PID, PND, Forschung an Embryonen

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4., erweiterte Auflage
der Dokumentation
PID, PND, Forschung
an Embryonen
Aufsätze
Berichte
Diskussionsbeiträge
Kommentare
im Deutschen Ärzteblatt
Beiträge aus 2004
www.aerzteblatt.de/dossiers/embryonenforschung
V O R W O R T
Dossier zur Embryonenforschung
PID, PND, Forschung an
Embryonen
Das Deutsche Ärzteblatt gibt eine erweiterte Dokumentation
heraus, die im Internet abgerufen werden kann.
A
ls das Deutsche Ärzteblatt im Jahr 2002 seine erweiterte Dokumentation zu embryonaler Stammzellforschung, pränataler Diagnostik (PND) und Präimplantationsdiagnostik
(PID) vorlegte, war die Diskussion über diese
Themen in vollem Gange. Ein Ende ist nach wie
vor nicht in Sicht. Ausgelöst wurde der öffentliche Diskurs durch den vom Vorstand der Bundesärztekammer vorgelegten „Diskussionsentwurf
zu einer Richtlinie zur Präimplantationsdiagnostik“ im März 2000.
Von Anfang an hat sich das Deutsche Ärzteblatt an der Debatte beteiligt und die unterschiedlichsten Stimmen zu Wort kommen lassen. In einem Sonderdruck aus dem Jahr 2001 wurden diese Beiträge, beginnend mit dem Diskussionsentwurf, zusammengefasst. Unmerklich verlagerte
sich der Schwerpunkt dann von der Diskussion
über die Präimplantationsdiagnostik zur Forschung an und mit Embryonen und zur Gewinnung von Stammzellen. Die
Ein Ende der Diskussion Meinungsbildung in der Ärzüber Präimplantations- teschaft spiegelt sich in der
diagnostik und Embryonen- Berichterstattung und Komforschung ist nicht in Sicht. mentierung des Deutschen
Ärzteblattes wider, wie die ein
Jahr später publizierte Materialsammlung beweist. Auch dieser Sonderdruck war – ebenso wie
die erste Auflage – schnell vergriffen.
Inzwischen sind im Deutschen Ärzteblatt zahlreiche weitere Beiträge zu der Thematik erschienen. Darin wird deutlich, dass nach wie vor großer
Diskussionsbedarf besteht. So berichtete das DÄ
beispielsweise über die Beschlusslage zur internationalen Klonkonvention. Bisher gibt es noch keine Einigung. Es geht immer noch um die Frage, ob
nur das reproduktive Klonen oder auch das therapeutische Klonen weltweit geächtet werden sollen. Im Jahr 2004 behauptete der südkoreanische
Wissenschaftler Woo Suk Hwang, die ersten
menschlichen Embryonen geklont zu haben. Inzwischen stellte sich allerdings heraus, dass nahezu sämtliche dieser als bahnbrechend geltenden
Forschungsergebnisse gefälscht sind. Es gebe
keine Daten, die das Klonen menschlicher Em-
bryonen und Stammzellen durch Hwang belegten,
teilte die Untersuchungskommission der Universität in ihrem Abschlussbericht mit. Kritiker forderten ein internationales Klonverbot. Die Haltung Deutschlands in dieser Frage ist uneinheitlich.
Eine mögliche Novellierung des Stammzellgesetzes ist allerdings vorerst vom Tisch. Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU) kündigte an, den Embryonenschutz nicht zugunsten
der Forschung aufweichen zu wollen. Im Koalitionsvertrag heißt es, dass der
Förderung adulter Stammzel- Die Meinungsbildung in der
len auch weiterhin eine be- Ärzteschaft spiegelt sich in
sondere Rolle beigemessen der Berichterstattung und
Kommentierung des Deutwerden soll.
Im Bereich der pränatalen schen Ärzteblattes wider.
Diagnostik besteht ebenfalls
weiterhin Klärungsbedarf. So werden zunehmend Forderungen erhoben, die Abtreibungsregelung zu ändern, da durch den Wegfall der embryopathischen Indikation Spätabtreibungen bis
zur Geburt möglich geworden sind. „Wir werden
prüfen, ob und gegebenenfalls wie die Situation
bei Spätabtreibungen verbessert werden kann“,
heißt es im Koalitionsvertrag. Die Regierung
folgt damit einem Auftrag des Bundesverfassungsgerichts, das dem Gesetzgeber eine Nachbesserungspflicht der Gesetze zum Schwangerschaftsabbruch auferlegt hatte.
Die Beiträge der DÄ-Redakteurinnen und
-Redakteure zu diesen Themen sowie Aufsätze
und Kommentare von Ärzten, Wissenschaftlern
und Theologen mit teilweise konträren Ansichten
sind in dieser erweiterten Dokumentation veröffentlicht. Sie ist inzwischen so umfangreich geworden, dass eine Publikation als Sonderdruck
den Rahmen sprengen würde, sodass sich die Redaktion entschlossen hat, sie online zu veröffentlichen. Zusätzlich können auch der Diskussionsentwurf zu einer Richtlinie zur Präimplantationsdiagnostik, wichtige Gesetze, wie das Embryonenschutzgesetz und das Stammzellgesetz, Positionspapiere und Stellungnahmen sowie die Entschließungen der Deutschen Ärztetage zu dieser
Gisela Klinkhammer
Thematik abgerufen werden.
197
D O K U M E N T A T I O N
Vorwort zur 1. Auflage
Beiträge zum Diskurs
Als der Vorstand der Bundesärztekammer den „Diskussionsentwurf zu einer
Richtlinie zur Präimplantationsdiagnostik“ vorlegte, rief er zugleich zu einem
öffentlichen Diskurs auf. Der läuft seit
nunmehr rund eineinhalb Jahren und
hat einen kaum noch fassbaren Niederschlag in der Presse gefunden. Inzwischen bringen auch Funk und Fernsehen
fast täglich Diskussionen nicht mehr
nur zur Präimplantationsdiagnostik
(PID), sondern auch zur Embryonenforschung.
Das Deutsche Ärzteblatt hat sich
von Anfang an an dem Diskurs beteiligt und die unterschiedlichsten Stimmen zu Wort kommen lassen. In diesem
Sonderdruck sind diese Beiträge, beginnend mit dem Diskussionsentwurf,
zusammengefasst. Die Redaktion hat
sich sehr um Vollständigkeit bemüht,
gleichwohl kann nicht ausgeschlossen
werden, dass vielleicht ein Leserbrief
oder eine kleinere Notiz fehlen. Die
Diskussion ist im Übrigen keineswegs
abgeschlossen. Weitere Beiträge für
spätere Hefte des Deutschen Ärzteblattes sind in Satz – Stoff genug für eine
allfällige erweiterte Auflage des Sonderdrucks.
Der Dokumentation der im Deutschen Ärzteblatt erschienenen Beiträge
sind vorangestellt ein Interview mit dem
Präsidenten der Bundesärztekammer
und des Deutschen Ärztetages, geführt
im Vorfeld des in diesen Tagen beginnenden 104. Deutschen Ärztetages, sowie der Bericht über die einschlägige
Diskussion beim vorangegangenen 103.
Deutschen Ärztetag.
Im Grunde genommen müsste eine
vollständige Dokumentation über die
Auffassungen der Ärzteschaft in der mit
Präimplantationsdiagnostik zusammenhängenden Thematik weitaus früher beginnen, zumindest mit dem 88. Deutschen Ärztetag, der 1985 in Lübeck-Travemünde seine Haltung zur In-vitro-Fertilisation (IVF) formulierte. Bereits damals wurden die daraus entstehenden
Probleme der Embryonenforschung klar
erkannt, der Umgang mit den so genannten überzähligen Embryonen diskutiert.
Der Ärztetag sprach sich schließlich
mit großer Mehrheit zugunsten von IVF
aus. Zur Embryonenforschung stellte er
fest: „Experimente mit Embryonen sind
grundsätzlich abzulehnen, soweit sie
nicht der Verbesserung der Methode
oder dem Wohle des Kindes dienen.“
Diese Formulierung war ein wenig strenger als die Vorstandsvorlage, entsprach
aber noch einer zugleich vorgelegten
Richtlinie des Wissenschaftlichen Beirates der Bundesärztekammer zur IVF (veröffentlicht in Heft 22/1985), die der Ärztetag pauschal „begrüßte“. In einer weiteren Richtlinie äußerte sich der Wissenschaftliche Beirat später, ohne Zutun des
Ärztetages, zur Forschung an frühen
menschlichen Embryonen (veröffentlicht in Heft 50/1985). Danach dürfen menschliche Embryonen „grundsätzlich“ nicht mit dem Ziel der Verwendung
zu Forschungszwecken erzeugt werden.
Mit der Formel „grundsätzlich“ wurden
Impressum
Chefredakteur:
Chefs vom Dienst:
Redaktion:
Technische Redaktion:
Schlussredaktion:
Verlag:
198
erhebliche Spannungen innerhalb des
Beirates zu dieser Frage überdeckt. Die
Richtlinien sprechen sich hingegen eindeutig für Untersuchungen, die der
Verbesserung der Lebensbedingungen
des jeweiligen Embryos und gleichzeitig
dem wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn dienen, aus, sofern Nutzen und Risiken miteinander sorgfältig abgewogen
werden.
Der 91. Deutsche Ärztetag beschloss
1988 in Frankfurt eine Änderung der
(Muster-)Berufsordnung. Die Delegierten entschieden sich für einen Mittelweg: Die Erzeugung von Embryonen für
Forschungszwecke wurde untersagt und
dem ein weiterer Satz hinzugefügt:
„Grundsätzlich verboten ist auch die
Forschung an menschlichen Embryonen.“ Bei Einhaltung strikter Kriterien
wurden allerdings Forschungen für
zulässig gehalten, sofern sie der Deklaration von Helsinki entsprechen.
Machen wir einen Sprung zum 100.
Deutschen Ärztetag 1997 in Eisenach.
Die damals neu strukturierte, bis heute
geltende (Muster-)Berufsordnung verbietet gleichfalls die Erzeugung von menschlichen Embryonen zu Forschungszwecken.Verboten sind ferner diagnostische Maßnahmen an Embryonen, „es sei
denn, es handelt sich um Maßnahmen
zum Ausschluss schwerwiegender geschlechtsgebundener Erkrankungen im
Sinne § 3 Embryonenschutzgesetz“.
Und das gehört der Vollständigkeit
halber dazu: Seit 1991 gilt das Embryonenschutzgesetz mit seinen strengen
Regeln – strengeren als sie 1985 von der
ärztlichen Selbstverwaltung und ihren
wissenschaftlichen Beratern formuliert
worden waren.
Norbert Jachertz
Dokumentation „PID, PND, Forschung an Embryonen“
Heinz Stüwe, Köln
(verantwortlich für den Gesamtinhalt im Sinne der
gesetzlichen Bestimmungen)
Gisela Klinkhammer, Herbert Moll
Norbert Jachertz, Gisela Klinkhammer, Michael Schmedt (Internet)
Jörg Kremers, Michael Peters
Helmut Werner, Inge Rizk
Deutscher Ärzte-Verlag GmbH, Köln
I N H A L T
Dokumentation in chronologischer Reihenfolge
Vorwort zur 4. Auflage:
PID, PND, Forschung an Embryonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197
Vorwort zur 1. Auflage:
Beiträge zum Diskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198
Beiträge aus dem Jahr 2004
Überzählige Embryonen: Respekt,
aber kein Lebensschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200
Wartburgtagung: Vom Umgang
mit der Menschenwürde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213
Gisela Klinkhammer
Stammzellbericht: Trügerische Ruhe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214
Dr. med. Eva A. Richter-Kuhlmann
Präimplantationsdiagnostik: Auf dem Weg
zum Routineangebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214
Gisela Klinkhammer
Prof. Dr. theol. Richard Schröder
Therapeutisches Klonen: Rat gespalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216
Präimplantationsdiagnostik: Möglichkeit zur Erfüllung
des Kinderwunsches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203
Lexikon: PID . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216
Prof. Dr. med. Gerd Richter
Nationaler Ethikrat: Quadratur des Kreises . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216
Präimplantationsdiagnostik:
Keine unkritische Ausweitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204
Dr. med. Eva A. Richter-Kuhlmann
Gisela Klinkhammer
Forschungsklonen: „Die Zeit arbeitet
für die Wissenschaftler“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217
Klonexperiment: Wider die Natur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205
DÄ-Interview mit Prof. Dr. rer. nat. Regine Kollek, Dr. phil. Peter Radtke
Prof. Dr. iur. Jochen Taupitz
Dr. med. Eva A. Richter-Kuhlmann
Klonen/Stammzellen I: Forschung an den Grenzen . . . . . . . . . . . . . 206
Dr. med. Eva A. Richter-Kuhlmann
„Die Wissenschaft ist in der Bringschuld“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207
Dr. med. Vera Zylka-Menhorn
Prof. Dr. med. Detlev Ganten:
„Das ganze System erforschen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209
Bundesrat: Verbot des Klonens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220
„Klon-Patent“: Klage gegen Brüstle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220
Spätabtreibungen: Geteilte Verantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220
Gisela Klinkhammer
DÄ-Fragen: Dr. med. Eva A. Richter-Kuhlmann
Präsidentschaftswahl in den USA:
Bioethische Schranken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221
Klonen/Stammzellen II: Politische Trendwende
(vorerst) nicht in Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210
Klonverbot: Kompromiss angestrebt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222
Dr. med. Eva A. Richter-Kuhlmann
Gisela Klinkhammer
Stammzellforschung: Patt in Europa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222
Reproduktionsmedizin: Wenig konkretes Wissen . . . . . . . . . . . . . . . 211
Dr. med. Eva A. Richter-Kuhlmann
Johannes Rau: Verfechter der Menschenwürde . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212
Embryonale Stammzellforschung: Trügerische Ruhe . . . . . . . . . . 222
Dr. med. Eva A. Richter-Kuhlmann
Dr. med. Eva A. Richter-Kuhlmann
199
D O K U M E N T A T I O N
Heft 4, 23. Januar 2004
KOMMENTAR
N
achdem es gelungen ist, aus
embryonalen Stammzellen von
Mäusen Eizellen zu erzeugen, hat
Hans-Werner Denker gefordert: „Die
Fragen nach dem Status von embryonalen Stammzellen sollten gezielt
experimentell untersucht werden“,
damit wir „nicht in weiteren Bereichen
als bisher Dinge tun, deren ethische
Implikationen die Gesellschaft überfordern“. Er fragt: „Sind sie etwas
prinzipiell anderes als gigantisch
expandierte Embryoblasten?“
Dies lässt sich auch ohne weitere
Experimente verneinen. Ein Embryoblast besteht aus mindestens räumlich
differenzierten Zellen und bildet zusammen mit dem Trophoblasten eine Einheit, die Blastozyste.Wenn sie sich einnistet, kann
es mit ihr vorwärts gehen bis zur
Geburt. Wenn aus Stammzellen
Eizellen erzeugt werden, ist das
dagegen der Rückwärtsgang.
Wenn es gelänge, solche Eizellen zu einer parthenogenetischen Entwicklung bis zur Geburt zu veranlassen, müsste entschieden werden, ob dieses Fortpflanzungsverfahren, das dem reproduktiven Klonen ähnelt, bei Menschen
erlaubt sein sollen. Der Erfolg solcher
Experimente würde nicht den Status
der Stammzellen verändern, sondern
die Manipulationsmöglichkeiten erweitern. Dass man nicht alles tun darf, was
man tun kann, gilt aber schon immer.
Jedes Küchenmesser ist ein potenzielles
Mordwerkzeug. Wenn es gelänge, adulte Zellen, etwa Hautzellen, zu Eizellen
zu reprogrammieren, würde dies auch
nicht ihren Status aufwerten, obwohl
man dann jede Hautzelle als potenzielle Eizelle bezeichnen könnte.
Die „Kammer für Öffentliche Verantwortung der Evangelischen Kirche
in Deutschland“ hat unter dem Motto
„Im Geist der Liebe mit dem Leben
umgehen“ eine Argumentationshilfe
für aktuelle medizin- und bioethische
Fragen vorgelegt. Die Kammer war
sich zwar in wichtigen Punkten nicht
einig, sie hat aber diesen Dissens auf
der Grundlage eines Konsenses zur
Darstellung gebracht und damit transparent gemacht.
„In biologischer Perspektive lässt
sich feststellen, ob bestimmte Zellen
oder Organismen der Spezies ‚Mensch‘
beziehungsweise ‚Homo sapiens (sapiens)‘ angehören“, nicht aber, „was mit
dem Ausdruck ,Mensch als Person‘
gemeint ist. Diese Kennzeichnung
erschließt sich erst in der darüber hinaus gehenden Perspektive personaler
Kommunikation.“ Es ist der Unterschied zwischen verfügbaren Sachen
und unverfügbaren Personen, um den
es hier geht. „Person ist jemand nur in
Beziehung – grundlegend zu Gott,
Überzählige Embryonen
einzelnen Menschen und als Teil der
Menschheit“. Die These von der „Heiligkeit des Lebens“ wird jedoch nicht
vertreten. Sie ist unterbestimmt, weil
im biologischen Sinne auch Samen-, Eiund sogar Krebszellen lebendig sind.
Ist bereits der menschliche Embryo
in diesem Sinne ein Mensch? Die
Stellungnahme antwortet: Er ist ein
sich (zur Geburt hin) entwickelnder
Mensch. Nun aber teilen sich die Argumentationen.
Die eine Seite versteht jeden Embryo von der Keimzellenverschmelzung an als einen sich entwickelnden
Menschen. Dann steht er unabhängig
von seinen tatsächlichen Entwicklungsmöglichkeiten unter uneingeschränktem Schutz. Es
verbietet sich jede Güterabwägung für fremdnützige
Zwecke, also der Verbrauch
überzähliger Embryonen aus
der künstlichen Befruchtung
für Forschungszwecke ebenso
wie die Präimplantationsdiagnostik. Diese Seite spricht
sich für die Adoption überzähliger Embryonen aus. Embryonen,
die nicht transferiert werden können,
müssen dann vernichtet werden.
Die andere Seite sagt: Von einem
sich entwickelnden Menschen kann
nur dann gesprochen werden, wenn die
äußeren Umstände der Entwicklung
bis zur Geburt auch vorliegen. Man
kann das auf die Formel bringen: Jeder
war einmal eine befruchtete Eizelle,
und deshalb verdient jede Respekt,
aber nicht jede befruchtete Eizelle
wird ein Mensch. 70 Prozent gehen auf
natürlichem Wege verloren. Trotzdem
sagen wir nicht: 70 Prozent aller
Menschen werden nie geboren. Überzählige Embryonen, die keine Mutter
finden können, sind dann ebenfalls
nicht als sich entwickelnde Menschen
zu betrachten. Sie verdienen dennoch
Respekt, nicht aber unbedingten
Lebensschutz. Eine Güterabwägung ist
zulässig und verbrauchende Forschung
mit therapeutischen Zielstellungen
vertretbar. Prof. Dr. theol. Richard Schröder
Respekt, aber
kein Lebensschutz
200
infolgedessen auch zu seinen Mitmenschen und zu sich selbst.“ In der objektivierenden Perspektive eines neutralen Beobachters oder Experimentators
zeigen sich nur Dinge, Eigenschaften
und Gesetzmäßigkeiten. Personalität
und Menschenwürde zeigen sich
dagegen nur in der intersubjektiven
Perspektive der Anerkennung.Wir sprechen sie unseresgleichen zu – und verletzen auch unsere eigene Menschenwürde, wenn wir dies verweigern. Wer
dennoch Personsein und Menschenwürde in bestimmten Eigenschaften wie
Bewusstsein oder Interessen-Haben
begründet sieht, gelangt zu Konsequenzen, die unserer moralischen Intention
heftig widersprechen. Dann wären
Bewusstlose keine Personen. Und wie
steht es dann mit Neugeborenen?
Einig ist sich die Kammer darin, dass
die Menschenwürde und der Lebensschutz bis in die ersten Anfänge des
Menschseins zurückreichen. Das Leben ist schutzwürdig „als Leben eines
D O K U M E N T A T I O N
Heft 12, 19. März 2004
Embryonen
Zu dem Kommentar „Überzählige Embryonen:
Respekt, aber kein Lebensschutz“ von Prof. Dr.
theol. Richard Schröder in Heft 4/2003:
Bloße Darstellung der
verschiedenen Positionen
Es ist Professor Schröder zu danken,
dass er mit seinem Kommentar das Papier der Kammer für Öffentliche Verantwortung der Evangelischen Kirche in
Deutschland vorstellt. Leider ist ihm als
Mitautor dieses Papiers offenbar verwehrt, über eine bloße Darstellung der
verschiedenen Positionen in dieser Kammer hinauszugehen. So bleibt schleierhaft, warum die Darstellung der einen
Position, dass jeder Embryo von der Verschmelzung der Keimzellen an als
Mensch anzusehen ist, mit
dem Schluss versehen wird, dass Embryonen, die im Rahmen der IVF nicht
transferiert werden können, vernichtet
werden müssen. Die praktische Konsequenz müsste doch viel mehr die Forderung nach einer Reduzierung der Embryonenproduktion sein. In der ethischen Diskussion müsste neben den aktuellen Entwicklungen auch die alltägliche Praxis der IVF hinterfragt werden,
zumal mit ihren Randerscheinungen,
wie gehäuften Mehrlings- und damit
Problemschwangerschaften sowie der
Fetusreduktion. Die andere Position
spricht nur dann von (sich entwickelnden) Menschen im Bezug auf Embryonen, wenn die äußeren Umstände, nämlich zur Weiterentwicklung bis zur Geburt, stimmen oder, wie im Kommentar
auch formuliert wird, wenn der Embryo
eine Mutter findet. Lebensschutz und recht werden hier mit dem Aufenthaltsort (verkürzt: in utero ja – in vitro nein)
verknüpft – hier würde mich der Kommentar eines Juristen interessieren!
Noch brisanter:
die Abhängigkeit des Lebensrechts von
der Annahme durch einen anderen, hier
der Mutter. Wenn bisher die Menschenwürde die Annahme des anderen als
Mitmensch geboten hat, verleiht jetzt die
mitmenschliche Annahme erst die Menschenwürde! Nicht unbedingten Lebensschutz verdienten diese unangenommenen Embryonen, dennoch aber Respekt.
Was aber ist Respekt auf Zeit wert, der
jederzeit mit dem Leben entzogen werden kann? Diese Position birgt Gefahren in sich: Wie ergeht es dann Menschen, die nicht (mehr) einwilligungsfähig sind, deren (geistige) Entwicklung
mehr oder minder im Abbau ist und die
durch Angehörige und Gesellschaft keine Annahme mehr erfahren? Kommt
dann der Senizid? Die aktuelle Gesetzgebung im nahen europäischen Ausland
lässt Schlimmstes befürchten.
Dr. med. G. Haasis,
Senator-Theil-Straße 4, 28279 Bremen
Man darf nicht alles tun, was
man tun kann
Die „Kammer für Öffentliche Verantwortung der Evangelischen Kirche in
Deutschland“ bekennt sich einheitlich
zu der Tatsache, dass der menschliche
Embryo ein sich zur Geburt hin entwickelnder Mensch ist. Dann aber spaltet sich die Kammer in zwei Lager.
Während die eine Seite dem Embryo ab
der Befruchtung deshalb unbedingten
Lebensschutz zubilligt, d. h. den Verbrauch überzähliger Embryonen aus der
künstlichen Befruchtung für Forschungszwecke ebenso wie die PID ablehnt, ist die andere Seite der Ansicht,
dass überzählige Embryonen zwar Respekt verdienen, aber keinen unbedingten Lebensschutz; eine Güterabwägung
sei zulässig und verbrauchende Forschung mit therapeutischen Zielstellungen vertretbar. Begründet wird diese
Haltung damit, dass man von einem sich
entwickelnden Menschen nur dann
sprechen könne, wenn die äußeren Umstände der Entwicklung bis zur Geburt
auch vorliegen, das heißt zum Beispiel,
dass diese bei den 70 % der befruchteten Eizellen, die auf natürlichem Wege
abgehen, und auch bei überzähligen
Embryonen, die „keine Mutter finden
können“, nicht gegeben und sie damit
keine sich entwickelnden Menschen
sind.
Hier liegt doch ein gravierender Denkfehler vor. Nachdem sich die Kammer
zuvor darin einig war, dass die Menschenwürde und der Lebensschutz bis
in die ersten Anfänge des Menschseins
zurückreichen, frage ich mich, zu welchem Zeitpunkt sie dann bei den ange-
sprochenen Spontanaborten die Grenze
ziehen will zwischen „bloßem“ Respekt
und unbedingtem Lebensschutz.
Und was die überzähligen Embryonen
betrifft, so ist es das „Verschulden“ des
Menschen, d. h. des Arztes, dass diese
Embryonen „keine Mutter finden können“, um sich zu einem Menschen zu
entwik-keln. Diese Embryonen verdienen nicht nur Respekt, sondern unbedingten Lebensschutz, eine Güterabwägung ist nicht zulässig und verbrauchende Forschung mit therapeutischen Zielstellungen ist mit diesen „überzähligen“
Embryonen nicht vertretbar.
Es ist sehr wohl wahr, was die Kammer
anfangs behauptet, dass man nicht alles
tun darf, was man tun kann.
Dr. med. Elisabeth Leutner,
Karl-Christ-Straße 1, 69118 Heidelberg
Die Ontologie gestrichen
Herr Professor Schröder ist sich anscheinend sicher, wenn er dem so genannten überzähligen Embryo nicht den
gleichen Lebensschutz gewähren will
wie demjenigen – womöglich gleichaltrigen – Embryo, den sich die Frau/Mutter
implantieren lässt, und wenn er ersteren
nur mit „Respekt“ behandelt wissen
will, was immer das in der Laborpraxis
heißt. Der Theologe hat die Ontologie
aus seinen Erwägungen gestrichen und
leitet das Mensch-sein allein (!) aus dessen Annahme durch die Gesellschaft
und der Beziehungswelt ab. Gewiss ist
der Mensch (in gewissem Sinn auch das
Tier) „animal sociale“, dies auch; primär
und prinzipiell aber ist der Mensch (gerade biblisch) Subjekt und bereits biologisch als solches und einmaliges von der
Zygote an angelegt. Er ist dem göttlichen „ens a se“ als geschaffenes Sein
„ebenbildlich“: Selbstzweck. Für Kant
ist der Embryo durch den „Akt der
Zeugung . . . Weltbürger“, eine Person.
Macht man es sich nicht zu einfach,
wenn man die eindrücklichen Bilder
vom Heranreifen des Menschen, welche
die modernen Techniken von der Zygote an erlauben (vgl. Kitzinger/L. Nilsson), übersieht? Zugegeben, unser
Sprachgebrauch ist ein anderer, nur wenige sprechen bislang vom „Menschen“
in vitro, lieber vom „Präembryo“. Aber
vom (vorläufigen) Sprachgebrauch auf
201
D O K U M E N T A T I O N
Seinswahrheiten zu schließen, erscheint
mir etwas mager für ein theologisches
„Argument“, sagen wir doch heute auch
noch immer: „Die Sonne geht auf“, ob-
wohl wir seit Jahrhunderten wissen,
dass die Realität eine andere ist und
sich die Erde um die Sonne dreht.
Manchmal muss man umdenken – ein
Appell, der dem Theologen so fremd
nicht sein wird.
Dr. med. Maria Overdick-Gulden
Markusberg 24 e, 54293 Trier
Heft 21, 21. Mai 2004
Embryonen
Zu dem Leserbrief „Bloße Darstellung der verschiedenen Positionen“ von Dr. med. G. Haasis
in Heft 12/2004, der sich auf den Kommentar
„Überzählige Embryonen: Respekt, aber kein
Lebensschutz“ von Prof. Dr. theol. Richard
Schröder in Heft 4/2004 bezog:
Antwort
Ich habe Ihren Leserbrief gelesen und
möchte gern versu-chen, Ihnen zu antworten.
Es ist beides richtig: Überzählige Embryonen, die existieren, müssen vernichtet werden, es sei denn, sie werden dauerhaft eingefroren oder man möchte die
Embryonenadoption einführen. Und:
Man sollte die praktische Konsequenz
ziehen, weitere über-zählige Embryonen zu vermeiden, indem möglichst nur
ein Embryo transferiert wird. Das vermeidet dann auch die unerwünschten
Mehrlingsgeburten und, was ja einem
Schwangerschaftsabbruch gleichkommt, die Beseitigung eines Embryos,
wenn sich mehrere eingenistet haben.
Aber das setzt die Auswahl eines aussichtsreichen Embryos voraus, was aber
in Deutschland verboten ist, denn bei
uns müssen alle erzeugten Embryonen
transferiert werden. Die künstliche
Nachahmung eines natürlichen Prozesses kann „die Natur“ nur sehr begrenzt
202
überlisten. Und bei der natürlichen
Schwangerschaft gelangen 70 Prozent
nicht zur Einnistung.
Nach unserer Rechtsordnung sind in
unserem Falle die Rechte tatsächlich vom
Aufenthaltsort abhängig. Die Rechtsfähigkeit beginnt mit der Geburt (§ 1
BGB). Im Uterus gilt der (eingeschränkte) Schutz des § 218 StGB. Bevor der
Embryo sich einnistet, ist er in vivo durch
keinerlei gesetzliche Bestimmungen geschützt, in vitro aber durch das ESchG.
Bei den überzähligen Embryonen
geht es nicht um Annahme oder Ablehnung durch die Mutter und also darum,
dass die Menschenwürde in das Belieben eines Menschen gestellt wird. Nehmen wir den Fall, dass nach der Befruchtung in vitro die Frau verunglückt. Dann
gibt es nur drei Möglichkeiten: diese
Embryonen vernichten, sie dauernd tiefgefroren lagern oder eine Frau finden,
die sich diese fremden Embryonen implantieren lässt, was aber in Deutschland durch das Embryonenschutzgesetz
als Leih-mutterschaft verboten ist. In
anderen Ländern ergibt sich das Problem, dass nach sofort gelungener IVF
Embryonen übrig bleiben. Soll nun die
Frau verpflichtet werden, in einer Abfolge von Schwangerschaften auch diese
übrigen auszutragen?
Es besteht Konsens unter uns, dass jeder geborene Mensch denselben Wür-
de- und Lebensschutz genießt. Das gilt
nicht ebenso für den Fötus, weil das Gesetz hier eine Abwägung erlaubt nach
Zumutbarkeitskriterien (die ich nicht
alle gutheiße: Die Spätabtreibung behinderter Kinder ist ein Skandal, verursacht durch die Abschaffung der embryopathischen Indikation). Nun müssten Sie doch zuerst befürchten, dass
diese Praxis bei menschengestaltigen,
per Ultraschall sichtbaren Wesen auf
die Geborenen übergreift. Das findet
aber bis jetzt nicht statt. Anders gesagt:
Es besteht kein nachgewiesener Zusammenhang zwischen einer Änderung der
Regelung des Schwangerschaftsabbruchs und der Zahl der Tötung Geborener. Eher dürfte die Kindestötung seltener vorkommen, wenn der Schwangerschaftsabbruch möglich ist. Es ist
doch abwegig, nun zu vermuten, dass
die Praxis von IVF in den Ländern, wo
überzählige Embryonen regelmäßig
entstehen und vernichtet werden, irgendjemand sich deshalb veranlasst
sieht, einen Mord für vertretbar zu halten. Das vorige Schweizer Reproduktionsgesetz schrieb vor, dass überzählige
Embryonen vernichtet werden müssen
(d. h. dass nicht an ihnen geforscht werden darf). M. W. hat niemand dagegen
protestiert.
Prof. Dr. theol. Richard Schröder, Birkenweg1,
15827 Blankenfelde
D O K U M E N T A T I O N
Heft 6, 6. Februar 2004
Präimplantationsdiagnostik
Möglichkeit zur Erfüllung
des Kinderwunsches
Die Einstellung von Betroffenen – eine empirische Studie
zur gegenwärtigen Debatte
S
eit der Veröffentlichung des „Diskussionsentwurfs zu einer Richtlinie zur Präimplantationsdiagnostik“ der Bundesärztekammer (1) im
März 2000 ist eine intensive gesellschaftliche Diskussion um die Frage der
juristischen und ethischen Zulässigkeit dieser reproduktionsmedizinischen
Möglichkeit geführt worden, die auch
zu Stellungnahmen der Enquete-Kommission „Ethik und Recht der modernen Medizin“ des Deutschen Bundestages (3) und des Nationalen Ethikrats
(6) geführt hat. Dabei ist festzustellen,
dass eine gesellschaftliche Einigung in
dieser Frage nicht festzustellen ist.
Befragung von genetischen
Hochrisikopaaren
Viele sind in der Debatte um die Präimplantationsdiagnostik (PID) zu Wort gekommen, am wenigsten aber diejenigen,
die unmittelbar von den Konsequenzen
einer Zulassung oder eines Verbotes der
PID betroffen sind: die so genannten
genetischen Hochrisikopaare. Gerade
aber, wenn über ein gesetzlich verankertes, strafrechtliches Verbot oder eine gesetzliche Zulassung dieser reproduktionsmedizinischen Diagnostik nachgedacht wird, müssen die Bedürfnisse
und Sichtweisen dieser unmittelbar
Betroffenen einen zentralen Platz in der
öffentlichen Debatte einnehmen.
In einer empirischen Untersuchung
hat eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe der Universitäten Marburg, Gießen
und Heidelberg deshalb erstmals in
Deutschland 162 genetische Hochrisikopaare (Zielgruppe) und 149 Paare einer
Kontrollgruppe hinsichtlich ihrer Einstellung zu den verschiedenen reproduktionsmedizinischen Möglichkeiten
unter besonderer Berücksichtigung
der Präimplantationsdiagnostik befragt.
Das Ziel der vom Bundesforschungsministerium geförderten Studie war die
Feststellung der Auffassungen von
Paaren aus der Ziel- und Kontrollgruppe im Hinblick auf ethische Aspekte
der PID sowie deren Umgang mit dem
bisherigen und zukünftigen Kinderwunsch. Während die Erhebung dieses
Meinungsbildes für die Zielgruppe repräsentativ ist, wurde die Kontrollgruppe nicht nach Zufallskriterien gezogen
und kann daher nicht als repräsentativ
eingestuft werden. Diese wird zurzeit in
einem Nachfolgeprojekt ermittelt.
In der Gesamtstichprobe sprach sich
eine große Mehrheit von 81 Prozent (89
Prozent der Hochrisikogruppe, 73 Prozent der Kontrollgruppe) für eine Legalisierung der PID aus, wohingegen lediglich 19 Prozent für ein weiter bestehendes Verbot votierten (elf Prozent der
Hochrisikogruppe, 27 Prozent der Kontrollgruppe). Dabei war allen Befragten
durch eine Informationsbroschüre bekannt, welche medizinischen und ethischen Vor- und Nachteile mit der Präimplantationsdiagnostik verbunden sein
können und dass die PID in Deutschland
verboten ist. 37 Prozent der Zielgruppe
und 20 Prozent der Kontrollgruppe waren
der Auffassung, dass die Präimplantationsdiagnostik für alle genetischen Erkrankungen zulässig und die Entscheidung über die Legitimität den betroffenen
Familien überlassen werden sollte.
Bei aktuell bestehendem Kinderwunsch gaben 16,8 Prozent der Zielgruppe an, dass die Präimplantationsdiagnostik im Ausland für sie die wahrscheinlichste Möglichkeit zur Erfüllung
des Kinderwunsches sei. Diese Paare
waren bereits vor der Befragung gut
über alle Optionen informiert. Sie un-
terscheiden sich gegenüber anderen
Befragten der Hochrisikogruppe mit
Kinderwunsch im Wesentlichen dadurch, dass sie die wenigsten gesunden
Kinder haben und das erstgeborene
Kind häufiger und subjektiv schwerer
betroffen ist. Der so genannte Reproduktionstourismus kann demnach nicht
nur als Möglichkeit oder Ausnahme angesehen werden, sondern ist beispielsweise in Brüssel bereits Realität (5).
Den präimplantativen Embryo kategorisierte die überwältigende Mehrheit
als „mein Kind“ oder „eher mein Kind“
(78,7 Prozent), lediglich 21,3 Prozent
meinten, der Embryo sei für sie „eher
ein Zellhaufen“ oder „ein Zellhaufen“.
Die hohe Zustimmung zur PID geht
demnach nicht mit einer moralischen
Geringschätzung des präimplantativen
Embryos einher. Aufgrund dieser Befunde lässt sich der Konflikt, der zum
Wunsch nach einer Präimplantationsdiagnostik oder aber zum Abbruch einer Schwangerschaft nach positiver
pränataler Diagnostik (PND) führt, bei
den Hochrisikopaaren als äquivalent
beschreiben. Gemäß den Ergebnissen
sind PID und PND für die Paare, die
sich vor allem subjektiv durch eine erbliche Erkrankung schwer belastet
fühlen und die dennoch einen starken
Kinderwunsch haben, die einzigen Alternativen. Diese Paare werden entweder wissentlich eine Schwangerschaft
mit Vorbehalt einer PND eingehen
oder die PID in Anspruch nehmen.
Einstellung gegenüber
Behinderten
In der Studie wurde erstmals auch der
Zusammenhang zwischen der Nutzung
und Einstellung gegenüber reproduktiven Optionen und der Einstellung
gegenüber behinderten Menschen standardisiert gemessen (8). Befragte der
Zielgruppe, die aufgrund ihrer eigenen
Betroffenheit die Reproduktionsmedizin nutzen, weisen eine eher positive
Einstellung gegenüber behinderten
Menschen auf. Diejenigen in der Kontrollgruppe, die sich bei altersentsprechendem Durchschnittsrisiko für eine
pränatale Diagnostik aussprachen, sind
behinderten Menschen gegenüber negativer eingestellt. Die Analyse der Mei-
203
D O K U M E N T A T I O N
Heft 7, 13. Februar 2004
nung zur Legalisierung der PID und zur
Einstellung gegenüber behinderten
Menschen wirft Fragen hinsichtlich
einer weiten beziehungsweise sehr liberalen Zulassung der reproduktionsmedizinischen Möglichkeiten auf. Die Studie
zeigt, dass der Anteil derjenigen, die
die Präimplantationsdiagnostik uneingeschränkt (das heißt jenseits medizinischer Indikationen) erlauben würden, genauso hoch ist wie der Anteil derjenigen,
die sich für ein Verbot der PID aussprachen. Diejenigen, die sich für eine sehr
liberale Gesetzgebung der Präimplantationsdiagnostik aussprachen, hatten eine
deutlich weniger positive Einstellung
gegenüber behinderten Menschen.
Diese Ergebnisse bedürfen einer eingehenden Diskussion der gesellschaftlichen Folgen vorgeburtlicher Diagnostik auf die Lage behinderter Menschen
(2, 4). Die erstmals in Deutschland erhobenen Einschätzungen von Betroffenen und der Bevölkerung zur PID sollten in die Debatte und in die Entscheidung um eine gesetzliche Regelung der
Präimplantationsdiagnostik aufgenommen werden. Sie können als wichtige
Hilfsmittel im bioethischen Diskurs um
die Zulässigkeit der PID angesehen
werden (7).
Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis, das im Internet unter www.aerzteblatt/
lit0604 abrufbar ist. Die Langfassung des Beitrags ist
unter www.aerzteblatt/plus0604 abrufbar.
Anschrift für die Verfasser:
Prof. Dr. med. Gerd Richter
Zentrum für Innere Medizin und Ethikkommission
Klinikum der Phillips-Universität Marburg
Baldingerstraße 1, 35033 Marburg
Autoren dieses Beitrags: Gerd Richter: Zentrum für
Konfliktforschung (Direktor: Prof. Dr. phil. Ralf Zoll) der
Philipps-Universität Marburg, AG Bioethik – Klinische
Ethik am Fachbereich Humanmedizin (Leiter: Prof. Dr.
med. Gerd Richter) der Philipps-Universität Marburg;Tanja Krones: Zentrum für Konfliktforschung Marburg, AG
Bioethik Marburg; Manuela C. Koch: Institut für allgemeine Humangenetik (Direktor: Prof. Dr. rer. nat. Karl-Heinz
Grzeschik) der Philipps-Universität Marburg; Martin Lindner: Kinderheilkunde I – Allgemeine Pädiatrie, Stoffwechsel, Gastroenterologie, Nephrologie (Direktor: Prof. Dr.
med. Georg F. Hoffmann) der Ruprecht-Karls-Universität
Heidelberg; Georg F. Hoffmann: Kinderheilkunde I der
Universität Heidelberg; Ertan Mayatepek: Kinderheilkunde I der Universität Heidelberg, Klinik für Allgemeine
Pädiatrie (Direktor: Prof. Dr. med. Ertan Mayatepek) der
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf; Gerd Hüls: Allgemeinpädiatrie und Neonatologie (Direktor: Prof. Dr. med.
Ludwig Gortner) der Justus-Liebig-Universität Gießen;
Ralf Zoll: Zentrum für Konfliktforschung Marburg
204
Präimplantationsdiagnostik
Keine unkritische
Ausweitung
In Gießen diskutierten Ärzte, Philosophen und Juristen
über den grundrechtlichen Status des Embryos.
D
ie Präimplantationsdiagnostik (PID)
ist in Deutschland nach dem Embryonenschutzgesetz verboten,
und zahlreiche Versuche, dieses Gesetz
aufzuweichen, sind bisher gescheitert.
Schließlich haben Kritiker gute Argumente, um die PID abzulehnen. Auch
die Delegierten des 105. Deutschen
Ärztetages hatten sich 2002 in Rostock
gegen die Präimplantationsdiagnostik
ausgesprochen. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass sie ethisch nicht vertretbar
und medizinisch höchst fragwürdig sei.
Aus juristischer Sicht gibt es ebenfalls
Bedenken. So vertritt der frühere Bundesverfassungsrichter Prof. Dr. iur. Dr.
phil. Ernst-Wolfgang Bockenförde die
Ansicht, dass die Anerkennung der
Würde des Menschen, wie das Grundgesetz sie ausspricht, „nach ihrem normativen Gehalt auch auf die ersten Anfänge des Lebens eines jeden Menschen zu
erstrecken ist“ (DÄ, Heft 19/2003).
Ganz anderer Auffassung ist dagegen
der Hamburger Strafrechtler und
Rechtsphilosoph Prof. Dr. jur. Reinhard
Merkel. Für den Rechtsphilosophen besitzt der Embryo keinen grundrechtlichen Schutzstatus. Das Bundesverfassungsgericht habe im Jahr 1993 zwar betont, dass der Embryo Inhaber der
Menschenwürde nach Artikel 1 und des
Lebensgrundrechts nach Artikel 2 Absatz 2 des Grundgesetzes sei, räumte
Merkel auf einem Symposium Ende Januar in Gießen ein. Bloß beratene, also
indikationslose, Schwangerschaftsabbrüche seien daher rechtswidrig. Doch
dagegen spreche, dass das Gericht eine
staatliche Pflicht zur „Sicherstellung“
eines „ausreichenden und flächendeckenden Angebots sowohl ambulanter als auch stationärer Einrichtungen
zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen“ angeordnet habe, und zwar
für alle, also auch für die 97 Prozent
bloß „beratener“ Abbrüche. Wenn solche Abtreibungen als Tötungen grundrechtsgeschützter Personen rechtswidrig seien, dann sei auch ihre „flächendeckende“ Ermöglichung und Förderung rechtswidrig. Der Staat sei also
zum Unrecht verpflichtet.
Die Rechtslage zur Abtreibung lasse
zwar keinen Schluss auf die Zulässigkeit der PID zu. Sie zeige aber, dass es
einen grundrechtlichen Schutzstatus für
den Embryo nicht gebe. Merkels Auffassung nach ist der Embryo als „hohes
Gut“, nicht aber als Rechtsperson zu
schützen. Dem hielt Prof. Dr. med. Gerd
Richter, Marburg, entgegen, dass in einer von ihm vorgestellten Umfrage
(DÄ, Heft 6/2004) eine überwältigende
Mehrheit der genetischen Hochrisikopaare den präimplantativen Embryo als
„mein Kind“ oder „eher mein Kind“
bezeichnet hatte. Die hohe Zustimmung zur PID gehe demnach nicht mit
einer moralischen Geringschätzung des
präimplantativen Embryos einher. Und
durchaus nicht alle genetischen Hochrisikopaare hätten sich für eine Legalisierung der PID ausgesprochen.
Der Düsseldorfer Philosoph Prof. Dr.
phil. Birnbacher stimmte Merkel
grundsätzlich zu. Wenn man dem Embryo von der Zygote an Lebensrecht zugestehe, müsse man die Haltung des
Vatikans annehmen, um wirklich konsequent zu sein. „Man kann nicht gleichzeitig Spätabtreibungen akzeptieren und
Präimplantationsdiagnostik ablehnen“,
sagte der Philosoph. Er warnte jedoch
davor, den Embryo generell für schutzlos zu erklären. Auch der Neonatologe
Prof. Dr. med. Volker von Loewenich,
Frankfurt am Main, lehnte eine unkritische Ausweitung der PID ab und verwies
auf eine Stellungnahme der Deutschen
D O K U M E N T A T I O N
Akademie für Kinderheilkunde und
Jugendmedizin. Darin fordern die Kinder- und Jugendärzte „eine qualitätsgesicherte individuelle Beratung auf gesetzlicher Grundlage, eine Begrenzung der
vorgeburtlichen Diagnostik auf schwerwiegende Erkrankungen, eine lückenlose statistische Erfassung, eine langfristige Nachuntersuchung und eine kontrollierte Zertifizierung der Labore“. Bei
der Beratung von Eltern sollten im Rahmen einer vorgeburtlichen Diagnostik
Kinder- und Jugendärzte im Einzelfall
zur Beurteilung der kindlichen Prognose
hinzugezogen werden.
Doch wann kann von einer unkritischen Ausweitung der Präimplantationsdiagnostik gesprochen werden? Birnbacher und von Loewenich lehnten einmütig so genannte Indikationslisten für
PID ab. „Mukoviszidose ist beispielsweise für PID nicht zugänglich“, sagte
von Loewenich. Merkel sprach zwar
ebenfalls von „frivolen“ Indikationen,
Heft 8, 20. Februar 2004
Klonexperiment
Wider die Natur
D
er Stolz steht Woo Suk Hwang ins
Gesicht geschrieben.Als der Biologe
die Ergebnisse seiner Arbeit an der Nationaluniversität Seoul, Südkorea, präsentiert, ist die internationale Presse versammelt. Erstmals ist es einem Team gelungen, menschliche Embryonen zu klonen und bis zum Stadium der Blastozyste mit etwa 200 Zellen zu entwickeln.
Bislang waren alle geklonten menschlichen Embryonen nach ein bis zwei Teilungsschritten abgestorben.
Das
US-Wissenschaftsmagazin
„Science“ enthält die Anleitung zum
Klonen von Menschen. Die Forscher
haben gesunden Frauen Eizellen entnommen, diese jedoch nicht befruchtet,
sondern mit dem Zellkern einer erwachsenen Körperzelle derselben
Spenderin verschmelzen lassen. Nach
Umprogrammierung beginnt die Zellteilung – eine exakte genetische Kopie
der Mutter entsteht.
Als „Durchbruch in der Medizin“
haben die Forscher ihr Experiment verkauft. Auf seiner Basis wollen sie Ersatzgewebe „therapeutisch klonen“
und Kranke heilen. Für Kritiker ist der
Menschenversuch Anlass, noch vehementer ein internationales Klonverbot
zu fordern. Bundesärztekammer, Kirchen, Politiker von SPD, Union, Bündnis 90/Die Grünen und Wissenschaftler
ächten das Experiment. Bundesforschungsministerin Edelgard Bulmahn
betonte, dass das therapeutische Klonen in Deutschland verboten sei und es
auch bleiben werde. Prof. Dr. rer. nat.
bei denen eine Präimplantationsdiagnostik nicht gerechtfertigt sei. Er hält es
hingegen für diskutabel, die Präimplantationsdiagnostik zur Geschlechtsauswahl in Erwägung zu ziehen. Schließlich
hätten seit Jahrtausenden Ehepaare
versucht, das Geschlecht ihres Kindes zu
Gisela Klinkhammer
beeinflussen.
Die Stellungnahme zur PID aus pädiatrischer Sicht der Deutschen Akademie für Kinderheilkunde und Jugendmedizin ist
unter www.aerzteblatt.de/plus0704 abrufbar.
Ernst-Ludwig Winnacker, Präsident der
Deutschen Forschungsgemeinschaft,
bezeichnete das Klonen zu medizinischen Zwecken als „Irrweg“.
In der Tat sind die Forscher von einem nutzbringenden Einsatz ihres
Experiments weit, weit entfernt. Denn
zum therapeutischen Klonen müssten
sie das Erbgut kranker Menschen verwenden und dieses geklonte Gewebe
wieder in den Menschen implantieren. Ein Schritt, der vollkommen wider die Natur ist. Neue Erkrankungen
und Fehlbildungen sind dabei zu erwarten.
Weit weniger kompliziert wäre es da
schon, geklonte Embryonen, für die es
nun eine Bauanleitung gibt, in einen
Uterus zu transplantieren. Machbarkeitswahn und Sucht nach Ruhm dürften einige Menschen wohl animieren,
sich für solche Experimente herzugeben. So könnte ein Horrorszenario bald
Realität sein: das erste menschliche
Klonbaby. Dr. med. Eva A. Richter-Kuhlmann
205
D O K U M E N T A T I O N
Heft 17, 23. April 2004
Klonen/Stammzellen I
Forschung an den Grenzen
Während Vereinte Nationen und Europäisches Parlament an Konventionen
zum Klonen und zur Stammzellforschung feilen, ist südkoreanischen
Forschern ein Durchbruch beim therapeutischen Klonen gelungen. Einige
Wissenschaftler bezweifeln jedoch dessen klinische Relevanz.
S
ie verbreiten Hoffnung und nähren
die Vision vom Sieg über Krankheit
und Tod. Die Bilder der ersten geklonten menschlichen Embryonen im
Blastozystenstadium gingen Mitte Februar um die Welt. Ihren Schöpfern,
den beiden südkoreanischen Forschern
Woo Suk Hwang und Shin Yong Moon,
gelang es erstmals, durch Kerntransfer
30 menschliche Blastozysten herzustellen und daraus eine Linie embryonaler
Stammzellen zu gewinnen. Dies hatte
bisher nur im Tierexperiment funktioniert.
Die Reaktionen auf den im renommierten amerikanischen Fachblatt
„Science“ publizierten Klonversuch sind
vielfältig. Überwiegend anerkennende
Kommentare sind von der internationalen Wissenschaftsgemeinde zu hören, anders als vor einem Jahr, als die obskure
Raelianer-Sekte die (niemals bewiesene) Geburt des Klonbabys Eve verkündete. Denn während Eve die Frucht des
geächteten reproduktiven Klonens gewesen wäre, verfolgen die südkoreanischen Wissenschaftler ein anderes Ziel:
das therapeutische Klonen.
Obwohl beim therapeutischen Klonen auch menschliches Leben geschaffen wird, ist die Technologie vielerorts
bereits ethisch und moralisch akzeptiert. Sie soll der Transplantationsmedizin genetisch identische Spenderzellen
bescheren. Die Idee ist, patienteneigene
Zellkerne in entkernte Eizellen zu implantieren und diese über die Stufe der
Blastozyste bis zum Stadium der embryonalen Stammzellen zu propagieren. Aus den gewonnenen autologen
embryonalen Zellen könnten dann spezifische Zellen für Transplantate in unbegrenzter Zahl hergestellt werden,
von denen man sich die Heilung schwerer Erkrankungen, wie beispielsweise
206
Morbus Parkinson, verspricht.
Das Team um Woo Suk Hwang beschritt diesen Weg beim Menschen und
gewann tatsächlich erstmals embryonale Stammzellen. Für seine Experimente
verwendete es 242 Eizellen, allesamt
unentgeltlich von 16 gesunden Frauen
gespendet. Nach derer Entkernung
setzten die Forscher den Zellkern einer
Hautzelle derselben Spenderin in die
Eizelle ein. Die sich daraus entwickelnden Embryonen haben somit keinen
Vater, sondern enthalten ausschließlich
das Erbgut der Mutter.
Auf ähnliche Weise erblickte im Jahr
1996 nach 276 Fehlschlägen „Dolly“ das
Licht der Welt. Das legendäre Schaf
hatte drei Mütter: eine genetische Mutter, eine „Eimutter“ und eine Leihmutter. Mäuse, Schweine und Kälber folgten. Klonversuche beim Affen scheiterten dagegen wiederholt, weswegen man
eine Zeit lang glaubte, Primaten ließen
sich nicht klonen. 2001 vermeldete jedoch die amerikanische Firma Advanced Cell Technology den ersten geklonten menschlichen Embryo – voreilig,
wie sich herausstellte. Denn dieser entwickelte sich nur bis zum 6-Zell-Stadium. Unklar ist ferner, ob sich damals
tatsächlich der Zellkern teilte oder lediglich eine Fragmentierung der Zelle
stattgefunden hatte.
Zweifelsohne erfordert die Kerntransfertechnik erhebliches manuelles
Geschick und sehr viel Geduld. Aus der
Kernempfängerzelle, klassischerweise
eine Eizelle in der Metaphase der zweiten Reifeteilung, muss mit einer Mikropipette das genetische Material entfernt
werden. Dann wird eine einzelne
Kernspenderzelle unter die Zona pellucida der entkernten Eizelle transferiert
und das Ganze in eine Fusionskammer
gebracht. Beispielsweise durch Gleich-
stromimpulse werden die beiden aufeinander liegenden Zellmembranen
desintegriert. Spenderkern, aber auch
das Zytoplasma der Spenderzelle werden in die Eizelle entlassen, wodurch
der Zellkern reprogrammiert wird.
Die Prozedur glückte den südkoreanischen Forschern mehrfach. Es entstehen Blastozysten, bestehend aus mehr
als 100 Zellen, wie sie einem Embryo
am vierten/fünften Tag nach der Befruchtung entsprechen. Schritt für
Schritt ist dies in „Science“ wie in einem
Kochbuch nachzulesen. „Die Arbeit ist
von staunenswerter Effizienz“, sagte
Prof. Dr. med. Hans Schöler. Besonders
beeindruckte den Stammzellforscher,
der im April aus den USA an die Spitze
des Max-Planck-Instituts für Vaskuläre
Biologie in Münster zurückgekehrt ist,
dass bei den Forschern von National
University Seoul aus jeder dritten entkernten Eizelle eine Blastozyste hervorging. Bei den meisten Tierexperimenten war die „Ausbeute“ nämlich
wesentlich geringer.
So groß die Hoffnungen, die an diese
Experimente geknüpft werden, auch
sein mögen, ob jemals eine therapeutische Anwendung erfolgen wird, bleibt
unklar.Auch Wissenschaftler versuchen
derzeit, die aufgekommene Goldgräberstimmung zu dämpfen. Zu viele Details seien noch ungekärt. „Die Wissenschaft hat nicht den geringsten Anhaltspunkt dafür, wie der Reprogrammierungsprozess gesteuert werden könnte“, mahnt der Präsident der Deutschen
Forschungsgemeinschaft, Prof. Dr. rer.
nat. Ernst-Ludwig Winnacker. Dazu
müssten zunächst ausgedehnte Kontrollversuche gemacht werden – auch am
Menschen. Für Winnacker ist das unvertretbar. Er hält auch nach den Erfolgen
der südkoreanischen Forscher das thera-
D O K U M E N T A T I O N
peutische Klonen unverändert für einen
„Irrweg“. Als Alternativen schlägt
Winnacker die Erforschung der Reprogrammierung von Genomen im tierischen System und die Etablierung von
Stammzellbanken vor. Einige Hundert
menschliche embryonale Stammzellen
seien vermutlich ausreichend, um immunologisch tolerierbare Zellen zu liefern.
Auch Stammzellforscher Prof. Dr.
med. Oliver Brüstle, Bonn, glaubt nicht,
dass der von den Südkoreanern eingeschlagene Weg jemals klinisch relevant
wird: „Zu selten verläuft eine Reprogrammierung fehlerfrei.“ Potenzielle
Schäden seien im Zellkulturstadium
oftmals nicht identifizierbar. Somit bergen geklonte embryonale Stammzellen
ein viel zu hohes Risiko, als dass man sie
klinisch einsetzen könnte. „Nicht akzeptabel“ ist für Brüstle auch die Bereitstellung der vielen erforderlichen
Eizellen. Nach seiner Ansicht sollten
deshalb vielmehr die Mechanismen
der Zellkern-Umprogrammierung erforscht werden, um langfristig adulte
Zellen in ein pluripotentes Stadium zu
überführen. Kritiker halten dem entgegen, dass es schon bald möglich sein
wird, Eizellen aus Stammzellen herzustellen, und zwar in beliebiger Menge.
In der Tat ist dies Schöler bei Versuchen
an Maus-Zellen bereits gelungen.
Bisher keine Ächtung
Andere Forscher geben wiederum zu bedenken, dass die durch therapeutisches
Klonen entstandenen Zellen doch vom
Immunsystem abgestoßen werden könnten, obwohl sie den Kern einer Körperzelle des Empfängers enthalten. „Wir
müssen zwischen einem echten Klon und
„Die Wissenschaft ist
in der Bringschuld“
Eine angemessene Akzeptanz der Stammzellforschung in der Bevölkerung kann nur erreicht
werden, wenn über alle ethischen und rechtlichen Aspekte aufgeklärt wird. „Hier ist die Wissenschaft in der Bringschuld“, sagte Prof. Dr. med. Hans Schöler, einer der weltweit gefragtesten
Stammzellexperten, anlässlich des 2. Internationalen Meetings des Kompetenznetzwerkes
Stammzellforschung NRW in Bonn. Aus dem Blickwinkel eines deutschen Wissenschaftlers, der
fünf Jahre auf dem Campus der Universität Pennsylvania das Center for Animal Transgenesis and
Germ Cell Research geleitet hat und nun dem Ruf des Max-Planck-Instituts Münster gefolgt ist,
hat sich die Diskussion über die biotechnologische Forschung in Deutschland versachlicht. Einen
Anteil daran habe sicher auch die Informationspolitik des Kompetenznetzwerks Stammzellforschung NRW, mit dem dieses junge Fachgebiet von Medizinern, Naturwissenschaftlern, Philosophen, Sozialwissenschaftlern, Juristen und Theologen transparenter gestaltet wird.
„Die Stammzellforschung ist ein Modellbeispiel für das Konzept der Landesregierung Nordrhein-Westfalen, zukunftsweisende Forschungsfelder zu fördern und für sie eine gemeinsame
Plattform zu schaffen“, sagte Ministerpräsident Peer Steinbrück. Mit den Standorten Aachen,
Bielefeld, Bochum, Bonn, Essen, Düsseldorf, Köln und Münster decke NRW das breite Spektrum
der wissenschaftlichen Fragestellungen der adulten und embryonalen Stammzellforschung ab.
Für Steinbrück sind die Biowissenschaften eine Schlüssel-Technologie, deren Entwicklung konsequent weitergefördert werden soll. So kündigte der Ministerpräsident den Aufbau weiterer
wissenschaftlicher Netze auf dem Gebiet der „life sciences“ an. Er dämpfte allerdings die – auch
in einigen Medien propagierte – Erwartung einer unmittelbaren „Verwertungsmöglichkeit“ von
Forschungsergebnissen. „Wir brauchen Zeit, denn mit der Zunahme der Optionen muss gegebenenfalls auch ihr Verzicht abgewogen und begründet werden“, so Steinbrück.
Auch für Kongresspräsidenten Prof. Dr. med. Oliver Brüstle steht die Grundlagenforschung – wie
die Aufklärung der Zelldifferenzierung embryonaler Stammzellen – an erster Stelle: „Wir haben
die Anwendung zwar im Auge, aber sie steht derzeit nicht im Vordergrund.“ Brüstle und Schöler
halten es daher für problematisch, dass kardiologische Patienten im Rahmen von klinischen Studien bereits mit Stammzellen therapiert worden sind. Die widersprüchlichen Ergebnisse dieser
Untersuchungen führen sie auf einen Mangel an Grundlagenwissen zurück. „Um diese Defizite
zu schließen, brauchen wir sicher noch fünf bis zehn Jahre. Frühzeitige klinische Studien schaden
nur dem Ruf der Stammzellforschung“, betonte Schöler in Bonn. Dr. med. Vera Zylka-Menhorn
einer genomischen Kopie unterscheiden“, sagt Prof. Dr. med. vet. Eckhard
Wolf, München. Nach dem Kerntransfer
enthielten die Zellen zwar die identische
Kern-DNA, aber die mitochondriale
DNA, die hauptsächlich aus der Eizelle
kommt, sei durchaus unterschiedlich.
Gerade weil beim therapeutischen
Klonen noch so viele Details ungeklärt
sind, hält es Prof. Dr. med. Detlev
Ganten, Vorsitzender der Charité – Universitätsmedin Berlin und Mitglied des
Nationalen Ethikrates, für „nicht hilfreich“, von „Irrweg“ oder vom „richtigen Weg“ zu sprechen. „Was richtig und
was verkehrt ist, lässt sich in der Forschung zu einem so frühen Zeitpunkt
nicht entscheiden.“ (Interview)
Auch der Dolly-Schöpfer Ian Wilmut
sprach sich erneut dafür aus, menschliche Embryonen zu Forschungszwecken
zu klonen. „Das Klonen verspricht einen so großen Nutzen, dass es unmoralisch wäre, es nicht zu tun“, hält der
schottische Klon-Pionier seinen Kritikern entgegen. Mit seinem Forscherteam plant er derzeit, Embryonen mit
dem Erbgut von Patienten mit Amyotropher Lateralsklerose zu klonen, um
daraus Stammzellen herzustellen.
Mit dem Klonerfolg von Südkorea
dürfte es international noch schwieriger
werden, das therapeutische Klonen zu
ächten. Schweden, das seit 1991 die Forschung an überzähligen, künstlich befruchteten Embryonen erlaubt, will nun
auch das Klonen menschlicher Embryonen zu Forschungszwecken gestatten.
Noch im April soll dem Parlament ein
entsprechender Gesetzentwurf vorgelegt werden, teilte die Regierung mit.
Danach sollen gleichzeitig eine konkrete medizinische Anwendung des Forschungsklonens sowie das reproduktive
Klonen vorerst verboten bleiben.
Das ist auch weltweit Konsens. Eine
internationale Klonkonvention kam
freilich dennoch nicht zustande. Da sich
die Vertreter der UN-Mitgliedsstaaten
Ende vergangenen Jahres in New York
auf keine gemeinsame Konvention einigen konnten, verschoben sie die Verhandlungen um weitere zwei Jahre. Damit bleibt die Tür zum „Forschungsklonen“ zumindest bis 2005 offen. Weder
der Antrag von Costa Rica, hinter dem
die USA und rund 60 weitere Staaten
stehen und der ein komplettes Klonver-
207
D O K U M E N T A T I O N
bot vorsieht, noch der Antrag von Belgien wurde von den Vereinten Nationen
angenommen. Die belgische Initiative,
unterstützt von 25 Ländern wie Großbritannien, China und Singapur, will lediglich das reproduktive Klonen verbieten,
beim „Forschungsklonen“ aber nationale Regelungen zulassen.
Deutschlands Position blieb bei den
Verhandlungen zum internationalen
Klonverbot im vergangenen Jahr verwaschen. Zwar hatte der Deutsche
Bundestag die Bundesregierung im Febuar 2003 aufgefordert, sich für ein
möglichst umfassendes Klonverbot einzusetzen. Die Koalition ließ jedoch die
Verhandlung des 6. Komitees der Generalversammlung der UN Anfang Oktober verstreichen, ohne sich zu einem
umfassenden weltweiten Klonverbot zu
bekennen. Diese Zurückhaltung nennt
die zuständige Staatssekretärin im Auswärtigen Amt, Kerstin Müller, „Strategie“. Sie wolle eine Kampfabstimmung
innerhalb der UN vermeiden, die dazu
führen könnte, dass sich die Befürworter des therapeutischen Klonens vollständig aus dem Konventionsprojekt
zurückzögen.
Überraschend forderte indes das Europäische Parlament Ende Januar in einer Resolution ein internationales
Klonverbot. Dabei unterstützte es die
Initiative Costa Ricas. Noch Ende 2003
nahm es knapp – mit 80 zu 79 Stimmen
– einen Antrag an, der für das Aussetzen
der Verhandlungen plädierte. „Die entscheidende Stimme kam dabei von der
Bundesregierung, die entgegen dem
Willen des Deutschen Bundestages für
die Vertagung stimmte“, sagt der Vorsitzende der Arbeitsgruppe Bioethik der
208
Europäischen Christdemokraten, Dr.
med. Peter Liese. „Schon eine Stimme
hätte ausgereicht, dafür zu sorgen, dass
dieses dringliche Thema schnellstmöglich behandelt wird.“
Umstritten ist innerhalb der EU seit
nunmehr fast drei Jahren auch die Finanzierung der Embryonenforschung
aus dem europäischen Haushalt. Im
6. Forschungsrahmenprogramm der EU
ist nicht geregelt, welche Form von
Stammzellforschung unterstützt werden soll. Lediglich die Herstellung von
Embryonen eigens zu Forschungszwecken – wie in Südkorea geschehen –
ist für die gesamte Laufzeit bis 2006
verboten. Ende Februar erklärte der
zuständige EU-Forschungskommissar
Philippe Busquin, dass er keine Projekte zur Förderung vorschlagen will,
die die Gewinnung von embryonalen
Stammzellen aus so genannten überzähligen Embryonen voraussetzen.
Erst solle der Forschungministerrat
den ethischen Rahmen in dieser Frage
setzen.
Dies hatte im Dezember vergangenen Jahres noch ganz anders geklungen,
als die Beratungen der EU-Forschungsminister schon einmal scheiterten. Damals kündigte Busquin, der als vehementer Befürworter der Stammzellforschung gilt, an, entsprechende Forschungsvorhaben auszuschreiben. Trotz
ethischer Bedenken einiger Mitgliedsstaaten ist dies möglich, denn Ende vergangenen Jahres lief das Moratorium für
die Förderung der embryonalen Stammzellforschung aus. Es war im September
2002 vom Ministerrat verhängt worden,
um im Laufe des Jahres 2003 einen für
alle ethisch vertretbaren Konsens zu fin-
den. Während Großbritannien, Belgien,
Frankreich, Schweden, Dänemark, Finnland und Griechenland als Befürworter
gelten, setzen sich Deutschland, Italien,
Irland, Portugal und Österreich für einen strengen Embryonenschutz ein.
Auf der Sondersitzung des Ministerrats am 3. Dezember 2003 war ein Kompromiss zum Greifen nahe gewesen.
Portugal hatte vorgeschlagen, nur embryonale Stammzelllinien für Forschungszwecke zu verwenden, die vor
einem Stichtag erzeugt worden sind. Eine Mehrheit der Mitgliedsstaaten unterstützte diesen Vorschlag. Doch Busquin
stellte kurz vor der entscheidenden Sondersitzung den Kompromiss wieder infrage. Seine anfängliche Zustimmung
sei ein „Missverständnis“ gewesen.
Fürs Erste wartet man derzeit aber ab.
Damit besteht die Gefahr, dass Forschungsvorhaben gefördert werden, die
in Deutschland bei Strafe verboten sind.
17,5 Milliarden Euro sollen innerhalb des
EU-Forschungsrahmenprogramms bis
2006 bereitgestellt werden, davon etwa
zwei Milliarden für die Biotechnologie.
„Jeden Tag lehnt die EU-Kommission
Projekte ab, die unumstritten sind“,
berichtet Liese. Es sei widersinnig, eine
umfassende Embryonenforschung zu
fordern. Lediglich neun Anträge bezögen sich auf diesen Bereich. Sollte die
Europäische Kommission dennoch einen
dieser Anträge bewilligen, will die Bundesregierung rechtliche Schritte prüfen.
Infrage käme eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof, teilte sie Mitte
April auf eine Anfrage der CDU/CSUFraktion mit. Die Erfolgsaussichten
schätzt die Regierung selbst jedoch als
„gering“ ein. Dr. med. Eva A. Richter-Kuhlmann
D O K U M E N T A T I O N
Heft 17, 23. April 2004
Prof. Dr. med. Detlev Ganten
„Das ganze System
erforschen“
I N T E R V I E W
wie wichtig halten wir diese Thematik,
dass wir sie jetzt schon am Menschen
untersuchen wollen, um zu einem möglichst frühen Zeitpunkt diese Ergebnisse für die Linderung von Leiden – das
ist ja unser ärztliches Mandat – zur
Verfügung zu haben.
Foto: privat
DÄ: DFG-Präsident Prof. Winnacker
bezeichnete kürzlich das therapeutische
Klonen als einen „Irrweg“. Halten Sie
das therapeutische Klonen für aussichtsreich?
Ganten: Zunächst einmal halte ich
DÄ: Ist denn durch den Klonerfolg in
den Ausdruck therapeutisches Klonen Südkorea die therapeutische Anwendung
für nicht besonders hilfreich, weil er im- des Klonens in greifbare Nähe gerückt?
pliziert, dass mit dieser Methode theraGanten: Ja, das ist ein wichtiges Expeutische Wege aufgezeichnet werden, periment gewesen. Es zeigt, dass diese
die breit angewandt werden können. Methode beim Menschen möglich ist.
Dazu ist das Thema viel zu offen und
viel zu neu. „Forschungsklonen“ halte
DÄ: Das Einpflanzen eines Klons in
ich für einen besseren Ausdruck. Im einen menschlichen Uterus ist nur ein
Grunde geht es darum, die
relativ kleiner weiterer
frühen Stadien der EntSchritt. Zudem dürften
wicklung von Leben, aber
sich Menschen finden, die
eben auch vom Mendies tun.Wie hoch schätzen
schenleben zu verstehen.
Sie die Gefahr des MissIm eigentlichen Sinne ist
brauchs solcher Methoden
das Entwicklungsbiologie
ein?
und die Erforschung der
Ganten: Ich sehe immer
Differenzierung der Zydie Notwendigkeit, den
gote zu den etwa 200 verMissbrauch einer Technoschiedenen Körperzellen.
logie mit allen Mitteln
Insofern halte ich es nicht
einer wachsamen Demofür hilfreich, von „Irrweg“ Ganten: „ Ich glaube an die kratie zu verhindern. Ich
oder vom „richtigen Weg“ Vernunft der Menschen“
halte aber die reale Gezu sprechen. Was richtig
fahr für gering. Wir müsund was verkehrt ist, lässt sich in der sen alles tun, damit wichtige wissenForschung zu einem so frühen Zeit- schaftliche medizinische Experimente
punkt nicht entscheiden.
nicht in Misskredit geraten. So schnell
wie möglich sollten deshalb internatioDÄ: Wenn dieses Thema noch so neu nale Konventionen getroffen werden,
ist, warum kann man diese Experimente die das reproduktive Klonen auf der
nicht erst einmal im Tierversuch machen? ganzen Welt verbieten. Ein Einpflanzen
Ganten: Die Experimente werden im des Embryos in die Gebärmutter ist ein
Tierversuch gemacht. Und zwar inten- Schritt, der einfach zu kontrollieren ist.
siv: an Fröschen, an Mäusen, an Ratten,
an Schafen, an Kühen, an allen ModelDÄ: Es gibt gewisse Sekten, die sich
len, die Erkenntnisgewinn erwarten las- vielleicht nicht so einfach kontrollieren
sen. Aber ein Mensch ist keine Maus, lassen . . .
und die Menschenbiologie ist, wie wir
Ganten: Es gibt kriminelle Leute und
wissen, in entscheidenden Punkten eine Terroristen und andere furchtbare Dinganz andere. Das heißt, es ist nicht die ge auf dieser Welt. Wegen der Gefahr
Frage der Alternative. Die Frage ist, für des Missbrauchs durch einzelne Ver-
rückte diesen Forschungszweig nicht
beginnen zu wollen, halte ich für eine
nicht zu verantwortende Konsequenz.
DÄ: Sollten wir uns als Deutsche an
diesem Forschungszweig beteiligen?
Ganten: Wir als Deutsche müssen
natürlich geschichtsbewusst leben.
Doch das hindert uns nicht daran, biomedizinische Forschung dort zu betreiben, wo sie aus meiner Sicht verfassungskonform ist. Verfassungskonform
ist sie ganz offensichtlich so, wie die
Bundesministerin für Justiz es auch dargestellt hat – in den frühen Stadien der
Entstehung von Leben. Dann darf es
auch keinen deutschen Sonderweg geben. Wir dürfen nicht die „Gutmenschen“ dieser Welt sein wollen.
DÄ: Bisher schränken Gesetze die
Stammzellforschung stark ein. Müssten
diese geändert werden?
Ganten: Ich bin natürlich gesetzestreu und akzeptiere den Beschluss des
Bundestages. Das heißt aber nicht, dass
Gesetze nach einer gewissen Zeit nicht
kritisch überdacht werden sollen. Die
Stichtagsregelung 1. Januar 2002 ist aus
meiner Sicht unhaltbar.
DÄ: Für wie wahrscheinlich halten
Sie es, dass das Gesetz noch einmal überdacht wird?
Ganten: Ich glaube an die Vernunft
der Menschen und weiß, dass auch in
Deutschland darüber noch diskutiert
wird, irgendwann sicher auch offiziell
im Bundestag. Ich hoffe nur, dass es
rechtzeitig passiert und dass die Forscher, die an solchen Fragen interessiert
sind, Deutschland dann noch nicht verlassen haben.
DÄ: Halten Sie adulte Stammzellen
für eine ernsthafte Alternative?
Ganten: Ich halte es für einen unbedingt förderungswürdigen Weg. Wenn
wir adulte Stammzellen so gut verstehen, dass wir sie stimulieren und dahin
bringen können, dass sie sich zum gewünschten Zelltyp differenzieren, dann
wäre das wunderbar. Das heißt aber
nicht, dass die Forschung an embryonalen Stammzellen ein Irrweg wäre. Die
Frage ist, ob wir das ganze System erforschen dürfen, oder nur einen Teil.
DÄ-Fragen: Dr. med. Eva A. Richter-Kuhlmann
209
D O K U M E N T A T I O N
Heft 17, 23. April 2004
Klonen/Stammzellen II
Politische Trendwende
(vorerst) nicht in Sicht
Noch ist Forschung an und mit Embryonen ebenso wie
die Präimplantationsdiagnostik unzulässig. Ob dieses Verbot
auch künftig erhalten bleibt, ist allerdings fraglich.
D
ie
Umweltschutzorganisation
Greenpeace hat am 5. April das
Europäische Patentamt in München lahm gelegt. Mehr als hundert
Greenpeace-Aktivisten mauerten aus
Protest gegen ein so genanntes BabyPatent alle Eingänge des Patentamts zu.
Sie verwendeten dazu Eisblöcke, in denen Babypuppen eingefroren waren.
Greenpeace protestierte damit gegen
ein im November erteiltes Patent, das
menschliche Eizellen, Sperma und Embryonen umfasst, die nach einem bestimmten Verfahren tiefgekühlt und im
Rahmen der künstlichen Befruchtung
verwendet werden können. Die Umweltschutzorganisation bezeichnete dies
als rechtlich und ethisch bisher schwerwiegendsten Skandal am Europäischen
Patentamt. Auch die letzten Tabus würden jetzt gebrochen.
Mit einem besonderen Tabubruch
überraschte im Februar ein südkoreanisches Forscherteam die Weltöffentlichkeit. Ihm war es nach eigenen Angaben
gelungen, 30 menschliche Embryonen zu
klonen. Was die Forscher als medizinischen Durchbruch bezeichnen, ist für
Kritiker dieser Techniken Anlass, noch
vehementer ein internationales Klonverbot zu fordern. „Die Klonexperimente dienen einzig und allein dem Zweck,
menschliche Embryonen als Ersatzteillager zu nutzen. Diese Ausbeutung von
menschlichem Leben in seinem frühesten Stadium ist ethisch absolut verwerflich und in keiner Weise zu rechtfertigen.
Wer Embryonen nur deshalb erzeugt,
um daraus ,Bio-Rohstoffe‘ zu gewinnen,
macht sich zum Herrn über Leben und
Tod menschlicher Embryonen. Diesen
Machbarkeitswahn der Forscher müssen
wir stoppen“, sagte der Präsident der
210
Bundesärztekammer, Prof. Dr. med.
Jörg-Dietrich Hoppe, dem Deutschen
Ärzteblatt. Mit seiner ablehnenden Haltung steht Hoppe keineswegs allein.
Doch vonseiten der Bundesregierung
sind gleichzeitig auch Bestrebungen zu
einer Trendwende erkennbar.
Zeitgleich mit der Vertagung der internationalen Klonkonvention hatte
sich Bundesjustizministerin Brigitte
Zypries (SPD) für eine Lockerung des
Embryonenschutzgesetzes ausgesprochen. Zypries will dem im Reagenzglas
gezeugten Embryo nicht mehr vom
Zeitpunkt der Verschmelzung von Eiund Samenzelle an Menschenwürde zusprechen. Die Ministerin ist zwar der
Ansicht, dass der Embryo auch im Reagenzglas „kein beliebiger Zellhaufen
ist, über den Eltern, Mediziner und Forscher nach Gutdünken verfügen könnten“. Solange sich der Embryo in vitro
befinde, fehle ihm aber die wesentliche
Voraussetzung dafür, sich „aus sich heraus zum Menschen“ oder „als“ Mensch
zu entwickeln.
Diese ohne erkennbaren Anlass im
Oktober in der Humboldt-Universität
Berlin vorgetragene Rede wird die Ministerin sicherlich nur im Einklang mit
Bundeskanzler Gerhard Schröder gewagt haben. Schließlich war der schon
seit längerem als Verfechter einer
„Ethik des Heilens und Helfens“ hervorgetreten. Zwar relativierte Zypries
ihre eigenen Ansichten, indem sie sich
gegen das therapeutische Klonen und
die Präimplantationsdiagnostik (PID)
aussprach. Dennoch stieß sie auf erbitterte Kritik aus der Ärzteschaft, der
Kirchen und auch bei Politikern.
Im Bundestag findet diese Haltung
ebenfalls wenig Anklang, was nicht nur
an dem Einsatz für ein internationales
Klonverbot deutlich wird. Die Enquetekommission des Deutschen Bundestages „Ethik und Recht der modernen Medizin“ war zu dem Ergebnis gekommen, dass eine embryonenverbrauchende Gewinnung von Stammzellen
nicht verantwortbar sei. Mehrheitlich
sprach sich die Kommission gegen
einen Import solcher Zellen aus. Bundeskanzler Schröder, dem die Stellungnahmen der Enquetekommission offenbar nicht gefielen (auch die PID
wurde mit großer Mehrheit abgelehnt),
setzte im Jahr 2001 über einen Kabinettsbeschluss einen Nationalen Ethikrat ein. Erwartungsgemäß befürwortete
die Mehrheit des Nationalen Ethikrates
eine zeitlich befristete und mit Auflagen
versehene Genehmigung des Imports.
Eine deutliche Mehrheit hatte sich
außerdem für eine Zulassung der PID
in Deutschland entschieden. Vor zwei
Jahren wurde ein Stammzellgesetz ver-
Dossier zur Embryonenforschung
Von Anfang an hat sich das Deutsche Ärzteblatt an der Debatte über pränatale Diagnostik (PND) und Präimplantationsdiagnostik (PID) beteiligt. In einem Sonderdruck aus dem Jahr 2001 wurden zum ersten Mal die
bis dahin erschienenen Beiträge zusammengefasst. Die Meinungsbildung in der Ärzteschaft spiegelt sich in
der Berichterstattung und Kommentierung des Deutschen Ärzteblattes wider, wie die ein Jahr später publizierte, erweiterte Materialsammlung beweist. Die in der Folgezeit veröffentlichten Beiträge der DÄ-Redakteurinnen und -Redakteure zu diesen Themen sowie Aufsätze und Kommentare von Ärzten, Wissenschaftlern und Theologen wurden vor kurzem in einer erweiterten Dokumentation online veröffentlicht. Sie ist im
Internet abrufbar unter: www.aerzteblatt.de/dossiers/embryonenforschung. Dieses Dossier ist jetzt durch
weitere Statements ergänzt worden. Der Präsident der Bundesärztekammer, Prof. Dr. med. Jörg-Dietrich
Hoppe, Bundesforschungsministerin Edelgard Bulmahn, der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Prof. Dr. rer. nat. Ernst-Ludwig Winnacker, der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Bischof Wolfgang Huber, der Bonner Stammzellforscher Prof. Dr. med. Oliver Brüstle und Hubert Hüppe, stellvertretender Vorsitzender der Enquetekommission des Bundestages „Ethik und Recht der modernen
Kli
Medizin“, haben fürs Deutsche Ärzteblatt Stellung zu der Thematik bezogen.
D O K U M E N T A T I O N
abschiedet, wonach der Import menschlicher embryonaler Stammzellen unter
strengsten Auflagen zulässig ist. Die
Abgeordneten stimmten Ende April
2002 über drei Varianten ab: über ein
„Nein“ oder ein „Ja“ zur Stammzellforschung oder über die Kompromisslösung, die sich schließlich durchsetzen
konnte. Das Gesetz sieht vor, dass nur
embryonale Stammzellen eingeführt
werden dürfen, die bereits am 1. Januar
2002 vorhanden waren und die in Übereinstimmung mit der Rechtslage im
Herkunftsland gewonnen wurden.
Die frühere Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer (Bündnis 90/Die
Grünen) war eine der Abgeordneten,
die diesen Antrag auf den Weg gebracht
hatte. Noch während ihrer Amtszeit
hatte Fischer ein Fortpflanzungsmedizingesetz angekündigt, mit dem sie PID
und das therapeutische Klonen unmissverständlich verbieten wollte. Doch
nach Fischers Rücktritt wurde zunächst
der von ihr gegründete Ethikbeirat
kaltgestellt, und aus dem geplanten Gesetz wurde nichts. Fischers Nachfolgerin
Ulla Schmidt (SPD) gilt als eine vorsichtige Befürworterin der gentechnischen Methoden. Zypries schlug sich
mit ihrer Rede ebenfalls auf die Seite
des eher „forschungsfreundlichen“ Teils
des Regierungslagers.
Ob die Regierung mit einer geplanten Lockerung der restriktiven Gesetzgebung erfolgreich wäre, bleibt allerdings fraglich. Der Bundestag jedenfalls
beabsichtigt Hüppe zufolge keinen
Richtungswechsel: „Der Deutsche
Bundestag hat in letzter Zeit mehrfach
mit fraktionsübergreifenden Mehrheiten den Stellenwert des in der Menschenwürdegarantie der Verfassung begründeten Embryonenschutzes unterstrichen: beim Stammzellimport in der
vergangenen Legislaturperiode und in
der laufenden Legislaturperiode in seinen Beschlüssen zum Klonen und zur
Embryonenforschung in der EU. Ich
kann weder überzeugende Gründe
noch Mehrheiten für eine Kehrtwende
erkennen.“ Und schließlich seien die
gewählten Parlamente die Gesetzgeber.
„Was der Nationale Ethikrat verlautbart, sind legitime Beiträge zur öffentlichen Debatte. Sie kommen aber aus einem vom Bundeskanzler berufenen Beratungsgremium und nehmen deshalb
eine Entscheidung des Bundestages
nicht vorweg“, sagte Hüppe.
Eine klare Absage erteilten die Delegierten des 104. Deutschen Ärztetages in
Rostock der Herstellung, dem Import
und der Verwendung embryonaler
Stammzellen. Hoppe wendete sich seitdem immer wieder gegen solche Bestrebungen. „In Deutschland ist die Herstellung von menschlichen Embryonen verboten. Das schließt das Klonen von Embryonen ein. An dieser eindeutigen Ablehnung der verbrauchenden Embryonenforschung sollten wir festhalten. Es
darf niemals dazu kommen,dass menschliches Leben als Erzeugnis für den Heilungsprozess anderer ausgenutzt wird“,
erklärte Hoppe gegenüber dem DÄ.
Menschliches Leben einer so genannten
Rechtsgüterabwägung und damit auch
Beliebigkeit zu unterstellen, könnte zu
einem unkontrollierten Selektionsautomatismus führen. Zu bedenken sei auch,
dass mit der embryonalen Stammzellforschung zu leichtfertig unrealistische
Heilsversprechen verbunden würden.
Den Einfluss der großen christlichen
Kirchen gilt es ebenfalls nicht zu unterschätzen. Das Klonexperiment der südkoreanischen Forscher wird von beiden
Kirchen scharf verurteilt. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonfe-
renz, Kardinal Karl Lehmann, warnte
eindringlich vor dieser Entwicklung:
„Hier wird mit menschlichen Hoffnungen und Heilungsversprechen gespielt,
die verschleiern, dass der Mensch am
Beginn seines Lebens zum reinen
Objekt gemacht wird.“ Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in
Deutschland, Bischof Wolfgang Huber,
teilt diese Auffassung: „Im Blick auf die
neueren Ergebnisse der Grundlagenforschung ist aus Sicht der evangelischen
Ethik immer wieder daran zu erinnern:
Wer die Tötung menschlicher Embryonen zur Gewinnung von Stammzellen in
Kauf nimmt, instrumentalisiert menschliches Leben in einer Weise, die ethisch
nicht gerechtfertigt werden kann. Unsere Schutzverpflichtung für menschliches
Leben reicht so weit wie unsere Schutzmöglichkeiten. Deshalb haben wir
gegenüber einem künstlich erzeugten Embryo eine Schutzverpflichtung
auch auf den frühen Stufen seiner
Entwicklung, die es verbietet, ihn zu
,verbrauchen‘.“
Diese massive Kritik von Ärzten,
Kirchen, aber auch von Politikern dürfte
ihre Wirkung nicht verfehlt haben. So
lehnt Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) inzwischen Bestrebungen, die bestehenden Gesetze
aufzuweichen, strikt ab. Gegenüber dem
Deutschen Ärzteblatt sagte sie, „dass
wir mit dem Embryonenschutzgesetz
und dem Stammzellgesetz eine sichere
Grundlage haben, um mit den Herausforderungen der Biotechnologie umzugehen. Wir haben eine verantwortungsvolle Regelung geschaffen, die der Forschung in Deutschland den Anschluss
an den internationalen Standard in der
Grundlagenforschung ermöglicht und
mögliche Heilungsperspektiven nicht
Gisela Klinkhammer
verspielt.“
wenige Deutsche über die modernen Verfahren der Reproduktionsmedizin informiert. Zu diesem Ergebnis kommt eine
vom Bundesministerium für Bildung und
Forschung geförderte repräsentative Studie der Universität Leipzig. Ende 2003
wurden dazu bundesweit mehr als 2 000
Deutsche im Alter von 18 bis 50 Jahren zu
verschiedenen Themen der Reproduktionsmedizin befragt.
Nur 30 Prozent der Deutschen können
der Umfrage zufolge etwas mit dem Begriff „Präimplantationsdiagnostik“ anfangen. „Dabei werden die Einsatzmöglichkeiten der PID überschätzt“, sagt Prof. Dr.
Elmar Brähler, Leiter der Studie. So
glaubt über die Hälfte der Befragten, dass
damit alle Arten von Krankheiten und Beeinträchtigungen festgestellt werden können. 60 Prozent der Teilnehmer haben da-
Heft 20, 14. Mai 2004
Reproduktionsmedizin
Wenig konkretes Wissen
Erste deutsche Studie zu Informationsverhalten und Akzeptanz vorgestellt
T
rotz der aktuellen Debatten über
Stammzellforschung und Präimplantationsdiagnostik (PID) sind offenbar nur
211
D O K U M E N T A T I O N
gegen noch nie etwas über die Thematik
vernommen; zehn Prozent können keine
Angaben machen. Der überwiegende Teil
der Befragten (70 Prozent) gab kein oder
nur wenig Interesse an.
Zurückhaltender sind die meisten Befragten, wenn es darum geht, die PID potenziell selbst in Anspruch zu nehmen. So
würde nur knapp ein Drittel generell genetische Störungen mittels PID überprüfen lassen. Sechs Prozent befürworten sie
ausschließlich bei Verdacht auf eine spezifische Erkrankung. 24 Prozent der Befrag-
ten lehnen eine Anwendung der PID
strikt ab. Die PID zur Geschlechterwahl
zu nutzen kommt für 94 Prozent nicht
in Frage. Abgelehnt wird von 83 Prozent
ebenfalls die Einführung des reproduktiven Klonens in Deutschland, von einem
Drittel die Zulassung der Eizellspende
und von 44 Prozent die Leihmutterschaft.
Kontrovers werden derzeit Brählers
Daten zur Prävalenz von Subfertilität und
Sterilität diskutiert. „Mindestens zehn
Prozent der Befragten werden gewollt
kinderlos bleiben“, schlussfolgert Brähler
aus den Ergebnissen seiner Erhebung. Es
sei sogar noch von einem höheren Anteil
auszugehen, da ein Teil der unentschiedenen Personen den Kinderwunsch nicht
realisiere oder so lange hinausschiebe, bis
er sich nicht mehr realisieren ließe. Lediglich ein Prozent der Bevölkerung sei von
primärer Sterilität betroffen. Reproduktionsmediziner gehen von vier bis fünf Prozent aus. Von den Deutschen wird diese
Rate noch viel höher geschätzt. Sie meinen
im Mittel, dass 20 Prozent aller Paare ungewollt kinderlos sind.
ER
Heft 22, 28. Mai 2004
K
ein Präsident vor ihm hatte so setz und den Beschluss des Bundes- dürfen“.Auch hochrangige Ziele meeinen schweren Start. Als Jo- tages zur Stammzellforschung hin. dizinischer Forschung dürften nicht
hannes Rau ins Schloss Belle- Nicht umsonst stünde die Unantast- darüber bestimmen, ab wann
vue einzog, erwarteten so manche barkeit der Menschenwürde am An- menschliches Leben geschützt wernicht viel von ihm. Er sei ein altge- fang des Gesetzes. Sie müsse das den soll, erklärte er mit Blick auf
dienter Sozialdemokrat ohne Charis- Leitbild sein, das der medizinischen Embryonenforschung und Präimma und Repräsentationsvermögen, Forschung die Richtung vorgibt und plantationsdiagnostik. Er sei fest dader sich ehrgeizig in die höchste Posi- ihr Grenzen setzt. Dabei widerlegte von überzeugt, so Rau, „dass wir untion des Staates gedrängt habe, hieß Rau ein von Forschern vielfach ge- endlich viel Gutes erreichen können,
es. Das war einmal. Das Bild von Rau brauchtes Argument: „Die Freiheit ohne dass Forschung und Wissenschaft sich auf ethisch behat sich inzwischen entdenkliche Felder begeben
scheidend geändert. Seine
müssen. Es gibt viel Raum
einstigen Kritiker zollen
diesseits des Rubikon.“
dem Mann, der mit seinen
Zweieinhalb Jahre nach
mutigen Reden Menschen
seiner Berliner Rede wandHalt und Trost zu geben
te sich Johannes Rau erneut
vermag, Hochachtung und
vehement
gegen
eine
Respekt. Rau gilt als VerLockerung des Embryosöhner. Jedoch als einer,
nenschutzgesetzes. Damit
der seine Ansichten mit
Während seiner Amtszeit äußerte
widersprach er Bundesjuklaren Worten vertritt.
stizministerin Brigitte ZyGerade zu medizinethisich Rau mehrfach zu Stammzellforschung
pries, die sich im Oktober
schen Fragen bezog der
und Präimplantationsdiagnostik.
2003 dafür ausgesprochen
Bundespräsident mehrfach
hatte, den Schutz von Emeindeutig und kritisch Position. Davon konnte sich die Ärzte- der Forschung gerät nicht dadurch in bryonen im Reagenzglas einzuschränschaft auch jetzt, wenige Wochen vor Gefahr, dass wir ihr ein ethisches ken. Eine solche Abstufung der Mendem Ende seiner Amtsperiode, noch Fundament geben. Die Freiheit der schenwürde sei jedoch mit dem Grundeinmal überzeugen. „Wir dürfen Em- Forschung ist nicht frei von Bindun- gesetz unvereinbar, sagte Rau.
Sein Nachfolger im höchsten
bryonen nicht als Experimentiermas- gen.“ Solche Worte sind nicht neu
se verwenden und nach Gebrauch ver- von Johannes Rau. Bereits 2001, als Amt des Staates hat in der Frage der
werfen“, warnte Rau vor den Dele- die Stammzelldebatte in Deutsch- Embryonenforschung „noch kein
gierten auf dem 107. Deutschen Ärz- land sehr hitzig und emotionsgela- fertiges Urteil“, wie Horst Köhler im
tetag in Bremen. „Wir dürfen die Ge- den geführt wurde, forderte der Bun- Interview mit dem Rheinischen
fahr der biologischen Selektion nicht despräsident einen „Fortschritt nach Merkur verlauten ließ. „Im Zweifel
verharmlosen, nur um einem mögli- menschlichem Maß“ – so der Titel geht für mich aber der Lebensschutz
chen therapeutischen Nutzen nachzu- seiner viel zitierten Berliner Rede vor“, sagte Köhler. Es dürfe nicht aljagen.“ (Siehe dazu auch die Bericht- vom 18. Mai 2001. Eindrücklich be- les, was technisch möglich ist, auch
tonte er damals, „dass es Dinge gibt, gemacht werden. Gleichzeitig warnt
erstattung in DÄ, Heft 21/2004)
Zum wiederholten Male wies das die wir um keines tatsächlichen oder er vor Zeitdruck und schnellen UrStaatsoberhaupt auf das Grundge- vermeintlichen Vorteiles willen tun teilen. Dr. med. Eva A. Richter-Kuhlmann
Johannes Rau
Verfechter der
Menschenwürde
212
D O K U M E N T A T I O N
Heft 31–32, 2. August 2004
Wartburgtagung
Vom Umgang mit der Menschenwürde
Über embryonale Stammzellforschung, Präimplantationsdiagnostik und
therapeutisches Klonen diskutierten Ärzte, Theologen und Wissenschaftler auf der Wartburg.
S
chon der gewählte Tagungsort war
durchaus symbolträchtig. Die Veranstalter – das thüringische Forschungsministerium und die FriedrichSchiller-Universität Jena – der Wartburgtagung hatten sich ein hohes Ziel
gesteckt. Ähnlich wie Luther, der dort
die Bibel ins Deutsche übersetzt hatte,
wollten auch sie „Übersetzungsarbeit“
leisten. „Die Tagung will die Grundlage
dafür schaffen, dass in der Öffentlichkeit über bioethische Fragen informiert
nachgedacht werden kann“, schrieb
Prof. Dr. phil. Nikolaus Knoepffler, Jena, in der Ankündigung.
Nicht erwähnt wurde, dass die Wartburg auch der Ort eines mittelalterlichen Sängerstreits war. Und gestritten
wurde tatsächlich eher wenig. Die
Klonexperimente der südkoreanischen
Forscher, denen es Mitte Februar erstmals gelungen war, durch Kerntransfer
30 menschliche Blastozysten herzustellen und daraus eine Linie embryonaler
Stammzellen zu gewinnen, ging den
meisten Referenten und Tagungsteilnehmern zu weit. So warf der Präsident
der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Prof. Dr. rer. nat. Ernst-Ludwig
Winnacker, den Forschern vor, sie hätten den hippokratischen Eid für ihren
„Irrweg“ gebrochen. Die Reprogrammierung hoch spezialisierter Erbinformation beim Klonen verlaufe unvollständig und fehlerhaft; so entstandene
Fehler seien im frühesten Stadium in
den Zellen angelegt. „Kann man den
Einsatz solcher Zellen zur Therapie am
Menschen wollen?“ fragte Winnacker
(dazu auch DÄ, Heft 17/2004). Nobelpreisträgerin Prof. Dr. rer. nat. Christiane Nüsslein-Volhard, Tübingen, betonte zudem die „engen natürlichen Grenzen“, die den Visionen Schranken setzen würden.
Doch trotz dieser Bedenken forderten die meisten Referenten, das deutsche Stammzellgesetz zu novellieren.
Das Gesetz sieht vor, dass nur embryonale Stammzellen eingeführt werden
dürfen, die bereits am 1. Januar 2002 vorhanden waren und die in Übereinstimmung mit der Rechtslage im Herkunftsland gewonnen wurden. „Als Erstes wird
die Stichtagsregelung fallen“, prognostizierte die thüringische Wissenschaftsministerin Prof. Dr.-Ing. Dagmar Schipanski. Nüsslein-Volhard kritisiert vor allem
die in Deutschland herrschende „Scheinheiligkeit“. Das Stammzellgesetz erlaube deutschen Forschern nicht, bei der internationalen Forschung auf diesem Gebiet mitzuhalten.
Nur wenige Referenten lehnten die
embryonale Stammzellforschung und
die Präimplantationsdiagnostik grundsätzlich ab. Zu ihnen zählte der katholische Bischof des Bistums Erfurt, Prof.
Dr. theol. Joachim Wanke. Er hielt diese
gentechnischen Möglichkeiten für mit
der Menschenwürde unvereinbar. „Eine
an Differenzierungsgrade gebundene
rechtliche Bewertung des Status des
Embryos führt dazu, die Lebensphasen
des Menschen prinzipiell schutzlos zu
machen“, betonte Wanke. Nüsslein-Volhard hält dagegen die Würde der Frau
für vorrangig und fordert die Zulassung
der Präimplantationsdiagnostik, weil es
ihrer Ansicht nach mit der Menschenwürde nicht vereinbar sei, der Frau einen
defekten Embryo zu implantieren. Erbkranke Föten könnten durch Pränataldiagnose bisher erst relativ spät während
einer Schwangerschaft erkannt werden.
Eine Frühdiagnose vor der Implantation
würde die Tötung solcher Embryonen
im fortgeschrittenen Stadium vermeiden.
Ähnlich argumentiert auch Knoepffler in seinem anlässlich der Tagung erschienenen Buch „Menschenwürde in
der Bioethik“. Wer davon ausgehe, dass
dem Embryo und Fötus Menschenwürde und damit verbunden ein Recht auf
Leben zukomme, werde diesem Lebensrecht Vorrang vor dem mütterlichen
Selbstbestimmungsrecht geben, wenn
die Mutter für die Schwangerschaft verantwortlich sei. Ausnahmen seien dann
nur bei einer Vergewaltigung möglich
oder wenn im Rahmen einer medizinischen Indikation ihr Leben bedroht ist.
Wer dagegen davon überzeugt sei, dass
Embryonen und Föten bis zu einem bestimmten Zeitpunkt keine Menschenwürde zukomme, werde die Annahme
oder Nichtannahme des Kindes durch
die Mutter anders gewichten.
Prof. Dr. theol. Reiner Anselm, Göttingen, warnt grundsätzlich vor einer
Überbewertung des Menschenwürdebegriffes. In einer Stellungnahme
evangelischer Theologen mit dem Titel
„Starre Fronten überwinden“, die von
Anselm mitverfasst wurde, heißt es: „So
wichtig die menschliches Handeln begrenzende Funktion von Menschenwürde und Gottebenbildlichkeit ist, so
bildet sie dennoch nur einen Aspekt ihrer Bedeutung ab.“ Das Argument der
Menschenwürde werde verkürzt, wenn
nicht zugleich mit den Grenzen auch
die Aufgaben des Menschen in den
Blick genommen würden.
Die Zuwendung zum Kranken gehöre zu den Kernbeständen der christlichen Ethik. Die therapeutisch begründete Embryonenforschung gewinne daher
ihre moralische und religiöse Rechtfertigung. Eine „therapeutische Überlegitimation“ sei jedoch ethisch problematisch, weil sie falsche Hoffnungen wecke.
Damit stehen die Verfasser der Stellungnahme allerdings in Widerspruch
zum Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland, Bischof
Wolfgang Huber, der für das Deutsche
Ärzteblatt schrieb: „Die Forschung mit
embryonalen Stammzellen wird mitunter auch mit dem Argument befürwortet, es sei ein Abwägungsprozess
zwischen dem verfassungsrechtlichen
Lebensschutz des Embryos einerseits
und der ebenfalls verfassungsrechtlich
213
D O K U M E N T A T I O N
geschützten Forschungsfreiheit andererseits nötig. Soweit jedoch das werdende Leben in Achtung und Schutz
der Menschenwürde einbezogen ist,
kann es eine solche Abwägung nicht
geben. Denn die Menschenwürde kann
nicht Gegenstand einer solchen AbwäGisela Klinkhammer
gung sein.“
Weitere Informationen zum Thema Stammzellforschung
und Präimplantationsdiagnostik sind abrufbar unter
www.aerzteblatt.de/dossiers/embryonenforschung. Informationen zur Tagung: www.wartburgtagung.de
Heft 33, 13. August 2004
Stammzellbericht
Trügerische Ruhe
S
o mühsam auch vor zwei Jahren um
das Stammzellgesetz gerungen wurde
– lange wird dieser „ethische Damm“
dem steten Druck seiner Gegner wahrscheinlich nicht standhalten können. Erster Angriffspunkt wird wohl die Stichtagsregelung sein. Denn die importierten Stammzelllinien, die nach dem Gesetz vor dem 1. Januar 2002 gewonnen
sein müssen, können mit tierischen Erregern verseucht sein. Jüngere Stammzellkulturen sind hingegen nie mit tierischen Feeder-Zellen in Berührung gekommen und könnten daher im Erfolgsfall auch für den klinischen Einsatz zugelassen werden.
Zurzeit jedoch muss man keine Gesetzesänderung befürchten. Das tendenziell
eher „forschungsfreundliche“ Regierungslager verhält sich ruhig.Unisono erklärten jüngst Bundesgesundheitsmini-
sterin Ulla Schmidt und Bundesforschungsministerin Edelgard Bulmahn, das Stammzellgesetz habe sich bewährt. Das Genehmigungsverfahren
zum Import von embryonalen Stammzelllinien nach Deutschland „bewahre
hohe ethische Standards und schaffe sichere Bedingungen für die Forschung“,
kommentierten sie den ersten Stammzellbericht der Bundesregierung, veröffentlicht Ende Juli. Auf 16 Seiten gibt er
einen Überblick über die zwischen Juli
2002 und Dezember 2003 gestellten Anträge und den derzeitigen Stand der
Stammzellforschung.
Sieben gestellte und fünf genehmigte
Forschungsanträge lassen zwar keinen
Run auf dieses Forschungsgebiet vermuten – zumindest nicht in Deutschland. International steigt jedoch die
Zahl der Publikationen und die Bedeu-
tung der stammzellbasierten regenerativen Medizin. Und die Stimmen der
deutschen Wissenschaftler, die rechtliche Probleme bei der Zusammenarbeit
mit Forschergruppen im Ausland
beklagen, werden lauter. Auch die
Deutsche Forschungsgemeinschaft fordert, die gesetzlichen Grenzen zu überdenken.
Schmidt und Bulmahn schweigen. Beide sind mit Gerüchten
konfrontiert, sie würden im Kabi-nett
ausgewechselt. Der Bundesforschungsministerin, die sonst aus ihrem Wunsch,
das Stammzellgesetz auszuweiten, auch
öffentlich keinen Hehl macht, wird
auch der Streit um die Spitzenuniversitäten und das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Juniorprofessuren schwer zu schaffen machen.
Der Bericht und die wohlwollende
Bewertung der Ministerinnen darf über
eines nicht hinwegtäuschen: Das letzte
Wort ist über das Stammzellgesetz noch
nicht gesprochen.
Dr. med. Eva A. Richter-Kuhlmann
Heft 33, 13. August 2004
Präimplantationsdiagnostik
Auf dem Weg zum Routineangebot
Die Entwicklung der genetischen Untersuchung in sieben ausgewählten Ländern
N
ur ein generelles Verbot der Präimplantationsdiagnostik
(PID)
schützt vor einer Ausweitung der
bisherigen Indikationen. Diese Schlussfolgerung zieht der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung des Bundestages in seinem
jetzt vorgelegten Sachstandsbericht
Präimplantationsdiagnostik. Darin werden Praxis und rechtliche Regulierung in
sieben ausgewählten Ländern (USA,
Belgien, Italien, Dänemark, Großbritannien, Frankreich, Norwegen) verglichen.
214
Bei einem völligen Verzicht auf regulierende Eingriffe und einer weitgehend
freien Entwicklung von Angebot und
Nachfrage könne davon ausgegangen
werden, dass die Nutzung der PID nicht
auf Einzelfälle mit besonderen Risiken
oder sogar auf medizinische Indikationen
begrenzt bleiben wird. Ähnlich wie bei
der Pränataldiagnostik sei damit zu rechnen, dass sich die PID schrittweise als
„Routinecheck“ im Rahmen der In-vitro-Fertilisations-Behandlung etabliere.
Nur in Großbritannien und Frank-
reich besteht eine detaillierte Regulierung der PID. In Großbritannien ist
das zulässige Einsatzspektrum der
Präimplantationsdiagnostik eher „unscharf oder offen gesetzlich“ definiert,
was in der „Tendenz zu Fall-zu-FallEntscheidungen durch die zuständige
Behörde führt, die jeweils dann, wenn
sich neue Nutzungsoptionen für die
PID eröffnen, unter Entscheidungsdruck steht“. Eine Barriere gegen eine
Erweiterung des jeweils etablierten Anwendungsspektrums bilde dann meist
D O K U M E N T A T I O N
nur die interessierte Öffentlichkeit.
In Frankreich sorgt eine Kommission
oder Behörde für eine Zulassung beziehungsweise Kontrolle des „gesetzlich
sehr eng definierten Spektrums zulässiger Indikationen“. Lediglich für Fälle
„besonders schwerer, nicht heilbarer
erblicher Erkrankungen“ darf die genetische Untersuchungsmethode angewendet werden. Auf diese Weise sei
„die sukzessive Ausweitung des Einsatzes der PID auf die Diagnose von spontan auftretenden Chromosomenanomalien und damit auch auf das Screening zum Zweck der Erhöhung der
Schwangerschafts- und Geburtenrate bei
der künstlichen Befruchtung ausgeschlossen“.
In Dänemark ist PID grundsätzlich
zulässig, sie unterliegt allerdings einer
besonderen Kontrolle durch das Gesundheitsministerium, da PID-Untersuchungen als Forschungsvorhaben behandelt werden. In Italien wurde im
Dezember 2003 vom Senat des Parlaments ein Gesetz verabschiedet, das die
Praxis der In-vitro-Fertilisation (IVF)
erheblich eingeschränkt und die PID
generell verboten hat. In den USA wird
die Präimplantationsdiagnostik seit 1990
an einer Vielzahl von IVF-Kliniken
praktiziert. Regelungen zur PID bestehen auf bundesstaatlicher Ebene nicht.
Die konkrete Ausgestaltung der Praxis
Tabelle
´
C
C
unterliegt fast ausschließlich der freiwilligen Selbstkontrolle der Ärzte. Eine
verbindliche Einschränkung des Indikationsspektrums ist bisher nicht zu erkennen. Im Gegenteil – dort wird die
PID sogar zur Geschlechtswahl als
weitgehend legitim anerkannt. In Belgien ist die PID für ein „weites Spektrum
medizinischer Indikationen“ zulässig.
In Norwegen ist die PID nur bei einem
Risiko für eine geschlechtsgebundene,
schwere und nicht erbliche Erkrankung
vorgesehen.
Die Autoren des Berichts gehen davon aus, dass drei Anwendungsmöglichkeiten zu Diskussionen führen werden:
Wenn sich herausstellen sollte, dass sich
durch das Aneuploidie-Screening die
Geburtenrate bei der IVF signifikant erhöhen lasse, „werden sicherlich Forderungen nach Zulassung eines entsprechenden Screenings erhoben werden.
Die Nutzung der PID zur Selektion eines als Gewebespender geeigneten Embryos für ein erkranktes Geschwister
wird wegen der Aussichten auf eine Therapie für ein schwer erkranktes Kind
wahrscheinlich immer wieder zu Anträgen auf Zulassung führen“. Ein weiteres
„Einfallstor“ für eine Erweiterung der
Indikationen stellen schließlich auch
Tests auf eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für das Auftreten einer multifaktoriell bedingten schweren Erkrankung
´
Rechtliche Regelung und Indikationsspektrum in den unterschiedlichen Ländern
Aneuploidien
Regelung
Gewebetypisierung
Krankheitsdisposition
Geschlechtswahl
(„social sexing“)
Regelung
Praxis
Praxis
Regelung
Praxis
Regelung
Praxis
USA keine
Großteil
der PID
keine
wird
praktiziert
keine
wird
praktiziert
keine
wird
praktiziert
I*
keine
Großteil
der PID
keine
in Vorbereitung
keine
?
keine
?
B
erlaubt
wird
praktiziert
erlaubt
wird
praktiziert
erlaubt
Angebot
verboten
in Vorbereitung
–
DK
erlaubt
–
verboten
–
nicht
verboten
–
verboten
–
GB
erlaubt
eingeschränkt
praktiziert
erlaubt in praktiziert
Ausnahmefällen
nicht
verboten
–
verboten
–
F
verboten
–
erlaubt in –**
Ausnahmefällen
verboten
–
verboten
–
dar. Dabei wird jeweils darüber diskutiert werden, ab wann von einem „erheblichen Risiko“ gesprochen werden
kann und ob die Nutzung schon bei eher
gering erhöhter Wahrscheinlichkeit legitim sein könnte.
Die Länderstudien verdeutlichen,
„dass die praktische Anwendung der
PID international weiter fortgeschritten ist, als in der Diskussion oft angenommen wird“. Wenn man die unvollständigen Daten zusammenfasse, ergebe sich „die Zahl von mindestens 1 600
Kindern, die bis Anfang 2003 in den
sechs erfassten Ländern, in denen PID
zulässig ist, nach Durchführung einer
PID zur Welt gekommen sind“. Die
tatsächliche Zahl der Kinder dürfte
weitaus höher liegen. Das deutsche Embryonenschutzgesetz von 1990 „verbietet die Durchführung einer PID zwar
nicht explizit, die Mehrheit der Experten geht jedoch von einem ableitbaren
Verbot aus“, heißt es in dem Bericht.
Der CSU-Parteivorstand forderte Mitte Juli ein eindeutiges Verbot der PID.
Eine Zulassung der umstrittenen Präimplantationsdiagnostik könnte die Akzeptanz des Lebens mit Behinderung
massiv verändern, sagte der Vorsitzende
der CSU-Grundsatzkommission, Alois
Glück. Der Gesundheitsexperte der
FDP-Bundestagsfraktion, Detlef Parr,
kritisiert die Forderung der CSU. Er versteht den ländervergleichenden Bericht
so, dass dann, wenn Präimplantationsdiagnostik in engen Grenzen rechtlich
zugelassen werde, kein Dammbruch zu
Gisela Klinkhammer
befürchten sei.
Der Sachstandsbericht „Präimplantationsdiagnostik“ ist
abrufbar unter www.aerzteblatt.de/plus3304.
*Die Angaben für Italien beziehen sich auf die rechtliche Situation vor dem Verbot der PID im Dezember 2003.
**Die Zulässigkeit wird erst durch die novellierten Bioethikgesetze in ihrer Fassung vom 11. Dezember 2003 bewirkt, sodass bislang kein HLAMatching durchgeführt worden ist.Allerdings liegen seit einiger Zeit Anträge auf Gewebetypisierung vor.
215
D O K U M E N T A T I O N
Heft 36, 3. September 2004
Therapeutisches Klonen
Rat gespalten
Teil hält die Technik des Forschungsklonens bislang nicht für notwendig. Einig ist
sich der Ethikrat nur darin, dass reproduktives Klonen verboten bleiben soll.
ER
nen: Ein Teil befürwortet das Forschungsklonen unter strengen Auflagen, ein anderer lehnt es aus ethisch-moralischen Gesichtspunkten grundsätzlich ab. Ein dritter
Stellungnahme im September erwartet
D
er Nationale Ethikrat konnte Mitte August keine Einigung zu der
Frage erzielen, ob das Klonen von
menschlichen Embryonen zu Forschungszwecken
(therapeutisches
Klonen) künftig erlaubt werden soll.
Auf eine Abstimmung unter den 25
Mitgliedern will der als eher forschungsfreundlich geltende Rat jedoch verzichten. Stattdessen sollen alle Argumente dargestellt und von den
jeweils sie tragenden Mitgliedern unterzeichnet werden. Ähnlich war der
Ethikrat vor gut einem Jahr bei seiner
Stellungnahme zur Präimplantationsdiagnostik vorgegangen.
Erwartet werden bei der für September angekündigten Stellungnahme zum
therapeutischen Klonen drei Positio-
Heft 37, 10. September 2004
L
E
X
I
Mit dem Begriff „Präimplantationsdiagnostik“ (PID)
wird die Diagnostik an einem Embryo vor seinem Transfer in den Uterus der Frau bezeichnet. Dem sich im Anschluss an eine In-vitro-Fertilisation entwickelnden Embryo werden Zellen entnommen, die auf Chromosomenanomalien oder Genmutationen hin untersucht werden. Bei entsprechendem Befund wird
der Embryo nicht in die Gebärmutter übertragen.
Die Zellen werden gewöhnlich am dritten Tag nach der
Befruchtung entnommen. Da davon ausgegangen wird,
dass sich bis zum Achtzellstadium jede Zelle zu einem
Embryo entwickeln kann (Totipotenz), wird in der Debatte in Deutschland, wo die Vernichtung totipotenter
Zellen verboten ist, eine Biopsie im Blastozystenstadium vorgeschlagen. Das deutsche Embryonenschutzgesetz verbietet die Präimplantationsdiagnostik zwar nicht
explizit, die Mehrheit der Experten geht jedoch von einem
ableitbaren Verbot aus. Nach dem „Diskussionsentwurf
K
O
N
zu einer Richtlinie zur Präimplantationsdiagnostik“, den
der Vorstand der Bundesärztekammer im Jahr 2000 vorlegte, sollte die PID restriktiv eingesetzt werden – nur bei
wenigen Paaren mit hohem genetischen Risiko nach einem komplizierten Genehmigungsverfahren. Die
Enquetekommission des Deutschen Bundestages
„Ethik und Recht der modernen Medizin“ sprach
sich mehrheitlich dafür aus, die PID zu verbieten.
Eine Mehrheit des Nationalen Ethikrates plädierte dagegen für eine „eng begrenzte“ Zulassung der PID. Kritiker
befürchten, dass die PID zu einer Diskriminierung behinderter Menschen führen könnte. Die Diskussion über die
Zulassung der PID führte auch zu einer Debatte über die
Schutzwürdigkeit von Embryonen. Dabei gibt es zwei
konkurrierende Ansichten: Die eine überträgt die dem geborenen Menschen eigene Schutzwürdigkeit auf den Embryo, die andere spricht dem Embryo eine je nach seiner
Entwicklungsstufe abgestufte Schutzwürdigkeit zu. Kli
PID
Heft 38, 17. September 2004
Nationaler Ethikrat
Quadratur des Kreises
M
it seiner Stellungnahme zum Klonen
ist dem Nationalen Ethikrat gleichsam die Quadratur des Kreises gelungen.
Ohne unter den 25 Mitgliedern abzustimmen, veröffentlichte er am 13. September drei Positionen zum therapeutischen Klonen. Gleichzeitig empfiehlt der
Rat jedoch am Ende einmütig – „unbeschadet der divergierenden Voten“ –, das
Forschungsklonen in Deutschland gegenwärtig nicht zuzulassen.
Bis zuletzt galt die Stellungnahme
„Klonen zu Fortpflanzungszwecken
und Klonen zu biomedizinischen Forschungszwecken“ als Nagelprobe für
den 2001 durch Bundeskanzler Gerhard Schröder eingesetzten Ethikrat.
Noch in den letzten Wochen seiner
mehr als einjährigen Beratungszeit zu
216
diesem Thema blieb unklar, ob der Rat
mit einer klaren Mehrheitsfindung Politik und Gesellschaft die Richtung weisen oder die ethisch-moralische Problematik des Klonens nur umfassend erörtern und damit auf seine „Wegweiserfunktion“ verzichten würde.
Offenbar geht beides. Keine Abstimmung, kein Votum, dennoch eine einheitliche „Schluss-Empfehlung“, die
politisch vorzeigbar ist. Bei der Frage,
ob man das therapeutische Klonen zulassen sollte, scheiden sich derart die
Geister, dass keine Pro- und Kontra-Position ausreichte, um die Ansichten des
Rates zu beschreiben. Stattdessen sprechen sich die Vertreter der Position A
(fünf Mitglieder) in der Stellungnahme
klar für ein weltweites Verbot des For-
schungsklonens aus und fordern, in
Deutschland dieses Verbot strafrechtlich zu präzisieren. Die (zwölf) Vertreter der Position B halten das therapeutische Klonen generell für vertretbar, es
sei jedoch eine Regulierung notwendig.
Die (fünf) Vertreter der Position C vermissen noch Beweise für eine therapeutische Perspektive. So lange lehnen sie
das Forschungsklonen ab. Die divergierenden Positionen sind ausführlich begründet und von den Mitgliedern unterzeichnet worden, die diese Ansicht vertreten. Drei Namen fehlen. Die Betroffenen konnten sich in keiner der drei
Positionen wiederfinden.
Die Anzahl der Unterzeichner werde nie explizit genannt und sei auch
„unerheblich“, betont der Vorsitzende
des Nationalen Ethikrates, Prof. Dr.
Spiros Simitis. Absichtlich hätte man
auf eine Abstimmung verzichtet, ein
Mehrheitsvotum gebe es nicht.
Dr.med. Eva A. Richter-Kuhlmann
D O K U M E N T A T I O N
Heft 40, 1. Oktober 2004
Forschungsklonen
„Die Zeit arbeitet für die Wissenschaftler“
Der Nationale Ethikrat hat sich – trotz divergierender Voten – auf die Empfehlung verständigt,
das Klonen von Menschen zu Forschungszwecken derzeit nicht zuzulassen. Prof. Dr. rer. nat.
Regine Kollek, Dr. phil. Peter Radtke und Prof. Dr. iur. Jochen Taupitz erläutern die Positionen.
DÄ: Der Nationale Ethikrat hat im
September zum Thema Klonen Stellung
genommen und dabei ein gemeinsames
Votum abgegeben. Er empfiehlt, das
Forschungsklonen zum gegenwärtigen
Zeitpunkt zu verbieten. Gleichzeitig hat
er drei unterschiedliche Positionen formuliert. Wie passen dieses Moratorium
und die unterschiedlichen Positionen zusammen? War das Ganze ein politischer
Kompromiss?
Kollek: Das sehen die Vertreter der Positionen ganz unterschiedlich. Für die
Position B war es ein politischer Kompromiss, das wurde auch explizit so gesagt. Für die Position C ist das Moratorium wissenschaftlich und sozialpolitisch
begründet. Für die Vertreter der Position A war es eine Möglichkeit, aufeinander zuzugehen, obwohl sie ein prinzipielles Verbot dieser Technik gefordert
haben. Es war der kleinste gemeinsame
Nenner, auf den man sich einigen konnte – auch im Hinblick darauf, dass man
versuchen wollte, eine gemeinsame
Empfehlung an die Politik zu geben.
DÄ: Wie lange soll das Moratorium
gelten?
Kollek: Das ist so konkret nicht diskutiert worden. Aber Vertreter der Positionen B und C machen Angaben zu den
Bedingungen, die erfüllt sein müssen, um
das Moratorium zur Diskussion zu stellen.
DÄ: Position A geht grundsätzlich
von der Unantastbarkeit der Menschenwürde und dem Schutz des Lebens aus.
Herr Radtke, von welchem Zeitpunkt an
definieren Sie das Leben als schützenswert?
Radtke: Die Gruppe A will das
menschliche Leben von der Vereini-
gung von Ei- und Samenzelle an schützen. Zum einen aus weltanschaulichen, in meinem Fall aus pragmatischen Überlegungen. Selbstverständlich gibt es Einschnitte in der Menschwerdung, die in Bezug auf die
Schutzwürdigkeit unterschiedlich bewertet werden. Das ist eine gesell-
Fotos: Georg Lopata
I N T E R V I E W
Die stellvertretende Vorsitzende des Nationalen Ethikrats, Prof. Dr. rer. nat. Regine Kollek, Hamburg, hält als Vertreterin der Position C das Klonen menschlicher Embryonen zu
wissenschaftlichen oder therapeutischen
Zwecken für derzeit nicht vertretbar. Es müsse durch entsprechende Regelungen untersagt werden.
schaftliche Festlegung. Deshalb sagen
wir generell, dass ab dem frühestmöglichen Zeitpunkt Schutzwürdigkeit
besteht, um nicht Willkür Tür und Tor
zu öffnen.
DÄ: Beim Forschungsklonen kommt
es nicht zur Kernverschmelzung. Es werden auch keine totipotenten Zellen entnommen. Gilt hier trotzdem das Prinzip
der Schutzwürdigkeit?
Radtke: An die Stelle der Kernverschmelzung tritt der Kerntransfer. In
allen Fällen ist die Anlage zu einem
Embryo beziehungsweise zu einem
späteren Menschen gegeben. Insofern
verstehen wir nicht, warum auf der einen Seite das reproduktive Klonen einhellig abgelehnt wird, aber genau derselbe Prozess – das Forschungsklonen –
von Teilen des Ethikrates anders gewertet wird. Wir sehen keinen Unterschied.
Taupitz: Wir sehen einen großen Unterschied. Wenn man einem Menschen mit
einem Messer in den Bauch sticht, kann
man das in sadistischer Absicht tun.
Wenn ein Arzt das tut, wird genau dieselbe Handlung von unserer Rechtsordnung anders bewertet. So sehen wir auch
den Unterschied zwischen dem therapeutischen und dem reproduktiven Klonen. Beim reproduktiven Klonen sollen
Menschen hergestellt werden. Beim therapeutischen Klonen soll kein Embryo in
den Uterus einer Frau implantiert werden. Es handelt sich um eine völlig andere Absicht und um einen völlig anderen
Kontext. Auch ist das Verfahren ein ganz
anderes als das der natürlichen oder
künstlichen Befruchtung. Und auch das
Ergebnis ist ein anderes, weil nicht zwei
verschiedene Chromosomensätze zu einem neuen Genom zusammengetreten
sind, sondern nur der eine schon vorhandene Chromosomensatz des Zellkernlieferanten perpetuiert wird.
DÄ: Wird dabei nicht menschliches
Leben instrumentalisiert?
Taupitz: Man muss erst einmal fragen, ob
hier überhaupt menschliches Leben im
Sinne des Menschenwürdeschutzes entsteht. Es ist sehr fraglich, ob die Entität,
die beim therapeutischen Klonen entsteht, wirklich Menschenwürdeschutz
genießt. Nach unserer Auffassung ist
217
D O K U M E N T A T I O N
diese Entität nicht im gleichen Maße
schutzwürdig wie ein geborener Mensch.
DÄ: Wann beginnt für Sie die
Schutzwürdigkeit?
Taupitz: Der wesentliche Einschnitt ist
die Nidation im Uterus einer Frau. Erst
die Faktoren, die von der Frau ausgehen, führen zur Embryogenese. Ohne
die Mutter geht nichts.
Radtke: Die Festlegung eines Einschnitts hängt sehr stark von der eigenen Einstellung ab. Um einen objektiven Einschnitt zu definieren, sollte man
deshalb den frühesten wählen.
Taupitz: Wenn ich sage, für mich ist die
Nidation der wesentliche Einschnitt,
dann bringe ich damit zugleich zum
Ausdruck, dass ich Ihre Ansicht achte.
Ich glaube, das ist der gegenseitige
Respekt, den wir uns zollen – auch im
Ethikrat. Und wir sind uns einig, dass es
keinen Einschnitt gibt, der der allein
richtige sein kann.
DÄ: Frau Kollek,wie sehen Sie die Frage des gestuften Lebensschutzes und der
Unantastbarkeit der Menschenwürde?
Kollek: Wir bewerten die frühen Entwicklungsstufen des menschlichen Lebens ähnlich wie Position A. Es ist nicht
einleuchtend, den Transfer von Blastozysten in den weiblichen Körper in normativer Hinsicht als einen derart weitreichenden Einschnitt zu werten. Die
extrakorporale Erzeugung menschlichen Lebens ist erst einmal selbst begründungspflichtig. Es ist auch nicht
nachzuvollziehen, dass für den Klonembryo die gängigen Bewertungskategorien, wie zum Beispiel das Vorliegen
von Totipotenz, nicht mehr zutreffen
sollen.
DÄ: Bei der fragwürdigen Schutzwürdigkeit kommt man mit der Entwicklungsmöglichkeit des Embryos
nicht weiter, denn die Entwicklung wird
ja von außen beschränkt . . .
Taupitz: Die Schutzwürdigkeit wird
dadurch begründet, dass die Entität
prinzipiell die Fähigkeit hat, sich zu einem ganzen Menschen zu entwickeln.
Wenn das nicht der Fall ist, fehlt die
Basis. Sonst müsste man jede Hautzelle, jede Haarzelle schützen, weil durch
die Reprogrammierungsmaßnahmen
ein Mensch entstehen könnte.
218
Kollek: Die Manipulation einer Hautzelle ist keine ethisch verwerfliche
Handlung, solange dabei kein Embryo
entsteht. Das Problem besteht darin,
dass sich das Vorliegen von Totipotenz
aus ethischen Gründen nicht beweisen
lässt, weil dies die Übertragung der
erzeugten Entität in den weiblichen
Körper erfordern würde. Deshalb müssen weitere Beurteilungskriterien entwickelt werden. Eines davon ist die
Verwendung weiblicher Eizellen.
DÄ: Würde sich Ihre Position ändern,
wenn das Problem „Eizellverbrauch“
nicht mehr bestünde?
hin. Zweitens möchte ich anfügen, dass
ich das prinzipielle Votum nicht nur im
Zusammenhang mit dem Beginn des Lebens sehe. Wenn wir eine abgestufte
Schutzwürdigkeit definieren, gilt sie
auch für andere Phasen des Lebens, beispielsweise das Ende des Lebens.
Taupitz: Wenn man den Vorwurf des
manipulativen Sprachgebrauchs erhebt, dann gilt er auch umgekehrt. Sie
sprechen vom Embryo. Und es ist ja gerade die Frage, ob es ein Embryo im üblichen Sinne ist, was hier entsteht. Ihren
zweiten Punkt finde ich sehr wichtig
und unterstütze ihn. Denn in der Tat
genießt der Leichnam anerkanntermaßen Menschenwürdeschutz – aber
eben bezeichnenderweise nicht im gleichen Ausmaß wie ein noch lebender
Mensch. Das heißt aber nicht, dass wir
den Menschenwürdeschutz in der Phase vor dem Tod eines Menschen abstufen dürfen.
DÄ: Momentan geht es hauptsächlich
um das Forschungsklonen. Frau Kollek,
selbst wenn das therapeutische Klonen
in greifbarer Nähe sein sollte, glauben
Sie als Biologin, dass man damit die
Volkskrankheiten heilen könnte?
Kollek: Das ist schwer vorstellbar.
Stammzelltherapien sind aufwendig
und teuer. Allenfalls werden sie – wie
bei der Knochenmarkstransplantation – einem kleinen Kreis von Patienten
zugute kommen.
Dr. phil. Peter Radtke, München, vertritt im
Ethikrat die Position A, die von der unantastbaren Würde des Embryos vom Beginn seiner
Entstehung an ausgeht. Die Vertreter dieser
Position plädieren daher für eine vorbehaltlose Beibehaltung des Verbots des Forschungsklonens.
Kollek: Auch dann würde ich dafür Sorge
tragen wollen, dass keine entwicklungsfähigen Embryonen erzeugt werden.
Radtke: Ich möchte auf zwei Punkte aufmerksam machen. Erstens auf die manipulierende Terminologie der Gruppe B.
Es ist für die Vertreter von Gruppe B
sehr problematisch, den Begriff Embryo
zu verwenden. Um dies zu verschleiern,
wurde eine andere Form gefunden: Entität. Zudem wird immer vom „therapeutischen Klonen“ gesprochen. In Wirklichkeit handelt es sich aber um Forschungsklonen. Ob es zum therapeutischen Klonen führt, steht erst einmal da-
DÄ: Hinzu käme der Eizellverbrauch. Beim Klonexperiment in Südkorea wurden 242 Eizellen verbraucht,
um eine Stammzelllinie herzustellen . . .
Kollek: Solange dieser Eizellbedarf
nicht um Zehnerpotenzen gesenkt werden kann, ist das kein vertretbares Verfahren. Auch das Argument, dass sich
die Frauen möglicherweise freiwillig als
Eizellspenderinnen zur Verfügung stellen werden, überzeugt nicht. Die Instrumentalisierung des weiblichen Körpers
als Rohstoff für medizinische Therapien ist nicht akzeptabel.
DÄ: Herr Taupitz, halten Sie den hohen Eizellverbrauch nicht für problematisch?
Taupitz: Doch, natürlich. Wir sagen deshalb, dass die Freiwilligkeit der Frauen sichergestellt sein muss. Aber wie kann
D O K U M E N T A T I O N
man mit dem Argument, das Frau Kollek
vorgestellt hat, noch die Transplantationsmedizin zulassen? Auch bei der Lebendspende werden menschliche Körper
als Ressource in Anspruch genommen.
Kollek: Das sind medizinisch riskante
Eingriffe, und darum sind sie auch in
hohem Maße problematisch. Eine in
großem Umfang erforderliche Lebendspende als Grundlage von Therapien
gegen verbreitete Erkrankungen zu
etablieren ist nicht vertretbar. Offensichtlich traue ich der Forschung viel
mehr zu als Sie. Ich bin sicher, dass man
Alternativmethoden entwickeln wird.
Radtke: Gehen wir davon aus, dass das
therapeutische Klonen möglich wäre.
Es bestünde die Gefahr, dass sich nur
die begüterten Menschen diese Möglichkeiten leisten können.
Taupitz: Das haben wir heute bei den
Transplantationen auch als grundlegendes Problem. Trotzdem kommt niemand auf die Idee zu sagen, wir schaffen
die Lebendnierenspende oder die Lebertransplantation ab, weil die Verfahren teuer sind oder die Möglichkeit der
Unfreiwilligkeit und Bestechlichkeit
besteht.
DÄ: Beim Eizellverbrauch für das
therapeutische Klonen geht es aber um
andere Quantitäten . . .
Taupitz: Es sind Eizellen in unterschiedlichen Entwicklungsstadien vorhanden, die man weiter kultivieren
könnte.
Kollek: Das ist technisch zumindest
derzeit nicht möglich.Aus explantierten
Ovarien können nur wenige reife Eizellen gewonnen werden. Unreife Eizellen
sind nicht in der Lage, die Entwicklung
des frühen Embryos zu unterstützen.
Wenn es tatsächlich einmal möglich
werden sollte, aus explantierten Ovarien eine große Anzahl von reifen vollwertigen Eizellen zu gewinnen, müssen
die Argumente neu abgewogen werden.
Taupitz: Der Unterschied zwischen uns
beiden ist – bezogen auf dieses Thema –
die Skepsis, die bei Ihnen vorherrscht.
Bei mir gilt der Optimismus, das Warten
auf Weiterentwicklungen in der Medizin und die Hoffnung, dass sich dort etwas tut.
Radtke: Das Problem ist doch, dass in
den Medien genau auf diesen Optimismus, der im Augenblick nicht begründet
ist, gebaut wird. Dem Leser, dem Zuschauer wird suggeriert, wir seien kurz
vor dem Erreichen des therapeutischen
Klonens.
DÄ: Sollte der deutsche Gesetzgeber
seine Gesetze ändern beziehungsweise
das Thema Klonen erneut im Deutschen
Bundestag öffentlich diskutieren?
Taupitz: Das Embryonenschutzgesetz
ist nicht so klar, wie immer wieder gedacht wird. Es verbietet zwar das Klonen von Embryonen, aber die Definition des Embryos ist sehr unscharf. Bei
Prof. Dr. iur. Jochen Taupitz, Mannheim, hält
als Vertreter der Position B die Verwendung
von durch Klonen hergestellten Embryonen
im Rahmen der Grundlagenforschung mit
therapeutischer Zielsetzung für prinzipiell
vertretbar.
genauer Lesart erfasst das Embryonenschutzgesetz das Klonen durch die Methode des Zellkerntransfers nicht.
DÄ: Man müsste also auch die Entstehungsvariante durch Kerntransfer
aufnehmen?
Taupitz: Ja, das müsste im Gesetz klargestellt werden. Im Sinne der Position A
mit einem deutlichen Verbot und im
Sinne der Position B durch eine Erlaubnis unter Vorbehalt einer Genehmigung.
Radtke: Die Vertreter von A haben
dem Moratorium nur zugestimmt, weil
wir die Richtung als richtig ansehen.
Wir akzeptieren keine zeitliche Begrenzung dieses Moratoriums. Insofern se-
hen wir keinen Grund, das Embryonenschutzgesetz aufzuweichen.
DÄ: Von der strafrechtlichen Seite des
Embryonenschutzgesetzes sind die Wissenschaftler bereits jetzt betroffen. Einige bezeichnen die jetzige Stellungnahme des Nationalen Ethikrates als
„forschungsfeindlich“. Was sagen Sie
diesen Forschern angesichts der Tatsache, dass kürzlich in Großbritannien
Klonexperimente erlaubt worden sind?
Kollek: Man muss die forschungspolitische und forschungsstrategische Relevanz des Klonens bedenken. Es gibt auf
der ganzen Welt kaum eine Hand voll
Gruppen, die das derzeit tun oder tun
wollen. Es sind noch viele wissenschaftliche Grundsatzfragen offen, die im
Tierversuch oder in der Zellkultur geklärt werden können. Ich sehe kein Forschungshindernis.
Taupitz: Ich finde, es ist aus dem Blickwinkel der Forschungsfreiheit keine akzeptable Antwort zu sagen: „Ihr könnt
über andere Dinge forschen.“ Dann
könnte man auch Geisteswissenschaftlern sagen: „Schreibt über andere Dinge.“ Im Moment ist in Deutschland
noch nicht der Punkt erreicht, wo wir
dem Gesetzgeber empfehlen, das Forschungsklonen freizugeben. Die Zeit ist
politisch noch nicht reif.
Kollek: Sie ist wissenschaftlich noch
nicht reif.
DÄ: Herr Radtke, glauben Sie, dass
die Zeit jemals dafür reif sein kann?
Radtke: Wenn ich Realist bin, würde ich
sagen, die Zeit arbeitet für die Wissenschaftler. Nur das kann unsere Fraktion
nicht davon abhalten, uns dagegenzustellen.Was mir in der ganzen Diskussion ein
wenig fehlt, ist die Frage des Kommerzes.
Wenn von der Freiheit der Forschung gesprochen wird, sollte man durchaus sagen, dass es auch ökonomische Gründe
gibt, bestimmte Dinge zu forcieren.
Taupitz: Das besagt aber gleichzeitig,
dass bestimmte Leute denken, dass sie
später damit Geld verdienen können.
Und dies können sie mit dem Klonen
nur, wenn Therapieansätze in die Praxis
umgesetzt werden. Das ist eigentlich ein
Argument, das alle hoffnungsfroh stimmen sollte.
DÄ-Interview: Dr. med. Eva A. Richter-Kuhlmann, Gisela Klinkhammer, Heinz Stüwe
219
D O K U M E N T A T I O N
Heft 41, 8. Oktober 2004
Heft 44, 29. Oktober 2004
Bundesrat
„Klon-Patent“
Verbot des Klonens
Klage gegen Brüstle
Das Länderparlament nimmt
Stellung zum Stammzellbericht.
Greenpeace und Marburger Bund
fordern den Widerruf des Patents.
D
D
er Bundesrat spricht sich in einer Stellungnahme zum Ersten Stammzellbericht der Bundesregierung gegen jede Form
des Klonens menschlicher Embryonen aus.
Die Bundesregierung wird aufgefordert,
„an dem in Deutschland bestehenden, im
Embryonenschutzgesetz und im Stammzellgesetz verankerten Verbot des reproduktiven und therapeutischen Klonens
festzuhalten“. Außerdem soll sie sich bei
den im Herbst anstehenden Verhandlungen der Vereinten Nationen für ein umfassendes Klonverbot einsetzen.
Kli
ie Umweltschutzorganisation Greenpeace klagt beim Deutschen Patentamt in
München gegen ein Patent des Bonner
Stammzellforschers Prof. Dr. med. Oliver
Brüstle. Das „Klon-Patent“ umfasse die
Nutzung von Zellen aus menschlichen
Embryonen und verstoße damit gegen das
Verbot der kommerziellen Verwertung
des menschlichen Körpers.
Brüstle weist die Vorwürfe zurück. Die
„kampagnenartig betriebene Aktion“ von
Greenpeace stelle den Inhalt seiner seit
Jahren bekannten Patentschrift völlig ver-
zerrt dar. Das Patent beschreibe, wie aus
existierenden embryonalen Stammzelllinien Ersatzzellen für das Gehirn und das
Rückenmark gewonnen werden könnten.
Eine Prüfung des Patents durch das Europäische Patentamt im Mai habe bestätigt, dass sich das Verfahren auf existierende Zelllinien beschränke und keine
Zerstörung von Embryonen einschließe.
Die Klinikärztegewerkschaft Marburger
Bund unterstützt die Klage von Greenpeace. Der Vorsitzende, Dr. med. Frank Ulrich
Montgomery, bezeichnete die Vergabe von
Patenten auf Gene und Zellen als „würdelose Degradierung des Menschen zu Ersatzteillieferanten“ und forderte Brüstle
auf, freiwillig auf sein Patent zu verzichten.
Brüstle hatte als erster deutscher Wissenschaftler die Genehmigung erhalten,
menschliche embryonale Stammzelllinen
zu importieren.
ER
Heft 46, 12. November 2004
Spätabtreibungen
Geteilte Verantwortung
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion fordert Gesetzesnachbesserungen zur Vermeidung von Schwangerschaftsabbrüchen nach der 22. Woche.
D
ie Diskussion über die strafrechtliche Bewertung des Schwangerschaftsabbruchs neu aufrollen will
wohl niemand. Zu mühsam ist der Kompromiss zustande gekommen,der im Jahr
1995 zur Verabschiedung des Schwangeren- und Familienhilfegesetzes führte.
Dennoch geht die Praxis der Spätabtreibungen der Unionsfraktion eindeutig zu
weit. Deswegen hat sie jetzt einen Antrag zur „Vermeidung von Spätabtreibungen – Hilfen für Eltern und Kinder“
eingebracht. Schließlich hatte das Bundesverfassungsgericht vom Gesetzgeber
eine Beobachtungs- und Nachbesserungspflicht gefordert, „wenn sich nach
hinreichender Beobachtungszeit herausstellt, dass das Gesetz das von der Verfassung geforderte Maß an Schutz nicht
zu gewährleisten vermag“.
Die Unionsfraktion hält eine Nachbesserung für erforderlich, weil nach der
220
geltenden Vorschrift Schwangerschaftsabbrüche zeitlich unbegrenzt möglich
sind. „Es muss davon ausgegangen werden, dass es auch in einer späteren oder
gar späten Phase der Schwangerschaft,
in der das ungeborene Kind außerhalb
des Mutterleibes bereits lebensfähig wäre, noch zum Abbruch der Schwangerschaft kommt.“ Ursache für diese
Spätabtreibungen ist die Aufnahme der
so genannten embryopathischen in die
medizinische Indikation. Damit sind, so
die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG), Hürden verschwunden: die Beratungspflicht
samt einer Bedenkzeit danach für die
Mutter sowie die genaue statistische Erfassung der Abbruchgründe. „Vor allem
Der Antrag der CDU/CSU-Fraktion „Vermeidung von
Spätabtreibungen – Hilfen für Eltern und Kinder“ kann
abgerufen werden unter www.aerzteblatt.de/plus4604.
fiel jedoch die Grenze, jenseits derer ein
Abbruch nicht mehr möglich ist – die 22.
Schwangerschaftswoche.“
Nach Angaben des Statistischen
Bundesamtes wurden im letzten Jahr
128 030 Schwangerschaftsabbrüche gemeldet. 2 044 Abtreibungen wurden
zwischen der 13. und 23. Woche vorgenommen. In 217 der gemeldeten Fälle
kam es zu einem Schwangerschaftsabbruch nach der 23. Woche, wobei eine
höhere Dunkelziffer wahrscheinlich ist.
Die CDU/CSU-Fraktion stellt deshalb den Antrag an den Bundestag,
die Bundesregierung aufzufordern,
einen Gesetzentwurf zur wirksamen
Vermeidung von Spätabtreibungen
vorzulegen. Darin müsse klargestellt
werden, dass ei-ne absehbare Behinderung allein kein Grund für einen
Schwangerschaftsabbruch sein dürfe.
„Die pränatale Diagnostik muss mit
einer vorausschauenden, umfassenden
Beratung durch einen fachkundigen
Arzt verbunden sein.“ Außerdem soll
die medizinische Beratung „in angemessener Weise“ um eine psychosoziale
ergänzt werden. Die Krankenkassen
sollten für die pränatale Diagnostik nur
dann die Kosten übernehmen, wenn die
Schwangere sich in der vorgeschriebenen Weise hat beraten lassen.
Ob die Voraussetzungen für eine medizinische Indikation im Zusammen-
D O K U M E N T A T I O N
hang mit einer Behinderung des ungeborenen Kindes vorliegen würden, soll
nach Ansicht der Unionsfraktion ein
„interdisziplinär besetztes Kollegium“
aus Gynäkologen, Pädiatern, Psychologen und Humangenetikern entscheiden. „Durch ein solches Kollegium sollen insbesondere die Ärzte unterstützt
werden, indem die Verantwortung für
die Prognoseentscheidung nicht mehr
allein einem einzelnen Arzt obliegt.“
Die Fraktion fordert außerdem, dass
bei Vorliegen einer medizinischen Indikation vor einem Schwangerschaftsabbruch drei Tage Bedenkzeit einzuhalten
seien, „sofern das Leben der werdenden Mutter nicht akut gefährdet ist“.
Um den Eltern die Entscheidung für
ein behindertes Kind zu erleichtern,
fordert die Unionsfraktion „ein eigenständiges und einheitliches Leistungsgesetz für Behinderte“.
Die DGGG fürchtet „den Haftungsdruck, der nach der aktuellen höchstrichterlichen Rechtsprechung (,Kind
als Schaden‘) steigt“. Ausgehend von
diesen Bedenken, fordert die Unionsfraktion deshalb die Bundesregierung
dazu auf zu prüfen, ob eine ärztliche
Haftung für Unterhaltsleistungen
ebenso wie in Frankreich auf die Fälle
grober Fahrlässigkeit beschränkt werden könne. Andernfalls besteht die
Möglichkeit, wie von der Deutschen
Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe befürchtet, dass im Zweifel
ein Schwangerschaftsabbruch empfohlen werde, da der Arzt „im Falle eines
geschädigten Kindes einen Haftungsprozess fürchten muss“. Das Weigerungsrecht der Ärzte, an einem Schwangerschaftsabbruch mitzuwirken, soll
nach den Vorstellungen der Unionsfraktion nur für die Fälle einer unmittelbaren Lebensgefahr der Schwangeren ausgeschlossen werden.
Gefordert wird schließlich auch eine
statistische Erfassung von Problemfällen, insbesondere zur Sicherstellung der
Meldung aller Spätabtreibungen. Erfasst werden sollen die Art der jeweiligen Behinderung, der Zeitpunkt des
Schwangerschaftsabbruchs sowie die
„Art des Eingriffs und beobachtete
Komplikationen, insbesondere bei potenzieller extrauteriner LebensfähigGisela Klinkhammer
keit des Kindes“.
Heft 46, 12. November 2004
Präsidentschaftswahl in den USA
Bioethische Schranken
A
uch wenn die Mehrheit der Deutschen vom Ausgang der Präsidentschaftswahlen in den USA enttäuscht ist
– zumindest aus dem bioethischen Blickwinkel ist der Wiederwahl von George
W. Bush Positives abzugewinnen. Der
betont religiöse Republikaner hatte sich
während seiner Präsidentschaft massiv
für den Schutz des ungeborenen
menschlichen Lebens ausgesprochen.
Die staatliche Förderung der Stammzellforschung beschränkte er auf embryonale Stammzelllinien, die bereits
vor dem 9. August 2001 hergestellt worden waren.
Sein demokratischer Herausforderer
John Kerry hingegen plädierte während
des Wahlkampfs für die Forschung mit
embryonalen Stammzellen ohne Stich-
tag. Im Falle eines Wahlsiegs wolle er in
großem Stil Fördermittel in diesen Bereich pumpen, hatte Kerry angekündigt.
Unterstützung erhielt der Demokrat
von den Angehörigen des verstorbenen
US-Präsidenten Ronald Reagan und des
Schauspielers Christopher Reeve, aber
auch vom republikanischen Gouverneur
von Kalifornien, Arnold Schwarzenegger. Der würde Kalifornien gern weltweit auf Platz eins der embryonalen
Stammzellforschung sehen. Parallel zur
Präsidentschaftswahl waren die kalifornischen Wähler aufgerufen, über die
„Prop 71“ abzustimmen. Das Resultat:
Mehr als zwei Drittel befürworteten diese Initiative von Wissenschaftlern, Prominenten und Unternehmern, die
Stammzellprojekte jährlich mit 295 Mil-
lionen Dollar über einen Zeitraum von
zehn Jahren unterstützen will. Eine emotional geführte Kampagne hatte die baldige Heilung von Volkskrankheiten in
Aussicht gestellt. Mit Proposition 71
wird erstmals ein US-Bundesstaat beträchtliche Summen in den umstrittenen
Forschungsbereich investieren – und
zwar an Bush vorbei.
Auf Deutschland könnte die Initiative mittelfristig den Druck erhöhen, die
eigene Stichtagsregelung zu überdenken. Zunächst aber wird Bushs erneute
Präsidentschaft die UN-Verhandlungen
zum internationalen Klonverbot beeinflussen. Sie wa-ren während des Wahlkampfes ins Stocken geraten. Nun ist
klar, dass sich die USA erneut hinter
ein generelles Klonverbot stellen werden. Für die Bundesregierung sollte
dies ein zusätzliches Argument sein, für
ein weltweites Verbot des reproduktiven und therapeutischen Klonens zu
stimmen. Dr. med. Eva A. Richter-Kuhlmann
221
D O K U M E N T A T I O N
Heft 48, 26. November 2004
Klonverbot
Kompromiss angestrebt
Ein komplettes Klonverbot bleibt auf
UN-Ebene nicht durchsetzbar.
N
ach längeren Verhandlungen zum internationalen Klonverbot zeichnet sich
bei den Vereinten Nationen ein Kompromiss ab.Am 19. November einigten sich die
Vertreter des UN-Rechtsausschusses in
New York darauf, eine gemeinsame, aller-
dings völkerrechtlich nicht bindende Deklaration zu verabschieden. Über den genauen Wortlaut der Erklärung wird in den
nächsten Wochen beraten. Belgien schlägt
vor, das Klonen von Menschen oder
menschlichen Lebewesen (human being)
zu verbieten. Italien besteht dagegen, in
der Annahme, dass menschliches Leben
bereits mit der Verschmelzung von Ei- und
Samenzelle beginnt, auf der Formulierung
„menschliches Leben“ (human life).
Strittig bleibt weiterhin auf UN-Ebene,
ob nur das reproduktive Klonen oder
auch das therapeutische beziehungsweise
das „Forschungsklonen“ verboten werden soll. Bisher stand einer Initiative von
Belgien ein Antrag von Costa Rica gegenüber, der ein komplettes Klonverbot
vorsah. Unterzeichnet wurde er von den
USA, Italien und rund 60 weiteren Staaten. Die ursprüngliche belgische Initiative, unterstützt von 25 Ländern wie Großbritannien, China und Singapur, wollte
das reproduktive Klonen verbieten, beim
„Forschungs-Klonen“ aber nationale Regelungen zulassen.
ER
die unter anderem auch die Einführung
eines Stichtages vorsahen, scheiterten.
Im laufenden 6. Forschungsrahmenprogramm der EU ist deshalb nicht geregelt,
welche Form von Stammzellforschung
unterstützt werden soll. Lediglich die
Herstellung von Embryonen zu Forschungszwecken ist bis 2006 verboten.
Damit besteht die Gefahr, dass Vorhaben
gefördert werden, die in Deutschland bei
Strafe verboten sind.
Auch nach der EU-Erweiterung hat
sich die Machtkonstellation zwischen
EU-Kommission und den EU-Mitgliedstaaten wenig geändert. Einer aktuellen
Studie der Kommission zufolge verfügen
weder Befürworter noch Gegner der
Stammzellnutzung über die erforderliche Mehrheit im Rat der Europäischen
Union. Beide Seiten können jedoch mit
einer Sperrminorität das andere Lager
blockieren. Das Patt würde erneut zu
Rechtsunsicherheit führen. Denn der
vom neuen Forschungskommissar Janez
Potocnik abgelöste Philippe Busquin
hatte angekündigt, die Gewinnung neuer Stammzelllinien erst zu fördern, wenn
sich der Rat geeinigt habe.
Auch in Deutschland bleiben die Ansichten über die Förderung der Stammzellforschung unterschiedlich. „Es darf
keine Blockadeversuche europäischer
Stammzellforschung durch deutsche
Sonderregelungen geben“, sagt Ulrike
Flach, FDP. Regierungskoalition und
die Union setzen sich dagegen für den
(vorläufigen) Erhalt der Stichtagsregelung und ihre Erweiterung auf Europa
ein. Dies ist nachzuvollziehen. In der Tat
sollten Projekte, die den ethischen
Grundwerten vieler Mitgliedstaaten widersprechen, nicht durch deren Beiträge zur EU-Forschung finanziert werden.
Dr. med. Eva A. Richter-Kuhlmann
Heft 49, 3. Dezember 2004
Stammzellforschung
Patt in Europa
D
ie Europäische Kommission beabsichtigt nicht, bei der Forschungsfinanzierung eine Stichtagsregelung für
die Forschung mit humanen embryonalen Stammzellen einzuführen. Dies ließ
Richard Escritt, Forschungsdirektor innerhalb der EU-Kommission, jüngst bei
einer Befragung durch den Forschungsausschuss des Deutschen Bundestages
verlauten. Damit steht fest: Die Debatte
um die Finanzierung der Embryonenforschung aus dem europäischen Haushalt wird bei der jetzt anstehenden Planung des 7. Forschungsrahmenprogramms eine Neuauflage erhalten.
Gestritten wird um diese Frage bereits
seit Jahren. Mehrere Konsensgespräche,
Heft 51–52, 20. Dezember 2004
Embryonale Stammzellforschung
Trügerische Ruhe
Änderungen des Stammzellgesetzes wird es vorerst
nicht geben. Doch unter der Oberfläche brodelt es.
E
s sollte Ruhe herrschen. Doch kurz
vor dem Weihnachtsfest ist die Debatte um die embryonale Stammzellforschung wieder entfacht. Anfang
Dezember setzte die FDP bei einer von
ihr beantragten Aktuellen Stunde im
222
Bundestag erneut zu einem Vorstoß an.
Sie forderte die Abschaffung der Stichtagsregelung für den Import von
menschlichen embryonalen Stammzelllinien und eine Änderung des Embryonenschutzgesetzes. Anlass war eine
Volksabstimmung in der Schweiz. Zwei
Drittel der Wähler sprachen sich
dort dafür aus, embryonale Stammzellen aus so genannten überzähligen
Embryonen zu gewinnen und für die
Forschung zu nutzen. Überall in der
Welt würden die Chancen der embryonalen Stammzellforschung offensiv aufgegriffen, beklagte Ulrike Flach (FDP).
Nur Deutschland isoliere sich durch die
Fundamentalposition von Rot-Grün
und Teilen der Union immer mehr.
Bei der Mehrheit der Bundestagsabgeordneten stößt die FDP mit solchen
Argumenten auf wenig Gegenliebe.
Dies wurde in der Debatte deutlich.Anders dürfte es indessen beim Kanzler
D O K U M E N T A T I O N
und bei zumindest drei seiner Bundesminister aussehen. Das weiß Flach.
„Wer regiert denn eigentlich in diesem
Lande?“ fragte sie provokativ. Doch
Wirtschaftsminister Wolfgang Clement,
Forschungsministerin Edelgard Bulmahn und Justizministerin Brigitte Zypries schweigen eisern. In der Vergangenheit hatten sie wiederholt öffentlich
für eine Lockerung der gesetzlichen Bestimmungen geworben. Nicht aber in
den letzten Wochen. Zuletzt hatte Clement bei der Haushaltsdebatte im September die „Bremsen bei Forschung
und Entwicklung“ kritisiert.
Auffällig ist besonders die Zurückhaltung von Bulmahn. Lediglich ihr
parlamentarischer Staatssekretär wagte
sich vor: „Wenn reale Perspektiven für
die klinische Anwendung der embryonalen Stammzellforschung bestehen,
muss das Gesetz neu verhandelt werden“, sagte Wolf-Michael Catenhusen
bei einer Tagung der Deutschen Gesellschaft für Regenerative Medizin Ende
November in Berlin. „Gesetzliche Rahmenbedingungen sind nur Kompromisse auf Zeit.“ In dieser Legislaturperiode sei eine Gesetzesänderung jedoch
nicht zu erwarten.
Offenbar gilt in Kanzleramt und Ministerien die Zeit dafür als noch nicht
reif. Vor allem nicht jetzt, da nach der
Wiederwahl von George W. Bush auch
die USA weiterhin einen restriktiven
Weg verfolgen werden. In Europa wird
das Thema Stammzellforschung derzeit
ebenfalls verhalten diskutiert. Janez Potocnik, der neue EU-Forschungskommissar, steht der Stammzellforschung
zurückhaltender als sein Vorgänger
Philippe Busquin gegenüber und will
zunächst „alle Meinungen in Betracht
ziehen“, ehe er Projekte, bei denen embryonale Stammzellen verwendet werden, mit EU-Geldern fördert.
Auf ruhige Gemüter scheint auch
die Bundesregierung zu setzen. „Eine
Polarisierung der Debatte muss vermieden werden“, betonte Catenhusen. Man
müsse Rücksicht auf die deutsche Kultur nehmen. Politische Entscheidungen
seien sonst nicht haltbar. Lägen neue
Forschungsergebnisse vor, müsse man
einen Weg finden, den die Gesellschaft
mitgehen kann.
Bis dahin werden die Wissenschaftler
zumindest finanziell von staatlicher Sei-
te unterstützt. 36 Millionen Euro stellt
das Bundesforschungsministerium derzeit für Projekte auf dem gesamten Gebiet der Regenerativen Medizin zur
Verfügung. Gleichzeitig arbeitet Buhlmahn an einer Forschungsstrategie für
die Regenerative Medizin. Sie soll im
Frühjahr 2005 veröffentlicht werden.
Als Grundlage könnte dafür das Positionspapier der Deutschen Gesellschaft
für Regenerative Medizin dienen, das
auf der Tagung vorgestellt wurde. Kliniker, Naturwissenschaftler und Ingenieure aus den großen Forschungsorganisationen Deutschlands fordern darin eine Vernetzung der Forschungsbereiche,
die Orientierung auf die klinische Anwendung, eine verstärkte Aufklärung
der Öffentlichkeit sowie die Überwindung von Entwicklungshemmnissen.
Welchen Weg die Stammzellforschung in Deutschland einschlagen sollte, ist auch unter Wissenschaftlern umstritten. Während einige Grundlagenforscher embryonale Zellen favorisieren, setzt beispielsweise der Kardiologe
Prof. Dr. Bodo-Eckehard Strauer, Universität Düsseldorf, auf adulte Stammzellen. Zur Myokardregeneration nach
Herzinfarkt injizierte er Patienten intrakoronar humane autologe Stammzellen. „Der Funktionsdefekt halbierte
sich“, berichtete Strauer Ende Oktober
Bundestagsabgeordneten. Als Ursache
nimmt er dafür eine direkte Zell-Transdifferenzierung, eine zytokinvermittelte sowie endogene Stimulation der
Myokardregeneration an.
Prof. Dr. med. Jürgen Hescheler,
Universität Köln, und Dr. med. Wolfgang M. Franz, Universität München,
bezweifeln Strauers Ergebnisse. „Es ist
strittig, ob sich aus adulten Knochenmarkszellen tatsächlich Herzmuskelzellen entwickeln“, sagte Franz. Auch
Hescheler betonte, dass sein Team keine Transdifferenzierungsprozesse bei
adulten Zellen nachweisen konnte.
Stattdessen präsentierte der Neurophysiologe zuckende Herzmuskelzellen,
die er aus embryonalen Stammzellen
gezüchtet hatte. Für die Zukunft hofft
Hescheler, embryonale Stammzellen
gewinnen zu können, ohne die Blastozyste zu zerstören – ein entsprechendes
Projekt sei jedoch bisher nicht genehmigt worden. „Die Gesellschaft sollte
besser informiert werden und sich hin-
ter die Wissenschaft stellen, die, wenn
sie nicht weiter blockiert wird, konkrete
Ergebnisse zur Therapie schwerwiegender Krankheiten liefern kann“, forderte
der Wissenschaftler.
Das sehen viele Politiker, Bürger und
auch Forscher anders. Von einer Blokkade könne im derzeitigen Stadium der
Forschung keine Rede sein, meinen sie.
„Es bedarf keiner Gesetzesänderung.
Wir werden an dem Grundsatz festhalten: Grundlagenforschung ja, aber kein
Verbrauch von Embryonen für die Forschung in Deutschland“, brachte es Dr.
Maria Böhmer (CDU/CSU) in der Aktuellen Stunde nochmals auf den Punkt.
Nach dem 2002 beschlossenen deutschen Stammzellgesetz dürfen nur embryonale Stammzelllinien zu Forschungszwecken verwendet werden, die bereits
vor dem 1. Januar 2002 existierten. Der
Bundestag hatte sich auf diesen Kompromiss geeinigt, um zu verhindern,
dass Embryonen eigens für die Forschung getötet werden. Auch die als
eher liberal geltende SPD-Forschungsexpertin Dr. Carola Reimann stimmte
zu. Sie wolle keine „permanente Lieferbeziehung zwischen Fortpflanzungsmedizin und Forschung“.
Eine solche wäre aber in der Tat die
Konsequenz einer embryonenverbrauchenden Forschung beziehungsweise
Medizin. Die Reproduktionsmedizin
unterliegt in Deutschland strengen Regelungen. Unbegrenzte Lager mit
„überzähligen Embryonen“ gibt es
hierzulande nicht. Dazu müsste schon
das Embryonenschutzgesetz geändert
Dr. med. Eva A. Richter-Kuhlmann
werden.
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