Sie konnten zusammen nicht kommen Gretel Urech Berta wuchs zusammen mit sieben Schwestern und zwei Brüdern auf einem kleinen Bauernhof im Seeland mit angegliederter Fuhrhalterei auf. Sie war eine hochgewachsene Frau mit wunderschönen kastanienbraunen Haaren. Mit der Mutter zusammen, besorgte sie den arbeitsaufwändigen Haushalt, in dem damals selbstverständlich noch keine elektrischen Kochherde und Waschmaschinen vorhanden waren. Im Sommer gaben Beeren und Baumfrüchte viel Arbeit, denn für den Winter musste vorgesorgt werden. Im Herbst galt es, den grossen Garten für den Winter herzurichten. Später, im November, kam die Hausmetzgete an die Reihe. Darauf freute sich immer die ganze Verwandtschaft, denn Berta lud, mit ihrem Bruder zusammen, stets alle zum «Metzgetemahl» ein, was natürlich niemand verpasste. In einem Winter bot sich ihr einmal die Gelegenheit, eine Fabrikarbeit anzunehmen – sehr zur Missbilligung ihrer Eltern allerdings. In dieser Fabrik gab es einen Werkmeister im gleichen Alter wie Berta, der sich in sie verliebte. Aber wie sollte es weitergehen? Ihre Eltern waren bereits über 75 Jahre alt und da war auch noch der ledige Bruder, der die Arbeit in Feld und Stall besorgte. Für Berta kam eine schwere Zeit, denn sie musste sich zwischen Verehrer und Heim entscheiden. Als der Werkmeister bei den Eltern um die Hand von Berta anhalten wollte, verriegelte sie die Eingangstür und floh in ihr Zimmer hinauf. Die Trauer kroch in ihr hoch. Sollte sie öffnen oder nicht? Sie nahm alle Kraft zusammen und öffnete... nicht! Der Verehrer wartete fast eine ganze Stunde, bevor er schweren Herzens abzog, für immer... Berta arbeitete weiterhin zu Hause, ging aber im Winter nie mehr einer anderen Tätigkeit nach. Sie nahm zusammen mit ihrem Bruder zwei Neffen auf, die sie gemeinsam aufzogen. Wie so oft auf der Welt, erhielt sie keinen Dank dafür. Als ihr die Arbeit nach dem Tod des Bruders allmählich zu schwer wurde, entschloss sie sich, das ganze Heimet, mit Ausnahme von ein paar Landstücken als Reserve, zu verkaufen. Heute lebt die beinahe 100-jährige Frau in einem Altersheim, wo sie gut umsorgt wird, sich über jeden Besuch freut und «auf das Einschlafen» wartet, wie sie selber sagt. Sprüche Wer dauernd Endgültiges zu sagen bemüht ist, der kommt über Platitüden nicht hinaus. Günter Grass 126