Die Antike: Rom

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Politische Bildung
Geschichte und Geschehen
für berufsbildende höhere Schulen
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Die Antike: Rom
Der Tyrannenmord in der Geschichte
Das Thema „Tyrannenmord“ wird auf der Seite zur Politischen Bildung an einem konkreten Beispiel festgemacht,
nämlich dem Mord an Caius Iulius Caesar. Die Verschwörer beriefen sich ja bekanntlich darauf, sie hätten das Entstehen einer Despotie, die neuerliche Einführung der in Rom verpönten Erbmonarchie, verhindern wollen. Davon
ausgehend werden dann aber grundsätzliche Fragen gestellt, einerseits zum Begriff des „Tyrannen“, andererseits zu
den moralischen bzw. ethischen Implikationen der Tötung eines „Tyrannen“. Wir werden an dieser Stelle versuchen,
die zuletzt genannten Aspekte ein wenig zu vertiefen, zumal sich auch der Projekttipp darauf bezieht.
„Tyrann“
Der Begriff kommt aus dem Griechischen; das Nomen „týrannos“ meint soviel wie „Gebieter“, „Herrscher“, oder eben
auch „Gewaltherrscher“. Es bezieht sich auf die Herrschaftsform der „tyrannís“, zunächst einfach nur „unumschränkte Herrschaft“, später „angemaßte Herrschaft“ oder „Gewaltherrschaft“. Vor allem in den griechischen Kolonien im
Süden der italienischen Halbinsel, namentlich auf Sizilien, etablierten sich während des 6. Jahrhunderts v. Chr. „tyranneis“, ohne dass der Begriff von Anfang an negativ konnotiert gewesen wäre. Spätestens seit Platon wird der
Begriff ausschließlich negativ bewertet. In der „Politeia“ (544a ff.) stuft er die Tyrannis als schlechteste aller Herrschaftsformen ein. Seitdem verweisen die Substantive „Tyrann“, „Tyrannis“, „Tyrannei“ auf eine gewaltförmige, brutale Herrschaftsform, die sich weder durch Gesetze noch durch die Bedürfnisse der Untertanen beeindrucken lässt.
In die deutsche Sprache hat der Begriff „Tyrann“ im 16. Jahrhundert Eingang gefunden, das Wort „Tyrannei“ schon
zweihundert
Jahre
davor.
Ein „Tyrann“ oder „Despot“ ist also ein gefährlicher Mensch, ein Herrscher, der auf Gewalt und Unterdrückung setzt,
der Recht und Gesetz bestenfalls als Parodien gelten lässt und der sich bestimmt nicht per Volksentscheid aus dem
Amt wird entfernen lassen. Mit friedlichen oder rechtsstaatlichen Mitteln ist ihm, sobald er seine Herrschaft einmal
ausübt, kaum beizukommen.
Was tun?
Wenn es denn so einfach wäre, ließe sich hierauf vielleicht rasch eine halbwegs befriedigende Antwort finden. Aber
die Art Herrscher, die oben beschrieben wurde, kommt in Reinform eben nicht allzu häufig vor. Eher begegnen Gewaltherrscher, die versuchen, den eigentlichen Gehalt ihrer Herrschaft zu verbergen, die zumindest bestimmte
rechtsstaatliche Strukturen und politische Institutionen aufrechterhalten, um von den tatsächlichen Verhältnissen
abzulenken. Wo verlaufen denn die Grenzen? Ist ein Regime schon tyrannisch, weil es beispielsweise die Befugnisse
der Höchstgerichte einschränkt oder unterläuft? Das geschieht in demokratischen Gemeinwesen häufiger als für
diese Gemeinwesen gut ist, und dennoch wird man nicht gleich von Despotie reden wollen. Oder beginnt die Tyrannei dort, wo Minderheitenrechte nicht ernst genommen werden? Auch das erleben wir gerade hierzulande leider
allzu oft und sind doch kaum je bereit, die entsprechenden Politiker als Tyrannen zu bezeichnen. Muss es also zu
offenen Gewaltausbrüchen staatlicher Organe kommen? Aber das geschieht doch ebenfalls, man schlage im alljährlichen Report von Amnesty International die Beiträge zu Österreich nach. Muss es also systematische Gewalt sein?
Ist die Errichtung von Konzentrationslagern oder Gulags erforderlich, damit wir von Gewaltherrschaft sprechen
können? Und wäre es dann legitim, mit Gewalt gegen die Gewalt vorzugehen, um dem Übel ein Ende zu bereiten?
Widerstandsrecht: logische und rechtliche Probleme
Es muss ja nicht gleich der Tyrannenmord sein. Ganz allgemein stellt sich die Frage, ob es rechtens sei, gegen bestimmte Formen staatlichen Handelns Widerstand zu leisten. Das kommt, ließe sich sagen, darauf an: Solange der
Widerstand gegen kein Gesetz verstößt, ist er legal, sonst nicht. Eine solche „Lösung“ hilft aber gerade dann nicht
weiter, wenn Rechtsnormen dazu instrumentalisiert werden, eine unmenschliche und grausame Regierung zu stürzen. Das nationalsozialistische Regime etwa, das unstrittig in die Rubrik „Gewaltherrschaft“ eingeordnet werden
kann, ist auf der Grundlage einer demokratischen Wahl „an die Macht“ gekommen und hat – zumindest in den Anfangsjahren – versucht, seine menschenverachtende Politik auf eine formaljuristisch korrekte Basis zu stellen. In
einem solchen Fall also hilft die Unterscheidung von vorhin nicht weiter.
Nun enthält die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland, das „Bonner Grundgesetz“, einen Passus, der (scheinbar?) ein Recht auf Widerstand einräumt. Sie lautet: „Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung [also jene des
Grundgesetzes, Anm. d. Verf.] zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe
nicht möglich ist.“ (Art. 20 Abs. 5 Grundgesetz [GG]). Dieses Konzept wird vom deutschen Verfassungsgerichtshof,
© Österreichischer Bundesverlag Schulbuch GmbH & Co. KG, Wien 2010 | www.oebv.at | Geschichte und Geschehen für berufsbildende höhere Schulen, Band 1 | ISBN 978-3-209-06279-6
Alle Rechte vorbehalten. Von dieser Druckvorlage ist die Vervielfältigung für den eigenen Unterrichtsgebrauch gestattet.
Autor: Gerhard Donhauser
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dem Bundesverfassungsgericht, als Ausdruck einer „wehrhaften, streitbaren Demokratie“ gewertet. Sie diene dem
„Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland“. Hilft uns eine solche
Regelung für unsere Fragestellung weiter? Es ist doch so: Jemand versucht, das deutsche politische System umzustürzen, die geltende Verfassung auszuhebeln. Solange diese Verfassung gilt, hat zumindest jeder deutsche Staatsbürger selbstverständlich das Recht, dagegen anzugehen. Das müsste im Grunde gar nicht eigens dekretiert werden, zumal die zitierte Norm nichts über die erlaubten Mittel des Widerstandes aussagt. Gelingt jedoch der Umsturz, wird das Grundgesetz außer Kraft gesetzt und durch eine andere, despotische Verfassung ersetzt, ist der
Widerstand sogleich wieder illegal, weil er sich nicht mehr auf geltendes Recht berufen kann. Abgesehen davon:
Wie verhält es sich mit Widerstand gegen moralisch fragwürdige Rechtsnormen, die auf Basis des Grundgesetzes
erlassen werden? Die Frage des Widerstandsrechts ist, so scheint es jedenfalls, mit juristischen Mitteln überhaupt
nicht lösbar, höchstens im Nachhinein. Denn eine Rechtsnorm, die den Widerstand gegen andere geltende Rechtsnormen erlaubte, würde das Rechtssystem an sich in Frage stellen. Und ein Widerstand, der nur möglich ist, solange
die ihn erlaubende Rechtsnorm gilt, läuft im Zweifelsfall sehr rasch Gefahr, illegal zu werden.
Ethisch-moralische Probleme: Inhaltliche Anregungen zum Projekttipp
Wir haben es also mit einem im Wesentlichen moralischen oder ethischen Problem zu tun. An dieser Stelle werden
wir weder auf den begrifflichen Unterschied zwischen Moral und Ethik eingehen noch die Frage aufwerfen, welche
moralischen oder ethischen Annahmen Widerstand gegen ein politisches System begründen können. Nur eines sei
betont: Es gibt keine für alle Menschen überhaupt oder auch nur innerhalb einer Gesellschaft allgemein gültige
Moral. Moralische oder ethische Überzeugungen sind unterschiedlich, manche stehen sogar in offenem Widerstreit
zueinander. So wird die Anhängerin einer aufgeklärt-philosophischen Ethik vermutlich anders über die Möglichkeit
eines legalen Schwangerschaftsabbruchs denken als etwa der Verfechter einer konservativen religiösen Moral.
Beide berufen sich aber auf moralische Überzeugungen, und per se ist die Moral der einen nicht besser oder
schlechter als die des anderen. Wie in diesem Fall wird im Zweifel jede/r Einzelne nach ihren / seinen Überzeugungen entscheiden müssen. Fraglos sind manche besser begründbar als andere, aber eine gemeinsame moralische
„Metaregel“, die eine für alle verbindliche Entscheidung erlauben würde, gibt es nicht.
Im Projekttipp wird auf ein Gebot aus dem Dekalog verwiesen. Der Dekalog bildet im Referenzrahmen europäischer
Kulturen für viele Menschen eine Richtschnur moralischen Handelns. Widersprüche werden dabei häufig übersehen.
So ist es für Menschen, die nicht gläubig oder religiös sind, unmöglich, die ersten drei Gebote des Dekalogs zu befolgen. Diese bilden aber gewissermaßen den Geltungsgrund des gesamten Regelwerks. Zudem sind die einzelnen
Gebote sehr apodiktisch formuliert, so auch dieses hier: „Du sollst nicht töten.“ Schon die fünf Bücher Mose, aus
dessen zweitem der Dekalog stammt, machen hier zahlreiche Ausnahmen, insbesondere im Bereich des Strafrechts
und der Kriegsführung. Zudem gilt das Gebot von vornherein allein in Bezug auf Menschen, nicht etwa auch auf
Tiere. Ähnlich apodiktische Formulierungen finden sich in modernen Strafrechtskodifikationen. Aber auch dabei
finden sich verschiedene Ausnahmen. Die nächstliegende ist, dass die Tötung in Notwehr erfolgte, um also „einen
unmittelbaren oder unmittelbar drohenden Angriff“ abzuwehren. Gleiches gilt, wenn nicht der Täter selbst, sondern
eine andere Person angegriffen wurde. Man spricht in diesem Fall von Nothilfe.
Was also, wenn ein Politiker ein Buch wie „Mein Kampf“ schreibt, mithin übelste Gräueltaten ankündigt – und dann
Regierungschef wird? Vielleicht auch erste Schritten setzt, um sein Programm Wirklichkeit werden zu lassen? Darf
man ihn dann töten, sofern sich die Gelegenheit dazu bietet?
Diese Frage ist schlichtweg nicht abschließend beantwortbar. Es ließe sich sagen, man müsse abwarten, erst wenn
er so richtig loslegt, sei es legitim, ihn mit Gewalt aufzuhalten. Auch lässt sich der Standpunkt vertreten, jedes Leben sei heilig, man dürfe Leben nicht quantifizieren. Vielmehr müsse man versuchen, dem Übel mit friedlichen Mitteln zu begegnen. Wenn das aber nicht möglich ist? Warum soll außerdem das Leben des Despoten immer und
unter allen Umständen ebensoviel wert sein wie das seiner Opfer? Wäre es dann nicht im Ergebnis vielleicht sogar
mehr wert?
Wir bewegen uns hier also auf einem sehr heiklen Terrain moralischer Fragestellungen, die letzten Endes auf Gewissensentscheidungen der / des Einzelnen hinauslaufen und auf die es immer mehr als nur eine vertretbare Antwort gibt. Solche Fragen begegnen im Leben immer wieder, auch wenn die Konsequenzen oft nicht so radikal oder
brisant sind. Und genau um diese Ambivalenzen geht es bei dem Projekt: Die Schülerinnen und Schüler sollten
selbst die Erfahrung machen, welch enorme Schwierigkeiten scheinbar klare moralisch-ethische Fragestellungen
aufwerfen. Gerade in diesem Bereich ist mit einfachen Lösungen und schlichten Handlungsanweisungen niemandem geholfen. Eine solche Einsicht wäre jedoch von höchster Bedeutung für vernünftiges und verantwortungsvolles
politisches Denken und Handeln.
© Österreichischer Bundesverlag Schulbuch GmbH & Co. KG, Wien 2010 | www.oebv.at | Geschichte und Geschehen für berufsbildende höhere Schulen, Band 1 | ISBN 978-3-209-06279-6
Alle Rechte vorbehalten. Von dieser Druckvorlage ist die Vervielfältigung für den eigenen Unterrichtsgebrauch gestattet.
Autor: Gerhard Donhauser
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