Staatstheater Cottbus: "Die Orestie" Aischylos' Tragödie in einer Inszenierung von archaischer Kraft Agamemnon, der König von Argos, kehrt nach zehn Jahren als Sieger aus dem Trojanischen Krieg zurück. Klytaimnestra hat ihrem Gatten nie verziehen, dass er, um die Götter zu besänftigen, ihre Tochter Iphigenie geopfert hat. Aus Rache tötet sie ihn und seine Geliebte, die Seherin Kassandra. Aber mit Orestes, dem Sohn der Familie, steht schon der nächste Rächer bereit. Ermutigt von Gott Apollon und bestärkt durch seine Schwester Elektra ermordet Orestes seine Mutter Klytemnaistra und ihren Mittäter Aigisthos. Von den Rachegeistern verfolgt fleht Orestes die Göttin Athene um Hilfe und Vergebung an. Die Orestie des Aischylos wurde vor mehr als 2500 Jahren in Athen uraufgeführt. Und ob Sophokles und Euripdes, Eugene O´Neill und JeanPaul Sartre: Die Liste der Dichter, die das blutige Familiendrama nach- und umgedichtet haben, ist lang. Jetzt hatte das Original, Die Orestie des Aischylos, im Staatstheater Cottbus Premiere. Geglückte Strichfassung Die Uraufführung im antiken Athen zog sich über drei lange Tage. In Cottbus dauert die Aufführung knappe drei Stunden. Sie beruht auf einer Prosafassung von Peter Stein, der Die Orestie 1980 an seiner Schaubühne als gigantisches "Antikenprojekt" inszenierte. Diese Aufführung, mit Schauspiel-Legenden wie Jutta Lampe und Edith Clever, Gerd Wameling und Udo Samel ging über drei ebenso faszinierende wie anstrengende Abende. Solch ein Theater-Marathon ist heute kaum noch vorstellbar und finanzierbar. Regisseur Christian Schlüter und seine Dramaturgin Bettina Jantzen haben deshalb eine schlanke Strichfassung erarbeitet. Und tatsächlich: Sie haben es geschafft, dass der Kern der Orestie in seiner ganzen tragischen Gewalt und in seinen politischen Konsequenzen erhalten bleibt. Denn die Orestie erzählt nicht nur die Geschichte einer blutigen Familienfehde, sie handelt auch vom Wunsch der Menschen, sich vom Einfluss der Götter zu befreien, das Schicksal selbst in die Hand zu nehmen: Die Orestie ist das erste Drama, das in Athen und der damals noch jungen griechischen Demokratie zivilisatorische Grundwerte diskutiert und für Vernunft und Recht plädiert. Lehrstunde über Demokratie Das ist von solch zeitloser Aktualität, da muss man keine heutigen Zeitungszeilen zitieren, sondern nur auf den Text von Aischylos hören: Da steht alles schon Schwarz auf Weiß, was uns heute noch bewegt und umtreibt. Das kommt am stärksten im dritten Teil (Die Eumeniden) zum Ausdruck, den Regisseur Schlüter mit viel Humor inszeniert und mit Biss spielen lässt: Das blutige Schlachtfest weitet sich wirklich zur Lehrstunde über Demokratie. Athene spricht in einer Gerichtsverhandlung den des Muttermordes angeklagten Orestes frei und verdonnert die nach Rache dürstenden Erinnyen dazu, sich in segensreiche Schutzgöttinnen der Stadt Athen zu verwandeln. Die Götter werden entmachtet, sie werden zu Bürgern der Demokratie und plädieren dafür, dass Rache und Bürgerkrieg beendet werden und Vernunft und Frieden herrschen soll. Da ist man als Theater-Zuschauer gebannt von der Wucht der Wörter, die einen heute noch ins Mark treffen. Momente der Verfremdung Alle Nebenfiguren gestrichen, tatsächlich sind nur sieben Schauspieler auf der Bühne, aber die schlüpfen nicht nur in die Rollen von Klytaimnestra (Susann Thiele) und Agamemnon (Gunnar Golkowski), Aigisthos (Amadeus Gollner), Orestes (Arndt Wille), Elektra (Johanna-Julia Spitzer), eines Boten (Oliver Seidel), sie sind auch zugleich der Chor, wechseln im Sekundentakt ihre Haltung, Gestik, Mimik, kommentieren und ironisieren ihr eigenes Spiel: So entstehen eigenartige Momente der Verfremdung und der Beschleunigung, der Musikalität, denn in den chorischen Passagen ist das Sprechen stark rhythmisiert, sind die Bewegungen choreographiert und fast tänzerisch. Durch das Ineinanderfließen der Figuren, das Heraustreten aus den Rollen und die musikalische und chorische Komposition werden die Konflikte geschärft und ins Allgemeingültige transferiert. Zeichen einer fernen Zeit Die Schauspieler tragen Alltagskleidung, Turnschuhe, Kapuzenpulli, Jeans, sie sitzen auf harten Holzstühlen und an sperrigen Tischen, diskutieren und streiten, kommentieren und klagen. Das Ganze wirkt wie eine Sprechprobe, bei der die Schauspieler noch mit ihrem Text kämpfen und sich in ihre Rollen einfinden müssen. Hinter ihnen hängen Plastikplanen, die, wenn es ans Töten geht, einen Blick freigeben auf einen riesigen Opferaltar, auf dem die Leichen aufgestapelt werden. Manchmal wird ein Schwert herumgereicht, schmieren sich die Darsteller Theaterblut ins Gesicht, Athene schlüpft in einen metallenen Schutzpanzer oder Apollon greift zu Pfeil und Bogen. Aber das sind nur nebensächliche Requisiten, mit denen spielerisch hantiert wird, Zeichen einer frühen, fernen Zeit. Der Text mag alt sein, doch das Spiel ist ganz heutig und die Inszenierung ist von einer sowohl archaischen wie zeitlosen Kraft, wie man es nur noch selten im Theater erleben kann. Frank Dietschreit, kulturradio Bewertung: gelungen