Politische Ökonomie 6. Politische Ökonomie und Institutionen I Was sind Institutionen und warum sind sie wichtig? I Allgemein: Institutionen bestimmen die Spielregeln einer Gesellschaft: 1. wirtschaftliche Institutionen z.B. Vertragsrecht 2. politische Institutionen, z.B. Wahlverfahren, Beschränkungen der Exekutive, politisches System. 3. soziale Institutionen, z.B. Religion Rainald Borck 1 Politische Ökonomie Bedeutung von Institutionen I Bsp. Kapitalismus versus Sozialismus. Betrachte Korea als natürliches Experiment. I Nach dem 2. Weltkrieg waren Nord- und Südkorea in sozialer, ökonomischer und politischer Hinsicht homogen. I Sozialismus im Norden, Kapitalismus im Süden: Natürliches Experiment I 2000 hatte Südkorea das 16fache pro-Kopf Einkommen des Nordens! Rainald Borck 2 Politische Ökonomie I Einuss von Demokratie auf Wachstum. Barro (1996): Demokratieindex hat schwach negativen Einuss auf Wachstum, wenn für Fertilität, Bildung, und Rechtsstaatlichkeit kontrolliert wird. I Nichtlineare Regression: Zusammenhang zwischen Wachstum und Demokratie umgekehrt U-förmig. I Demokratieindex führt zu höherem Wachstum für wenig demokratische aber weniger Wachstum für sehr demokratische Länder. I Intuition? Rainald Borck 3 Politische Ökonomie 6.1. Politische Institutionen im engeren Sinne I Eekt von politischen Institutionen auf Politik. 1. Verhältnis- vs. Mehrheitswahlrecht 2. präsidentielles vs. parlametarisches System I Mehrheitswahl: kleine Stimmbezirke, Kandidat mit Mehrheit der Stimmen gewinnt Bezirk; Verhältniswahl: groÿe Stimmbezirke, Kandidaten erhalten Sitze im Verhältnis ihrer Stimmenanteile. I Präsidentielles System: Direktwahl, keine Vertrauensfrage, Gewaltenteilung; parlamentarisches System: Regierung ist Parlament verantwortlich, legislativer Zusammenhalt (cohesion). Rainald Borck 4 Politische Ökonomie Political institutions 1998 MAJ=1 PRES=1 MAJ=0 PRES=1 MAJ=1 PRES=0 MAJ=0 PRES=0 3 Abbildung: Politische Systeme Rainald Borck 5 Politische Ökonomie 6.2. Wahlverfahren I Wahlverfahren: Verhältnis- vs. Mehrheitswahlrecht. I Eigenschaften von Wahlverfahren: 1. Mehrheits- vs. Verhältniswahl 2. Gröÿe der Wahlbezirke 3. Wahl von individuellen Politikern vs. Landesliste I Realität: 1-3 korreliert. I Hier: Zahl der Parteien exogen. Duverger's law: Mehrheitswahl → 2-Parteien-Systeme; Verhältniswahl: gröÿere Zahl von Parteien. Rainald Borck 6 Politische Ökonomie I Verhältniswahl hier: Wahl in einem nationalen Wahlbezirk. Gewinner muss 50% der Stimmen im Land gewinnen. I Mehrheitswahl in N Stimmbezirken. Gewinner muss Mehrheit in 50% der Bezirken gewinnen. I Mehrheitswahl führt zu schärferer Konkurrenz in marginalen Bezirken, wo Wahlausgang ungewiss ist. Rainald Borck 7 Politische Ökonomie Grundmodell I Bevölkerung mit 3 gleich groÿen Gruppen J = 1, 2, 3. Innerhalb der Gruppen sind Individuen identisch mit Nutzenfunktion wJ = cJ + H(g) = 1 − t + f J + H(g) mit t: f J Transfer pro H 0 > 0 > H 00 Steuersatz, öentliches Gut, Kopf in Gruppe J , g: reines I Staatsbudget: 3t = X fJ + g + r J r: Rentenabschöpfung durch Politiker I Konikte: I zwischen Wählergruppen über fJ I zwischen Wählern und Politikern über r I zwischen Politikern über Verteilung von Renten Rainald Borck 8 Politische Ökonomie I Politischer Wettbewerb: 2 Parteien A, B bieten bindende J Programme qP = (t, g, r, {f }) an. Partei P maximiert E(vP ) = pP (R + r) R: exogene Ego Rente I Probabilistisches Wählen: Wähler aus Gruppe J stimmt für A wenn W J (qA ) > W J (qB ) + δ + σ iJ I Rainald Borck δ ist bei Bekanntgabe der Programme unbekannt und in 1 1 [− 2ψ , 2ψ ] mit Dichte ψ gleichverteilt. Politiker kennen J J {φ , σ̄ }, ψ aber nicht Realisation von δ . 9 Politische Ökonomie I σ iJ : gruppenspezische Gleichverteilung mit Dichte [− I Annahmen: φJ in: 1 1 + σ̄ J , J + σ̄ J ] J 2φ 2φ σ̄1 < σ̄2 = 0 < σ̄3 ; φ2 > φ1 , φ3 I Interpretation: Gruppe 2 ist im Durchschnitt ideologisch am neutralsten; Gruppe 1 (3) hat inhärente Präferenz für A(B). I Gruppe 2 hat die meisten ideologisch neutralen Wähler: Politischer Wettbewerb konzentriert sich auf Gruppe 2. Rainald Borck 10 Politische Ökonomie σ1 0 Abbildung: Verteilung von Rainald Borck σiJ σ3 σ iJ 11 Politische Ökonomie I Stimmenanteil Partei A in Gruppe J. Alle σ iJ ≤ σ J (Swing voter) stimmen für A: σJ J πA = W J (gA ) − W J (gB ) − δ 1 J J J = φ σ − σ̄ + J 2φ 1 + φJ [W J (qA ) − W J (qB ) − δ − σ̄ J ] = 2 I Wahlwahrscheinlichkeit hängt von q (1) (2) (3) ab: Programm beeinusst Identität der gruppenspezischen swing voter: Umverteilung zwischen Gruppen. I Auÿerdem: trade-o Wählerstimmen versus Rentenextraktion. Rainald Borck 12 Politische Ökonomie 6.2.1. Verhältniswahl mit einem Stimmbezirk I Ann: es gibt nur einen Stimmbezirk. Verhältniswahl: Parteien erhalten Sitze entsprechend ihrem Stimmenanteil. Partei mit den meisten Sitzen stellt Regierung. I Gewinnwahrscheinlichkeit Partei A: pA = = mit φ≡ 1 3 P 1X J 1 πA ≥ ] 3 2 1 ψ X J + [ φ (W J (qA ) − W J (qB ))] 2 3φ prob [ (4) (5) φJ 1 X J W J (qA ) = 1−t+f J +H(g) = 1− ( f +g+r)+f J +H(g) 3 Rainald Borck 13 Politische Ökonomie I Gleichgewicht: qA = qB . I Transfers: Da φ2 > φ1 , φ3 ist im Gleichgewicht f 2 > 0 = f 1 = f 3 . Gruppe 2 hat die meisten swing-voter und erhält daher als einzige Transfers (wg. Linearität der Nutzenfunktion) I Öentliches Gut: Bedingung für Optimum φ2 · 1 = X φJ H 0 (g) = 3φH 0 (6) Gewichteter Nutzen für alle Gruppen (Stimmengewinn) = Stimmenverlust durch niedrigeres f 2. I Beachte Unterbereitstellung (H 0 Verzerrung ist gröÿer, je gröÿer Rainald Borck = φ2 /(3φ) > 1/3). φ2 . 14 Politische Ökonomie I Steuersatz: φ2 · 1 > X φJ · 1 =φ 3 Gewinn durch höhere Steuern (mehr Umverteilung an Gruppe 2) höher als Kosten durch Stimmverlust verzerrender Steuer im Optimum ⇒t=1 (bei t < 1) I Renten: r > 0 ⇔ pA + (R + r) ⇔ r= Renten fallen mit Rainald Borck ∂pA =0 ∂r 3φ −R 2φ2 ψ φ2 /φ, ψ, R 15 Politische Ökonomie 6.2.2. Mehrheitswahl mit mehreren Stimmbezirken I 3 Stimmbezirke, die perfekt den drei Gruppen entsprechen. Winner takes all: Partei gewinnt alle Sitze in Bezirk J wenn 1 2. I Wenn σ̄ 1 , σ̄ 3 groÿ genug: A gewinnt sicher in Bezirk 1, B in J > πA 3. Wettbewerb nur im Swing Bezirk 2. I Gewinnwahrscheinlichkeit Partei A: pA = = Rainald Borck prob 1 2 [πA ≥ ] 2 1 + ψ[W 2 (qA ) − W 2 (qB )] 2 16 Politische Ökonomie I Transfers: Wie in Verhältniswahl Transfers nur an Gruppe 2, aber Transfers sind höher, da Kosten für Gruppe 1 und 3 von Politikern nicht internalisiert I Steuersatz im Gleichgewicht ebenfalls t=1 I Öentliche Güter: φ2 H 0 (g) = φ2 Kosten (geringere Transfers an 2) wie in Verhältniswahl, aber Nutzen wird nur für Gruppe 2 internalisiert → geringeres Angebot Rainald Borck 17 Politische Ökonomie I Renten: r > 0 ⇔ pA + (R + r) ⇔ r= I wg. φ2 < 3φ = P φJ ∂pA =0 ∂r 1 −R 2ψ sind Renten im GGW geringer als bei Verhältniswahl: schärferer Wettbewerb, da Konzentration auf die am stärksten reagierende Wählergruppe 2. Stimmenverlust bei Erhöhung der Renten gröÿer als bei Verhältniswahl Rainald Borck 18 Politische Ökonomie Vorhersagen I Verhältniswahl mit groÿen Stimmbezirken führt gegenüber Mehrheitswahl mit kleinen Bezirken zu I geringeren spezischen Transfers I höheren Ausgaben für öentliche Güter I höheren Renten für Politiker I Accountability Rainald Borck 19 Politische Ökonomie 6.3. Politische Systeme I Politische Systeme: Gewaltenteilung und Zuteilung von Verfügungsrechten auf Politiker I Verfassung speziziert Rechte von Politikern: unvollständige Verträge. Politik wird ex post gemacht und Politiker nur durch Wahlen diszipliniert. I Parlamentarische versus präsidentielle Regime. Im parlamentarischen System ist Macht zentralisiert, Regierungskoalition hält zusammen; präsidentielles System: Aufteilung der Vorschlagsrechte, keine stabilen parlamentarischen Mehrheiten. Rainald Borck 20 Politische Ökonomie I Ökonomisches Modell wie in 6.1. Drei Gruppen werden durch je einen Abgeordneten repräsentiert. I Systeme: Präsidentiell (z.B. US) versus parlamentarisch (eur.) I Vertrauensfrage: I PRES: keine Vertrauensfrage (Direktwahl) I PARL: Regierung ist Parlament verantwortlich I Gewaltenteilung: I PRES: Gewaltenteilung zwischen Ministern und Parlament I PARL: Macht im Kabinett konzentriert Rainald Borck 21 Politische Ökonomie 6.3.1. Präsidentielles System I Direkte Wahl: Keine Vertrauensfrage. Gewaltenteilung: Unterschiedliche Parlaments-Ausschüsse haben Vorschlagsrecht über Politikbereiche. Hier: Steuern und Ausgaben I Präsident hat Vetorecht (hier ausgeblendet). I Modell: Retrospektives Wählen (Wähler bestimmen Mindestnutzen, den Incumbents garantieren müssen, um wiedergewählt zu werden. I Legislative bargaining: 3 amtierende Politiker J verhandeln über Politikvariablen. Rainald Borck 22 Politische Ökonomie I Nutzenfunktion Politiker E(vJ ) = rJ + pJ R I Retrospektive Wahlregel: pJ = Rainald Borck 1 0 wenn W J (q) ≥ ω J sonst 23 Politische Ökonomie Timing 1. 2 Agendasetter werden bestimmt, Finanzausschuss Ausgabenausschuss at und ag 2. Wähler bestimmen Reservationsnutzen für ihre Abgeordneten 3. at schlägt Steuersatz vor 4. Parlament stimmt ab; wenn wenn nicht 5. ag schlägt t Mehrheit ndet, wird er Gesetz, t̄ > 0 g, {f J }, r vor 6. Parlament stimmt ab, wenn Vorschlag abgelehnt wird, ist Allokation g = 0, f J = t − r̄ 7. Wahlen nden statt. Rainald Borck 24 Politische Ökonomie I Gleichgewicht: rpr = 0, f g ≥ 0, f J = 0, J 6= g, H 0 (g pr ) = 1 1. Wettbewerb zwischen Wählern in J 6= ag treibt Transfers auf null. 2. Politischer Wettbewerb internalisiert nur 1/3 des Nutzens von g→ Unterbereitstellung. 3. Renten: ag hätte gerne höhere Rente, aber Wähler von bewilligen nur Steuern die zur Finanzierung von → r = 0; g pr at nötig sind da höhere Steuern vollkommen für Transfers an ag verwendet werden. Rainald Borck 25 Politische Ökonomie 6.3.2. Parlamentarisches System I Konzentration von Macht im Kabinett I Vertrauensfrage: Regierung abhängig von Billigung durch Parlament. I legislative cohesion: Regierungskrise in Folge von Miÿtrauensvotum schat Zusammenhalt von Parteien in Regierung. Regierungskrise bei Scheitern des Haushalts ist teuer. I Abgeordnete in der Regierung können gegenseitig Vorschläge ablehnen, dann bricht Regierung zusammen und default option f = 0, ḡ, r̄ Rainald Borck wird implementiert. 26 Politische Ökonomie I Gleichgewicht: rpa = 3y − 2R, f pa > 0, tpa = 1, 1. Nutzen von g 1 ≤ H 0 (g pa ) < 1 2 zu gröÿerem Teil internalisiert: Unterbereitstellung weniger streng. 2. Renten höher, Politiker können kolludieren: positive Renten. 3. Steuern hoch: Wähler die Regierung unterstützen, wollen hohe Steuern, da ihre Vertreter residual claimants sind. Rainald Borck 27 Politische Ökonomie Fazit I Präsidentielles System: Gewaltenteilung, keine stabilen Mehrheiten. I Transfers an Minderheit I geringe Ausgaben für ö. Güter I niedrigere Renten I Parlamentarisches System: 1. Ausgaben breit gestreut 2. aber: höhere Transfers und Politikerrenten Rainald Borck 28 Politische Ökonomie 6.4. Empirische Evidenz I Welchen Eekt haben politische Systeme auf Wirtschaftspolitik? I Variablen (Persson/Tabellini 2003): MAJ = 1 (0) Mehrheitsbzw. Verhältniswahlrecht. PRES = 1 (0): Präsidentielles (parlamentarisches) System. PRES:keine Vertrauensfrage I Probleme: 1. konstitutionelle Reformen selten: Schätzung durch Variation im Querschnitt. 2. nicht zufällige Auswahl von Institutionen: Kultur, Geographie... 3. Ausgelassene Variablen: wenn Länder mit bestimmtem System nicht beobachtete Eigenschaften haben, die Politik beeinussen (Wetter, Kolonialgeschichte...): Schätzung verzerrt. Rainald Borck 29 Politische Ökonomie Zusammenfassung Ergebnisse I Anteil Staatsausgaben/BIP: PRES=1 niedriger; MAJ=1 → → Ausgabenanteil 5% Ausgaben 3-4% niedriger I Anteil Sozialausgaben/BIP (allg. statt spezielle Transfers): PRES, MAJ: niedrigere Sozialausgaben I Korruption (Rentenextraktion): Messung anhand subjektiver Indizes. I Keine starken Eekte von PRES. Mehr Korruption in kleinen Stimmbezirken (Eintrittsbarrieren) und bei Partei-Listen I Fazit: Teilweise konsistent mit Theorie. Wünschbar: mehr Daten mit Variation der Institutionen. Rainald Borck 30