nach dem Vorbild der alles mit ihrem Gefühl durchdringenden Gottheit in jedes Geschöpf
versetzen und in dem Maße mit ihm empfinden könne, als das Geschöpf es bedarf. Dieser
Gedanke erinnert schon ganz an die indische Geisteswelt, die gerade damals von England aus
entdeckt wurde. Aber erst in der Romantik hat Indien das europäische Geistesleben, und seine
damals bedeutendste Provinz Deutschland, wirklicht befruchtet. Die in Indien ausgebildete
Lehre von der Seelenwanderung hat auch das Denken der indischen Philosophenschulen, vor
allem der Sankhyaschule beeinflusst. Von dieser Schule trennte sich die Yogalehre ab, die die
schärfsten Folgerungen aus diesen Gedankengängen zieht. Der Yogabüßer soll unter keinen
Umständen auf Kosten seiner Mitgeschöpfe leben; er soll vor allem keine Tiere töten, aber
auch Pflanzenkost nur unter gewissen Voraussetzungen genießen. Er muss ein Tuch vor dem
Mund tragen, um beim Einatmen kein noch so kleines Lebewesen zu vernichten; aus
demselben Grund muss er das Trinkwasser filtrieren und darf nicht baden. Die Sucht, keinem
Lebewesen bei der Selbsterhaltung zu schaden, führt auch noch heute gewisse indische Büßer
dazu, sich von Pferdemist zu nähren. Wenn in diesem Zusammenhang natürlich auch Buddha
genannt werden muss, so muss doch betont werden, dass gerade von diesem Religionssünder
die fanatischen Selbstschädigungen der Yogaschule abgelehnt wurden. Buddha verbietet den
Genuss tierischer Lebensmittel, lässt dagegen Pflanzenkost in weitem Umfang zu. Wie
Buddha selbst und seine Lehre vom Glauben der Seelenwanderung durchdrungen war, zeigt
für uns Europäer wohl am schönsten die Sammlung der Jatakas , der buddhistischen Märchen,
die Buddha in den Mund gelegt werden, und in denen er Geschichten aus seiner früheren
Lebenszeit erzählt. Nicht nur als Mensch will er schon gelebt haben, sondern er weiß auch
von Daseinsformen zu berichten, in denen er ein Elefant, eine Gazelle, ein Krebs usw.
gewesen sein will. Noch schöner als bei Franz von Assisi ist in diesen Geschichten der
Gedanke ausgebrochen, dass der Mensch mit allen Geschöpfen wesensverwandt sei.
Diese Gedankenreihen lösten im europäischen Geistesleben seit der Romantik verwandte
Gedanken aus, wenn auch natürlich zunächst nicht in dieser schroffen Form. Der Theologe
Schleiermacher (1768 - 1884) erklärte es für unsittlich, dass Leben und Gestaltung, wo sie
schon sind, also auch beim Tier und bei der Pflanze, zerstört werden, ohne dass ein
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vernünftiger Zweck damit verbunden sei. Desgleichen fordert der Philosoph Krause, ein
Zeitgenosse Schleiermachers, dass jedes Lebewesen als solches zu achten sei und zwecklos
nicht zerstört werden dürfe. Denn sie alle, die Pflanzen und die Tiere, ebenso wie der Mensch,
seien gleichberechtigt, allerdings nicht zu gleichem, sondern ein jedes nur zu dem, was ein
notwendiges Erfordernis zur Erreichung seiner Bestimmung sei. Offen berief sich auf die
indische Gedankenwelt der Philosoph Schopenhauer, der es als einen besonderen Vorzug
seiner Ethik ansah, ihre Haupttriebfeder das Gefühl des Mitleids, auch für das Tier gefordert
zu haben. Durch Richard Wagner, der von Schopenhauer stark beeinflusst ist und ein
leidenschaftlicher Tier- und Tierschutzfreund war, sind diese Gedanken für breiteste Kreise
Allgemeingut geworden.
So ist uns in Bezug auf das Tier die sittliche Forderung längst eine Selbstverständlichkeit
geworden, wenigstens in der Form, es nicht nutzlos zu quälen. Anders ist es schon mit den
Pflanzen. Dass wir auch gegen diese gewisse ethische Pflichten haben, dürfte manchem im
ersten Augenblick als widersinnig erscheinen. Aber schon ein Paulus lenkte unser Mitgefühl
auch auf Tier und Pflanzen. Ein Gegenstück dazu sind die verklärt stimmungsvollen
Ausführungen im 3. Akt von Richard Wagners Parsifal. In frommer Huld schont der Mensch
wenigstens am Karfreitag Halm und Blume auf der Au mit sanftem Schritt, um sie nicht zu
verletzen. Aber auch in den pflanzenethischen Überlegungen eines so nüchternen
Philosophen, wie es der vor 20 Jahren verstorbene Ed. von Hartmann war, finden wir
verwandte Gedanken. In einem Aufsatz über den Blumenluxus schreibt er von einer
gepflückten Blüte: ‚Sie ist ein zum Tode verwundeter Organismus, dessen Farben nur noch
nicht beschädigt sind, ein noch lebendes und lächelndes Haupt, das von einem Rumpf
getrennt ist. - Wenn ich aber die Rose im Wasserglas oder auf den Draht eines Buffets
geflochten sehe, so kann ich mich des widerwärtigen Gedankens nicht erwehren, dass der
Mensch ein Blumenleben gemordet hat, damit es im Sterben ein Auge erfreue, dass herzlos
genug ist, den unnatürlichen Tod unter dem Schein des Lebens nicht herauszufühlen.‘
So fein empfindend wie Ed. Von Hartmann, ist die große Menge natürlich nicht. Jeder weiß
zwar, dass auch die Pflanze ein Lebewesen ist, das durch das Abschneiden der Blumen
verletzt wird, aber der Gedanke, dass sie dies auch verspüren könne, liegt uns völlig fern.
Soweit ist das Bewusstsein von einer Pflanzenseele noch nicht in uns vorgedrungen. Zudem
wissen wir, dass die Blumen auch an der Pflanze selbst verwelken und verdorren, und deshalb
findet man an dem Abschneiden von Blumen, namentlich wenn sie zu diesem Zweck
herangezogen worden sind, nichts auszusetzen.
3
Wir gehen dabei von ganz anderen Voraussetzungen aus als die indischen Schwärmer, die
überhaupt kein Lebewesen antasten wollen. Auch unsere gesetzlichen oder polizeilichen
Bestimmungen über den Schutz einzelnen Pflanzen oder Blumen in einer bestimmten Gegend
(z.B. der Alpenpflanzen) beruhen auf einer ganz anderen Anschauung: Der Polizeistaat will
die betreffenden Pflanzen schützen, damit sie in der Gegend nicht vernichtet werden und
später auch noch andere Menschen erfreuen können. Wo eine Pflanze in ausreichender Menge
vorhanden ist, denkt der Staat gar nicht daran, sie um ihrer selbst wissen zu schützen.
Auch unsere Anschauung vom Tierschutz beruht auf einer wesentlich anderen Grundlage als
das Verhalten der Inder. Wenn wir in dem Roman von Richard Voß ‚Der heilige Hass‘ lesen,
wie ein Rodiya-Knabe, also ein Angehöriger einer verachteten Kaste, selbst eine giftige
Schlange nicht töten will, ‚weil auch die Schlangen unsere Brüder und Schwestern sind‘, so
haben wir für dieses Empfinden kein Verständnis, und wir halten es sogar für unsere Pflicht,
schädliche Tiere zu töten, wenn wir können. Wir lassen auch Haustiere vom Schlächter töten
oder harmloses Wild vom Jäger erlegen, weil wir Fleisch essen wollen, dass manche Leute in
unseren Gegenden nicht entbehren zu können glauben, während in tropischen Ländern
pflanzliche Nahrungsmittel in überreicher Fülle zur Verfügung stehen. Unser Tierschutz
findet also eine Grenze an einem Nützlichkeitsgesichtspunkt, über den sich der Inder kühn
hinwegsetzt, und wir begnügen uns damit, wenigstens unnütze Tierquälerei zu vermeiden.
Leider reichen noch bei weitem nicht in allen Kulturländern die gesetzlichen Bestimmungen
zur Verhütung oder Bestrafung solcher Quälereien aus. Aber wir sind doch auf dem Wege des
Fortschritts, und der Tierschutz gewinnt in immer weiteren Kreisen Raum, so wie es ja auch
kein anständiger Mensch widerspruchslos ansieht, wenn irgendein Flegel gedankenlos
Blumen am Wege mit dem Spazierstock köpft, oder wenn Kinder Blumen abreißen, um sie
nach wenigen Schritten wegzuwerfen. Unsere Selbsterziehung hat in dieser Hinsicht schon
wesentliche Fortschritte gemacht, aber wir müssen es noch so weit bringen, dass als
Richtschnur für unser Handeln die bio-ethische Forderung gilt: Achte jedes Lebewesen
grundsätzlich als einen Selbstzweck, und behandle es nach Möglichkeit als solchen!
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2. DER TOD UND DIE TIERE. 1928
Eine Betrachtung über das 5. Gebot
‚Du sollst nicht töten‘, so mahnt uns Christen das 5. Gebot.- Bezieht sich das Töten
nicht immer auf etwas Lebendiges? Und da das Gebot nicht ausdrücklich nur das Töten des
Menschen verbietet, sollten es dann nicht vielleicht auch in Beziehung auf andere Lebewesen
besonders auf die Tiere, für uns Geltung haben? Vielleicht hat ein Künstler, wie der Maler
Fidus, mit seinem Sinn das Rechte getroffen mit seinem Bilde ‚Du sollst nicht töten‘: eine
ideale Kindesgestalt, Unschuld und Reinheit verkörpernd, die sich mit abwehrend
ausgebreiteten Armen vor ein Tier, einen Hirsch stellt, um ihn vor dem tödlichen Geschoß des
Jägers zu erretten!?
Stehen uns die Tiere aber wirklich so nahe, dass wir sie gleichsam als unsere ‚Nächsten‘
einschätzen und behandeln müssten? - Ohne Zweifel sind ganz gewaltige Unterschiede
zwischen
dem
Menschen
und
den
Tieren
vorhanden,
und
auch
die
moderne
Naturwissenschaft bestätigt diese Tatsache nur. Das hindert jedoch nicht, dass andererseits die
Biologie, die Wissenschaft vom Leben, besonders seit Darvin auch nicht wenige verwandte
Züge bei beiden festgestellt hat, Züge die in der Medizin eine eminent praktische Verwertung
finden. Tierexperimente, Blutversuche, Serumforschung, Überpflanzung von tierischem
Gewebe auf den Menschen und noch manches andere wäre hier zu nennen. Auch auf dem
Gebiete des Seelenlebens sind interessante Parallelen zwischen Mensch und Tier
festzustellen, so dass sich beide nicht nur physiologisch, sondern auch psychologisch in
gewisser Weise ‚nahe stehen‘.
Diese Tatsache braucht uns jedoch keineswegs ein Grund zur Beunruhigung zu sein. Ist sie
doch vielmehr geeignet, uns mit Stolz zu erfüllen; denn was der menschliche Forschergeist
erst in neuerer Zeit von sich aus fand, das ist in seinem Kerne schon in der heiligen Schrift zu
finden. So spricht bereits das I. Buch Mosis von einer ‚Seele‘ der Tiere (I. Mose 9, 16). Auch
der Prediger Salomos setzt eine solche, ebenso wie beim Menschen, so auch bei ihnen voraus
und fragt zweifelnd: ‚Wer weiß, ob der Odem des Menschen aufwärts fahre, und der Odem
des Viehes unterwärts in die Erde fahre?‘ (Pred. 3, 21.)
Auf jeden Fall aber sehnt sich alle Kreatur, nicht nur der Mensch, sondern auch die Tiere,
nach der Erlösung von Tod und Vergänglichkeit, wie der Apostel Paulus in seinem Briefe an
die römische Gemeinde lehrt (Römer 8, 18-23); ein Zeichen dafür, dass man schon in jenem
nun längst vergangenen Zeiten bei Mensch und Tieren gemeinsame Eigenschaften erkannte.
Was Wunder, dass dann später ein Franz von Assisi alle Lebewesen seine Schwestern und
Brüder nannte, und dass auch ein Herder in den Tieren ‚des Menschen ältere Brüder‘
5
erblickte. Wenn dem aber wirklich so ist, dann begreift man, dass Gott, ähnlich wie mit den
Menschen, auch mit den Tieren einen Bund machte, wie im I. Buch Mosis (Mose 9, 9-10. 17)
und beim Propheten Hosea (Hos. 2, 20) zu lesen ist, und dass sie sogar in dem kommenden
Reiche Gottes einen Platz haben werden, wie Jesaja (11, 6-8) schreibt: ‚Die Wölfe werden
bei den Lämmern wohnen, und die Pardel bei den Böcken liegen. Kälber und junge Löwen
werden miteinander weiden, und ein kleiner Knabe wird sie leiten. Kühe und Bären werden
auf der Weide gehen, und ihre Jungen werden beieinander lagern, und die Löwen werden
Stroh fressen wie die Rinder. Ein Säugling wird seine Lust haben an der Höhle der Otter, und
ein Entwöhnter wird seine Hand strecken in die Höhle der Natter.‘
Kein geringerer als Luther selbst hat sich in seinen Tischreden zum Glauben an eine solche
Aufnahme der Tiere in das künftige Gottesreich bekannt.
Ist dem aber so, dass Naturwissenschaft und heilige Schrift in gleicher Weise, die Tiere so
hoch einschätzen, dann folgt ohne weiteres aus dieser Tatsache, dass wir Christen sittliche
Verpflichtungen gegen sie haben. So wäre denn das 5.Gebot von uns tatsächlich auch auf die
Tiere anzuwenden. Ausdrücklich hat Schleiermacher, der bedeutendste Theologe der neueren
Zeit, diese Folgerung gezogen, indem er es für unsittlich erklärt, dass Leben und Gestaltung,
wo sie schon sind, also auch bei den Tieren, zerstört werden, ohne dass ein vernünftiger
Zweck damit verbunden ist.
Allerdings scheint die Erfüllung des 5.Gebotes in seiner Ausdehnung auf die Tiere eine
Utopie zu sein; denn das Schlachten und Töten der Tiere, möge dieses letztere auch nur
mittelbar geschehen durch Entziehung der notwendigen Lebensbedingungen infolge der
Ausbreitung des Menschengeschlechtes, ist schlechterdings unvermeidlich. Der Kampf ums
Dasein ist es, der uns diese Notwendigkeit auferlegt. Aber dieser Grundsatz beeinflusst ja
auch, je sehr wir das vielleicht bedauern mögen, unser sittliches Verhalten gegen unsere
Mitmenschen. Denn unser ganzes Leben und Treiben in der Politik, im Wirtschaftsleben, im
Kontor, in der Werkstatt, auf dem Acker, es ist in seinen Ursachen und Zielen keineswegs in
erster Linie auf die Liebe eingestellt, vielmehr aber auf Kampf mit irgendwelchen
Mitbewerbern. Wir werden uns dessen meist nur nicht bewusst, solange dieser Kampf in
gesetzlich erlaubter Weise geführt wird. In diesem Kampfe der Menschen ums Dasein wird
auch mit vollem Bewusstsein Menschenkraft, Menschengesundheit und Menschenleben
verbraucht, und das gilt nicht etwa nur für Kriegszeiten, sondern auch für das ‚friedliche‘
Leben der fortschreitenden Kulturentwicklung, besonders in manchen Industriezweigen. Trotz
alledem wird niemand das 5. Gebot als eine utopische Forderung ansehen. Und da das
Verhalten gegen die Tiere, wenn es durch den Kampf ums Dasein bestimmt wird,
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grundsätzlich nicht aus dem Rahmen unseres Verhaltens gegen die Menschen herausfällt, so
kann und muss das Gebot als Ideal, als Richtungspunkt unseres sittlichen Vorwärtsstrebens,
auch hier seine Geltung behalten.
Aber welchen Einfluss kann im Hinblick auf die genannte Einschränkung das Ideal, auch das
Leben der Tiere zu schonen, auf die Wirklichkeit haben? - Das sagt uns Schleiermacher mit
seiner Forderung, Tiere nur dann zu töten, wenn es zur Erreichung eines vernünftigen
Zweckes notwendig ist. Im Übrigen geben uns die Tierschutz-Paragraphen in den
Gesetzbüchern aller Kulturstaaten sowie die Bestrebungen der Tierschutzvereine weiter
Anleitung, wie wir uns ‚unseres Viehes erbarmen‘ sollen.
Die Forderung, auch das tierische Leben zu schonen, hat absolute Geltung, ohne jede
Rücksicht darauf, ob uns ein äußerer Vorteil daraus erwächst, wie denn überhaupt die Ethik
nach solchen Dingen nicht fragt und nicht fragen darf. Wie Schopenhauer, so betont
besonders auch Richard Wagner diese Tatsache: ‚Jeder, der bei dem Anblicke der Qual eines
Tieres sich empört, wird hierzu einzig vom Mitleiden angetrieben, und wer sich zum Schutze
der Tiere mit anderen verbindet, wird hierzu ebenfalls nur vom Mitleiden bestimmt, und zwar
von einem seiner Natur nach gegen alle Berechnungen der Nützlichkeit durchaus
gleichgültigen und rücksichtslosen Mitleiden.‘
Wenn man an diesem Grundsatz festhält, so ist es aber dennoch sehr interessant und
nutzbringend, sich mit der Frage zu beschäftigen: ‚Welche Wirkung hat die Ausdehnung
unserer sittlichen Verpflichtungen über den Menschen hinaus auf die Tiere auf unser
Verhältnis zu unseren Mitmenschen? Ist nicht zu befürchten, dass unsere Aufmerksamkeit
von der Not der letzteren abgelenkt wird, wenn wir unser Augenmerk auf die ersteren
richten?‘- Gerade das Gegenteil ist der Fall: Wenn wir ein fühlendes Herz auch für die Tiere
in der Brust hegen, dann werden wir der leidenden Menschheit unser Mitleid und unsere Hilfe
ebenfalls nicht vorenthalten. Wessen Liebe so groß ist, dass sie, über die Grenzen des NurMenschlichen hinausgehend, noch im armseligsten Geschöpf etwas Heiliges sieht, der wird
auch in den ärmsten und geringsten seiner Menschenbrüder dieses Heilige zu finden und hoch
zu achten wissen und sich dabei auch nicht auf einen begrenzten Teil derselben, etwa eine
Gesellschaftsklasse, einen Interessenverband oder eine Partei, beschränken. Umgekehrt ist
Grausamkeit gegen die Tiere ein Zeichen für einen rohen Charakter, der auch seiner
menschlichen Umgebung gefährlich werden kann. Auf diese Tatsache weist neben vielen
anderen Denkern der Philosoph Kant nachdrücklich hin, und im Hinblick auf sie bezeichnet er
die schonende und barmherzige Behandlung der Tiere geradezu als eine Pflicht des Menschen
gegen sich selbst.
7
Vor allem aber ist die Schonung des tierischen Lebens, soweit sie möglich ist, Pflicht gegen
Gott; denn wenn wir den Schöpfer ehren wollen, dann müssen wir zugleich sein Werk, also
auch die Tiere, mit Ehrfurcht ansehen und behandeln, um so mehr, als wir wissen, dass er
diese ebenfalls liebt (Jona 4, 11) und ihrer mit gedachte, als er gebot: ‚Du sollst nicht töten!‘
3. TIERSCHUTZ UND ETHIK IN IHREN BEZIEHUNGEN ZUEINANDER. 1928
Das Mitleid mit den Tieren erscheint als ein empirisch gegebenes Phänomen der
Menschenseele. Diese Tatsache hat u. a. schon der Dichterphilosoph Herder erkannt und in
seinen ‚Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit‘ ausgesprochen. Dass dieses
Phänomen in jeder normalen Menschenseele in größerem oder geringerem Maße vorhanden
ist, nimmt auch das deutsche Strafgesetzbuch an, indem es in § 360, 13 voraussetzt, dass
Tierquälerei dazu angetan ist, Ärgernis zu erregen. Ausnahmen, die natürlich vorhanden sind,
können an der Richtigkeit dieser psychologischen Beobachtung ebenso wenig etwas ändern,
als das Dasein von Blinden ein Beweis dafür sein kann, dass das Sehvermögen keine
wesentliche Eigenart der Menschenart sei. Dieses Mitleid ist das eigentliche Motiv des
Tierschutzgedankens. Dasselbe nimmt keine Rücksicht darauf, ob dem Menschen ein äußerer
Vorteil daraus erwächst oder nicht, eine Tatsache, die unter dem Einfluss von Schopenhauers
Schrift ‚Über das Fundament der Moral‘ auch Richard Wagner betont, indem er sich in einem
‚Offenen Briefe‘ an Ernst von Weber folgendermaßen äußert: ‚Jeder, der bei dem Anblicke
der Qual eines Tieres sich empört, wird hierzu einzig vom Mitleiden angetrieben, und wer
sich zum Schutze der Tiere mit anderen verbindet, wird hierzu ebenfalls nur vom Mitleiden
bestimmt, und zwar von einem seiner Natur nach gegen alle Berechnungen der Nützlichkeit
gleichgültigen und rücksichtslosen Mitleiden.‘
Wenn man den unbedingten Charakter der Tierethik (wie man den Tierschutz nach dem
Vorbild von Bregenzer, der als erster eine wissenschaftliche ‚Tierethik‘ vom ethischjuristischen Standpunkte aus schrieb, wohl auch nennen kann) jedoch auch anerkennt, so darf
man trotzdem nicht unterlassen, die Frage nach einem etwaigen Zusammenhang zwischen
Tierschutz und Ethik zu stellen, bzw. zu beantworten zu suchen. Mit anderen Worten: Welche
Wirkungen hat die Ausdehnung unserer sittlichen Verpflichtung über den Menschen hinaus
auf die Tiere auf unsere Verhältnisse zu unseren Mitmenschen? Ist nicht zu befürchten, dass
unsere Aufmerksamkeit von der Not der letzteren abgelenkt wird, wenn wir unser Augenmerk
auch auf die ersteren richten? Der Philosoph Eduard von Hartmann, der jedoch im Übrigen
keineswegs tierfeindlich ist, befürchtet allerdings dieses letztere in einem Aufsatze über
‚Unsere Stellung zu den Tieren‘. Als Beispiel dafür weist er hin auf eine ‚versauerte alte
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Jungfer‘, die ihren fetten Mops mit Braten und Süßigkeiten überfüttert, während sie ihre
Dienstboten darben lässt. Oder er findet die Tierliebe bei verbitterten Menschenverächtern,
kaltgrausamen Ketzerrichtern und blutdürstigen Revolutionshelden. So sicher nun auch
derartige Fälle zu beobachten sind, ebenso sicher ist es andererseits, dass sich solche
Ausführungen Hartmanns letztlich gegen eine falsche Tierliebe richten. Solche falsche Liebe
kann aber ebenso gut einen Menschen zum Gegenstand haben. Sie äußert sich dort etwa in
widerlicher Verhätschelung, in ungerechter Bevorzugung, in ‚Vetternwirtschaft‘ und manchen
anderen Dingen, die leider noch immer weit verbreitet sind. Ist aber solche falsche
Menschenliebe kein durchschlagendes Argument gegen die Ethik, so ist auch die zuweilen
auftretende falsche Tierliebe kein Beweis gegen die Berechtigung des Tierschutzes.
Vielmehr liegt die Sache so: Wenn wir ein fühlendes Herz auch für die Tiere in der Brust
hegen, dann werden wir leidenden Menschen unser Mitleid und unsere Hilfe ebenfalls nicht
vorenthalten. Wessen Liebe so groß ist, dass sie, über die Grenzen des Nur-Menschlichen
hinausgehend, noch im armseligsten Geschöpf etwas Heiliges sieht, der wird auch in den
ärmsten und geringsten seiner Menschenbrüder dieses Heilige zu finden und hoch zu achten
wissen und sich dabei nicht auf einen begrenzten Teil derselben, etwa eine
Gesellschaftsklasse, einen Interessenverband, eine Partei und was sonst noch in Betracht
kommen mag, beschränken. Umgekehrt ist gefühllose Grausamkeit gegen die Tiere ein
Zeichen für einen rohen Charakter, der auch seiner menschlichen Umgebung gefährlich
werden kann. Auf diese Tatsache von höchster Bedeutung für die Gesellschaftsethik weist
neben vielen anderen Denkern der Philosoph Kant nachdrücklich hin, und im Hinblick auf sie
bezeichnet er in den ‚Metaphysischen Anfangsgründen der Tugendlehre‘ die schonende und
barmherzige Behandlung der Tiere geradezu als eine Pflicht des Menschen gegen sich selbst.
Ein Ausspruch des Grafen Leo Tolstoi: ‚Vom Tiermord zum Menschenmord ist nur ein
Schritt‘ mag in dieser Formulierung vielleicht übertrieben erscheinen. Jedoch entspricht seine
Äußerung ihrem Sinne nach letzten Endes der Anschauung Kants. Auch die
Tierschutzparagraphen in den Strafgesetzbüchern werden oft in ähnlicher Weise wie bei Kant
begründet. Z.B. ist dies der Fall bei dem Juristen R. von Hippel, der zugleich den größten Teil
des in Betracht kommenden historischen und statistischen Materials gesammelt und geordnet
hat.
Nun ist jedoch ein zweckmäßiger, leistungsfähiger Tierschutz nur dann gut möglich, wenn
genügende Naturerkenntnis und wenigstens einiges Naturverständnis vorhanden ist. Denn
tatsächlich kann man die Tiere nur dann wirklich schützen, wenn man ihre physiologischen
und psychologischen Eigenschaften und Lebensbedingungen einigermaßen kennt. Daher ist es
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mit ein Hauptziel der Tierschutzbewegung, solche Kenntnis und solches Verständnis der
Natur nach Möglichkeit zu wecken, zu verbreiten und zu vertiefen. Solches Naturinteresse
wird sich dann ganz von selbst nicht auf die Tiere beschränken, sondern nach der einen Seite
die Pflanzen, nach der anderen Seite (und das ist für uns in diesem Zusammenhange das
Wichtigere) den Menschen mit einbeziehen müssen. Wird dieses Ziel, wenn auch nur zum
Teil, erreicht, dann ist ein günstiger Einfluss auf den Menschen und seine Lebensführung mit
Sicherheit zu erwarten, und zwar im Sinne einer normalen, gesunden Natürlichkeit, die jedoch
nichts zu tun hat mit einem ungezügelten Ausleben überreizter, ungesunder und damit letzten
Endes unnatürlicher Triebe, welche Zügellosigkeit leider oft fälschlich als Natürlichkeit
angesehen wird. Dass die Förderung der Naturerkenntnis, des Naturverständnisses und der
echten Naturliebe z.B. auch auf die Sexualethik günstig einwirken muss, ist eines Beweises
wohl nicht weiter bedürftig.
Ist es nun tatsächlich so, dass der richtig verstandene und richtig betriebene Tierschutz
fördernd auf die Ethik einwirkt, stimmt es, dass er volkserziehenden und volksbildenden Wert
hat, dann darf er unter keinen Umständen vernachlässigt werden. Andererseits wird ein jeder,
der tierschützerisch eingestellt ist, allgemein ethische Bestrebungen, die ja, wie gesagt, auch
an der Tierethik nicht ablehnend oder schweigend vorübergehen dürfen, nach Kräften zu
fördern suchen, weil er damit indirekt zugleich für den Tierschutz arbeitet.
Die Tatsache des engen Zusammenhanges zwischen Tierschutz und Ethik beruht letztlich
darauf, dass wir nicht nur gegen die Mitmenschen, sondern auch gegen die Tiere, ja, sogar
gegen die Pflanzen - kurz gesagt gegen alle Lebewesen - ethische Verpflichtungen haben, so
dass wir geradezu von einer ‚Bio-Ethik‘ sprechen können.
Sachlich ist die Bio-Ethik durchaus nicht erst ein Gedanke der Gegenwart. Schon der
Skeptiker Montaigne, ‚der erste Franzose, der zu denken wagte‘, räumt als zunächst noch
alleinstehender Vertreter des modernen Gefühlsethos allen Lebewesen einen Anspruch auf
Behandlung nach ethischen Grundsätzen ein: Den Menschen seien wir Gerechtigkeit
schuldig, Milde und Barmherzigkeit allen übrigen Geschöpfen, welche davon Vorteil zu
haben fähig sind. So geschrieben in seinem ‚Essais‘ von 1588. Ganz in demselben Sinne
erwartet Herder vom Menschen, dass er sich nach dem Vorbild der alles mit ihrem Gefühl
durchdringenden Gottheit in fades Geschöpf versetzen und in dem Maße mit ihm empfinden
könne, als das Geschöpf es bedarf. Ausdrücklich schließt er die Pflanzen dabei mit ein. Ein
Höhepunkt wird erreicht durch den Theologen Schleiermacher und den Philosophen K. Chr.
Fr. Krause. Der erstere erklärt es in seiner ‚Philosophischen Ethik‘ für unsittlich, dass Leben
und Gestalten, wo sie schon sind, also auch bei den Tieren und Pflanzen, zerstört werden,
10
ohne dass ein vernünftiger Zweck damit verbunden ist. Der letztere, ein Zeitgenosse
Schleiermachers, fordert in seiner ‚Rechtsphilosophie‘, dass jedes Lebewesen als solches zu
achten sei und zwecklos nicht zerstört werden dürfe. Denn sie alle, die Pflanzen und die Tiere
ebenso wie der Mensch, seien gleichberechtigt; allerdings nicht zu gleichem, sondern ein
jedes nur zu dem, was ein notwendiges Erfordernis zur Erreichung seiner Bestimmung ist. So
zu lesen in Krauses ‚Abriss der Philosophie des Rechts‘. An die Einstellung Herders erinnert
eine Äußerung aus dem Tagebuche des Dichters Hebbel, nach welcher er nicht bloß im
Menschen, sondern in allem, was lebt und webt, ein unergründliches, göttliches Geheimnis
erblickt, dem man durch Liebe näher kommen könne.
Dass es versucht worden ist und noch, je länger, je mehr, versucht wird, den bioethischen
Gedanken durch biologische und biopsychische Argumente nicht ohne Erfolg zu unterstützen,
sei in diesem Zusammenhange nur der Vollständigkeit halber erwähnt.
Was die Möglichkeit der Verwirklichung solcher ethischer Verpflichtungen gegen alle
Lebewesen anbetrifft, so wird sie manchem zunächst als eine Utopie erscheinen. Da ist jedoch
nicht zu übersehen, dass die ethischen Verpflichtungen gegen ein Lebewesen sich praktisch
nach dessen ‚Bedürfnissen‘ (Herder), bzw. nach seiner ‚Bestimmung‘ (Krause) richten. Nun
sind ja die Bedürfnisse der Tiere an Zahl weit geringer und an Inhalt weniger kompliziert als
die des Menschen. In erhöhtem Maße gilt dies für die Pflanze, so dass die praktischen
sittlichen Verpflichtungen, die schon gegen die Tiere (wenn auch nicht grundsätzlich, so doch
praktisch) geringer sind, gegen sie noch viel weniger Schwierigkeiten bereiten. Des Weiteren
ist hier noch das Prinzip des Kampfes ums Dasein von Einfluss, ein Grundsatz, der auch
unsere ethischen Pflichten gegen unsere Mitmenschen in gewisser Weise modifiziert, so sehr
wir dies auch bedauern mögen. Denn unser ganzes Leben und Treiben in der Politik, im
Wirtschaftsleben, im Kontor, im Laboratorium, in der Werkstatt, auf dem Acker, es ist, wie
Naumann sehr richtig betont, in seinen Beweggründen und Zielen keineswegs in erster Linie
auf Liebe eingestellt, vielfach aber auf Kampf mit irgendwelchen Mitbewerbern. Wir werden
uns dessen oft nur nicht bewusst solange dieser Kampf ohne Hass in ehrlicher, gesetzlich
erlaubter Weise geführt wird. Ebenso wenig wie wir nun den Kampf mit unseren
Mitmenschen ganz vermeiden können, ebenso unvermeidlich ist auch der Kampf ums Dasein
mit anderen Lebewesen. Trotzdem aber werden wir weder im ersteren noch im letzteren Falle
das Ideal ethischen Verpflichtetseins als Richtungspunkt aus dem Auge verlieren. Auf welche
Weise sich dieses auf dem Gebiete des Tierschutzes praktisch auswirken vermag, darüber
geben die Tierschutzparagraphen in den Strafgesetzbüchern der Kulturländer, sowie die
Bestrebungen der Tierschutzvereine Auskunft. Auf dem Gebiet der Pflanzenethik weist uns
11
unser Gefühl den Weg, wenn es uns hindert während eines Spazierganges im Freien die
Pflanzen rechts und links von unserem Wege mit dem Spazierstock zu köpfen, oder Blumen
zu pflücken und sie nach kurzer Zeit achtlos wieder wegzuwerfen, oder wenn es uns mit
Abscheu erfüllt über den blinden Zerstörungstrieb roher Burschen, welche die Kronen junger
Bäume an der Landstraße oder im Walde abknicken.
Nach alldem ergibt sich als Richtschnur für unser sittliches Handeln der bio-ethische
Imperativ: Achte jedes Lebewesen, also auch die Tiere, als einen Selbstzweck, und behandle
es nach Möglichkeit als solchen! Und wenn man die absolute Geltung dieses Grundsatzes,
soweit er sich eben auf die Tiere und Pflanzen bezieht, nicht anerkennen will, so möge man
ihn, um schon Gesagtes zu wiederholen, mit Rücksicht auf die sittlichen Verpflichtungen
gegen die gesamte menschliche Gesellschaft dennoch befolgen.
4. SOZIALE UND SEXUELLE ETHIK IN DER TAGESZEITUNG. 1928
Jede ethische Bestrebung wird nur in dem Falle zweckvoll sein, wenn Arbeit, sei es
theoretische oder praktische, von ihr geleitet wird. Ist nun die praktische Betätigung,
besonders auch die durch das eigene Beispiel, vielleicht die wichtigste, so darf doch auch die
theoretische Aufklärung durch Wort und Schrift auf keinen Fall unterschätzt werden. Was das
gesprochen Wort in der Form privater Beeinflussung von Mensch zu Mensch anbetrifft, sowie
auch in der Form von Vorträgen, bedarf in Hinblick auf die in der Gegenwart so zahlreichen
Vorträge und Kurse verschiedenster Art und die daraus folgende Vortragsmüdigkeit, die sich
vielfach in einem schlechten Besuch der betreffenden Veranstaltung äußert, die auf
mündlichem Wege erreichte Wirkung nicht allzu übermäßig hoch bewertet werden. Größeren
Einfluss dürfte vielleicht der Rundfunk haben.
So kämen wir denn auf die theoretische Aufklärung des Ethos betreffend durch das gedruckte
Wort. Hier muss an erster Stelle wohl die Fachpresse Berücksichtigung finden. Dieselbe hat
den großen Vorteil, dass sie ihre Spalten ausschließlich den fraglichen ethischen Problemen
öffnen kann, und dass sie von Leuten, die der Bewegung gleichgültig oder gar als Gegner
gegenüberstehen, grundsätzlich mehr oder weniger unabhängig ist. Allerdings ist mit diesen
Vorzügen leider auch ein gewisser Mangel verbunden. Die Fachzeitung erreicht letztlich nur
diejenigen, welche der betreffenden ethischen Bewegung bereits als Mitglieder angehören
oder ihr sonst schon irgendwie nahe stehen. So fehlt die unmittelbare Wirkung auf die breite
Masse des Volkes. Mehr noch tritt dieser Mabel beim Buch in Erscheinung; denn einerseits
schreckt der Anschaffungspreis manchen zurück, und andererseits ist es nicht Sache eines
jeden, die notwendige innere Sammlung und die Zeit, die zum Lesen einer nicht ganz leichten
12
und manchmal auch ziemlich umfangreichen Schrift erforderlich ist, aufzubringen. Dazu
kommt, dass der Büchermarkt an ethischen Schriften keineswegs Mangel hat, so dass es im
Allgemeinen schwierig ist, die rechte Wahl zu treffen.
Mithin bleibt uns noch die Hauptsache übrig, nämlich die Tageszeitung auf ihre Bedeutung
für die Ethik hin zu untersuchen. Auch die Zeitung ist vom Standpunkte eines jeden
‚Ethikbundes‘ aus nicht ohne Mängel. Hat sie doch z.B. bei weitem nicht denselben Raum für
ein besonderes Gebiet zur Verfügung, wie ihn eine Fachzeitschrift oder ein Buch besitzt.
Außerdem muss sie aus Gründen leider nie ganz zu vermeidender Opportunität (bestehend
etwa in der Rücksicht auf eine Partei, auf die Inserenten und den Leserkreis) zuweilen eine
mehr als vorsichtige Zurückhaltung üben. Diesen Mängeln stehen jedoch sehr große Vorzüge
gegenüber. Der erste und wichtigste davon dürfte die große Verbreitung der Tagespresse sein.
Ungeheure Massen von Papier werden täglich verbraucht zur Herstellung von Zeitungen.
Millionen von Augen überfliegen Tag für Tag die Abermillionen Spalten der Zeitungen. Auch
die bedeutendste Fachzeitschrift und das meistgelesene Buch können da nicht mit. Dieser
ungeheuren Verbreitung entspricht durchaus eine ebenso große Bedeutung, wie man auch
sonst über den Wert der Zeitung denken mag. Was in der Stadt vorgeht, was in der
heimatlichen Provinz geschieht, was das Vaterland bewegt, was sich in der weiten Welt
ereignet, wo erfahren wir das sonst, wenn nicht durch die Tagespresse? Sie zieht ebenso die
großen politischen und wirtschaftlichen Fragen und Bewegungen in ihren Betrachtungskreis Dinge, die wir auf alle Fälle wissen müssen, wenn wir unsere sozialen Verpflichtungen
erkennen und erfüllen wollen - wie sie uns darüber unterrichtet, wie die Lebensmittelpreise
stehen, wie man sich kleiden soll, wo und zu welchem Preise solche Kleidung zu haben ist,
welche sonstigen täglichen Gebrauchsartikel zu empfehlen sind und noch manches andere,
das, wenn auch in verhüllter Form, in gewisser Beziehung zur Ethik steht. Und da sie weiß,
dass der Mensch nicht von Brot und ähnlichen Dingen allein lebt, so berichtet sie auch über
geistige Dinge, unter denen die Ethik nicht fehlen darf. Endlich: indem die Tagespresse nur ab
und zu als ethisch deutlich erkennbare Aufsätze bringt, die nicht allzu lang sind und die durch
ihre feuilletonistische Form dem Laien Interesse und Verständnis abzugewinnen vermögen,
so ist auch von diesem Standpunkte aus die Bedeutung der Presse für die Ethik, einschließlich
der Sozial- und Sexualethik, nicht zu übersehen.
Ausdrücklich sei nochmals festgestellt, dass der Zusammenhang der Tageszeitung mit der
Ethik unter allen Umständen anzuerkennen ist. Dabei ist es ganz gleichgültig, ob man sich zu
den Lobrednern oder zu den Gegnern der Presse rechnet. Und ebenso bedeutungslos ist es, ob
man der Ansicht huldigt, dass die Zeitung eine Äußerung der öffentlichen Meinung darstelle
13
oder dass sie im Gegenteil eine solche öffentliche Meinung erst ‚mache‘, bzw. entscheidend
beeinflusse. Der überzeugte Freund der Tagespresse wird diese gern als Instrument ethischer
Arbeit benutzen, besonders deshalb, weil er von dem Vorhandensein der Möglichkeit
überzeugt ist, auf diesem Wege ethische Gedanken nicht nur äußern, sondern auch verbreiten
zu können. Aber auch der geschworene Gegner der Zeitung dürfte kaum gänzlich darauf
verzichten wollen, mit oder wenigstens an derselben zu arbeiten, sei es auch nur aus dem
Grunde (ob derselbe berechtigt ist oder nicht, hat hierbei keine Bedeutung), bessernd auf sie
einwirken zu wollen. Die Möglichkeit einer solchen Einwirkung ist ohne weiters gegeben,
wenn man die Zeitung als ein Sprachrohr der öffentlichen Meinung betrachtet. Und glaubt
man, in den Spalten der Presse allein das Motiv zu finden, eine öffentliche Meinung erst zu
bilden oder wenigstens einen entscheidenden Einfluss auf sie auszuüben, dann wird es vom
ethischen Standpunkte aus betrachtet sogar zur Pflicht, sich an dieser Gesinnungsbildung
nach bestem Wissen und Gewissen aktiv zu beteiligen.
Dass man solches zunächst bei besonders geeigneten Tageszeitungen beginnt, ist ein Gebot
der Zweckmäßigkeit. Ebenso wichtig ist es, mit einer passenden Korrespondenz in
Verbindung zu treten. Im Übrigen sind praktische Winke Sache von Fachleuten auf ethischem
und zugleich zeitungstechnischem Gebiet. Diese letztere Möglichkeit zu benutzen, ist im
Interesse der guten Sache, bei der es sich in der Sozial- und Sexualethik handelt, sehr zu
empfehlen.
5. WEGE ZUM SEXUELLEN ETHOS. 1928
.
Das sexuale Problem ist eines der brennendsten Probleme der Ethik in der Gegenwart
überhaupt. Allerdings ist nicht zu übersehen, dass dieses Problem auch schon in früheren, ja,
in ganz alten Zeiten und bei den verschiedensten Völkern aufgetaucht ist. Nur dass man
demselben meist nicht so große Tragweite beigemessen hat wie in neuerer und besonders
neuester Zeit.
Als ein Mittel, vielleicht sogar als das einzige Mittel, sexualethischen Schäden bei der Jugend,
ebenso wie beim Erwachsenen vorzubeugen, bzw. solche Schäden zu beheben, hat man seit
dem 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart hinein in weitesten Kreisen die rein
verstandesmäßige Aufklärung über das Geschlechtsleben, vor allem über die physiologischen
Grundlagen desselben, angesehen. So tritt z.B. schon Rousseau, von dessen Todestag wir die
150jährige Wiederkehr am 2. Juli dieses Jahres begehen durften, im 4. Buche seines
Erziehungsromanes ‚Emile, ou de l’éducation‘ für die durch den Verstand vermittelte sexuelle
Aufklärung der Jugendlichen vom 16. Lebensjahre ab ein. Und da Rousseau die Anschauung
14
als unentbehrlich für die verstandesgemäße Erkenntnis ansieht, so hat er, eben aus Gründen
der Anschaulichkeit, sogar Besuche seines gedachten Zöglings Emil bei Syphiliskranken und
von Bordellen vorgesehen. Als bedeutendster Freund und Verbreiter von Rousseaus Ideen hat
sich in Deutschland Basedow, ein Zeitgenosse und guter Bekannter Goethes, berühmt
gemacht. Auch er trat, wie mit und nach ihm viele Jugenderzieher, für Aufklärung auf
sexuellem Gebiet ein. Interessant ist der aus diesen Kreisen stammende Vorschlag, zwecks
besserer
Veranschaulichung
der
vorgetragenen
Belehrung
auf
dem
Gebiet
des
Geschlechtlichen den Hörern geeignete Sektionen an der Leiche vorführen zu lassen. Gehen
wir zur Gegenwart über, dann sehen wir deutlich, dass die verstandesmäßige Belehrung über
sexuelle Dinge mindestens noch die gleiche Wertschätzung genießt wie in jener
‚Aufklärungszeit‘, wie Kant sie nennt. Dafür zeugen zahlreiche Vorträge, Ausstellungen,
Abbildungen, Filme, Schriften und noch manches andere (wobei allerdings manches Wertlose
oder gar Schädliche mit unterlaufen mag).
Wie ist diese sehr verbreitete verstandesmäßige Einstellung zu dem sexualethischen Problem
zu beurteilen? - Ohne jeden Zweifel ist in allen Dingen, auch auf ethischem und damit
zugleich auf sexualethischem Gebiete, die Anwendung des Denkens, des Verstandes nicht nur
möglich, sondern sogar notwendig. Diese Notwendigkeit ernstlich leugnen, hieße, jeder
grundsätzlichen Beschäftigung mit in Frage stehenden Problemen und jedem dadurch zu
erreichenden Fortschritt die Daseinsmöglichkeit absprechen. Und das wäre unter allen
Umständen der schlimmste Fehler, den es geben kann. Mit Recht lässt daher Goethe in
seinem ‚Faust‘ den Mephistopheles sprechen: ‚Verachte nur Vernunft und Wissenschaft, des
Menschen allerhöchste Kraft, - - - - so hab’ ich dich schon unbedingt!‘
Insoweit wäre alles klar. Nur darf auf keinen Fall übersehen werden, dass der Mensch
keineswegs ein ausschließlich denkendes Wesen ist, so dass der Verstand durchaus nicht die
alle anderen beherrschende Seelenregung darstellt. Allerdings ist dieses Übersehen einer
psychologisch längst feststehenden Tatsache recht weit verbreitet, indem man vielfach
vergisst, dass der Mensch mit einem keineswegs geringen Triebleben ausgestattet ist. Wegen
eben dieser Stärke des menschlichen Trieblebens ist es äußerst schwer, das Sexualethos allein
und unmittelbar durch den Verstand fördernd zu beeinflussen; ist doch hier mit einem
besonders starken Trieb, dem Sexualtrieb, zu rechnen. Ganz allgemein sind die Triebe meist
so stark, dass der Mensch ihnen sogar dann nachgibt, wenn er verstandesmäßig erkennt, dass
ihm solches schädlich werden muss. Das gilt z. B. für den Selbsterhaltungstrieb. Hierfür ein
Beispiel: Ein Ertrinkender klammert sich, wie das Sprichwort sagt, an einen Strohhalm an,
oder auch an seinen Retter, wenn ein solcher vorhanden ist, obgleich der Gefährdete sehr
15
wohl weiß, dass seine Rettung dadurch sehr erschwert, wenn nicht überhaupt ganz unmöglich
gemacht wird. Der Selbsterhaltungstrieb arbeitet in einem solchen Falle also ganz blind, ohne
dass der Verstand auf ihn entscheidenden Einfluss zu gewinnen vermag. Eine ähnliche schwer
zu widerstehende Gewalt hat auch der Sexualtrieb, besonders, wenn er stark oder gar
krankhaft ausgebildet ist. Um bei dem letzten, extremsten Fall zu bleiben: Ein homosexuell
veranlagter Mensch vermag sehr wohl seinen Seelenzustand in puncto Sexualtrieb als
verkehrt, unnatürlich und krankhaft zu erkennen und so sehr zu bedauern, so dass er sich
zeitlebens unglücklich fühlen muss. Trotz dieser verstandesmäßigen Erkenntnis seines
abnormen Trieblebens vermag er jedoch nicht, besagten Trieb zu beseitigen. Ja oft kann er
nicht einmal die Betätigung desselben gänzlich unterdrücken. Ähnliches gilt auch für die bei
beiden Geschlechtern weit verbreitete schlechte Gewohnheit der einfachen und mutuellen
Onanie. Sogar der natürliche, im Großen und Ganzen gesunde Sexualtrieb weiß sich sehr oft
gegen verständige Erkenntnis und Belehrung durchzusetzen. (Selbstverständlich ist ein
ausgesprochen Phlegmatiker weniger gefährdet als ein Sanguiniker.) Unter diesen Umständen
leuchtet es ein, dass durch gut gemeinte vernünftige Belehrung unter Umständen sogar das
Gegenteil von dem bewirkt werden kann, was eigentlich beabsichtigt ist, besonders bei
sexuell reizbaren Charakteren. - Ein Beispiel dafür aus alter Zeit ist die Bibel. Zwar werden
darin Dinge des Sexuallebens unbefangen und freimütig besprochen. Jedoch fehlen alle jene
so aufreizend wirkenden Einzelheiten. Es fehlt jede Zweideutigkeit und jede schwüle
Atmosphäre. Aber dennoch hat man bis in die Gegenwart hinein immer wieder die Erfahrung
machen müssen, dass die Lektüre solcher Bibelstellen besonders für Jugendliche gefahrvoll
werden kann. Ähnlich ist es, um ein entsprechendes Beispiel aus der Gegenwart anzuführen,
mit mancher öffentlichen Lehrfilmvorführung, das fragliche Gebiet betreffend: Obgleich
echte Lehrfilme sonst nicht gerade durch Massenbesuch ausgezeichnet werden, so lässt
dagegen der Besuch sexueller Aufklärungsfilme nur äußerst selten zu wünschen übrig. Dies
dürfte ohne Zweifel in erster Linie nicht auf rein verstandesmäßiges Interesse, sondern
vielmehr auf eine - wenn auch nicht immer bewusste - Anregung durch den Sexualtrieb
zurückzuführen sein.
Die Erkenntnis, dass der Verstand nicht ganz ausschließlich das einzige Moment für die
Forderung sexualethischen Fortschritts sei, ist im Prinzip keineswegs neu. Sind doch z.B. die
schon Genannten, nämlich Rousseau und Basedow, ausgesprochenermaßen Gegner
übertriebenen ‚Vernünftelns‘. Anstatt dessen versuchte man schon in jener Zeit, unmittelbar
auf das ‚moralische Gefühl‘, wie man es damals nannte, zunächst beim Kinde im
sexualethischen Sinne einzuwirken. Selbstverständlich wurde dadurch zugleich auf eine
16
Förderung der sexuellen Moral beim Erwachsenen hingezielt. Indem wir uns jedoch mit
praktischer Einwirkung beschäftigen, nähern wir uns schon dem nächsten Gedanken.
Welche praktischen Aussichten ergeben sich aus der sehr großen Bedeutung des
menschlichen Trieblebens für die Beeinflussung und Förderung des Sexualethos?
Selbstverständlich ist, um schon Gesagtes nochmals ausdrücklich zu wiederholen, die
belehrende Einwirkung auf den Verstand nicht zu entbehren. Aber gerade eben unser
Verstand wird uns davon überzeugen, dass neben dem rationalen Moment das physiologische
und im modernsten Sinne psychologische Moment erst recht ernstliche Berücksichtigung
finden muss. Ein Mittel hierzu ist u. a. die Pflege echter Religiosität. Sehr aussichtsreich ist
ferner die Erweckung und Stärkung des ‚moralischen Gefühls‘, wie man es in der
Aufklärungszeit nannte, das bedeutet für unser spezielles Gebiet die Pflege des Schamgefühls.
Dazu ist die Abwendung schädigender Einflüsse unentbehrlich. Zu diesem Zwecke ist auf die
überall angebotenen, meist bebilderten Literaturerzeugnisse, die sich sexuelle Dinge zum
Vorwurf nehmen, ein scharfes Auge zu richten. Selbstverständlich darf sich solche
Aufmerksamkeit nicht nur gegen die neueste Literatur richten, sondern sie muss sich auch auf
ältere Schriftwerke lenken. Erwähnt seien hier nur die (nicht bearbeiteten) Erzählungen von
‚1001 Nacht‘, von Boccaccios ‚Decameron‘ und von Casanovas Abenteuern. Dass diese
genannten Schriftwerke in der Vergangenheit nicht isoliert dastehen, beweißt die mehrfache
ernstliche Warnung des wiederholt genannten Pädagogen Basedow vor ungeeigneter, die
Sinnlichkeit reizender Lektüre. Am wichtigsten dürfte wohl eine zweckmäßige Lebensweise
sein. Dazu gehört etwa, dass die Nahrung in rechter Zusammensetzung, Menge und zeitlicher
Verteilung aufgenommen wird, dass hygienische Grundsätze einen weitgehenden Einfluss auf
die Kleidung haben, dass ungünstige Wohnverhältnisse (besonders Schlafgelegenheiten)
beseitigt werden, dass Arbeit und Erholung im rechtem Verhältnis zueinander stehen (von
beiden nicht zu viel und nicht zu wenig), dass nicht gesellschaftliche und weltliche
Vergnügungen,
sondern
Leibesübungen
und
Freude
in
der
leider
immer
mehr
zurückgedrängten freien Natur (Sport, Wandern , Gartenbau usw.) den Hauptteil der Erholung
ausmachen und dass die alte goldene Regel Geltung erhalte: Früh zu Bett gehen und früh
aufstehen! Ein weiteres Eingehen auf diese und andere (z.B. die Alkoholfrage) für die
Sexualethik so äußerst wichtigen Dinge ist an dieser Stelle nicht möglich. Auch dürfte für
dieselben das Urteil erfahrener Ärzte am kompetentesten sein.
Besonders wichtig ist die unmittelbare, nicht durch den Verstand vermittelte sexualethische
Beeinflussung für das kindliche und jugendliche Alter; denn einerseits ist hier die Gefahr
einer Schädigung der Sittlichkeit besonders groß, und andererseits ist jedoch die Möglichkeit
17
einer erfolgreichen erziehlichen Beeinflussung gegeben. Dass damit aber zugleich an der
sexualethischen Förderung des nächsten Erwachsenengeschlechtes gearbeitet wird, bedarf
keines Beweises.
6. ZWEI ETHISCHE PROBLEME IN IHREM GEGENSATZ UND IN IHRER
VEREINIGUNG IM SOZIALEN LEBEN. 1928
Zwei für die Individual- und Sozialethik hochbedeutende Grundprobleme gibt es: I. Die
egoistische und egozentrische; II. die altruistische Einstellung, auch Gerechtigkeitssinn,
Mitgefühl, Mitleid oder Liebe (nicht in sexuellem Sinne!) usw. genannt. In der
philosophischen und theologischen wissenschaftlichen Ethik werden die soeben parallel
genannten Bezeichnungen nicht immer in dem gleichen Sinne gebraucht. Hier möge es jedoch
der Einfachheit halber erlaubt sein, indem die Ausdrücke ‚egoistisch‘, bzw. ‚egozentrisch‘ die
psychologische Tatsache bezeichnen sollen, deren Ergebnis der Kampf ums Dasein ist, und
indem
‚Altruismus‘,
‚Liebe‘
usw.
die
gegenteilige
Gefühls-,
Willens-
und
Gedankeneinstellung, verbunden mit entsprechenden praktischen Auswirkungen, bezeichnen
soll. - Ganz ausdrücklich sei betont, dass mit den obigen Bezeichnungen ein Werturteil
wenigstens zunächst nicht gegeben werden soll.
I.
Kommen wir zuerst zu der egozentrischen Einstellung, d.h. zu dem Interesse am eigenen Ich.
Dass diese Einstellung zunächst einmal eine gefühlsmäßige, triebhafte ist, darf nicht
übersehen werden. Erst in zweiter Linie kommt, wenn es sich überhaupt einstellt, das
bewusste, verständige Nachdenken über eine etwaige berechtigte daseinskämpferische
Einstellung und über die besten Methoden, diesen Kampf zu führen, zur Geltung. Schon bei
den Pflanzen ist ein Kampf ums Dasein festzustellen, indem sie sich durch starke
Vermehrung, durch unangenehmen Geruch oder Geschmack, durch Brennhaare, Stacheln,
Dornen usw. gegen räuberische Tiere zu schützen suchen. Die Tiere dagegen wissen in vielen
Fällen den Selbstschutz der Pflanzen unwirksam zu machen. Dafür müssen sie sich aber
selber durch allerlei Mittel der Gewalt und der List, mit welcher sie von der Natur ausgestattet
sind, in einem harten, meist aussichtslosen Kampf gegen den Menschen wehren. Der Mensch
schließlich benutzt Pflanzen und Tiere für seine eigenen, persönlichen Zwecke, eine Tatsache,
die eines Beweises nicht bedarf. Daran kann der Umstand nichts ändern, dass gewisse
Nutzpflanzen (etwa Getreide und Kartoffeln) und Nutztiere (Rinder, Schafe, Schweine usw.)
nur dem Menschen ihre große Verbreitung verdanken. Das letzte Motiv ist und bleibt eben
der Selbsterhaltungstrieb und der Kampf ums Dasein des individuellen und kollektiven Ich.
18
Dieser Egoismus ist so groß, dass er nicht einmal vor den Individuen der eigenen Klasse halt
machen kann. Bekannt ist, dass sich die Pflanzen gegenseitig Nahrung und Licht wegnehmen
und dass ein Tier das andere zur Nahrung benutzt. Im Prinzip sind auch beim Menschen
ähnliche Beobachtungen zu machen. Das gilt zum Beispiel für das Wirtschaftsleben, worauf
seinerzeit besonders Friedrich Naumann hingewiesen hat. Ist es doch das stete Bestreben
eines Geschäftsmannes, die Konkurrenz zu überflügeln oder ihr wenigstens standzuhalten,
und auch die Kundschaft versucht er, diesem Zwecke dienstbar zu machen. Ein schlechter
Geschäftsmann übrigens, der sich anders einstellen wollte! Ähnliches gilt auch für die Volksund Weltwirtschaft, die ebenfalls den Kampf zwischen den einzelnen Berufsklassen und
Staaten nicht entbehren will und kann. Sogar die geistigen Bestrebungen, wenigstens
insoweit, als sie rein beruflich gepflegt werden, bilden keineswegs immer eine Ausnahme.
Wie fragt doch ein junger Mensch (bzw. seine Eltern oder sein Vormund), wenn er sich einen
solchen geistigen Lebensberuf erwählt? Er fragt, wofür er sich am meisten interessiert, wo er
die meisten Aussichten hat, vorwärts zu kommen, manchmal auch, welche Rücksichten auf
die eigene Familie zu nehmen sind. Sehr selten kommt jedoch die Frage ernstlich zur
Geltung: ‚Wie kann ich mit meinen Anlagen und Fähigkeiten der Allgemeinheit am besten
dienen?‘ Nicht einmal Kant hat es vermocht, das Nützlichkeitsprinzip, also ein egozentrisches
Motiv, aus seinem ‚kategorischen Imperativ‘ gänzlich fernzuhalten, wie Schopenhauer in
seiner Abhandlung ‚Über das Fundament der Moral‘ ausführlich nachweist.
Nochmals sei in diesem Zusammenhange darauf hingewiesen, dass die oben nachgewiesenen
Tatsachen nicht ohne weiteres eine abfällige Kritik bedeuten sollen. Ist doch die egozentrische
Einstellung und der Kampf ums Dasein ein äußerst bedeutungsvolles Agens für das Entstehen
und die Fortentwicklung der Zivilisation, bzw. der Kultur. Und unter diesen Umständen sind
die Folgen davon sowohl für die Allgemeinheit als auch ganz besonders für den Einzelnen
von den segensreichsten Folgen, obgleich solche ursprünglich nicht geplant waren.
II.
Wer allerdings nur den Egoismus gelten lassen will, wie Stirner in seinem Buche ‚Der
Einzige und sein Eigentum‘ und Nietzsche mit seinem ‚Herrenmenschentum‘ ‚jenseits von
gut und böse‘ das tun, der übersieht, dass es auch einen Altruismus gibt, der ebenfalls eine
natürliche Gegebenheit des normalen menschlichen Seelenlebens ist. Darum sind Gefühl für
Recht und Billigkeit, Mitgefühl, Mitleid, Liebe oder wie man es sonst noch nennen mag,
zunächst als psychologisch gegebene Tatsache zu erkennen und zu werten. Geschieht dieses
nicht oder soll dieselbe gar unterdrückt werden, dann wird der menschlichen Natur geradezu
19
Gewalt angetan. Und wenn auch jemand alles mit Vererbung und Erziehung erklären wollte,
so wäre dennoch die Frage zu beantworten: ‚Wie kann sich gerade der Altruismus ebenso
vererben wie irgendeine andere menschliche Seeleneigenschaft?‘ bzw. ‚Warum lenkt man die
Erziehung der Jugend und des ganzen Menschengeschlechts überhaupt gerade nach dieser und
keiner anderen Richtung?‘ Als am meisten befriedigende Antwort bleibt doch immer
diejenige, dass eben der Altruismus, wie gesagt, eine empirisch feststellbare psychologische
Tatsache der Seele des Menschen ist, welcher er beinahe zwangläufig Rechnung zu tragen
hat. ‚Was ist nun eigentlich das Symptom des Altruismus?‘ Dass das eigene Ich völlig hinter
einem anderen zurücktritt, unter Umständen bis zur Selbstvernichtung, und dass egoistische
Motive überhaupt nicht zur Wirksamkeit gelangen. Ein sehr einleuchtendes Beispiel ist der
Tierschutz aus reinem Mitgefühl, wie ihn Schopenhauer und Richard Wagner verstehen und
wie ihn die modernen Tierschutzvereine und die Tierschutzgesetzgebung auffassen. Dass der
Betreffende, der seine altruistischen Regungen auslebt, selber seine innere Befriedigung dabei
findet, ist noch kein Beweis dafür, dass es sich auch hier eigentlich um eine egoistische
Regung handele. Im Gegenteil: Wer, wie Kant es will, nur die ‚Vernunft‘ allein walten lassen
will, oder wer wie Ed. von Hartmann nur die kalt-logische Gerechtigkeit als das einzig
richtige Motiv des Ethos ansieht, der steht dem Egoismus zum allermindesten ebenso nahe
und tut außerdem den Phänomenen des menschlichen Seelenlebens Gewalt an.
Freilich, wie der Egoismus so gut wie gar nicht ohne altruistischen Einschlag ist, ebenso
wenig ist auch der Altruismus nicht ganz ohne jeden Egoismus denkbar. Ein Beispiel für
viele: Das Christentum, obgleich es mit größtem Recht die Religion der Liebe genannt
werden kann, der Liebe, die gegen das eigene Ich gleichgültig sein soll, ist anderseits ungleich
eine Erlösungsreligion, deren Ziel man am besten mit den Worten bezeichnen konnte:
‚Schaffet, dass ihr selig werdet‘ (Philipper 2, 12). Wichtig sind auch die Worte Jesu: ‚Alles,
was ihr wollet, dass es euch die Leute tun sollen, das tut ihr ihnen auch‘ (Matth. 7, 12; Lukas
6, 31), sowie: ‚Du sollst deinen Nächsten lieben als dich selbst‘ (Lukas 10, 27 nach 3. Mose
19, 18) Mit diesen Worten wird der Egoismus als Vorhanden anerkannt, indem als
selbstverständlich vorausgesetzt wird, dass ein jeder Mensch von seinen Mitmenschen nur
Gutes zu empfangen wünscht und dass ein jeder sich selbst liebe. Will man diese Tatsache
bedauern?Sicherlich so leicht nicht. Denn wie wäre es sonst möglich, das Gebot der Liebe zu
verwirklichen, wenn nicht zugleich die Möglichkeit bestünde, einem anderen Ich förderlich zu
sein, d.h. dieses in seinem Kampf ums Dasein, also in seiner egozentrischen Einstellung, zu
schützen und zu stützen?! Besonders zeigt sich ein solcher Zusammenhang von Altruismus
und Egoismus bei dem Verhältnis des Einzelnen zu irgendeinem Teil der Gesamtheit, etwa zu
20
einer beruflichen Organisation, zu einer Partei, zu einer Dorf- oder Stadtgemeinde, zu einer
staatlichen Organisation usw.. Ohne Zweifel gibt es so manchen Menschen, der sein Ich ganz
und gar einer solchen Gesamtheit unterordnet oder gar aufopfert und auf diese Weise sich rein
altruistisch einstellt. Was jedoch die fragliche Gesamtheit anbetrifft, so ist sie in der Regel auf
Kampf mit anderen Organisationen oder Personen eingestellt, d.h. sie vertritt einen
kollektiven Egoismus. Ein solcher kollektiver Egoismus jedoch kommt den einzelnen
Gliedern der fraglichen Gesamtheit zugute und ist in Beziehung auf diese also Altruismus.
Wird endlich diese fördernde Wirkung der betreffenden Organisation erkannt und benutzt
(und schließlich muss das so sein; sonst wäre die fragliche Vereinigung ja zwecklos), dann
spielt auch für den Einzelnen neben der Hingabe an das Ganze das eigene, individuelle Ich
eine große Rolle. (Ausführlicher hat sich F. Paulsen in seiner Ethik über solche und ähnliche
Zusammenhänge geäußert.)
Was die Wertschätzung anbetrifft, welche die beiden psychologischen bzw. ethischen
Tatsachen, welche oben behandelt wurden, genießen, so ist darüber folgendes zu sagen: Die
egozentrische Einstellung wird nur von dem ethischen Skeptizismus mit Bewusstsein
ernstlich vertreten. Aber das sind verhältnismäßig wenige Ausnahmen. Viel größer ist die
Zahl derjenigen, die unbewusst ihr eigenes Ich zum Mittelpunkt ihres Interesses machen. Dass
solches unvermeidlich und nicht ohne weiteres zu verurteilen ist, ist oben zu zeigen versucht
worden. Allerdings liegt eine Übertreibung des Egoismus und damit eine große Gefahr für das
Ethos sehr nahe. Unter diesen Umständen ist es verständlich, wenn der Altruismus in der
öffentlichen Meinung ein weit größeres Ansehen genießt. Selbst derjenige, der die Liebe als
‚Sentimentalität‘ anspricht, vermeidet es in der Regel, seinen psychischen Mangel (denn um
einen solchen handelt es sich schließlich) zuzugeben. Die meisten Menschen jedoch besitzen,
je nach ihrer Veranlagung, den ernsthaften Willen und Glauben, ‚gerecht‘, ‚gut‘, ‚altruistisch‘
zu sein. Die gefühlsmäßige, mehr oder weniger unbewusste Höhereinschätzung des
Altruismus gegenüber dem Egoismus wird auch dadurch erkennbar, dass trotz des letzteren
der erstere als Ideal, an dessen einstige Verwirklichung man glaubt, so ziemlich allgemein
anerkannt wird, wofür sich Zeugnisse aus den verschiedensten Zeit- und Geistesperioden
anführen lassen. Schon der altjüdische Prophet Jesaja redet von einem zukünftigen
Friedensreiche, in welchem der Kampf ums Dasein zwischen den Tieren und auch zwischen
Tieren und dem Menschen ein Ende haben wird. (Jesaja 11, 6-9.) Ähnlich predigt Jesus vom
Kommen des Reiches Gottes, das bedeutet zugleich des Reiches der Liebe. Verständlich ist es
daher, wenn Paulus im ersten Briefe an die Korinther, Kapitel 13, der Liebe vor Glaube und
Hoffnung den Vorzug gibt (Vers 13) und ihr ewiges Fortbestehen zuschreibt (Vers 8). Aus
21
neuerer Zeit erwähnt sei Kant, der durch Aufstellung eines moralischen Gottesbeweises
bekundet, dass auch er das Ideal einer künftigen ausschließlichen Herrschaft des Guten hat.
Nicht unerwähnt möge auch der im Sozialismus einst sehr beliebte Gedanke des
‚Zukunftsstaates‘ sein, ein Gedanke, der ohne Zweifel ebenfalls von ethischem Idealismus
und Optimismus Zeugnis ablegt.
Welches sind nun die wichtigsten Folgerungen hieraus für die Sozialethik?
1. Egoismus und Altruismus brauchen nicht unvereinbare ethische Gegensätze zu sein.
2. Die Egozentrische Einstellung ist als natürliches Phänomen zugleich ein allgemeines
Menschenrecht. Wird dieses Recht in verständiger Weise in Anspruch genommen (natürliche,
gesunde Lebensweise, besonders in den Nahrungs-, Kleidungs-, Wohnungs- und
Arbeitsverhältnissen, sowie in einer geregelten, auskömmlichen Entlohnung, nicht zu
vergessen auch in einem Kampf ums Dasein, der in weitgehender Weise sich durch Recht und
Billigkeit regulieren lässt), so wirkt er fördernd auf weiteste Kreise und ist, wenigstens in
seinen Auswirkungen, geradezu altruistisch.
3. Die psychologische Tatsache der altruistischen Einstellung darf ebenfalls nicht übersehen
werden. Und vor allem darf sie nicht ohne Berücksichtigung bleiben. Diese Forderung ist
umso leichter zu erfüllen, als ihre Befolgung keineswegs immer eine persönliche Schädigung
bedeuten muss. Denn was zum Beispiel für die soziale Fürsorge und für die Erhaltung und
Mehrung der Volkskraft ausgegeben wird, das kommt mit Zinsen wieder herein, indem Staat
und Wirtschaft das größte Interesse an treuen Beamten, guten Arbeitern, kaufkräftigen
Abnehmern, an der günstigen Entwicklung der Jugend, überhaupt an der Wohlfahrt des
ganzen Volkes haben.
4. Nun wird der Egoismus allerdings leider sehr oft übertrieben, eine Tatsache, die beim
Altruismus nicht vorliegt. Darum ist der Glaube an das Ideal der Liebe so sehr als möglich zu
pflegen und seine zukünftige Verwirklichung nach Möglichkeit optimistisch zu betrachten,
etwa mit dem hoffnungsvollen Wort aus Goethes ‚Faust‘: ‚Wer immer strebend sich bemüht,
den dürfen wir erlösen‘, - erlösen auch von jedem übertriebenen Egoismus. Diese Pflege des
Ideals darf natürlich niemals ohne praktische Auswirkung sein. Zu nennen wären hier alle
Arten der sozialen Fürsorge besonders die Förderung der wirtschaftlich Schwachen, ohne
Rücksicht darauf, ob es sich gerade rentiert oder nicht (zum Beispiel die Sorge für Alte und
Gebrechliche. Genannt werden möge an dieser Stelle auch noch einmal der Tierschutz). Im
Übrigen geben die verschiedenen christlichen Kirchen genügende Anweisungen für die Arbeit
im Dienste der Liebe.
22
7. GESINNUNGSDIKTATUR ODER GEDANKENFREIHEIT? 1930
Gedanken über eine liberale Gestaltung des Gesinnungsunterrichts.
Die Gesinnung geht stets in irgendeiner Weise auf ein als sittlich empfundenes
Werturteil zurück. Im Gegensatz zu jeder Gesinnung steht die Wissenschaft, indem sie solche
Werturteile nicht als Grundlage ihrer Arbeit anerkennt. Freilich kann die Wissenschaft eine
Gesinnung begründen, bzw. das Material für eine solche liefern. Und das ist ohne Zweifel
sehr zu begrüßen. Allerdings kommt es vor, dass gar keine Folgerungen gezogen werden,
oder, wo es doch geschieht, dass sie bei verschiedenen Menschen einander geradezu
widersprechen. (Deutsche und Franzosen betrachten sich in der Regel als Erbfeinde. Die
einen nehmen das kritiklos als Tatsache hin. Andere beschäftigen sich näher mit der Sache,
kommen jedoch zu verschiedenen Ergebnissen: Teils will man das Problem durch
kriegerische Auseinandersetzungen lösen, teils durch Verständigung.)
Andererseits wird zuweilen versucht, und nicht immer ohne Erfolg, nicht von den
wissenschaftlich fassbaren Tatsachen der Wirklichkeit auszugehen, sondern von der von
vornherein
feststehenden
Gesinnung
aus
auf
Wirklichkeit,
Wissenschaft
und
Kulturverständnis Einfluss auszuüben, was übrigens auch ohne innere bewusste Klarheit zur
Auswirkung kommt. Der genannte Schritt von Gesinnung zu Wissenschaft (vorausgesetzt,
dass ein solcher Schritt überhaupt möglich ist) ist jedoch nur ausführbar unter Ausschaltung
des objektiven Denkens überhaupt oder wenigstens für das in Frage stehende Gebiet.
Außerdem wird durch Überhängen eines wissenschaftlich aussehen-sollenden Mantels diesem
Schritt sehr oft ein Dekorum verliehen, das ihm nicht zusteht.
An Stelle weiterer Überlegungen möge im folgenden ein Blick auf die Praxis des
Gesinnungsunterrichts, wie er war, wie er zum großen Teil noch ist und wie er sein soll,
geworfen werden. Zunächst sind die alten Gesinnungsfächer, die sich bis in die Gegenwart
hinein gehalten haben: Religion, Deutsch und Geschichte, zu beachten.
Bei dem Religionsunterricht im alten Stil steht von vornherein fest, dass die Religion, mehr
noch das Christentum und vor allem eine bestimmte Konfession, die Gesinnung zu
bestimmen habe, zunächst innerhalb des Unterrichts, aber auch für die spätere Zeit. Vergessen
wird, dass der Glaube gerade nach christlicher Anschauung nicht anzudemonstrieren ist;
vergessen wird, die Mängel der eigenen und die Vorzüge der fremden Konfession
einzugestehen. Die Bibel und sonstige Werke religiöser Tendenz werden gern in der Weise
benutzt, dass man sich Passendes heraussucht. Widersprechendes mit Stillschweigen übergeht
oder den Sinn tendenziös verändert nach dem Grundsatz des Mephistopheles in Goethes
‚Faust‘: ‚Im Auslegen seid frisch und munter. Legt ihr nichts aus, so legt was unter‘. Natürlich
23
können sich gleichartige Missstände auch bei Dissidenten finden; denn Missstände sind es,
mit solchen Mitteln eine willkürliche Gesinnung zu züchten, wodurch die Gedankenfreiheit
praktisch illusorisch gemacht wird (vgl. damit Art. 135 der Deutschen Reichsverfassung,
welcher ausdrücklich allen Bewohnern des Reiches volle Glaubens- und Gewissensfreiheit
zugesteht.)
Im Deutsch- und Geschichtsunterricht wird, besonders seit der Zeit der Romantik, eine
Gesinnung erstrebt, die sich in der Liebe zu Vaterland und Volk, später zum Staate und zum
angestammten Herrscherhause auswirken soll. Als Beispiel einige wenige bekannte Proben
für diese Gesinnung an Stelle eines fast unabsehbaren Materials: ‚Right or wrong my
country‘, sagt der Engländer, während der Deutsche glaubt, dass am deutschen Wesen die
Welt wieder genesen soll, und während der Franzose sein Volk als ‚La Grande Nation‘
ansieht. Ob solche Gesinnungen wünschenswert sind oder nicht, darüber soll hier kein Urteil
gefällt werden. Ja, nehmen wir ruhig einmal an, dass solche Gesinnung tatsächlich
erstrebenswert sei. Aber wie steht es mit der Methodik der Gesinnungsbeeinflussung bzw. des
Gesinnungsunterrichts? Man geht von einer bereits vorhandenen Gesinnung aus, man verbirgt
den subjektiven Charakter dieser Gesinnung unter einer sich wissenschaftlich-objektiv
gebenden Tünche, man verpönt streng das voraussetzungslose, logische Nachdenken über die
fragliche Gesinnung. Wie Goethe seinen ‚Faust‘ sagen lässt: ‚Du hast wohl recht, ich finde
nicht die Spur von einem Geist, und alles ist Dressur.‘ Also nicht Gedankenfreiheit, sondern
Dressur, sondern Diktatur der Gesinnung (die übrigens, das sei ausdrücklich festgestellt, von
der politischen und pädagogischen Rechten, von der Mitte und von der Linken ausgehen
kann). Nun gibt es allerdings Kreise, welche die Methode, mag sie noch so subjektiv und
unpsychologisch sein im Hinblick auf den sicher zu erwartenden Erfolg gelten lassen. Ob man
sich jedoch mit einer Entziehung der Gedankenfreiheit und mit einem Ersatz derselben durch
eine Gesinnungsdiktatur im Allgemeinen sowie besonders in der Schule heute noch
befreunden kann, ist mehr als zweifelhaft.
Wie aber soll es dann sein? Die Antwort ergibt sich nach dem vorhergehenden von selbst:
Nicht Dressur, sondern Liberalismus bzw. ‚Demokratisierung‘ der Gesinnung. Dies wirkt sich
für den Unterricht in folgender Weise aus:
1. Keine feststehende, subjektive Gesinnung ist zu lehren.
2. Streng zu vermeiden ist es, eine vorgefasste Gesinnung mit einer angeblichen Objektivität
und einen Anstrich von fälschlich so genanntem Arbeitsunterricht zu verschleiern.
3. Es ist methodisch unzulässig, nur Passendes zu berücksichtigen und unbequeme Tatsachen
zu verschweigen, abzuleugnen oder nach Bedarf zu verdrehen.
24
4. Stets sind verschiedene Gesinnungseinstellungen zu berücksichtigen.
5. Auch einander widersprechende Gesinnungen sind in ihren Vorzügen und Fehlern
gleichmäßig-tendenzlos zu behandeln. (Nicht die eine durch eine rosige, die andere durch eine
schwarze Brille zu betrachten.)
6. Wenn man eine persönliche Anschauung mitteilt, so sollte das stets unverbindlich
geschehen. Auch darf man nicht vergessen, die Problematik dieser eignen Gesinnung
aufzuzeigen.
7. An Stelle jeder tendenziösen Gesinnungsmacherei ist den Schülern Gelegenheit zu geben,
sich eine eigene Gesinnung zu bilden bzw. ihnen das objektive Material für eine spätere
eigene Gesinnung zu geben.
8. ‚Vernunft und Wissenschaft, des Menschen allerhöchste Kraft‘, darf nie bei der Bildung
einer neuen bzw. bei der Kontrolle einer bereits bestehenden Gesinnung fehlen. Falsch ist
daher der in einer in München erscheinenden Zeitung gebrachte Grundsatz: ‚Erst die
Gesinnung, dann den Verstand‘. Übrigens, wenn der ‚Verstand‘ auch nur nachträglich eine
objektive Kontrolle der Gesinnung ausüben würde, so könnte man damit schon zufrieden sein.
9. Man soll sich nicht darauf berufen, die Jugend sei nur reif für die Methode der Autorität,
nicht für die Methode der Freiheit, eine Behauptung, die nicht ganz ohne Widerspruch bleiben
dürfte. Aber wenn auch! Die Saat ist immer früher als die Ernte. Die praktischen Folgerungen
für den Religionsunterricht ziehen die ‚Richtlinien für die Lehrpläne der höheren Schulen
Preußens‘ in den methodischen Bemerkungen für die einzelnen Unterrichtsfächer, wo
ausdrücklich gesagt wird, dass sich der Religionsunterricht als Klassenunterricht damit
begnügen muss, für die spätere Selbstentscheidung der Schüler geeignetes Material zu
schaffen.
10. Und wenn auch einmal eine nicht wünschenswerte Gesinnung sich entwickelt, so ist nicht
zu vergessen, dass solche Fälle nach der alten Erziehungs- und Unterrichtsmethode erst recht
vorkommen können. Außerdem: Eine selbst erarbeitete Gesinnung ist besser als eine bloß
übernommene, besser als eine kindliche und unreife Einstellung zur Gesinnungsfrage.
Für den Schulunterricht ist die Erkenntnis wichtig, dass sich alle Fächer gesinnungsbildend
auszuwirken vermögen. Mathematik, Physik und Chemie können zu exakter Genauigkeit und
strengster Wahrhaftigkeit erziehen, und zwar unter Vermeidung jeglichen Moralisierens. Die
Biologie ist geeignet, die sehr im Argen liegende Naturerkenntnis zu fördern, alte, längst
überlebte Vorurteile zu beseitigen und Liebe zur Natur zu ergründen bzw. zu vertiefen.
Musik, Zeichnen, Handfertigkeit und Nadelarbeit wirken günstig auf den Geschmack ein und
geben der Gesinnung dadurch einen ästhetischen Zug. Turnen und Sport befriedigen den
25
Trieb des Menschen zum Kampf ums Dasein. Außerdem erziehen sie zu einer gewissen
Kameradschaftlichkeit auch dem Gegner gegenüber. Beide Momente bilden eine Hemmung
für Rauf- und Kriegslust und unbegründeten Völkerhass. In demselben Zusammenhange ist
auch der Sprachunterricht, der heute ohne einen entsprechenden Sachunterricht nicht mehr
erteilt wird, von größter Bedeutung für die Gesinnung der Jugend und damit zugleich für die
der nächsten Erwachsenengeneration.
8. UNSER ZWEIFEL AN GOTT. 1933
1. Die Wahrheit ist nicht erkennbar. Auch das, was nach landläufigem Sprachgebrauch
Wissenschaft genannt wird, bringt kein wahres Wissen, keine wirkliche Erkenntnis der
Wahrheit. Das folgt für mich aus dem Skeptizismus in alter und neuer Zeit, aus
agnostizistischen, positivistischen und pragmatistischen Gedankengängen. Frage ich mich:
‚Was ist Wahrheit?‘ (Pontius Pilatus nach Joh. 18, 38), so muss ich mir selbst antworten: ‚Ich
weiß, dass ich nichts weiß‘ (Sokrates) ‚und sehe, dass wir nichts wissen können‘ (Goethe:
Faust).
2. Eines jedoch weiß ich, weiß es mit Sicherheit, nämlich ob ich glücklich bin oder nicht.
3. Mein Glück hängt nicht von Geld und Gut und anderen äußerlichen Dingen ab, wenigstens
nicht in seinen entscheidenden Ursachen. Immer kommt es letzten Endes auf etwas
Innerliches, Geistiges an.
4. Das höchste Glück von allen geistigen Dingen ist für mich mit der Liebe verknüpft.
5. Da die Liebe das höchste Glück bringt, ja, selbst die höchste Seligkeit ist, so soll mein
Streben nicht eigennützig sein, sondern es schließt den Allgemeinnutz als unentbehrlichen
Bestandteil in sich.
6. Von dem, was mir erkennbar ist, sozusagen von praktischen Gesichtspunkten her, beurteile
ich den Glauben. Da interessieren mich zwei Glaubensformen: (a) Die ständig wechselnde
Tagesmeinung, jeweils zu ihrer Zeit als ‚gesunder Menschenverstand‘ bezeichnet und auf die
gerade bestehenden wissenschaftlichen Anschauungen und Erkenntnisse (die aber eben nur
eine Form des Glaubens sind) gegründet. – (b) Die christliche Religion.
7. (Zu 6a). Das, was sich zu den verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten
Wissenschaft nennt, hat gewiss sehr oft zum Glück der Allgemeinheit und somit zu meinem
eigenen Glück beigetragen. In solchen Fällen ist der Glaube an die fragliche wissenschaftliche
Erkenntnis mehr als berechtigt. Allerdings lässt die vermeintliche Erkenntnis der Wahrheit,
wenn sie sich auch als wissenschaftliche Wahrheit gibt, oft gerade auf den schwierigsten
Gebieten und in den verhängnisvollsten Augenblicken mein Streben nach Glück im Stich.
26
Unter Umständen schädigt sie mich sogar, etwa indem sie mich durch Zivilisation und
Technik in eine Sphäre reiner Äußerlichkeiten hineinzuzwingen sucht und darauf abzieht von
dem Innerlichen und Geistigen, von dem mein Glück und das Glück der Allgemeinheit
letztlich abhängt. In diesem Falle wird der wahre, gute Glaube an das vermeintliche Wissen
von der Wahrheit zum falschen Glauben, zum schädlichen Aberglauben.
8. (Zu 6b.) Die christliche Religion ist auch nur ein Glaube. Aber sie besitzt durchaus nicht
weniger Glaubwürdigkeit als der Glaube, der sich vernünftige oder wissenschaftliche
Erkenntnis nennt. Vor allen Dingen aber: Dieser Glaube macht mich glücklich; denn er gibt
mir geistige Güter, er ist die Religion der Liebe. Und als Religion der Liebe macht sie mich
dazu fähig, ein lebendiges, nützliches Glied der Allgemeinheit zu sein.
9. Je ‚unverdünnter‘ und ‚massiver‘, je ‚positiver‘, je entschiedener der christliche Glaube ist,
das soll heißen: je unabhängiger er von der ewig sich ändernden Meinung des Augenblicks
ist, wenn diese sich auch als exakte wissenschaftliche Erkenntnis vorstellt oder verstellt, desto
größer ist die Möglichkeit, dass er Glück bringt, - desto wahrer ist er.
10. ‚Unsere Zweifel an Gott?‘ - Die sind damit gegenstandlos geworden.
9. DREI STUDIEN ZUM 5. GEBOT. 1934
I. Das 5. Gebot als Ausdruck des Sittengesetzes
Wie tun wir Gutes? - Auf diese Frage gibt die so genannte ‚Goldene Regel‘ Antwort:
Alles, was ihr wollt, dass es euch die eure tun sollen, das tut ihnen auch (Matthäus 7, V. 12;
Lukas 6, V. 31). Kants ‚Kategorischer Imperativ‘: Handle so, dass die Maxime deines
Handelns zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne, bedeutet im
Grunde genau dasselbe. - Jedoch geben solche und ähnliche Formulierungen eben nur ein
formales Kennzeichen einer ‚guten‘ Handlungsweise. Das Motiv könnte trotz dieses
Kennzeichens sogar krasser Eigennutz sein, nämlich eine Art Vertrag auf Gegenseitigkeit:
Tue mir nichts, dann tue ich dir auch nichts. (Das zeigt Schopenhauer in seiner ‚Grundlage
der Moral‘.)
Denkt man daran, dass die Liebe des Sittengesetzes Erfüllung sei (Römer 13, V.10), dann ist
man zwar einen Schritt weiter: Man kennt das Motiv. Aber man kennt noch nicht den
konkreten Inhalt des Sittengesetzes, weiß nicht, was man im Einzelnen tun oder lassen soll.
Hier hilft Schopenhauer weiter. Er nennt als die beste, konkrete Beschreibung einer
moralischen Handlungsweise den Satz: Nemin Laede, imo omnes, quantum potes, juval
(Verletze niemanden, sondern hilf allen, soweit du es irgend vermagst!)
27
Mehr als zwei Jahrtausende vor Schopenhauer hat bereits das 5. Gebot solche Erkenntnis
gebracht, und zwar unter einem größeren Gesichtspunkte, als Nutzen und Schaden, nämlich
unter dem Gesichtspunkte der Heiligkeit des Lebens und der Lebensäußerungen. Darum die
Forderung: ‚Du sollst nicht töten!‘ Wir wissen durch Jesus, dass das 5. Gebot nicht nur das
Morden verbietet, sondern alle bösen Taten gegen den Anderen, ja sogar das böse Wort, die
böse Gesinnung. Das bedeutet: Es verbietet nicht nur die böswillige oder fahrlässige
Vernichtung eines Lebens, sondern alles, was irgendwie störend oder hemmend auf ein Leben
einzuwirken geeignet ist. Dass das 5. Gebot nicht nur negativ, sondern auch positiv zu
verstehen ist, hat Luther in seinem Katechismus deutlich gemacht. - Aus allem ergibt sich,
dass das 5. Gebot einen ganz besonders guten Ausdruck dessen, was sittlich gut sein praktisch
bedeutet, darstellt.
II. Die Pflicht der Selbsterhaltung
Wenn man von ethischen Pflichten spricht, dann versteht man darunter eigentlich
immer nur Pflichten gegen andere Menschen. In der Regel wird nicht daran gedacht, dass ein
jeder Mensch auch gegen sich selbst sittliche Verpflichtungen hat, und dass diese von sehr
großer Wichtigkeit sind. Die christliche Religion weist auf diese ethische Pflicht jedes
Menschen gegen sich selbst ausdrücklich hin. Das geschieht grundsätzlich durch das fünfte
Gebot: ‚Du sollst nicht töten.‘ In dem Sinne von: ‚Du sollst niemanden an seinem Leben
Schaden oder Leid tun, sondern ihm helfen und fördern in allen Nöten seines Leibes und
Lebens, wo du irgend vermagst‘ 1 , bezieht es sich zunächst allerdings auf das Leben des
‚Nächsten‘. In der letzten Konsequenz aber bedeutet es: Nach christlicher Auffassung ist jedes
Menschenleben als solches ethisch ‚heilig‘ - als auch das eigene Leben. Erhaltung des Lebens
auch das eigene Leben nicht ausgenommen  ist Pflicht. Und Vernichtung oder Schädigung
von Leben - wiederum auch des eigenen Lebens - ist Sünde. ‚Wisset ihr nicht, dass ihr der
Tempel Gottes seid und der Geist Gottes in euch wohnt? Den Tempel Gottes aber sollt ihr
heilig halten und nicht verderben.‘ (Nach 1. Korinther 3, V. 16-17)
Wie haben sich die im fünften Gebot gegebenen ethischen Verpflichtungen gegen das eigene
Leben im Einzelnen praktisch auszuwirken? Dadurch, dass man nicht sich selbst sein Leben
nimmt, dass man es nicht abkürzt, schädigt oder gefährdet, indem man seine Gesundheit
durch Unkeuschheit, Unmäßigkeit im Essen und Trinken, heftigen Zorn, leichtsinnige
Tollkühnheit und Waghalsigkeit u. dgl. schwächt. Besonders wichtig ist die Bewahrung der
geschlechtlichen Reinheit sowie die Vermeidung des Missbrauchs geistiger Getränke. Was
das erstere anbetrifft, so ist dabei das Neutestamentalische Urteil besonders deutlich: ‚Wer
1
Vgl. dazu Luthers Erklärung zum 5. Gebot, deutsch und lateinisch.
28
Unzucht treibt, der sündigt gegen das eigene Leben.‘ (Nach 1. Korinther 6, V. 18.) Aber nicht
nur die unzüchtige Tat zu unterlassen ist ethische Pflicht das Menschen gegen sich selbst,
sondern auch die Vermeidung alles dessen, was zur Unkeuschheit verleitet: Unehrbare Blicke,
unreine oder zweideutige Reden, Scherze und Lieder, unsittliche Schriften und Bilder,
unanständige Spiele, Tänze, Kleider u. dgl. - Was die Alkoholfrage anbetrifft, so wird die
christliche Einstellung durch die Erkenntnis begründet, dass ‚der Wein viele Leute umbringt‘
(Vgl. Sirach 31, V. 30), d.h. dass von der Seite des Alkohols her dem Leben und der
Gesundheit große Gefahren drohen.
Müssen die ethischen Verpflichtungen gegen das eigene Leben nicht unbedingt mit den
Pflichten gegen den Nächsten in Kollision kommen? Das ist durchaus nicht notwendig. Im
Gegenteil: Wer seine sittlichen Pflichten gegen sich selbst recht erfüllt, der vermeidet eben
dadurch viele Schädigungen anderer Menschen. Das sei an der schon erwähnten sexualen und
an der Alkoholfrage gezeigt: Wer dem Laster der Unkeuschheit verfallen ist, der ist in Gefahr,
sich körperlich und geistig zu schwächen. Auch drohen die Geschlechtskrankheiten.
Schwäche und Krankheit aber bewirken, dass der davon Befallene der Allgemeinheit mehr
oder minder zur Last fällt, sie also schädigt. Hat er Nachkommenschaft, so schädigt er auch
diese, indem er ihr eine schwächliche oder kranke Natur vererbt, wodurch dann in der
weiteren Folge der Allgemeinheit wiederum Belastung und Schaden erwächst. Wer jedoch in
dieser Hinsicht sein eigenes Leben vor Schaden bewahrt, der tut damit zugleich auch seine
Pflicht gegen die Allgemeinheit. Ähnlich verhält es sich mit dem Alkohol: Auch der dem
Alkoholgenus Ergebene setzt sich
unter Umständen den schwersten körperlichen und
geistigen Gefahren aus. Auch er schädigt dann nicht etwa nur sich selbst, sondern seine
Familie, seine Nachkommenschaft, sein Volk, seine Rasse 2 . Und wiederum: Wer sich selbst
in dieser Hinsicht vor Schaden bewahrt, der tut damit zugleich an seinem ‚Nächsten‘, ja, an
seinem ganzen Volke Gutes.
III. Der bio-ethische Imperativ
‚Du sollst nicht töten‘, so mahnt das fünfte Gebot. Nun bezieht sich der Begriff des Tötens
immer auf etwas Lebendiges. Lebewesen sind aber nicht nur die Menschen, sondern auch die
Tiere und die Pflanzen. Da nun das fünfte Gebot nicht ausdrücklich nur das Töten von
Menschen verbietet, sollte es dann nicht vielleicht sinngemäß auch auf Tiere und Pflanzen
anzuwenden sein?
2
Der Alkohol ist ‚ein schlimmer Feind unserer Rasse‘. Vgl. die so betitelte Schrift von
Wilhelm John, die in Nr. 2 der ‚Ethik‘ besprochen wurde.
29
Aber stehen uns Tiere und Pflanzen so nahe, dass wir sie gleichsam als unsere Nächsten
einschätzen und behandeln müssten? Blicken wir auf die Arbeiten der modernen
Naturwissenschaft, dann finden wir zunächst eine grundsätzliche Gleichstellung von Mensch
und Tier als Versuchsobjekte nicht nur der Physiologie, sondern auch der Psychologie. Diese
beschränkt sich heute, wie gesagt, nicht mehr auf den Menschen, sondern sie arbeitet mit
denselben Methoden auch auf dem Gebiet des Tierischen, und wie es eine vergleichende
anatomisch-zootomische Forschung gibt, so werden auch höchst lehrreiche Vergleiche
zwischen
Menschen-
und
Tierseele
angestellt 3 .
Ja,
sogar
die
Anfänge
einer
Pflanzenpsychologie machen sich bemerkbar - die bekanntesten ihrer Vertreter sind G. Th.
Fechner 4 in der Vergangenheit, R.H. Francé 5 und Ad. Wagner 6 in der Gegenwart -, so dass
die moderne Psychologie alle Lebewesen in den Bereich ihrer Forschungen zieht. Unter
diesen Umständen ist es nur folgerichtig, wenn E. Eisler 7 zusammenfassend von einer BioPsychik spricht.
Von der Bio-Psychik ist nur ein Schritt bis zur Bio-Ethik, d.h. zur Annahme ethischer
Verpflichtungen nicht nur gegen den Menschen, sondern gegen alle Lebewesen. Sachlich ist
die Bio-Ethik durchaus nicht erst eine Entdeckung der Gegenwart. Bereits Montaigne 8 räumt
als zunächst noch alleinstehender Vertreter des modernen Gefühlsethos allen Lebewesen
einen Anspruch auf Behandlung nach ethischen Grundsätzen ein: Den Menschen seien wir
Gerechtigkeit schuldig; Milde und Barmherzigkeit allen übrigen Geschöpfen, welche davon
Vorteil zu haben fähig sind. Im gleichen Sinne fordert Herder 9 vom Menschen, dass er sich
nach dem Vorbild der alles mit ihrem Gefühl durchdringenden Gottheit in fades Geschöpf
versetzen und in dem Maße mit ihm empfinden könne, als das betreffende Geschöpf es
bedarf. Diese Gedankenreihen werden durch den Theologen Schleiermacher 10 fortgesetzt, der
es für unsittlich erklärt, dass Leben und Gestaltung, wo sie schon sind, also auch beim Tier
und bei der Pflanze, zerstört werden, ohne dass ein vernünftiger Zweck damit verbunden ist.
Desgleichen fordert der Philosoph Krause 11 , ein Zeitgenosse Schleiermachers, dass jedes
3
Von neueren tierpsychologischen Arbeiten sind besonders zu empfehlen: Sommer,
Tierpsychologie, Leipzig 1925. - Alverdes, Tiersoziologie, Leipzig 1925.
4
G..Th. Fechner, Nanna oder das Seelenleben der Pflanze.
5
R.H. Francé, Pflanzenpsychologie als Arbeitshypothese der Pflanzenphysiologie, Stuttgart
1909.
6
Ad. Wagner, Die Vernunft der Pflanze, Dresden 1926.
7
E. Eisler, Das Wirken der Seele, Stuttgart 1908.
8
Montaigne, Essays.
9
Herder, Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit.
10
Schleiermacher, Philosophische Sittenlehre (Kirchmann 1870)
11
K.Chr.Fr. Krause, Das System der Rechtsphilosophie (Röder, Leipzig 1874).
30
Lebewesen als solches zu achten sei und zwecklos nicht zerstört werden dürfe. Denn sie alle,
die Pflanzen und die Tiere ebenso wie der Mensch, seien gleichberechtigt; allerdings nicht zu
gleichem, sondern ein jedes nur zu dem, was ein notwendiges Erfordernis zur Erreichung
seiner Bestimmung ist. Auf die indische Gedankenwelt berief sich Schopenhauer, der es als
einen besonderen Vorzug seiner Ethik ansah, ihre Haupttriebfeder, das Gefühl des Mitleids,
auch für das Tier gefordert zu haben 12 . Durch Richard Wagner, der von Schopenhauer stark
beeinflusst ist und ein leidenschaftlicher Tierfreund war, sind diese Gedanken für breiteste
Kreise Allgemeingut geworden.
In bezog auf das Tier ist uns die ethische Forderung längst eine Selbstverständlichkeit
geworden 13 , wenigstens in der Form, es nicht nutzlos zu quälen. Anders ist es schon mit der
Pflanze. Jedoch dürften im Hinblick auf die biologischen und biopsychischen Erkenntnisse
der Gegenwart (siehe oben) sowie auf die oben mitgeteilten Gedankenkreise von Montaigne,
Herder, Schleiermacher und Krause ethische Verpflichtungen auch gegen die Pflanze
erkennbar sein. Mit rein gefühlsmäßig-dichterischer Begründung ist auch diese Erkenntnis
nichts Neues. Man denke z.B. an Goethe, der von Faust die Pflanzen als Brüder bezeichnen
lässt, oder an Richard Wagners ‚Parsifal‘: In frommer Huld schont der Mensch wenigstens am
Karfreitag Halm und Blume auf der Au mit sanftem Schritt, um sie nicht zu verletzen. Ernster
zu nehmen sind die pflanzenethischen Überlegungen, die der sehr nüchterne Ed. v.
Hartmann 14 anstellt. In einem Aufsatze über den Blumenluxus schreibt er von einer
gepflückten Blüte: ‚Sie ist ein zum Tode verwundeter Organismus, dessen Farben nur noch
nicht beschädigt sind, ein noch lebendes und lächelndes Haupt, das von seinem Rumpfe
getrennt ist. Wenn ich aber die Rose im Wasserglas sehe, so kann ich mich des widerwärtigen
Gedankens nicht erwehren, dass der Mensch ein Blumenleben gemordet hat, damit es im
Sterben ein Auge erfreue, das herzlos genug ist, den unnatürlichen Tod unter dem Scheine des
Lebens nicht herauszufühlen‘ 15 Die pflanzenethischen Forderungen, die diese Anschauung
enthält, sind ohne weiteres deutlich.
Was die Möglichkeit der Verwirklichung solcher ethischer Verpflichtungen gegen alle
Lebewesen anbetrifft, so scheint sie eine Utopie zu sein. Da ist jedoch nicht zu übersehen,
dass die ethischen Verpflichtungen gegen ein Lebewesen sich praktisch nach dessen
‚Bedürfnissen‘ (Herder), bzw. nach seiner ‚Bestimmung‘ (Krause) richten. Nun sind ja die
12
Schopenhauer, Über das Fundament der Moral.
Das umfassende Werk auf diesem Gebiete ist immer noch: Bregenzer, Tierethik, Bamberg
1894.
14
Die psychologischen Voraussetzungen behandelt W. v. Schnehen, Ed. v. Hartmann und die
Pflanzenpsychologie, Stuttgart 1908.
15
Ed. v. Hartmann, Der Blumenluxus, 1885.
13
31
Bedürfnisse der Tiere an Zahl weit geringer und an Inhalt weniger kompliziert als die des
Menschen. In erhöhtem Maße gilt dies für die Pflanze, so dass die ethischen Verpflichtungen,
die schon gegen das Tier (wenn auch nicht grundsätzlich, so doch praktisch) geringer sind,
gegen sie noch viel weniger Schwierigkeiten bereiten. Des Weiteren ist hier noch das Prinzip
des Kampfes ums Dasein von Einfluss, ein Prinzip, welches auch unsere ethischen Pflichten
gegen die Mitmenschen nicht wenig modifiziert. Innerhalb dieser Grenzen bleiben immer
noch zahlreiche Möglichkeiten zur bioethischen Betätigung. Eine Anleitung dazu, auf welche
Weise diese auf dem Gebiete der Tierethik etwa geschehen kann, geben die
Tierschutzparagraphen in den Strafgesetzbüchern der verschiedenen Kulturländern 16 .
Vergleiche besonders das neue deutsche Reichstierschutzgesetz. Auf dem Gebiet der
Pflanzenethik weist uns unser Gefühl den Weg, z.B. indem es uns hindert, Blumen zu
pflücken und sie nach kurzer Zeit achtlos wieder wegzuwerfen, oder im Freien Pflanzen am
Wege mit dem Spazierstock zu köpfen, oder wenn es uns mit Abscheu erfüllt über den
blinden Zerstörungstrieb roher Burschen, welche junge Bäume an der Landstraße abbrechen.
Auch ist übertriebener Blumenluxus, um von Ed. v. Hartmann zu lernen, ethisch nicht fein
und wohl vermeidbar.
In all dem zeigt sich der universale Geltungsbereich des fünften Gebotes, das in Beziehung
auf alles Leben angewendet zu werden verlangt. Als Umschreibung des fünften Gebotes
ergibt sich der bio-ethische Imperativ: ‚Achte jedes Lebewesen grundsätzlich als einen
Selbstzweck und behandle es nach Möglichkeit als solchen!‘
10. JENSEITSGLAUBE UND ETHIK IM CHRISTENTUM. 1934
Eine nachösterliche Betrachtung
Wenn man das Wort ‚Christen‘-tum mit Verständnis hört, daran erkennt man aus
dieser Bezeichnung, dass der Glaube an Christus ein wesentlicher Bestandteil des
Christentums ist. Und wenn wir genauer nachprüfen, dann ergibt sich, dass es sich dabei
besonders um den Glauben an den auferstandenen Christus handelt. Das braucht nicht erst
noch bewiesen zu werden. Nur ein einziges, aber besonders lehrreiches Beispiel sei hier
angeführt: Als Paulus in Athen vor einem Hörerkreis von Philosophen predigt, da ist der Kern
seiner Verkündigung ‚Jesus und die Auferstehung‘ (Apostelgeschichte 17, Vers 18, 31). Und
in einem Briefe an die Gemeinde von Korinth schreibt er im folgenden Sinne: Ein
Christentum ohne den Glauben an die Auferstehung Christi ist eigentlich kein Christentum
16
Das Material ist zum ersten Male ausführlich zusammengestellt und besprochen bei. R. v.
Hippel, Die Tierquälerei in der Strafgesetzgebung des In- und Auslandes, Berlin 1891.
32
(vgl. 1, Korinther 15, Vers 14, 17). Mit dem österlichen Auferstehungsglauben aber ist
zugleich der Glaube an die Auferstehung der durch Christus Erlösten gegeben. Das bedeutet:
Der Christusglaube ist ein Jenseitsglaube 17 ).
Andererseits wird das Christentum als Religion der Liebe erkannt und hochgeschätzt und
nicht mit Unrecht. Auch dafür braucht nicht erst noch ein Beweis geliefert zu werden: Immer
wieder tritt uns im Neuen Testament das Gebot der Bruderliebe und Nächstenliebe, ja, sogar
der Feindesliebe entgegen, und von Anfang an bis auf den heutigen Tag hat das Christentum
den verschiedensten Nöten gegenüber die Liebe praktisch und planmäßig betätigt. Ein
besonderes Ruhmesblatt in der Geschichte ihrer Liebestätigkeit ist ihre Arbeit auf dem
Gebiete der Jugenderziehung, der Altershilfe, der Armenpflege, der Fürsorge für Kranke und
Gebrechliche, der Arbeit an sittlich Gefährdeten und Gefallenen und Verwahrlosten. Sie hat
auch andere zu solch praktischer Betätigung erzogen - die nun ihre Lehrmeisterin längst
vergessen haben und sie womöglich gar verachten.
In den letzten Jahrhunderten hat der christliche Jenseitsglaube mehr als früher Zweifel und
Ablehnung erfahren. Dagegen ist die christliche Ethik wertbeständiger geblieben, sie genießt
noch weithin große Achtung auch da, wo der Glaube an die Osterbotschaft fehlt. Diese
Entscheidung gegen den Jenseitsglauben und für die Ethik des Christentums ist von den
geistigen Strömungen der neueren Zeit aus begreiflich. Jedoch ist es nicht angängig, beides
voneinander zu trennen, weil jedes das andere wesentlich bestimmt.
Einerseits ist der Jenseitsglaube sehr stark ethisch fundiert: Wenn man ein Gebot Gottes
kennt, das die Heilighaltung des Lebens fordert 18 , dann ist es eine fast zwingende
Konsequenz, zu glauben, dass Gott, in selbstverständlicher Übereinstimmung mit seinem
eigenen Gebot, seine Geschöpfe als ‚heilig‘ behandeln und sie nicht dem Tode verfallen
lassen wird. Das ist die eine ethische Wurzel des Jenseitsglaubens. Eine andere ist folgende:
Alles Gute findet unter allen Umständen endlich seinen gerechten Lohn, alles Böse seine
gerechte Sühne. Da das in dieser Welt schlechterdings nicht die Regel ist, so ist der Glaube an
ein Jenseits, wo das Gute seine gebührende Stellung erhält, die es hier nicht hat, geradezu ein
Postulat des Glaubens an das Gute und seinen endlichen Sieg.
Stützt sich so der Jenseitsglaube stark auf ethische Gedankengänge, so erhält ihrerseits die
Ethik
eine
charakteristische
Ausprägung
durch
den
Jenseitsglauben:
durch
die
Siegeserwartung für das Gute, welche durch den Jenseitsglauben zur Gewissheit wird, wird
die Ethik in ihrer Kraft und Unbedingtheit ganz ungemein gefördert.
17
18
Vgl. dazu ‚Vom Leben nach dem Tode‘, 11. Jahrg., 2. Heft, S. 50.
Vgl. dazu ‚Drei Studien zum 5.Gebot‘, 11. Jahrg., 4. Heft, S. 183.
33
Hieraus ist die Lehre zu ziehen: Wer mit dem Jenseitsglauben des Christentums nichts
Rechtes anzufangen weiß - und das sind auch im Christentum selber wohl mehr, als sich die
christlichen Kirchen selbst eingestehen - , aber den Wert der christlichen Ethik erkennt, der
möge von der Ethik aus zu einem tieferen Verständnis und mit diesem zu einer höheren
Schätzung des Jenseitsglaubens gelangen.
11. DIE SITTLICH-SOZIALE BEDEUTUNG DES SONNTAGS. 1934
Der wöchentliche Ruhe- und Feiertag, das ist für die arisch-abendländische Kulturwelt
der Sonntag, stammt aus der Religion der Bibel. Trotzdem sind sich deren Anhänger des
eigentlichen Sinnes, den dieser Tag hat, am wenigsten klar bewusst. Was antworten sie, wenn
man sei fragt? ‚Der Sonntag ist der Gedächtnistag der Auferstehung Jesu‘. Das ist freilich
richtig. Aber schließlich soll sich der Christ dieser für seinen Glauben so wichtigen Tatsache
nie aus dem Auge verlieren, auch nicht in der Woche. Eine andere Antwort lautet: ‚Der
arbeitsfreie Tag am Wochenende will an die Vollendung der Weltschöpfung durch Gott
erinnern‘. Dies trifft allerdings ebenfalls zu. Aber der Gläubige wird seinen Schöpfer
schließlich auch in der Woche nicht vergessen. Oder: ‚Der Sonntag ist dazu da, Gottes Wort
zu hören oder irgendwie Gott zu dienen‘. Auch diese Antwort ist richtig. Aber schließlich
braucht man dazu nicht unbedingt einen arbeitsfreien Tag; das kann man auch in der Woche
tun. Außerdem kann die Arbeit unter Umständen selbst als ein Gottesdienst angesehen
werden. Da wäre die Sonntagsruhe sogar noch ein Hindernis, Gott zu dienen. Worauf kommt
es dann an? Dass nicht gearbeitet wird, und dass man auch andere nicht zur Arbeit nötigt.
Die Befreiung von der Arbeit als etwas Wünschenswertes anzusehen, ist von idealistischen
Gesichtspunkten aus betrachtet zunächst verwunderlich. Ist dieselbe doch in dreifacher
Hinsicht unentbehrlich: als ein notwendiges Instrument der Liebe, oder zeitgemäßer
formuliert, des sozialen Pflichtbewusstsein. Sie ist ferner nun eben einmal eine praktische
Notwendigkeit. Endlich: sich zweck- und sinnvoll zu betätigen schafft Freude, - Werte
schaffen bringt Wertgefühl.
Leider kommt dieser dreifache Wert der Arbeit nur allzu oft in Verlust, und zwar dadurch,
dass die Liebe, das soziale Pflichtbewusstsein fehlt. Dafür herrscht die Selbstsucht in der
kaum verhüllten Form von Gewinnsucht und Genusssucht. Und wenn solches im neuen
Deutschland von Staats wegen auch grundsätzlich anders wurde, so bleibt doch die
Feststellung, auf die Menschheit als Ganzes angewendet, leider zu Recht bestehen. Diese
Selbstsucht erkennt überhaupt nur die eigenen Interessen an. Den Interessen anderer
gegenüber ist sie gleichgültig und schreitet kalt über sie hinweg, wenn es von Vorteil ist; es
34
sei denn, dass sie dieselben aus Gründen der Zweckmäßigkeit schont. Diese andere wird
dadurch
beinahe
zwangsweise
in
eine
Atmosphäre
des
Misstrauens
und
steter
Kampfbereitschaft hineingetrieben, so dass auch ihnen der Segen der Arbeit genommen wird.
Auf diese Weise macht der Mensch die Arbeit zu einem Kampf aller gegen alle, und das
bedeutet leider einen Kampf von Bruder gegen Bruder.
Dieser Kampf verliert auch dadurch nicht an Erbitterung, dass er sich gern als ‚friedlicher
Wettbewerb‘ maskiert. Damit schafft sich der Mensch für seine Arbeit selbst Disteln und
Dornen, die viel schlimmer sind als die, welche der Acker draußen hervorbringt. Und die
Schweißtropfen, die dieser selbstgeschaffenen Kampf den Menschen auspresst, brennen und
fressen viel schärfer als die, welche ihn die Arbeit an sich vergießen lässt. Diese Lasten, die
sich der Mensch selber aufgeladen hat, sind viel drückender als die Mühen, welche durch
Gegebenheiten der Natur, durch das natürliche Tagesgeschehen – für den Gläubigen sind das
göttliche Zulassungen oder Schickungen (1. Mose 3, Vers 18 und 19), die letztlich irgendwie
dem menschlichen Besten dienen (Roemer 8, Vers 18 und 28) – verursacht werden. Unter
diesen Umständen wird dem Menschen auch die Freude, welche die Arbeit mit sich bringt,
vergällt, wenn nicht gänzlich genommen.
Hier tritt nun der wöchentliche freie Arbeitstag helfend ein. Ruht die Arbeit, dann sind
Gewinnsucht und Geiz, wenn auch noch vorhanden, praktisch unwirksam geworden, soweit
sie sich der Arbeit als Mittel bedienen. Ruht die Arbeit, dann ist auch der Kampf um die
besten Lebensbedingungen, um das Dasein überhaupt, um das taugliche Brot, jener Kampf,
den die Menschen gegeneinander führen, anstatt gemeinsam und in Einigkeit die
gemeinsamen Hindernisse zu überwinden. An diesem Tag legt sich die Sonntagstimmung wie
ein Friede über die Gemüter. An einem solchen Tag des Friedens wird auch die Sprache der
Liebe deutlicher vernehmbar, die sonst durch das friedlose Weltgetümmel übertönt wird. Das
Herz findet dann leicht den Weg zum anderen Herzen, auch die Menschen, die Seelen
kommen sich näher. Und wenn sich die Liebe zunächst auch nur im Unterlassen auswirkt, so
gibt es eben leider so unendlich vieles, was der Mensch aus Liebe, aus dem Mitfühlen heraus
unterlassen müsste, dass der Gewinn, der aus solchem Unterlassen folgt, für die Kultur und
zwar für die sittliche, die ‚soziale‘ Kultur, ein ganz außerordentlicher ist.19
Ein ganz besonderer Vorzug besteht darin, dass der Ruhetag nicht auf einen begrenzten Kreis
von Menschen beschränkt ist. Er gilt auch nicht nur für die Vornehmen, sondern auch für die
19
Übrigens: ‚Es sind nicht nur ethische Momente, die dafür sprechen, die Sonntagsruhe heilig
zu halten, vielmehr … auch gesundheitliche‘; vgl. Abderhalden ‚Die Bedeutung der
Sonntagsruhe auf dem Lande‘, in: ‚Ethik‘, 10.Jahrg., 4. Heft, S. 241
35
Geringen, nicht nur für die Besitzenden, sondern auch für die Besitzlosen, nicht nur für den
Herrn, sondern auch für Knecht und Magd, nicht nur für den Unternehmer, sondern auch für
den Arbeiter. Selbst dem armen Arbeitstier soll der Ruhetag zugutekommen. Die Segnung des
Ruhetages ist auch nicht ausschließlich den Bibelgläubigen zugedacht, sondern allem
Menschen, ohne Rücksicht auf ihre Einstellung zur heiligen Schrift der Christen, überhaupt
allem, was Leben hat. Diese Einrichtung des Ruhetages für alle Abreitenden ohne Ansehen
des
Standes,
der
wirtschaftlichen
Verhältnisse
und
des
Glaubens
ist
von
kulturgeschichtlichem Standpunkte aus betrachtet eine sittlich-soziale Großtat allerersten
Ranges.
Dass der Gläubige in einer derart sozialen Einrichtung, wie es der Ruhetag ist, eine
Offenbarung Gottes, der göttlichen Liebe erblickt, und dass er das Feiertagsgebot als eines der
ersten (an dritter oder vierter Stelle) und wichtigsten zählt, wirft ein helles Licht auf seinen
Glauben. Dieses Licht wird noch verstärkt durch die Tatsache, dass dieser bedeutungsvolle
Gedanke nicht nur nachträglich, nachdem er anderswo erblüht ist, von dem eigenen Glauben
übernommen wurde, sondern dass er ganz auf ihm gekeimt und gewachsen ist. Und wenn die
Durchführung des Gedankens im Großen auch durch den Arm der Obrigkeit bewirkt wurde
(Kaiser Konstantin der Große gab im Jahre 321 n. Chr. das erste Sonntagsgebot), so stammt
der Gedanke selbst doch eben aus der Bibel, und bibelgläubige Menschen haben ihn in ihrem
kleinen Kreis schon längst vorher verwirklicht gehabt. Wenn der Gedanke dort nicht
entstanden und lebendig geworden wäre, so würde der Mensch vielleicht bis in die neueste
Zeit hinein ohne jede Pause, ohne einen Waffenstillstand in dem harten, von ihm selbst
entheiligten Kampfe stehen ums Dasein, Tag für Tag, Woche für Woche, Jahr für Jahr, ‚bis
dass er wieder zur Erde wird, von der er genommen ist‘ (1. Mose 3, Vers 19). So erweist die
sittlich-soziale
Bedeutung
des
wöchentlichen
Ruhetages
zugleich
diejenige
des
Bibelglaubens, der den Ruhetag geschaffen hat und ihn bis auf den heutigen Tag als ein
wesentliches Stück vertritt.
36
12. ZWEIFEL AN JESUS? 1934 20
In der Person des Parsifal verkörpert sich der Gedanke vom ‚reinen Toren‘: Derselbe
Gedanke klingt im Neuen Testament an in zwei Seligpreisungen: ‚Selig sind, die reines
Herzens sind!‘ (Matth. 5,8). ‚Selig sind die Armen im Geist!‘ (Matth. 5, 3). Er erinnert ferner
an jene Geschichte, wo Jesus seinen Jüngern ein Kind als Vorbild hinstellt (Mark. 10, 15) in
Abzielung auf Unschuld und Unkompliziertheit. Im Einklang hiermit spricht sich Wagner an
anderer Stelle sehr temperamentvoll gegen das Intellektuelle aus, weil er es auf Irrwegen
sieht. Auf solchen Irrwegen erblickt er besonders die Naturwissenschaft seiner Zeit, insoweit
sie meinte, die Welt aus ‚Stoff und Kraft‘ ausschließlich erklären, Philosophie und Religion
als Rudimente einer vergangenen Epoche verachten und religiöse Intuition leugnen zu
können. Es wäre aber ein arger Irrtum, zu glauben, Wagner habe den Grundsatz gehabt:
‚Verachte nur Vernunft und Wissenschaft!‘ Sein Zorn ist nicht gegen die Wissenschaft an
sich
gerichtet,
sondern
gegen
rationalistische
Einseitigkeiten
und
materialistische
Verzerrungen. Echtes Wissen dagegen hat für ihn einen unvergleichlich hohen Wert. Und wie
gelangt man zu solchem? Durch Liebe, die sich nach der pessimistischen Anschauung
Schopenhauers, die Wagner teilt, praktisch nur als Mitleid äußern kann. ‚Durch Mitleid
wissend‘.
Wie verläuft in dieser Hinsicht die Entwicklung Parsifals? - Den ersten Schritt auf der Bahn,
die zum Wissen leitet, tut Parsifal, indem er Schmerz darüber empfindet, dass er einen
Schwan (Tiere sind für Wagner, den Anhänger Schopenhauers, dem Menschen
wesensverwandt) im Übermut getötet hat. In den Gralstempel geführt, ist Parsifal aufs tiefste
bewegt, als er den unglücklichen Gralskönig Amfortas auf seinem Schmerzenslager sieht.
Vollkommenes Wissen, höchste Weisheit erlangt er, als er in Klingsors Zaubergarten lernt,
die größte, das ist die seelische Pein des schuldig gewordenen Amfortas, mitfühlend und
mitleidend zu begreifen. Nun ist er “durch Mitleid wissend” geworden.
Die oben bereits mitgeteilte Bedeutung dieses Werdeganges ist deutlich - auch für die
Religion: Nicht Intellektualismus in einseitiger, verkehrter Form, sondern ‚des Mitleids
Liebesmacht‘ führt zum Wissen von der Wahrheit: ‚Durch Mitleid wissend‘. Das gilt auch für
die Wahrheit der Religion: ‚Gott lieben ist die schönste Weisheit‘ (Jesus Sirach, 1, 14).
Können wir das, was Wagner durch künstlerische Intuition findet, auch vom Standpunkte
philosophischer Überlegungen aus begreifen? Dass die Liebe sich im Mitleid auf das Wohl
20
Eine Betrachtung nach Richard Wagner’s ‚Parsifal‘; vgl. ‚Unsere Zweifel an Gott‘. 10.
Jahrg., 2. Heft [Nov./Dez. 1933], S. 115
37
anderer, überhaupt aller richtet, ist eine erfahrungsmäßig gegebene Erscheinung im
Gefühlsleben des Menschen. Eine die Allgemeinheit umfassende Liebe zu fühlen und zu
betätigen aber bedeutet  wiederum erfahrungsgemäß  höchstes Glück, höchste Seligkeit. Die
Wirklichkeit dieser Beseligung hält allen zweifelnden Erwägungen stand; denn wer sich
glücklich fühlt, der ist es auch. Schein und Sein fällt hier zusammen, wenn es überhaupt einen
Sinn hat, einen Unterschied zwischen beiden in diesem Zusammenhange zu machen. Unter
diesen Umständen ist die Liebe sehr wohl geeignet, die Grundlage für weitere Erkenntnisse,
für das Wissen um die Wahrheit religiöser Anschauung.
Nach dem Bisherigen erscheint die religiöse Gedankenwelt des ‚Parsifal‘ zunächst als eine
buddhistische Mitleidsreligion, durch Anschauungen Schopenhauers vermittelt. Schopenhauer
sieht in dieser Religiosität einen Gegensatz zum Christentum. Das trifft jedoch nicht zu. Ja,
wir befinden uns bei dieser Hochschätzung des Mitleids sogar im Mittelpunkt der christlichen
Gedankenkreise. Wird doch auch im Christentum die Liebe (das Mitleid ist ja nur eine Form
derselben) höher geschätzt als alles, was sich sonst Erkenntnis, Wissen, Weisheit nennen mag
(1. Kor. 13). Dass es sich hier im eigentlichen Grunde um christliche Anschauungen handelt,
wird durch Nietzsche bestätigt, der infolge seiner gegensätzlichen Einstellung zum
Christentum Wagner und den ‚Parsifal‘ auf das schärfste angreift. Es trifft eben auch für die
christliche Religion zu: Die Liebe (die sich als Mitgefühl, als Mitleid zeigt) ist Grundlage und
Voraussetzung für jede Erkenntnis der Wahrheit.
Ausschließlich und allein bestimmt die Liebe auch das Verhältnis zu Jesus. Sein Leiden ist
ein ‚Liebesopfer‘ aus Erbarmen und Mitleid. Nach seinem Kreuzestod naht er sich mystisch
den Seinen ‚durch des Mitleids Liebesmacht‘ im heiligen Mahle, das auch insofern zu einem
‚Liebesmahle‘ wird. Dem entspricht die Liebe des erlösten Menschen zu seinem Erlöser, so
dass im Gralstempel der Himmelsgesang ertönen kann: ‚Nehmet hin meinen Leib, nehmet hin
mein Blut um unsrer Liebe willen!‘
Die Liebe bedeutet aber auch hier Wissen. Und wer durch Liebe gewiss wurde, dass Jesus
Bringer des Heils ist, der hat ‚selig in Liebe, selig im Glauben‘, jedes Zweifeln überwunden.
13. ETHISCHE BETRACHTUNGEN ZU INNERKIRCHLICHEN
GLAUBENSKÄMPFEN. 1935
Das Christentum ist in Hunderte von Richtungen, welche Kirchen, Freikirchen,
Sekten, Gemeinschaften, u. dgl. Genannte werden, gespalten. Das ist ganz gewiss sehr zu
bedauern. Und ebenso gewiss ist diese Zerspaltung nicht im Sinne Jesu. Immerhin ist diese
Vielgestaltigkeit psychologisch verständlich. Echte Religiosität ist ja doch eine ganz
38
persönliche Angelegenheit der einzelnen Menschenseele. Und je ernster und intensiver
Anteilnahme und Hingabe an die Religionen sind, desto mehr wird sich herausstellen, dass
zwischen den verschiedenen Menschen und Menschengruppen im einzelnen immer mehr oder
minder unterscheidende Abstufungen oder wirkliche Verschiedenheiten bestehen, so dass
nicht zwei Menschen in ihrem religiösen Glaubensleben bis zum letzten völlig gleich gestaltet
sind. Ist so die Vielgestaltigkeit der religiösen Glaubensformen möglicherweise ein Zeichen
dafür, dass man es mit der Religion ernst meint, so ist die Vielgestaltigkeit des Christentums,
wenn man sie unter diesem Gesichtspunkte betrachtet, unter Umständen ein gutes Zeichen.
Allerdings ist es unbedingt erforderlich, dass diese an sich gute Reichhaltigkeit der religiösen
Glaubensformen im Christentum nicht der Anlass zu religiösem Unfrieden ist. Diese Gefahr
liegt freilich sehr nahe, und von alters her bis auf den heutigen Tag hat sich dieselbe immer
wieder eingestellt: Die christlichen Kirchen, welche bahnbrechend und einzigartig in ihrer
Liebestätigkeit gewesen sind, ein Vorbild für die ganze moderne Kulturwelt, haben diese
Liebe zuweilen recht vermissen lassen in ihrem gegenseitigen Verhalten, nämlich wenn es
sich um die beiderseitigen religiösen Anschauungen handelte. Anstelle des Friedens, den
Jesus verlangt, stehen hier – man möchte beinahe sagen: als Normalzustand – Unduldsamkeit,
Unfrieden, Zank und Streit. Das brauchte nicht so zu sein, und das darf eigentlich auch nicht
so sein.
Wohlgemerkt. Da die Vielgestaltigkeit der christlichen Anschauungen ein gutes Zeichen sein
kann, so sind auch sachliche Auseinandersetzungen, ist ein Kampf – wenn man solche
Auseinandersetzungen einmal so nennen will – unter Umständen nützlich und notwendig. Nur
muss dieser „Kampf“ von Christen untereinander auch in christlichen Formen und im
christlichen Geist geführt werden. Dazu gehört mancherlei. Drei wichtige Punkte, welche die
christlichen Richtungen in ihrem Kampf miteinander wohl beachten können und unbedingt
beachten sollten, seien im Folgenden hervorgehoben und besprochen:
1. Bevorzugt vor dem Trennenden ist das Gemeinsame ins Auge zu fassen 21 .
In der Regel wird zu jedem christlichen Kirchengebilde als besonders wichtig die Frage
behandelt: Wie unterscheiden wir uns von anderen Christen? Zu den evangelischen
Staatskirchen z.B. fragt man sich: Was unterscheidet uns von den verschiedenen
protestantischen Freikirchen und Sekten? Was unterscheidet uns von den katholischen
Anschauungen? Bei den Freikirchen und bei den Katholiken dürfte das grundsätzlich ganz
ähnlich sein. So mancher Katechismus widmet der so genannten Unterscheidungslehre einen
21
Vgl. dazu die Bestrebungen der Thüringer ‚Kirchenbewegung Deutsche Christen‘ und
deren empfehlende Besprechung durch Erich Friebel in Jahrg. 11 der ‚Ethik‘, 5. Heft, S.
213ff. (‚Die Kirche der Liebe‘).
39
besonderen Abschnitt. Auch bei Schul- und Universitätsprüfungen sind diese Dinge
Gegenstand der Prüfung. So unerlässlich das Wissen um die Unterschiede ist, - man muss
doch schließlich wissen, warum man sein kirchliches Sonderdasein führt – noch viel
wichtiger ist das Wissen um das Gemeinsame. Und des Gemeinsamen gibt es mehr, als es bei
oberflächlicher Betrachtung der Fall zu sein scheint.
2. Wenn man sich schon mit den Unterschieden beschäftigt, dann soll man nicht die
schwachen Seiten der anderen Denkweise über Gebühr herausheben, während man zugleich
ihre guten Seiten geflissentlich verschweigt.
Alles Menschenwerk ist unvollkommen, und es ist gar nicht so schwer, überall irgendwelche
Mängel aufzuzeigen – zumal wenn man sich Mühe gibt. Das gilt besonders auch für alle
religiösen Anschauungen und deren Formulierungen – die christlichen nicht ausgenommen.
Es ist mit anderen Worten immer irgendwie möglich, beim anders denkenden Christen
irgendwelche Schwächen oder Unvollkommenheiten in der Theorie oder in der Praxis
aufzuzeigen – und tendenziös zu unterstreichen. Wenn dann zugleich vorhandene gute Seiten
geflissentlich verschwiegen werden, dann ist das zwar taktisch sehr wirksam: Man kann den
Gegner sozusagen eins versetzen. Eine solche Taktik ist ohne Zweifel auch sehr menschlich.
Aber mit christlicher Ethik ist sie durchaus unvereinbar.
3. Wirkliche Fehler oder Schwächen anderer Glaubensvorstellungen sollen abgelehnt werden,
jedoch auf sachliche Weise und ohne leidenschaftliche Regungen.
Man darf, bildlich gesprochen, ein Weiß nicht übersehen oder gar in ein Schwarz umfärben
wollen. Das verbieten Wahrhaftigkeit und Gerechtigkeit unter allen Umständen. Aus
demselben Grunde darf selbstverständlich auch ein Schwarz, wo es zweifelsfrei vorhanden
ist, nicht übersehen oder gar mit einem Weiß überdeckt werden. Allerdings, das sei
ausdrücklich wiederholt: Die Fehler müssen wirklich zweifelsfrei vorliegen. Man sei deshalb
nicht zu schnell mit einer abfälligen Kritik bei der Hand; denn gerade auf dem Gebiet der
Religion – auch der christlichen Religion – liegt die Gefahr zu nahe, dass man nur vom
Standpunkte einer bloß vermeintlichen Wahrheit und Gerechtigkeit aus urteilt, d.h. dass man
fehlurteilt. Ist aber tatsächlich eine Ablehnung berechtigt und notwendig, dann soll dieselbe
immer in sachlicher Weise und ohne Mitwirkung leidenschaftlicher Regungen erfolgen, das
soll heißen: ohne tendenziöse Vergröberung, ohne Feindseligkeit und Gehässigkeit, ohne
Überheblichkeit und Besserwisserei, ohne Streitsucht und bloße Lust am Kritisieren an sich,
ohne das Verlangen nach der Genugtuung, dem Gegner einen Fehler einstreichen zu können.
Und endlich soll man sich bewusst sein, dass auch die eigenen religiösen Anschauungen
Mängel und Schwächen haben dürften, deren nachsichtige Beurteilung man als
40
selbstverständlich ansieht. Dieses Bewusstsein dürfte geeignet sein, das Urteil über Mängel
anderer Anschauungen etwas milder ausfallen zu lassen.
14. GLAUBE UND WERKE IN IHREM GEGENSATZ UND IN IHRER
VEREINIGUNG. 1935
Der Philosoph Kant sagt, dass allein der gute Wille gut sei. Das bedeutet: die
Bezeichnung gut kann nur auf den Willen zu Recht gebraucht werden. In alltäglichverständlicher Ausdrucksweise bedeutet das etwa: Auf den Willen, auf das Herz, auf die
Gesinnung kommt es an. Das Tun des Menschen ist gut, wenn die Gesinnung, aus der es
entspringt, gut ist.
Allerdings, ins Herz kann man keinem Menschen blicken. Und sogar bei der Kritik des
eigenen Tuns täuscht man sich nicht selten über die wirklichen Motive, die einen Bewegen:
Man Glaubt in der Regel an die eigene gute Gesinnung, und in Wahrheit ist es mit dieser recht
oft gar nicht weit her. Im praktischen Leben wird es also fast immer darauf hinauslaufen,
nicht von der Gesinnung aus auf den Wert des Tuns zu schließen, sondern von dem Tun auf
die Gesinnung. (Matth. 7, 16.20: ‚An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen!‘) Das tut auch
Kant in seinem ‚Kategorischen Imperativ‘: ‚Handle so, dass die Maxime deines Handelns
zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne!‘ Das bedeutet eine
Mahnung zum guten Handeln, wobei die Güte des Handelns nicht etwa doch wieder von der
Gesinnung, sondern von ganz realen Dingen, nämlich vom Gemeinnutz her bestimmt wird.
Also das eine Mal heißt es: Auf die Gesinnung kommt es an, das andere Mal heißt es: Auf das
Tun kommt es an. Das scheint ein Widerspruch zu sein, ist aber keiner. Denn
selbstverständlich ist ehrliches, gutes Wollen unter allen Umständen die Voraussetzung für
das Tun, wenn es die Bezeichnung gut wirklich verdienen soll. Aber andererseits ist das Tun,
wenn es gegenüber der Gesinnung logisch auch an zweiter Stelle kommt, der Maßstab, nach
welchem die Beschaffenheit der Gesinnung beurteilt wird. Es gibt eben keine gute Gesinnung,
ohne dass das daraus entsprechende Handeln gut ist, und ebenso ist kein Tun wirklich gut,
wenn nicht die Gesinnung gut ist, aus der es hervorgeht. Gesinnung und Handeln, Handeln
und Gesinnung sind beide, wenn auch nicht logisch, so doch praktisch gleichwertig und nicht
voneinander zu trennen.
Wenn man diese Tatsache auf die christliche Gedankenwelt spezialisiert, dann wird man für
Gesinnung den Begriff Glauben einsetzen – an Stelle von Handeln wird gern das Wort Werke
gebraucht – und dann würde es heißen: Glauben und Werke, Werke und Glauben sind beide
praktisch nicht voneinander zu trennen. Die damit zum Ausdruck gebrachte Tatsache ist von
41
keiner Christlichen Kirche jemals ganz verkannt worden. Indem jedoch das eine oder das
andere, der Glaube oder die Werke, zuweilen als das Wichtigere angesehen und in der
Formulierung und Darstellung vielleicht etwas einseitig unterstrichen wurde – was dann zu
allerlei Missständen führen konnte -, dann ergaben sich sofort Meinungsverschiedenheiten
mit denen, welche die andere Seite mehr betont und unterstrichen wissen wollten. Und je
mehr die eine Seite übertrieben wurde, desto sicherer stellte sich eine Gegenbewegung ein,
die gerade nach der anderen Seite hin übertrieb, wie auch nur bewusst oder unbewusst aus
Opposition. Das Zustandekommen einer solchen Entzweiung ist menschlich ganz
verständlich. Aber es ist zugleich sehr bedauerlich, indem die beiden entzweiten Parteien in
dem in Behandlung stehenden Punkte letzten Endes eigentlich ganz gut einig sein könnten.
Da ist z.B. die katholische Gedankenwelt des Mittelalters. Niemals ist dort gelehrt worden,
dass es auf die Gesinnung überhaupt nicht ankomme, und dass man demnach z.B. nicht an
Gott zu glauben brauche. Allerdings wurde das Tun stärker betont als der Glaube, was man
sehr wohl begreifen kann: Mit angeblich oder vermeintlich guter Gesinnung kann man andere
täuschen – und schließlich auch sich selbst. Das sollte vermieden werden; das gilt heute noch
ebenso wie damals. Und wenn auch die gute, die rechte Gesinnung wirklich vorhanden ist,
aber sie ist zu schwach, wird vielleicht durch Furcht oder Bequemlichkeit oder andere
Hemmungen für das Tun unwirksam gemacht, dann ist das doch ebenfalls nicht richtig. Eine
Verkennung der Bedeutung der Gesinnung braucht in dieser Betonung des Tuns durchaus
nicht zu liegen. Allerdings stellte sich gerade in diesem Punkte ein Missverständnis ein: Man
legte es sich so zurecht, als ob es tatsächlich auf die Gesinnung des Herzens nicht ankomme.
Dieses Missverständnis war unter Umständen sehr bequem: Man tat dies oder das, opferte
z.B. eine Geldsumme für einen Ablasszettel, einen Kirchenbau oder dergleichen und konnte
dabei gesinnt sein, wie man wollte. Diese Auffassung war ohne Zweifel ganz und gar ein
Irrweg. Denn natürlich waren solche so genannten guten Werke keine wirklichen guten
Werke. Denn was aus Gesinnungslosigkeit (oder gar aus übler Gesinnung) hervorgeht, das
verdient die Bezeichnung gut nicht. Solche Werke sind, wie man zu sagen pflegt, tote Werke.
Tote Werke, das war die Sünde gegen den Geist der christlichen Religion, die im Mittelalter
besonders verbreitet war. Die Folge war äußerliches Gewohnheitskirchentum.
Gegen diese Sünde kämpfte Luther und die von ihm hervorgerufene Bewegung Reformation.
Er betonte ganz richtig: Ein Tun ohne Gesinnung, d.h. Werke ohne Glauben, bedeuten gar
nichts. Auf die Gesinnung, auf den Glauben kommt es ganz allein an. Deswegen wollte
Luther aber durchaus nicht sagen, dass das Tun des Menschen irgendwie gleichgültig sei, und
dass der Mensch keine sittlichen Pflichten hätte. Er braucht nur deshalb nicht von diesen zu
42
reden, weil es ganz selbstverständlich ist: Wie jede echte Gesinnung, so hat wirklicher Glaube
immer Einfluss auf das Handeln, sonst wäre es kein echter Glaube. Darum genügt es, wenn
nur der Glaube vorhanden ist. Die Betonung des Glaubens war zudem besonders angebracht,
weil dadurch die Missstände der mittelalterlichen Frömmigkeit, die toten Werke, vermieden
werden mussten. Dieser Irrweg wurde denn auch wirklich versperrt.
Jedoch machte sich dafür im Laufe der Zeit ein Fehler nach der anderen Richtung bemerkbar.
Man meinte nämlich, dass der Glaube keinen Einfluss auf das Tun hätte oder zu haben
brauchte. Das war ja außerdem auch wirklich das allerbequemste: Man brauchte sich um gar
nichts zu kümmern, brauchte für sein Tun keinerlei Hemmungen zu haben, und hatte dann
anderen sowie sich selber gegenüber die Ausrede: ‚Auf das Tun kommt es ja nicht an, nur auf
den Glauben, und den habe ich‘. Wer das sagte, der vergaß dabei nur, dass ein solcher Glaube
– wenn bei ihm, der solchen zu haben vorgab, wirklich etwas derartiges vorhanden war – kein
wirklicher Glaube ist. Denn eine Gesinnung, die nicht
zu Taten oder wenigstens zum
ernsthaften Versuch von solchen führt, ist nicht echt. Wenn man daher, wie oben erwähnt
wurde, in Beziehung auf das religiöse Leben des Mittelalters von toten Werken gesprochen
hatte, so musste man in der Zeit nach Luthers Tode bald von einer toten Orthodoxie, d.h. von
einer toten Rechtgläubigkeit reden: ‚Was hilft es, so jemand sagt, er habe den Glauben, und
hat doch die Werke nicht? – Der Glaube, wenn er nicht Werke hat, ist er tot an sich selber‘
(Jak. 2,14a. 17). Die Folge war auch hier äußerliches Gewohnheitskirchentum. Dieser Irrweg
hatte durchaus nichts mit der Lehre Luthers zu tun, das ist ganz ausdrücklich festzuhalten.
Aber es stellte sich eben ein - und war noch schlimmer als der soeben bekämpfte und
überwundene. Denn ein Tun, bei welchem die rechte Gesinnung fehlt, das ist sicherlich eine
zweifelhafte Sache. Aber es ist doch immerhin etwas Greifbares und hat unter Umständen
wenigstens einen praktischen, einen Nützlichkeitswert. Aber eine Gesinnung, richtiger: Eine
angebliche oder vermeintliche Gesinnung ohne Auswirkung im Tun oder wenigstens im
Wollen ist nur leeres Geschwätz, wenn nicht Verlogenheit, und auf jeden Fall völlig wertlos.
(Ein Gleichnis: Wenn die Anordnungen in einem Staatswesen nicht die innere Zustimmung
der Staatsangehörigen haben, sondern nur deshalb befolgt werden, weil das eben so verlangt
wird, dann ist das natürlich ein Mangel. Aber der lässt sich zur Not ertragen. Ganz
unerträglich wäre es jedoch, wenn jemand seine willige und freudige innere Zustimmung
beteuern würde und dabei nicht einmal den Versuch machte, die betreffenden Anordnungen
wirklich zu befolgen.)
Gegen die soeben geschilderte tote Gläubigkeit und das daraus folgende äußerliche
Gewohnheitskirchentum trat im 18. Jahrhundert von den verschiedensten Seiten aus eine
43
Reaktion ein – jedoch nicht etwa so, dass man in den alten Fehler, den Luther aufgezeigt und
bekämpft hatte, zurückgefallen wäre. Da ist an erster Stelle der Pietismus zu nennen. (Auch
dem Nicht-Theologen sind bekannt A. H. Francke und seine Stiftungen in Halle, Zinzendorf
und die Herrnhuter Brüdergemeinde.)
Die entsprechende Erscheinung im evangelischen
Sprachgebiet war der Methodismus. Der Pietismus verlangte an Stelle des ‚toten‘ einen
„lebendigen“ Glauben und damit einen frommen christlichen Lebenswandel. Heiligung
nannte man das. Der Ausdruck Heiligung bedeutet also mit anderen Worten, dass man wieder
daran dachte, dass wirklicher, lebendiger Glaube ohne Einfluss auf die Lebensgestaltung, auf
das Tun, nicht möglich ist. Diese Heiligungsbewegung wirkte sich aus in einer Neubelebung
des praktischen Christentums. Ungefähr zu derselben Zeit, wenn auch von einer ganz anderen
Mentalität her, wirkte die deutsche Aufklärung nach ebenderselben Richtung. Als Beispiel
seien einige Zeilen aus einem Gedicht Gellerts, betitelt ‚Der tätige Glaube‘, hier angeführt:
‚Wer Gottes Wort nicht hält und spricht: Ich kenne Gott! der trüget. Alsdann bin ich Gott
angenehm, wenn ich Gehorsam übe. Ein täglich tätig Christentum, das ist des Glaubens
Frucht und Ruhm.‘
Das ist so ganz im Sinne der religiösen Aufklärung geschrieben, die so großen Wert auf die
praktisch-ethische Seite des Christentums legte, und die, ähnlich wie der Pietismus Heiligung
erstrebte, ‚Tugend‘ forderte. (Heiligung und Tugend sind also, wenn auch nicht gleiche, so
doch parallele Begriffe: Sie betonen beide das Tun in bewusstem Gegensatz zu einer toten
Gläubigkeit.)
Auch außerhalb der speziell christlichen Glaubensvorstellungen im engeren Sinne zeigten
sich Gedankenregungen und Geistesströmungen, die als Reaktion gegen tote Gläubigkeit und
verwandtes Denken wirkten. Am Anfang dieses Aufsatzes ist bereits über Kant gesprochen
worden: Wenn dieser sagt, dass gut allein der gute Wille sei, so bedeutet das: Auf das Herz,
auf die Gesinnung kommt es an. Indem diese Gesinnung jedoch als Wille charakterisiert ist,
zeigt sich unverkennbar eine Abzielung auf das Tun. Ganz klar und deutlich mahnt Kant zum
guten Handeln im Kategorischen Imperativ (siehe oben!). Übrigens, wenn er dabei von der
‚Maxime‘ des Handelns spricht, dann zeigt das, dass er, wie das nicht anders sein darf, die
Notwendigkeit der Gesinnung dabei nicht vergisst, dass er also nicht in den Fehler verfällt,
der vor Luther im Mittelalter weithin geherrscht hatte.
Außer auf Kant sei in diesem Zusammenhange auf Goethe hingewiesen. Bezeichnend ist das
Wort gegen Ende von ‚Faust‘, II. Teil: ‚Wer immer strebend sich bemüht, den können wir
erlösen.‘ Das bedeutet doch zunächst wohl: Auf die Gesinnung kommt es an. Da diese aber
als ein Streben und Bemühen in die Sphäre des Willens gerückt ist, so ist eine deutliche
44
Abzielung auf das Tun unverkennbar. Es ist übrigens interessant, wie dieses Wort Goethes in
seiner Bedeutung und in seinen Folgerungen an ein Wort Wesleys, des Begründers des
Methodismus, erinnert, das geraume Zeit vor Goethe gesprochen wurde: ‚Vergiss nicht: Du
wirst belohnt werden nach deiner Arbeit, nicht nach deinem Erfolg.‘ Ganz entschieden aber
legt Goethe Wert auf das Tun in dem großen Monolog Fausts in dem I. Teil der Tragödie, und
zwar in folgendem Wort: ‚Im Anfang war die Tat‘. Was dieses Wort meint, das ist bis in die
Gegenwart ein kaum angefochtener Grundsatz der Lebensgestaltung geblieben, auch für das
christliche Bewusstsein) 22 .
Schleiermacher, der bedeutendste kirchliche Theologe des Protestantismus seit Luther, hat
solche Erkenntnisse zu ihrem Recht kommen lassen und den Begriff der Heiligung (wie
gesagt, bedeutet das Bewährung des Glaubens im Leben) ausführlich und im positiven Sinne
besprochen und in seine Glaubenslehre eingebaut 23 ).
So ist die Lage mit der Zeit doch etwas erfreulicher geworden. Wie man zuweilen wohl sagt,
habe die katholische Kirche in dieser Beziehung vom Protestantismus gelernt. Wie dem auch
sei – oder nicht sei, es erscheint sicher, dass mancherlei, was man der Kirche des Mittelalters
mit Recht zum Vorwurf machen kann, nunmehr beseitigt oder wenigstens weitgehend
gemildert ist. Desgleichen hat man im Protestantismus den Irrweg der toten Gläubigkeit
weithin grundsätzlich verlassen zugunsten eines lebendigen Glaubens. Mit anderen Worten:
Man arbeitet in Richtung auf ein Christentum des Lebens und der Tat. Möchte dieser Weg
immer mehr zu dem einzigen Weg werden.
15. DREI ABSCHNITTE DES LEBENS. 1938
Eine Betrachtung nach II. Korinther 5, 1-10 und nach dem Apostolischen
Glaubensbekenntnis.
Manches auf dem Gebiet der Weltanschauung geht auf die Bibel zurück. Nur wird das
oft vergessen. So ist es mit den Gedanken, die der Naturwissenschaftler und Philosoph Gustav
Theodor Fechner (1801-1887) in seinem ‚Büchlein vom Leben nach dem Tode‘ (1866)
entwickelt. Wir finden ganz dieselben Gedanken in der ‚Großen Unterrichtslehre‘ (vollständig
erschienen 1657) von Johann Amos Comenius 1592-1670), der ebenso als Pädagoge wie als
aufrichtiger Christ und Bekenner er war Bischof der böhmischen Brüdergemeinde, einer
Wurzel der Herrenhuter Brüdergemeinde - bekannt ist. Es handelt sich bei Fechner ebenso
22
In diesem Zusammenhange sei erwähnt: Abderhalden, Halle, ‚Ethik‘, 12. Jahrgang, 4. Heft,
S. 151: ‚Könnte ich, wie ich möchte, dann würde ich verlangen…das herauszuheben, was
grundlegend ist, nämlich das Christentum der Tat.‘
23
Schleiermacher, Der christliche Glaube usw., § 110-112.
45
wie bei Comenius im vorliegenden Zusammenhange um die Einteilung des menschlichen
Lebens in drei Abschnitte. Von besonderer Bedeutung ist dabei jener Teil, der über die
Grenze dessen, was man nach gewöhnlichem Sprachgebrauch unter ‚diesem Leben‘ versteht,
hinausgeht als ein ‚Leben nach dem Tode‘, jener Teil, der nicht nur die letzte Stufe darstellt,
sondern zugleich als die höchste verstanden wird.
Lange, lange vor Fechner und Comenius hat bereits ein anderer das Menschenleben in
ähnlicher Weise dreigeteilt aufgefasst, ebenfalls unter besonderer Betonung des ‚Lebens nach
dem Tode‘: Es ist der Apostel Paulus. Das Verdienst von Samuel Keller (1859 bis 1924) ist
es, durch sein nach dem Krieg von 1914-1918 erschienenes Buch ‚Das Los der Toten‘ (in der
früheren Auflage ‚Auferstehung des Fleisches‘ betitelt) auf diese Dreiteilung erneut
hingewiesen und sie eingehend besprochen zu haben.
Unsere Betrachtung bringt die Aussagen von Paulus über die drei Abschnitte des Lebens, die
er 2. Korinther 5, 1-10 macht. Diese entsprechen den drei Abschnitten des Lebens Jesu, von
denen wir im Apostolischen Glaubensbekenntnis lesen. Diese drei Abschnitte sind die
folgenden:
Erster Abschnitt:
Am Anfang steht das Leben ‚in der Hütte‘ (2. Kor. 5, 1) dieses Leibes (auch 2. Petrus 1, 13.
14), in der irdischen ‚Behausung‘ (2. Kor. 5, 2) - zu Beginn außerdem sogar noch in der Hütte
und Behausung des mütterlichen Leibes  ‚im Fleische‘ (Galater 2, 20; Philipper 1, 24;
Kolosser 2, 1). Die erste Lebensstufe ist eine Vorbereitung auf die zweite (und letztlich auch
auf die dritte). ‚Denn wir sind nicht umsonst in diese Welt gesetzt, wir sollen hier reif für eine
andere werden‘. (Matthias Claudius.)
Auch Jesus hat zuerst in der Hütte und Behausung des Leibes gelebt. Fleisch und Blut hat er
angenommen (Johannes 1, 14a): ‚Er war gleichwie ein andrer Mensch und an Gebärden als
ein Mensch erfunden‘ (Phil. 2, 7). Das Bekenntnis berichtet besonders vom letzten Teil seines
rein-menschlichen Lebens: ‚Gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuzigt, gestorben und
begraben‘.
Zweiter Abschnitt:
Der Mensch ist ‚entkleidet‘ (2. Kor. 5, 4), oder er ‚wandelt außer dem Leibe‘ (2. Kor. 5, 8). Es
ist zu beachten: Entkleidetsein braucht nicht immer und in allen Fällen zu bedeuten
Splitternacktsein. Man kann - um die bildliche Ausdrucksweise des Apostels weiter
auszuspinnen  sich entkleiden bis auf das Hemd, man kann Nachtzeug anlegen - und darf sich
trotzdem nach einem weit verbreiteten Sprachgebrauch als entkleidet bezeichnen. Aber wenn
auch gänzlich nackt und bloß, schließlich kommt der Mensch nicht ‚aus seiner Haut‘
46
(gewissermaßen auch einer Art Bekleidung) heraus. So mag auch, wenn der Mensch seinen
irdischen Leib abgelegt hat, etwas wie ein ‚Zwischenleib‘ oder ‚Seelenleib‘ (Bezeichnungen,
die von Keller gebraucht werden) sein.
Mitsamt der irdischen Überkleidung des Menschen verschwindet jede durch das Leibliche
bedingte Schwachheit und Unvollkommenheit, so dass Paulus die Entkleidung aus diesem
Leibe als eine Erlösung erkennt (Römer 7, 24).
Da dieser Zustand oder Ort des ‚Entkleidetseins‘ der mittlere von dreien ist, so mag er
‚Zwischenort‘, ‚Zwischenreich‘ oder auch ‚Zwischenwelt‘ genannt werden. Das Neue
Testament (im griechischen Grundtext) nennt ihn den ‚Hades‘, ein Wort, das wir auch mit
Unterwelt, Totenreich, Reich der Abgeschiedenen, Schattenreich, Seelen- oder Geisterreich
übersetzen mögen. Je nachdem wir uns befleißigt haben, dem Herrn wohlzugefallen (2. Kor.
5, 9), je nachdem wir bei Leibes Leben gehandelt haben, es sei gut oder böse (2. Kor. 5,10),
werden wir es im Zwischenreich antreffen. Wir finden entweder einen Zustand der Ruhe
(Offenbarung 14, 13), gleichsam des Schlafes (1. Kor. 11, 30; 15, 20; 1. Thessalonicher 4, 1315). Und wenn das Entschlafensein auch den Tod bedeuten soll, und falls das Wort Tod auch
wirklich gebraucht wird, so handelt es sich doch immer um einen Zustand, der durch die
Auferweckung bzw. durch Auferstehung sein Ende findet. Außerdem hindert dieser Zustand
nicht daran, die Stimme Jesu zu hören. (Joh. 5, 25; 1. Petr. 4, 6) - Oder das Seelenreich kann
uns ein ‚Gefängnis‘ werden (1. Petr. 3, 19), ein Ort der Qual (Lukas 16, 23.24) - es findet sich
für ihn die Bezeichnung ‚Tartarus‘ (2. Petr. 2, 4, nach dem griechischen und lateinischen
Grundtext). Endlich kann uns auch eine Stätte der Seligkeit erwarten: ‚Abrahams Schoß‘
(Luk. 16, 22), ein ‚Paradies‘ (Luk. 23, 43), ein ‚Elysium‘ im Vergleich zu dem im 2.
Petrusbrief erwähnten Tartarus, ‚das kein Auge gesehen hat und kein Ohr gehört hat und in
keines Menschen Herz gekommen ist, was Gott bereitet hat denen, die ihn lieben‘, (1. Kor. 2,
9), eine enge Gemeinschaft mit Jesus Christus. Wir denken an die Worte Jesu am Kreuz.
‚Wahrlich, ich sage dir, heute wirst du mit mir im Paradiese sein‘. (Luk. 23, 43.) Auf diese
Gemeinschaft mit Jesu hat sich auch der Apostel Paulus sehnend gefreut: ‚Ich habe Lust,
abzuscheiden und daheim zu sein beim Herrn‘ (2. Kor. 5, 8; auch Phil. 1,23). Im Hinblick auf
die letztere Aussicht, die auch für uns vorhanden ist, bitten wir singend: ‚Lasst mich gehen,
lasst mich gehen, dass ich Jesum möge sehen! Meine Seel’ ist voll Verlangen, ihn auf ewig zu
umfangen und vor seinem Thron zu stehen‘ (Gustav Friedrich Ludwig Knak).
Erwähnt sei in diesem Zusammenhang auch Johann Heermann mit seinem Lied ‚O Gott, du
frommer Gott‘, wo es in der 7. Strophe heißt: ‚Die Seele nimm zu dir hinauf zu deinen
Freuden‘.
47
Wie ist es Jesus ergangen, als er entkleidet von seiner Leiblichkeit war? Das Bekenntnis sagt:
‚Er ist niedergegangen zur Hölle‘.
Das ist eine schwerverständliche Aussage auch für sonst gläubige Menschen: Die Hölle ist ja
doch der Ort der unabänderlichen, ewigen Verdammnis. Was sollte Jesus dort getan haben?
Nun, in der ‚Hölle‘ ist Jesus auch wirklich nicht gewesen. Aber das sagt ja das
Glaubensbekenntnis auch nur in seiner deutschen Übersetzung. In der maßgeblichen
anderssprachigen Grunderfahrung ist nur die Rede von der Unterwelt, das meint das Reich der
Abgeschiedenen oder der Schatten oder der Seelen und Geister, von dem wir schon oben
gesprochen haben. Dort hat Jesus nach Schrift und Bekenntnis vom Karfreitagnachmittag bis
Ostersonntag in der Frühe geweilt und hat den ‚Toten‘ das Evangelium verkündet (1. Petr. 4,
6) und den ‚Geistern im Gefängnis gepredigt‘ (1. Petr. 3, 19).
Dritter Abschnitt
Der Mensch ist ‚überkleidet‘ (2. Kor. 5, 4). Aus dem Alltagskleid wird ein Feierkleid, aus der
Hütte wird ein Palast, aus dem ‚natürlichen‘ Leib wird ein ‚geistlicher‘ (1. Kor. 15, 44), ein
‚verklärter‘ Leib (Phil. 3, 21). Was gesät wird verweslich, das wird auferstehen unverweslich.
Was gesät wird in Unehre, das wird auferstehen in Herrlichkeit. Was gesät wird in
Schwachheit, das wird auferstehen in Kraft (1. Kor. 15, 42. 43). Rückschauend denken wir
auch hier an Johann Heermanns Lied ‚O Gott, du frommer Gott‘, dessen 7. Strophe (2. Hälfte)
und 8. Strophe folgende Bitte enthalten: ‚Dem Leib ein Räumlein gönn’ bei frommer Christen
Grab, auf dass er seine Ruh’ an ihrer Seite hab’. Wenn du die Toten wirst an jenem Tag
erwecken, so tu auch deine Hand zu meinem Grab ausstrecken, lass hören deine Stimm’ und
meinen Leib weck auf und führ’ ihn schön verklärt zum auserwählten Hauf‘.
Eine gute Zusammenfassung der drei Abschnitte des Lebens, soweit sie den Menschen
betreffen, gibt die Agende der altpreußischen Union von 1895 und der später darauf folgende
Entwurf einer neuen Agende in dem Formular, das bei Bestattungen gebraucht wird:
‚Nachdem es dem allmächtigen Gott gefallen hat, unseren Bruder (Schwester) aus diesem
Leben (1. Abschnitt) abzuberufen, befehlen wir seine (ihre) Seele der Gnade Gottes (2.
Abschnitt) und legen seinen (ihren) Leib in Gottes Acker - - in der Hoffnung der
Auferstehung zum ewigen Leben durch unsern Herrn Jesum Christum (3. Abschnitt)‘.
Zu diesem letzten Punkte des Formulars ist noch zu bemerken: Es geschieht uns auf diese
Weise ähnlich wie Jesus, der allerdings schon ‚am dritten Tage wieder auferstanden von den
Toten‘ ist. Endlich wird die ganze Welt verklärt werden zu einem neuen Himmel und zu einer
neuen Erde, 2. Petr. 3, 13; Offb. 21,1.)
48
Der Übergang aus dem ersten Lebensabschnitt in den zweiten wird ‚Tod‘ genannt. Er ist dem
natürlichen Gefühl des Menschen zuwider. Der trägt ihn mehr oder minder mit
hoffnungsloser Ergebung, mit stummer Trauer oder mit lautem Klagen, - wie das Kind, das
eben geboren wird, mit Geschrei die umgebenden Hüllen im mütterlichen Leibe und diesen
selbst verlässt. Das ist wohl begreiflich; denn das Verlassen einer Wohnung, sei es selbst
einer ‚Hütte‘, bringt Unbequemlichkeiten mit sich, das weiß ein jeder, der einen Umzug
durchgemacht hat. Auch das Ablegen einer Kleidung bedeutet schließlich immer eine gewisse
Umständlichkeit. Entsprechend ist das Sterben  ähnlich wie das Geborenwerden - für die
Natur des Menschen gefühlsmäßig mit Unlust verknüpft, ja nicht nur das Sterben selbst,
sondern schon der bloße Gedanke daran.
Ist da nicht das Verlangen begreiflich, ‚überkleidet‘ zu werden, ohne dass vorher noch eine
‚Entkleidung‘ stattfindet  nicht die Sehnsucht, die Hütte, das Kleid dieses Leibes und Lebens
gar nicht ablegen zu brauchen, sondern zu erlangen, ‚dass das Sterbliche gleichsam
verschlungen würde durch das Leben‘? (2. Kor. 5, 4.) Nach der Heiligen Schrift wurden ja so,
ohne den Tod zu schmecken, Henoch (1. Mose 5, 24; Hebr. 11, 5) und Elias (2. Könige 2, 11)
zu Gott in sein Reich aufgenommen.
Wenn der einzelne Christ auch kaum wagen wird, ähnliches wie eine Art Sonderbegünstigung
für sich zu erhoffen, dann würde aber doch jeder gern zu denen gehören, welche die
Wiederkunft des Herrn noch in dieser Leiblichkeit erleben; denn dann würde ja das Verlangen
nach sofortiger ‚Überkleidung‘ ohne vorherige ‚Entkleidung‘ erfüllt werden. Der Apostel
Paulus kennt diese Erwartung, diesen sehnsuchtsvollen Wunsch recht wohl. (2. Kor. 5, 1-4; 1.
Kor.15, 51-53.) Solches Sehnen ist auch sonst im Sinne der Heiligen Schrift. Denn ‚es spricht,
der solches bezeuget: Ja, ich komme bald!‘ (Offenb. 22, 20.) Und damit ist die Bitte gegeben:
‚Ja, komm Herr Jesus!‘ (Offenb.22, 20.)
Wer aber nicht zu dem unmittelbaren Übergang berufen ist, steht denen letztlich nicht nach,
die es sind. (1. Thess. 4, 15.) Denn der Tod, obwohl er als das Ende alles Lebens erscheint, ist
in Wirklichkeit nur eine Erlösung von Schwachheit und Unvollkommenheit (Röm. 7, 24), ist
die Eingangspforte in ein vollkommeneres Sein, und das Sterben ist nicht anderes als ein
‚Heimgehen‘: (2. Kor. 5, 8.)
Und wie ist es mit dem Weizenkorn? (vergl. 1. Kor. 15, 36-38.) Scheint es nicht, als ob es
‚tot‘ sei und beim Säen ‚begraben‘ würde? Aber dieses Sterben, Begrabenwerden und
Verwesen ist eben nur Schein. In Wahrheit bedeutet es für das Korn ein Quellen und Keimen,
ein sich Regen verborgener Lebenskräfte, bis dass es aufgeht in reicheren Lebensformen als
49
zuvor. ‚Noch köstlicheren Samen bergen wir trauernd in der Erde Schoß und hoffen, daß er
aus den Särgen erblühen soll zu schönerm Los‘(Schiller).
Es ist jedoch zu beachten, dass vom christlichen Standpunkte aus statt des Wortes ‚hoffen‘
besser das Wort ‚glauben‘ zu brauchen ist im Sinne von: eine feste, eine gewisse Zuversicht
haben (Hebr. 11, 1), und dass die Trauer unter diesen Umständen ihren schärfsten Stachel
verloren hat.
Die beiden Gleichnisse von der Geburt und von der Saat erinnern daran, dass das Sterben stets
als ein katastrophaler Vorgang, als ein gewaltsamer Wechsel erscheint, - wenigstens für den,
der diesen Wechsel noch nicht selber durchgemacht hat. Und das sind alle Menschen in dieser
Welt. Wer aber das Sterben rückschauend wird betrachten können, der wird vielleicht finden,
dass es gar nicht so katastrophal, so gewaltsam gewesen ist, wie es vorher erschien! Dann
gäbe auch hier der von Paulus 2. Kor. 5, 1 ff. dargebotene Vergleich des Sterbens mit einer
Entkleidung oder mit dem Auszug aus einer Hütte die beste Vorstellung: Wenn unsere Seele
diesen Leib verlässt, dann ist das, nachträglich betrachtet, vielleicht nicht unbequemer, als
wenn wir die Kleidung oder nur ein Kleidungsstück ablegen, und wir finden unter
Umständen, dass das betreffende Stück doch eigentlich recht unbequem und mangelhaft war,
und dass wir uns nun viel besser befinden.
Oder es ist, als ob wir über die Schwelle einer Hütte oder irgendeines sonstigen menschlichen
Bauwerks hinaus schreiten in eine große, freie Natur. Oder wir treten gleichsam aus einem
engen Vorraum mit wenigen kleinen und trüben Fenstern in einen weiten, lichten Saal mit
ungehindertem Ausblick. Und das ist doch auf jeden Fall eine große Verbesserung.
Der Übergang aus dem 2. Lebensabschnitt in den dritten ist die ‚Auferstehung‘, die
‚Auferstehung des Fleisches‘ (oder des Leibes), wie es das apostolische Glaubensbekenntnis
im 3. Artikel ausdrückt. Sie bedeutet unseres Leibes Erlösung (Röm. 8, 23). Zu wissen, auf
welche Weise die Auferstehung vor sich gehen wird, ist uns nicht gegeben, wie wir uns ja
auch nicht vorstellen können, wie sich die Auferstehung Jesu am frühen Ostermorgen
abgespielt hat. Eines aber haben wir im Glauben fest ergriffen, nämlich dass ‚Christus ist
auferstanden von den Toten und der Erstling geworden unter denen, die da schlafen. In ihm
werden alle lebendig gemacht werden‘. (1. Kor. 15, 20.22; 6, 14; 2. Kor. 4, 14.) Und da
‚müssen alle offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi, auf dass ein jeglicher empfange,
je nachdem er sich befleißigt hat, dem Herrn wohlzugefallen, je nachdem er gehandelt hat, es
sei gut oder böse‘ (2. Kor. 5, 9 u. 10). Wir vergleichen dazu das Glaubensbekenntnis: Jesus ist
‚aufgefahren gen Himmel, sitzend zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters, von dannen
er kommen wird, zu richten die Lebendigen und die Toten‘.
50
16. DER SONNTAG - EIN WELTLICHER FEIERTAG. 1947
(Eine Betrachtung zu Artikel 16 des Verfassungsentwurfes.)
Der arbeitsfreie Sonntag ist keineswegs eine Errungenschaft christlichen Ursprungs. Zwar
hatte und hat das Judentum einen Tag der Arbeitsruhe. Aber das ist nicht der Sonntag,
sondern der Sonnabend, der sogenannte Sabbat. Den haben auch die Christen gehalten,
solange sie zu einem jüdischen Gemeinwesen gehörten. Aber das war eigentlich nur in dem
kleinen Palästina der Fall, und dort auch nur für einige Jahrzehnte. Die meisten Christen
waren römische Staatsangehörige und hatten als solche keine Veranlassung, den Sabbat zu
feiern. Und einen anderen, einen römischen Tag der allwöchentlichen Arbeitsruhe gab es
nicht, wenigstens damals noch nicht. Das wurde im Jahr 321 unserer Zeitrechnung anders: Da
wurde der Sonntag im Römischen Reich durch ein Gesetz als Tag der Arbeitsruhe eingeführt.
Und somit ist dieser Tag durchaus eine staatliche, eine weltliche, keine kirchliche oder
christliche Einrichtung.
Weltlich ist darum bis auf den heutigen Tag der Name: Sonntag = Tag der Sonne. – Schon die
Römer hatten eine Woche von sieben Tagen, benannt nach den sieben Planeten, oder was man
dafür hielt: Sonntag = Tag der Sonne, Montag = Tag des Mondes, Dienstag = Tag des Mars,
Mittwoch = Tag des Merkurs, Donnerstag = Tag des Jupiter, Freitag = Tag der Venus,
Sonnabend = Tag des Saturn. Da nun die Sonne für den Menschen als größtes Gestirn unter
diesen Himmelskörpern erscheint, und da ihre Bedeutung für die Erde und alles irdische
Leben überragend ist, so lag es nahe, dem Tag der Sonne diese Sonderstellung unter den
Wochentagen zu geben.
Dazu kommt noch ein zweites: Da die Sonne weiterhin religiöse Verehrung genoß, so hatte
der Sonntag von Anfang an sozusagen einen religiösen Beigeschmack, und zwar einen
heidnischen. Kein Wunder: War doch der Kaiser Konstantin, der das Sonntagsgesetz erließ,
bis zur letzten Stunde seines Lebens ein Heide.
Aber auch und gerade den Christen sollte dieser Tag zugute kommen. Sie konnten ihre
Gottesdienste viel feierlicher als bisher begehen. So war und ist der Sonntag für sie als rechte
„donatio Constantini“, eine Schenkung Konstantins.
Also der Sonntag war eine Einrichtung des Staates ohne Rücksicht auf Religion und
Bekenntnis. Und so ähnlich ist es noch heute. Man vergleicht die Weimarer Verfassung vom
11. August 1919, 2. Hauptteil, 3. Abschnitt, Artikel 139: „Der Sonntag … als Tag der
Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt.“ Daß die Sonntagsruhe auch
weitestgehend durchgeführt wurde, das ist vor allem eine Frucht des Kampfes der
Arbeitnehmer um ihr Recht. Allerdings sollte der Sonntag wie damals, so auch heute noch
51
den Christen mit zugute kommen. Darauf deutete der Umstand, daß der zitierte Artikel 139
der Verfassung in dem Abschnitt über Religion und Religionsgemeinschaften stand.
Von aktuellem Interesse ist der von der SED 1946 beschlossene Entwurf einer Verfassung für
die deutsche demokratische Republik. In dem Artikel 16 stellt diese den Sonntag als Tag der
Arbeitsruhe unter den Schutz des Gesetzes. 24
Diese Bestimmung steht nicht im Zusammenhang mit Bestimmungen über Religion und
Religionsgemeinschaften, sondern mit solchen zum Schutze der arbeitenden Bevölkerung.
Auch tritt hier der Sonntag in Gesellschaft mit den anderen Feiertagen und mit dem 1. Mai
auf. Kurzum: Er erscheint hier durchaus als weltlicher Feiertag, ganz im Einklang mit seiner
Entstehung.
Somit ist denn der Sonntag nicht so seht ein Geschenk des Christentums an die Welt, sondern
eher ein Geschenk der Welt an die Christen. Allerdings ist der Sonntag nicht zu deren
alleinigen oder bevorrechtigten Gebrauch da, sondern zur berechtigten Mitbenutzung
(Berechtigt im Sinne von Artikel 33 des Verfassungsentwurfes 25 ). Alle ohne Unterschied des
Bekenntnisses, des Glaubens (oder Unglaubens) und der Weltanschauung mögen ihn feiern,
wie es ihnen beliebt: Durch Sport und Spiel, durch Wanderung oder Spaziergang, durch frohe
Geselligkeit, durch Ruhe oder Liebhabereibeschäftigung, durch Kirchgang oder eine andere
Religionsausübung.
24
Verfassungsentwurf Artikel 16: „… Der Sonntag, die Feiertage und der 1. Mai sind Tage
der Arbeitsruhe und stehen unter dem Schutz der Gesetze…“
25
Verfassungsentwurf Artikel 33: „Glaubens- und Gewissensfreiheit und die ungestörte
Religionsausübung stehen unter dem Schutz der Republik…“
52
NACHWORT
Das Leben von Fritz Jahr (1895-1953) verlief ereignislos und war geprägt von den
turbulenten politischen, ökonomischen, und gesellschaftlichen Umbrüchen der zwanziger und
dreißiger Jahre des zwanzigsten Jahrhundert, von eigener schwacher Gesundheit und
fehlender Anerkennung für seine Konzeption einer neuen Wertwisssenschaft und von neu
modifizierten persönlichen und gesellschaftlichen Tugenden und Prinzipien im moralischen
Verhalten unter uns Menschen und gegenüber unseren natürlichen, gesellschaftlichen,
politischen und ökonomischen Umwelten.
Mehr als vier Jahrzehnte vor Van Rensselar Potter’s Bioethics – the Science of Survival in
‚Perspectives in Biology and Medicine‘ 1970, 14:127-153 and Andre Hellegers’ Pressenotiz
über die Gründung des Kennedy Institute an der Georgetown Universität in Washington DC
mit dem Titel Bioethics Center formed in ‘Chemical and Engineering News’ 1971, 11:7,
stellte Fritz Jahr in einem Editorial des Jahrgangs 1927 der führenden naturwissenschaftlichen
Zeitschrift ‘Kosmos’ das Konzept einer angesichts der teils segensreichen, teils bedrohlichen
enormen Fortschritte von Wissenschaft und Technik unverzichtbar notwendig gewordenen
neuen Disziplin und Charakterhaltung vor. Er formulierte als Bioethischen Imperativs: Achte
jedes Lebewesen grundsätzlich als eine Selbstzweck, und behandle es nach Möglichkeit als
solchen! Jahr setzt sich durchgehend mit Kant auseinander und füllt die Formalität und
Rigorosität des Kategorischen Imperativs aus mit einem konkreten Verantwortungsinhalt
allen Formen des Lebens gegenüber, unter ausdrücklichem Einschluss von Tieren und
Pflanzen. Der bioethische Imperativ gilt auch gegenüber allen Lebensformen des natürlichen
und gesellschaftlichen Zusammenlebens in Biotop, Umwelt und Gemeinschaft ‚Unser ganzes
Leben und Treiben in der Politik, im Wirtschaftsleben, im Kontor, im Laboratorium, in der
Werkstatt, auf dem Acker‘ schreibt er 1928, ist individueller und kollektiver Kampf ums
Dasein als unverzichtbares Prinzip von Leben überhaupt und deshalb dürfen wir nicht ‚das
Ideal ethischen Verpflichtetseins als Richtungspunkt aus dem Auge verlieren‘.
Kant hatte formuliert: ‚Das moralische Gesetz ist heilig (unverletzlich). Der Mensch ist zwar
unheilig genug, aber die Menschheit in seiner Person muss ihm heilig sein. In der ganzen
Schöpfung kann alles, was man will, und worüber man etwas vermag, auch bloß als Mittel
gebrauscht werden; nur der Mensch und mit ihm jedes vernünftige Geschöpf ist Zweck an
sich selbst. Er ist nämlich das Subjekt des moralischen Gesetzes, welches heilig ist, vermöge
der Autonomie seiner Freiheit‘ [A156]. Jahr zerbricht diese Exklusivität und Rigorosität des
kantischen Gebots, dehnt es auf alle Formen von Leben aus und fordert eine
leidensreduzierende und lebensfördernde ethische Abwägung zwischen rivalisierenden
sittlichen Forderungen, - was anders sonst als das verantwortungsbewusste und solidarische
53
Abwägen von Verpflichtungen, Verantwortungen, Solidarität und Mitempfinden ist das
Geschäft der Ethik? Er schreibt: ‚Wessen Liebe so groß ist, dass sie, über die Grenzen des
Nur-Menschlichen hinausgehend, noch im armseligsten Geschöpf etwas Heiliges sieht, der
wird auch in dem ärmsten und geringsten seiner Menschenbrüder dieses Heilige zu finden
und hochzuachten wissen und sich dabei nicht auf einen begrenzten Teil derselben , etwa eine
Gesellschaftsklasse, einen Interessenverband, eine Partei und was sonst noch in Betracht
kommen mag, beschränken‘. Heiligkeit des Lebens, nicht Heiligkeit eines Gesetzes ist die
Basis des Bioethischen Imperativs. Behörden, Fabriken, Organisationen, Krankenhäuser und
Nachbarschaften sind Lebensformen, - lebende Formen von Zusammenleben von Individuen
und Gemeinschaften - und stehen unter ähnlichen Regeln von Egoismus und Altruismus. EvaMarie Engels [siehe Nachweise] hat im Anschluss an Jahr schon 1999 versucht, den Begriff
Bioethik lexikographisch und konzeptionell aufzuschlüsseln in unterschiedliche spezialisierte
Wertwissenschaften, die mit ethischen Anforderungen aus Wissenschaft und Gesellschaft
korrespondieren.
Der Begriff von Leben ist für den protestantischen Pastor Jahr aber nicht bloß individuell
zwischen Geburt und Tod eingebunden; im Anschluss an Comenius unterscheidet er drei
Lebensabschnitte: vor der Geburt, nach der Geburt, nach dem Tode, - die beiden ersteren
jeweils mit Angst, Schmerzen und einem Gefühl des Endes verbunden. Die Erfahrungen nach
der Geburt jedoch, die vor der Geburt nicht erfahrbar waren, schließen einen ähnlich
befreienden Übergang nach den Qualen des Sterbens und einen abermals höheren Grad von
Freiheit und Bewusstheit nicht aus. Das ist kein Beweis für die Unsterblichkeit, aber ähnlich
wie bei Kant zuvor eine Plausibilität und ein Beweis der Nichtbeweisbarkeit. Beeinflusst von
Schopenhauer und fernöstlichen Gedanken zu Einheit und Übergang von Lebensformen,
begreift Jahr alle Formen des Lebens in einen christlich geprägten Begriff von Bios,
Schöpfung und Erlösung und findet dafür vielfältige Belege in der Bibel. Anders als bei
Publikationen von uns zeitgenössischen Bioethikern und Medizinethikern, bei denen die
Halbwertzeit der zitierten Literatur oft selten länger ist als die in den biomedizinischen
Wissenschaften, lebt und argumentiert Jahr aus der Fülle der Ideen- und Ethikgeschichte, wie
es beispielhaft seine Interpretation des 5. Gebots und die Diskussionen mit Kant zeigen.
Jahr war an weltanschaulichen und ethischen Auseinandersetzungen der dreißiger Jahre nicht
ohne Mut aktiv beteiligt. Vehement verteidigt er den modernen Arbeitsunterrichts gegenüber
einem ‚Gesinnungsdiktat‘ in Unterricht und Gesellschaft, als Nationalsozialismus und andere
radikale Ideologien sich anschickten, Gesinnungen und Moral zu diktieren. Weitsichtig auch
seine Wertung der Massenmedien in einer sich herausbildenden Informationskultur und der
54
damit verbundene Ruf an die Ethiker, sich an der Bildung des öffentlichen Bewusstseins und
öffentlicher Verantwortung zu beteiligen. Seine konservative Position zur Sexualethik ist von
den kulturellen Umbrüchen der dreißiger Jahre geprägt und dürfte heute differenzierter
gesehen werden als damals. Der Streit zwischen Glauben und Handeln, zwischen reiner Lehre
und aktivem Tun in den innerkirchlichen Auseinandersetzungen, ist heute auch in säkularen
Gruppierungen und unter Bioethikern nur zu bekannt. Schließlich ist seine Forderung nach
terminologischer Präzision in ethischen Diskursen des Alltags und vor allem in der
Fachsprache nach wie vor aktuell in einer Zeit, in der bedauerlicherweise Begriffe wie
Bioethik und Medizinethik unpräzise und unreflektiert synonym gebraucht werden. Es bleibt
zu hoffen, dass diese Aufsätze von Fritz Jahr nicht nur als historisch gelesen werden, sondern
vor allem auch als konzeptioneller Beitrag zu aktuellen und zukünftigen bioethischen und
medizinethischen Diskussionen. Diese Edition soll hierzu eine Hilfe sein.
55
NACHWEISE
Aufsätze von Fritz Jahr
Bio-Ethik. Eine Umschau über die ethischen Beziehungen des Menschen zu Tier und Pflanze.
Kosmos. Handweiser für Naturfreunde 1927, 24(1): 2-4
Der Tod und die Tiere. Eine Betrachtung zum 5. Gebot, Mut und Kraft, Halle 1928, 5(1): 5-6
Tierschutz und Ethik in ihren Beziehungen zueinander. Ethik. Sexual- und Gesellschaftsethik.
Organ des ‚Ethikbundes’ 1928, 4(6/7): 100-102
Soziale und sexuelle Ethik in der Tageszeitung. Ethik. Sexual- und Gesellschaftsethik. Organ
des ‚Ethikbundes’ 1928, 4(10/11): 149-150
Wege zum sexuellen Ethos. Ethik. Sexual- und Gesellschaftsethik. Organ des ‚Ethikbundes’
1928, 4(10/11): 161-163
Zwei ethische Grundprobleme in ihrem Gegensatz und in ihrer Vereinigung im sozialen
Leben. Ethik. Sexual- und Gesellschaftsethik 1929, 6: 341-346
Gesinnungsdiktatur oder Gedankenfreiheit? Gedanken über eine liberale Gestaltung des
Gesinnungsunterrichts. Die neue Erziehung. Monatsschrift für entschiedene Schulreform und
freiheitliche Schulpolitik, 1930, 12: 200-202
Vom Leben nach dem Tode. Aus J. A. Comenius ‚Didactica Magna‘ zusammengestellt. Ethik.
Sexual- und Gesellschaftsethik. 1933, 10: 50-51
Unsere Zweifel an Gott. Subjektive Gedanken beim Thema eines Anderen (Nr. 1, Jg. X der
‚Ethik‘). Ethik. Sexual- und Gesellschaftsethik. 1933, 10: 115-116
Drei Studien zum 5. Gebot. Ethik. Sexual- und Gesellschaftsethik. 1934, 11: 183-187
Jenseitsglaube und Ethik im Christentum. Ethik. Sexual- und Gesellschaftsethik 1934, 11:
217-218
Die sittlich-soziale Bedeutung des Sonntags. Ethik. Sexual- und Gesellschaftsethik 1934, 11:
361-363
Zweifel an Jesus. Eine Betrachtung nach Richard Wagner’s ‚Parsifal‘. Ethik. Sexual- und
Gesellschaftsethik 1934, 11: 363-364
Ethische Betrachtungen zu innerkirchlichen Glaubenskämpfen. Ethik. Ethik. Sexual- und
Gesellschaftsethik. Organ des Ethikbundes 1935, 12: 58-61
Glauben und Werke in ihrem Gegensatz und in ihrer Vereinigung. Ethik. Ethik. Sexual- und
Gesellschaftsethik. Organ des Ethikbundes, 1935, 12: 260-265
Drei Abschnitte des Lebens nach 2. Korinther. Nach dem Gesetz und Zeugnis. Monatsschrift
des Bibelbundes 1938, 38: 182-188
56
Selected Essays in Bioethics 1927 – 1934. Bochum: Zentrum für Medizinische Ethik 2010,
Medizinethische Materialien, Heft 186
Aufsätze zur Bioethik 1927 – 1947. Zweite erweitere Auflage. September 2011. Zentrum für
Medizinische Ethik. Medizinethische Materialien, Hefte 187.
Essays in Bioethics and Ethics 1927 – 1947. Zentrum für Medizinische Ethik.
Medizinethische Materialien 2011, Heft 188.
Publikationen zu Fritz Jahr
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159-164
Engels EM (2001) Die Herausforderung der Biotechniken für Ethik und Anthropologie, Die
biologische Machbarkeit des Menschen, hg. C Gestrich, Berlin: Wichern, 100-134.
Engels EM (2004) O desafio das biotécnicas para a ética e a antropologia, Veritas, 50(2): 20528.
Ferreira Carvalho da Cruz FM, Contri Pitton SE (2009), A inclusão da disciplina bioética na
matriz curricular dos cursos de licenciatura em geografia, IX. Seminário de Pós-Graduação
em Geografia da UNESP Ro Claro: Teorias e Metodologia da Geografia: tendências e
perspectivea, (03 a 05 de novembro): 606-619.
(http://sites.google.com/site/seminarioposgeo/anais, 17.05.2010.)
Goldim JR (2006) Bioética: origens e complexidade, Rev HCPA, 26 (2): 86-92.
Goldim JR (2009.) Revisiting the Beginning of Bioethics: The Contribution of Fritz Jahr
(1927), Perspectives in Biology and Medicine, 52 (3): 377-380.
Lima NS (2009), Fritz Jahr y el Zeitgeist de la bioética, Aesthetika, 5, no. 1: 4-11.
Lolas Stepke F (2008), Bioethics and animal research. A personal perspective and a note on
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Lolas Stepke F (2008) Fritz Jahr, el »imperativo bioético« y el origen de la palabra
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U: A. Gimmler (ed), Vernunft und Innovation: über das alte Vorurteil für das Neue;
Festschrift für Walther Ch. Zimmerli zum 65. Geburtstag (str. 369-377), Paderborn, Fink
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Zentrum für Medizinische Ethik
Eine vollständige Hefteliste senden wir Ihnen auch Nachfrage gerne zu.
Heft 176: Lohmann, Ulrich: Informed Consent und Ersatzmöglichkeiten bei
Einwilligungsunfähigkeit in Deutschland – Ein Überblick. August 2007.
Heft 177: Neitzke, Gerald: Ethische Konflikte im Klinikalltag – Ergebnisse einer empirischen
Studie. August 2007.
Heft 178: Huster, Stefan: „Hier finden wir zwar nichts, aber wir sehen wenigstens etwas“.
Zum Verhältnis von Gesundheitsversorgung und Public Health. April 2008.
Heft 179: Ruhnau, Clemens: Ethische Orientierung für ärztliches Rationieren beim einzelnen
Patienten. Juli 2008.
Heft 180: Siegel, Stefan; Dittrich, Ralf; Vollmann, Jochen: Ethik der Reproduktionsmedizin
aus der Sicht betroffener Familien. Ergebnisse einer qualitativen Interviewstudie.
August, 2008.
Heft 181: Sass, Hans-Martin: Ethische Risiken und Prioritäten bei Pandemien. Oktober 2009.
Heft 182: Günther, Stefanie: Exemplarische Aspekte der Ressourcenallokation in der
Onkologie. November 2009.
Heft 183/184: Rauprich, Oliver; Nolte, Matthias; Vollmann, Jochen: Systematische
Literaturrecherche in der Medizinethik. Werkstattbericht über Recherchen in den
Datenbanken PubMed und BELIT zu einem theoretischen und einem praktischen
Thema der Medizinethik. Februar 2010.
Heft 185: Kielstein, Rita; Sass, Hans-Martin; May, Arnd T.: Die persönliche
Patientenverfügung. Ein Arbeitsbuch zur Vorbereitung mit Bausteinen und
Modellen. 7. überarbeitete Auflage, September 2010.
Heft 186: Jahr, Fritz: Selected Essays in Bioethics 1927-1934 Fritz Jahr. Postscript
and References by Hans-Martin Sass. November 2010.
Heft 187: Jahr, Fritz: Aufsätze zur Bioethik 1927-1938 Fritz Jahr. Nachwort und
Nachweise von Hans-Martin Sass. Dezember 2010. Zweite erweiterte Auflage: :
Jahr, Fritz: Aufsätze zur Bioethik 1927-1947. September 2011.
Heft 188: Jahr, Fitz: Essays in Bioethics and Ethics 1927 – 1947. Mai 2011.
Heft 189: Vollmann, Jochen (Hg.) ; Kohnen, Tanja; Stotz , Tatjana (Mitarbeit): Freie
Selbstbestimmung am Lebensende? 25 Jahre Zentrum für Medizinische Ethik
Bochum 1986 - 2011. Juli 2011.
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Tel: (0234) 32 27084
FAX: (0234) 32 14452
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Hefte Nummer: _____________________________________________
ABSTRACT
FRITZ JAHR (1895 – 1953) wird mit Recht ‚Vater der Bioethik‘ genannt. 1927 prägt er in
einem Editorial in der Zeitschrift ‚Kosmos‘ den Begriff Bioethik und beschreibt in
Auseinandersetzung mit Kant’s Kategorischem Imperativ die universale Bedeutung eines
situativen und abwägenden Bioethischen Imperativs. Als Ergebnis kritischer Diskussion
neueren naturwissenschaftlichen Wissens schlägt er vor, parallel zu den Naturwissenschaften
die Geisteswissenschaften in die Richtung von Bioethik weiter zu entwickeln: sowohl als
akademische Disziplin wie auch als Tugendhaltung im persönlichen, kulturellen und
politischen Leben und in belebten natürlichen und gesellschaftlichen Umwelten. Diese
Edition von 15 Aufsätzen aus entlegenen ethischen, theologischen und pädagogischen
Zeitschriften soll die bioethische Diskussion historisch und konzeptionell erweitern.
Zeitgleich erscheinen von Jahr ‚Essays in Bioethics and Ethics' als Heft 188 der
Medizinethischen Materialien.
ZUSAMMENFASSUNG
FRITZ JAHR (1895 – 1953) rightly is called Father of Bioethics. He coins the term in a
1927 Editorial in the science journal ‘Kosmos’ and describes the universal validity of a
situational and balancing content-rich Bioethical Imperative in critical discussion with Kant’s
content-poor Categorical Imperative. After reviewing most recent scientific knowledge, he
suggests Bio-Ethics as a new discipline in the humanities - parallel to the sciences - and the
promotion of refined virtues and principles in personal, cultural and political life and in
stewarding living natural and social environment. This edition presents 15 essays, originally
published between 1927 and 1938 in not widely circulated journals in ethics, theology and
pedagogic; its purpose is to broaden actual and future bioethics debates historically and
conceptually. An English languange translation of Fritz Jahr ‘Essays in Bioethics and Ethics’
is published in Medizinethische Materialien, volume 188.
ISBN: 978-3-931993-67-2
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