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Zitierhinweis
Daniel Graña-Behrens: Rezension von: Berthold Riese: Das Reich
der Azteken. Geschichte und Kultur, München: C.H.Beck 2011, in
sehepunkte 11 (2011), Nr. 9 [15.09.2011],
URL:http://www.sehepunkte.de/2011/09/19369.html
First published: http://www.sehepunkte.de/2011/09/19369.html
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sehepunkte 11 (2011), Nr. 9
Berthold Riese: Das Reich der Azteken
Nach längerer Zeit ist endlich wieder ein deutschsprachiges Buch über
die Azteken erschienen. Berthold Riese, vormals Professor für
Altamerikanistik an der Universität Bonn, hat wie sein bereits zuvor
emeritierter Bonner Kollege Hanns Prem [ 1 ] nunmehr im gleichen
Verlag seine Sicht über die Kultur und Geschichte der Azteken dargelegt.
Um es gleich vorwegzunehmen, Rieses Buch "Das Reich der Azteken Geschichte und Kultur" unterscheidet sich in wesentlichen Punkten von
Prem (1996) sowohl konzeptionell als auch inhaltlich. Gerade deswegen
aber ergänzen sich beide.
Im Gegensatz zu Prems kürzerer Darstellung der politisch-territorialen
sowie wirtschaftlichen Organisation der Azteken liegt Rieses
Schwerpunkt vorrangig auf der Erschließung der Lebensläufe der
wichtigsten aztekischen Herrscher. Sie werden chronologischgenealogisch, angefangen bei Acamapichtli bis zum letzten von den
Azteken selbst gewählten Herrscher Quauhtemoc, abgearbeitet. Dabei
werden diese Herrscher in den Kapiteln IV bis VII grob den historischen
Perioden frühdynastische Zeit, Konsolidierung und Expansion, das
Zerbrechen des Reiches sowie spanische Eroberung und Kolonialzeit
zugeordnet.
Allerdings hört Riese nicht wie meist üblich bei Quauhtemoc auf, sondern
verweist im Kapitel IX zudem auf wichtige Nachfahren der aztekischen
Herrscher, die bis Mitte des 16. Jahrhunderts aus Gründen der
Machtkontrolle seitens der Spanier allesamt von diesen noch als
Adlersprecher, das heißt als Herrscher über die Azteken, nominiert
wurden. Ebenfalls Erwähnung finden verschiedene weitere aztekische
Adlige und ihre Rolle nach der spanischen Eroberung. Damit bietet der
Autor Einblicke in ein Kapitel aztekischer Geschichte, das nach wie vor
unterbelichtet ist.
Die Lebensläufe der aztekischen Herrscher und Nachfahren werden von
Riese ausgiebig auf wesentliche Persönlichkeitsmerkmale,
Verwandtschafts- und Heiratsbeziehungen sowie auf Erfolg und
Misserfolg in der Herrschaft durchleuchtet. Angereichert werden diese
wiederum durch einprägsame Episoden oder Anekdoten wie die
Brautwerbung des aztekischen Herrschers Huitzilihuitl (121f.) oder in
einem anderen Zusammenhang die pittoreske Liebeskrankheit einer
Prinzessin (235). Schließlich werden die einzelnen
Herrscherdarstellungen um weitere wichtige die aztekische Geschichte
und Kultur betreffende sachthematische Zusammenhänge erweitert.
Hierzu zählen Geburt und Erziehung, Namensgebung, Sexualität,
Krankheit, Umwelt, Kriege, Feste, Rituale sowie Tod und Bestattung. In
diesem Sinne wird das Buch auch dem Untertitel "Geschichte und Kultur"
gerecht.
Methodisch werden vom Autor ausschließlich in der aztekischen Sprache
Nahuatl verfasste Quellen (allesamt durch die Eroberung bedingt erst in
der Kolonialzeit entstanden bzw. kopiert) verwendet. Das heißt, Riese
verzichtet in seiner Interpretation bewusst auf eine
wissenschaftskritische Auseinandersetzung mit Forschungsansätzen aus
der Sekundärliteratur. Hierin liegt auch ein Manko, wenn man sein Buch
unter einem solchen Begutachtungspunkt zu Rate zieht. Nimmt man sich
hingegen seiner Sichtweise an, nur durch Verwendung der genannten
Quellen gewissermaßen empathisch in die Kultur und Geschichte der
Azteken einzudringen (9), so ist sein Ansatz, wenn auch nicht neu,
zumindest vertretbar.
Für einige der wichtigsten von ihm verwendeten Quellen findet sich auch
eine kurze, aber dennoch ansprechende Erläuterung zur Quellengenese
(54ff.). Seine Form der Quellennutzung hat auch eine praktische Seite:
der Leser wird häufig mit von ihm oder anderen Autoren ins Deutsche
übersetzten Originalzitaten beglückt. Dadurch wird auch ein gewisser
Einblick in die aztekische Erzähl- und Denkweise gegeben.
Lesern, die sich erstmals mit der aztekischen Geschichte und Kultur
anhand seines Buches vertraut machen, wird allerdings empfohlen, nach
den ersten drei einleitenden Kapiteln über Herkunft, Sprache, Schrift
und Kalender und Einordnung der Azteken in Mesoamerika, zunächst
unmittelbar das Kapitel VIII zu studieren. Denn in diesem werden nicht
nur, wie die Kapitelüberschrift es besagt, das "Muster einer
Herrschervita", sondern auch einige weitere wichtige Merkmale
aztekischer und mesoamerikanischer Kultur, wie zum Beispiel Kindheit,
Amtseinsetzung, herrschaftliche Rituale und Macht sowie Tod und
Bestattung, zusammenfassend besprochen. Damit gerüstet werden die in
die Lebensläufe der Herrscher eingebetteten sachthematischen
Abhandlungen in den Kapiteln IV bis VII leichter verständlich.
Während viele kulturelle Eigenschaften vom Autor thematisiert werden,
bleibt er die Antwort schuldig, was eigentlich mit "aztekischem Reich"
gemeint ist. Auch die Bedeutung der Wahrsagerei für politische
Geschicke, allen voran in Bezug auf die Ankunft der Spanier, und damit
einhergehend die daraus resultierenden internen Konflikte werden von
Riese nur ansatzweise erläutert (258ff.). Gerade aber diese kulturelle
Logik ist zentral, um zu verstehen, warum eine so gut durchorganisierte
Gesellschaft, die es gewohnt war, Kriege zu führen, gegen eine relativ
kleine spanische Truppe, wenn auch von anderen Einheimischen
unterstützt, sich nicht zur Wehr zu setzen wusste. [ 2 ] Desweiteren
fehlen für das von Riese behandelte zentrale Thema der aztekischen
Herrschaft wichtige Forschungsarbeiten, in deren Mittelpunkt selbst
aztekische Primärquellen stehen, wie die deutschsprachige Analyse der
aztekischen Thronreden. [ 3 ]
Inhaltlich bleibt noch anzumerken, dass der Autor an einigen Stellen
zwar die Bedeutung der Azteken auch für das kulturelle Gedächtnis im
modernen Mexiko anspricht (61ff.), jedoch im Epilog nur auf zwei im
zeitgenössischen Mexiko weiterhin in Erinnerung gehaltene aztekische
Herrscher verweist. Hier hätte man sich unter Einbeziehung der durch
die Unabhängigkeit Mexikos im 19. Jahrhundert ausgerichteten neuen
Staatsdoktrin auf die "Mexica" (wie sich die Azteken nach ihrer
Sesshaftwerdung eigentlich selbst nannten), gerne auch ein weit
ausführlicheres Kapitel zu diesem Thema gewünscht. [ 4 ]
Das Buch ist mit etlichen Illustrationen versehen, von denen viele vom
Autor anschaulich und ausführlich kommentiert sind. Dies gilt
insbesondere für die Darstellung der Herrschernamen aus den von ihm
verwendeten Quellen der frühen Kolonialzeit. Weniger gut gelungen ist
die kartographische und die illustrative Aufarbeitung der Genealogie. So
findet sich in den ersten drei Kapiteln keine Karte, die dem Leser einen
Überblick über das "aztekische Reich" von den Anfängen bis zum Zerfall
durch die spanische Herrschaft verschafft. Man muss sogar erst fast zum
Ende des Buches gehen (296, Karte 5), um sich anhand einer dort
vorhandenen Karte die Seenlandschaft vor Augen zu führen, von der
zuvor immer wieder gesprochen wird. Auch werden die Herrscher in
ihrer Abfolge nur über die einzelnen Kapitel gut fassbar oder man muss
sich der brauchbaren Zeittafel wiederum am Ende des Buches bedienen.
Von Vorteil sind hingegen das Vorhandensein und die Gestaltung des
Registers. Hier findet man alle wichtigen im Buch verwendeten Begriffe
wieder, sogar mit Übersetzung der aztekischen ins Deutsche.
Zusammenfassend ist Rieses Buch eine Bereicherung in der Darstellung
aztekischer Geschichte und Kultur, wenngleich kein Buch mit explizit
forschungskritischer Ausrichtung und Interpretation. Es ist vermutlich
daher eher für den sehr interessierten Laien gedacht, der keine
populistische Darstellung, aber ebenso wenig eine allzu
wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der aztekischen Kultur und
Geschichte wünscht. Für jeden anspruchsvollen Mexiko-Interessierten
sollte es aber eine Pflichtlektüre sein.
Anmerkungen :
[ 1 ] Hanns Prem: Die Azteken. Geschichte, Kultur und Religion.
München 1996.
[ 2 ] Vgl. Daniel Grana-Behrens: Der Zerfall des aztekischen Staates in
Zentralmexiko 1516-1521, in: John Emeka Akude u.a. (Hgg.): Politische
Herrschaft jenseits des Staates. Zur Transformation von Legitimität in
Geschichte und Gegenwart. Wiesbaden 2011, 53-82.
[ 3 ] Claudine Hartau: Herrschaft und Kommunikation. Analyse
aztekischer Inthronisationsreden aus dem Codex Florentinus des Fray
Bernardino de Sahagún. Hamburg 1988.
[ 4 ] Vgl. Daniel Grana-Behrens: Lateinamerikas Erinnerungskultur am
Beispiel von Guatemala und Mexiko - Ein Streifzug durch die neuzeitliche
Kulturpolitik beider Regionen, in: Sarah Albiez / Sophie Müller (Hgg.):
China und Lateinamerika. Ein transpazifischer Brückenschlag.
Lateinamerika im Fokus. Bd. 4. Berlin 2007, 87-135.
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