Spezielle Themen der Mathematik: Reelle Zahlen, Folgen, Reihen

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1 Reelle Zahlen
Spezielle Themen der Mathematik:
Reelle Zahlen, Folgen, Reihen, Funktionen
1 Reelle Zahlen
In diesem Kapitel befassen wir uns mit dem Zahlbereich  der reellen Zahlen.
Nach einer kurzen stofflichen Eingliederung mit Blick auf mengentheoretische Beziehungen
zwischen Zahlbereichen (Abschnitt 1.1) und der geometrischen Deutung reeller Zahlen (Abschnitt 1.2), arbeiten wir drei wesentliche Eigenschaften der reellen Zahlen heraus:
(I)
 ist ein Körper (Abschnitt 1.3),
(II)
der linear geordnet (Abschnitt 1.6)
(III)
und vollständig ist (Abschnitt 1.8).
Aus (I) ergeben sich Regeln für das Rechnen in  (Abschnitt 1.5); die geometrische Deutung
der Addition und der Multiplikation in  zeigt vorweg Abschnitt 1.4.
Aus (II) folgen Regeln zum Umgang mit Ungleichungen (Abschnitt 1.7).
Die Eigenschaften (I), (II) und (III) werden als Axiome gesetzt; dies entspricht einer axiomatischen Einführung der reellen Zahlen. Damit werden die reellen Zahlen mathematisch
über folgende Axiome beschrieben:
(I)
die Körperaxiome,
(II)
die Axiome der Ordnungsstruktur,
(III)
ein Axiom, das die Vollständigkeit garantiert.
Die sich hieraus ergebenden Rechenregeln sowie geometrischen Repräsentationen sind diejenigen, die Ihnen bereits (größtenteils) vertraut sind.
Als Metawissen über die Mathematik erfahren Sie in diesem Kapitel die axiomatischdeduktive Denk- und Arbeitsweise in der Mathematik, exemplarisch verdeutlicht und vertieft am Beispiel des Themas „reelle Zahlen“.
1
1 Reelle Zahlen
1.1 Zahlbereiche
Aus der Schule sind folgende Zahlbereiche bekannt:
Menge der natürlichen Zahlen
  {1, 2, 3,...}
Menge der ganzen Zahlen
  {0, 1, 2, 3,...}
Menge der rationalen Zahlen
 {
Menge der reellen Zahlen

p
p  , q  }
q
zzgl. evtl.
Menge der komplexen Zahlen
  {a  ib a, b  ; i 2  1}
Beziehung zwischen diesen Zahlbereichen:         
Folgende Abbildung visualisiert diese Beziehung:
Die Zahlbereichserweiterung wird jeweils dadurch motiviert, dass der Zahlbereich gegenüber
einer bestimmten Rechenoperation nicht abgeschlossen ist, d. h., dass es nicht immer ein Ergebnis innerhalb des Zahlbereichs gibt:
 ist nicht abgeschlossen bzgl. der Subtraktion. Beispiel: 3–5 liefert kein Ergebnis in  .
 ist nicht abgeschlossen bzgl. der Division. Beispiel: 3 : 5 liefert kein Ergebnis in  .
 ist nicht abgeschlossen bzgl. des Wurzelziehens. Beispiel:
2 liefert kein Ergebnis in  .
 ist nicht abgeschlossen bzgl. des Wurzelziehens aus negativen Zahlen. Beispiel:
2 lie-
fert kein Ergebnis in  .
2
1 Reelle Zahlen
Mächtigkeit von , , , 
Die Mengen , , ,  enthalten jeweils unendlich viele Elemente. Es gibt mehrere Arten
der Unendlichkeit; deshalb wird diese eingeteilt. Die einfachste Art der Unendlichkeit ist sicher die der natürlichen Zahlen.
Definition
Eine Menge M heißt abzählbar unendlich, wenn sie zur Menge  der natürlichen Zahlen
gleichmächtig ist (d. h., wenn sie die gleiche Anzahl von Elementen enthält wie  , es also
eine eineindeutige Abbildung zwischen M und  gibt). Alle anderen unendlichen Mengen
heißen überabzählbar unendlich.
Die abzählbare Unendlichkeit einer Menge M bedeutet also nichts anderes, als dass M mit den
natürlichen Zahlen durchnummeriert werden kann, also abgezählt werden kann.
Satz
, ,  sind abzählbar unendliche Mengen.
Beweis
a) Zur Abzählbarkeit von 
Betrachte die Abbildung:
f :   , f ( n)  n
(Identität)
b) Zur Abzählbarkeit von 
Wir definieren folgende Abbildung:
 2 z  1 für z  0
f :    , f ( z)  
für z  0
 2z
bzw.
f
1
 1
n
für n gerade
:    , f 1 (n)   2

  n + 1 für n ungerade

2 2
f bildet die nichtnegativen ganzen Zahlen auf die geraden natürlichen Zahlen und die negativen ganzen Zahlen auf die ungeraden Zahlen ab.
3
1 Reelle Zahlen
c) Zur Abzählbarkeit von  (Cantorsches Diagonalverfahren)
Wir beschränken uns dabei auf die gebrochenen Zahlen. Durch analoge Überlegungen wie
im 1. Teil des Beweises kann das Verfahren aber auf alle rationalen Zahlen ausgedehnt
werden.
Wir betrachten folgendes Zahlenschema:
In diesem Schema stehen in der n-ten Zeile alle Brüche mit dem Nenner n. In der ersten
Zeile stehen also alle natürlichen Zahlen, in der zweiten alle mit Nenner 2, usw.
Jetzt nummerieren wir alle Brüche durch. Dabei beginnen wir mit der linken oberen Ecke
und gehen dann so weiter, wie die Pfeile es zeigen. Alle unechten Brüche werden dabei
ausgelassen.
□
Satz (ohne Beweis):  ist überabzählbar unendlich.
Die Menge der reellen Zahlen ist also echt größer als die der natürlichen und die der rationalen Zahlen.
Dies kann mit einem weiteren Diagonalverfahren von Cantor bewiesen werden. Dieses Verfahren ist jedoch weitaus komplizierter als das zur Abzählbarkeit von  und wird deshalb
hier nicht weiter ausgeführt.
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1 Reelle Zahlen
Rechnen in , , 
Während Ihrer Schulzeit haben Sie gelernt, wie man mit natürlichen, ganzen und rationalen
Zahlen nach den üblichen Regeln rechnet. Im Einzelnen bedeutet dies, dass man
-
natürliche Zahlen addieren und multiplizieren kann und als Ergebnis wieder natürliche
Zahlen erhält,
-
ganze Zahlen addieren, subtrahieren und multiplizieren kann und als Ergebnis wieder
ganze Zahlen erhält,
-
rationale Zahlen addieren, subtrahieren, multiplizieren und (soweit der Nenner nicht 0
ist) dividieren – kurz: mit ihnen die vier Grundrechenarten ausführen – kann und als
Ergebnis wieder rationale Zahlen erhält.
Diese Art des Rechnens werden wir im Folgenden nicht weiter erläutern, sondern als Selbstverständlichkeit voraussetzen. Dasselbe gilt auch für die Regeln der Bruchrechnung, die hier
zur Erinnerung aufgelistet werden.
Regeln der Bruchrechnung
Es seien p, q, p, q beliebige ganze Zahlen mit q  0  q . Dann gelten folgende Regeln:
a) Gleichheitsregel
p p
  pq  pq
q q
b) Erweiterungs- bzw. Kürzungsregel
p pq

q qq
c) Additionsregel
p p pq  pq
 
q q
qq
d) Negativenregel
p
p
p


q
q
q
e) Multiplikationsregel
p p pp
 
q q qq
f) Reziprokenregel
1 q
 für p, q  0 .
p p
q
5
1 Reelle Zahlen
1.2 Geometrische Deutung reeller Zahlen
Der Zahlbereich der reellen Zahlen ist auf das seit Urzeiten bestehende menschliche Bedürfnis des Messens geometrisch strukturierter Daten (wie etwa Längen-, Flächen- und Rauminhalte) zugeschnitten. Um etwa die Länge einer beliebigen Strecke zu messen, vergleicht man
diese mit der Länge einer willkürlichen, aber fest vorgegebenen Einheitsstrecke. (Vgl. Sachrechnen, Erarbeitung des Größenbereichs „Längen“, Stufen des direkten Vergleichs mit Hilfe
selbstgewählter Maßeinheiten bzw. mit Hilfe standardisierter Maßeinheiten.)
Damit dieser Vergleich seinen zahlenmäßigen Ausdruck findet, benötigt man die geometrische Deutung reeller Zahlen.
a) Man verwendet dazu eine horizontale Gerade, Zahlengerade genannt, auf der unsere vorgegebene Einheitsstrecke durch Markierung ihrer beiden Endpunkte, des linken, mit „0“
(„Nullpunkt“, „Ursprung“) und des rechten, mit „1“ bezeichneten, willkürlich fixiert wird.
0
1
Sodann stellt man sich vor, dass jeder reellen Zahl auf eine zunächst nicht näher spezifizierte Weise genau ein Punkt der Zahlengeraden entspricht und umgekehrt, insgesamt also
eine umkehrbar eindeutige Zuordnung zwischen reellen Zahlen und Punkten der Zahlengeraden besteht. Nunmehr kann jede beliebige Strecke von 0 aus nach rechts abgetragen
werden, wonach der rechte Endpunkt der Strecke einer reellen Zahl entspricht, welche die
gesuchte Länge unserer Strecke angibt.
b) Wiederholtes Abtragen der Einheitsstrecke nach rechts liefert alle natürlichen Zahlen,
nach rechts und links alle ganzen Zahlen. Zerlegen der Einheitsstrecke in q   gleichlange Teilstrecken sowie wiederholtes Abtragen der ersten dieser Teilstrecken nach rechts
und links liefert schließlich alle rationalen Zahlen auf der Zahlengeraden, wenn q alle natürlichen Zahlen durchläuft.
Somit ist jede rationale Zahl eine reelle Zahl; insbesondere sind 0 und 1 reelle Zahlen.
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1 Reelle Zahlen
Nicht alle Streckenlängen lassen sich durch eine rationale Maßzahl angeben. (Der Größenbereich „Längen“ ist nicht kommensurabel.)
Z. B.:
a) Die Diagonale d eines Quadrats mit der Seitenlänge a = 1 m hat die Länge
2 m; d ist
somit nicht als rationales Vielfache von a darstellbar.
b) Die Höhe eines gleichseitigen Dreiecks mit der Seitenlänge a hat die Länge
a 3
.
2
c) Die Länge des Umfangs eines Kreises mit dem Durchmesser d = 1 m ist  m.
d) Die Diagonalen in einem regelmäßigen Fünfeck mit der Seitenlänge a haben die Länge
1 5
a.
2
Einschub (Historisches)
„Alles ist Zahl“ (Pythagoreer): Die Grundlage der pythagoreischen Mathematik war der
Glaube an die ganzzahlige Erfassbarkeit des Universums, d. h. der Glaube, alle Phänomene seien als Erscheinungsformen ganzzahliger Zahlverhältnisse erklärbar. (Die Harmonie
des Universums entspricht der Harmonie des Zahlenreichs, das Universum ist mittels ganzer Zahlen und Verhältnissen von ganzen Zahlen (d. h. rationalen Zahlen) beschreibbar.)
Hier irrten die Pythagoreer. Als ein Schüler des Pythagoras, Hippasos von Metapont, – der
Legende nach – als erster erkannt hatte, dass gewisse geometrische Größen (wie das Verhältnis von Diagonale und Seite eines Quadrats) nicht durch ganzzahlige Zahlverhältnisse
ausdrückbar sind (Inkommensurabilität), und diese Entdeckungen veröffentlichte, wurde
dies aus der Sicht der Pythagoreer als Geheimnisverrat angesehen. Daraufhin sei Hippasos
aus der Gemeinschaft ausgeschlossen worden und bei einem Schiffbruch umgekommen,
was als göttliche Strafe zu deuten sei. Überliefert ist auch die Variante, dass Hippasos auf
offenem Meer über Bord eines Schiffes geworfen wurde.
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1 Reelle Zahlen
Kurioserweise enthält das Pentagramm, das als Wappen und Erkennungszeichen der Pythagoreer diente, nicht rationale Streckenverhältnisse. Bezeichnet man den Abstand von
zwei benachbarten Spitzen mit a, so ergibt sich die Sehnenlänge l des Pentagramms zu
1 5
a.
2
Pentagramm
Pentagramm und regelmäßiges Fünfeck
Anmerkung
Die Zahl
1 5
heißt Goldene-Schnitt-Zahl (siehe Übungen).
2
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1 Reelle Zahlen
1.3 Der Körper der reeller Zahlen
Um die algebraische Struktur von  zu verstehen, ist es zweckmäßig, den Begriff der Gruppe
zu gebrauchen.
Definition (Gruppe)
Sei G eine Menge und  eine „Verknüpfung auf G“ (d. h., zu je zwei Elementen x, y aus G
ist in eindeutiger Weise ein Element x  y aus G festgelegt). Das Paar  G,   heißt eine
Gruppe, wenn folgende Eigenschaften erfüllt sind:
(G1)
Assoziativität (AG)
x, y, z  G :  x  y   z  x   y  z 
(G2)
Existenz des neutralen Elements (NE)
Es gibt genau ein Element n in G mit der Eigenschaft:
x  G : x  n  n  x  x
(G3)
Existenz des inversen Elements (IE)
Zu jedem x  G gibt es genau ein Element x  G mit der Eigenschaft:
xx  x x  n
Gilt zudem noch
(G4)
Kommutativität (KG)
x , y  G : x  y  y  x
so spricht man von einer kommutativen (oder abelschen1) Gruppe.
Anmerkungen
-
Alternativ wird in der Definition einer Gruppe die Bedingung „Sei G eine Menge und 
eine Verknüpfung auf G“ auch wie folgt formuliert:
„Sei G eine Menge zusammen mit einer Verknüpfung  je zweier Elemente dieser Menge, die folgende Anforderung erfüllt:
(G0)
Die Verknüpfung zweier Elemente der Menge ergibt wiederum ein Element derselben Menge (Abgeschlossenheit).“
1
Niels Henrik Abel, 1802-1829.
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1 Reelle Zahlen
-
Man beachte, dass das n in (G3) das nach (G2) eindeutig bestimmte neutrale Element ist.
-
Üblicherweise werden die Bedingungen (G2) und (G3) formal etwas schwächer formuliert, was aber in den Konsequenzen keinen Unterschied ausmacht. Die obige Formulierung ist hier nur zur besseren Klarheit gewählt worden.
Beispiele
a) Sei G : 0,1 , und  sei durch
0  0 : 0, 0  1: 1  0 : 1 und 1  1: 0
definiert. Dann ist  G,   eine kommutative Gruppe.
[Das neutrale Element ist 0, das inverse Element zu 0 ist 0, das inverse Element zu 1 ist
1.]
b) Sei G :  , und  sei die übliche Addition +.
Dann ist  G,   , also  ,   , eine kommutative Gruppe.
[Das neutrale Element ist 0, das inverse Element zu z ist –z.]
c) Sei G :  0 :  \ 0 , und  sei die übliche Multiplikation  .
Dann ist  G,   , also    0 ,  , eine kommutative Gruppe.
[Das neutrale Element ist 1, das inverse Element zu
p
q
ist .]
q
p
d) Für alle m   ist  Rm ,   eine kommutative Gruppe.
Rm bezeichnet dabei die Menge aller Restklassen zur Division durch m (vgl. Kapitel 0),


also Rm  0,1, 2,..., m  1 .
 bezeichnet die Restklassenaddition definiert über: a  b  a  b für alle a, b  Rm .
(Bemerkung: Diese Verknüpfung ist wohldefiniert, denn für beliebige ganze Zahlen
a, b, c, d mit a  c und b  d gilt a  b  c  d . Die Verknüpfung ist also unabhängig
vom Repräsentanten der Restklasse definiert.)
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1 Reelle Zahlen
Übung 1.3-1
i) Machen Sie sich mit der Restklassenaddition am Beispiel m  4 vertraut. Tragen Sie
Ihre Ergebnisse in folgende Verknüpfungstafel ein:
 0 1 2 3
0
1
2
3
ii) Geben Sie für die Elemente aus R4 jeweils die inversen Elemente bzgl. der Restklassenaddition  an.
iii) Beweisen Sie die Aussage unter d).
iv) Wie zeigt sich in der Verknüpfungstafel die Eigenschaft der Kommutativität, die Existenz des neutralen Elements und die Existenz inverser Elemente?
e) Die Menge der Kongruenzabbildungen K bildet mit der Verknüpfung  (Nacheinanderausführung) eine Gruppe. Also: (K,  ) ist eine Gruppe.2
Bemerkung zu Verknüpfungstafel für eine endliche Gruppe (d. h., für eine Gruppe
G   g1 ,..., g n  mit endlich vielen Elementen):
In jeder Zeile (und jeder Spalte) der Gruppentafel taucht jedes Element der Gruppe genau
einmal auf.
Beweis für die i-te Zeile (indirekter Beweis)
˗
Nehmen wir an, die Elemente g i  g j und gi  g k stimmen für j  k überein, d. h.,
g i  g j  g i  g k . Multiplikation beider Seiten mit dem Inversen g i 1 von gi ergibt:
gi 1  gi  g j  gi 1  gi  g k  g j  g k , was für j  k nicht möglich ist.
Jedes Element der Gruppe kommt also in der i-ten Zeile höchstens einmal vor.
˗
Da in der i-ten Zeile aber insgesamt n Gruppenelemente vorkommen, muss jedes Gruppenelement genau einmal auftauchen.
2
Beweis z. B. in: Müller-Philipp, Susanne & Gorski, Hans-Joachim. 2005 (3. Auflage). Leitfaden Geometrie.
Wiesbaden: Vieweg, S. 150ff.
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1 Reelle Zahlen
Definition (Körper)
Ein Körper ( K , , ) ist eine Menge K versehen mit zwei inneren zweistelligen Verknüpfun-
gen  : K  K  K und  : K  K  K (die Addition bzw. Multiplikation genannt werden),
die den folgenden Axiomen (Körperaxiome) genügen:
(K1)
 K, 
(K2)
 K \ 0 ,  ist eine kommutative Gruppe (neutrales Element 1)
(K3)
Für alle x, y , z  K gilt das Distributivgesetz: x   y  z   x  y  x  z .
ist eine kommutative Gruppe (neutrales Element 0)
□
Beispiele
a) Die Menge der rationalen Zahlen mit der üblichen Addition und Multiplikation, also
 , ,  , ist ein Körper; dagegen ist  , , 
b)
   , ,  
kein Körper.
mit der durch
 a, b    a, b :  a  a, b  b
definierten Addition und der durch
 a, b    a, b :  aa  bb, ab  ab 
definierten Multiplikation ist ein Körper.
Das neutrale Element der Addition ist  0, 0  , das inverse Element zu  a, b  bzgl. der Addition ist  a, b  , das neutrale Element der Multiplikation ist 1, 0  , das inverse Element
b 
 a
.
zu  a, b  bzgl. der Multiplikation ist  2
, 2
2
2 
 a b a b 
Dieser Körper wird Körper der komplexen Zahlen genannt.    kann mit  „identifiziert“ werden, wobei  a, b      mit a  ib   identifiziert wird. Dabei setzt man
i :  0,1 und nennt dies imaginäre Einheit.
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1 Reelle Zahlen
c) Auf der Menge K  0,1, A, B seien die Verknüpfungen + und  über folgende Verknüpfungstabellen definiert:
+
0
1
A
B

0
1
A
B
0
0
1
A
B
0
0
0
0
0
1
1
0
B
A
1
0
1
A
B
A
A
B
0
1
A
0
A
B
1
B
B
A
1
0
B
0
B
1
A
Dann ist  K , ,  ein Körper.
□
Als erste Grundeigenschaft von  halten wir jetzt fest:
Eigenschaft I:  ist, zusammen mit der üblichen Addition und Multiplikation, ein Körper.
Wesentlich ist, dass hiermit das Rechnen (Addieren, Subtrahieren, Multiplizieren, Dividieren)
mit reellen Zahlen festgelegt ist.
Die Subtraktion wird durch
x  y : x  (  y )
erklärt, wobei  y das in  ,   gebildete inverse Element von y ist.
Die Division wird durch
x
: x  y 1
y
(y 0)
erklärt, wobei y 1 das in   \ 0 , gebildete inverse Element von y ist.
(Beachten Sie die Sonderrolle der Null: Bezüglich · existiert kein inverses Element zur 0,
durch 0 kann man nicht dividieren.)
Bevor wir uns weiter den Rechengesetzen in  zuwenden, betrachten wir noch eine geometrische Deutung der Addition bzw. der Multiplikation reeller Zahlen.
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1 Reelle Zahlen
1.4 Geometrische Deutung der Addition und der Multiplikation reeller
Zahlen
Die reellen Zahlen a, b seien durch zwei Punkte auf der Zahlengeraden repräsentiert. Um
dasselbe für die Summe a  b zu leisten, verschiebt man den Fußpunkt der von 0 nach b gerichteten Strecke einfach nach a, wonach der neue Endpunkt der Summe a  b entspricht.
Um b zu erhalten, kehrt man die von 0 nach b gerichteten Strecke unter Beibehaltung des
Fußpunktes einfach um, wonach die geometrische Deutung der Differenz a  b  a  ( b)
gleichfalls unmittelbar auf der Hand liegt.
Um das Produkt a  b zweier reeller Zahlen a, b geometrisch zu deuten, denken wir uns a als
Punkt auf einer horizontalen und b als Punkt auf einer vertikalen Kopie der Zahlengeraden
repräsentiert, wobei sich die beiden Kopien im Nullpunkt treffen. Auf der Vertikalen ist neben
b auch noch der 1 entsprechende Punkt markiert. Indem wir nun eine Parallele der 1 mit a
verbindenden Geraden durch den Punkt b geometrisch konstruieren und sie mit der horizontalen Zahlengeraden zum Schnitt bringen, gelangen wir zu einem Punkt, der nach den Strahlensätzen der Zahl a  b entspricht.
Übung 1.4-1
a) Begründen Sie die Konstruktionsbeschreibung mit Hilfe eines Strahlensatzes.
b) Wie konstruiert man
1
für a  0 ?
a
14
1 Reelle Zahlen
1.5 Rechnen mit reellen Zahlen
Die Körperaxiome ergeben u. a. folgende Rechenregeln in  , die Sie bereits aus der Schule
kennen:
Rechenregeln in 
Seien x, y , z , t   .
a) Kürzungsregeln:
x z  y z  x  y
xz  yz  z  0  x  y
b) Multiplikation mit 0:
x0  0 x  0
c)  x  ( 1)  x
d) (  x)  y  x  ( y )  ( x  y )
e) (  x )  (  y )  x  y
f)
x z
  xt  zy für y, t  0
y t
g) y, t  0 
h) y  0 
x x t

y y t
x
x
x


y y
y
(Gleichheitsregel der Bruchrechnung)
(Erweiterungs- bzw. Kürzungsregel der Bruchrechnung)
(Negativenregel)
i)
y, t  0 
x z x t  y  z
 
y t
y t
(Additionsregel der Bruchrechnung)
j)
y, t  0 
x z xz
 
y t y t
(Multiplikationsregel der Bruchrechnung)
k) x, y  0 
1
y

x x
 y
 
(Reziprokenregel)
15
1 Reelle Zahlen
Beweis
Es soll nur an einigen Beispielen demonstriert werden, wie solche Regeln aus den Körpereigenschaften gefolgert werden können.
a)
x z  y z
 ( x  z )  ( z )  ( y  z )  ( z ) (Addition von  z auf beiden Seiten;
 z bezeichnet hier das additiv Inverse zu z , dieses existiert, da  ,   eine Gruppe ist.)
 x  ( z  ( z ))  y  ( z  ( z )) (Assoziativgesetz in (,+))
 x  0  y  0 (nach Definition von  z ist z  ( z )  0)
 x  y (0 ist neutrales Element der Addition)
Übung 1.5-1
Beweisen Sie analog die Kürzungsregel zur Multiplikation.
b) x  0
 x  (0  0)
(0 ist neutrales Element der Addition)
 ( x  0)  ( x  0)
(Distributivgesetz)
Also gilt x  0  ( x  0)  ( x  0) . Hieraus folgt:
0  x  0  ( x  0)  ( x  0)
(0 ist neutrales Element der Addition)
 0  x0
(Kürzungsregel der Addition)
c) (( 1)  x)  x
 (( 1)  x )  (1  x)
(1 ist neutrales Element der Multiplikation)
 (( 1)  1)  x
(Distributivgesetz)
 0 x
(1 ist inverses Element zu 1 bzgl. der Addition)
 x0
(Kommutativgesetz der Multiplikation)
0
(nach b))
 ( x)  x
(x ist inverses Element zu  x bzgl. der Addition)
Also gilt: (( 1)  x )  x  (  x )  x . Hieraus folgt mit der Kürzungsregel der Addition:
( 1)  x   x .
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1 Reelle Zahlen
Übung 1.5-2: Beweisen Sie f) und g) mit Hilfe der Körperaxiome.
(Tipp zu g): Vom Ergebnis aus rückwärts arbeiten.)
In der Praxis hat man es häufig mit komplizierteren Rechenausdrücken zu tun, die (in den
allereinfachsten Fällen) durch wiederholte Anwendung der vier Grundrechenarten auf einer
endlichen Kollektion reeller Zahlen hervorgegangen sind. Im Folgenden betrachten wir Rechengesetze für solche Rechenausdrücke und Formalismen, welche einer bequemen Handhabung solcher Rechenausdrücke dienen.
Satz
Für endlich viele reelle Zahlen a1 ,..., am mit m   gilt:
a) Allgemeines Assoziativgesetz der Addition
Der Wert der Summe a1  ...  am   ist unabhängig davon, in welcher Assoziation die
Summation ausgeführt, welche Beklammerung dabei also zugrunde gelegt wird.
b) Allgemeines Kommutativgesetz der Addition
Der Wert der Summe a1  ...  am   ist unabhängig von der Reihenfolge der Summanden.
c) Allgemeines Assoziativgesetz der Multiplikation
Der Wert des Produktes a1  ...  am   ist unabhängig von der Beklammerung.
d) Allgemeines Kommutativgesetz der Multiplikation
Der Wert des Produktes a1  ...  am   ist unabhängig von der Reihenfolge der Faktoren.
Definition (Summen- und Produktzeichen)
a) Für ganze Zahlen m  n bedeutet:
n
a
i 1
n
i
 a1  a2  ...  an , allgemeiner:
 ai a1  a2  ...  an , allgemeiner:
i 1
n
a
im
n
a
im
i
i
 am  am 1  ...  an
am  am 1  ...  an
m und n heißen Summationsgrenzen bzw. Produktgrenzen.
17
1 Reelle Zahlen
b) Für m  n hat sich folgende Konvention bewährt:
0
 ai  0 und allgemeiner
i 1
0
a
i 1
i
1 und allgemeiner
n
a
i
0
(leere oder rückläufige Summe)
i
1
(leeres oder rückläufiges Produkt)
im
n
a
im
c) Für den Laufindex i kann auch ein anderes Symbol gewählt werden, sofern keine Kollision mit anderen gerade verwandten Bezeichnungen auftritt. Es gilt also:
n
n
n
n
 a   a   a   a ...
im
i
j m
j
k m
k
m
n
n
n
n
i m
j m
k m
 m
 ai  a j  ak  a ...
Spezialfälle
1
 ai  a1 ,
i 1
1
a
i 1
i
a1 ,
2
a
i
 a1  a2
i
a1  a2
i 1
2
a
i 1
Beispiele
a)
5
 i  1  2  3  4  5  15
i 1
b)
6
 3  3  3  3  3  3  3  18
i1
c)
5
k
2
 12  22  32  42  52  55
k 1
n
d) Für n   0 definiert man: n !:  i 1  2  ...  n
(n Fakultät)
i 1
Mit Rücksicht auf die Konvention über leere Produkte setzt man 0!  1.
n
e) Für n   0 definiert man: a n :  a a  a  ...  a (n Faktoren)
i 1
und nennt dies die n-te Potenz von a.
Insbesondere gilt a 0  1 (leeres Produkt).
18
1 Reelle Zahlen
Für das Rechnen mit Summen und Produkten unter Verwendung des Summen- bzw. Produktzeichens gelten eine Fülle nützlicher Regeln. Hier folgt eine kleine Auswahl.
Rechenregeln
Seien a1 ,..., an , an 1 ,..., an  m   , b1 ,..., bn   und m, n   . Dann gilt:
a) Prinzip der Indexverschiebung:
nm
n
a   a
i 1
i
im
i  m 1
n
nm
i 1
i 1 m
 ai   ai m
b)
n
n
i 1
i 1
 ai  an1i
n
n
 a  a
i 1
c)
d)
i
i 1
n 1 i
nm
n
nm
i 1
i 1
i  n 1
 ai  ai 
a
i
n
n
n
i 1
i 1
i 1
  ai  bi    ai   bi
e) Allgemeines Distributivgesetz:
n
n
i 1
i 1
a  ai  aai
Beweis
a)
nm

i  m 1
n
ai  m  am 1 m  am  2 m  ...  an  m  m  a1  a2  ...  an   ai
i 1
Analog erfolgt der Beweis für Produkte.
b)
n
n
i 1
i 1
 an1i  an11  an12  ...  an1n  a1  a2  ...  an  ai
(Im 2. Schritt wird KG für + genutzt.)
Analog erfolgt der Beweis für Produkte.
Übung 1.5-3: Beweisen Sie c) bis e).
19
1 Reelle Zahlen
1.6 Die Ordnung reeller Zahlen
Reelle Zahlen können der Größe nach verglichen werden.3 Dass dies überhaupt möglich ist,
verdankt man der Ordnung von  , die wir im Folgenden als zweite wesentliche Eigenschaft
der reellen Zahlen herausarbeiten.
Eigenschaft II:  ist eine linear geordnete Menge.
Auf  ist eine als Ordnung  („kleiner-gleich“) bezeichnete Relation gegeben (weshalb
also für beliebige x, y   prinzipiell feststeht, ob x  y gilt oder nicht), so dass durch  die
Menge  eine linear geordnete Menge4 wird, d. h., folgende Eigenschaften (Ordnungsaxiome) sind für alle x, y, z   erfüllt:
(O1)
xx
(Reflexivität)
(O2)
 x  y und y  x   x  y
(Antisymmetrie)
(O3)
 x  y und y  z   x  z
(Transitivität)
(O4)
x  y oder y  x
(Linearität der Ordnung)
Ferner bestehen die folgenden Verträglichkeitsbeziehungen zu den Verknüpfungen des Körpers  .
(OV1) Verträglichkeit mit der Addition (oder Monotonie der Addition)
Für alle x, y, z   gilt
x  y  x z  y z.
(OV2) Verträglichkeit mit der Multiplikation (oder Monotonie der Multiplikation)
Für alle x, y, z   gilt
x  y und 0  z  xz  yz .
Eine Beziehung x  y nennt man meist eine Ungleichung oder Abschätzung (x wird durch y
„nach oben abgeschätzt“ bzw. y wird durch x „nach unten abgeschätzt“).
Die Verträglichkeitseigenschaften (OV1) und (OV2) besagen also, dass eine Ungleichung ihre
Gültigkeit nicht verliert, wenn man auf beiden Seiten dieselbe reelle Zahl addiert, bzw. beide
Seiten mit derselben nichtnegativen (!) reellen Zahl multipliziert.
3
Da reelle Zahlen als Maßzahlen (Zahlenwerte) von Größen verwendet werden, können aufgrund der Ordnung
von  Größen derselben Größenart verglichen und geordnet werden (vgl. Sachrechnen: Ordnungs- und Äquivalentrelationen für Größenbereiche).
4
Eine lineare Ordnung wird auch totale Ordnung genannt.
20
1 Reelle Zahlen
Übung 1.6-1: Prüfen Sie, ob die Relation  („ist Teilmenge von“) auf der Potenzmenge der
Menge M  1, 2,3 eine lineare Ordnung definiert, also ob für diese Relation (O1) bis (O4)
gilt.
Wir führen noch einige Definitionen auf, die üblich und praktisch sind.
Definition
Seien x, y   .
a) y  x
(y ist größer oder gleich x)
bedeutet dasselbe wie x  y .
b) x  y
(x ist kleiner als y)
bedeutet dasselbe wie x  y und x  y 5.
c) y  x
(y ist größer als x)
bedeutet dasselbe wie x  y .
d) y heißt nichtnegativ (bzw. positiv), wenn 0  y (bzw. 0  y ) gilt.
e) x heißt nichtpositiv (bzw. negativ), wenn x  0 (bzw. x  0 ) gilt.
Ebenso wie x  y nennt man auch Beziehungen wie y  x , x  y , y  x Ungleichungen
oder Abschätzungen. Mit diesen Bezeichnungen lässt sich die Linearität der Ordnung auf 
noch prägnanter formulieren:
Für je zwei Elemente x, y   gilt genau eine der drei Beziehungen:
x y, x y, x y.
Anmerkung
Die Ordnungsaxiome für die reellen Zahlen werden oft mit der „strengen“ Ordnungsrelation
 formuliert, was aber in den Konsequenzen keinen Unterschied ausmacht.
5
x  y (x ungleich y) bedeutet natürlich, dass x nicht gleich y ist.
21
1 Reelle Zahlen
Bevor wir im nächsten Abschnitt aus der Ordnung von  Regeln für das Umgehen mit Ungleichungen herleiten, betrachten wir noch eine geometrische Repräsentation der Ordnung.
Die geometrische Deutung der Ordnung kann wie folgt realisiert werden: Sind zwei reelle
Zahlen a, b auf der Zahlengeraden dargestellt, so soll a  b bedeuten, dass a dort links erscheint.
a
b
Die Eigenschaften der Ordnung von  gehen bei dieser Interpretation in unmittelbar einsichtige geometrische Konfigurationen über. Beispielsweise wird die Verträglichkeit mit der Multiplikation ( a  b  0  c  ac  bc ) über folgendes Bild visualisiert:
22
1 Reelle Zahlen
1.7 Ungleichungen
Ähnlich wie sich aus der Körpereigenschaft von  die Regeln für das Rechnen mit reellen
Zahlen ergeben, lassen sich aus der Eigenschaft der linearen Ordnung von  Regeln über das
Umgehen mit Ungleichungen ableiten.
Satz (Rechenregeln für Ungleichungen)
Für alle x, y , z , t   gilt:
a) x  y  x  z  y  z
(Verträglichkeit von  mit der Addition).
b) ( x  y und z  t )  x  z  y  t
( x  y und z  t )  x  z  y  t
(gleichgerichtete Ungleichungen „darf man addieren“).
c) ( x  y und 0  z )  xz  yz
(Verträglichkeit von  mit der Multiplikation).
d) ( 0  x  y und 0  z  t )  xz  yt
( 0  x  y und 0  z  t )  xz  yt
(gleichgerichtete Ungleichungen zwischen nichtnegativen Zahlen „dürfen miteinander
multipliziert“ werden).
e) ( x  y und z  0 )  xz  yz
( x  y und z  0 )  xz  yz
(Multiplikation mit einer negativen Zahl „kehrt das Ungleichheitszeichen um“).
f) 0  x  0 
0 x y
1
x
1 1

y x
g) 0  n für jedes n   .
□
23
1 Reelle Zahlen
Den Beweis des Satzes führen wir exemplarisch nur für a) bis c), allerdings ausführlich, um
Ihnen Gelegenheit zu geben, sich im Umgang mit Ungleichungen zu üben.
Später werden wir die aufgeführten Rechenregeln ohne weitere Rückverweise verwenden.
Beweis
Seien x, y , z , t   beliebig vorgegeben.
Zu a): Es gilt:
x y
 x  y (nach Definition von <)
 x  z  y  z (nach (OV1))
In der letzten Ungleichung kann das Gleichheitszeichen nicht gelten, denn aus
x  z  y  z würde x  y folgen, was der Voraussetzung x  y widerspricht.
Zu b): Wegen (OV1) gilt:
x  y  x  z  y  z und z  t  z  y  t  y .
(*)
Hieraus folgt mit der Transitivität für  und der Kommutativität der Addition
x  z  y  t , also die erste zu zeigende Aussage.
Ist x  y , so folgt ebenfalls x  z  y  t , aber das Gleichheitszeichen kann in dieser
Ungleichung nicht gelten. Wäre nämlich x  z  y  t , so erhielten wir zusammen mit
z  y  t  y (vgl. (*)) die Ungleichung z  y  x  z , also mit (OV1) y  x , was
x  y widerspräche.
Zu c): Wegen x  y  x  y und 0  z  0  z folgt mit (OV2) sofort xz  yz .
In dieser Ungleichung kann die Gleichheit nicht gelten, denn wäre xz  yz , so würde
x  y (wegen z  0 ) folgen, was x  y widerspricht.
24
1 Reelle Zahlen
Übung 1.7-1
Beweisen Sie:
a) Für alle x   gilt:
(i) x 2  0
(ii) x 2  0  x  0
b) Für alle nichtnegativen reellen Zahlen x, y gilt:
x  y  x2  y2
c) x 2  x , falls x   mit 0  x  1 .
x 2  x , falls x   mit 1  x .
Nachfolgend werden noch zwei wichtige Ungleichungen aufgeführt, die sich vielfach als
nützlich erweisen.
Die Bedeutung und Brauchbarkeit der ersten, der Bernoullischen Ungleichung, liegt darin,
dass eine Potenz durch einen linearen Ausdruck nach unten abgeschätzt wird. Mit der
Bernoullischen Ungleichung können insbesondere Ungleichungen mit Potenzen gelöst werden, ohne dass man dazu den Logarithmus zur Hilfe nehmen muss.
Satz (Bernoullischen Ungleichung)
Für alle x   mit x  1 und alle n   0 gilt:
1  x 
n
 1  nx .
Das Gleichheitszeichen gilt genau in den Fällen:
a)
n  0 und x  1 ,
b)
n  1 und x  1 ,
c)
n  1 und x  0 .
25
1 Reelle Zahlen
Graphische Veranschaulichung für n > 1
Z. B. n  3
f mit f ( x )  1  x  hat in x0  0 die Steigung n. (Ableitung: f ( x )  1  n 1  x 
n
n 1
für n  1 .)
Blaue Gerade: Gerade mit Steigung n durch  0;1 , also Tangente an Graph von f.
Übung 1.7-2
a) Veranschaulichen Sie die Bernoullische Ungleichung für n  2 , n  3 und n  4 , indem
Sie
jeweils
in
einem
Koordinatensystem
die
Graphen
zu
den
Funktionen
f :  1  , f ( x )  1  x  und g :  1  , g ( x)  1  nx zeichnen.
n
b) Kommentieren Sie die Art der Abschätzung mittels der Bernoullischen Ungleichung: Liefern die Werte g ( x ) bei festem n „gute“ Näherungswerte für f ( x ) , oder sind sie nur
„grobe“ untere Schranken? Argumentieren Sie auch mit Zahlenbeispielen.
Beweis (durch vollständige Induktion)
Induktionsanfang:
Für n  0 gilt: 1  x   1  1  0  x
0
Induktionsannahme:
1  x 
n
Induktionsbehauptung:
1  x 
n 1
 1  nx gilt für ein n   0 .
 1   n  1 x
26
1 Reelle Zahlen
Induktionsschritt:
1  x 
n 1
 1  x   1  x 
n
 1  nx   1  x 
(nach Induktionsannahme und wegen 1  x  0 aufgrund
der Voraussetzung x  1 )
 1  nx  x  nx 2
 1   n  1 x  nx 2
 1   n  1 x
(wegen n  0 und x 2  0 und somit nx 2  0 )
□
Bemerkung
a) 0 p  0 für alle p   .
b) x 0  1 für alle x    0 .
(Denn es gilt z. B. 1  x n : x n  x n  n  x 0
für alle x    0 , n   .)
(Mit dieser Definition ist f :    , f ( x)  x 0
c) 00 : 1
in x0  0 stetig, d. h., lim f ( x)  lim1  f ( x0 )  1 ;
x 0
x 0
die Exponentialfunktion zur Basis 0 ist in x  0
nicht stetig.)
Übung 1.7-3
Machen Sie sich dies mit Hilfe einer Skizze der zugehörigen Funktionsgraphen klar.
d) Die Aussagen unter (b) und (c) liefern: x 0  1 für alle x   .
Satz (Ungleichung zwischen arithmetischem und geometrischem Mittel)
Sind x und y positive reelle Zahlen, so gilt
xy 
x y
.
2
Dabei heißt g : xy geometrisches Mittel, a :
x y
arithmetisches Mittel der Zahlen x
2
und y.
27
1 Reelle Zahlen
Anmerkung: Die Wohldefiniertheit der Wurzel aus einer nichtnegativen reellen Zahl wird im
Abschnitt 1.8 thematisiert.
Beweis: Siehe Übungen.
Betrachtet man zusätzlich das harmonische Mittel h :
2 xy
, so erhält man die Ungleix y
chungskette der klassischen Mittelwerte (das sind das arithmetische Mittel, das geometri-
sche Mittel und das harmonische Mittel)
a  g  h;
nimmt man ferner das quadratische Mittel q :
x2  y2
hinzu, ergibt sich folgende Unglei2
chungskette
qa g h.
Beweis: Siehe Übungen.
Beispiele für die Verwendung unterschiedlicher Mittelwerte
a) Arithmetisches Mittel:
˗
Berechnung von Durchschnittsnoten
˗
Max hat 5 Bonbons, Anna hat 7 Bonbons. Durchschnittlich haben die Kinder 6
Bonbons, d. h., bei Gleichverteilung der Gesamtsumme der Bonbons auf die Kinder hat jedes Kind 6 Bonbons.
˗
Durchschnittliche Geschwindigkeit, wenn über gleiche Zeiten gemessen wird: Eine Schnecke kriecht eine Stunde lang mit einer Geschwindigkeit von 4 Meter pro
Stunde und die nächste Stunde mit einer Geschwindigkeit von 2 Meter pro Stunde.
Durchschnittlich hat sie sich mit einer Geschwindigkeit von 3 Meter pro Stunde
bewegt, d. h., wenn sie sich konstant mit einer Geschwindigkeit von 3 Meter pro
Stunde bewegt hätte, hätte sie dieselbe Gesamtstrecke in derselben Gesamtzeit zurückgelegt.
b) Geometrisches Mittel:
˗
Mittlerer Wachstumsfaktor: Eine Bakterienkultur wachse am ersten Tag auf das
Vierfache und am zweiten Tag auf das Doppelte (also: Endbestand = Anfangsbestand · 4 · 2). Das geometrische Mittel
4  2  2,83 gibt an, welches gleichblei-
bende tägliche Wachstum der Bakterienkultur zum selben Ergebnis geführt hätte.
28
1 Reelle Zahlen
c) Harmonisches Mittel:
˗
Durchschnittliche Geschwindigkeit, wenn über gleiche Strecken gemessen wird:
Eine Schnecke kriecht den ersten Meter mit einer Geschwindigkeit von 4 Meter
pro Stunde und den nächsten Meter mit einer Geschwindigkeit von 2 Meter pro
Stunde. Die Durchschnittsgeschwindigkeit errechnet sich über:
v
2m
2 m
m
,

 2, 67
1
1
3 h
h
h+ h
4
2
4
d. h., wenn sich die Schnecke konstant mit einer Geschwindigkeit von 2,67 m/h
bewegt hätte, hätte sie dieselbe Gesamtstrecke in derselben Gesamtzeit zurückgelegt.
Viele Ungleichungen enthalten den Betrag einer reellen Zahl. Deshalb werden hier noch kurz
Grundlagen zum Umgang mit Beträgen bereitgestellt.
Definition und Satz (Betrag)
Für x   definiert man:
 x, falls x  0
 x, falls x  0 
x 
  0, falls x  0
 x, falls x  0 
 x, falls x  0
x heißt der (absolute) Betrag von x.
Für alle reellen Zahlen x, y gilt:
(i)
x  0 und ( x  0  x  0 ),
(ii)
xy  x y ,
x
x
 , falls y  0 ,
y
y
(iii)
x y  x  y
(Dreiecksungleichung, auch erste Dreiecksungleichung genannt).
□
29
1 Reelle Zahlen
Graphische Veranschaulichung
Verlauf der Betragsfunktion auf  :
Veranschaulichung der Dreiecksungleichung: Im Dreieck ist die Summe der Länge zweier
Seiten stets mindestens so groß wie die Länge der dritten Seite.
Beweis des Satzes
(i)
Klar, nach Definition.
(ii)
Übung 1.7-4
Beweisen Sie (ii).
(iii)
Weil beide Seiten der Ungleichung nicht negativ sind, ist Quadrieren eine Äquivalenzumformung:
x y  x  y
 x y   x  y 
2
2
  x  y   x2  2 x y  y2
2
 x 2  2 xy  y 2  x 2  2 xy  y 2
(wegen (ii))
30
1 Reelle Zahlen
 2 xy  2 xy
(Streichen identischer Terme auf beiden Seiten der Ungleichung)
 xy  xy
Diese Ungleichung ist allgemeingültig, weil x  x für beliebige x   .
Da ausschließlich Äquivalenzumformungen durchgeführt wurden, kann nun von der
allgemeingültigen Aussage xy  xy auf die zu beweisende Aussage x  y  x  y
geschlossen werden.
□
Wir folgern noch einen Satz, der immer wieder eine Rolle spielt:
Satz
Für x, x0 ,    mit   0 gilt:
a)
x      x  
b)
x  x0    x0    x  x0  
c) Die Aussagen a) und b) bleiben gültig, wenn  durch  ersetzt wird.
Graphische Veranschaulichung
a)
0
b)
Beweis
a) „  “:
x 
  x  0 und x    oder  x  0 und  x   
(nach Definition Betrag)
31
1 Reelle Zahlen
  0  x    oder    x  0 
   x  
„  “:
Sei   x   .
1. Fall: x  0
Nach Definition des Betrags gilt hier x  x und zusammen mit der Voraussetzung
x   folgt x   .
2. Fall: x  0
Nach Definition des Betrags gilt hier x   x und zusammen mit der Voraussetzung   x , also    x , folgt x   .
b) Nach a) gilt
x  x0      x  x0  
und wegen
  x  x0    x0    x  x0  
folgt mit der Transitivität von  die Behauptung
x  x0    x0    x  x0   .
c) Diese Behauptung ist aus den Beweisgängen zu a) und b) direkt ersichtlich.
□
Übung 1.7-5
Lösen Sie für x   die Ungleichungen
a)
x  2 1
b)
x  2 1
erst graphisch und dann algebraisch.
Tipp für die graphische Lösung: Betrachten Sie den Graphen zur Funktion f :    mit
f ( x)  x  2 .
32
1 Reelle Zahlen
1.8 Vollständigkeit
Die Körperaxiome und die Anordnungsaxiome genügen nicht, um die reellen Zahlen zu charakterisieren und sie von den rationalen Zahlen zu unterscheiden; auch die rationalen Zahlen
sind ein Modell für die Körper- und die Anordnungsaxiome.
Wir behandeln nun eine weitere Grundeigenschaft von  , durch die die Existenz von „genügend vielen“ reellen Zahlen garantiert wird. Man spricht daher von der Vollständigkeitseigenschaft. Aus ihr kann z. B. gefolgert werden, dass die positive Wurzel aus einer positiven Zahl
stets existiert. Da es in  kein Element x mit x 2  2 gibt, unterscheiden sich  und  wesentlich im Hinblick auf die Vollständigkeitseigenschaft.
Wir führen zunächst noch eine Bezeichnung ein, die wir dann bei der Formulierung der Vollständigkeitseigenschaft nutzen.
Definition (Ungleichung zwischen Mengen)
Sind A und B nichtleere Teilmengen von  und c   , so wird definiert:
A  c : a  c für jedes a  A ,
c  B : c  b für jedes b  B ,
A  B : a  b für jedes a  A und jedes b  B .
Beispiele
a) 0   0
b)
a  b  a  b .
Eigenschaft III:  ist vollständig,
d. h., zu je zwei nichtleeren Teilmengen A, B von  mit A  B existiert ein c   mit
Ac  B.
Die Eigenschaft der Vollständigkeit von  kann auch mit Lückenlosigkeit der Zahlengeraden umschrieben werden: Zwischen je zwei Mengen, bei denen die eine links von der anderen
liegt, kann man eine reelle Zahl c finden.
B
A
c
33
1 Reelle Zahlen
Bei dem hier beschriebenen Sachverhalt scheint es sich um eine Selbstverständlichkeit zu
handeln. Das ist jedoch nicht der Fall, da sich dieser Sachverhalt nicht aus den zuvor behandelten Eigenschaften der reellen Zahlen herleiten lässt.
Eine der wichtigsten Konsequenzen, die sich aus der Vollständigkeitseigenschaft ziehen lässt,
ist die Existenz des Supremums von nichtleeren, nach oben beschränkten Teilmengen von  .
(In der Literatur wird das Vollständigkeitsaxiom auch häufig hierüber formuliert.)
Die hierbei verwendeten Begriffe werden wie folgt eingeführt.
Definition (beschränkte Menge)
Sei M eine nichtleere Teilmenge von  und s   .
(i)
s heißt obere Schranke (bzw. untere Schranke) von M, wenn M  s (bzw. s  M )
gilt.
(ii)
M heißt nach oben beschränkt (bzw. nach unten beschränkt), wenn es eine obere
Schranke (bzw. eine untere Schranke) von M gibt.
(iii)
M heißt beschränkt, wenn M nach oben und nach unten beschränkt ist.
Die leere Menge wird definitionsgemäß als beschränkt angesehen.
Eine Menge mit eingezeichneten oberen und unteren Schranken.
(Bildquelle: https://commons.wikimedia.org)
34
1 Reelle Zahlen
Definition (Supremum, Infimum)
Sei M eine nichtleere Teilmenge von  und S   .
(i)
S heißt Supremum (oder obere Grenze oder kleinste obere Schranke) von M, wenn
M  S (d. h., S ist obere Schranke von M)
und
s   :  M  s  S  s  (d. h., S ist kleiner-gleich jeder oberen Schranke von M)
gilt.
(ii)
S heißt Infimum (oder untere Grenze oder größte untere Schranke) von M, wenn
S  M (d. h., S ist untere Schranke von M)
und
s   :  s  M  s  S  (d. h., S ist größer-gleich jeder unteren Schranke von M)
gilt.
Satz (Eindeutigkeit des Supremums/Infimums)
Eine (nichtleere) Teilmenge M von  hat höchstens ein Supremum und höchstens ein Infimum.
Das Supremum von M (bzw. das Infimum von M) wird, falls vorhanden, mit sup M (bzw.
inf M ) bezeichnet.
Beweis
Seien S1 und S 2 obere Grenzen von M . Dann gilt S1  S 2 (weil S 2 obere Schranke und S1
kleinste obere Schranke von M ist). Analog argumentiert man, dass S 2  S1 ist.
Aus S1  S 2 und S 2  S1 folgt S1  S2 .
Die Eindeutigkeit des Infimums (falls vorhanden) beweist man analog.
□
35
1 Reelle Zahlen
Über die Frage der Existenz eines (also des) Supremums (bzw. Infimums) ist oben noch
nichts ausgesagt worden; der folgende Satz klärt die Frage der Existenz.
Satz (Existenz des Supremums)
Jede nichtleere nach oben beschränkte Menge reeller Zahlen besitzt ein Supremum in  .
Beweis
Sei M   eine nichtleere, nach oben beschränkte Menge und N die Menge der oberen
Schranken von M , also
N : s   M  s .
Dann gilt: M   (nach Voraussetzung) und N   (da M nach oben beschränkt ist) und
M  N (nach der Definition von N ). Damit ist die in Eigenschaft III von  geforderte Situation erfüllt (mit A : M und B : N ) und somit existiert ein c   mit
M cN .
Wegen M  c ist c obere Schranke von M und wegen c  N gilt c  s für jede obere
Schranke s von M .
Daher ist c das Supremum von M , dessen Existenz somit nachgewiesen ist.
□
Übung 1.8-1
Ein analoger Satz gilt natürlich auch für die Existenz des Infimums. Formulieren und beweisen Sie ihn.
Als eine Anwendung des Satzes von der Existenz des Supremums kann der folgende Satz von
Archimedes bewiesen werden, der eine besondere Eigenschaft der Ordnung von  angibt.
Insofern hat die Eigenschaft III von  Rückwirkungen auf die Eigenschaft II.
Satz von Archimedes (Archimedisches Prinzip)
Zu jedem x   gibt es ein n   mit x  n .
Eine alternative Formulierung (äquivalente Aussage) des Satzes des Archimedes ist folgende:
Für alle reellen Zahlen x, y  0 gibt es eine natürliche Zahl n , so dass nx  y ist:
 heißt deswegen auch archimedisch geordnet.
36
1 Reelle Zahlen
Geometrische Interpretation
Hat man zwei Strecken (der Länge x bzw. der Länge y ) auf einer Geraden, so kann man die
größere von beiden übertreffen, wenn man die kleinere nur oft genug abträgt.
x
y
(Bildquelle: https://commons.wikimedia.org, hier abgeändert)
Die Aussage des Satzes von Archimedes ist anschaulich eine Selbstverständlichkeit. Ihr Beweis (den wir hier nicht führen) kann jedoch auf das Vollständigkeitsaxiom für  nicht verzichten. Es gibt Zahlbereiche, die die Eigenschaften I und II von  besitzen, nicht jedoch die
Eigenschaft der Vollständigkeit, in denen der Satz des Archimedes nicht gilt. Ein einfaches
Beispiel für einen angeordneten Körper, in dem das Axiom des Archimedes nicht gilt, lässt
sich nicht ohne weiteres angeben.
Wir kennen allerdings einen Zahlbereich, nämlich  , der die Eigenschaften I und II von 
besitzt, nicht jedoch die Eigenschaft der Vollständigkeit, in dem der Satz des Archimedes sehr
wohl gilt, wie man sich einfach überlegen kann. (Zu einer vorgegebenen rationalen Zahl
mit p   und q   ist n :
p
q
 q  1 eine natürliche Zahl, für die n 
p
q
p
gilt. Dieser Beweis
q
benötigt die Eigenschaft der Vollständigkeit nicht.)
Andere Formulierungen, die häufig Anwendung finden, sind die folgenden.
Satz (Folgerungen aus dem Satz des Archimedes)
Sei x   gegeben. Es gelten die Folgerungen
a) 0  x
b) 0  x 
 es gibt ein n   mit
1
für jedes n  
n
c) 0  x   für jedes    
1
 x.
n
 x 0.
 x  0 (klassische Schlussweise in der Analysis).
37
1 Reelle Zahlen
Bemerkung
Die Aussagen des obigen Satzes zeigen:
Es gibt keine kleinste positive reelle Zahl.
Beweis (Folgerungen aus dem Satz des Archimedes)
a) Nach dem Satz von Archimedes gibt es zu a :
1
ein n   mit a  n . Hieraus folgt
x
1 1
 x
n a
b) Wäre x  0 , so gäbe es nach a) ein n mit
c) Da
1
 x , was der Voraussetzung widerspricht.
n
1
 0 für jedes n   , folgt c) direkt aus b).
n
□
Eine weitere bedeutsame Folgerung aus dem Satz des Archimedes ist folgende (hier ohne
Beweis):
Satz
Sind x, y  gegeben mit x  y , so gibt es ein p  mit x  p  y .
Man sagt:  ist eine dichte Teilmenge von  .
□
Als eine wichtige Anwendung des Satzes zur Existenz des Supremums und des Satzes des
Archimedes, also letztlich der Vollständigkeit von  , folgt die Existenz von Wurzeln. (Auf
einen Beweis wird hier verzichtet.)
Satz (Existenz von Wurzeln)
Sei x   mit x  0 gegeben. Dann existiert genau eine nichtnegative reelle Zahl s mit
s 2  x . Diese wird mit
x bezeichnet.
□
Der folgende Satz zeigt den Zusammenhang zwischen Betrag und Wurzel auf; häufig wird auf
diese Weise der Betrag definiert.
38
1 Reelle Zahlen
Satz
Für x   gilt: x  x 2 .
□
Dieser Satz findet z. B. beim Lösen quadratischer Ungleichungen Anwendung, wie folgende
Beispiele zeigen.
Beispiele für das Lösen quadratischer Ungleichungen
a) Man löse die Ungleichung
x 2  6 x  5 .
Es gilt:
x 2  6 x  5
 x2  6 x  5  0
  x  3  9  5  0
2
(quadratische Ergänzung)
  x  3  4
2
 x3  2
  x  3  0 und x  3  2  oder  x  3  0 und   x  3  2 
  x  3 und x  1 oder  x  3 und x  5
 x  1 oder x  5
keine Lösungen
Lösungen
-5
Lösungen
-1
0
1
b) Man löse die Ungleichung
1
 1  2 x mit x  1 .
1 x
1. Fall: 1  x  0 , also x  1:
Dann gilt:
1
 1 2x
1 x
 1  1  2 x 1  x 
 1  1  x  2x2
39
1 Reelle Zahlen
 x  2x2  0
 x 1  2 x   0
  x  0 und 1  2 x   0  oder  x  0 und 1  2 x   0 
1
1


  x  0 und x   oder  x  0 und x  
2
2


0 x
1
2
2. Fall: 1  x  0 , also x  1 :
Dann ist die linke Seite der Ungleichung
1
 1 2x
1 x
negativ, die rechte Seite positiv und damit die Ungleichung selber trivialerweise immer erfüllt.
Insgesamt sind die Lösungen von
1
 1 2x
1 x
genau die reellen Zahlen x mit
0 x
1
oder x  1 .
2
Lösungen
0
Lösungen
1
2
1
Übung 1.8-2
Lösen Sie die Ungleichung
2
 x  4 mit x  3 .
x 3
40
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