Inzucht begünstigt die Defekte

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Tier
BAUERNBLATT | 27. August 2016 ■
Erbfehler – eine Laune der Natur
Inzucht begünstigt die Defekte
Dass wir und auch unsere Tiere
heute so sind, wie wir sind, haben wir vielen kleinen Mutationen
des Erbguts zu verdanken. Im Laufe der Zeit haben sich durch diese Mutationen Varianten durchgesetzt, die die besten Chancen gegenüber den Umweltbedingungen
haben. Mutationen sind ein Motor
der Evolution, und gegen ihr Auftreten kann sich kein Lebewesen
schützen. Manchmal entstehen
aber auch Fehler, welche normalerweise keine Chance in der Population haben sollten. Dennoch
kommen diese in der heutigen
Landwirtschaft vermehrt zum Vorschein. Es stellt sich die Frage, warum dies so ist. Vor allem aber auch,
was dagegen getan werden kann
und wie solche Fehler unter Kont- Bei Schafen und Schweinen sind, im Gegensatz zu Rindern und Pferden, oft
keine genauen Informationen über die Mutationen vorhanden.
rolle zu halten sind.
Bei allen Tierarten können Mutationen in der Keimbahn stattfinden, so auch bei Rindern, Schweinen, Pferden und Schafen. Mutationen können auf verschiedensten
Ebenen des Erbguts vorkommen.
Ihre Auswirkungen können dabei
ganz unterschiedlich sein.
Alleine bei Rindern gibt es mittlerweile über 360 beschriebene
Erbfehler. Ein bereits lange bekannter Erbfehler ist die Bovine
Leukozyten-Adhäsions-Defizienz
(Blad). Betroffene Rinder leiden an
einer gestörten Infektionsabwehr
und verenden innerhalb der ersten Lebensmonate. Während Blad
bereits sehr oft aufgetreten ist,
wurde das Zinkdefizienz-like-Syndrom (ZDL), bei dem die Funktion
der Schleimhäute eingeschränkt ist,
bislang nur selten gefunden. Dies
liegt daran, dass betroffene Tiere
bereits an einem schlechten Allgemeinzustand verenden, bevor die
für das ZDL typischen Hautveränderungen zum Vorschein kommen. Dieses verspätete Auftreten
ist keine Seltenheit. Anzeichen der
Erbfehler zeigen sich oftmals erst,
wenn die Merkmalsträger bereits
älter sind.
Bei Pferden sind momentan 90
Erbkrankheiten bekannt. Hierzu
zählt unter anderem die Hyperkaliämische Periodische Paralyse
(Hypp), eine Muskelerkrankung,
die tückischerweise trotz ihrer dominanten Vererbung nur selten erkannt wird. Ein erst in letzter Zeit
vermehrt aufgetretener Erbfeh-
tigen Zucht werden sie aufgrund
ihrer nützlichen Eigenschaften gezielt gezüchtet.
Welche Rolle spielt die
künstliche Besamung?
Dominant vererbte Erbfehler
sind in der Regel leicht erkennbar,
denn für ihr Auftreten reicht bereits ein defektes Allel aus. Diese
Erbfehler machen allerdings nur
einen kleinen Teil aus. Der Großteil der Erbfehler wird rezessiv vererbt und ist damit zunächst „unsichtbar“. Durch Reinzuchtmethoden kommt es zu vermehrter Homozygotie an den Genorten. Das
bedeutet, die Tiere werden genetisch einheitlicher, genau wie ihre
Leistung. Diese Homozygotie wird
am schnellsten durch Inzucht erreicht, eine Reinzuchtmethode in
ler, der ebenfalls zu einer Muskel­ Hier ist die Mithilfe der Landwir- geschlossenen Populationen. Daerkrankung führt, ist die Polysac- te gefragt.
bei ist die Wahrscheinlichkeit, dass
charid-Speicher-Myopathie (PSSM).
Homozygotie auftritt, umso höher,
Dieser weitverbreitete Erbfehler
je mehr gemeinsame Vorfahren die
Sind Erbfehler immer
Eltern haben und je weniger Genebleibt allerdings, sofern Haltung
nur negativ?
rationen zwischen den Eltern und
und Fütterung stimmig sind, unscheinbar. Lange bleibt auch die
Die Antwort lautet Nein. Es gibt den gemeinsamen Vorfahren lieHeriditäre Equine Regionale Der- einige Erbfehler, die in der Zucht gen. Das gilt gleichermaßen für
male Asthenie (Herda) unerkannt. als positiv angesehen werden und gewünschte als auch unerwünschSie kommt erst zum Vorschein, so den betroffenen Tieren einen te Allelvarianten.
Es gibt viele Stimmen, die
wenn die Pferde eingeritten werden. Betroffeder Meinung sind, dass Erbne Tiere werden durch
fehler durch Inzucht entstehen. Allerdings muss
die entstehenden Hautläsionen für den Reit­
klar gesagt werden, dass
sport unbrauchbar.
Inzucht nicht bei der EntWährend bei Rindern
stehung eines Erbfehlers
und Pferden oft genaue
an sich beteiligt ist. Durch
Informationen über die
Inzucht steigt lediglich die
Chance, dass zwei rezessiMutationen
vorhanden sind, sieht dies bei
ve Allele aufeinandertrefSchweinen und Schafen
fen und ein Erbfehler im
noch anders aus. Hier
Phänotyp des Nachkommen sichtbar wird. Es kann
sind häufig die ursächliche Mutation und der
also sein, dass sich rezessive Erbfehler bereits lange
genaue Erbgang noch
nicht sicher bekannt. Bei
unwissentlich in der PopuGrätscher-Ferkeln und Nicht immer sind Erbfehler als nur negativ anzuse- lation befinden, bevor sie
Hernien beim Schwein hen, wie zum Beispiel die genetische Hornlosigkeit – durch Inzucht aufgedeckt
und auch bei Entropi- sie macht das viel diskutierte Enthornen von Kälbern werden. Die Inzucht als
um, einer Augenkrank- überflüssig.
kontinuierliche Zuchtmeheit beim Schaf, werden
thode ist aufgrund der Reneben der genetischen Komponen- künstlich selektiven Vorteil brin- duzierung der genetischen Variabite viele Einflussfaktoren diskutiert. gen. Diese „Fehler“ werden als ge- lität und der Inzuchtdepressionen,
Bisher können im Grunde nur Vor- netische Besonderheiten beschrie- die bei Fitness- und Fruchtbarkeitssichtsmaßnahmen getroffen wer- ben. Hierzu zählen zum Beispiel merkmalen auftreten können, keiden, wie zum Beispiel den vollstän- die Hornlosigkeit sowie die ange- ne Zuchtmethode mit praktischer
digen Ausschluss der betroffenen borene Muskelhyperplasie (Dop- Bedeutung.
Tiere aus der Zucht. Es ist daher pellender) beim Rind. In der Natur
Bei allen vier hier genannten
von großem Interesse, die Ursäch- hätten diese Rinder kein Durchset- Tierarten ist die Reinzucht, eine
lichkeit der Erbfehler aufzudecken. zungsvermögen, aber in der heu- Reinzuchtmethode in offenen Po-
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pulationen, eine gängige Zuchtmethode. Zusammen mit der Veredelungszucht, der Verdrängungszucht
und der Kombinationszucht hat sie
unsere Nutztiere zu dem Leistungsniveau gebracht, auf dem sie heute
stehen. Um diese gute Leistung zu
bekommen, wird in der Praxis stark
selektiert. Der Einsatz der künstlichen Besamung ermöglicht es, dass
einige wenige Vatertiere mit Spitzenleistungsmerkmalen international viele Nachkommen zeugen
können. Ist das Vatertier aber Träger eines Defektallels, kann dieses
stark verbreitet werden. Zusätzlich
dazu steigt die Gefahr einer unbewussten Verwandtenpaarung an.
Je stärker die Selektion und je geringer die Anzahl an Zuchttieren in
einer Population ist, desto größer
ist die Inzucht.
Bei der Änderung der Allelfrequenz spielt neben der Populationsgröße auch die Gendrift eine
entscheidende Rolle. Durch sie wird
die Allelfrequenz zufällig geändert.
Allele gehen verloren oder werden
homozygot fixiert. Es kommt auch
hier zum Anstieg der Homozygotie. Gendrift ist dabei umso größer,
je kleiner eine Population ist. Sie
führt zu einer Reduzierung der genetischen Varianz. Die Inzuchtproblematik und Gendrift sprechen im
Ergebnis gegen eine zu starke Reduzierung der Populationsgröße.
Wie werden negative
Erbfehler verhindert?
Da Erbfehler häufig zu einem
wirtschaftlichen Verlust führen, ist
es von hohem Interesse zu erfahren,
ob und wie ein Auftreten verhindert werden kann. Zunächst müssen
die Trägertiere, vor allem der rezessiven Defektallele, identifiziert wer-
FAZIT
Erbfehler
●●Mutationen finden auf un-
Manche Erbkrankheiten bleiben lange Zeit unerkannt. Die Heriditäre Equine
Regionale Dermale Asthenie zum Beispiel kommt erst zum Vorschein, wenn
die Pferde eingeritten werden.
den. Dies gelang früher nur durch
die Methode der Testanpaarung.
Hierbei zeigte sich der Inzuchttest
am effektivsten. Allerdings ist das
Verfahren der Testanpaarung sehr
aufwendig und kritisch zu betrachten, da für ein sicheres Ergebnis erst
ein krankes Tier auftreten muss. Unabhängig davon, dass viele Testanpaarungen dafür nötig sind und es
so auch zu einer Verbreitung des
Erbfehlers kommt, ist diese Methode ein klarer Verstoß gegen das Verbot der Qualzucht!
Dank des Fortschreitens der Gentechnik gibt es mittlerweile molekulargenetische Testmethoden,
mit denen eine Testanpaarung
umgangen werden kann. Vorteil
der molekulargenetischen Tests
ist, dass jede Körperzelle (beispielsweise Blutproben oder Ohrstanzproben) zur Analyse verwendet
werden kann. Durch Einsatz indirekter und direkter Gentests kann
der Erbfehler­genotyp eines Tieres
frühzeitig, schnell und sicher erkannt werden. Ein direkter Gentest
erreicht eine Sicherheit von 100 %.
Dadurch ist es möglich, Risikoanpaarungen zu vermeiden und viele
Anlageträger weiterhin in gezielter
Zucht einzusetzen. Tiere mit sehr
guten Leistungsmerkmalen müssen
demnach nicht zwangsweise aus
der Zucht ausgeschlossen werden.
Dies leistet unter anderem auch
einen sehr großen Beitrag zum Erhalt der genetischen Variabilität.
Wie im Endeffekt eine Bekämpfungsstrategie aussieht, entscheidet sich – abhängig von den damit
verbundenen Schäden – für jeden
Erbfehler neu. Wie genau verfahren wird, liegt auch im Ermessen
der Zuchtverbände.
Bei allen Tierarten können Mutationen auftreten, so auch bei unseren Nutztieren.
terschiedlichsten Ebenen der
DNA statt und können jederzeit und bei jedem spontan
auftreten.
●●Populationen sollten eine
Mindestgröße nicht unterschreiten, um Inzucht und
Gendrift vorzubeugen.
●●genetische Variabilität erhalten
●●Direkte Gentests haben
eine Sicherheit von 100 %.
●●Gentests ermöglichen eine
Vermeidung von Risikoanpaarungen.
●●Aufmerksam sein! Achtgeben auf schwer sichtbare Erbfehler
●●Hilfsbereitschaft bei der
Entwicklung weiterer Gentests zeigen
Wichtig bei allen Bekämpfungsstrategien ist aber, dass
sich die Züchter ihrer Verantwortung bewusst sind. Schon
aus Eigeninteresse sollte das
Auftreten von Erbfehlern verhindert werden. Ein wachsames Auge für eher unscheinbare oder noch nicht genau
erforschte Erbfehler kann zu
einer Entwicklung neuer Gentests beitragen und einer starken Verbreitung entgegenwirken. Eine frühzeitige Erkennung neuer Defektallele ist daher von wichtiger Bedeutung.
Maika Kristina Piwonski
tudentin an der
S
­Fachhochschule Kiel,
Fachbereich Agrarwirtschaft
[email protected]
Fotos: Prof. Dr. Katrin Mahlkow-Nerge
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