Skriptum zum Vorkurs Mathematik für Studierende in Ingenieursstudiengängen und Chemie Teil I M. Rathgeb 6. September 2012 Frühere Versionen haben verantwortet: M. Rathgeb (2010); E. Kaufmann (2009); U. Cormann, P. Schupp (2008); M. Dücker (2007); M. Charton, M. Demmerling, M. Dücker (2006) Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis Einleitung 4 1. Mengen 1.1. Allgemeines zu Mengen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2. Exkurs: Grenzen der naiven Mengenlehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3. Übungsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 5 10 13 2. Abbildungen 2.1. Allgemeines zu Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . 2.2. Spezielle Eigenschaften von Abbildungen . . . . . . . . 2.3. Exkurs: Äquivalenzumformungen . . . . . . . . . . . . 2.4. Inversenpaare zu einer Abbildungsvorschrift bestimmen 2.5. Übungsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 14 18 21 23 25 . . . . 28 28 29 30 33 . . . . 34 34 35 36 40 3. Summen, Produkte, Potenzen 3.1. Summen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2. Produkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3. Potenzen (spez. Produkte) und Wurzeln (spez. 3.4. Übungsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Der 4.1. 4.2. 4.3. 4.4. binomische Lehrsatz Motivation . . . . . . . . . . . . . . Gleiches Problem in neuem Gewand Sätze und Definitionen . . . . . . . Übungsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Potenzen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Matrizen und Lineare Gleichungssysteme 5.1. Motivation . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2. Allgemeines zu Matrizen . . . . . . . . 5.3. Rechenoperationen für Matrizen . . . . 5.4. Lineare Gleichungssysteme . . . . . . . 5.5. Gauß–Algorithmus . . . . . . . . . . . 5.6. Invertieren einer Matrix . . . . . . . . 5.7. Übungsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 41 41 43 49 52 63 67 6. Grenzwerte 6.1. Grenzwerte von Folgen . . . . 6.2. Grenzwerte von Abbildungen 6.3. Rechenregeln für Grenzwerte . 6.4. Übungsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 70 71 72 73 . . . . . . . . . . . . 2 . . . . . . . . Inhaltsverzeichnis Anhang 74 A. Grundbegriffe der mathematischen Logik A.1. Aussagenlogik . . . . . . . . . . . . . . A.2. Gesetze der Aussagenlogik . . . . . . . A.3. Implikation und Äquivalenz . . . . . . A.4. Existenz- und Allaussagen . . . . . . . 75 75 81 82 83 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. George Pólya – Wie sucht man die Lösung? 87 Literaturverzeichnis 89 3 Einleitung Einleitung Der Vorkurs Mathematik ist für die meisten von Ihnen vermutlich die erste Veranstaltung an der Universität Siegen. Daher möchte die Fakultät IV Ihnen zunächst sagen: Sie sind hier Willkommen. Diese Veranstaltung ist ein Service an Sie, in gewissem Sinne ein Luxus; was für die meisten Veranstaltungen an Universitäten gilt, das gilt für den Vorkurs insbesondere: Sie müssen nicht vor Ort sein; Sie dürfen es aber. Der Vorkurs Mathematik soll Ihnen den Übergang zwischen Mathematik-Unterricht an der Schule und Mathematik-Vorlesungen an der Universität erleichtern; drei Ziele seien explizit ausgewiesen: 1. Ihre Mathematik-Kenntnisse sollen auf bzw. über ein gemeinsames Mindest-Level gehoben werden, es werden also Themen der Mathematik an Schulen wiederholt. 2. Sie sollen einen Vorgeschmack auf die zukünftige Vermittlung von Mathematik bekommen. Das Wie“ der Thematisierung sei folgendermaßen skizziert: ” a) Das Abstraktionsniveau ist deutlich höher als in der Schule, das prototypische Schema ist die Abfolge Definition – Satz – Beweis (– Beispiel [– Übungen])“; ” b) Mathematik wird als präzise, Beweise ermöglichende Sprache präsentiert; c) Zur Stoffbewältigung werden Sie fleißig üben müssen und das wohl vornehmlich in kleinen Gruppen; denn es gilt: Mathematik ist kein Zuschauer-Sport“. ” 3. Last but not least: Lernen Sie Ihre Kommilitonen und Ihre Universität kennen. Dieses Skript soll die Vorbereitung(!), den Ablauf (!) und die Nachbereitung(!) der Lehreinheiten unterstützen sowie eine Reduktion des Tafelanschriebs und Ihres Mitschriebs ermöglichen; das Skript ist in Teilen für ein Selbststudium geeignet aufbereitet; nutzen Sie diese Möglichkeit bei Gelegenheit. Das Skript wird nicht en détail durchgearbeitet. Machen Sie mich bitte auf (Tipp-) Fehler aufmerksam. Zu Mathematik-Vorkursen gibt es eine Fülle ausgezeichneter Literatur, in welcher der Schulstoff ausführlicher als im Skript präsentiert wird; beachten Sie dbzgl. das Literaturverzeichnis des Skripts bzw. das Angebot der UB Siegen – insbesondere die onlineRessourcen (Bücher, die als *.pdf-files downgeloadet werden können). So manche VorkursLiteratur birgt in sich bereits den Stoff aus einer Anfänger-Vorlesung; auch Internetquellen wie beispielsweise die folgende könnten hilfreich sein: http://www.mathe-online.at/index.html. Siegen, 6. September 2012 M. Rathgeb 4 1. Mengen 1. Mengen Ich möchte verweisen auf die zum Teil interaktiv aufbereitete Darstellung unter http://www.mathe-online.at/mathint/mengen/i.html. 1.1. Allgemeines zu Mengen Definition 1.1 ( Naiver“ Mengenbegriff nach Cantor): ” Eine Menge ist eine Zusammenfassung von wohlunterschiedenen, wohlbestimmten Objekten unserer Anschauung oder unseres Denkens. Die Objekte dieser Zusammenfassung nennt man Elemente. Bezeichung 1.2 (Schreib- und Sprechweisen zum naiven Mengenbegriff): 1. m ∈ M , d. h. m ist ein Element der Menge M bzw. m liegt in M . 2. m ∈ / M , d. h. m ist kein Element der Menge M bzw. m liegt nicht in M . 3. Das Zeichen :=“ (zwischen Mengen und anderen Termen) steht für per Definition ” ” gleich“ bzw. ist nach Definition“; dabei zeigt der Doppelpunkt den neuen Term ” an, der Term auf der anderen Seite von =“ gilt als bekannt; insgesamt wird also ” ein neues Zeichen vereinbart. Wir verwenden das Gleichheitszeichen (zwischen Mengen und anderen Termen) lax, insofern wir für T1 = T2 und T2 = T3“ oft nur T1 = T2 = T3“ schreiben. ” ” 4. Angabe einer Menge durch (andeutende) Aufzählung ihrer Elemente: M := {a, b, c}, d. h. die Menge M besteht (n.D.) aus den Elementen a, b, c. 5. Angabe der Menge durch Aussonderung mittels charakterisierender Eigenschaft: M := {a ∈ R : a > 0}, d. h. M ist (n.D.) die Menge aller reellen Zahlen, die positiv sind (alias: mit der Eigenschaft, dass sie positiv sind). Das Zeichen :“ (alias: |“) innerhalb der Mengenklammern steht dabei für mit ” ” ” der Eigenschaft“. Beispiel 1.3 (Erste Beispiele): 1. ∅ := {}, d. i. die leere Menge; sie enthält keine Elemente. 2. N := {0, 1, 2, . . .}, d. h. N ist (n.D.) die Menge der natürlichen Zahlen. 3. Z := {0, +1, −1, +2, −2, . . .}, d. h. Z ist (n.D.) die Menge der ganzen Zahlen. 4. Q ist (nach Definition) die Menge der rationalen Zahlen. (Die rationalen Zahlen lassen sich unter Bezugnahme auf die ganzen Zahlen leicht beschreiben: Die rationalen Zahlen sind genau die Quotienten teilerfremder ganzer Zahlen (Nenner ungleich 0); i.Z. (mit ggT“ für größter gemeinsamer Teiler“): ” ” Q := { pq : p, q ∈ Z, q 6= 0, ggT(p, q) = 1}.) 5 1. Mengen 5. R ist (nach Definition) die Menge der reellen Zahlen. 6. C ist (nach Definition) die Menge der komplexen Zahlen. 7. N+ := {1, 2, 3, . . .}, d. h. N+ ist (n.D.) die Menge der positiven natürlichen Zahlen. 8. R≥0 := {x ∈ R : x ≥ 0}, d. h. R≥0 ist (nach Definition) die Menge der nichtnegativen rationalen Zahlen; weiter sei R∗ := R \ {0}. 9. Seien a, b ∈ R mit a ≤ b. Wir definieren folgende (reelle) Intervalle von a nach b: a) [a, b] := {x ∈ R : a ≤ x ≤ b} ist beidseitig geschlossen; b) (a, b] := {x ∈ R : a < x ≤ b} ist linksseitig offen, rechtsseitig geschlossen; c) [a, b) := {x ∈ R : a ≤ x < b} ist linksseitig geschlossen, rechtsseitig offen; d) (a, b) := {x ∈ R : a < x < b} ist beidseitig offen. Die Intervallschreibweise macht in kanonischer Weise noch Sinn, falls a (bzw. b) −∞ (bzw. +∞) bezeichnet –, allerdings nur in Kombination mit einer öffnenden (bzw. schließenden) Klammer; bspw. gilt: [0, +∞) = R≥0 . 10. Die Bezeichnungen N, N+ , R∗ , R≥0 sind nicht einheitliche Konvention (manchmal gilt bspw. N0 für unser N und N für unser N+ ); also geben Sie auf die im Kontext geltende Konvention acht. Definition 1.4 (Gleichheit zweier Mengen, Mächtigkeit einer Menge): 1. Zwei Mengen A, B gelten genau dann als gleich, wenn sie dieselben Elemente haben; in Zeichen (alias: i.Z.): A=B :⇔ (∀x : (x ∈ A ⇔ x ∈ B)) . Das Zeichen :⇔“ steht für gilt per Definition genau dann, wenn“ bzw. ist nach ” ” ” Definition äquivalent zu“; das ist die gleiche Konvention wie bei :=“ bzw. =:“. ” ” Das Zeichen ∀“ steht für für alle“ bzw. für für jede/r/s“. Mehr zu diesen Zeichen ” ” ” und den Konzepten, in denen sie verwendet werden, steht im Anhang A. 2. Sei M eine Menge, so bezeichnet #M die Anzahl ihrer (verschiedenen) Elemente. Bemerkung 1.5 (Gleichheit zweier Mengen, Mächtigkeit einer Menge): 1. Die Reihenfolge der Nennung der Elemente einer Menge ist (bzgl. Gleichheit und Anzahl) irrelevant. 2. Bei fast allen Autoren ist Mehrfachaufzählung zulässig; in den seltenen Fällen gilt bspw. folgende Zeichenkette nicht als Menge: {a, b, c, a} (bei uns allerdings schon). 3. Weitere Schreibweisen für #M sind: ord(M ) oder |M |. 6 1. Mengen 4. Für unsere Bedürfnisse gilt die Festlegung #M ∈ N0 ∪ {∞}, d. h. wir betrachten endliche Mengen oder weisen sie als unendlich aus. – Wir differenzieren also nicht zwischen der Mächtigkeit verschieden großer unendlicher Mengen; bspw. gilt, dass N+ , N, Z, Q paarweise gleich groß sind und R≥0 , R größer sind. Beispiel 1.6 (Gleichheit zweier Mengen, Mächtigkeit einer Menge): 1. {x ∈ R : x2 = −1} = ∅, 2. {x ∈ R : x2 = 1} = {−1, 1} 3. [a, a) = ∅ für a ∈ R beliebig 4. {a, b, c} = {a, c, b, a}, insbesondere #{a, b, c} = #{a, c, b, a} 5. #∅ = 0, #N+ = ∞, #N = ∞, #R = ∞, #{1, 0, 5, 5, 2, 1} = 4 6. Seien a, b ∈ R, dann gilt 1 ≤ #{a, b, a} ≤ 2. (Beachten Sie: FU nach a = b, a 6= b.) Definition 1.7 (Mengenoperationen): Seien F, F1 , F2 , M, O, O1 , O2 , S, T, T1 , T2 , V, K, P Mengen. 1. T heißt Teilmenge von O (alias: O heißt Obermenge von T ) wenn gilt: Für jedes x gilt: Wenn x ein Element von T ist, dann ist x (auch) ein Element von O; i.Z.: T ⊂ O bzw. O ⊃ T . Speziell : Gilt zusätzlich T 6= O, so heißt T echte Teilmenge von O bzw. O echte Obermenge von T ; i.Z.: T ( O bzw. O ) T . 2. S heißt Schnitt(menge) von O1 und O2 , wenn S die Menge aller Elemente ist, die in O1 und in O2 liegen; i.Z.: S = O1 ∩ O2 . 3. V heißt Vereinigung(smenge) von T1 und T2 , wenn V die Menge aller Elemente ist, die in T1 oder (auch) T2 (inkl. in beiden Mengen) liegen; i.Z.: V = T1 ∪ T2 . Speziell : Gilt zusätzlich T1 ∩ T2 = ∅, liegen die Elemente von V also entweder in ˙ 2. T1 oder in T2 , so heißt V disjunkte Vereinigung von T1 und T2 ; i.Z.: V = T1 ∪T 4. Gilt T ⊂ O, so heißt K das Komplement(menge) von T in O (alias: die Differenz von O und T ), wenn K die Menge aller Elemente ist, die in O und nicht in T liegen; i.Z.: K = O \ T . 5. Die Produktmenge P von F1 und F2 besteht aus allen geordneten Paaren (f1 , f2 ) mit f1 ∈ F1 und f2 ∈ F2 ; i.Z.: P = F1 × F2 . Statt Produktmenge sagt man auch kartesisches Produkt. Speziell : Für die Produktmenge F × F schreibt man auch F 2 . 6. Die Potenzmenge P(M ) einer Menge M ist definiert als die Menge, die aus allen Teilmengen von M besteht. 7 1. Mengen Bemerkung 1.8 (Mengenoperationen, Mengengleichheit): 1. In Definition 1.7 wurde darauf geachtet, dass die Mengennamen insbesondere die Anfangsbuchstaben der zu definierenden Begriffe aufgreifen; solch sprechende“ ” Bezeichnungsweisen sind eventuell nicht immer möglich, glücklicherweise nicht immer nötig, aber oft hilfreich. 2. Die Definitionen der Mengenoperationen erfolgen in Rückgriff auf Zeichen wie und“ alias sowohl . . . als auch“, wie oder (auch)“ versus entweder . . . oder“, ” ” ” ” wie wenn . . . dann“, wie . . . genau dann, wenn“ wie und nicht“ alias aber ” ” ” ” nicht“ u.a.. Diese Wörter werden weitgehend wie in der Umgangssprache gebraucht, sie sind aber genau genommen termini technici, die in Definitionen bzgl. ihrer Bedeutung eigens festgelegt sind; vgl. den Abschnitt A.1. 3. Venn-Diagramme (alias: Kreis-Diagramme; Kreise in allgemeiner bzw. spezieller Lage zueinander) können die Teilaussagen zu Teil-, Ober-, Schnitt-, Vereinigungsund Komplement-Menge illustrieren; Produktmengen können durch Rechtecke veranschaulicht werden, wobei jeweils zwei aneinander grenzende Seiten für die beiden Mengen stehen. Die Konvention des aus der Schule wohl bekannten kartesischen Koordinatensystems für R2 ist eine (leicht) andere. 4. Mit Definition 1.7.1 lässt sich Definition 1.4.1 folgendermaßen neu formulieren: A = B ⇔ (A ⊂ B ∧ A ⊃ B) . (Denn: Es gilt A ⊂ B (p.D.) genau dann, wenn ∀x : x ∈ A ⇒ x ∈ B gilt; und entsprechend: Es gilt A ⊃ B (p.D.) genau dann, wenn ∀x : x ∈ A ⇐ x ∈ B gilt. Weiter steht ∧“ für und“ und der zweite ⇔-Pfeil in Definition 1.4.1 für die ” ” Zusammenfassung von ⇒“ und ⇐“.) ” ” 5. Aus Definition 1.7 ist sofort ersichtlich, dass folgende Aussagen gelten: a) Für jede Menge M gilt: M ⊂ M , M ∩ M = M , M ∪ M = M und M \ M = ∅. b) Der Schnitt zweier Mengen ist eine (gemeinsame) Teilmenge der geschnittenen Mengen – i.g.S. die größtmögliche. c) Die Vereinigung zweier Mengen ist eine (gemeinsame) Obermenge der vereinigten Mengen – i.g.S. die kleinstmögliche. d) Das Komplement K von T in O ist eine Teilmenge von O, deren Schnitt mit T leer ist – i.g.S. die größtmögliche. Für T 6= O ist T \ O nicht definiert. e) Die Produktmenge P von F1 und F2 ist nicht im Allgemeinen Obermenge von F1 oder F2 . Doch gelten für jede Menge M die Gleichungen: ∅ = M × ∅, ∅ = ∅ × M und insbesondere ∅ = ∅2 . Im Spezialfall kann also P eine Obermenge von F1 oder F2 sein und sogar F1 oder F2 gleich sein. 8 1. Mengen f) Es gilt T ⊂ O genau dann, wenn T \ O = ∅ gilt. M.a.W.: Für T liegt (ganz) in O können wir auch sagen: Das Komplement von O bzgl. T ist leer bzw. außerhalb von O gibt es kein Element von T . (Denn es ist a ∈ T ⇒ a ∈ O gemäß dem Kontrapositiongesetz (vgl. Abschnitt A.2) äquivalent zu a ∈ /O⇒a∈ / T ; letzteres erlaubt folgende Umformung(en): T \ O = {x ∈ T : x ∈ / O} ⊂ {x ∈ T : x ∈ / T } = ∅, kurz: T \ O = ∅.) g) Folgerung: Es gilt ∅ ⊂ M für jede Menge M . Denn offensichtlich gilt ∅\M = ∅. – Daraus folgt: ∅ ∈ P(M ) bzw. {∅} ⊂ P(M ) und insbesondere P(∅) = {∅}. Beispiel 1.9 (Mengenoperationen): Betrachten Sie die Menge der geraden Zahlen G = {n ∈ N : 2|n} und die Menge der ungeraden Zahlen U = {n ∈ N : 2|(n + 1)}, dabei steht |“ für teilt (mit Rest 0)“; vgl. ” ” Beispiel A.26. Der gilt: 1. G ⊂ N, U ⊂ N; insbesondere: G ( N, U ( N; 2. G ∩ U = ∅, N ∩ G = G, N ∩ U = U ; 3. G ∪ U = N, N ∪ G = N, N ∪ U = N; G ∪˙ U = N; 4. G \ G = ∅, N \ U = G, N \ G = U , (N \ G) \ U = ∅; 5. {2, 4, 6} × {1, 3} = {(2, 1), (2, 3), (4, 1), (4, 3), (6, 1), (6, 3)}; 6. P({2, 4, 6}) = {∅, {2}, {4}, {6}, {2, 4}, {2, 6}, {4, 6}, {2, 4, 6}}; 7. {n ∈ G : n ≤ 6} = {2, 4, 6}. Bemerkung 1.10 (Rechnen mit reellen Zahlen): In der Schule haben Sie reelle Zahlen zueinander addiert und miteinander multipliziert. Dabei haben Sie vermutlich ohne es zu wissen, die sog. Kommutativität und sog. Assoziativität dieser Operationen verwendet und wussten beispielsweise, dass das sog. Distributivgesetz (a·(b+c) = a·b+a·c für beliebige a, b, c ∈ R) und 2+(2·2) 6= 2·2+2·2 sowie 2 · (2 + 2) 6= 2 gilt. – Es folgen einige Gesetze für das Rechnen mit Mengen. Satz 1.11 (Rechnen mit Mengen): Seien A, B, C Megen. Dann gelten folgende Rechenregeln: 1. ∩-Kommutativgesetz: A ∩ B = B ∩ A; 2. ∪-Kommutativgesetz: A ∪ B = B ∪ A; 3. ∩-Assoziativgesetz: A ∩ (B ∩ C) = (A ∩ B) ∩ C; 4. ∪-Assoziativgesetz: A ∪ (B ∪ C) = (A ∪ B) ∪ C; 5. ein Distributivgesetz: A ∪ (B ∩ C) = (A ∪ B) ∩ (A ∪ C); 9 1. Mengen 6. ein Distributivgesetz: A ∩ (B ∪ C) = (A ∩ B) ∪ (A ∩ C); 7. ein Verschmelzungsgesetz: A ∪ (B ∩ A) = A; 8. ein Verschmelzungsgesetz: A ∩ (B ∪ A) = A; 9. ∩-Produktgesetz: A × (B ∩ C) = (A × B) ∩ (A × C); 10. ∪-Produktgesetz: A × (B ∪ C) = A × B ∪ A × C. 11. ein de Morgan-Gesetz: X \ (A ∪ B) = (X \ A) ∩ (X \ B), wobei A, B ⊂ X, X Mg.e. 12. ein de Morgan-Gesetz: X \ (A ∩ B) = (X \ A) ∪ (X \ B), wobei A, B ⊂ X, X Mg.e. Bemerkung 1.12 (Rechnen mit Mengen): 1. Zu Satz 1.11: Die Teilaussagen können insbesondere auf die entsprechenden logischen Beziehungen (vgl. den Abschnitt A.2) zurückgeführt werden: Übersetzen Sie dafür einerseits ∩ mit ∧ bzw. und“, andererseits ∪ mit ∨ bzw. oder (auch)“; ” ” alternativ erstellen Sie direkt sog. Mengentafeln, das sind Wahrheitstafeln‘ mit ’ ∈ für wahr“ und ∈ / für falsch“. Venn-Diagramme sind für die Überlegungung ” ” vermutlich hilfreich. 2. Seien A, B, C Mengen. Dann gilt nach Konvention oft auch: A × (B × C) = (A × B) × C . 1.2. Exkurs: Grenzen der naiven Mengenlehre Bemerkung 1.13 (Russelsche Antinomie): Die Grenzen des naiven Mengenbegriffes werden an folgendem Beispiel deutlich. Es scheint zunächst harmlos Mengen auf folgende Eigenschaft hin zu untersuchen: Eine Menge ist normal (per Definition) genau dann, wenn sie sich nicht selbst als Element enthält. Betrachten wir zunächst ein, zwei harmlose Beispiele: Die Menge der natürlichen Zahlen ist eine normale Menge, denn sie enthält nur bestimmte Zahlen und ist selbst keine Zahl; also enthält sie sich nicht und ist folglich eine normale Menge. Ist dagegen die Zusammenfassung genau der wohlunterschiedenen, wohlbestimmten Objekte unserer Anschauung oder unseres Denkens, die abstrakt sind, tatsächlich eine Menge, die wir gegebenenfalls M nennen, dann ist M (vermutlich weiter und insbesondere) ein wohlunterschiedenes, wohlbestimmtes Objekt unserer Anschauung oder unseres Denkens, das abstrakt ist; also enthält M sich selbst und ist folglich eine Menge, die nicht normal ist. Es scheint weiter harmlos zu sein, genau die Mengen zusammenzufassen, die nicht normal sind, d. h. die Menge N := {x : x ∈ x} zu bilden, und auf Normalität hin zu untersuchen: Ist N normal? Die Antwort ist nicht offensichtlich. Prüfen wir also mögliche Antworten: 10 1. Mengen 1. Kann N normal sein? Angenommen N ist normal. Wenn N normal ist, sich also nicht als Element enthält (N ∈ / N ), dann ist also N keines der x : x ∈ x. Dies bestätigt, dass N sich selbst nicht als Element enthält und N folglich normal ist. – Diese Überlegung lautet zusammengefasst: Wenn N normal ist, dann ist N normal. 2. Kann N nicht normal sein? Angenommen N ist nicht normal. Wenn N nicht normal ist, sich also als Element enthält (N ∈ N ), dann ist also N eines der x : x ∈ x. Dies bestätigt, dass N sich selbst als Element enthält und N folglich nicht normal ist. – Diese Überlegung lautet zusammengefasst: Wenn N nicht normal ist, dann ist N nicht normal. Dahingehend sind für N beide Antworten in sich stimmig und somit – insoweit keine Kriterien dafür gefunden werden, mindestens eine der beiden noch auszusondern – beide möglich. Das ist einerseits zwar seltsam, weil wir (vgl. Satz vom Widerspruch“ im ” Abschnitt A.2) (gerne) davon ausgehen, dass nur eine der beiden Antworten wahr ist, das ist andererseits allerdings keine besonders beunruhigende Situation, weil wir beide ” möglich“ nicht mit beide wahr“ identifizieren. ” Es scheint weiter harmlos zu sein, genau die Mengen zusammenzufassen, die normal sind, d. h. die Russell-Menge R := {x : x ∈ / x} zu bilden, und auf Normalität hin zu untersuchen: Ist R normal? Die Antwort ist nicht offensichtlich. Prüfen wir also mögliche Antworten: 1. Kann R normal sein? Angenommen R ist normal. Wenn R normal ist, sich also nicht als Element enthält (R ∈ / R), dann ist also R eines der x : x ∈ / x, die allesamt in R enthalten sind; also gilt R ∈ R und damit ist R nicht normal. Dies widerspricht der Annahme, dass R normal ist. – Diese Überlegung lautet zusammengefasst: Wenn R normal ist, dann ist R nicht normal. 2. Kann R nicht normal sein? Angenommen R ist nicht normal. Wenn R nicht normal ist, sich also als Element enthält (R ∈ R), dann ist also R keines der x : x ∈ / x, die einzig in R enthalten sind; also gilt R ∈ / R und damit ist R normal. Dies widerspricht der Annahme, dass R nicht normal ist. – Diese Überlegung lautet zusammengefasst: Wenn R nicht normal ist, dann ist R normal. Statt der Eigenschaft normal“ kann man auch die Relation ∈ betrachten und erhält ” ” ” entsprechend: R∈R⇔R∈ / R. Dahingehend ist für R keine der beiden Antworten in sich stimmig und sind somit beide nicht möglich. Das ist nach herkömmlicher Ansicht problematisch, weil wir (vgl. Satz ” vom Widerspruch“ zusammen mit Satz vom ausgeschlossenen Dritten“ im Abschnitt ” A.2) (gerne) davon ausgehen, dass genau eine der beiden Antworten wahr ist. Dahingehend ist die vorgestellte naive Mengenlehre noch nicht das Gelbe vom Ei. 11 1. Mengen Das gleiche Phänomen tritt auch bei sprachlichen Gebilden wie Dieser Satz ist wahr.“ ” (vgl. mit N ) und Dieser Satz ist falsch.“ (vgl. mit R) auf. ” Begnügen wir uns mit folgendem Hinweis auf einen möglichen Ausweg: N und R dürfen nicht als Mengen und die entsprechenden Sätze nicht als Aussagen gelten. 12 1. Mengen 1.3. Übungsaufgaben 1. Sei B = {0, 1}, M = {{0}, {1}}. a) Bestimmen Sie die folgenden Mengen jeweils mit ihrer Mächtigkeit: B ∩ B, B ∪ B, B \ B, P(B) und B 3 . b) Bestimmen Sie die Mächtigkeit der Mengen: B, M, {B}, {M }, P(B), P(M ). c) Prüfen Sie die Wahrheit der Aussagen: 1 ∈ M , 1 ⊂ M , {1} ∈ M , {1} ⊂ M , {{1}} ∈ M , {{1}} ⊂ M , B = M , {B} = M , M ∈ P(B), M ⊂ P(B), M = {X ∈ P(B) : 0 < #X < 2}. 2. Seien a, b, c ∈ R. Bestimmen Sie die Menge P({a, b, c}) mit ihrer Mächtigkeit. (Tipp: Beachten Sie die Notwendigkeit einer FU (alias: Fallunterscheidung).) 3. Seien A := {2, 4, 6}, B := {0, 1} und C := A × {1}. a) Bestimmen Sie die Menge {a ∈ A : a 6= 4}. b) Bestimmen Sie die Menge (A × B) \ C. c) Bestimmen Sie die Menge C ∩ ({2, 4} × {1, 0}). d) Bestimmen Sie die Menge C × ∅ mit Mächtigkeit. (Tipp: Bemerkung 1.8.5.) 4. Seien A = {n ∈ Z : 2|n}, B = {n ∈ Z : 3|n} und C = {n ∈ Z : 6|n}. a) Untersuchen Sie A, B, C auf Teil- bzw. Ober-Mengenbeziehungen. b) Bestimmen Sie die paarweisen Schnitte und Vereinigungen. c) Bestimmen Sie die (definierten) paarweisen Komplemente. 5. Seien A, B, X Mengen mit A, B ⊂ X. Beweisen Sie die Äquivalenz der Aussagen: a) A ⊂ B; b) A ∩ B = A; c) A ∪ B = B. 6. Beweisen Sie: Seien A, B Mengen mit A ⊂ A ∩ B und B ⊂ B ∩ A, so gilt: A = B. (Tipp: Verwenden Sie Bemerkung 1.8.5.) 7. Beweisen Sie die beiden Distributivgesetze von Satz 1.11. (Tipp: Vergleichen Sie für jede der beiden Gleichungen die Venn-Diagramme der beiden als gleich zu erweisenden Mengen.) 13 2. Abbildungen 2. Abbildungen 2.1. Allgemeines zu Abbildungen Definition 2.1 (Abbildung (alias: Funktion)): Seien M, N zwei nicht-leere Mengen. Weiter sei f ⊂ M × N , sodass es für jedes m ∈ M genau ein n ∈ N gibt mit (m, n) ∈ f (Rechtseindeutigkeit), dann spricht man bzgl. f von einer Abbildung (alias: Funktion) von M nach N . Bezeichung 2.2 (Schreib- und Sprechweisen zu einer Abbildung f ⊂ M × N ): 1. Statt f ⊂ M × N schreiben wir f : M → N und lesen dies als die Abbildung f ” geht von M nach N“ bzw. f ist eine Abbildung von M nach N“. ” 2. Wir nennen M den Definitionsbereich von f (Df = M ) und N den Wertebereich von f (Wf = N ). 3. Statt (m, n) ∈ f schreiben wir f (m) = n bzw. f : m 7→ n und lesen dies als f ” bildet m auf n ab“ bzw. f angewandt auf m ergibt n“. ” 4. Wir schreiben meist explizit: f : M → N, f (m) = n bzw. f : M → N, m 7→ n; dabei ist das n jeweils von dem m abhängig, d. h. n = nm . Wir nennen f (x) = y die Abbildungsgleichung und m 7→ n die Abbildungsvorschrift. 5. Sei M 0 ⊂ M , so bezeichnet man die Menge f (M 0 ) := {f (m) : m ∈ M 0 } ⊂ N als Bild von M 0 unter f . Speziell: Die Menge f (M ) = {f (m) : m ∈ M } ⊂ N nennt man das Bild (alias: die Bildmenge) von f . 6. Sei N 0 ⊂ N , so bezeichnet man die Menge f −1 (N 0 ) := {m ∈ M : f (m) ∈ N 0 } ⊂ M als Urbild von N 0 bzgl. f . Speziell: Sei n ∈ N . Die Menge f −1 ({n}) = {m ∈ M : f (m) = n} ⊂ M nennt man die Faser von (bzw. über) y; dbzgl. ist gängige Konvention: f −1 (y). 7. Oft wird als Graph von f (Gf ) bezeichnet, was für uns bereits f selber ist: Gf := {(m, f (m)) : m ∈ M } = f ⊂ M × N . Beispiel 2.3 (Erste Beispiele): 1. Sei M eine nicht-leere Menge. Als identische Abbildung (alias: Identität) auf M bezeichnet man die Abbildung IdM : M → M, m 7→ m. 2. Es ist − IdR : R → R, (− IdR )(x) := −(IdR (x)) eine (reelle) Abbildung. 3. Seien M, N nicht-leere Mengen. Weiter sei n0 ∈ N . Dann ist cn0 : M → N, m 7→ n0 eine sog. konstante Abbildung. Es gilt: cn0 (M ) = {n0 }. 14 2. Abbildungen 4. Sei M eine Menge und T ⊂ M . Als charakteristische Abbildung χT von T bzgl. M bezeichnet man folgende Abbildung (mit χT (M ) ⊂ {0, 1}): ( 1, falls m ∈ T ; χT : M → R, m 7→ 0, falls m ∈ M \ T . (Manchmal spricht man diesbezüglich auch von der Indikatorfunktion IT .) 5. Als Betrag(sabbildung) bezeichnet man folgende Abbildung (mit R≥0 als Bild): ( +x, falls x ≥ 0 ; | · | : R → R, x 7→ −x, sonst . 6. Sei f : R → R, f (x) = x2 . Dann gilt: f (R) = {x2 : x ∈ R} = [0, +∞). √ 7. Sei f : R≥0 → R, f (x) = x. Dann gilt: f (R≥0 ) = R≥0 . 8. Sei f : {a, b, c, d} → {1, 2, 3, 4, 5, 6}, f (a) = 1, f (b) = 1, f (c) = 1 und f (d) = 6. Dann gilt: a) f ({a, c, d}) = {f (m) : m ∈ {a, c, d}} = {f (a), f (c), f (d)} = {1, 6}, b) f −1 ({1}) = {a, b, c}, f −1 ({3, 4}) = ∅, f −1 ({6}) = {d}. 9. Sei f : {0, 1, 2, 3} → {0, 1} × {0, 1}, 0 7→ (0, 0), 1 7→ (0, 1), 2 7→ (1, 0), 3 7→ (1, 1). Dann gilt: a) f ({0, 1, 2, 3}) = {0, 1} × {0, 1}, f ({0, 3}) = {(0, 0), (1, 1)}, b) f −1 ({1} × {0, 1}) = f ({(1, 0), (1, 1)}) = {2, 3}. Bemerkung 2.4 (Spezielle (Ur-)Bilder, Gleichheit von Abbildungen): 1. Sei f : M → N eine Abbildung, so gilt stets: a) f −1 (N ) = M . b) f −1 (∅) = {m ∈ M : f (m) ∈ ∅} = ∅, c) f (∅) = {f (m) : m ∈ ∅} = ∅, Dagegen gilt f (M ) = N nur für spezielle (sog. surjektive) Abbildungen f . 2. Jede Abbildung ist eine spezielle Teilmenge der Produktmenge zweier nicht-leerer Mengen und besteht demnach (wenn auch nicht immer explizit genannt) aus ihrem Definitionsbereich, ihrem Wertebereich sowie ihrer Abbildungsgleichung bzw. ihrer Abbildungsvorschrift; d. h. zwei Abbildungen sind genau dann gleich, wenn sie in ihren Definitionsbereichen, Wertebreichen sowie Abbildungsgleichungen bzw. Abbildungsvorschriften übereinstimmen. Folgende vier Abbildungen f1 , f2 , f3 , f4 sind also voneinander verschieden, sie stimmen in gewissen Eigenschaften nicht überein; vgl. nachfolgende Definition 2.19: 15 2. Abbildungen a) f1 : R → R, x 7→ x2 , b) f2 : R≥0 → R, x 7→ x2 , c) f3 : R → R≥0 , x 7→ x2 , d) f4 : R≥0 → R≥0 , x 7→ x2 , Skizzieren Sie jede Abbildung in einem Schaubild und beantworten Sie die Frage: Schneidet jede Parallele der x-Achse mit einer Höhe aus Wfi (i ∈ {1, 2, 3, 4}) die Abbildung in mindestens / höchstens / genau einem Punkt? Definition 2.5 (Summe, Produkt): Seien f, g : R → R. Dann wird f + g : R → R, x 7→ f (x) + g(x) als ihre Summe und f · g : R → R, x 7→ f (x) · g(x) als ihr Produkt bezeichnet. Bemerkung 2.6 (Summe, Produkt): In der Situation von Definition 2.5 gilt offensichtlich: f + g = g + f und f · g = g · f . Definition 2.7 (Komposition): Seien f : M → N, g : N → O zwei Abbildungen. Dann ist als Komposition (alias: Hintereinanderausführung) g ◦ f (lies: g nach f ) folgende Abbildung definiert: g ◦ f : M → O, (g ◦ f )(m) := g(f (m)) . Beispiel 2.8 (Komposition): x+2 und g : R → R≥0 , g(x) = x2 gegeben. Dann ist 1. Seien f : R \ {3} → R, f (x) = x−3 die Komposition g nach f folgende Abbildung: 2 x+2 x+2 . = g ◦ f : R \ {3} → R≥0 , (g ◦ f )(x) = g(f (x)) = g x−3 x−3 Offensichtlich lassen sich f und g nicht in umgekehrter Reihenfolge komponieren. 2. Für f, g : R → R mit f (x) = x + 1 und g(x) = x − 1 gibt es zwei Kompositionen: a) g ◦ f : R → R, (g ◦ f )(x) = x; b) f ◦ g : R → R, (f ◦ g)(x) = x. Offensichtlich gilt g ◦ f = IdR = f ◦ g. 3. Für f, g : R → R mit f (x) = x2 und g(x) = x + 1 gibt es zwei Kompositionen: a) g ◦ f : R → R, (g ◦ f )(x) = x2 + 1; b) f ◦ g : R → R, (f ◦ g)(x) = (x + 1)2 . Offensichtlich gilt g ◦ f 6= f ◦ g. 16 2. Abbildungen Bemerkung 2.9 (Komposition: (Nicht-)Kommutativität, Assoziativität): 1. Die Komposition von Abbildungen ist nicht i.A. kommutativ, es gibt aber Abbildungen, die miteinander kommutieren; beides ist in Beispiel 2.8 zu sehen. 2. Die Komposition von Abbildungen ist assoziativ; m.a.W.: Seien fi : Mi → Mi+1 (für i = 1, 2, 3) drei Abbildungen. Dann sind zunächst die beiden Kompositionen f2 ◦ f1 : M1 → M3 und f3 ◦ f2 : M2 → M4 wohldefiniert und damit weiter die beiden Kompositionen f3 ◦ (f2 ◦ f1 ) : M1 → M4 und (f3 ◦ f2 ) ◦ f1 : M1 → M4 . Ferner gilt: (f3 ◦ f2 ) ◦ f1 = f3 ◦ (f2 ◦ f1 ) . Definition 2.10 (Restriktion): Sei f : M → N . Weiter sei T ⊂ M nicht-leer. Dann ist die Restriktion (alias: Einschränkung, Beschränkung) von f auf T folgende Abbildung: f |T : T → N, (f |T )(t) := f (t) . Bemerkung 2.11 (Restriktion): Seien f : M → T, g : N → O zwei Abbildungen, wobei insbesondere gilt: T ⊂ N . Die Komposition von g nach f ist durch Definition 2.7 nicht erklärt, obwohl g(f (m)) für alle m ∈ M bestimmt ist. – Wir können nun aber folgende Komposition bilden: (g|T ) ◦ f : M → O, ((g|T ) ◦ f )(m) := g(f (m)) . Definition 2.12 (Umkehrabbildung): Sei f : M → N eine Abbildung. Weiter sei g : N → M eine Abbildung mit g ◦ f = IdM und f ◦ g = IdN . Dann heißt g Umkehrabbildung (alias: Inverse) von f ; i.Z.: g = f −1 . M.a.W.: Seien m ∈ M und n ∈ N beliebig, so gilt: (g ◦ f )(m) = m, (f ◦ g)(n) = n . Beispiel 2.13 (Umkehrabbildung): 1. In Beispiel 2.8.2 steht ein Inversenpaar. 2. Sei M = {1, 2, 3}. Dann gilt: Die Abbildung IdM ist ihre eigene Umkehrabbildung, dagegen gibt es zu folgender Abbildung f keine Umkehrabbildung: ( 1, falls m = 1 ; f : M → M, m 7→ 2, sonst . Denn sei g : M → M beliebig, so gilt: g(M ) ⊂ M . Daraus folgt f ◦ g 6= IdM , insofern IdM (3) = 3 gilt, doch f ◦ g(3) 6= 3 wegen 3 ∈ / f (g(M )) ⊂ f (M ) = {1, 2}. Bemerkung 2.14 (Umkehrabbildung): Ist g Umkehrabbildung zu f , so ist g die (einzige, eindeutige) Umkehrabbildung zu f und f ist zudem die Umkehrabbildung zu g; d.h. insbesondere, dass gilt: (f −1 )−1 = f . 17 2. Abbildungen 2.2. Spezielle Eigenschaften von Abbildungen Definition 2.15 (Symmetrie, Antisymmetrie): 1. Eine in einem Intervall I ⊂ Df ⊂ R definierte Abbildung f heißt gerade oder symmetrisch genau dann, wenn für alle x ∈ I mit −x ∈ I gilt: f (−x) = f (x) . 2. Eine in einem Intervall I ⊂ Df ⊂ R definierte Abbildung f heißt ungerade oder antisymmetrisch genau dann, wenn für alle x ∈ I mit −x ∈ I gilt: f (−x) = −f (x) . Beispiel 2.16 (Symmetrie, Antisymmetrie): √ 1. Es ist f : R≥0 → R, f (x) = x gerade und ungerade (laut Definition 2.15). 2. Es sind f1 , f2 : R → R mit f1 (x) = x2 − 1 und f2 (x) = −x2 − 2 beide gerade. 3. Es sind f1 , f2 : R → R mit f1 (x) = x3 − x und f2 (x) = −x3 + 2x beide ungerade. Definition 2.17 (Monotonie): 1. Eine Abbildung f heißt in einem Intervall I ⊂ Df ⊂ R monoton steigend genau dann, wenn für alle x1 , x2 ∈ I mit x1 < x2 gilt: f (x1 ) ≤ f (x2 ) . Speziell : Man spricht von streng monoton steigend, falls die Gleichheit nicht gilt. 2. Eine Abbildung f heißt in einem Intervall I ⊂ Df ⊂ R monoton fallend genau dann, wenn für alle x1 , x2 ∈ I mit x1 < x2 gilt: f (x1 ) ≥ f (x2 ) . Speziell : Man spricht von streng monoton fallend, falls die Gleichheit nicht gilt. Beispiel 2.18 (Monotonie): 1. Es ist f : R → R, f (x) = 21 x − 1 str. m. steigend in jedem Intervall in R. 2. Es ist f : R → R, f (x) = − 21 x + 1 str. m. fallend in jedem Intervall in R. √ 3. Es ist f : R≥0 → R, f (x) = x str. m. steigend in jedem Teilintervall von [0, +∞). 4. Es ist f : R → R, f (x) = x2 str. m. steigend in jedem Teilintervall von [0, +∞) und str. m. fallend in jedem Teilintervall von (−∞, 0]. 18 2. Abbildungen Definition 2.19 (Surjektiv, injektiv, bijektiv): Eine Abbildung f : M → N heißt 1. surjektiv, wenn f (M ) = N gilt; m.a.W.: Wenn es zu jedem n ∈ N ein m ∈ M gibt mit f (m) = n, also f −1 ({n}) 6= ∅. Man sagt dann auch: Es ist f eine Abbildung von M auf N . 2. injektiv, wenn für alle m1 , m2 ∈ M gilt: Aus m1 6= m2 folgt f (m1 ) 6= f (m2 ); m.a.W. (vgl. Kontrapositionsgesetz A.2): Aus f (m1 ) = f (m2 ) folgt m1 = m2 . Man sagt dann auch: Es ist f eine linkseindeutige Abbildung von M nach N . 3. bijektiv, falls f sowohl surjektiv als auch injektiv ist. Man nennt f dann eine Bijektion. Beispiel 2.20 (Surjektiv, injektiv, bijektiv): 1. Sei M eine nicht-leere Menge. Die identische Abbildung IdM ist offensichtlich surjektiv, injektiv und damit auch bijektiv. 2. Es ist − IdR offensichtlich surjektiv, injektiv und damit auch bijektiv. 3. Sei f : R → R, f (x) = x + 1. a) Es ist f surjektiv, denn sei y ∈ R, so gilt: f −1 ({y}) 6= ∅. Denn aus f (y − 1) = (y − 1) + 1 = y folgt y − 1 ∈ f −1 ({y}). b) Es ist f injektiv, denn seien x1 , x2 ∈ R beliebig mit f (x1 ) = f (x2 ). Aus f (x1 ) = f (x2 ) folgt x1 + 1 = x2 + 1 und daraus x1 = x2 . c) Es ist f bijektiv; das ist klar nach Definition. 4. Die charakteristische Abbildung von Q bzgl. R und die Betragsabbildung sind weder surjektiv noch injektiv, insbesondere nicht bijektiv. 5. Sei f1 : R → R, f1 (x) = x2 . Dann gilt: a) Es ist f1 nicht injektiv, denn bspw. gilt: Es ist −1 6= 1, doch f1 (−1) = f1 (1). b) Es ist f1 nicht surjektiv, denn bspw. gilt: Für x := −1 ∈ R ist f1−1 ({x}) = ∅, weil das Quadrat jeder reellen Zahl ist nicht-negativ. c) Es ist f1 nicht bijektiv; das ist klar nach Definition. In folgender Tabelle sind die Abbildungen f1 , f2 , f3 , f4 aus Bemerkung 2.4 bzgl. ihrer Eigenschaften surjektiv, injektiv, bijektiv klassifiziert: 19 2. Abbildungen Abbildung Dfi W fi f1 R R nein nein nein f2 R≥0 R nein ja nein f3 R R≥0 ja nein nein f4 R≥0 R≥0 ja ja ja 6. Es ist f : R≥0 → R≥0 , x 7→ √ surjektiv injektiv bijektiv x surjektiv, injektiv und damit auch bijektiv. Bemerkung 2.21 (Surjektiv, injektiv, bijektiv): Sei f : M → N . Die Begriffe surjektiv, injektiv und bijektiv lassen sich mittels der f −1 -Notation einheitlich formulieren; vgl. Bemerkung 2.4. Denn es gilt: −1 surjektiv, falls |f ({n})| ≥ 1, −1 Die Abbildung f ist injektiv, falls |f ({n})| ≤ 1, für alle n ∈ N . bijektiv, falls |f −1 ({n})| = 1, M.a.W.: Es ist f surjektiv / injektiv / bijektiv, falls für alle n ∈ N gilt: Die Faser von n ist mindestens / höchstens / genau einelementig. Definition 2.22 (Folgen, endliche Folgen): Sei a : N → R, so spricht man von einer reellen Folge. Bzgl. Folgen ist eine eigene Notation üblich. Man schreibt an für die Folgenglieder, d.h. die Abbildungswerte a(n). Die Abbildung selbst notiert man meist folgendermaßen: (an )n∈N ⊂ R, kürzer: (an ) ⊂ R oder spricht von einer reellen Folge bzw. Folge in R. Wir rechnen mit Folgen also wie mit Abbildungen: Seien (an ), (bn ) ⊂ R, c ∈ R, so gilt: 1. (an ) + (bn ) = (an + bn ); 2. c · (an ) = (c · an ); 3. (an ) · (bn ) = (an · bn ). Ist der Definitionsbereich der Abbildungen auf eine endliche Teilmenge von N beschränkt, so spricht man dbzgl. von endlichen Folgen. Bemerkung 2.23 (Abbildungstypen): Eine genauere Untersuchung inkl. Einführung weiterer wichtiger Abbildungstypen (Potenzen, Wurzeln, Exponentialfunktion, Logarithmen, Winkelfunktionen) wird im zweiten Teil des Vorkursskripts erfolgen. 20 2. Abbildungen Bemerkung 2.24 (Einschränkungen): 1. Sei f : M → N . Durch Einschränkung des Definitionsbereichs M auf eine geeignete Teilmenge T ⊂ M (vgl. 2.10) erhält man bspw. eine injektive Variante f |T von f . – Ist f nicht injektiv, so hat man bzgl. T gewisse Wahlfreiheiten; selbst wenn man an einem maximalen T interessiert ist. 2. Sei f : M → N . Durch Einschränkung des Wertebereichs N auf f (M ) kann man in kanonischer Weise zu einer surjektiven Variante f˜ von f übergehen: f˜: M → f (M ), f˜(m) := f (m) . Speziell : Für eine injektive Abbildung f ist die zugeordnete Variante f˜ bijektiv. – Man könnte f˜−1 als Pseudo-Umkehrabbildung von f bezeichnen. Weiter könnte man als Wertebereich der charakteristischen Abbildung (bzw. Indikatorfunktion) von T bzgl. M gut und gerne {0, 1} festlegen; als Wertebereich der Betragsabbildung käme bspw. auch R≥0 in Frage. Satz 2.25 (Bijektion und Umkehrbarkeit, strenge Monotonie und Injektivität): 1. Sei f : M → N bijektiv. Dann gibt es genau eine Umkehrabbildung f −1 . 2. Zu einer nicht-bijektiven Abbildung gibt es keine Umkehrabbildung. 3. Seien a, b ∈ R mit a < b. Weiter sei f : [a, b] → R streng monoton (st. oder fallend). Dann gilt: Es ist f injektiv. Beweis: Seien x1 , x2 ∈ [a, b] mit x1 6= x2 . Dann gilt entweder x1 > x2 oder x1 < x2 ; ohne Beschränkung der Allgemeinheit sei x1 < x2 (die Indizierung also passend gewählt). Für streng monoton steigende f gilt dann f (x1 ) < f (x2 ), für streng monoton fallende f dagegen gilt f (x1 ) > f (x2 ). In beiden Fällen ist also f (x1 ) 6= f (x2 ) und damit f als injektiv gezeigt. 2.3. Exkurs: Äquivalenzumformungen Bemerkung 2.26 (Äquivalenzumformungen): 1. Wir haben Gleichungen und Ungleichungen in einer Variablen über R schon mehrfach (insb. beim Bestimmen des Monotonieverhaltens) äquivalent manipuliert; dabei heißt äquivalent, dass die Lösungsmenge (der Gleichung, Ungleichung, Relation) nicht verändert wurde; das heißt genauer: Wir betrachten die beiden Seiten der (Un-) Gleichung als Abbildungsterme zweier Abbildungen (in der einen Variablen) mit Definitions- sowie Wertebereichen in R und setzen dann als Grundmenge G den Schnitt der Definitionsmengen. Als Lösungsmenge L (LM) bezeichnen wir die Menge all der Elemente von G, für die gilt: Unter den Elementen in G sind es genau die Elemente in L, für die durch die (Un-) Gleichung eine wahre Aussage formuliert ist, falls die Variable mit dem (Wert des) Element(s) belegt ist. 21 2. Abbildungen 2. Wir betrachten also folgende Situation (formuliert für eine Gleichung): g(x) = f (x), G = Df ∩ Dg ⊂ R, L = {x ∈ G : f (x) = g(x)} ⊂ G . Sei nun h : G → R eine weitere Abbildung, so gilt: a) Die Lösungsmenge von h(x) + g(x) = h(x) + f (x) ist ebenfalls L. b) Die LM von h(x) · g(x) = h(x) · f (x) ist ebenf. L, falls h(x) 6= 0 für alle x ∈ G. c) Die LM von h(f (x)) = h(g(x)) ist ebenfalls L, falls h injektiv ist. Beispiel 2.27 (Äquivalenzumformungen): 1. In Bemerkung 2.26.2.b gilt für die LM der Gleichung h(x) · g(x) = h(x) · f (x), dass sie (insb. / auch) die Nullstellen von h enthält. Denn sei x0 ∈ G Nullstelle von h, so behauptet die Gleichung (nach Einsetzung (dieses Wertes) von x0 für x und anschließender Vereinfachung der beiden Produkte) nur noch 0 = 0; diese Aussage ist wahr, also x0 eine Lösung, auch dann wenn gilt: f (x0 ) 6= g(x0 ). – Ist h bspw. die Nullabbildung cn0 mit n0 = 0, so gilt: L = G. 2. Ist die Abbildung h in Bemerkung 2.26.2.c nicht injektiv, so kann sich die Lösungsmenge vergrößern. Betrachtet man bspw. eine konstante Abbildung als h, so ist h(f (x)) = h(g(x)) für alle x ∈ G erfüllt; die Lösungsmenge ist dann (ganz) G. 3. Dass man gut daran tut, die Grundmenge anfangs explizit zu bestimmen, sieht man an folgendem Beispiel, das ebenfalls im Kontext von Bemerkung 2.26.2.c steht. Sei also h(x) = x2 , dann gilt: √ h◦∗ ⇒ x−1 = x = x2 ; ⇔ ⇔ x2 − 1 ; x − 1 = x2 − 1 ; über R über R √ x=1 ∨ x=0. Nach Anwendung von h ist bei Betrachtung der Gleichung(en) über R auch 0 Bestandteil der Lösungsmenge, obwohl die ursprüngliche Gleichung nicht von 0 gelöst wird, weil deren Seiten für x = 0 nicht definiert sind; vgl. Unterkapitel 3.3. 22 2. Abbildungen 2.4. Inversenpaare zu einer Abbildungsvorschrift bestimmen Bemerkung 2.28 (Umkehrabbildung, Restriktion): 1. Möglicher Nutzen der Umkehrabbildung: Gegeben sei eine Gleichung der Form f (m) = n für eine Abbildung f : M → N und ein n ∈ N . Gesucht ist das (bzw. sind die) zu n gehörige(n) m ∈ M . Falls f bijektiv ist, gibt es für jedes n ∈ N genau ein m ∈ M , das diese Gleichung löst; denn es gilt: f (m) = n ⇔ f −1 (f (m)) = f −1 (n) ⇔ m = f −1 (n) . Die Faser f −1 ({n}) enthält für ein injektives f höchstens ein Element, für ein surjektives f mindestens ein Element. Anmerkung: Ein beliebige Abbildung f muss weder injektiv noch surjektiv sein. 2. Bestimmung von Definitionsbereich, Wertebereich und Umkehrfunktion: Wird zu gegebener Abbildungsgleichung f (x) = y ein (großer) Definitionsbereich D und ein (großer) Zielbereich W gesucht, so dass f : D → W umkehrbar ist, so muss f injektiv und surjektiv sein. Vorgehen: Bestimmen Sie zunächst die (ca. maximale) Menge Dmax , für welche gilt: Es ist fmax : Dmax → f (Dmax ), fmax (x) := f (x) eine (insb. surjektive) Abbildung. Lösen Sie dann die Gleichung f (x) = y nach x auf; das liefert (bei geeigneter Wahl) die Abbildungsvorschrift y 7→ x für eine mögliche Umkehrabbildung. Suchen Sie (als Wf ) eine Teilmenge T von f (Dmax ) bzgl. derer f −1 : y 7→ x injektiv ist. Dann ist f : f −1 (T ) → T bijektiv. Beispiel 2.29 (Umkehrabbildung): 1. Gegeben sei die Abbildungsvorschrift f : x 7→ x2 . Weiter sei Dmax = R. Dann gilt für fmax : Dmax → fmax (Dmax ), fmax (x) := f (x) die Gleichung f (Dmax ) = R≥0 . Sei √ √ nun y ∈ R≥0 beliebig. Dann gilt x2 = y genau für die x ∈ R mit x ∈ {− y, + y}. √ √ Eine Auflösung der Gleichung lautet also x = + y ∨ x = − y. Für jedes y ∈ R≥0 kann man nun entweder die eine oder die andere Gleichung als Abbildungsgleichung wählen. Sei nun T := R≥0 und U := (−∞, −3) ∪ (−2, −1] ∪ [0, 1) ∪ [2, 3]. Dann sind (bspw.) folgende Abbildungen invers zueinander: f : U → R≥0 , x 7→ x2 ; √ + y, −√y, f −1 : R≥0 → U, y 7→ √ + y, √ − y, 23 falls falls falls falls y y y y ∈ [0, 1) ; ∈ [1, 4) ; ∈ [4, 9] ; ∈ (9, +∞) . 2. Abbildungen 2. Gegeben sei die Abbildungsvorschrift f : x 7→ 1/x−4. Weiter sei Dmax = R \ {4}, denn x 6= 4 muss wegen des Nenners gelten, jede weitere reelle Zahl ist unproblematisch und noch ist es nicht an der Zeit für größere Zahlbereiche als R. Man kann sich dem Wertebereich und der Abbildungsgleichung der Umkehrabbildung auch anders nähern und sie simultan bestimmen. Sei demnach zunächst y ∈ R beliebig. Falls y Element ist von f (Dmax ), dann gibt es ein x ∈ Dmax , das eine Lösung der beiden folgenden äquivalenten Gleichungen ist: ⇔ f (x) = y 1 = y. x−4 Das weitere Vorgehen besteht nun darin, diese Gleichung nach x aufzulösen: 1 =y x−4 x6=4 ⇔ y(x − 4) = 1 y6=0 ⇔ x−4= 1 y ⇔ x= 1 +4. y Dabei ist das x 6= 4 über dem ersten Äquivalenzpfeil keine weitere Einschränkung, weil sie bereits getroffen war, insofern 4 ∈ / Dmax gilt; dagegen ist der Fall y = 0 noch eigens zu prüfen. Zunächst aber zusammenfassend: Zu beliebigem y 6= 0 gibt es also ein x 6= 4 mit f (x) = y, nämlich x = y1 + 4; nun zum noch ausstehenden Fall: Gilt 0 ∈ f (Dmax )? Wir betrachten dazu die Gleichung vor der Einschränkung auf y 6= 0, das ist y(x − 4) = 1, und setzen dort y = 0 ein; das liefert die falsche 1 = y ist also – wie eh offensichtlich – für y = 0 Aussage 0 = 1. Die Gleichung x−4 nicht lösbar. Man kann also setzen: Wf := T := R∗ und Df := Dmax ; m.a.W.: f: R \ {4} → R∗ , x 7→ 1 x−4 f −1 : R∗ → R \ {4}, y 7→ 1 y 24 ; +4. 2. Abbildungen 2.5. Übungsaufgaben 1. Zeigen Sie: a) Es ist f : R → R, f (x) = (χ[0,∞) (x)−χ(−∞,0) (x))·Id(x) die Betragsabbildung. b) Seien T, M Mengen mit T ⊂ M . Dann gilt: i. Aus χT (M ) = {0} folgt T = ∅. ii. Aus χT (M ) = {1} folgt T = M . 1 x und g(x) = 1 . x+1 Bestimmen Sie f + g. 1+x x−1 und g(x) = 4 . x+1 Bestimmen Sie f − g. 2. Seien f, g : R \ {−1, 0} → R mit f (x) = 3. Seien f, g : R \ {±1} → R mit f (x) = 4. Seien f, g : R∗ → R mit f (x) = 1 x und g(x) = x2 . a) Bestimmen Sie {x ∈ R∗ : (f + g)(x) = 0} und {x ∈ R∗ : (g − f )(x) = 0}. b) Bestimmen Sie f ◦ g, g ◦ f, f · g und g · f . √ 5. Seien f : R≥0 → R, f (x) = x und g : R → R≥0 , g(x) = x2 . a) Bestimmen Sie die möglichen Kompositionen von f und g. b) Gilt f ◦ g = IdR ? Gilt g ◦ f = IdR≥0 ? 6. Seien f, g : R≥0 → R≥0 mit f (x) = x3 + x und g(x) = √ x. a) Bestimmen Sie die möglichen Kompositionen von f und g. b) Kommutieren f und g; soll heißen: Gilt f ◦ g = g ◦ f ? 7. Untersuchen Sie folgende Funktionen auf Symmetrie und Antisymmetrie: a) cn0 : R → R, cn0 (x) = n0 mit n0 ∈ {0, 1, x}; b) f : R → R, f (x) = x + 1; c) f : R → R, f (x) = 2x2 + 1; d) f : R → R, f (x) = x − x3 ; e) f : R → R, f (x) = 12 x4 ; f) f : R → R, f (x) = x8 − x4 ; g) f : R → R, f (x) = x5 − x3 ; h) f : R∗ → R, f (x) = x1 ; i) f : R∗ → R, f (x) = j) f : R∗ → R, f (x) = k) f : R∗ → R, f (x) = 1 ; 4x2 2 + x12 ; x4 2+1 ; x4 +x2 25 2. Abbildungen l) f : R∗ → R, f (x) = 1 ; x5 −x3 8. Zeigen Sie folgende Aussagen zu Symmetrie und Antisymmetrie: a) Sei f : R → R ungerade, so gilt: f (0) = 0. b) Sei f : R → R gerade und ungerade, so gilt: x 7→ 0. c) Seien f : R → R gerade und c ∈ R, so ist c · f gerade. d) Seien f : R → R ungerade und c ∈ R, so ist c · f ungerade. e) Seien f, g : R → R gerade, so sind f + g, f ◦ g und f · g gerade. f) Seien f, g : R → R ungerade, so sind f + g, f ◦ g ungerade und ist f · g gerade. g) Seien f, g : R → R mit f gerade und g ungerade, so sind f ◦ g, g ◦ f gerade und f · g ungerade. 9. Untersuchen Sie folgende Funktionen auf Monotonie: a) f : R → R, f (x) = 42; b) f : R → R, f (x) = 2x − 3; c) f : R → R, f (x) = −x2 + 1; d) f : R≥0 → R, f (x) = x2 − 1; e) f : R∗ → R, f (x) = x1 ; f) f : R∗ → R, f (x) = 1 . x2 10. Zeigen Sie folgende Aussagen zu Monotonie: a) Seien f, g : R → R mit f str. m. fallend und g m.f., so ist f + g str. m.f.. b) Seien f, g : R → R mit f str. m. steigend und g m.st., so ist f + g str. m.st.. c) Knobelaufgabe: Suchen Sie Beispiele für f, g : R → R mit f str. m. fallend und g str. m. steigend, sodass gilt: i. Es ist f + g auf R str. m. fallend. ii. Es ist f + g auf R str. m. steigend. iii. Es ist f + g auf R weder monoton fallend noch monoton steigend ist. 11. Untersuchen Sie folgende Funktionen auf Surjektivität, Injektivität, Bijektivität: a) f : R → R, f (x) = 2x − 1; b) f : R≥0 → R≥0 , f (x) = x2 − 2x − 1; c) f : R → R, f (x) = x3 ; d) f : R → R, f (x) = x4 ; e) f : R → R≥0 , f (x) = x4 ; 26 2. Abbildungen f) f : R≥0 → R≥0 , f (x) = x4 ; 1 g) f : R∗ → R∗ , f (x) = ; x x3 ∗ h) f : R → R, f (x) = |x| . 12. Sind die in Beispiel 2.29 bestimmten Abbildungen tatsächlich zwei Inversenpaare? 13. Bestimmen Sie zu folgenden Abbildungsvorschriften jeweils ein Inversenpaar: √ a) x 7→ 2 1 − x2 − 1; √ b) x 7→ − x2 − 1 + 1. 14. Beweisen Sie die ersten beiden Teilaussagen von Satz 2.25: a) Sei f : M → N bijektiv. Dann gibt es genau eine Umkehrabbildung f −1 . (Tipp: Sei f : M → N bijektiv. Dann gibt es (Weshalb?) zu jedem n ∈ N genau ein m ∈ M mit f (m) = n. Basteln‘ Sie sich daraus die Abbildungs’ vorschrift für f −1 .) b) Zu einer nicht-bijektiven Abbildung gibt es keine Umkehrabbildung. (Tipp: Sei f : M → N nicht bijektiv. Weiter sei g : N → M beliebig. Falls f nicht surjektiv ist, so ist f ◦ g nicht surjektiv. Falls f nicht injektiv ist, so ist g ◦ f nicht injektiv.) 27 3. Summen, Produkte, Potenzen 3. Summen, Produkte, Potenzen 3.1. Summen Definition 3.1 (Summensymbol): Seien i, k, n ∈ N. Weiter seien ai ∈ R (für k ≤ i ≤ n). Dann verwenden wir im Folgenden das Summen-Symbol gemäß folgender Konvention: n ak + ak+1 + . . . + an , k < n; X ai := ak , k = n; i=k 0, k > n. Beispiel 3.2 (Summensymbol): Setze a1 := 1, a2 := 2, a3 := 3, a4 := 4, a5 := 5. Dann gilt: P5 1. i=1 ai = a1 + a3 + a3 + a4 + a5 = 1 + 2 + 3 + 4 + 5 = 15; P3 2. i=2 ai = a2 + a3 = 2 + 3 = 5. Bemerkung 3.3 (Summensymbol): In Beispiel 3.2 und entsprechenden Situationen können die in einer Summe auftretenden Summanden in folgendem Sinne direkt angegeben werden: P5 1. i=1 i = 1 + 2 + 3 + 4 + 5 = 15; P3 2. i=2 i = 2 + 3 = 5; P4 i 0 1 2 3 4 3. i=0 2 = 2 + 2 + 2 + 2 + 2 ; P5 2·i = (x + 3)2·3 + (x + 4)2·4 + (x + 5)2·5 . 4. i=3 (x + i) Satz 3.4 (Rechenregeln für Summen): Seien (ai )ni=1 und (bi )ni=1 endliche (reelle) Folgen und c ∈ R. Dann gilt: Pn Pn Pn 1. i=1 bi ; i=1 (ai + bi ) = i=1 ai + Pn Pn 2. i=1 c · ai = c · i=1 ai ; P P 3. Inversion: ni=1 ai = ni=1 an+1−i ; P 4. Teleskopsumme: n−1 i=1 (ai+1 − ai ) = an − a1 ; P P P 5. Für 1 ≤ k ≤ n: ni=1 ai = ki=1 ai + ni=k+1 ai ; P P 6. Indexshift um k ∈ N: ni=1 ai = n+k i=1+k ai−k . 28 3. Summen, Produkte, Potenzen Satz 3.5 (Berechnungsformeln (insb.f.d. abbrechende geom. Reihe)): P 1. Für n ∈ N gilt: ni=1 i = n·(n+1) . 2 ( n+1 q −1 Pn i , q 6= 1; q−1 2. Für q ∈ R gilt: i=0 q = n + 1, q = 1 . Beweis: P 1. Sei n ∈ N. Dann ist die Aussage äquivalent zu 2 · ni=1 i = n · (n + 1). Betrachte dafür: n n n n n X X X X X 2· i= i+ i= i+ (n + 1 − i) i=1 i=1 i=1 i=1 i=1 n n X X = (i + n + 1 − i) = (n + 1) i=1 i=1 = n · (n + 1) . P 2. Sei q ∈ R mit q 6= 1. Dann ist die Aussage äquivalent zu (q −1)· ni=0 q i = q n+1 −1. Betrachte dafür: n n n X X X i i (q − 1) q = (q − 1)q = (q i+1 − q i ) i=0 i=0 n+1 =q 0 −q =q i=0 n+1 −1. Für q = 1 folgt die Aussage sofort aus der Definition 3.9. 3.2. Produkte Definition 3.6 (Produktsymbol): Seien i, k, n ∈ N. Weiter seien ai ∈ R (für k ≤ i ≤ n). Dann verwenden wir im Folgenden das Produkt-Symbol gemäß folgender Konvention: n ak · ak+1 · . . . · an , k < n; Y ai := ak , k = n; i=k 1, k > n. Definition 3.7 (n-Fakultät): Sei n ∈ N. Dann ist n! (sprich: n-Fakultät) folgendermaßen definiert: n! := n Q i=1 Beispiel 3.8 (n-Fakultät): 1. Es gilt: 5! = 1 · 2 · 3 · 4 · 5 = 120. 2. Es gilt: 6! = 5! · 6 = 720. 29 i. 3. Summen, Produkte, Potenzen 3.3. Potenzen (spez. Produkte) und Wurzeln (spez. Potenzen) Ich möchte verweisen auf die zum Teil interaktiv aufbereitete Darstellung unter http://www.mathe-online.at/mathint/pot/i.html. Definition 3.9 (Potenzen mit ganzzahligen Exponenten): 1. Seien a ∈ R, n ∈ N. Dann ist die Potenz an (sprich: a hoch n) folgendermaßen definiert: n Y n a := a. i=1 n Mit Blick auf a spricht man bei a von Basis, bei n von Exponent und bei b ∈ R mit b = an von Potenzwert. 2. Seien a ∈ R∗ , n ∈ N+ . Dann definiert man: a−n := 1 . an 3. Damit ist an für alle n ∈ Z, a ∈ R mit a 6= 0, falls n < 0 gilt, bestimmt. Satz 3.10 (Rechenregeln für Potenzen mit ganzzahligen Exponenten): Seien a, b ∈ R, m, n ∈ Z. Dann gilt, falls die Potenzen und Brüche wohldefiniert sind: 1. an · am = an+m ; an 2. a : a = m = an−m ; a n m 3. an · bn = (a · b)n ; an a n n n ; 4. a : b = n = b b 5. (an )m = an·m . Beispiel 3.11 (Rechenregeln für Potenzen mit ganzzahligen Exponenten): 1. Seien a, b, x, y ∈ R mit a · x · y 6= 0. Dann gilt: −3 0 −2 4a b a6 x 4 −3 0 −2 −2 −2 6 4 −2 = (4a b x y) = 4 a x y = . x2 y −1 16y 2 2. Seien a, b ∈ R mit a > 0, b 6= 0. Dann gilt: √ 94 (a2 ab)2 38 a4 ab2 3a2 = = . 182 (3ab)3 22 · 34 · 33 a3 b3 4b 30 3. Summen, Produkte, Potenzen Definition 3.12 (n-te Wurzeln): 1. Seien a ∈ R≥0 , n ∈ N+ . Dann gibt es genau ein x0 ∈ R≥0 mit xn0 = a, d.h. also genau eine nicht-negative reelle Lösung der Gleichung xn = a (Der Beweis hiervon ist nicht leicht; vgl. [Heu90].), die wir folgendermaßen bezeichnen: √ n a := x0 . √ Mit Blick auf n a spricht man bei a von Radikand, bei n von Wurzelexponent und bei x0 von Wurzelwert. 2. Seien a ∈ R≥0 , m ∈ N, n ∈ N+ . Dann definiert man: √ √ m m a n := n am (= n a ) . 3. Seien a ∈ R>0 , m, n ∈ N+ . Dann definiert man: a −m n := 1 m . an 4. Damit ist aq für alle q ∈ Q, a ∈ R≥0 mit a 6= 0, falls q < 0 gilt, bestimmt und sind n-te Wurzeln unter die Potenzen zu rechnen. Beispiel 3.13 (n-te Wurzeln, Potenzen mit rationalen Exponenten): 13 12 p √ √ 1 1 1 3 125 = 125 2 = 125 3 = 5 2 = 5. 1. Es gilt: √ √ 1 1 2. Es gilt: 8 3 343 − 4 625 = 8 (73 ) 3 − 4 (54 ) 2 = 8 · 7 − 4 · 52 = 56 − 100 = −44. √ √ 1 1 3. Es gilt: 5 3 8 − 5 4 64 = 5 (23 ) 3 − 5 (44 ) 4 = 5 · 2 − 5 · 4 = 10 − 20 = −10. Bemerkung 3.14 (n-te Wurzeln): √ √ 1. Wir setzen a := 2 a. 2. Radikand und Wurzelwert sind nicht-negativ; vgl. bzgl. einer Begründung [SG94]. 3. Im Umgang mit Wurzeln hat man gerne bestimmte Standardisierungen, soll heißen: Unter einer n-ten Wurzel, deren Radikand eine positive natürliche Zahl ist, steht keine n-te Potenz einer positiven natürlichen Zahl und im Nenner von Brüchen steht keine Wurzel: Um ersteres zu erreichen, zieht man geeignete Faktoren aus der Wurzel; um letzteres zu erreichen, erweitert man (z.B. mittels 3.Bin.Fo.) geeignet. Beispiel 3.15 (Potenzfreie n-te Wurzeln, wurzelfreie Brüche): √ √ √ √ 1. Es gilt: 72 = 22 · 32 · 2 = 2 · 3 2 = 6 2. 31 3. Summen, Produkte, Potenzen √ √ 2. Es gilt: 18 3 = 3. Es gilt: √1 5 4. Es gilt: √−2 2−2 = 32 ·2 3 √1 5 = = ·1= √−2 2−2 √ √ 3 2 3 = √1 5 √ √5 5 · ·1= 2. = √−2 2−2 · √ √1· √5 5· 5 = √ √ √2+2 2+2 = 5 . 5 √ −2( 2+2) √ √ ( 2−2)( 2+2) = √ −2( 2+2) 2−4 = √ 2 + 2. Satz 3.16 (Rechenregeln für Wurzeln): Seien a, b ∈ R>0 , m ∈ N, n ∈ N+ , α, β ∈ R. Dann gilt: √ √ √ 1. n a · m a = nm an+m ; √ √ √ 2. n a : m a = nm am−n ; √ √ √ 3. n a · n b = n ab; √ p √ √ na n a 4. n a : n b = √ = ; n b b p√ √ 5. n m a = nm a; √ 1 6. n a = a n . Bemerkung 3.17 (Potenzen mit reellen Exponenten): 1. Die Rechenregeln von Satz 3.10 gelten auch für Potenzen mit rationalen Exponenten, wobei darauf zu achten ist, dass die Potenzen und Brüche wohldefiniert sind. 2. Die Rechenregeln von Satz 3.10 gelten auch für Potenzen mit reellen Exponenten, wobei darauf zu achten ist, dass die Potenzen und Brüche wohldefiniert sind. – Dabei werden die Potenzen mit irrationalen Exponenten bspw. durch Intervallschachtelungen definiert. Im Kapitel ?? über die Exponentialfunktion wird eine weitere Definition von Potenzen eingeführt, die reelle Exponenten miteinschließt. Satz 3.18 (Rechenregeln für Potenzen): Seien a, b ∈ R>0 , m ∈ Z, n ∈ N+ , α, β ∈ R. Dann gilt: 1. aα · aβ = aα+β ; 2. aα : aβ = aα−β ; 3. aα · bα = (ab)α ; 4. aα : bα = (a : b)α ; 5. (aα )β = aα·β ; 6. 1 aα = a−α ; 7. a0 = 1. 32 3. Summen, Produkte, Potenzen 3.4. Übungsaufgaben 1. Bestimmen Sie 00 , 1α für α ∈ R, 0! und 7!. 2. Gilt die Formel n! = (n − 1)! · n für n ∈ N? 3. Seien a, b ∈ R. Schreiben Sie als Potenzen: 1 1 1 a) − a−2 für a 6= 0; · a−2 · a−2 b) −(b − a)(a − b)(a − b); c) −(a0 b)(a0 b)(a0 b)(a0 b). 4. Bestimmen Sie die Werte folgender Ausdrücke, wobei Sie deren Wohldefiniertheit annehmen dürfen: a) (−2−1 )3 ; −2 4 −3 · 3 und b) 43 3 −2 4 3 · 4 3 ; 3 c) 18(a − 1)3 − 3(1 − a) − 15(a − 1)3 + 4(1 − a)3 + 3(1 − a)3 ; d) ax+1 bx+3 a3x−1 bx+3 ; ax−2 b3−x ax bx+1 e) a5x−2y b6m−1 f) an+1 bx−1 +an bx +an−1 bx+1 . an−2 bx−1 : a4x+y ; bm−1 5. Machen Sie jeweils den Nenner wurzelfrei: a) b) √ √ 12 √ ; 5− 3 √ − 8x r2 − x2 . Bestimmen Sie insbesondere Dr , Dx ⊂ R der für r, x erlaubten Werte. x(2r2 −4x2 ) √ r2 −x2 6. Sei a ∈ R>0 . Bestimmen Sie ein (d.h. das eindeutig bestimmte) x ∈ R, sodass gilt: s r q 3 √ 5 4 x a = a3 a2 a8 a3 . 7. Die französische Gräfin Elisabeth-Angelique de Beauteville verwitwete im Alter von 20 Jahren. Ihr Gatte, der Gouverneur Sanslisse, liebte sie sehr und hinterließ folgendes Testament: Im ersten Jahr nach seinem Tode wird der Witwe ein Goldstück ausgezahlt, wenn sie nicht wieder heiratet, im zweiten zwei Goldstücke, im dritten vier usw., also in jedem Jahr doppelt so viele Goldstücke wie im Vorjahr, vorausgesetzt sie bleibt unverheiratet. Die Gräfin lebte noch 69 Jahre und heiratete nicht wieder. Wie viele Goldstücke hätte sie erhalten müssen? 33 4. Der binomische Lehrsatz 4. Der binomische Lehrsatz Manche Probleme treten in der Mathematik (und auch anderswo) in verschiedenen Gewändern‘ auf; löst man die eine Variante, so auch die andere. Wir stellen hier einen ’ solchen Sachverhalt vor und folgen darin einer Anregung aus [SS09, S. 50-59]: Wir werden zu bestimmen versuchen 1. einerseits die Anzahl an gleichen Summanden innerhalb einer Summe und 2. andererseits die Anzahl an verschiedenen Wegen zwischen zwei Punkten. Nur zur Vorsicht schreiben wir in diesem Kapitel N0 statt nur N; wir möchten damit betonen, dass auch auf die Null zu achten ist, obwohl gemäß unserer Konvention gilt: 0 ∈ N bzw. N = N0 . 4.1. Motivation Thema dieses Kapitels ist eine Verallgemeinerung der ersten binomischen Formel. Sie wissen bereits, dass für a, b ∈ R gilt: 1. (a + b)0 = 1 = a0 b0 ; 2. (a + b)1 = a + b = a1 b0 + a0 b1 ; 3. (a + b)2 = a2 + 2ab + b2 = a2 b0 + 2a1 b1 + b2 . Können Sie bestätigen, dass für a, b ∈ R gilt: (a + b)3 = a3 b0 + 3a2 b1 + 3a1 b2 + a0 b3 ? Bemerkung 4.1: Beachten Sie, dass iteriertes Ausmultiplizieren von (a + b)n auf eine Summe führt, deren Summanden Produkte aus jeweils n Faktoren sind – aus jedem der n Faktoren (a + b) von (a+b)n nämlich entweder das a oder das b; jeder Summand hat also die Form an−k bk für ein geeignetes k ∈ {0, 1, . . . , n} und jedes Produkt dieser Form tritt in der Summe (mindestens einmal) als Summand auf. Wie Sie bereits von der sog. ersten Binomischen Formel aus der Schule wissen, treten manche Summanden mehrfach auf. Durch Zusammenfassen gleicher Summanden ergibt sich also eine Summe aus gewichteten“ Summanden an−k bk mit k = 0, 1, . . . , n. (Diese ” Notation zeigt an, dass k jedes Element der Menge {0, 1, . . . , n} als Wert annimmt.) Paraphrasierte Definition: Die Zahlen, die beim Ausmultiplizieren der Potenz (a + b)n als Gewichte der Summanden an−k bk auftreten und deren Werte uns noch unbekannt sind, bezeichnen wir als Binomialkoeffizienten nk . 34 4. Der binomische Lehrsatz Wir können nun also nach Vereinbarung schreiben: n X n n−k k (a + b) =: a b . k k=0 n Im Folgenden suchen wir insbesondere Berechnungsformeln für diese Koeffizienten. Dafür werden wir zunächst die mehr oder minder implizite, rekursive Definition explizit formulieren, sie weiters verallgemeinern und zuletzt eine Einsetzformel angeben. 4.2. Gleiches Problem in neuem Gewand Zu folgendem angedeuteten Dreieckschema aus Punkten stellen wir uns die Frage: Wieviele Wege führen von dem einzelnen Punkt an der Spitze des Dreiecks zu einem beliebigen (anderen) Punkt im Dreieck? • • • • • • • • • • • • • • • ................................. Werden die Zeilen (von oben nach unten) und die Spalten innerhalb einer Ebene (von links nach rechts) jeweils bei Null beginnend gezählt, so hat der Punkt an der Spitze die Koordinaten (0, 0) und ein Punkt mit den Koordinaten (n, k) liegt in der n + 1-ten Zeile und ist darin der k + 1-te Punkt (von links gezählt). Jeder (echte) Weg setzt sich aus einer Abfolge von Schritten zusammen; bei aufeinanderfolgenden Schritten stimmt die Endposition des früheren mit der Anfangsposition des späteren überein; jeder einzelne Schritt erhöht die Zeilennummer und lässt die Spaltennummer gleich oder erhöht sie um eins. Also kann (für n > 0) die Position (n, k) nur von höchstens zwei Punkten der darüberliegenden Zeile aus erreicht werden; sie haben gegebenenfalls die Koordinaten (n − 1, k − 1) und (n − 1, k). Von Spitze zu Spitze führt genau ein Weg; er besteht aus keinem Schritt. Es gibt zwischen (0, 0) und (n, k) genau nk -viele Wege. 35 4. Der binomische Lehrsatz Denn wie bei (a + b)n der Binomialkoeffizient nk die Anzahl an Summanden an−k bk benannte, so kann er nun die Anzahl an Wegen nennen, die aus n − k Schritten nach links unten und k Schritten nach rechts unten bestehen (sie führen allesamt zum gleichen Punkt). Wie im Produkt an−k bk nicht unterschieden werden muss, aus welchen der n Klammern die k-vielen b-Faktoren stammen, so ist es bei den Wegen egal, welche der n Schritte nach rechts unten gehen. 4.3. Sätze und Definitionen Wir bündeln die gewonnenen Erkenntnisse über die Binomialkoeffizienten nun zunächst in einer expliziten Definition und diskutieren dann die einzelnen Festlegungen nochmals im Hinblick auf ihre Herkunft. Definition 4.2 (Binomialkoeffizient): Der Binomialkoeffizient nk für n ∈ N0 und k ∈ Z ist folgendermaßen definiert: 1. 00 := 1; (Initialsisierung: Teil 1) 2. nk := 0, für n > 0 und (k < 0 oder k > n); (Initialsisierung: Teil 2) 3. nk := n−1 + n−1 , für n > 0 und 0 ≤ k ≤ n. (Rekursionsformel) k−1 k Bemerkung 4.3 (Binomialkoeffizient): 1. In (1) steht als eine Initialisierung die Konvention, dass ein leeres Produkt den Wert 1 hat bzw. genau ein Weg von der Spitze zur Spitze führt. 2. In (2) steht als weitere Initialisierung, dass in der Summenschreibweise von (a+b)n nur die Produkte an−k bk mit k = 0, 1, . . . , n auftreten bzw. keiner der erlaubten Wege in den Bereich außerhalb des Punktedreiecks führt. n−1 3. In (3) steht, dass (und wie) der Wert nk durch die Werte n−1 und festgelegt k−1 k ist. Solche initialisierenden Werte sind in (1) und (2) angegeben. Die Berechnung der weiteren Werte durch die (rekursive) Formel in (3) muss nun zunächst für n = 1 erfolgen, dann für n = 2, dann für n = 3 etc.. 4. Bezogen auf das Punktedreieck von oben kann man die nicht-trivialen Binomialkoeffizienten also zeilenweise von oben nach unten und innerhalb einer Zeile in beliebiger Reihenfolge berechnen. Das Ergebnis (unter Verzicht auf die Nullen außerhalb) ist dann das sog. Pascalsche Dreieck. Es folgen zwei Schaubilder: zunächst ein Dreieck, in welchem an den Positionen n (n, k) das jeweilige k steht, danach ein Dreieck, in welchem die zugehörigen Werte stehen – sowie Pfeile, um die Summenbildung anzudeuten. 36 4. Der binomische Lehrsatz 0 0 1 0 2 0 3 0 4 0 5 0 1 1 2 1 3 1 4 1 5 1 2 2 3 2 4 2 5 2 3 3 4 3 5 3 4 4 5 4 5 5 ......................................................................... 1 1 1 & 1 2 & 1 1 1 . & . . . 3 & 4 5 1 3 & & . . 1 & 6 & . 4 & 10 . . 10 1 & . 5 1 ........................................................................ Dabei ergeben sich die Einsen an den Zeilenrändern jeweils als Summe einer darüberstehenden Eins und einer darüberstehenden (aber nicht notierten) Null; letztere ist als zu den trivialen Werten gehörend in den Schemen ausgespart geblieben. 37 4. Der binomische Lehrsatz Zwei unmittelbare Folgerungen aus Definition 4.2 seien nun noch explizit formuliert. Folgerung 4.4 (Binomialkoeffizient): Für alle n ∈ N0 gilt: 1. n0 := 1; 2. nn := 1. Satz 4.5 (Binomischer Lehrsatz): Für alle n ∈ N0 und alle k ∈ N0 mit k ≤ n gilt: n X n n−k k (a + b) = a b , wobei gilt: k k=0 n n n! . = (n − k)! k! k Bemerkung 4.6 (Binomischer Lehrsatz): 1. Die erste Gleichung gilt (bei uns) nach Definition der Binomialkoeffizienten; zumindest soll sie gemäß der paraphrasierten Definition gelten. – Skeptisch könnten wir aber dahingehend sein, ob sich die Definition der Binomialkoeffizienten als Gewichte der Summanden in der Summe zu (a + b)n tatsächlich geeignet in ihrer formalen Definition (Rekursionsformel mit initiierenden Werten) niedergeschlagen hat. Man kann sich diesbezüglich bspw. mittels vollständiger Induktion beruhigen. 2. In [SS09, S. 50-59] werden für die Gültigkeit der zweiten Gleichung, d.h. dass der angegebene Bruch der Definition der Binomialkoeffizienten genügt, zwei Beweise geführt: Der eine Beweis erfolgt mittels kombinatorischer Überlegungen, der andere wird via vollständiger Induktion geführt; letzterer hat als Zwischenstationen die beiden Behauptungen aus 4.4. Folgerung 4.7 (Binomischer Lehrsatz): Für alle n ∈ N0 und k ∈ N0 gilt: n 1. nk = n−k n 2. n1 = n = n−1 3. n k = Qk i=1 n+1−i k! = Qk 4. Für alle n ∈ N0 gilt: i=1 n P k=0 n+1−i i n k = (Symmetrieeigenschaft) (Randwerte) Qk−1 n−i i=0 i+1 (Berechnungsformel) = 2n . Das ist eine Zeilensummenformel im Dreiecksschema der Punkte. n P n 5. Für alle n ∈ N \ {0} gilt: (−1)k = 0. k k=0 Das ist eine weitere Zeilensummenformel im Dreiecksschema der Punkte. 38 4. Der binomische Lehrsatz 6. Sei α ∈ R. Dann ist als Verallgemeinerung der alten‘ Definition für α ∈ N wohl’ definiert: k−1 α 1 Y (α − i) . := k! i=0 k Beachten Sie, dass wegen (1) das k durch n − k ersetzt werden darf und die Berechnung für die kleinere der beiden Zahlen erfolgen sollte. Beispiel 4.8 (Binomialkoeffizient): 1. Seien a, b ∈ R, so gilt: (a + b)4 = a4 + 4a3 b + 6a2 b2 + 4ab3 + b4 . 2. Es gilt 50 = 1 und 55 = 1. 3. Es gilt 61 = 6 und 65 = 6. 4. Es gilt 5. Es gilt 7 5 8 2 = 21, denn: = 28, denn: 7 5 = 8 2 = 7 7−5 7 1 + 7 2 = 7 2 = 1 2! 2−1 Q (7 − i) = i=0 = 7 + 21 = 28. 39 1 2 · 7 · 6 = 21. 4. Der binomische Lehrsatz 4.4. Übungsaufgaben 1. Vereinfachen Sie folgende Ausdrücke: b) 5! ; 3! (n+2)! (n−1)! c) 2n! (2n)! a) für n ∈ N+ ; für n = 0, 1, 2, 3. 2. Berechnen Sie folgende Ausdrücke: a) 41 ; b) 62 ; c) 63 ; d) 64 . 3. Berechnen Sie folgende Summen: a) 21 + 22 ; b) 31 + 32 ; c) 41 + 42 . 4. Bestimmen Sie nk für n = 6, 7 und 0 ≤ k ≤ n. 5. Schreiben Sie folgende Ausdrücke als Summen, wobei gilt x, y, a, b ∈ R: a) (x + y)7 ; b) (a − b)6 ; c) (5a + 4b)3 . 6. Beweisen Sie die Teilaussagen 4 und 5 von Folgerung 4.7. 40 5. Matrizen und Lineare Gleichungssysteme 5. Matrizen und Lineare Gleichungssysteme 5.1. Motivation Beispiel 5.1 (Produktionstabellen, -matrizen): Aus Rohstoffen R1 , R2 , R3 , R4 werden Zwischenprodukte Z1 , Z2 , Z3 hergestellt und aus diesen Zwischenprodukten Z1 , Z2 , Z3 dann Endprodukte E1 , E2 . Die folgenden Tabellen beschreiben, wieviele Einheiten R1 , R2 , R3 , R4 für jeweils eine Einheit Z1 , Z2 , Z3 benötigt werden und wieviele Einheiten Z1 , Z2 , Z3 für jeweils eine Einheit E1 , E2 benötigt werden: R(Z) Z1 Z2 Z3 Z(E) E1 R1 2 1 3 R2 0 2 1 Z1 R3 R4 3 1 0 3 1 E2 2 , . Z2 3 1 Z3 2 3 2 0 In dieser Situation kann man an Antworten auf verschiedene Fragen interessiert sein: 1. Wieviele Einheiten Ri werden für eine Einheit Ek benötigt? 2. Wieviele Einheiten Ri werden zur Produktion von xk Einheiten Ek benötigt? 3. Wieviele Einheiten Ek kann man aus bi Einheiten Ri herstellen? Das mathematische Hilfsmittel der Darstellung solcher Fragen sind lineare Gleichungssysteme, ihre Beantwortung durch mathematische Bearbeitung erfolgt mittels der Matrizenrechnung. 5.2. Allgemeines zu Matrizen Definition 5.2 (Matrix, Matrizen): 1. Eine m × n-Matrix über R mit der Bezeichnung A ist eine Anordnung von m · n Elementen ai;j von R nach folgendem Schema: a1;1 . . . . . . a1;n . . .. A= .. . am;1 . . . . . . am;n 41 5. Matrizen und Lineare Gleichungssysteme Eine m × n-Matrix über R ist also ein rechteckiges Zahlenschema aus m Zeilen und n Spalten mit reellen Einträgen. Die ai;j ∈ R heißen Koeffizienten von A. Der Koeffizient ai;j (kurz: aij ) steht in der i-ten Zeile und der j-ten Spalte. 2. Die Menge aller m×n-Matrizen über R wird mit M (m×n, R) bezeichnet; demnach ist A ∈ M (m × n, R) eine Kurzform für A ist eine m × n-Matrix über R‘. ’ 3. Zwei Matrizen (aij ) ∈ M (m1 × n1 , R), (bij ) ∈ M (m2 × n2 , R) heißen gleich genau dann, wenn gilt: m1 = m2 , n1 = n2 und aij = bij für alle 1 ≤ i ≤ m1 , 1 ≤ j ≤ n1 . 4. Die Matrix A ∈ M (m × n, R), deren Einträge alle = 0 sind, heißt Nullmatrix ; i.Z.: (0) oder 0. 5. Wir definieren M (n, R) := M (n × n, R) und nennen die Elemente dieser Menge quadratische Matrizen. Sei A ∈ M (n, R), so werden die Koeffizienten a11 , . . . , ann als Diagonalelemente von A bezeichnet. 6. Die Matrix A ∈ M (n, R), deren Diagonalelemente allesamt = 1 und deren restliche Einträge allesamt = 0 sind, heißt Einheitsmatrix En (kurz: E); i.Z.: ( 1, i = j; En = (aij ) mit aij = δij , wobei allgemein gilt: δij := 0, i 6= j. Dabei haben wir auf das sog. Kronecker-Symbol δij zurückgegriffen. 7. Eine Matrix mit nur einer Zeile oder Spalte heißt Vektor ; für Vektoren verwenden wir meist kleine Buchstaben. a) Eine m × 1-Matrix heißt Spaltenvektor : x1 x 2 x= . . .. xm b) Eine 1 × n-Matrix heißt Zeilenvektor : x = x1 x2 . . . xn . Bei Zeilenvektoren trennt man die Koeffizienten oft durch Kommata, o.ä.: x = (x1 , x2 , . . . , xn ). 42 5. Matrizen und Lineare Gleichungssysteme 5.3. Rechenoperationen für Matrizen Definition 5.3 (Rechenoperationen für Matrizen): 1. Transponieren einer Matrix : Sei A = (aij ) ∈ M (m × n, R). Dann gilt für die Transponierte C := AT von A: C ∈ M (n × m, R) : cij = aji . 2. Addition zweier Matrizen: Seien A, B ∈ M (m × n, R) mit A = (aij ) und B = (bij ). Dann gilt für die Summe C := A + B von A und B: C ∈ M (m × n, R) : cij = aij + bij . 3. Skalar-Matrix-Produkt: Seien α ∈ R ein Skalar und A = (aij ) ∈ M (m × n, R). Dann gilt für das Produkt C := α · A von α und A: C ∈ M (m × n, R) : cij = α aij . 4. Differenz zweier Matrizen: Seien A, B ∈ M (m × n, R) mit A = (aij ) und B = (bij ). Dann gilt für die Differenz C := A − B von A und B: C ∈ M (m × n, R) : cij = aij − bij . M.a.W.: C := A + ((−1) · B). 5. Matrix-Matrix-Produkt: Seien A = (aij ) ∈ M (m×n, R) und B = (bjk ) ∈ M (n×o). Dann gilt für das Produkt C := A ◦ B von (linkem Faktor) A und (rechtem F.) B: C ∈ M (m × o, R) : cik = n X aij bjk . j=1 Speziell Zeilenvektor-Spaltenvektor-Produkt: Seien x = (x01j ) ∈ M (1 × n, R) ein 0 ) ∈ M (n × 1, R) ein Spaltenvektor, so gilt: Zeilenvektor und y 0 = (yj1 0 0 0 c = x ◦ y ∈ M (1 × 1, R) : c11 = n X x1j yj1 = x1 y1 + . . . + xn yn . j=1 Mit anderen Worten: Für das Matrix-Matrix-Produkt C = A ◦ B gilt: a) Die k-te Spalte von C, d.i. c?k , ist das Matrix-Spaltenvektor-Produkt von A und k-ter Stalte von B, d.i. b?k . b) Die i-te Zeile von C, d.i. ci? , ist das Zeilenvektor-Matrix-Produkt von i-ter Zeile von A, d.i. ai? , und B. 43 5. Matrizen und Lineare Gleichungssysteme c) Der Koeffizient cik ist das Zeilenvektor-Spaltenvektor-Produkt von i-ter Zeile von A, d.i. ai? , und k-ter Spalte von B, d.i. b?k . Insgesamt: Für C = A ◦ B gilt: cik = ai? ◦ b?k (i ∈ {1, . . . , m}, k ∈ {1, . . . , o}); d.h.: c11 . . . . . . c1o a1? ◦ b?1 . . . . . . a1? ◦ b?o . .. . . . .. . . = . . . cm1 . . . . . . cmo am? ◦ b?1 . . . . . . am? ◦ b?o Beispiel 5.4 (Rechenoperationen für Matrizen): 1. Transponieren einer Matrix : Die i-te Zeile wird zur i-ten Spalte und umgekehrt. 1 4 1 2 3 T A= ⇒ A = 2 5 . 4 5 6 3 6 2. Addition zwier Matrizen: Man bilde die Summe koeffizientenweise. 1 2 1 4 , B = A= 1 3 2 5 1 4 3 6 ⇒ 2 6 A+B = 3 8 . 4 10 3. Skalar-Matrix-Produkt: Man multipliziere jeden Koeffizienten. 1 4 α = −2, A = 2 5 3 6 ⇒ −2 −8 −2 · A = −4 −10 . −6 −12 4. Differenz zweier Matrizen: Man bilde die Differenz koeffizientenweise. 1 4 1 2 A= 2 5 , B = 1 3 3 6 1 4 44 ⇒ 0 2 A−B = 1 2 . 2 2 5. Matrizen und Lineare Gleichungssysteme 5. Matrix-Matrix-Produkt: a) Zeilenvektor-Spaltenvektor-Produkt: a= 3 0 1 2 , b= 2 1 ⇒ a◦b= b) Spaltenvektor-Zeilenvektor-Produkt: 3 b = 2 , a = 0 1 2 1 0·3+1·2+2·1 = 4 . 3 · 0 3 · 1 3 · 2 0 3 6 = 0 2 4 . b◦a = 2 · 0 2 · 1 2 · 2 1·0 1·1 1·2 0 1 2 ⇒ c) NichtVektor-NichtVektor-Produkt: 0 1 1 0 1 0 , B = A = 1 2 1 0 1 2 2 3 ⇒ 1 0 1 2 A ◦ B = 3 0 3 4 . 5 0 5 6 Beachten Sie, dass für B als linkem Faktor und A als rechtem Faktor kein Produkt definiert ist. Bemerkung 5.5 (Rechenoperationen für Matrizen): 1. Falksches Schema: Schreibt man die Multiplikation zweier Matrizen dem Falkschen Schema gemäß, lässt sich der Überblick leichter behalten: ◦ B . A A◦B 45 5. Matrizen und Lineare Gleichungssysteme Das Fortschreiten der Berechnung haben wir für A, B aus Beispiel 5.4.5c folgendermaßen angedeutet: ◦ 1 0 1 0 ◦ 1 0 1 2 ◦ 1 0 1 0 1 0 1 2 1 0 1 0 1 0 1 2 ... 0 1 1 0 1 2 . 0 1 1 0 1 1 0 1 2 1 2 1 2 3 0 3 4 2 3 2 3 2 3 5 0 5 6 2. Anwendung des Zeilenvektor-Spaltenvektor-Produkts: Beschreibt der Preisvektor‘ ’ p = (p1 , . . . , pn ) die Stückpreise von n verschiedenen Artikeln und der Stückzahl’ vektor‘ x = (x1 , . . . , xn )T die Anzahlen an jeweils bestellter Ware, so belaufen sich die Gesamtkosten auf p · x = p1 x1 + · · · + pn xn . 3. Anwendung des Matrix-Matrix-Produkts: Die ersten beiden Fragen in Beispiel 5.1 können nun beantwortet werden, indem wir die Tabellen in kanonischer Weise als Matrizen lesen. Seien also A := R(Z) und B := Z(E), so beschreibt y := B · x die für einen Stückzahlvektor x ∈ M (2 × 1, R) von xk Einheiten Ek benötigten Stückzahlen yj an Zwischenprodukten Zj und gleichermaßen b := A · y die für einen Stückzahlvektor y ∈ M (3×1, R) von yj Einheiten Zj benötigten Stückzahlen bi an Rohstoffen Ri . Wie wir im Folgenden noch thematisieren werden kann die Berechnung von b ausgehend von x auch folgendermaßen geschehen: b = (A · B) · x. Im Folgenden werden wir (AB) · x = b als ein lineares Gleichungssystem zu lesen und mittels Gauß-Algorithmus die Lösung x bei Vorgabe von AB und b zu bestimmen lernen; damit kann die dritte Frage in Beispiel 5.1 beantwortet werden. 4. Vergleich zwischen reellen Zahlen und Matrizen über R: Zwischen der Multiplikation zweier reeller Zahlen α, β ∈ R bzw. zweier Matrizen A ∈ M (m1 × n1 , R), B ∈ M (m2 × n2 , R) miteinander fallen Unterschiede auf: a) Für reelle Zahlen gilt stets: αβ = βα; für A, B kann gelten, dass weder A · B noch B · A wohldefiniert ist, d.i. für n1 6= m2 und n2 6= m1 der Fall; Beispiele sind offensichtlich. Selbst wenn ein Produkt wohldefiniert ist, muss das andere nicht wohldefiniert sein, d.i. für n1 = m2 bei n2 6= m1 und für n1 6= m2 und n2 = m1 der Fall; Beispiele sind offensichtlich. Selbst wenn beide Produkte wohldefiniert sind, d.i. für n1 = m2 und n2 = m1 der Fall, kann gelten: 46 5. Matrizen und Lineare Gleichungssysteme A · B 6= B · A; dafür ein Beispiel: 5 2 1 −1 11 3 6 −1 , B = ⇒ A◦B = 6= = B◦A. A= −1 3 3 4 8 13 11 18 Es gibt also Matrizen A 6= 0 6= B mit A ◦ B 6= B ◦ A. b) Für reelle Zahlen gilt stets: αβ = 0 ⇒ α = 0 ∨ β = 0; für A, B bei n1 = m2 kann bei C := A ◦ B ∈ M (m1 × n2 , R) gelten: Jeder Koeffizient von C ist 0, obwohl selbiges weder für A noch für B gilt; dafür ein Beispiel: 2 −4 8 4 , B = A= −4 8 4 2 ⇒ 0 0 . A◦B = 0 0 Es gibt also Matrizen A 6= (0) 6= B mit A ◦ B = 0. Satz 5.6 (Struktursatz, Rechenregeln (Teil I)): Sei V := M (m × n, R). Dann gelten folgende Rechenregeln für (V, +, ·) mit + : V × V → V, (v, w) 7→ v + w · : R × V → V, (α, v) 7→ α · v (Addition von Matrizen) (Skalar-Matrix-Produkt) gelten folgende Rechengesetze: 1. ∀A, B, C ∈ V : A + (B + C) = (A + B) + C; (Assoziativität von +) 2. ∃N ∈ V ∀A ∈ V : A + N = A; (ein neutrales Element bzgl. +) 3. ∀A ∈ V ∃à ∈ V : A + à = N ; (jeweils ein inverses Element bzgl. +) 4. ∀A, B ∈ V : A + B = B + A; (Kommutativität von +) 5. ∀α, β ∈ R, ∀A, B ∈ V gilt: a) (α + β) · A = α · A + β · B; (eine Distributivität) b) α · (A + B) = α · A + α · B; (eine Distributivität) c) α · (β · A) = (α · β) · A; (eine Assoziativität) d) 1 · A = A. (Treue) Wegen Rechengesetz (1) ist (V, +) eine sog. Halbgruppe, wegen der Rechengesetze (1) bis (3) ist (V, +) eine sog. Gruppe, zzgl. (4) eine sog. abelsche Gruppe; zzgl. (5) ist (V, +, ·) ein sog. R-Vektorraum. Für das in (2) als existent geforderte Element gelte: 0 := N ; weiter kann man zeigen, dass für das in (3) zu A als existent geforderte Element à gilt: à = (−1) · A, wofür wir nur −A schreiben. – Auf die in Rechengesetz (1) und (5c) gesetzten Klammern kann also (im Weiteren) verzichtet werden. 47 5. Matrizen und Lineare Gleichungssysteme Satz 5.7 (Struktursatz, Rechenregeln (Teil II)): 1. ∀A, B, C ∈ M (n, R) gilt: a) A ◦ 0 = 0 = 0 ◦ A; b) A ◦ En = A = En ◦ A; (ein neutrales Element bzgl ·) c) A ◦ (B + C) = A ◦ B + A ◦ C; (eine Distributivität) d) (A + B) ◦ C = A ◦ C + B ◦ C; (eine Distributivität) Wegen dieser Rechengesetze ist (M (n, R), +, ◦) ein sog. Ring mit Eins, der wie wir gesehen haben weder nicht-nullteilerfrei noch kommutativ ist. 2. ∀A, A0 ∈ M (m × n, R), ∀B ∈ M (n × o, R): a) (A + A0 )T = AT + A0T ; b) (A ◦ B)T = B T ◦ AT . 3. ∀A ∈ M (m × n, R), ∀B ∈ M (n × o, R), ∀C ∈ M (o × p, R) und ∀α ∈ R gilt: a) (α · A) ◦ B = A ◦ (α · B) = α · (A ◦ B); b) A ◦ (B ◦ C) = (A ◦ B) ◦ C. (eine Assoziativität) (Assoziativität von ◦) Wegen dieser Rechengesetze kann man (im Weiteren) auf die hier noch gesetzten Klammern verzichten; weiter verzichten wir auf das Setzen von · und ◦, falls die Produkte aus dem Zusammenhang heraus noch als Produkte lesbar bleiben. Satz 5.8 (Lineare Abbildung): 1. Sei A ∈ M (m × n, R). Dann ist durch fA : M (n × 1, R) → M (m × 1, R) : x 7→ Ax eine Abbildung wohldefiniert, für die insbesondere gilt: a) ∀x1 , x2 ∈ M (n × 1) : fA (x1 + x2 ) = fA (x1 ) + fA (x2 ); b) ∀α ∈ R, ∀x ∈ M (n × 1) : fA (αx) = αfA (x). Wegen dieser beiden Eigenschaften ist fA eine sog. R-lineare Abbildung von M (n× 1, R) nach M (m × 1, R); m.a.W.: Ob in M (n × 1, R) addiert (bzw. Skalar-Matrixmultipliziert) wird und dann die Summe (bzw. das Produkt) nach M (m × 1, R) abgebildet wird oder zunächst abgebildet wird und dann in M (m × 1, R) addiert (Skalar-Matrix-multipliziert) wird ist einerlei. 2. Seien A, A0 ∈ M (m × n, R), B ∈ M (l × m, R), α ∈ R. a) Dann ist A + A0 ∈ M (m × n, R) und insbesondere gilt: fA+A0 : M (n × 1, R) → M (m × 1, R) ist R-linear mit fA+A0 = fA + fA0 ; 48 5. Matrizen und Lineare Gleichungssysteme b) Dann ist α · A ∈ M (m × n, R) und insbesondere gilt: fα·A : M (n × 1, R) → M (m × 1, R) ist R-linear mit fα·A = α · fA ; c) Dann ist B ◦ A ∈ M (l × n, R) und insbesondere gilt: fB◦A : M (n × 1, R) → M (l × 1, R) ist R-linear mit fB◦A = fB ◦ fA . Wegen dieser Eigenschaft haben wir ◦ als Zeichen für das Matrix-MatrixProdukt verwendet. Bemerkung 5.9 (Fasern linearer Abbildungen und lineare Gleichungssysteme): 1. Im Sinne von Satz 5.8 induzieren Matrizen spezielle Abbildungen. 2. In diesem Sinne ist das Lösen eines linearen Gleichungssystems Ax = b mit A ∈ M (m × n, R), x ∈ M (n × 1, R), b ∈ M (m × 1, R) die Bestimmung der Faser von b bzgl. fA . – Genau darum geht es in den beiden nächsten Unterkapiteln. 5.4. Lineare Gleichungssysteme Definition 5.10 (Lineares Gleichungssystem): 1. LGS : Ein System von m linearen Gleichungen mit n Unbekannten x1 , . . . , xn (m, n ∈ N) der Form a11 x1 + . . . . . . + a1n xn .. . = b1 .. . .. . am1 x1 + . . . . . . + amn xn = bm . mit Koeffizienten aij (1 ≤ i ≤ m, 1 ≤ j ≤ n) und absoluten Gliedern bi (1 ≤ i ≤ m) aus R heißt lineares Gleichungssystem über R. Sind alle bi = 0, so heißt das System homogen, sonst inhomogen. 2. Matrizenschreibweise: Setzen wir a11 . . . a1n . . .. A := .. , am1 . . . amn 49 x1 . x := .. , xn b1 . b := .. , bm 5. Matrizen und Lineare Gleichungssysteme so heißt A Koeffizientenmatrix und (A|b) erweiterte Koeffizientenmatrix ; das LGS lautet in Matrizenschreibweise einfach Ax = b . 3. Lösung(smenge): Ein x mit Ax = b heißt Lösung des LGS; die Lösungsmenge L(A, b) des LGS ist die Menge aller solcher Vektoren; i.Z.: L(A, b) := {x ∈ M (n × 1, R) : Ax = b} . 4. Zwei LGS Ax = b und A0 x0 = b0 heißen äquivalent, wenn sie dieselbe Lösungsmenge besitzen; i.Z.: L(A0 , b0 ) = L(A, b). Beispiel 5.11 (Unlösbares LGS): Bestimme die Lösungsmenge des LGS: 2x1 +3x2 = 5, 2x1 +3x2 = 6. Dieses LGS hat offensichtlich keine Lösung; m.a.W.: #L(A, b) = 0. Beispiel 5.12 (∞-viele Lösungen): Bestimme die Lösungsmenge des LGS: x1 −2x2 = 3, 2x1 −4x2 = 6. Sei α ∈ R beliebig. Setze nun x2 := α und x1 := 2α + 3, so erhält man eine Lösung x = (x1 , x2 )T = (2α + 3, α)T = α(2, 1)T + (3, 0)T 50 5. Matrizen und Lineare Gleichungssysteme des LGS; also gilt, dass für alle α ∈ R der Vektor x = (2α + 3, α)T das LGS löst; d.h.: L(A, b) = {x ∈ M (2 × 1, R) : ∃α ∈ R : x = α(2, 1)T + (3, 0)T } . Dieses LGS hat unendlich viele Lösungen; m.a.W.: #L(A, b) = +∞! Beispiel 5.13 (Eindeutig lösbares LGS): Bestimme die Lösungsmenge des LGS: x1 −x2 = 3, x1 +x2 = 5. Dieses LGS hat die eindeutige Lösung x1 = 4, x2 = 1; m.a.W.: #L(A, b) = 1. 51 5. Matrizen und Lineare Gleichungssysteme Satz 5.14 (Lösungsmenge eines LGS): Ein lineares Gleichungssystem Ax = b über R hat entweder 1. keine Lösung, d.h. #L(A, b) = 0, 2. genau eine Lösung, d.h. #L(A, b) = 1, oder 3. unendlich viele Lösungen, d.h. #L(A, b) = +∞. 5.5. Gauß–Algorithmus Der Gauß-Algorithmus ist ein allgemeines Verfahren zur Lösung von LGSen. Seine Idee lautet: Forme das LGS solange äquivalent um, d.h. ohne die Lösungsmenge zu ändern, bis seine Lösung offensichtlich abzulesen ist! Die Lösung von Ax = b ist bspw. für A = En offensichtlich, denn dann gilt: x 1 = b1 , . . . , x n = bn . Satz 5.15 (Elementare Zeilenumformungen): Folgende sog. elementare Zeilenumformungen ändern die LM von Ax = b nicht: 1. Multiplikation einer Zeile mit einer Konstanten λ 6= 0: Es gilt L(A0 , b0 ) = L(A, b), falls A0 x0 = b0 aus Ax = b hervorging, indem eine Zeile / Gleichung des LGS mit einer Konstanten λ 6= 0 multipliziert wurde. 2. Vertauschen zweier Zeilen: Es gilt L(A0 , b0 ) = L(A, b), falls A0 x0 = b0 aus Ax = b hervorging, indem zwei Zeilen / Gleichungen des LGS miteinander vertauscht wurden. 3. Ersetzen einer Zeile durch die Summe von dieser und dem c-fachen einer anderen Zeile: Es gilt L(A0 , b0 ) = L(A, b), falls A0 x0 = b0 aus Ax = b hervorging, indem eine Zeile / Gleichung des LGS ersetzt wurde durch die Summe von ihr selbst und dem λ-fachen einer anderen Zeile. Beispiel 5.16 (Elementare Zeilenumformungen (EZ)): 1. Multiplikation einer Zeile mit einer Konstanten λ 6= 0: Beispielsweise gilt: 2 −2 6 1 −1 0 3 , b = , A0 = , b = . L(A0 , b0 ) = L(A, b) für A = 1 1 5 1 1 5 (1.EZ mit Z1 7→ (1/2)Z1) 52 5. Matrizen und Lineare Gleichungssysteme 2. Vertauschen zweier Zeilen: Beispielsweise gilt: 1 1 5 1 −1 0 3 , b = , A0 = , b = . L(A0 , b0 ) = L(A, b) für A = 1 −1 3 1 1 5 (2.EZ mit Z1, Z2) 3. Ersetzen einer Zeile durch die Summe von dieser und dem c-fachen einer anderen Zeile: Beispielsweise gilt: 1 1 5 1 1 0 5 , b = , A0 = , b = . L(A0 , b0 ) = L(A, b) für A = 1 −1 3 0 −2 −2 (3.EZ mit Z2 7→ Z2 + (−1)Z1) Beispiel 5.17 (Lösungsmenge eines LGS mittels elementarer Zeilenumformungen): Bestimme die Lösungsmenge des LGS 2x1 −2x2 = 6, x1 +x2 = 5. Lösung: 2 −2 6 , b := . 1. Wir setzen zunächst A := 1 1 5 2. Gemäß 1.EZ mit Z1 7→ (1/2)Z1 gilt dann 1 −1 3 , b1 := . L(A1 , b1 ) = L(A, b) für A1 := 1 1 5 Damit hat das LGS in der ersten Zeile als ersten Koeffizienten a11 = 1. 3. Gemäß 3.EZ mit Z2 7→ Z2 + (−1)Z1 gilt dann 1 −1 3 , b2 := . L(A2 , b2 ) = L(A1 , b1 ) für A2 := 0 2 2 Damit hat das LGS in der zweiten Zeile den Koeffizienten a21 = 0 bei x1 . 53 5. Matrizen und Lineare Gleichungssysteme 4. Gemäß 1.EZ mit Z2 7→ (1/2)Z2 gilt dann 1 −1 3 , b3 := . L(A3 , b3 ) = L(A2 , b2 ) für A3 := 0 1 1 Damit hat die zweite Zeile die gewünschte Form x2 = b2 . 5. Gemäß 3.EZ mit Z1 7→ Z1 + (+1)Z2 gilt dann 1 0 4 , b4 := . L(A4 , b4 ) = L(A3 , b3 ) für A4 := 0 1 1 Damit haben wir das LGS umgeformt auf die Form b = A4 x = E2 x = x und können direkt ablesen: L(A4 , b4 ) = {(4, 1)T } . Die Transitivität des Gleichheitszeichens liefert das Endergebnis: L(A, b) = {(4, 1)T } . Definition 5.18 (Zeilenstufenform): 1. Zeilenstufenform: Sei A ∈ M (m × n). Dann ist A in Zeilenstufenform (ZSF), wenn es natürliche Zahlen r, k1 , . . . , kr mit 0 ≤ r ≤ m, 1 ≤ k1 < k2 < . . . < kr ≤ n gibt, für die gilt: aij = 0 für r < i ≤ m, 1 ≤ j ≤ n; aij = 0 für 1 ≤ i ≤ r, 1 ≤ j < ki ; aiki 6= 0 für 1 ≤ i ≤ r; A= (ai? ist Nullzeile für i > r) (ai? mit 0-Anfang für i ≤ r) (sog. Pivot-Elemente sind 6= 0) . 0 · · · 0 a1k1 0··· 0··· · · · 0 a2k2 ··· ∗ · · · 0 a3k3 .. . 0··· ... ··· ··· ··· 0 54 · · · 0 arkr 5. Matrizen und Lineare Gleichungssysteme 2. Spezielle Zeilenstufenform: Gilt für die ZSF speziell ∀1 ≤ j ≤ r : kj = j, so sprechen wir von der speziellen Zeilenstufenform: A= a1k1 ∗ 0 a2k2 0 0 a3k3 0 0 0 ... .. . .. . .. . .. . .. 0 0 0 ··· 0 0 . arkr Bemerkung 5.19 (Zeilenstufenform): In der Situation von Definition 5.18 ist r = 0 dazu äquivalent, dass A die Nullmatrix ist. Sei nun 1 ≤ r ≤ m, dann gilt: 1. In den Zeilen von A mit Index 1 bis r stehen nicht nur Nullen, in den Zeilen mit Index r + 1 bis m stehen dagegen nur Nullen. 2. In jeder Zeile i von A ist ki der minimale Index, so dass gilt: aiki 6= 0; wir nennen diese Koeffizienten Pivot-Elemente. Satz 5.20 (Gaußscher Algorithmus): Sei A ∈ M (m × n). Dann läßt sich A durch elementare Zeilenumformungen in eine Matrix A0 in Zeilenstufenform überführen. Beweis: (Der Beweis ist hilfreich, weil er das allgemeine Vorgehen ausfürhlich beschreibt.) 1. Ist A = 0, die Zeilen- oder die Spaltenzahl von A gleich Null, so hat A bereits Zeilenstufenform mit r = 0. 2. Andernfalls, d.h. für A 6= 0, setze A1 := A: a) Pivot-Element platzieren: Es gibt also mindestens einen Eintrag 6= 0 und damit mindestens eine Spalte, in der nicht nur Nullen stehen. Wähle unter diesen Spalten diejenige mit dem kleinsten Index, dieser sei k1 ∈ {1, · · · , n}; wähle ein i1 ∈ {1, · · · , m} mit ai1 k1 6= 0 und vertausche für i1 6= 1 die i-te und die 1-te Zeilen (2.EZ). Das lieferte die erste Zeile von A0 und das erste 55 5. Matrizen und Lineare Gleichungssysteme Pivot-Element: a01k1 = ai1 k1 . Man beachte, dass auch die ersten k1 − 1 Spalten von A1 bereits in der für A0 gewünschten Form sind; denn es gilt: A1 → 7 V1 (A1 ) := a01n (∗) ... ∗ 0 ··· 0 a01k1 a01k1 +1 · · · .. . .. . (∗) 0 ··· 0 ∗ ∗ b) Nach unten hin ausräumen: Für jedes i 6= i1 mit aik1 6= 0 führe man eine 3.EZ mit λi := −aik1 /ai1 k1 durch; so erhält man eine Matrix folgender Form: 0 V1 (A1 ) 7→ V1 (A1 ) := 0 ··· 0 a01k1 a01k1 +1 · · · .. . .. . (0) 0 ··· 0 0 A2 a01n Mit A2 können wir dasselbe machen wie eben mit A =: A1 , d.h.: Ist A2 = 0, so hat V10 (A1 ) schon Zeilenstufenform. Andernfalls erhält man zunächst eine Matrix V2 (A1 ) (mit V1 (A2 ) statt A2 ) und dann eine Matrix V20 (A1 ) (mit V10 (A2 ) statt A2 ), in der noch ein weiteres Pivot-Element ai2 k2 6= 0 geeignet platziert ist und unterhalb dessen nur noch Nullen stehen. Durch die erste Zeile von V10 (A2 ) ist in V20 (A1 ) eine weitere Zeile von A0 bekannt; usw. (ggf. mit A3 , V1 (A3 ), V10 (A3 ) und V30 (A1 ) etc.). Das Verfahren muss abbrechen, weil die Zeilen- und Spaltenzahlen im Schritt von Al zu Al+1 abnehmen; d.h. es gibt ein n ∈ N mit Vn0 (A1 ) = A0 . Bemerkung 5.21 (Verfahren zur Lösung von linearen Gleichungssystemen): 1. Man ermittle die erweiterte Koeffizientenmatrix (A|b). 2. Man forme (A|b) mittels Gauß-Algorithmusses derart um, sodass A Zeilenstufenform annimmt; man erhält dadurch (A0 |b0 ). 3. Lies an (A0 |b0 ) ab, ob es Lösungen gibt, und berechne diese gegebenenfalls; vgl. Beweis von Satz 5.22. Um den genannten Satz anwenden zu können, muss man Spaltentausch in sZSF durchführen oder die Variblen nur geeignet umnummerieren; soll heißen: Setze yρ := xiρ für 1 ≤ ρ ≤ r und bezeichne die verbliebenen xi mit yr+1 , . . . , yn in beliebiger (aber später rückführbarer) Zuordnung. 56 5. Matrizen und Lineare Gleichungssysteme Satz 5.22 (Lösbarkeit und Lösungen an sZSF ablesen): Sei A in sZSF. Weiter sei (A|b) die erweiterte Koeffizientenmatrix eines LGS. Ist r die Zahl aus Definition 5.18, Bemerkung 5.19 bzw. Satz 5.20, so ist das LGS genau dann unlösbar, wenn es ein i ∈ {r + 1, . . . m} gibt mit bi 6= 0. Wir betrachten also: b1 a11 a12 . . . a1r . . . a1n 0 a b2 22 . . . a2r . . . a2n . .. . . .. .. .. .. .. . . . . . . (A|b) = 0 . . . arr . . . arn br 0 0 0 ... 0 ... 0 br+1 . .. .. .. .. .. .. . . . . . . . . 0 0 ... 0 ... 0 bm . Beweis: “⇐”: Sei i wie behauptet, so ist die i-te Gleichung von (A|b) offensichtlich nicht lösbar, denn sie lautet: 0 · x1 + · · · + 0 · xn = bi 6= 0 . “⇒”: Wir zeigen die Behauptung, indem wir im Fall, dass alle bi gleich 0 sind, eine Lösung angeben. Damit führen wir Bemerkung 5.21.3 explizit aus. Wenn also gilt br+1 = · · · = bm = 0, so sind die xr+1 , . . . , xn freie Variablen über R; sie kann man beliebig wählen. Die Variablen x1 , . . . , xr hingegen sind gebunden; sie sind durch die Wahl der Werte für xr+1 , . . . , xn festgelegt. – Das sieht man folgendermaßen. Seien also xr+1 := λ1 , . . . , xn := λk mit λ1 , . . . , λk ∈ K beliebig, k := n − r. Die r-te Gleichung lautet dann arr 6=0 ⇔ arr xr + ar,r+1 λ1 + · · · + arn λk = br 1 (br − ar,r+1 λ1 − · · · − arn λk ) ; xr = arr analog gilt: xr−1 = 1 ar−1,r−1 (br−1 − ar−1,r xr − ar−1,r+1 λ1 − · · · − ar−1,n λk ). In diese Gleichung kann man für xr bereits den bestimmten Wert einsetzen; dieserart berechnet man iterativ weiter xr−2 , xr−3 , . . . , x1 . 57 5. Matrizen und Lineare Gleichungssysteme Bemerkung 5.23 (Lösbarkeit und Lösungen an sZSF ablesen): 1. Übersichtlicher schreibt man sich Bemerkung 5.21.3 nochmals mit Matrizen auf. Man formt (A0 |b0 ) aus Bemerkung 5.21.2 um, sodass A0 folgende Gestalt bekommt: 0 00 A → 7 A := ã11 0 ··· 0 0 ã22 .. . .. . .. . ... ... 0 0 ··· 0 ãrr 0 ∗ . 0 Dies geht durch elementare Zeilenumformungen vom Typ 3, weil a0ii 6= 0 für alle 1 ≤ i ≤ r; dabei wird b0 natürlich mit umgeformt; b0 7→ b00 . 2. Schließlich kann man durch elementare Zeilenumformungen vom Typ 2 (in diesem Fall Multiplikation mit a−1 ii ) folgende Form erreichen: 00 000 A → 7 A := 1 0 ··· 0 1 .. .. . ... ... 0 ··· 0 0 . 0 .. . ∗ Er ∗ = , 0 0 0 1 0 dabei wird b00 natürlich mit umgeformt; b00 7→ b000 . Nun lässt sich L(A, x) = L(A000 , b000 ) leicht ablesen. 3. Ist die Matrix A quadratisch, also m = n, und ist zudem r = n, so ist b000 bereits die eindeutige Lösung; d.h.: L(A, b) = L(A000 , b000 ) = {b000 }. 58 5. Matrizen und Lineare Gleichungssysteme Beispiel 5.24 (Gauß-Algorithmus: Eindeutige Lösung): Bestimme die Lösungsmenge des LGS: 3x1 +9x2 +12x3 = 24, 2x1 +9x2 +14x3 = 25, 5x1 +12x2 +18x3 = 39. 1. Lösung in Matrixnotation: Wir vereinbaren [A|b] := L(A, b) für die Matrixnotation; dann gilt also: 3 9 12 24 L(A, b) = 2 9 14 25 5 12 18 39 4 8 1 3 = 2 3 0 1 0 0 +4 +8 3 4 8 1 3 4 8 1 = 0 = 2 9 14 3 6 25 9 5 12 18 39 0 −3 −2 −1 0 0 0 0 1 3 1 3 = 0 1 0 −1 = 0 +1 0 −1 2 2 0 0 +1 0 0 +1 = {(3, −1, 2)T } . 2. Lösung in LGS-Notation: a) Zu betrachten ist: 3x1 +9x2 +12x3 = 24, 2x1 +9x2 +14x3 = 25, 5x1 +12x2 +18x3 = 39. b) Dividiere erste Zeile durch 3 und erhalte als neue erste Zeile: x1 + 3x2 + 4x3 = 8. c) Ziehe nun das 2-fache davon von der 2. Zeile und das 5-fache davon von der 59 5. Matrizen und Lineare Gleichungssysteme 3. Zeile ab. Dies liefert das äquivalente Gleichungssystem: x1 +3x2 +4x3 = 8, 3x2 +6x3 = 9, −3x2 −2x3 = −1. d) Daraus erhält man durch Division der zweiten Zeile durch 3 und Addition der zweiten Zeile zur Dritten bereits fogende Dreiecksform: x1 +3x2 +4x3 = 8, x2 +2x3 = 3, 4x3 = 8. e) Durch Einsetzen von unten nach oben kann man daraus leicht die Lösung erhalten; denn aus x1 +3x2 +4x3 = 8, x2 +2x3 = 3, 4x3 = 8. erhält man durch Division der letzten Zeile durch 4 sofort die Gleichung x3 = 2. Zieht man diese Gleichung nun 2-mal von der zweiten Zeile und 4-mal von der ersten Zeile ab, so erhält man: x1 +3x2 x2 = 0, = −1, x3 = 2. Zieht man nun noch die zweite Zeile 3-mal von der ersten ab, so ergibt sich 60 5. Matrizen und Lineare Gleichungssysteme schließlich: x1 = 3, = −1, x2 x3 = 2. Das ist die gesuchte und eindeutige Lösung; m.a.W.: L(A, b) = {(3, −1, 2)T }. Beispiel 5.25 (Gauß-Algorithmus: ∞-viele Lösungen): Betrachte das LGS: x1 + 2x2 + 3x3 = 4, 5x1 + 6x2 + 7x3 = 8, 9x1 + 10x2 + 11x3 = 12. 1. Lösung in Matrixnotation: Dies mache man zur Übung selbst. 2. Lösung in LSG-Notation: a) Zieht man die erste Gleichung 5-mal von der zweiten und 9-mal von der dritten Gleichung ab, so erhält man: x1 + 2x2 + −4x2 − 3x3 = 4, 8x3 = −12, −8x2 − 16x3 = −24. b) Daraus ergibt sich im nächsten Schritt: x1 + 2x2 + 3x3 = 4, x2 + 2x3 = 3, 0 = 0. c) Offensichtlich hat dieses LGS unendlich viele Lösungen; denn man kann für die freie Variable x3 einen beliebigen Wert λ ∈ R setzen, x3 := λ und erhält 61 5. Matrizen und Lineare Gleichungssysteme dann: x1 + 2x2 + 3x3 = 4, x2 + 2x3 = 3, x3 = λ. Rückwärts einsetzen liefert zunächst: = 4 − 3λ, x1 + 2x2 + = 3 − 2λ, x2 x3 = λ; und schliesslich: = −2 + λ, x1 = 3 − 2λ, x3 = λ. x2 Also gilt, dass für alle λ ∈ R der Vektor x = (−2 + λ, 3 − 2λ, λ)T das LGS löst; d.h.: L(A, b) = {x ∈ M (2 × 1, R) : ∃λ ∈ R : x = (−2, 3, 0)T + λ(1, −2, 1)T } . Beispiel 5.26 (Gauß-Algorithmus: keine Lösung): Bestimme die Lösungsmenge des LGS: 2x1 + 3x2 + 2x3 = 4, −2x2 + 3x3 = 2, 2x1 + x2 + 5x3 = 7. 1. Lösung in Matrixnotation: Dies mache man zur Übung selbst. 2. Lösung in LSG-Notation: 62 5. Matrizen und Lineare Gleichungssysteme a) Zieht man die erste Gleichung von der dritten Gleichung ab, und dividiert die erste durch 2, so erhält man: x1 + 3 x 2 2 + x3 = 2, −2x2 + 3x3 = 2, −2x2 + 3x3 = 3. b) Zieht man nun die zweite Gleichung von der dritten ab, so erhält man: x1 + 3 x 2 2 + x3 = 2, −2x2 + 3x3 = 2, 0 = 1. Dieses LGS hat offensichtlich keine Lösung; m.a.W.: L(A, b) = ∅. 5.6. Invertieren einer Matrix Definition 5.27 (Invertierbarkeit, Inverse): Sei A ∈ M (n, R). Weiter sei B ∈ M (n, R) eine Matrix mit A ◦ B = En = B ◦ A. Dann heißt B die Inverse zu A und A die Inverse zu B. Man schreibt dann B = A−1 , A = B −1 . Bemerkung 5.28 (Invertierbarkeit, Inverse): 1. Eindeutigkeit der Inversen: Sei A ∈ M (n, R). Falls die Inverse B = A−1 existiert, so ist sie eindeutig; denn angenommen, es ist C = A−1 eine weitere Inverse, dann gilt: B = En B = (CA)B = C(AB) = CEn = C. 2. Nicht invertierbar : Es gibt quadratische Matrizen, die keine Inverse haben, z.B.: 1 0 ; A= 0 0 63 5. Matrizen und Lineare Gleichungssysteme denn es gilt für jede Matrix B ∈ M (2, R): 1 0 b11 b12 b11 b12 · = = 6 E2 . 0 0 b21 b22 0 0 3. Lösung von LGS und Inverse: Hat A eine Inverse A−1 , so ist x die Lösung des LGS Ax = b genau dann wenn x = En x = (A−1 A)x = A−1 (Ax) = A−1 b, also wenn x = A−1 b . Dies ist hilfreich, wenn man viele Gleichungssysteme lösen will, die sich nur in den rechten Seiten unterscheiden. 4. Berechnung der Inversen: Seien A, X ∈ M (n, R) mit A ◦ X = En ; und weiter X = (x1 , . . . , xn ) und En = (e1 . . . , en ); wir schreiben also X als Matrix mit den n Spaltenvektoren x1 , . . . , xn und die Einheitsmatrix En als Matrix mit den n Spaltenvektoren e1 , . . . , en (sog. Einheitsvektoren), wobei für ei gilt: ei = (δ1i , . . . , δni )T . Es lässt sich zeigen, dass aus der Voraussetzung folgt: X = A−1 . Also lässt sich A−1 bestimmen, indem man die n linearen GLeichungssysteme A ◦ xi = ei löst. Statt der n erweiterten Koeffizientenmatrizen (A|e1 ), . . . , (A|en ) betrachten wir gleich folgende erweiterte Koeffizientenmatrix: (A|En ). Denn gemäß Bemerkung 5.21 gibt für jedes LGS (A|ei ) das A die Schritte vor; es sind also n-mal die gleichen Umformungen zu leisten, sodass es sich anbietet diese nur einmal an A und jeweils einmal an allen ei zu leisten. Dies macht man simultan, indem man alle rechten Seiten gleichzeitig mitführt: a11 . . . a1n 1 . . . 0 . . . . .. .. .. 7 · · · 7→ (En |X), wobei gilt: (A|En ) = → .. an1 . . . ann 0 . . . 1 (En |X) = . . . a−1 1 . . . 0 a−1 11 1n .. .. .. .. −1 . . . . , L(A|En ) = L(En |X) = {X}, A = X . −1 0 . . . 1 a−1 . . . a n1 nn 64 5. Matrizen und Lineare Gleichungssysteme Beispiel 5.29 (Berechnung einer Inversen): Wir berechnen die Inverse folgender Matrix: A= 2 −1 1 8 −5 2 . −11 7 −3 Wir erhalten also folgendes Lösungsschema: (A|E3 ) = 2 −1 1 1 0 0 8 −5 2 0 1 0 . −11 7 −3 0 0 1 Der Gauß-Algorithmus liefert folgende Umformungen: L(A, E3 ) = 2 −1 1 1 0 0 8 −5 2 0 1 0 −11 7 −3 0 0 1 1 1 1 0 0 1 −2 2 2 = 0 1 2 4 −1 0 3 0 0 − 12 − 12 1 2 4 3 1 0 0 1 = 5 4 0 1 0 2 0 0 1 1 −3 −2 = {A−1 } . 65 1 1 1 0 0 1 −2 2 2 = 0 −1 −2 −4 1 0 3 11 5 0 0 1 2 2 2 1 3 1 1 −2 0 0 2 = 0 1 0 2 5 4 0 0 1 1 −3 −2 5. Matrizen und Lineare Gleichungssysteme Es gilt also: A−1 4 3 1 = 5 4 2 1 −3 −2 66 . 5. Matrizen und Lineare Gleichungssysteme 5.7. Übungsaufgaben 1. Berechnen Sie A + B, A − B, AB, BA und AT B für die folgenden Matrizen A, B: 1 2 3 A = 1 0 1 , 2 1 0 3 2 1 B = 2 2 2 . 0 1 4 2. Multiplizieren Sie die angegebene Matrix A mit dem Vektor x und berechnen Sie weiter, falls möglich, die Produkte xT x und xxT : 1 2 3 A = 3 1 2 , 2 3 1 1 x= 2 . 3 3. Ein Zulieferer produziert Zwischenprodukte Z1 , Z2 aus Rohstoffen R1 , R2 und ein Endproduzent fabriziert dann aus den Zwischenprodukten Z1 , Z2 die Endprodukte E1 , E2 . Die folgenden Tabellen beschreiben, wieviele Einheiten jeweils zur Produktion benötigt werden: Z1 Z2 R1 2 1 R2 3 2 E1 E2 Z1 1 2 Z2 3 4 a) Wieviele Einheiten von R1 und von R2 werden zur Produktion von einer Einheit von Ej benötigt, j ∈ {1, 2}? b) Wieviele Einheiten von Ri werden insgesamt zur Produktion von 100 E1 und 200 E2 benötigt, i ∈ {1, 2}? c) Wieviele Einheiten von E1 und E2 kann man aus 1000 R1 und 2000 R2 herstellen? 4. Ein Zulieferer der Automobilindustrie produziert Zwischenprodukte Z1 , Z2 , Z3 , Z4 aus den Rohstoffen R1 , R2 , R3 , und ein Automobilproduzent fabriziert dann aus den Zwischenprodukten die Marken M1 , M2 , M3 . In den folgenden Tabellen ist 67 5. Matrizen und Lineare Gleichungssysteme angegeben, wieviele Einheiten der Rohstoffe jeweils für eine Einheit der Zwischenprodukte bzw. wieviele Einheiten der Zwischenprodukte jeweils für die Produktion eines Autos der Marke Mi benötigt werden. R1 R2 R3 M1 M2 M3 Z1 2 1 5 Z1 1 3 2 Z2 4 2 3 Z2 3 3 0 Z3 3 5 0 Z3 4 0 2 Z4 0 2 2 Z4 1 1 3 Bestimmen Sie durch Berechnung eines geeigneten Matrizenproduktes, wieviele Einheiten der einzelnen Rohstoffe Ri , i = 1, 2, 3, jeweils benötigt werden für die Herstellung eines Autos der Marke Mj , j = 1, 2, 3. 5. Ergänzen Sie in Beispiel 5.25 und in Beispiel 5.26 die Matrixnotation; vgl. Beispiel 5.24. 6. Bestimmen Sie die Lösungsmenge der Gleichung Ax = b für 1 2 3 A= 3 1 2 , 2 3 1 3 b= 7 . 2 7. Bestimmen Sie die Lösungsmenge der Gleichung x = Ax + b für 0, 1 0, 1 0, 1 A = 0, 3 0, 2 0, 2 , 0, 2 0, 2 0, 1 68 4 b= 17 . 10 5. Matrizen und Lineare Gleichungssysteme 8. Prüfen Sie das Ergebnis in Beispiel 5.29. 9. Bestimmen Sie, falls mgl., die Inverse zu 1 2 3 . A= 2 −1 2 3 1 5 10. Bestimmen Sie, falls mgl., die Inverse zu 1 0 1 . A= 1 1 0 0 1 1 69 6. Grenzwerte 6. Grenzwerte 6.1. Grenzwerte von Folgen Wir betrachten nur Folgen, deren Folgenglieder reelle Zahlen sind. Eine Folge (an )n∈N+ konvergiert gegen eine reelle Zahl a genau dann, wenn |an − a| für große Indizes n unter jede positive Schranke fällt; dieses nun etwas formaler: Definition 6.1 (Grenzwert einer Folge, konvergente vs. divergente Folge, Nullfolge): Die Zahl a ∈ R heißt Grenzwert der Folge (an )n∈N+ , falls es für jedes ε > 0 nur endlich viele n ∈ N+ gibt mit |an − a| > ε; i.Z.: a = lim an n→∞ an → a für n → ∞ . bzw. Mit anderen Worten: Für jedes ε > 0 gibt es ein Nε ∈ N, sodass für alle n ∈ N+ mit n > Nε gilt: |an − a| < ε; i.Z.: ∀ε > 0 ∃Nε ∈ N+ ∀n ∈ N+ : n > Nε : |an − a| < ε . Eine Folge mit Grenzwert heißt konvergent, eine Folge ohne Grenzwert heißt divergent. Ist der Grenzwert einer Folge 0, so spricht man von einer Nullfolge. Bemerkung 6.2 (Nullfolgen, Bestimmte Divergenz): 1. Eine Folge (an )n∈N+ konvergiert genau dann gegen a ∈ R, wenn die Folge (an − a)n∈N+ eine Nullfolge ist. – Hat eine Folge einen Grenzwert, so ist er eindeutig. 2. Sei (an )n∈N+ eine Folge, sodass es zu jeder Schranke S ∈ R nur endlich viele n ∈ N+ gibt, für die an < S gilt, so sagt man: Die Folge geht gegen +∞; i.Z.: lim an = ∞ n→∞ bzw. an → ∞ für n → ∞ . 3. Sei (an )n∈N+ eine Folge, sodass es zu jeder Schranke S ∈ R nur endlich viele n ∈ N+ gibt, für die an > S gilt, so sagt man: Die Folge geht gegen −∞; i.Z.: lim an = −∞ n→∞ bzw. an → ∞ für n → −∞ . 4. Folgen, die gegen +∞ oder −∞ gehen, nemmt man auch bestimmt divergent. Beispiel 6.3 (Konvergente vs. divergente Folge): 1. Die Folge (an )n∈N+ mit an = n1 für alle n ∈ N+ ist eine Nullfolge. Denn: Es fällt |1/n − 0| = |1/n| = 1/n für genügend große n unter jede positive Schranke. Sei nämlich ε > 0. Weiter sei Nε ∈ N+ mit Nε > 1/ε, so gilt für alle n ∈ N+ mit n > Nε : 1/n < 1/Nε < ε. 2. Die Folge (an )n∈N+ mit an = (−1)n für alle n ∈ N+ hat keinen Grenzwert. 3. Die Folge (an )n∈N+ mit an = n (bzw. an = −n) für alle n ∈ N+ ist bestimmt divergent (gegen +∞ (bzw. −∞)). 70 6. Grenzwerte 6.2. Grenzwerte von Abbildungen Bis jetzt haben wir nur die Konvergenz und Divergenz von Folgen behandelt. Wie definiert man aber bspw. den Grenzwert von f (x) = 1 + x1 für x gegen x0 , ∞ oder −∞? Eindrücklicher sind vielleicht die Fragen: Hat die charakteristische Abbildung von Q bzgl. R bei 0 einen Grenzwert? Ist diese Abbildung stetig? (Dabei gilt: χQ (0) = 1.) Es gibt verschiedene Möglichkeiten den Grenzwert von Abbildungen zu definieren; wir wählen die folgende: Definition 6.4 (Grenzwert einer Abbildung, Stetigkeit): 1. Sei f : X → Y mit X, Y ⊂ R. Dann heißt A ∈ R der Grenzwert von f für x gegen a ∈ R, falls gilt: Für jede Folge (xn ) ⊂ X mit xn 6= a (für alle n ∈ N+ ) und limn→∞ xn = a konvergiert die Folge (An ) ⊂ Y mit An := f (xn ) (für alle n ∈ N+ ) gegen A; i.Z.: limx→a f (x) = A. 2. Man spricht für +∞ oder −∞ als A von bestimmter Divergenz ; vgl. Bem. 6.2.4. 3. Sei f : X → Y mit X, Y ⊂ R. Weiter sei A ∈ Y der Grenzwert von f für x gegen a ∈ X. Dann bezeichnet man f als stetig in a, falls f (a) = A gilt. 4. Sei f : X → Y mit X, Y ⊂ R. Dann bezeichnet man f als stetig, falls f stetig in jedem a ∈ X ist. Bemerkung 6.5 (Verallgemeinerung der Grenzwerte einer Abbildung): 1. Obige Definition macht (i.W.) auch noch Sinn, falls man für a und A auch die Werte‘ +∞ und −∞ zulässt; d.h.: a, A ∈ R ∪ {+∞, −∞}. ’ 2. Klar ist es mühsam, für eine Abbildung f und eine Stelle a – wie in Definition 6.4 gefordert – alle Folgen zu betrachten. Glücklicherweise können die Überlegungen für viele Abbildungen simultan (Abbildungstypen) erledigt werden. Beispiel 6.6 (Grenzwerte von Abbildungen, Stetigkeit): 1. Seien f : R → R, f (x) = xn und n ∈ N+ . Dann ist f stetig und es folgt: a) Für 2|n gilt: limx→∞ xn = limx→−∞ xn = ∞; b) Für 2 - n gilt: limx→∞ xn = ∞ und limx→−∞ xn = −∞. 2. Seien f : R≥0 → R, f (x) = xq und q ∈ Q. Dann ist f stetig und es folgt: a) Für q > 0 gilt: limx→∞ xq = ∞; b) Für q < 0 gilt: limx→∞ xq = 0; c) Für q = 0 gilt: limx→∞ xq = 1. 3. Die Abbildung f : R≥0 → R, f (x) = √ x ist stetig. 4. Die Exponential- und die Logarithmusfunktion sind stetig; vgl. Kapitel ?? bzgl. ihres Randverhalten und weiterer Eigenschaften. 71 6. Grenzwerte 6.3. Rechenregeln für Grenzwerte Satz 6.7: Rechenregeln für Grenzwerte Seien (an ), (bn ) ⊂ R konvergente Folgen und g, f : X → Y mit X, Y ⊂ R Abbildungen mit limx→a g(x) = A ∈ R und limx→a f (x) = B ∈ R für ein a ∈ X. Weiter sei c ∈ R. Dann gilt: 1. Die Folgen (an ) + (bn ), c · (an ), (an ) · (bn ) sind konvergent und die Abbildungen f + g, c · f, f · g haben Grenzwerte. 2. Der Grenzwert von (an ) + (bn ) und von f + g: a) limn→∞ (an + bn ) = limn→∞ an + limn→∞ bn ; b) limx→a (f (x) + g(x)) = limx→a f (x) + limx→a g(x). 3. Der Grenzwert von c · (an ) und von c · f : a) limn→∞ c · an = c · limn→∞ an ; b) limx→a (c · f (x)) = c · limx→a f (x). 4. Der Grenzwert von (an ) · (bn ) und von f · g: a) limn→∞ (an · bn ) = limn→∞ an · limn→∞ bn ; b) limx→a (f (x) · g(x)) = limx→a f (x) · limx→a g(x). 5. Sind f, g : X → Y mit X, Y ⊂ R stetig und c ∈ R, so gilt dies auch für f +g, c·f, f ·g; weiter ist f /g stetig in allen a ∈ X mit g(a) 6= 0. 6. Bei Abbildungen, die bzgl. stetiger Abbildungen stückweise definiert sind, müssen nur noch die Übergangsstellen bzgl. Stetigkeit überprüft werden. 72 6. Grenzwerte 6.4. Übungsaufgaben 1. Bestimmen Sie (falls existent) die Grenzwerte folgender Folgen (für n → +∞): a) (an ) mit an := (−1)n/n (für alle n ∈ N+ ); b) (an ) mit an := 1 + 1/n (für alle n ∈ N+ ); c) (an ) mit an := (1/n) + 1/n (für alle n ∈ N+ ); d) (an ) mit an := (3/2) · 1/n (für alle n ∈ N+ ); e) (an ) mit an := (2 + 1/n) · (3 − 1/n) (für alle n ∈ N+ ); f) (an ) mit an := (2 + 2/n)/2 (für alle n ∈ N+ ); g) (an ) mit an := 2/(1/n) (für alle n ∈ N+ ); h) (an ) mit an := (1/n)/(1 + 1/n) (für alle n ∈ N+ ); i) (an ) mit an := (1 − 1/n)/(1 + 1/n) (für alle n ∈ N+ ); j) (an ) mit an := (1/n)/(1/n) (für alle n ∈ N+ ); k) (an ) mit an := (1/n)/(1/n2 ) (für alle n ∈ N+ ); l) (an ) mit an := (6 − (−1/n)n ) · (7 + (−1/nn )) (für alle n ∈ N+ ). 2. Sei f, g : R → R mit f (x) = x3 + 8 + 32 · x−5 und g(x) = 42 − 2 · 1 . 1+x42 a) Bestimmen Sie limx→2 f (x). b) Bestimmen Sie limx→∞ g(x). c) Bestimmen Sie limx→∞ (f + g)(x). d) Bestimmen Sie limx→−1 (f + g)(x). e) Bestimmen Sie limx→0 (2 · f − 3 · g)(x). f) Bestimmen Sie limx→1 ( fg )(x). 3. Ist die Betragsabbildung stetig? 4. Gibt es einen Grenzwert für f : R \ {42} → R, x 7→ 1 x−42 5. Gibt es einen Grenzwert für f : R \ {42} → R, x 7→ (x−42)2 x−42 in 42? in 42? 6. Gibt es eine stetige Fortsetzung von f : R \ {42} → R, x 7→ x − 42 in x = 42; soll heißen: Eine Abbildung g : R → R mit g ist stetig und g|R \ {42} = f ? 73 Anhang Anhang 74 A. Grundbegriffe der mathematischen Logik A. Grundbegriffe der mathematischen Logik Die folgende Darstellung der mathematischen Logik ist (vermutlich) ausführlicher und umfassender als in Ihren Mathematik-Vorlesungen. In der Mathematik werden Begriffe ” und Regeln der Logik verwendet, um das Theoriegebäude zu erbauen.“ [SS09, 73] Was also ist das Thema der Logik? Bezeichung A.1 (Logik): Logik beschäftigt sich mit gewissen Methoden des Denkens, d.h. mit der Aufstellung und Überprüfung bestimmter Gesetze und Regeln für das Bilden von Begriffen, Aussagen(alias: Urteilen) und Schlüssen. Bemerkung A.2 (Logik): Logik bestätigt oder widerlegt also nicht die Wahrheit von Sätzen; sie zeigt nur auf, welche Konsequenzen es in unserem Denken hat, wenn wir bestimmte Dinge als gegeben annehmen. Man könnte Logik auch als die Lehre vom Schlußfolgern bezeichnen. A.1. Aussagenlogik Bezeichung A.3 (Aussage): Eine Aussage ist ein sprachliches Gebilde, das (inhaltlich) entweder wahr oder falsch ist, d.h. man kann jeder Aussage einen Wahrheitswert zuordnen. Beispiel A.4 (Keine Aussagen): 1. Wie spät ist es? 2. Guten Morgen! 3. Dieser Satz ist falsch. [Hm?!.; vgl. Bemerkung 1.12.] Bemerkung A.5 (Aussage): Es ist nicht immer bekannt, ob eine Aussage wahr oder falsch ist, es gibt aber keine Aussage, die weder wahr noch falsch ist und keine, die beides zugleich ist. Bezeichung A.6 (Elementare Aussage): Eine elementare Aussage ist eine Aussage, die keine weitere Aussage als Teil enthält und die nicht Negation einer Aussage ist. Beispiel A.7 (Elementare Aussage): 1. Die Erde ist ein Planet. (w) 2. 5 ist eine Primzahl. (w) 3. 7 ist eine gerade Zahl. (f) Bezeichung A.8 (Nicht-elementare Aussage): Eine nicht-elementare Aussage ist eine Aussage, die aus zwei oder mehreren elementaren Aussagen zusammengesetzt ist oder die durch Verneinung einer Aussage entsteht. 75 A. Grundbegriffe der mathematischen Logik Beispiel A.9 (Nicht-elementare Aussage): 1. Es gilt nicht, dass Steine auf der Erde nach oben fallen. (w) 2. Peter Paul Rubens war weder Maler noch war er Architekt. (f) Bezeichung A.10 (Variable, Aussageform): 1. Eine Variable ist ein Symbol, das eine (leere) Stelle kennzeichnet, an die ein beliebiges Element einer vorher festgelegten Grundmenge treten kann. Speziell : Ist diese Grundmenge die Menge der Aussagen (zzgl. der Wahrheitswerte) spricht man von Aussagevariablen. 2. Eine Variable heißt gebunden, falls sie im Einflussbereich eines Quantors steht, wenn sie also Teil einer für alle / jede/r/s‘- oder einer es existiert / gibt‘-Phrase ’ ’ ist; ist eine Variable nicht gebunden, so heißt sie frei; vgl. dazu die Ausführungen in Unterkapitel A.4. 3. Eine Aussageform (alias: Prädikat) ist ein sprachliches Gebilde, das mindestens eine freie Variable enthält und in eine Aussage übergeht, sobald für jede freie Variable ein Element der jeweiligen Grundmenge eingesetzt wird. Speziell : Aussageformen, die ausschließlich Aussagevariablen enthalten, nennt man aussagenlogische Aussageformen. Beispiel A.11 (Variable, Aussageform: Ja/Nein, weil . . . .): 1. Die Zahl 2 ist eine natürliche Zahl. Das ist keine Aussageform, denn das sprachliche Gebilde enthält keine Variable, insbesondere keine freie Variable. Der Satz ist eine wahre Aussage. 2. Die ganze Zahl n ist eine natürliche Zahl. Das ist eine Aussageform, denn das sprachliche Gebilde enthält eine freie Variable über der Grundmenge der ganzen Zahlen. Beispielsweise ist die durch die Einsetzung der Zahl 2 (eigentlich: des Zahlzeichens der Zahl 2) für n zu erhaltende Aussage wahr, die von −1 für n dagegen falsch; bspw. ist die Einsetzung des Wortes Gießkanne‘ (als Zeichen für eine Gießkanne) nicht erlaubt. ’ 3. Es gibt eine kleinste natürliche Zahl n. Das ist keine Aussageform, denn es gibt zwar n als eine Variable über der Grundmenge der natürlichen Zahlen, n ist aber nicht frei, sondern gebunden. Der Satz erlaubt keine nicht-triviale Einsetzung; er ist eine wahre Aussage: Die angesprochene Zahl ist (je nach Konvention) 0 oder 1. 4. Alle ganzen Zahlen sind natürliche Zahlen. M.a.W.: Für jede ganze Zahl n gilt, dass n eine natürliche Zahl ist. 76 A. Grundbegriffe der mathematischen Logik Das ist keine Aussageform, denn es gibt zwar n als eine Variable über der Grundmenge der ganzen Zahlen, n ist aber nicht frei, sondern gebunden. Der Satz erlaubt keine nicht-triviale Einsetzung; er ist eine falsche Aussage. 5. Aida ist eine Oper des Komponisten A. Dies ist eine Aussageform; sie nimmt den Wert wahr‘ genau dann an, wenn ’ Guiseppe Verdi‘ für A einsetzt wird. ’ 6. Entweder ist die Aussage p oder die Aussage q eine wahre Aussage. Dies ist eine aussagenlogische Aussageform. Die Aussageform nimmt genau dann den Wert wahr‘ an, wenn genau eine der beiden Variablen durch eine wahre Aus’ sage (inkl. W ) und die andere durch eine falsche Aussage (inkl. F ) ersetzt wird. Bemerkung A.12 (Aussageformen): 1. Aussageformen sind gemäß ihrer Definition weder wahr noch falsch. 2. Es ist Die natürliche Zahl n ist größer als 42.“ eine Aussageform (gemäß nachfol” gender Definition eine sog. Neutralform); die Einsetzung von 0, 1, . . . , 42 für n führt jeweils auf eine wahre Aussage, jede andere Belegung von n mit einer natürlichen Zahl führt zu einer falschen Aussage. Die Aussageform ist jedoch keine aussagenlogische Aussageform, denn sie hat dbzgl. die falsche Grundmenge: Grundmenge von n ist eben nicht die Menge der Aussagen (zzgl. der Wahrheitswerte), sondern die Menge der natürlichen Zahlen N. Definition A.13 (Wahrform, Falschform, Neutralform): 1. Eine aussagenlogische Aussageform A, die bei jeder Belegung ihrer Variablen den Wert wahr annimmt, heißt Wahrform (oder auch Tautologie, logisch wahre Aussageform, logisches Gesetz). Man schreibt A ⇔ W , wobei W die wahre Aussage ist bzw. die Aussageform ist, die bei jeder Belegung wahr ist. 2. Eine aussagenlogische Aussageform A, die bei jeder Belegung ihrer Variablen den Wert falsch annimmt, heißt Falschform (oder auch Kontradiktion, logisch falsche Aussageform, logischer Widerspruch). Man schreibt A ⇔ F , wobei F die falsche Aussage ist bzw. die Aussageform ist, die bei jeder Belegung falsch ist. 3. Alle übrigen aussagenlogischen Aussageformen nennt man Neutralform und (ihr Verhalten bzgl. Einsetzung) kontingent. Beispiel A.14 (Wahr-, Falsch-, Neutralform): 1. Die Aussageform Es ist p wahr oder p ist falsch.‘ ist eine Tautologie. ’ 2. Die Aussageform Es ist p wahr und p ist falsch.‘ ist ein Widerspruch. ’ 77 A. Grundbegriffe der mathematischen Logik 3. Die Aussageform Es ist p wahr.‘ ist eine Neutralform. ’ Definition A.15 (Junktion, Junktoren): 1. Als Junktion bezeichnet man eine Abbildung, die einer oder mehreren Aussagen bzw. Aussageformen eine neue Aussage bzw. Aussageform zuordnet. 2. Ein Junktor ist das Symbol / Zeichen für eine Junktion; vgl. bspw. das Pluszeichen für die Addition. In folgender Tabelle sind die üblichen Junktionen gelistet. Seien also p, q zwei Variablen für Aussagen zzgl. Aussageformen: Bezeichnung Schreibweise Sprechweise Negation ¬p nicht p Konjunktion p ∧ q p und q Disjunktion p∨q [¬(¬p ∧ ¬q)] Subjunktion p → q [(¬p) ∨ q] Bijunktion p ↔ q [(p → q) ∧ (q → p)] p bijungiert q [vgl.: g.-d.-w.] Antivalenz ˙ (p ←7→ q) [¬(p ↔ q, p∨q] p oder q [einschließendes oder] p subjungiert q [vgl.: wenn-dann] entweder p oder q [ausschl. oder] Beispiel A.16 (Junktionen, nicht-elementare Aussage(forme)n): 1. p: Die Rose ist rot. ¬p: Die Rose ist nicht rot. 2. p: 18 ist durch 2 teilbar. q: 18 ist durch 3 teilbar. p ∧ q: 18 ist durch 2 und durch 3 teilbar. 3. p: Das Kind ißt Bonbons. q: Das Kind ißt Schokolade. p ∨ q: Das Kind ißt Schokolade oder Bonbons oder beides. 4. p: x ist durch 10 teilbar. q: x ist durch 5 teilbar. p → q: Wenn x durch 10 teilbar ist, so ist x auch durch 5 teilbar. 5. p: Eine Zahl ist durch 6 teilbar. q: Eine Zahl ist durch 2 teilbar. p ↔ q: Eine Zahl ist durch 6 teilbar genau dann, wenn sie durch 2 teilbar ist. 6. p: Peter ist in Köln geboren. q: Peter ist in Bonn geboren. ˙ Peter ist entweder in Köln oder in Bonn geboren. p∨q: (¬p) ∧ (¬q): Peter ist weder in Köln noch in Bonn geboren. 78 A. Grundbegriffe der mathematischen Logik Bemerkung A.17 (Junktion, Wahrheitsfunktion): 1. Analog zur sog. Punkt-vor-Strich-Regel macht man durch eine Hierarchie in der Bündelung durch Junktoren manche Klammern unnötig. Wir beschränken uns auf die Vereinbarung, dass ¬‘ (gemeinsam mit der nicht eigens ausgezeichneten ’ Identität) am stärksten bündelt; bspw. gilt: ¬p ∧ q ist als (¬p) ∧ q zu lesen. 2. Junktoren bilden aus Aussagen und Aussageformen wiederum Aussagen und Aussageformen. Von besonderem Interesse ist dabei, wie die Wahrheit / Falschheit der Junktion von den Wahrheitswerten der verbundenen Aussagen (inkl. mit Wahrheitswert belegten Aussageformen) abhängt. Diese Abhängigkeit ist Gegenstand der sog. Wahrheitsfunktionen. Definition A.18 (Wahrheitsfunktion): 1. Eine Abbildungen, die einer Junktion Wahrheitswerte in Abhängigkeit von den Wahrheitswerten der jungierten Aussagen zuordnet, bezeichnet man als Wahrheitsfunktion. 2. Eine Wahrheitsfunktion wird meist tabellarisch notiert; sog. Wahrheitstabelle. 3. Folgende Tabelle formuliert gängige Wahrheitsfunktionen knapp nebeneinander: q ¬p p ∧ q p ∨ q p → q p ↔ q p ←7→ q W F p w f w w f w w w w f w f w f f f w f f w w f f w w f w w f w w f f f w f f w w f Beispiel A.19 (Wahrheitsfunktion): Sei p die wahre Aussage 2|6 und q die falsche Aussage 4|6. Dann gilt: 1. Die Aussage ¬p ist falsch; dagegen ist ¬q wahr. 2. Die Aussagen p ∧ q, q ∧ p und q ∧ q sind falsch; dagegen ist p ∧ p wahr. 3. Die Aussagen p ∨ q, q ∨ p und p ∨ p sind wahr; dagegen ist q ∨ q falsch. 4. Die Aussagen q → p, q → q und p → p sind wahr; dagegen ist p → q falsch. 5. Die Aussagen q ↔ q, p ↔ p und p ↔ (¬q) sind wahr; dagegen ist p ↔ q falsch. 79 A. Grundbegriffe der mathematischen Logik Definition A.20 ((Logische Implikation, (logische) Äquivalenz): Seien A und B Aussagevariablen: 1. Dann steht A ⇒ B (lies: Aus A folgt B.; bzw.: A impliziert logisch B.) dafür, dass A → B eine Tautologie ist; i.Z.: (A → B) ⇔ W ; man spricht von einer (logischen) Implikation (alias: Folgerung). (Weitere Sprechweisen: A ist hinreichend für A; B ist notwendig für A; B folgt logisch aus A; wenn A, dann B; A ist hinreichende Bedingung für B; B ist notwendige Bedingung für A). 2. Dann steht A ⇔ B (lies: A gilt gdw. B gilt.; A ist logisch äquivalent zu B.) dafür, dass A ↔ B eine Tautologie ist; i.Z.: (A ↔ B) ⇔ W ]; man spricht von einer (logischen) Äquivalenz. (Weitere Sprechweisen: A dann und nur dann, wenn B; A ist hinreichend und notwendig für B; A impliziert logisch B und umgekehrt). Bemerkung A.21 (Subjunktion vs. Implikation, Bijunktion vs. Äquivalenz): 1. Die in Definition A.20 zwischen A und B verwendeten Pfeile ⇒ und ⇔ stehen für eine Beziehung zwischen zwei Wahrheitsfunktionen, nämlich für deren Gleichheit. In diesem Sinne wurde ⇔ (unter Berücksichtigung der Wahrheitsfunktion von W ; vgl. Definition A.18.3) auch bereits in Definition A.13.1 verwendet. 2. Bzgl. ↔ und → vgl. Definition A.15 und Bemerkung A.15.1. 3. Eine zusammenfassende Gegenüberstellung soll lauten: Mit p → q ist die Aussageform p impliziert q.“ formuliert; durch p ⇒ q dagegen wird (als Tatsache) ” formuliert, dass p → q eine Tautologie, d.h. q aus p (logisch) folgt. 4. Die in dieser Bemerkung angesprochene Unterscheidung ist zwar inhaltlich zu leisten, oftmals wird sie allerdings weder symbolisch noch mit geeigneten Worten repräsentiert; man darf allerdings schlampig‘ sein, wenn man die Unterscheidung ’ beherrscht, sich keiner argwöhnischen Rechtfertigung stellen muss und insbesondere dann, wenn der Zusammenhang klar macht, was gemeint ist. – Bspw. spricht man oft statt von Subjunktion von Implikation und darf das Gemeinte dann nicht mit logischer Implikation verwechseln; analog ist bzgl. Bijunktion oft von Äquivalenz die Rede, eine Verwechslung mit logischer Äquivalenz sollte unterbleiben. 80 A. Grundbegriffe der mathematischen Logik A.2. Gesetze der Aussagenlogik Satz A.22 (Rechnen mit Aussage(forme)n): Für beliebige Aussage(forme)n p, q und r sowie für W und F gelten folgende Gesetze: 1. ∧-Kommutativgesetz: p ∧ q ⇔ q ∧ p; 2. ∨-Kommutativgesetz: p ∨ q ⇔ q ∨ p; 3. ∧-Assoziativgesetz: (p ∧ q) ∧ r ⇔ p ∧ (q ∧ r); 4. ∨-Assoziativgesetz: (p ∨ q) ∨ r ⇔ p ∨ (q ∨ r); 5. ein Distributivgesetz: p ∨ (q ∧ r) ⇔ (p ∨ q) ∧ (p ∨ r); 6. ein Distributivgesetz: p ∧ (q ∨ r) ⇔ (p ∧ q) ∨ (p ∧ r); 7. ∧-Idempotenzgesetz: p ∧ p ⇔ p; 8. ∨-Idempotenzgesetz: p ∨ p ⇔ p; 9. ein Absorptionsgesetz: p ∨ (p ∧ q) ⇔ p; 10. ein Absorptionsgesetz: p ∧ (p ∨ q) ⇔ p; 11. ein de Morgan Gesetz: ¬(p ∨ q) ⇔ ¬p ∧ ¬q; 12. ein de Morgan Gesetz: ¬(p ∧ q) ⇔ ¬p ∨ ¬q; 13. ein Verneinungsgesetz: ¬(¬p) ⇔ p; 14. ein Verneinungsgesetz: ¬W ⇔ F ; 15. ein Verneinungsgesetz: ¬F ⇔ W ; 16. Satz vom ausgeschlossenen Dritten: p ∨ ¬p ⇔ W ; 17. Satz vom Widerspruch: p ∧ ¬p ⇔ F ; 18. Kontrapositionsgesetz: p → q ⇔ ¬q → ¬p; 19. Transitivgesetz: (p → q) ∧ (q → r) ⇒ p → r; 20. ein Abtrenngesetz: p ∧ (p → q) ⇒ q (direkter Schluss); 21. ein Abtrenngesetz: (p → q) ∧ (¬q) ⇒ ¬p (indirekter Schluss). Die Beweise können den zugehörigen Wahrheitswertetabellen leicht entnommen werden. 81 A. Grundbegriffe der mathematischen Logik A.3. Implikation und Äquivalenz Bemerkung A.23 (Aus A folgt B.): Für A ⇒ B gibt es, wie schon erwähnt, die Formulierungen: 1. A ist hinreichend für B: Die Gültigkeit der Aussage A garantiert für die Erfüllung der Aussage B. 2. B ist notwendig für A: Ist B nicht gültig, so ist auch A nicht gültig. Beispiel A.24 (Aus A folgt B.): Für jede ganze Zahl z gilt: Wenn z durch 6 teilbar ist, dann ist z auch durch 3 teilbar; i.Z.: (mit |‘ für teilt (mit Rest 0)‘): ’ ’ ∀z ∈ Z : (6|z ⇒ 3|z) . Beweis: Wegen 3|6 ist jedes Vielfaches von 6 auch Vielfaches 3. Insbesondere gilt die Umkehrung nicht, soll heißen: Eine ganze Zahl z kann durch 3 teilbar sein, doch nicht durch 6; dafür ist 9 (genauso 3) ein Beispiel. q.e.d. Bemerkung A.25 (A gilt genau dann, wenn B gilt.): Für A ⇔ B gilt dementsprechend: 1. A ist hinreichend und notwendig für B. 2. B ist hinreichend und notwendig für A. 3. A ist hinreichend für B und B ist hinreichend für A. Beispiel A.26 (A gilt genau dann, wenn B gilt.): Für jede ganze Zahl z gilt: Es ist z gerade genau dann, wenn z 2 gerade ist; i.Z.: (mit |‘ ’ für teilt (mit Rest 0)‘): ’ ∀z ∈ Z : (2|z ⇔ 2|z 2 ) . Beweis: (Die Argumentation läuft gemäß der dritten Formulierung von ⇔.) ⇒: Diese Argumentation für z gerade ⇒ z 2 gerade“ erfolgt direkt; vgl. Satz A.22.20. ” Sei also z gerade. Dann gibt es ein k ∈ Z mit z = 2k. Demnach ist z 2 gerade, weil gilt: z 2 = (2k)2 = 2 · (2k 2 ) . ⇐: Diese Argumentation für z gerade ⇐ z 2 gerade“ bzw. z 2 gerade ⇒ z gerade“ erfolgt ” ” indirekt; vgl. Satz A.22.21; d.h. es wird gezeigt, dass gilt: z ungerade ⇒ z 2 ungerade“. ” Sei also z ungerade. Dann gibt es ein k ∈ Z mit z = 2k + 1. Demnach ist z 2 ungerade, weil gilt: z 2 = (2k + 1)2 = 2k(2k + 1) + 1(2k + 1) = 2 · (2k 2 + 2k) + 1 . q.e.d. 82 A. Grundbegriffe der mathematischen Logik A.4. Existenz- und Allaussagen Freie Variablen können durch Quantoren gebunden werden. Hat eine Aussageform bspw. nur eine Variable und wird diese durch einen Quantor gebunden, so liefert das eine Aussage. Im Falle mehrerer (verschiedener) freier Variablen muss mehrmals quantifiziert werden, um eine Aussage zu erhalten, wobei die Reihenfolge der Quantisierung durchaus von Relevanz sein kann. Beispiel A.27 (Freie vs. gebundene Variablen, Existenz- und Allaussagen): 1. Betrachten wir folgende Aussageform, die nur n als freie Variable hat, insofern nur n für beliebige Einsetzungen frei ist: Eine natürliche Zahl n ist größer als jede ganze Zahl z, die kleiner als 0 ist; i.Z.: n ∈ N ∀z ∈ Z : z < 0 : n > z . a) In folgender Existenzaussage ist die Variable n durch eine Existenz-Phrase gebunden: Es gibt eine natürliche Zahl n, die größer ist als jede ganze Zahl z, die kleiner als 0 ist; i.Z. (mit Existenzquantor ): ∃n ∈ N ∀z ∈ Z : z < 0 : n > z . b) In folgender Existenzaussage ist die Variable n durch eine spezifizierende Existenz-Phrase gebunden: Es gibt genau eine natürliche Zahl n, die größer ist als jede ganze Zahl z, die kleiner 0 ist; i.Z. (mit spezifizierendem Existenzquantor ): ∃!n ∈ N ∀z ∈ Z : z < 0 : n > z . c) In folgender Allaussage (alias: Universalaussage) ist die Variable n durch eine All-Phrase gebunden: Jede natürliche Zahl n ist größer als jede ganze Zahl z, die kleiner als 0 ist; i.Z. (mit Allquantor ): ∀n ∈ N ∀z ∈ Z : z < 0 : n > z . Die Aussagen in (a) und (c) sind beide wahr, die Aussage in (b) ist falsch. 2. Betrachten wir die drei Aussagen die durch kanonische Quantorisierung folgender Aussageform entstehen: Jede ganze Zahl z ist teilbar durch die natürliche Zahl n; m.a.W.: Die natürliche Zahl n ist Teiler jeder ganzen Zahl z. a) ∃n ∈ N ∀z ∈ Z : n|z (Existenzaussage) b) ∃!n ∈ N ∀z ∈ Z : n|z (spezifizierende Existenzaussage) c) ∀n ∈ N ∀z ∈ Z : n|z (Allaussage) Die Aussagen in (a) und (b) sind beide wahr, die Aussage in (c) ist falsch. 83 A. Grundbegriffe der mathematischen Logik 3. Man beachte, dass Jede ganze Zahl z ist teilbar durch eine natürliche Zahl n.‘ ’ keine Aussageform, sondern eine Aussage ist; i.Z.: ∀z ∈ Z ∃n ∈ N : n|z. Bemerkung A.28 (Freie vs. gebundene Variablen, Existenz- und Allaussagen): 1. In Beispiel A.27.2-3 sollte verdeutlicht werden, dass nicht immer leicht zu erkennen ist, welche Aussage(form) man vor sich hat; ein(!) Wörtchen kann den Unterschied machen und leider oft leicht übersehen werden. 2. Als weiteres Beispiel für das in (1) Gesagte wollen wir folgende Aussage betrachten: Eine natürliche Zahl ist eine ganze Zahl.‘; mögliche und unmögliche Lesarten sind: ’ a) Jede natürliche Zahl ist eine ganze Zahl.‘ ist eine mögliche Lesart. ’ b) Es gibt eine natürliche Zahl, die eine ganze Zahl ist.‘ ist eine mögliche Lesart. ’ c) Die natürliche Zahl ist eine ganze Zahl.‘ ist keine mögliche Lesart. ’ Weil die Interpretationen durchaus verschieden sind, formuliert man das Gemeinte nach Möglichkeit klar und präzise. 3. Die in Existenz- und Allaussagen vorkommenden Variablen sind nicht mehr frei, sondern allesamt durch die Quantoren gebunden – sonst müsste ja von einer Aussageform statt einer Aussage die Rede sein. Bemerkung A.29 (Negation einer Existenz- bzw. Allaussage): Für die Negation (verschachtelter) Existenz- bzw. Allaussagen gilt (und dies Verfahren‘ ’ ist von außen nach innen anzuwenden): 1. Eine Existenzaussage wird verneint, indem man den Allquantor vor die verneinte Aussageform (nach Streichung des verneinten Existenzquantors) stellt. 2. Eine Allaussage wird verneint, indem man den Existenzquantor vor die verneinte Aussageform (nach Streichung des verneinten Allquantors) stellt. Beispiel A.30 (Negation einer Existenz- bzw. Allaussage): 1. Negation einer (einfachen) Existenzaussage: ⇔ ⇔ ⇔ ¬(∃n ∈ N : n ≥ 7 ∧ n < 10) ∀ n ∈ N : ¬(n ≥ 7 ∧ n < 10) ∀ n ∈ N : ¬(n ≥ 7) ∨ ¬(n < 10) ∀ n ∈ N : n < 7 ∨ n ≥ 10 . 84 A. Grundbegriffe der mathematischen Logik 2. Negation einer (einfachen) Allaussage: (mit p → q ⇔ (¬p ∨ q)) ⇔ ⇔ ⇔ ⇔ ¬(∀ n ∈ N : ((Es ist n eine Primzahl.) → (Es ist n ungerade.))) ∃ n ∈ N : ¬((Es ist n eine Primzahl.) → (Es ist n ungerade.)) ∃ n ∈ N : ¬(¬(Es ist n eine Primzahl.) ∨ (Es ist n ungerade.)) ∃ n ∈ N : ¬(¬(Es ist n eine Primzahl.)) ∧ ¬(Es ist n ungerade.) ∃ n ∈ N : (Es ist n eine Primzahl.) ∧ (Es ist n gerade.) . 3. Negation einer verschachtelten Existenzaussage (mit verschachtelter Allaussage): ⇔ ⇔ ⇔ ⇔ ¬(∃n ∈ N ∀m ∈ N : m ≥ n ∃k ∈ N : k > m) ∀n ∈ N ¬(∀m ∈ N : m ≥ n ∃k ∈ N : k > m) ∀n ∈ N ∃m ∈ N : m ≥ n ¬(∃k ∈ N : k > m) ∀n ∈ N ∃m ∈ N : m ≥ n ∀k ∈ N : ¬(k > m) ∀n ∈ N ∃m ∈ N : m ≥ n ∀k ∈ N : k ≤ m . 4. Die Verneinung von Max Mustermann hat genau eine Schwester.‘ würde lauten: ’ Max Mustermann hat keine Schwester oder mehr als eine Schwester.‘. ’ 85 A. Grundbegriffe der mathematischen Logik 86 B. George Pólya – Wie sucht man die Lösung? B. George Pólya – Wie sucht man die Lösung? 87 B. George Pólya – Wie sucht man die Lösung? 88 Literatur Literatur [CDD06] M. Charton, M. Dücker, M. Demmerling: Vorkurs Mathematik (überarbeitete Version 2006), Skript, Fachbereich Mathematik, Universität Siegen 2006. [CS08] U. Cormann, P. Schupp: Skriptum zum Vorkurs Mathematik (überarbeitete Version 2008), Skript, Fachbereich Mathematik, Universität Siegen 2006. [Heu90] H. 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