Joseph A. Schumpeter, Capitalism, Socialism, Democracy

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Joseph A. Schumpeter
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Oscar Molina/Martin Rhodes, Corporatism. The Past, Present, and Future of a Concept,
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Florian Hartleb
Joseph A. Schumpeter, Capitalism, Socialism,
Democracy, New York 1942
(DA: Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, Bern 1950; VA: 7.
Aufl., Tübingen/Basel 1993).
Joseph Alois Schumpeter (1883-1950) lehrte an den Universitäten Czernowitz, Graz und Bonn. 1932 folgte nach zwei Gastprofessuren ein Ruf nach
Harvard. Darüber hinaus war er zeitweise – allerdings mit weit weniger Erfolg – in der Privatwirtschaft und der Politik tätig. Zu seinen Hauptwerken
zählen neben dem erstmals 1942 auf Englisch erschienenen Spätwerk „Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie“ seine Habilitationsschrift „Das Wesen und der Hauptinhalt der theoretischen Nationalökonomie“ (1908), die
umfangreiche Arbeit „Konjunkturzyklen: Eine theoretische, historische und
statistische Analyse des kapitalistischen Prozesses“ (1939) sowie die postum
von seiner Frau herausgegebene „Geschichte der ökonomischen Analyse“
(1954). Schumpeter verstand sich Zeit seines Lebens als Vertreter einer umfassenden Wirtschaftstheorie, die über das herkömmliche enge neoklassische
Konzept hinausgeht und an die klassischen Traditionen der Politischen Ökonomie anknüpft. Sein Interesse richtet sich immer auch auf die wechselseitige Abhängigkeit von Wirtschaft und Politik und die sozio-kulturelle Einbettung wirtschaftlicher Transaktionen. Vor diesem Hintergrund gilt Schumpeter als einer der zentralen Gründungsväter der neuen, an dem Programm von
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Max Weber (→ Weber 1922) orientierten „Sozialökonomik“, das ökonomische und sozialwissenschaftliche Theorien, wirtschaftssoziologische Fragestellungen, Geschichte und Statistik zu einer gemeinsamen Konzeption verbindet (Swedberg 1991). Für die Politikwissenschaft sind insbesondere die in
seinem bekanntesten Werk Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie entwickelten Überlegungen zur Kapitalismus- und Demokratietheorie von Bedeutung.
Schumpeter argumentiert in einer ausführlichen Auseinandersetzung mit
Karl Marx im ersten Teil des Buches, der Kapitalismus werde scheitern und
durch den Sozialismus verdrängt. Im Gegensatz zu Marx geht nach Schumpeter der Kapitalismus aber nicht aufgrund seiner Misserfolge, sondern aufgrund seiner Erfolge unter. Kernpunkt der Argumentation im zweiten Teil
des Buches ist die Sichtweise, der Wirtschaftsprozess sei ein Prozess der
„schöpferischen Zerstörung“ (S. 138). Motor der erfolgreichen wirtschaftlichen Entwicklung im Kapitalismus seien Produkt- und Verfahrensneuerungen, die alte Produkte und Produktionsmethoden verdrängen. Dieser Prozess
werde von den Aktivitäten der Unternehmer getragen, die damit ihre Existenz sicherten, sei für sie aber zugleich mit hohen Kosten und Risiken verknüpft, weshalb Großunternehmen aufgrund ihrer Vorteile bei der Entwicklung und Durchsetzung von Innovationen zunehmend an Bedeutung gewännen. Die Folge seien oligopolistische Marktstrukturen (= wenige Unternehmen beherrschen den Markt) und eine zunehmende Dominanz der Aktionäre
und der in den Großunternehmen tätigen Bürokraten und Technokraten mit
ihren besonderen Interessen und vor allem vergleichsweise geringen Betriebsbindungen. Diese Verhältnisse verdrängten den klassischen Eigentümer-Unternehmer und zerstörten den institutionellen Rahmen des Kapitalismus. Das spezifische und für den Wirtschaftsprozess wesentliche Eigentumsinteresse des Unternehmers verschwinde von der Bildfläche. Ebenso verliere
das freie Vertragsrecht an Bedeutung, denn unter den Bedingungen einer
zunehmenden Konzentration und Bürokratisierung der Wirtschaft bieten die
standardisierten Regelungen nur noch eine beschränkte Wahlfreiheit. Dies
gelte besonders für den Arbeitsmarkt. „So schiebt der kapitalistische Prozess
alle jene Institutionen, namentlich die Institutionen des Eigentums und des
freien Vertragsrechts, die einst die Bedürfnisse und die Formen der wahrhaft
´privaten´ Wirtschaftstätigkeit ausgedrückt hatten, in den Hintergrund“ (S.
230). Zugleich untergrabe der Kapitalismus seine schützenden „aristokratischen Schichten“, die den politischen Rahmen für den wirtschaftlichen Erfolg garantierten. In der Folge greife eine wachsende Ablehnung der kapitalistischen Wirtschaftsordnung unter den Intellektuellen um sich und es zer-
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breche die „kapitalistische Ethik“ (S. 259), nach der die Ansichten und Motive der Unternehmer vor allem durch die Sorge um ihre Familien geprägt
wurden. In der kapitalistischen Gesellschaft verlören aber, so die Analyse
von Schumpeter, aufgrund der Rationalisierung des gesamten Lebens die
bürgerliche Familie und vor allem die Kinder immer mehr an Bedeutung.
Auf diese Weise würden der kapitalistischen Gesellschaft ihre ökonomischen, sozialen und kulturellen Fundamente entzogen, woraus sich die entscheidende Schlussfolgerung Schumpeters ergibt: „[D]em kapitalistischen
System wohnt eine Tendenz zur Selbstzerstörung inne“ (S. 261).
Das Resultat dieser Entwicklung ist nach Schumpeter der Übergang zu
einem sozialistischen System, „in dem die Kontrolle über die Produktionsmittel und über die Produktion selbst einer Zentralbehörde zusteht“ (S. 268).
Auf die Funktions- und Leistungsfähigkeit dieses Systems geht er im dritten
Teil und auf die Vereinbarkeit des Sozialismus mit einer demokratischen
Ordnung im vierten Teil des Buches ausführlich ein. Vom Sozialismus erwartet Schumpeter grundsätzlich eine größere wirtschaftliche Effizienz, insbesondere weil die Mechanismen der Konjunkturzyklen in weit geringerem
Maße als in der kapitalistischen Marktwirtschaft wirksam seien. Dabei
schließen sich nach seiner Einschätzung die Funktionsbedingungen einer
sozialistischen Gesellschaft und ihre demokratische Organisation keineswegs
aus. Grundlage seiner Argumentation ist die Definition von Demokratie.
Demokratie sei nämlich eine „politischen Methode“ (S. 384) und nicht ein
normatives Ziel oder ein Wert, der für sich selber stehe. Ausdrücklich wendet er sich gegen die Vorstellungen der klassischen Demokratielehre, nach
der die demokratische Methode jene institutionelle Ordnung zur Erzielung
politischer Entscheidungen ist, „die das Gemeinwohl dadurch verwirklicht,
dass sie das Volk selbst die Streitfragen entscheiden lässt und zwar durch die
Wahl von Personen, die […] seinen Willen auszuführen“ (S. 397). Nach
Schumpeters Ansicht gibt es kein eindeutig bestimmbares Gemeinwohl, weil
„verschiedenen Individuen und Gruppen das Gemeinwohl mit Notwendigkeit
etwas Verschiedenes bedeuten muss“ (S. 399). Daher setzt er gegen die klassische Vorstellung seine berühmt gewordene Definition von Demokratie.
Demokratie ist für ihn die „Ordnung der Institutionen zur Erreichung politischer Entscheidungen, bei welcher einzelne die Entscheidungsbefugnis vermittels eines Konkurrenzkampfes um die Stimmen des Volkes erwerben“ (S.
428). Mit der Betonung des Konkurrenzkampfes um die politische Führung
verfolgt Schumpeter im Anschluss an Max Weber ein elitenorientiertes Konzept, das allerdings im Unterschied zu Webers Konzeption stärker auf einer
Analogiebildung zur wirtschaftlichen Sphäre beruht. Demnach entsprechen
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den Konsumenten im ökonomischen Sektor die Wähler im politischen Bereich, deren Nachfrage sich auf bestimmte politische Maßnahmen oder Programme richtet. Als Anbieter treten entsprechend den Gewinn maximierenden Unternehmern die Politiker bzw. Parteien auf, die um die Stimmen der
Wähler konkurrieren. Und wie die Tauschbeziehungen im ökonomischen
Bereich lediglich indirekt zur gesellschaftlichen Wohlfahrt beitragen, wird
auch die soziale Funktion der Politik, nämlich Gesetze hervorzubringen, nur
nebenher erfüllt, als Nebenprodukt des Wettbewerbs um die Stimmen der
Wähler. Diese Sichtweise ist nach Schumpeter wesentlich näher an der Wirklichkeit als eine gemeinwohlorientierte Konzeption: „Aber um zu verstehen,
wie die demokratische Politik diesem sozialen Ziele dient, müssen wir vom
Konkurrenzkampf um Macht und Amt ausgehen und uns klar werden, dass
die soziale Funktion, so wie die Dinge nun einmal liegen, nur nebenher erfüllt wird – im gleichen Sinne wie die Produktion eine Nebenerscheinung
beim Erzielen von Profiten ist“ (S. 448). Das Gemeinwohl ist für Schumpeter
nicht wie in der klassischen Demokratielehre eine exogen vorgegebene Größe. Es sei nicht „stets einfach zu definieren“ und „jedem normalen Menschen
mittels rationaler Argumente sichtbar“ (S. 397) zu machen. Gemeinwohl sei
vielmehr das nicht-intendierte Produkt des politischen Prozesses. Dieser
Prozess funktioniere vor allem dann, wenn die entsprechenden bürokratischen Voraussetzungen gegeben seien, die große Mehrheit der Bevölkerung
demokratische Einstellungen teile und ein sozialer Konsens in der Gesellschaft bestehe. Negative Folge der Konkurrenzbeziehungen auf dem politischen Markt ist nach Schumpeter die Tendenz zu einer kurzfristigen, an
Wahlterminen orientierten Politik, die die Berücksichtigung längerfristiger
gesellschaftlicher Interessen außerordentlich schwierig mache. Dieses Problem sei auch deshalb gefährlich, weil nach seiner Einschätzung der typische
Bürger schlecht informiert und daher auch in großem Maße beeinflussbar ist.
Die Überlegungen Schumpeters zur Funktionsweise demokratischer
Prozesse und zur Entwicklung des Kapitalismus sind vor allem aufgrund
ihres umfassenden und integrativen Zugriffs von großer Bedeutung. In dieser
Hinsicht zählt „Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie“ zu den modernen Klassikern der Sozialwissenschaften. Die Folgerungen, die Schumpeter
aus der Problematik wirtschaftlicher Konzentration und des damit verbunden
sozial-kulturellen Wandels zieht („Sieg des Sozialismus“), sind allerdings
nicht schlüssig und vor allem aus heutiger Sicht kritikbedürftig. Zudem hielt
man Schumpeter die ungenügende Präzisierung seiner Überlegungen im
Rahmen mathematischer Modelle vor, die seit der so genannten „marginalistischen Revolution“ Ende des 19. Jahrhunderts in weiten Teilen der Ökono-
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mie zentraler Bestandteil der Analysen sind. In der Politikwissenschaft ist
demgegenüber besonders der mangelnde substantielle Gehalt seiner Idee von
Demokratie als einem marktbestimmten, formalen Verfahren der Führerauslese kritisiert worden. Mit dieser Vorstellung vernachlässige Schumpeter die
inhaltliche Bedeutung und den eigentlichen Sinn demokratischer Prozesse
und könne auch nicht erklären, wie vor dem Hintergrund des angenommenen
Übergewichts schlecht informierter Wähler eine kompetente Führung zustande komme (z.B. Santoro 1993). Die Bedeutung der letztgenannten Kritikpunkte hängt allerdings von der Perspektive ab. Im Rahmen der vorherrschenden Kritik an der unzureichenden Formalisierung der Überlegungen
wird sein Konzept einer wissenschaftlich breiten und kultursoziologisch
informierten Wirtschaftsanalyse häufig vernachlässigt. Erst seit den 1980er
Jahren gibt es eine zunehmende Wiederentdeckung der Überlegungen
Schumpeters in den Arbeiten der Sozialökonomik und evolutorischen Ökonomik (Swedberg 2003). Sie verdeutlichen, dass die wirtschaftspolitischen
Konsequenzen seiner Überlegungen von andauernder Aktualität sind. Dies
betrifft zum Beispiel die Bedeutung innovatorischer Unternehmer für die
dynamische Entwicklung kapitalistischer Volkswirtschaften, die Beschränkungen einer keynesianischen Stabilitätspolitik unter den Bedingungen oligopolistischer Marktstrukturen oder die der kapitalistischen Marktwirtschaft
eigenen Grenzen, die im Anschluss an Schumpeter Thema vieler weiterer
Untersuchungen wurden (Weede 1990). Darüber hinaus spielt in der empirisch-analytischen Politiktheorie die von normativen Vorstellungen geprägte
Kritik am Demokratiebegriff als reine Methode der Machtübertragung nur
eine nachrangige Rolle. Schumpeter gilt als Wegbereiter der einflussreichen
Ökonomischen Theorie der Demokratie, die auf Grundlage der Begriffe und
Denkweisen der Wirtschaftswissenschaften die Beziehungen und Prozesse in
politischen Systemen analysiert (Kunz 2004). Insbesondere Anthony Downs
hat an diese Überlegungen angeknüpft und das Marktmodell in umfassender
Weise auf die Politik übertragen (→ Downs 1968). In diesem Zusammenhang wurden auch die Grenzen des demokratischen Verfahrens eingehend
untersucht (→ Arrow 1951). Der grundlegende Gedanke Schumpeters der
sozio-kulturellen Prägung des politischen und wirtschaftlichen Handelns und
seine große interdisziplinäre Ausrichtung wurden allerdings auch in diesem
Rahmen lange vernachlässigt und finden erst in neuerer Zeit wieder zunehmende Beachtung.
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Theda Skocpol
Literatur:
International Joseph A. Schumpeter Society, Generalsekretär Horst Hanusch,
http://www.wiwi.uni-augsburg.de/vwl/hanusch/iss (Stand: 20. Juli 2006).
Volker Kunz, Rational Choice, Frankfurt a.M./New York 2004.
Emilio Santoro, Democratic Theory and Individual Autonomy. An Interpretation of
Schumpeter’s Doctrin of Democracy, in: European Journal of Political Research 23
(1993), S. 121-143.
Richard Swedberg, Joseph A. Schumpeter: His Life and Work, Cambridge 1991.
Richard Swedberg, Principles of Economic Sociology, New York 2003.
Erich Weede, Wirtschaft, Staat und Gesellschaft, Tübingen 1990.
Volker Kunz
Theda Skocpol, States and Social Revolutions.
A Comparative Analysis of France, Russia, and China,
Cambridge 1979.
Als Schülerin von Barrington Moore an der Harvard University hatte Theda
Skocpol (geb. 1947) 1973 drei bedeutende Kritikpunkte gegenüber dessen
großer vergleichender (Revolutions-)Analyse der sozialen Ursprünge von
Diktatur und Demokratie (→ Moore 1966) vorgebracht: 1. werde die relative
Stärke kommerzieller Antriebe für das Bürgertum oder einzelne soziale
Schichten nicht unabhängig vom Ergebnis (Demokratie, Faschismus und
Kommunismus) bestimmt. 2. werde die unabhängige Rolle staatlicher Organisation und staatlicher Eliten nicht hinreichend herausgearbeitet, und 3.
müsse der Modernisierungsprozess im internationalen Vergleich gesehen
werden (Skocpol 1973, S. 30). Im Kern legte sie damit bereits ihr eigenes
Forschungsprogramm vor.
Sie konzentriert sich in „States and Social Revolutions“ auf die drei
großen sozialen und politischen Revolutionen der Neuzeit in Frankreich,
Russland und China. Das Buch machte in seinem Erscheinungsjahr Furore,
errang zahlreiche Preise und wurde zunächst von der Fachkritik gepriesen.
Inzwischen hat sich relativ still, aber in den Argumenten umso nachhaltiger
eine recht kritische, teilweise ätzende Einschätzung zu etablieren versucht.
Einleitend diskutiert Skocpol alternative Theorien von Karl Marx, Ted Robert Gurr (→ Gurr 1970), Charles Tilly, Chalmers Johnson u.a. zur Erklä-
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