48 Tier BAUERNBLATT | 27. August 2016 ■ Erbfehler – eine Laune der Natur Inzucht begünstigt die Defekte Dass wir und auch unsere Tiere heute so sind, wie wir sind, haben wir vielen kleinen Mutationen des Erbguts zu verdanken. Im Laufe der Zeit haben sich durch diese Mutationen Varianten durchgesetzt, die die besten Chancen gegenüber den Umweltbedingungen haben. Mutationen sind ein Motor der Evolution, und gegen ihr Auftreten kann sich kein Lebewesen schützen. Manchmal entstehen aber auch Fehler, welche normalerweise keine Chance in der Population haben sollten. Dennoch kommen diese in der heutigen Landwirtschaft vermehrt zum Vorschein. Es stellt sich die Frage, warum dies so ist. Vor allem aber auch, was dagegen getan werden kann und wie solche Fehler unter Kont- Bei Schafen und Schweinen sind, im Gegensatz zu Rindern und Pferden, oft keine genauen Informationen über die Mutationen vorhanden. rolle zu halten sind. Bei allen Tierarten können Mutationen in der Keimbahn stattfinden, so auch bei Rindern, Schweinen, Pferden und Schafen. Mutationen können auf verschiedensten Ebenen des Erbguts vorkommen. Ihre Auswirkungen können dabei ganz unterschiedlich sein. Alleine bei Rindern gibt es mittlerweile über 360 beschriebene Erbfehler. Ein bereits lange bekannter Erbfehler ist die Bovine Leukozyten-Adhäsions-Defizienz (Blad). Betroffene Rinder leiden an einer gestörten Infektionsabwehr und verenden innerhalb der ersten Lebensmonate. Während Blad bereits sehr oft aufgetreten ist, wurde das Zinkdefizienz-like-Syndrom (ZDL), bei dem die Funktion der Schleimhäute eingeschränkt ist, bislang nur selten gefunden. Dies liegt daran, dass betroffene Tiere bereits an einem schlechten Allgemeinzustand verenden, bevor die für das ZDL typischen Hautveränderungen zum Vorschein kommen. Dieses verspätete Auftreten ist keine Seltenheit. Anzeichen der Erbfehler zeigen sich oftmals erst, wenn die Merkmalsträger bereits älter sind. Bei Pferden sind momentan 90 Erbkrankheiten bekannt. Hierzu zählt unter anderem die Hyperkaliämische Periodische Paralyse (Hypp), eine Muskelerkrankung, die tückischerweise trotz ihrer dominanten Vererbung nur selten erkannt wird. Ein erst in letzter Zeit vermehrt aufgetretener Erbfeh- tigen Zucht werden sie aufgrund ihrer nützlichen Eigenschaften gezielt gezüchtet. Welche Rolle spielt die künstliche Besamung? Dominant vererbte Erbfehler sind in der Regel leicht erkennbar, denn für ihr Auftreten reicht bereits ein defektes Allel aus. Diese Erbfehler machen allerdings nur einen kleinen Teil aus. Der Großteil der Erbfehler wird rezessiv vererbt und ist damit zunächst „unsichtbar“. Durch Reinzuchtmethoden kommt es zu vermehrter Homozygotie an den Genorten. Das bedeutet, die Tiere werden genetisch einheitlicher, genau wie ihre Leistung. Diese Homozygotie wird am schnellsten durch Inzucht erreicht, eine Reinzuchtmethode in ler, der ebenfalls zu einer Muskel­ Hier ist die Mithilfe der Landwir- geschlossenen Populationen. Daerkrankung führt, ist die Polysac- te gefragt. bei ist die Wahrscheinlichkeit, dass charid-Speicher-Myopathie (PSSM). Homozygotie auftritt, umso höher, Dieser weitverbreitete Erbfehler je mehr gemeinsame Vorfahren die Sind Erbfehler immer Eltern haben und je weniger Genebleibt allerdings, sofern Haltung nur negativ? rationen zwischen den Eltern und und Fütterung stimmig sind, unscheinbar. Lange bleibt auch die Die Antwort lautet Nein. Es gibt den gemeinsamen Vorfahren lieHeriditäre Equine Regionale Der- einige Erbfehler, die in der Zucht gen. Das gilt gleichermaßen für male Asthenie (Herda) unerkannt. als positiv angesehen werden und gewünschte als auch unerwünschSie kommt erst zum Vorschein, so den betroffenen Tieren einen te Allelvarianten. Es gibt viele Stimmen, die wenn die Pferde eingeritten werden. Betroffeder Meinung sind, dass Erbne Tiere werden durch fehler durch Inzucht entstehen. Allerdings muss die entstehenden Hautläsionen für den Reit­ klar gesagt werden, dass sport unbrauchbar. Inzucht nicht bei der EntWährend bei Rindern stehung eines Erbfehlers und Pferden oft genaue an sich beteiligt ist. Durch Informationen über die Inzucht steigt lediglich die Chance, dass zwei rezessiMutationen vorhanden sind, sieht dies bei ve Allele aufeinandertrefSchweinen und Schafen fen und ein Erbfehler im noch anders aus. Hier Phänotyp des Nachkommen sichtbar wird. Es kann sind häufig die ursächliche Mutation und der also sein, dass sich rezessive Erbfehler bereits lange genaue Erbgang noch nicht sicher bekannt. Bei unwissentlich in der PopuGrätscher-Ferkeln und Nicht immer sind Erbfehler als nur negativ anzuse- lation befinden, bevor sie Hernien beim Schwein hen, wie zum Beispiel die genetische Hornlosigkeit – durch Inzucht aufgedeckt und auch bei Entropi- sie macht das viel diskutierte Enthornen von Kälbern werden. Die Inzucht als um, einer Augenkrank- überflüssig. kontinuierliche Zuchtmeheit beim Schaf, werden thode ist aufgrund der Reneben der genetischen Komponen- künstlich selektiven Vorteil brin- duzierung der genetischen Variabite viele Einflussfaktoren diskutiert. gen. Diese „Fehler“ werden als ge- lität und der Inzuchtdepressionen, Bisher können im Grunde nur Vor- netische Besonderheiten beschrie- die bei Fitness- und Fruchtbarkeitssichtsmaßnahmen getroffen wer- ben. Hierzu zählen zum Beispiel merkmalen auftreten können, keiden, wie zum Beispiel den vollstän- die Hornlosigkeit sowie die ange- ne Zuchtmethode mit praktischer digen Ausschluss der betroffenen borene Muskelhyperplasie (Dop- Bedeutung. Tiere aus der Zucht. Es ist daher pellender) beim Rind. In der Natur Bei allen vier hier genannten von großem Interesse, die Ursäch- hätten diese Rinder kein Durchset- Tierarten ist die Reinzucht, eine lichkeit der Erbfehler aufzudecken. zungsvermögen, aber in der heu- Reinzuchtmethode in offenen Po- Tier 49 ■ BAUERNBLATT | 27. August 2016 pulationen, eine gängige Zuchtmethode. Zusammen mit der Veredelungszucht, der Verdrängungszucht und der Kombinationszucht hat sie unsere Nutztiere zu dem Leistungsniveau gebracht, auf dem sie heute stehen. Um diese gute Leistung zu bekommen, wird in der Praxis stark selektiert. Der Einsatz der künstlichen Besamung ermöglicht es, dass einige wenige Vatertiere mit Spitzenleistungsmerkmalen international viele Nachkommen zeugen können. Ist das Vatertier aber Träger eines Defektallels, kann dieses stark verbreitet werden. Zusätzlich dazu steigt die Gefahr einer unbewussten Verwandtenpaarung an. Je stärker die Selektion und je geringer die Anzahl an Zuchttieren in einer Population ist, desto größer ist die Inzucht. Bei der Änderung der Allelfrequenz spielt neben der Populationsgröße auch die Gendrift eine entscheidende Rolle. Durch sie wird die Allelfrequenz zufällig geändert. Allele gehen verloren oder werden homozygot fixiert. Es kommt auch hier zum Anstieg der Homozygotie. Gendrift ist dabei umso größer, je kleiner eine Population ist. Sie führt zu einer Reduzierung der genetischen Varianz. Die Inzuchtproblematik und Gendrift sprechen im Ergebnis gegen eine zu starke Reduzierung der Populationsgröße. Wie werden negative Erbfehler verhindert? Da Erbfehler häufig zu einem wirtschaftlichen Verlust führen, ist es von hohem Interesse zu erfahren, ob und wie ein Auftreten verhindert werden kann. Zunächst müssen die Trägertiere, vor allem der rezessiven Defektallele, identifiziert wer- FAZIT Erbfehler ●●Mutationen finden auf un- Manche Erbkrankheiten bleiben lange Zeit unerkannt. Die Heriditäre Equine Regionale Dermale Asthenie zum Beispiel kommt erst zum Vorschein, wenn die Pferde eingeritten werden. den. Dies gelang früher nur durch die Methode der Testanpaarung. Hierbei zeigte sich der Inzuchttest am effektivsten. Allerdings ist das Verfahren der Testanpaarung sehr aufwendig und kritisch zu betrachten, da für ein sicheres Ergebnis erst ein krankes Tier auftreten muss. Unabhängig davon, dass viele Testanpaarungen dafür nötig sind und es so auch zu einer Verbreitung des Erbfehlers kommt, ist diese Methode ein klarer Verstoß gegen das Verbot der Qualzucht! Dank des Fortschreitens der Gentechnik gibt es mittlerweile molekulargenetische Testmethoden, mit denen eine Testanpaarung umgangen werden kann. Vorteil der molekulargenetischen Tests ist, dass jede Körperzelle (beispielsweise Blutproben oder Ohrstanzproben) zur Analyse verwendet werden kann. Durch Einsatz indirekter und direkter Gentests kann der Erbfehler­genotyp eines Tieres frühzeitig, schnell und sicher erkannt werden. Ein direkter Gentest erreicht eine Sicherheit von 100 %. Dadurch ist es möglich, Risikoanpaarungen zu vermeiden und viele Anlageträger weiterhin in gezielter Zucht einzusetzen. Tiere mit sehr guten Leistungsmerkmalen müssen demnach nicht zwangsweise aus der Zucht ausgeschlossen werden. Dies leistet unter anderem auch einen sehr großen Beitrag zum Erhalt der genetischen Variabilität. Wie im Endeffekt eine Bekämpfungsstrategie aussieht, entscheidet sich – abhängig von den damit verbundenen Schäden – für jeden Erbfehler neu. Wie genau verfahren wird, liegt auch im Ermessen der Zuchtverbände. Bei allen Tierarten können Mutationen auftreten, so auch bei unseren Nutztieren. terschiedlichsten Ebenen der DNA statt und können jederzeit und bei jedem spontan auftreten. ●●Populationen sollten eine Mindestgröße nicht unterschreiten, um Inzucht und Gendrift vorzubeugen. ●●genetische Variabilität erhalten ●●Direkte Gentests haben eine Sicherheit von 100 %. ●●Gentests ermöglichen eine Vermeidung von Risikoanpaarungen. ●●Aufmerksam sein! Achtgeben auf schwer sichtbare Erbfehler ●●Hilfsbereitschaft bei der Entwicklung weiterer Gentests zeigen Wichtig bei allen Bekämpfungsstrategien ist aber, dass sich die Züchter ihrer Verantwortung bewusst sind. Schon aus Eigeninteresse sollte das Auftreten von Erbfehlern verhindert werden. Ein wachsames Auge für eher unscheinbare oder noch nicht genau erforschte Erbfehler kann zu einer Entwicklung neuer Gentests beitragen und einer starken Verbreitung entgegenwirken. Eine frühzeitige Erkennung neuer Defektallele ist daher von wichtiger Bedeutung. Maika Kristina Piwonski tudentin an der S ­Fachhochschule Kiel, Fachbereich Agrarwirtschaft [email protected] Fotos: Prof. Dr. Katrin Mahlkow-Nerge