Nordsee 2099: Verlust der heimischen Fauna

Werbung
Nordsee 2099: Verlust der heimischen Fauna
PRESSEMELDUNG
02.06.2016
Modellierungen zeigen Artenschwund durch Klimawandel
Wilhelmshaven, den 02.06.2016. Im Jahr 2099 wird es in der
Nordsee deutlich weniger heimische Arten geben – dies
prognostizieren
Senckenberg-Wissenschaftler
in
einer
kürzlich im Fachjournal „Estuarine, Coastal and Shelf
Science“ erschienenen Studie. Durch die Erhöhung der
Wassertemperatur und des Salzgehaltes werden laut den
Modellierungen der Forscher über 60 Prozent der
bodenlebenden heimischen Fauna ihren Lebensraum in der
Nordsee verlieren. Etwa zwei Drittel der untersuchten Tiere
zieht es nach Norden, ein Drittel südwärts. Das deutschnorwegische Wissenschaftlerteam geht davon aus, dass die
freiwerdenden Lebensräume zukünftig von einwandernden
Arten besetzt werden.
Bedächtig gleitende Seesterne, flinke Krabben und im Sediment
lebende Muscheln – auf und im Boden der Deutschen Bucht tobt
das Leben. „Das könnte im Jahr 2099 aber schon ganz anders
aussehen“, erklärt Michael Weinert, Erstautor der Studie und
Doktorand bei Senckenberg am Meer in Wilhelmshaven und fährt
fort: „Wir haben die Auswirkungen des Klimawandels auf
benthische – also am und im Boden lebende – Organismen der
Nordsee bis ins Jahr 2099 modelliert.“
Das deutsch-norwegische Wissenschaftlerteam rund um Weinert
zeigt in seiner Studie, dass der globale Klimawandel und die damit
verbundene Erhöhung der Wassertemperatur und des
Salzgehaltes für 49 der 75 untersuchten Benthos-Arten den
Verlust ihres Lebensraumes bedeutet. „Wir haben Arten
ausgewählt, die entweder zur typischen Nordseefauna gehören,
wie beispielsweise die Nordseekrabbe (Crangon crangon), solche
die schon heute bedroht sind oder Arten, die eine bedeutende
Aufgabe im Ökosystem Nordsee spielen“, ergänzen Prof. Dr.
Ingrid Kröncke und Dr. Hermann Neumann, Ko-Autoren der Studie
bei Senckenberg am Meer.
Etwa 65 Prozent der auf dem Nordseeboden lebenden
Organismen sind zwar weiterhin in der Nordsee zu finden,
verlagern aber laut den Modellierungen ihren Lebensraum
nordwärts; am weitesten zieht es den Seestern Ophiothrix fragilis,
der bis zu 100 Kilometern in den Norden wandern wird. Bei der im
Sediment lebenden Fauna sind es sogar 77 Prozent der
untersuchten Arten, die aufgrund der erhöhten Temperaturen den
Weg gen Norden einschlagen. Aber auch in den Süden breiten
Kontakt
Michael Weinert
Senckenberg am Meer
Tel. 04421 - 9475-266
[email protected]
Prof. Dr. Ingrid Kroencke
Senckenberg am Meer
Tel. 04421 - 9475250
[email protected]
Judith Jördens
Pressestelle
Senckenberg Gesellschaft für
Naturforschung
Tel. 069- 7542 1434
[email protected]
Publikation
Michael Weinert, Moritz Mathis,
Ingrid Kröncke, Hermann
Neumann, Thomas Pohlmann,
Henning Reiss, Modelling climate
change effects on benthos:
Distributional shifts in the North
Sea from 2001 to 2099, Estuarine,
Coastal and Shelf Science,
Volume 175, 20 June 2016, Pages
157-168, ISSN 0272-7714,
http://dx.doi.org/10.1016/j.ecss.20
16.03.024.
Pressebilder
Wandert in der Zukunft weit in den
Norden: Der Seestern Ophiotrix
fragilis. © Senckenberg
SENCKENBERG GESELLSCHAFT FÜR NATURFORSCHUNG
Dr. Sören B. Dürr | Alexandra Donecker | Judith Jördens
Senckenberganlage 25 | D-60325 Frankfurt am Main
T +49 (0) 69 7542 - 1561
F +49 (0) 69 7542 - 1517
[email protected]
www.senckenberg.de
SENCKENBERG Gesellschaft für Naturforschung | Senckenberganlage 25 | D-60325 Frankfurt am Main
Mitglied der Leibniz Gemeinschaft
sich einige Arten aus: Der Einsiedlerkrebs Pagurus prideaux
beispielsweise wird wohl in Zukunft etwa 105 Kilometer weiter
südlich zu finden sein.
Grundlage für die Modellierungen der Wilhelmshavener
Meeresbiologen sind Modelldaten für Wassertemperatur und
Salinität von Dr. Moritz Mathis und PD Dr. T. Pohlmann (Institut für
Ozeanographie der Universität Hamburg und Max-Planck Institut
für Meteorologie, Hamburg) basierend auf dem Szenario A1B des
Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC). Das Modell
geht von einer Erhöhung der Wassertemperatur zwischen 0,15
und 5,4 Grad Celsius und der Salinität von durchschnittlich 1,7
Prozent aus und wurde wiederum mit eigenen LangzeitMessreihen aus der Nordsee korreliert.
„In der Deutschen Bucht und der südlichen Nordsee wird es einen
massiven Verlust der heimischen Fauna und wichtiger
‚Ökosystem-Ingenieure’ geben – mit Konsequenzen für die
gesamte Flora und Fauna der Nordsee“, erläutert Weinert. Fehlt
beispielsweise der Seeigel Echinocardium cordatum, wird das
Sediment weniger durchwühlt, organisches Material weniger
abgebaut und der Sauerstoffgehalt im Meeresboden sinkt. Der
Verlust solcher „Ökosystem-Dienstleister“ kann dazu führen, dass
die Nordsee weitere menschliche Einflüsse nicht mehr abpuffert,
die Wasserqualität sinkt und die Bestände von kommerziell
gefangenen Fischen zurückgehen.
„Wir erwarten zudem, dass sich einwandernde Arten in den
freigewordenen Lebensräumen ansiedeln“, fügt Kröncke hinzu und
fährt fort: „Bereits heute finden wir immer häufiger eingewanderte
Arten, wie beispielsweise die Pazifische Felsenauster aus
Südostasien im Watt oder die mediterrane Trapezkrabbe
Goneplax rhomboides in den Gewässern der Nordsee.“
Die durchschnittliche Wintertemperatur der Nordsee hat sich in
den letzten 25 Jahren um etwa 1,6 Grad erhöht – im letzten Jahr
gab es einen Wärmerekord. „Gut möglich, dass die von uns
modellierten Verschiebungen der Verbreitungsgebiete schon
früher eintreffen, als wir bisher annehmen“, gibt Weinert zu
Bedenken
und
schließt:
„Um
Schutzund
Managementmaßnahmen ergreifen zu können, ist es essentiell die
Auswirkungen der Klimaänderungen auf die Nordsee-Fauna zu
kennen.“
Der Seeigel Echincardium
cordatum ist ein wichtiger
„Ökosystem-Ingenieur“.
© Senckenberg
Den Einsiedlerkrebs Pagurus
prideaux zieht es in den Süden.
© Senckenberg
Pressebilder können kostenfrei für
redaktionelle Berichterstattung
verwendet werden unter der
Voraussetzung, dass der
genannte Urheber mit
veröffentlicht wird. Eine Weitergabe an Dritte ist nur im Rahmen
der aktuellen Berichterstattung
zulässig.
Pressemitteilung und Bildmaterial
finden Sie auch unter
www.senckenberg.de/presse
Die Natur mit ihrer unendlichen Vielfalt an Lebensformen zu erforschen und zu verstehen, um sie als
Lebensgrundlage für zukünftige Generationen erhalten und nachhaltig nutzen zu können - dafür
arbeitet die Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung seit nunmehr fast 200 Jahren. Diese
integrative „Geobiodiversitätsforschung“ sowie die Vermittlung von Forschung und Wissenschaft sind
die Aufgaben Senckenbergs. Drei Naturmuseen in Frankfurt, Görlitz und Dresden zeigen die Vielfalt
des Lebens und die Entwicklung der Erde über Jahrmillionen. Die Senckenberg Gesellschaft für
Naturforschung ist ein Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft. Das Senckenberg Naturmuseum in
Seite 2 von 3
Frankfurt am Main wird von der Stadt Frankfurt am Main sowie vielen weiteren Partnern gefördert.
Mehr Informationen unter www.senckenberg.de.
2016 ist Leibniz-Jahr. Anlässlich des 370. Geburtstags und des 300. Todestags des
Universalgelehrten Gottfried Wilhelm Leibniz (*1.7.1646 in Leipzig, † 14.11.1716 in Hannover)
veranstaltet die Leibniz-Gemeinschaft ein großes Themenjahr. Unter dem Titel „die beste der
möglichen Welten“ – einem Leibniz-Zitat – rückt sie die Vielfalt und die Aktualität der Themen in den
Blick, denen sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der bundesweit 88 LeibnizEinrichtungen widmen. www.bestewelten.de
Seite 3 von 3
Herunterladen