4., erweiterte Auflage der Dokumentation PID, PND, Forschung an Embryonen Aufsätze Berichte Diskussionsbeiträge Kommentare im Deutschen Ärzteblatt Beiträge aus 2004 www.aerzteblatt.de/dossiers/embryonenforschung V O R W O R T Dossier zur Embryonenforschung PID, PND, Forschung an Embryonen Das Deutsche Ärzteblatt gibt eine erweiterte Dokumentation heraus, die im Internet abgerufen werden kann. A ls das Deutsche Ärzteblatt im Jahr 2002 seine erweiterte Dokumentation zu embryonaler Stammzellforschung, pränataler Diagnostik (PND) und Präimplantationsdiagnostik (PID) vorlegte, war die Diskussion über diese Themen in vollem Gange. Ein Ende ist nach wie vor nicht in Sicht. Ausgelöst wurde der öffentliche Diskurs durch den vom Vorstand der Bundesärztekammer vorgelegten „Diskussionsentwurf zu einer Richtlinie zur Präimplantationsdiagnostik“ im März 2000. Von Anfang an hat sich das Deutsche Ärzteblatt an der Debatte beteiligt und die unterschiedlichsten Stimmen zu Wort kommen lassen. In einem Sonderdruck aus dem Jahr 2001 wurden diese Beiträge, beginnend mit dem Diskussionsentwurf, zusammengefasst. Unmerklich verlagerte sich der Schwerpunkt dann von der Diskussion über die Präimplantationsdiagnostik zur Forschung an und mit Embryonen und zur Gewinnung von Stammzellen. Die Ein Ende der Diskussion Meinungsbildung in der Ärzüber Präimplantations- teschaft spiegelt sich in der diagnostik und Embryonen- Berichterstattung und Komforschung ist nicht in Sicht. mentierung des Deutschen Ärzteblattes wider, wie die ein Jahr später publizierte Materialsammlung beweist. Auch dieser Sonderdruck war – ebenso wie die erste Auflage – schnell vergriffen. Inzwischen sind im Deutschen Ärzteblatt zahlreiche weitere Beiträge zu der Thematik erschienen. Darin wird deutlich, dass nach wie vor großer Diskussionsbedarf besteht. So berichtete das DÄ beispielsweise über die Beschlusslage zur internationalen Klonkonvention. Bisher gibt es noch keine Einigung. Es geht immer noch um die Frage, ob nur das reproduktive Klonen oder auch das therapeutische Klonen weltweit geächtet werden sollen. Im Jahr 2004 behauptete der südkoreanische Wissenschaftler Woo Suk Hwang, die ersten menschlichen Embryonen geklont zu haben. Inzwischen stellte sich allerdings heraus, dass nahezu sämtliche dieser als bahnbrechend geltenden Forschungsergebnisse gefälscht sind. Es gebe keine Daten, die das Klonen menschlicher Em- bryonen und Stammzellen durch Hwang belegten, teilte die Untersuchungskommission der Universität in ihrem Abschlussbericht mit. Kritiker forderten ein internationales Klonverbot. Die Haltung Deutschlands in dieser Frage ist uneinheitlich. Eine mögliche Novellierung des Stammzellgesetzes ist allerdings vorerst vom Tisch. Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU) kündigte an, den Embryonenschutz nicht zugunsten der Forschung aufweichen zu wollen. Im Koalitionsvertrag heißt es, dass der Förderung adulter Stammzel- Die Meinungsbildung in der len auch weiterhin eine be- Ärzteschaft spiegelt sich in sondere Rolle beigemessen der Berichterstattung und Kommentierung des Deutwerden soll. Im Bereich der pränatalen schen Ärzteblattes wider. Diagnostik besteht ebenfalls weiterhin Klärungsbedarf. So werden zunehmend Forderungen erhoben, die Abtreibungsregelung zu ändern, da durch den Wegfall der embryopathischen Indikation Spätabtreibungen bis zur Geburt möglich geworden sind. „Wir werden prüfen, ob und gegebenenfalls wie die Situation bei Spätabtreibungen verbessert werden kann“, heißt es im Koalitionsvertrag. Die Regierung folgt damit einem Auftrag des Bundesverfassungsgerichts, das dem Gesetzgeber eine Nachbesserungspflicht der Gesetze zum Schwangerschaftsabbruch auferlegt hatte. Die Beiträge der DÄ-Redakteurinnen und -Redakteure zu diesen Themen sowie Aufsätze und Kommentare von Ärzten, Wissenschaftlern und Theologen mit teilweise konträren Ansichten sind in dieser erweiterten Dokumentation veröffentlicht. Sie ist inzwischen so umfangreich geworden, dass eine Publikation als Sonderdruck den Rahmen sprengen würde, sodass sich die Redaktion entschlossen hat, sie online zu veröffentlichen. Zusätzlich können auch der Diskussionsentwurf zu einer Richtlinie zur Präimplantationsdiagnostik, wichtige Gesetze, wie das Embryonenschutzgesetz und das Stammzellgesetz, Positionspapiere und Stellungnahmen sowie die Entschließungen der Deutschen Ärztetage zu dieser Gisela Klinkhammer Thematik abgerufen werden. 197 D O K U M E N T A T I O N Vorwort zur 1. Auflage Beiträge zum Diskurs Als der Vorstand der Bundesärztekammer den „Diskussionsentwurf zu einer Richtlinie zur Präimplantationsdiagnostik“ vorlegte, rief er zugleich zu einem öffentlichen Diskurs auf. Der läuft seit nunmehr rund eineinhalb Jahren und hat einen kaum noch fassbaren Niederschlag in der Presse gefunden. Inzwischen bringen auch Funk und Fernsehen fast täglich Diskussionen nicht mehr nur zur Präimplantationsdiagnostik (PID), sondern auch zur Embryonenforschung. Das Deutsche Ärzteblatt hat sich von Anfang an an dem Diskurs beteiligt und die unterschiedlichsten Stimmen zu Wort kommen lassen. In diesem Sonderdruck sind diese Beiträge, beginnend mit dem Diskussionsentwurf, zusammengefasst. Die Redaktion hat sich sehr um Vollständigkeit bemüht, gleichwohl kann nicht ausgeschlossen werden, dass vielleicht ein Leserbrief oder eine kleinere Notiz fehlen. Die Diskussion ist im Übrigen keineswegs abgeschlossen. Weitere Beiträge für spätere Hefte des Deutschen Ärzteblattes sind in Satz – Stoff genug für eine allfällige erweiterte Auflage des Sonderdrucks. Der Dokumentation der im Deutschen Ärzteblatt erschienenen Beiträge sind vorangestellt ein Interview mit dem Präsidenten der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages, geführt im Vorfeld des in diesen Tagen beginnenden 104. Deutschen Ärztetages, sowie der Bericht über die einschlägige Diskussion beim vorangegangenen 103. Deutschen Ärztetag. Im Grunde genommen müsste eine vollständige Dokumentation über die Auffassungen der Ärzteschaft in der mit Präimplantationsdiagnostik zusammenhängenden Thematik weitaus früher beginnen, zumindest mit dem 88. Deutschen Ärztetag, der 1985 in Lübeck-Travemünde seine Haltung zur In-vitro-Fertilisation (IVF) formulierte. Bereits damals wurden die daraus entstehenden Probleme der Embryonenforschung klar erkannt, der Umgang mit den so genannten überzähligen Embryonen diskutiert. Der Ärztetag sprach sich schließlich mit großer Mehrheit zugunsten von IVF aus. Zur Embryonenforschung stellte er fest: „Experimente mit Embryonen sind grundsätzlich abzulehnen, soweit sie nicht der Verbesserung der Methode oder dem Wohle des Kindes dienen.“ Diese Formulierung war ein wenig strenger als die Vorstandsvorlage, entsprach aber noch einer zugleich vorgelegten Richtlinie des Wissenschaftlichen Beirates der Bundesärztekammer zur IVF (veröffentlicht in Heft 22/1985), die der Ärztetag pauschal „begrüßte“. In einer weiteren Richtlinie äußerte sich der Wissenschaftliche Beirat später, ohne Zutun des Ärztetages, zur Forschung an frühen menschlichen Embryonen (veröffentlicht in Heft 50/1985). Danach dürfen menschliche Embryonen „grundsätzlich“ nicht mit dem Ziel der Verwendung zu Forschungszwecken erzeugt werden. Mit der Formel „grundsätzlich“ wurden Impressum Chefredakteur: Chefs vom Dienst: Redaktion: Technische Redaktion: Schlussredaktion: Verlag: 198 erhebliche Spannungen innerhalb des Beirates zu dieser Frage überdeckt. Die Richtlinien sprechen sich hingegen eindeutig für Untersuchungen, die der Verbesserung der Lebensbedingungen des jeweiligen Embryos und gleichzeitig dem wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn dienen, aus, sofern Nutzen und Risiken miteinander sorgfältig abgewogen werden. Der 91. Deutsche Ärztetag beschloss 1988 in Frankfurt eine Änderung der (Muster-)Berufsordnung. Die Delegierten entschieden sich für einen Mittelweg: Die Erzeugung von Embryonen für Forschungszwecke wurde untersagt und dem ein weiterer Satz hinzugefügt: „Grundsätzlich verboten ist auch die Forschung an menschlichen Embryonen.“ Bei Einhaltung strikter Kriterien wurden allerdings Forschungen für zulässig gehalten, sofern sie der Deklaration von Helsinki entsprechen. Machen wir einen Sprung zum 100. Deutschen Ärztetag 1997 in Eisenach. Die damals neu strukturierte, bis heute geltende (Muster-)Berufsordnung verbietet gleichfalls die Erzeugung von menschlichen Embryonen zu Forschungszwecken.Verboten sind ferner diagnostische Maßnahmen an Embryonen, „es sei denn, es handelt sich um Maßnahmen zum Ausschluss schwerwiegender geschlechtsgebundener Erkrankungen im Sinne § 3 Embryonenschutzgesetz“. Und das gehört der Vollständigkeit halber dazu: Seit 1991 gilt das Embryonenschutzgesetz mit seinen strengen Regeln – strengeren als sie 1985 von der ärztlichen Selbstverwaltung und ihren wissenschaftlichen Beratern formuliert worden waren. Norbert Jachertz Dokumentation „PID, PND, Forschung an Embryonen“ Heinz Stüwe, Köln (verantwortlich für den Gesamtinhalt im Sinne der gesetzlichen Bestimmungen) Gisela Klinkhammer, Herbert Moll Norbert Jachertz, Gisela Klinkhammer, Michael Schmedt (Internet) Jörg Kremers, Michael Peters Helmut Werner, Inge Rizk Deutscher Ärzte-Verlag GmbH, Köln I N H A L T Dokumentation in chronologischer Reihenfolge Vorwort zur 4. Auflage: PID, PND, Forschung an Embryonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 Vorwort zur 1. Auflage: Beiträge zum Diskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 Beiträge aus dem Jahr 2004 Überzählige Embryonen: Respekt, aber kein Lebensschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 Wartburgtagung: Vom Umgang mit der Menschenwürde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 Gisela Klinkhammer Stammzellbericht: Trügerische Ruhe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 Dr. med. Eva A. Richter-Kuhlmann Präimplantationsdiagnostik: Auf dem Weg zum Routineangebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 Gisela Klinkhammer Prof. Dr. theol. Richard Schröder Therapeutisches Klonen: Rat gespalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 Präimplantationsdiagnostik: Möglichkeit zur Erfüllung des Kinderwunsches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 Lexikon: PID . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 Prof. Dr. med. Gerd Richter Nationaler Ethikrat: Quadratur des Kreises . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 Präimplantationsdiagnostik: Keine unkritische Ausweitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 Dr. med. Eva A. Richter-Kuhlmann Gisela Klinkhammer Forschungsklonen: „Die Zeit arbeitet für die Wissenschaftler“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 Klonexperiment: Wider die Natur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 DÄ-Interview mit Prof. Dr. rer. nat. Regine Kollek, Dr. phil. Peter Radtke Prof. Dr. iur. Jochen Taupitz Dr. med. Eva A. Richter-Kuhlmann Klonen/Stammzellen I: Forschung an den Grenzen . . . . . . . . . . . . . 206 Dr. med. Eva A. Richter-Kuhlmann „Die Wissenschaft ist in der Bringschuld“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 Dr. med. Vera Zylka-Menhorn Prof. Dr. med. Detlev Ganten: „Das ganze System erforschen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 Bundesrat: Verbot des Klonens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 „Klon-Patent“: Klage gegen Brüstle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 Spätabtreibungen: Geteilte Verantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 Gisela Klinkhammer DÄ-Fragen: Dr. med. Eva A. Richter-Kuhlmann Präsidentschaftswahl in den USA: Bioethische Schranken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 Klonen/Stammzellen II: Politische Trendwende (vorerst) nicht in Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 Klonverbot: Kompromiss angestrebt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 Dr. med. Eva A. Richter-Kuhlmann Gisela Klinkhammer Stammzellforschung: Patt in Europa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 Reproduktionsmedizin: Wenig konkretes Wissen . . . . . . . . . . . . . . . 211 Dr. med. Eva A. Richter-Kuhlmann Johannes Rau: Verfechter der Menschenwürde . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 Embryonale Stammzellforschung: Trügerische Ruhe . . . . . . . . . . 222 Dr. med. Eva A. Richter-Kuhlmann Dr. med. Eva A. Richter-Kuhlmann 199 D O K U M E N T A T I O N Heft 4, 23. Januar 2004 KOMMENTAR N achdem es gelungen ist, aus embryonalen Stammzellen von Mäusen Eizellen zu erzeugen, hat Hans-Werner Denker gefordert: „Die Fragen nach dem Status von embryonalen Stammzellen sollten gezielt experimentell untersucht werden“, damit wir „nicht in weiteren Bereichen als bisher Dinge tun, deren ethische Implikationen die Gesellschaft überfordern“. Er fragt: „Sind sie etwas prinzipiell anderes als gigantisch expandierte Embryoblasten?“ Dies lässt sich auch ohne weitere Experimente verneinen. Ein Embryoblast besteht aus mindestens räumlich differenzierten Zellen und bildet zusammen mit dem Trophoblasten eine Einheit, die Blastozyste.Wenn sie sich einnistet, kann es mit ihr vorwärts gehen bis zur Geburt. Wenn aus Stammzellen Eizellen erzeugt werden, ist das dagegen der Rückwärtsgang. Wenn es gelänge, solche Eizellen zu einer parthenogenetischen Entwicklung bis zur Geburt zu veranlassen, müsste entschieden werden, ob dieses Fortpflanzungsverfahren, das dem reproduktiven Klonen ähnelt, bei Menschen erlaubt sein sollen. Der Erfolg solcher Experimente würde nicht den Status der Stammzellen verändern, sondern die Manipulationsmöglichkeiten erweitern. Dass man nicht alles tun darf, was man tun kann, gilt aber schon immer. Jedes Küchenmesser ist ein potenzielles Mordwerkzeug. Wenn es gelänge, adulte Zellen, etwa Hautzellen, zu Eizellen zu reprogrammieren, würde dies auch nicht ihren Status aufwerten, obwohl man dann jede Hautzelle als potenzielle Eizelle bezeichnen könnte. Die „Kammer für Öffentliche Verantwortung der Evangelischen Kirche in Deutschland“ hat unter dem Motto „Im Geist der Liebe mit dem Leben umgehen“ eine Argumentationshilfe für aktuelle medizin- und bioethische Fragen vorgelegt. Die Kammer war sich zwar in wichtigen Punkten nicht einig, sie hat aber diesen Dissens auf der Grundlage eines Konsenses zur Darstellung gebracht und damit transparent gemacht. „In biologischer Perspektive lässt sich feststellen, ob bestimmte Zellen oder Organismen der Spezies ‚Mensch‘ beziehungsweise ‚Homo sapiens (sapiens)‘ angehören“, nicht aber, „was mit dem Ausdruck ,Mensch als Person‘ gemeint ist. Diese Kennzeichnung erschließt sich erst in der darüber hinaus gehenden Perspektive personaler Kommunikation.“ Es ist der Unterschied zwischen verfügbaren Sachen und unverfügbaren Personen, um den es hier geht. „Person ist jemand nur in Beziehung – grundlegend zu Gott, Überzählige Embryonen einzelnen Menschen und als Teil der Menschheit“. Die These von der „Heiligkeit des Lebens“ wird jedoch nicht vertreten. Sie ist unterbestimmt, weil im biologischen Sinne auch Samen-, Eiund sogar Krebszellen lebendig sind. Ist bereits der menschliche Embryo in diesem Sinne ein Mensch? Die Stellungnahme antwortet: Er ist ein sich (zur Geburt hin) entwickelnder Mensch. Nun aber teilen sich die Argumentationen. Die eine Seite versteht jeden Embryo von der Keimzellenverschmelzung an als einen sich entwickelnden Menschen. Dann steht er unabhängig von seinen tatsächlichen Entwicklungsmöglichkeiten unter uneingeschränktem Schutz. Es verbietet sich jede Güterabwägung für fremdnützige Zwecke, also der Verbrauch überzähliger Embryonen aus der künstlichen Befruchtung für Forschungszwecke ebenso wie die Präimplantationsdiagnostik. Diese Seite spricht sich für die Adoption überzähliger Embryonen aus. Embryonen, die nicht transferiert werden können, müssen dann vernichtet werden. Die andere Seite sagt: Von einem sich entwickelnden Menschen kann nur dann gesprochen werden, wenn die äußeren Umstände der Entwicklung bis zur Geburt auch vorliegen. Man kann das auf die Formel bringen: Jeder war einmal eine befruchtete Eizelle, und deshalb verdient jede Respekt, aber nicht jede befruchtete Eizelle wird ein Mensch. 70 Prozent gehen auf natürlichem Wege verloren. Trotzdem sagen wir nicht: 70 Prozent aller Menschen werden nie geboren. Überzählige Embryonen, die keine Mutter finden können, sind dann ebenfalls nicht als sich entwickelnde Menschen zu betrachten. Sie verdienen dennoch Respekt, nicht aber unbedingten Lebensschutz. Eine Güterabwägung ist zulässig und verbrauchende Forschung mit therapeutischen Zielstellungen vertretbar. Prof. Dr. theol. Richard Schröder Respekt, aber kein Lebensschutz 200 infolgedessen auch zu seinen Mitmenschen und zu sich selbst.“ In der objektivierenden Perspektive eines neutralen Beobachters oder Experimentators zeigen sich nur Dinge, Eigenschaften und Gesetzmäßigkeiten. Personalität und Menschenwürde zeigen sich dagegen nur in der intersubjektiven Perspektive der Anerkennung.Wir sprechen sie unseresgleichen zu – und verletzen auch unsere eigene Menschenwürde, wenn wir dies verweigern. Wer dennoch Personsein und Menschenwürde in bestimmten Eigenschaften wie Bewusstsein oder Interessen-Haben begründet sieht, gelangt zu Konsequenzen, die unserer moralischen Intention heftig widersprechen. Dann wären Bewusstlose keine Personen. Und wie steht es dann mit Neugeborenen? Einig ist sich die Kammer darin, dass die Menschenwürde und der Lebensschutz bis in die ersten Anfänge des Menschseins zurückreichen. Das Leben ist schutzwürdig „als Leben eines D O K U M E N T A T I O N Heft 12, 19. März 2004 Embryonen Zu dem Kommentar „Überzählige Embryonen: Respekt, aber kein Lebensschutz“ von Prof. Dr. theol. Richard Schröder in Heft 4/2003: Bloße Darstellung der verschiedenen Positionen Es ist Professor Schröder zu danken, dass er mit seinem Kommentar das Papier der Kammer für Öffentliche Verantwortung der Evangelischen Kirche in Deutschland vorstellt. Leider ist ihm als Mitautor dieses Papiers offenbar verwehrt, über eine bloße Darstellung der verschiedenen Positionen in dieser Kammer hinauszugehen. So bleibt schleierhaft, warum die Darstellung der einen Position, dass jeder Embryo von der Verschmelzung der Keimzellen an als Mensch anzusehen ist, mit dem Schluss versehen wird, dass Embryonen, die im Rahmen der IVF nicht transferiert werden können, vernichtet werden müssen. Die praktische Konsequenz müsste doch viel mehr die Forderung nach einer Reduzierung der Embryonenproduktion sein. In der ethischen Diskussion müsste neben den aktuellen Entwicklungen auch die alltägliche Praxis der IVF hinterfragt werden, zumal mit ihren Randerscheinungen, wie gehäuften Mehrlings- und damit Problemschwangerschaften sowie der Fetusreduktion. Die andere Position spricht nur dann von (sich entwickelnden) Menschen im Bezug auf Embryonen, wenn die äußeren Umstände, nämlich zur Weiterentwicklung bis zur Geburt, stimmen oder, wie im Kommentar auch formuliert wird, wenn der Embryo eine Mutter findet. Lebensschutz und recht werden hier mit dem Aufenthaltsort (verkürzt: in utero ja – in vitro nein) verknüpft – hier würde mich der Kommentar eines Juristen interessieren! Noch brisanter: die Abhängigkeit des Lebensrechts von der Annahme durch einen anderen, hier der Mutter. Wenn bisher die Menschenwürde die Annahme des anderen als Mitmensch geboten hat, verleiht jetzt die mitmenschliche Annahme erst die Menschenwürde! Nicht unbedingten Lebensschutz verdienten diese unangenommenen Embryonen, dennoch aber Respekt. Was aber ist Respekt auf Zeit wert, der jederzeit mit dem Leben entzogen werden kann? Diese Position birgt Gefahren in sich: Wie ergeht es dann Menschen, die nicht (mehr) einwilligungsfähig sind, deren (geistige) Entwicklung mehr oder minder im Abbau ist und die durch Angehörige und Gesellschaft keine Annahme mehr erfahren? Kommt dann der Senizid? Die aktuelle Gesetzgebung im nahen europäischen Ausland lässt Schlimmstes befürchten. Dr. med. G. Haasis, Senator-Theil-Straße 4, 28279 Bremen Man darf nicht alles tun, was man tun kann Die „Kammer für Öffentliche Verantwortung der Evangelischen Kirche in Deutschland“ bekennt sich einheitlich zu der Tatsache, dass der menschliche Embryo ein sich zur Geburt hin entwickelnder Mensch ist. Dann aber spaltet sich die Kammer in zwei Lager. Während die eine Seite dem Embryo ab der Befruchtung deshalb unbedingten Lebensschutz zubilligt, d. h. den Verbrauch überzähliger Embryonen aus der künstlichen Befruchtung für Forschungszwecke ebenso wie die PID ablehnt, ist die andere Seite der Ansicht, dass überzählige Embryonen zwar Respekt verdienen, aber keinen unbedingten Lebensschutz; eine Güterabwägung sei zulässig und verbrauchende Forschung mit therapeutischen Zielstellungen vertretbar. Begründet wird diese Haltung damit, dass man von einem sich entwickelnden Menschen nur dann sprechen könne, wenn die äußeren Umstände der Entwicklung bis zur Geburt auch vorliegen, das heißt zum Beispiel, dass diese bei den 70 % der befruchteten Eizellen, die auf natürlichem Wege abgehen, und auch bei überzähligen Embryonen, die „keine Mutter finden können“, nicht gegeben und sie damit keine sich entwickelnden Menschen sind. Hier liegt doch ein gravierender Denkfehler vor. Nachdem sich die Kammer zuvor darin einig war, dass die Menschenwürde und der Lebensschutz bis in die ersten Anfänge des Menschseins zurückreichen, frage ich mich, zu welchem Zeitpunkt sie dann bei den ange- sprochenen Spontanaborten die Grenze ziehen will zwischen „bloßem“ Respekt und unbedingtem Lebensschutz. Und was die überzähligen Embryonen betrifft, so ist es das „Verschulden“ des Menschen, d. h. des Arztes, dass diese Embryonen „keine Mutter finden können“, um sich zu einem Menschen zu entwik-keln. Diese Embryonen verdienen nicht nur Respekt, sondern unbedingten Lebensschutz, eine Güterabwägung ist nicht zulässig und verbrauchende Forschung mit therapeutischen Zielstellungen ist mit diesen „überzähligen“ Embryonen nicht vertretbar. Es ist sehr wohl wahr, was die Kammer anfangs behauptet, dass man nicht alles tun darf, was man tun kann. Dr. med. Elisabeth Leutner, Karl-Christ-Straße 1, 69118 Heidelberg Die Ontologie gestrichen Herr Professor Schröder ist sich anscheinend sicher, wenn er dem so genannten überzähligen Embryo nicht den gleichen Lebensschutz gewähren will wie demjenigen – womöglich gleichaltrigen – Embryo, den sich die Frau/Mutter implantieren lässt, und wenn er ersteren nur mit „Respekt“ behandelt wissen will, was immer das in der Laborpraxis heißt. Der Theologe hat die Ontologie aus seinen Erwägungen gestrichen und leitet das Mensch-sein allein (!) aus dessen Annahme durch die Gesellschaft und der Beziehungswelt ab. Gewiss ist der Mensch (in gewissem Sinn auch das Tier) „animal sociale“, dies auch; primär und prinzipiell aber ist der Mensch (gerade biblisch) Subjekt und bereits biologisch als solches und einmaliges von der Zygote an angelegt. Er ist dem göttlichen „ens a se“ als geschaffenes Sein „ebenbildlich“: Selbstzweck. Für Kant ist der Embryo durch den „Akt der Zeugung . . . Weltbürger“, eine Person. Macht man es sich nicht zu einfach, wenn man die eindrücklichen Bilder vom Heranreifen des Menschen, welche die modernen Techniken von der Zygote an erlauben (vgl. Kitzinger/L. Nilsson), übersieht? Zugegeben, unser Sprachgebrauch ist ein anderer, nur wenige sprechen bislang vom „Menschen“ in vitro, lieber vom „Präembryo“. Aber vom (vorläufigen) Sprachgebrauch auf 201 D O K U M E N T A T I O N Seinswahrheiten zu schließen, erscheint mir etwas mager für ein theologisches „Argument“, sagen wir doch heute auch noch immer: „Die Sonne geht auf“, ob- wohl wir seit Jahrhunderten wissen, dass die Realität eine andere ist und sich die Erde um die Sonne dreht. Manchmal muss man umdenken – ein Appell, der dem Theologen so fremd nicht sein wird. Dr. med. Maria Overdick-Gulden Markusberg 24 e, 54293 Trier Heft 21, 21. Mai 2004 Embryonen Zu dem Leserbrief „Bloße Darstellung der verschiedenen Positionen“ von Dr. med. G. Haasis in Heft 12/2004, der sich auf den Kommentar „Überzählige Embryonen: Respekt, aber kein Lebensschutz“ von Prof. Dr. theol. Richard Schröder in Heft 4/2004 bezog: Antwort Ich habe Ihren Leserbrief gelesen und möchte gern versu-chen, Ihnen zu antworten. Es ist beides richtig: Überzählige Embryonen, die existieren, müssen vernichtet werden, es sei denn, sie werden dauerhaft eingefroren oder man möchte die Embryonenadoption einführen. Und: Man sollte die praktische Konsequenz ziehen, weitere über-zählige Embryonen zu vermeiden, indem möglichst nur ein Embryo transferiert wird. Das vermeidet dann auch die unerwünschten Mehrlingsgeburten und, was ja einem Schwangerschaftsabbruch gleichkommt, die Beseitigung eines Embryos, wenn sich mehrere eingenistet haben. Aber das setzt die Auswahl eines aussichtsreichen Embryos voraus, was aber in Deutschland verboten ist, denn bei uns müssen alle erzeugten Embryonen transferiert werden. Die künstliche Nachahmung eines natürlichen Prozesses kann „die Natur“ nur sehr begrenzt 202 überlisten. Und bei der natürlichen Schwangerschaft gelangen 70 Prozent nicht zur Einnistung. Nach unserer Rechtsordnung sind in unserem Falle die Rechte tatsächlich vom Aufenthaltsort abhängig. Die Rechtsfähigkeit beginnt mit der Geburt (§ 1 BGB). Im Uterus gilt der (eingeschränkte) Schutz des § 218 StGB. Bevor der Embryo sich einnistet, ist er in vivo durch keinerlei gesetzliche Bestimmungen geschützt, in vitro aber durch das ESchG. Bei den überzähligen Embryonen geht es nicht um Annahme oder Ablehnung durch die Mutter und also darum, dass die Menschenwürde in das Belieben eines Menschen gestellt wird. Nehmen wir den Fall, dass nach der Befruchtung in vitro die Frau verunglückt. Dann gibt es nur drei Möglichkeiten: diese Embryonen vernichten, sie dauernd tiefgefroren lagern oder eine Frau finden, die sich diese fremden Embryonen implantieren lässt, was aber in Deutschland durch das Embryonenschutzgesetz als Leih-mutterschaft verboten ist. In anderen Ländern ergibt sich das Problem, dass nach sofort gelungener IVF Embryonen übrig bleiben. Soll nun die Frau verpflichtet werden, in einer Abfolge von Schwangerschaften auch diese übrigen auszutragen? Es besteht Konsens unter uns, dass jeder geborene Mensch denselben Wür- de- und Lebensschutz genießt. Das gilt nicht ebenso für den Fötus, weil das Gesetz hier eine Abwägung erlaubt nach Zumutbarkeitskriterien (die ich nicht alle gutheiße: Die Spätabtreibung behinderter Kinder ist ein Skandal, verursacht durch die Abschaffung der embryopathischen Indikation). Nun müssten Sie doch zuerst befürchten, dass diese Praxis bei menschengestaltigen, per Ultraschall sichtbaren Wesen auf die Geborenen übergreift. Das findet aber bis jetzt nicht statt. Anders gesagt: Es besteht kein nachgewiesener Zusammenhang zwischen einer Änderung der Regelung des Schwangerschaftsabbruchs und der Zahl der Tötung Geborener. Eher dürfte die Kindestötung seltener vorkommen, wenn der Schwangerschaftsabbruch möglich ist. Es ist doch abwegig, nun zu vermuten, dass die Praxis von IVF in den Ländern, wo überzählige Embryonen regelmäßig entstehen und vernichtet werden, irgendjemand sich deshalb veranlasst sieht, einen Mord für vertretbar zu halten. Das vorige Schweizer Reproduktionsgesetz schrieb vor, dass überzählige Embryonen vernichtet werden müssen (d. h. dass nicht an ihnen geforscht werden darf). M. W. hat niemand dagegen protestiert. Prof. Dr. theol. Richard Schröder, Birkenweg1, 15827 Blankenfelde D O K U M E N T A T I O N Heft 6, 6. Februar 2004 Präimplantationsdiagnostik Möglichkeit zur Erfüllung des Kinderwunsches Die Einstellung von Betroffenen – eine empirische Studie zur gegenwärtigen Debatte S eit der Veröffentlichung des „Diskussionsentwurfs zu einer Richtlinie zur Präimplantationsdiagnostik“ der Bundesärztekammer (1) im März 2000 ist eine intensive gesellschaftliche Diskussion um die Frage der juristischen und ethischen Zulässigkeit dieser reproduktionsmedizinischen Möglichkeit geführt worden, die auch zu Stellungnahmen der Enquete-Kommission „Ethik und Recht der modernen Medizin“ des Deutschen Bundestages (3) und des Nationalen Ethikrats (6) geführt hat. Dabei ist festzustellen, dass eine gesellschaftliche Einigung in dieser Frage nicht festzustellen ist. Befragung von genetischen Hochrisikopaaren Viele sind in der Debatte um die Präimplantationsdiagnostik (PID) zu Wort gekommen, am wenigsten aber diejenigen, die unmittelbar von den Konsequenzen einer Zulassung oder eines Verbotes der PID betroffen sind: die so genannten genetischen Hochrisikopaare. Gerade aber, wenn über ein gesetzlich verankertes, strafrechtliches Verbot oder eine gesetzliche Zulassung dieser reproduktionsmedizinischen Diagnostik nachgedacht wird, müssen die Bedürfnisse und Sichtweisen dieser unmittelbar Betroffenen einen zentralen Platz in der öffentlichen Debatte einnehmen. In einer empirischen Untersuchung hat eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe der Universitäten Marburg, Gießen und Heidelberg deshalb erstmals in Deutschland 162 genetische Hochrisikopaare (Zielgruppe) und 149 Paare einer Kontrollgruppe hinsichtlich ihrer Einstellung zu den verschiedenen reproduktionsmedizinischen Möglichkeiten unter besonderer Berücksichtigung der Präimplantationsdiagnostik befragt. Das Ziel der vom Bundesforschungsministerium geförderten Studie war die Feststellung der Auffassungen von Paaren aus der Ziel- und Kontrollgruppe im Hinblick auf ethische Aspekte der PID sowie deren Umgang mit dem bisherigen und zukünftigen Kinderwunsch. Während die Erhebung dieses Meinungsbildes für die Zielgruppe repräsentativ ist, wurde die Kontrollgruppe nicht nach Zufallskriterien gezogen und kann daher nicht als repräsentativ eingestuft werden. Diese wird zurzeit in einem Nachfolgeprojekt ermittelt. In der Gesamtstichprobe sprach sich eine große Mehrheit von 81 Prozent (89 Prozent der Hochrisikogruppe, 73 Prozent der Kontrollgruppe) für eine Legalisierung der PID aus, wohingegen lediglich 19 Prozent für ein weiter bestehendes Verbot votierten (elf Prozent der Hochrisikogruppe, 27 Prozent der Kontrollgruppe). Dabei war allen Befragten durch eine Informationsbroschüre bekannt, welche medizinischen und ethischen Vor- und Nachteile mit der Präimplantationsdiagnostik verbunden sein können und dass die PID in Deutschland verboten ist. 37 Prozent der Zielgruppe und 20 Prozent der Kontrollgruppe waren der Auffassung, dass die Präimplantationsdiagnostik für alle genetischen Erkrankungen zulässig und die Entscheidung über die Legitimität den betroffenen Familien überlassen werden sollte. Bei aktuell bestehendem Kinderwunsch gaben 16,8 Prozent der Zielgruppe an, dass die Präimplantationsdiagnostik im Ausland für sie die wahrscheinlichste Möglichkeit zur Erfüllung des Kinderwunsches sei. Diese Paare waren bereits vor der Befragung gut über alle Optionen informiert. Sie un- terscheiden sich gegenüber anderen Befragten der Hochrisikogruppe mit Kinderwunsch im Wesentlichen dadurch, dass sie die wenigsten gesunden Kinder haben und das erstgeborene Kind häufiger und subjektiv schwerer betroffen ist. Der so genannte Reproduktionstourismus kann demnach nicht nur als Möglichkeit oder Ausnahme angesehen werden, sondern ist beispielsweise in Brüssel bereits Realität (5). Den präimplantativen Embryo kategorisierte die überwältigende Mehrheit als „mein Kind“ oder „eher mein Kind“ (78,7 Prozent), lediglich 21,3 Prozent meinten, der Embryo sei für sie „eher ein Zellhaufen“ oder „ein Zellhaufen“. Die hohe Zustimmung zur PID geht demnach nicht mit einer moralischen Geringschätzung des präimplantativen Embryos einher. Aufgrund dieser Befunde lässt sich der Konflikt, der zum Wunsch nach einer Präimplantationsdiagnostik oder aber zum Abbruch einer Schwangerschaft nach positiver pränataler Diagnostik (PND) führt, bei den Hochrisikopaaren als äquivalent beschreiben. Gemäß den Ergebnissen sind PID und PND für die Paare, die sich vor allem subjektiv durch eine erbliche Erkrankung schwer belastet fühlen und die dennoch einen starken Kinderwunsch haben, die einzigen Alternativen. Diese Paare werden entweder wissentlich eine Schwangerschaft mit Vorbehalt einer PND eingehen oder die PID in Anspruch nehmen. Einstellung gegenüber Behinderten In der Studie wurde erstmals auch der Zusammenhang zwischen der Nutzung und Einstellung gegenüber reproduktiven Optionen und der Einstellung gegenüber behinderten Menschen standardisiert gemessen (8). Befragte der Zielgruppe, die aufgrund ihrer eigenen Betroffenheit die Reproduktionsmedizin nutzen, weisen eine eher positive Einstellung gegenüber behinderten Menschen auf. Diejenigen in der Kontrollgruppe, die sich bei altersentsprechendem Durchschnittsrisiko für eine pränatale Diagnostik aussprachen, sind behinderten Menschen gegenüber negativer eingestellt. Die Analyse der Mei- 203 D O K U M E N T A T I O N Heft 7, 13. Februar 2004 nung zur Legalisierung der PID und zur Einstellung gegenüber behinderten Menschen wirft Fragen hinsichtlich einer weiten beziehungsweise sehr liberalen Zulassung der reproduktionsmedizinischen Möglichkeiten auf. Die Studie zeigt, dass der Anteil derjenigen, die die Präimplantationsdiagnostik uneingeschränkt (das heißt jenseits medizinischer Indikationen) erlauben würden, genauso hoch ist wie der Anteil derjenigen, die sich für ein Verbot der PID aussprachen. Diejenigen, die sich für eine sehr liberale Gesetzgebung der Präimplantationsdiagnostik aussprachen, hatten eine deutlich weniger positive Einstellung gegenüber behinderten Menschen. Diese Ergebnisse bedürfen einer eingehenden Diskussion der gesellschaftlichen Folgen vorgeburtlicher Diagnostik auf die Lage behinderter Menschen (2, 4). Die erstmals in Deutschland erhobenen Einschätzungen von Betroffenen und der Bevölkerung zur PID sollten in die Debatte und in die Entscheidung um eine gesetzliche Regelung der Präimplantationsdiagnostik aufgenommen werden. Sie können als wichtige Hilfsmittel im bioethischen Diskurs um die Zulässigkeit der PID angesehen werden (7). Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis, das im Internet unter www.aerzteblatt/ lit0604 abrufbar ist. Die Langfassung des Beitrags ist unter www.aerzteblatt/plus0604 abrufbar. Anschrift für die Verfasser: Prof. Dr. med. Gerd Richter Zentrum für Innere Medizin und Ethikkommission Klinikum der Phillips-Universität Marburg Baldingerstraße 1, 35033 Marburg Autoren dieses Beitrags: Gerd Richter: Zentrum für Konfliktforschung (Direktor: Prof. Dr. phil. Ralf Zoll) der Philipps-Universität Marburg, AG Bioethik – Klinische Ethik am Fachbereich Humanmedizin (Leiter: Prof. Dr. med. Gerd Richter) der Philipps-Universität Marburg;Tanja Krones: Zentrum für Konfliktforschung Marburg, AG Bioethik Marburg; Manuela C. Koch: Institut für allgemeine Humangenetik (Direktor: Prof. Dr. rer. nat. Karl-Heinz Grzeschik) der Philipps-Universität Marburg; Martin Lindner: Kinderheilkunde I – Allgemeine Pädiatrie, Stoffwechsel, Gastroenterologie, Nephrologie (Direktor: Prof. Dr. med. Georg F. Hoffmann) der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg; Georg F. Hoffmann: Kinderheilkunde I der Universität Heidelberg; Ertan Mayatepek: Kinderheilkunde I der Universität Heidelberg, Klinik für Allgemeine Pädiatrie (Direktor: Prof. Dr. med. Ertan Mayatepek) der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf; Gerd Hüls: Allgemeinpädiatrie und Neonatologie (Direktor: Prof. Dr. med. Ludwig Gortner) der Justus-Liebig-Universität Gießen; Ralf Zoll: Zentrum für Konfliktforschung Marburg 204 Präimplantationsdiagnostik Keine unkritische Ausweitung In Gießen diskutierten Ärzte, Philosophen und Juristen über den grundrechtlichen Status des Embryos. D ie Präimplantationsdiagnostik (PID) ist in Deutschland nach dem Embryonenschutzgesetz verboten, und zahlreiche Versuche, dieses Gesetz aufzuweichen, sind bisher gescheitert. Schließlich haben Kritiker gute Argumente, um die PID abzulehnen. Auch die Delegierten des 105. Deutschen Ärztetages hatten sich 2002 in Rostock gegen die Präimplantationsdiagnostik ausgesprochen. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass sie ethisch nicht vertretbar und medizinisch höchst fragwürdig sei. Aus juristischer Sicht gibt es ebenfalls Bedenken. So vertritt der frühere Bundesverfassungsrichter Prof. Dr. iur. Dr. phil. Ernst-Wolfgang Bockenförde die Ansicht, dass die Anerkennung der Würde des Menschen, wie das Grundgesetz sie ausspricht, „nach ihrem normativen Gehalt auch auf die ersten Anfänge des Lebens eines jeden Menschen zu erstrecken ist“ (DÄ, Heft 19/2003). Ganz anderer Auffassung ist dagegen der Hamburger Strafrechtler und Rechtsphilosoph Prof. Dr. jur. Reinhard Merkel. Für den Rechtsphilosophen besitzt der Embryo keinen grundrechtlichen Schutzstatus. Das Bundesverfassungsgericht habe im Jahr 1993 zwar betont, dass der Embryo Inhaber der Menschenwürde nach Artikel 1 und des Lebensgrundrechts nach Artikel 2 Absatz 2 des Grundgesetzes sei, räumte Merkel auf einem Symposium Ende Januar in Gießen ein. Bloß beratene, also indikationslose, Schwangerschaftsabbrüche seien daher rechtswidrig. Doch dagegen spreche, dass das Gericht eine staatliche Pflicht zur „Sicherstellung“ eines „ausreichenden und flächendeckenden Angebots sowohl ambulanter als auch stationärer Einrichtungen zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen“ angeordnet habe, und zwar für alle, also auch für die 97 Prozent bloß „beratener“ Abbrüche. Wenn solche Abtreibungen als Tötungen grundrechtsgeschützter Personen rechtswidrig seien, dann sei auch ihre „flächendeckende“ Ermöglichung und Förderung rechtswidrig. Der Staat sei also zum Unrecht verpflichtet. Die Rechtslage zur Abtreibung lasse zwar keinen Schluss auf die Zulässigkeit der PID zu. Sie zeige aber, dass es einen grundrechtlichen Schutzstatus für den Embryo nicht gebe. Merkels Auffassung nach ist der Embryo als „hohes Gut“, nicht aber als Rechtsperson zu schützen. Dem hielt Prof. Dr. med. Gerd Richter, Marburg, entgegen, dass in einer von ihm vorgestellten Umfrage (DÄ, Heft 6/2004) eine überwältigende Mehrheit der genetischen Hochrisikopaare den präimplantativen Embryo als „mein Kind“ oder „eher mein Kind“ bezeichnet hatte. Die hohe Zustimmung zur PID gehe demnach nicht mit einer moralischen Geringschätzung des präimplantativen Embryos einher. Und durchaus nicht alle genetischen Hochrisikopaare hätten sich für eine Legalisierung der PID ausgesprochen. Der Düsseldorfer Philosoph Prof. Dr. phil. Birnbacher stimmte Merkel grundsätzlich zu. Wenn man dem Embryo von der Zygote an Lebensrecht zugestehe, müsse man die Haltung des Vatikans annehmen, um wirklich konsequent zu sein. „Man kann nicht gleichzeitig Spätabtreibungen akzeptieren und Präimplantationsdiagnostik ablehnen“, sagte der Philosoph. Er warnte jedoch davor, den Embryo generell für schutzlos zu erklären. Auch der Neonatologe Prof. Dr. med. Volker von Loewenich, Frankfurt am Main, lehnte eine unkritische Ausweitung der PID ab und verwies auf eine Stellungnahme der Deutschen D O K U M E N T A T I O N Akademie für Kinderheilkunde und Jugendmedizin. Darin fordern die Kinder- und Jugendärzte „eine qualitätsgesicherte individuelle Beratung auf gesetzlicher Grundlage, eine Begrenzung der vorgeburtlichen Diagnostik auf schwerwiegende Erkrankungen, eine lückenlose statistische Erfassung, eine langfristige Nachuntersuchung und eine kontrollierte Zertifizierung der Labore“. Bei der Beratung von Eltern sollten im Rahmen einer vorgeburtlichen Diagnostik Kinder- und Jugendärzte im Einzelfall zur Beurteilung der kindlichen Prognose hinzugezogen werden. Doch wann kann von einer unkritischen Ausweitung der Präimplantationsdiagnostik gesprochen werden? Birnbacher und von Loewenich lehnten einmütig so genannte Indikationslisten für PID ab. „Mukoviszidose ist beispielsweise für PID nicht zugänglich“, sagte von Loewenich. Merkel sprach zwar ebenfalls von „frivolen“ Indikationen, Heft 8, 20. Februar 2004 Klonexperiment Wider die Natur D er Stolz steht Woo Suk Hwang ins Gesicht geschrieben.Als der Biologe die Ergebnisse seiner Arbeit an der Nationaluniversität Seoul, Südkorea, präsentiert, ist die internationale Presse versammelt. Erstmals ist es einem Team gelungen, menschliche Embryonen zu klonen und bis zum Stadium der Blastozyste mit etwa 200 Zellen zu entwickeln. Bislang waren alle geklonten menschlichen Embryonen nach ein bis zwei Teilungsschritten abgestorben. Das US-Wissenschaftsmagazin „Science“ enthält die Anleitung zum Klonen von Menschen. Die Forscher haben gesunden Frauen Eizellen entnommen, diese jedoch nicht befruchtet, sondern mit dem Zellkern einer erwachsenen Körperzelle derselben Spenderin verschmelzen lassen. Nach Umprogrammierung beginnt die Zellteilung – eine exakte genetische Kopie der Mutter entsteht. Als „Durchbruch in der Medizin“ haben die Forscher ihr Experiment verkauft. Auf seiner Basis wollen sie Ersatzgewebe „therapeutisch klonen“ und Kranke heilen. Für Kritiker ist der Menschenversuch Anlass, noch vehementer ein internationales Klonverbot zu fordern. Bundesärztekammer, Kirchen, Politiker von SPD, Union, Bündnis 90/Die Grünen und Wissenschaftler ächten das Experiment. Bundesforschungsministerin Edelgard Bulmahn betonte, dass das therapeutische Klonen in Deutschland verboten sei und es auch bleiben werde. Prof. Dr. rer. nat. bei denen eine Präimplantationsdiagnostik nicht gerechtfertigt sei. Er hält es hingegen für diskutabel, die Präimplantationsdiagnostik zur Geschlechtsauswahl in Erwägung zu ziehen. Schließlich hätten seit Jahrtausenden Ehepaare versucht, das Geschlecht ihres Kindes zu Gisela Klinkhammer beeinflussen. Die Stellungnahme zur PID aus pädiatrischer Sicht der Deutschen Akademie für Kinderheilkunde und Jugendmedizin ist unter www.aerzteblatt.de/plus0704 abrufbar. Ernst-Ludwig Winnacker, Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, bezeichnete das Klonen zu medizinischen Zwecken als „Irrweg“. In der Tat sind die Forscher von einem nutzbringenden Einsatz ihres Experiments weit, weit entfernt. Denn zum therapeutischen Klonen müssten sie das Erbgut kranker Menschen verwenden und dieses geklonte Gewebe wieder in den Menschen implantieren. Ein Schritt, der vollkommen wider die Natur ist. Neue Erkrankungen und Fehlbildungen sind dabei zu erwarten. Weit weniger kompliziert wäre es da schon, geklonte Embryonen, für die es nun eine Bauanleitung gibt, in einen Uterus zu transplantieren. Machbarkeitswahn und Sucht nach Ruhm dürften einige Menschen wohl animieren, sich für solche Experimente herzugeben. So könnte ein Horrorszenario bald Realität sein: das erste menschliche Klonbaby. Dr. med. Eva A. Richter-Kuhlmann 205 D O K U M E N T A T I O N Heft 17, 23. April 2004 Klonen/Stammzellen I Forschung an den Grenzen Während Vereinte Nationen und Europäisches Parlament an Konventionen zum Klonen und zur Stammzellforschung feilen, ist südkoreanischen Forschern ein Durchbruch beim therapeutischen Klonen gelungen. Einige Wissenschaftler bezweifeln jedoch dessen klinische Relevanz. S ie verbreiten Hoffnung und nähren die Vision vom Sieg über Krankheit und Tod. Die Bilder der ersten geklonten menschlichen Embryonen im Blastozystenstadium gingen Mitte Februar um die Welt. Ihren Schöpfern, den beiden südkoreanischen Forschern Woo Suk Hwang und Shin Yong Moon, gelang es erstmals, durch Kerntransfer 30 menschliche Blastozysten herzustellen und daraus eine Linie embryonaler Stammzellen zu gewinnen. Dies hatte bisher nur im Tierexperiment funktioniert. Die Reaktionen auf den im renommierten amerikanischen Fachblatt „Science“ publizierten Klonversuch sind vielfältig. Überwiegend anerkennende Kommentare sind von der internationalen Wissenschaftsgemeinde zu hören, anders als vor einem Jahr, als die obskure Raelianer-Sekte die (niemals bewiesene) Geburt des Klonbabys Eve verkündete. Denn während Eve die Frucht des geächteten reproduktiven Klonens gewesen wäre, verfolgen die südkoreanischen Wissenschaftler ein anderes Ziel: das therapeutische Klonen. Obwohl beim therapeutischen Klonen auch menschliches Leben geschaffen wird, ist die Technologie vielerorts bereits ethisch und moralisch akzeptiert. Sie soll der Transplantationsmedizin genetisch identische Spenderzellen bescheren. Die Idee ist, patienteneigene Zellkerne in entkernte Eizellen zu implantieren und diese über die Stufe der Blastozyste bis zum Stadium der embryonalen Stammzellen zu propagieren. Aus den gewonnenen autologen embryonalen Zellen könnten dann spezifische Zellen für Transplantate in unbegrenzter Zahl hergestellt werden, von denen man sich die Heilung schwerer Erkrankungen, wie beispielsweise 206 Morbus Parkinson, verspricht. Das Team um Woo Suk Hwang beschritt diesen Weg beim Menschen und gewann tatsächlich erstmals embryonale Stammzellen. Für seine Experimente verwendete es 242 Eizellen, allesamt unentgeltlich von 16 gesunden Frauen gespendet. Nach derer Entkernung setzten die Forscher den Zellkern einer Hautzelle derselben Spenderin in die Eizelle ein. Die sich daraus entwickelnden Embryonen haben somit keinen Vater, sondern enthalten ausschließlich das Erbgut der Mutter. Auf ähnliche Weise erblickte im Jahr 1996 nach 276 Fehlschlägen „Dolly“ das Licht der Welt. Das legendäre Schaf hatte drei Mütter: eine genetische Mutter, eine „Eimutter“ und eine Leihmutter. Mäuse, Schweine und Kälber folgten. Klonversuche beim Affen scheiterten dagegen wiederholt, weswegen man eine Zeit lang glaubte, Primaten ließen sich nicht klonen. 2001 vermeldete jedoch die amerikanische Firma Advanced Cell Technology den ersten geklonten menschlichen Embryo – voreilig, wie sich herausstellte. Denn dieser entwickelte sich nur bis zum 6-Zell-Stadium. Unklar ist ferner, ob sich damals tatsächlich der Zellkern teilte oder lediglich eine Fragmentierung der Zelle stattgefunden hatte. Zweifelsohne erfordert die Kerntransfertechnik erhebliches manuelles Geschick und sehr viel Geduld. Aus der Kernempfängerzelle, klassischerweise eine Eizelle in der Metaphase der zweiten Reifeteilung, muss mit einer Mikropipette das genetische Material entfernt werden. Dann wird eine einzelne Kernspenderzelle unter die Zona pellucida der entkernten Eizelle transferiert und das Ganze in eine Fusionskammer gebracht. Beispielsweise durch Gleich- stromimpulse werden die beiden aufeinander liegenden Zellmembranen desintegriert. Spenderkern, aber auch das Zytoplasma der Spenderzelle werden in die Eizelle entlassen, wodurch der Zellkern reprogrammiert wird. Die Prozedur glückte den südkoreanischen Forschern mehrfach. Es entstehen Blastozysten, bestehend aus mehr als 100 Zellen, wie sie einem Embryo am vierten/fünften Tag nach der Befruchtung entsprechen. Schritt für Schritt ist dies in „Science“ wie in einem Kochbuch nachzulesen. „Die Arbeit ist von staunenswerter Effizienz“, sagte Prof. Dr. med. Hans Schöler. Besonders beeindruckte den Stammzellforscher, der im April aus den USA an die Spitze des Max-Planck-Instituts für Vaskuläre Biologie in Münster zurückgekehrt ist, dass bei den Forschern von National University Seoul aus jeder dritten entkernten Eizelle eine Blastozyste hervorging. Bei den meisten Tierexperimenten war die „Ausbeute“ nämlich wesentlich geringer. So groß die Hoffnungen, die an diese Experimente geknüpft werden, auch sein mögen, ob jemals eine therapeutische Anwendung erfolgen wird, bleibt unklar.Auch Wissenschaftler versuchen derzeit, die aufgekommene Goldgräberstimmung zu dämpfen. Zu viele Details seien noch ungekärt. „Die Wissenschaft hat nicht den geringsten Anhaltspunkt dafür, wie der Reprogrammierungsprozess gesteuert werden könnte“, mahnt der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Prof. Dr. rer. nat. Ernst-Ludwig Winnacker. Dazu müssten zunächst ausgedehnte Kontrollversuche gemacht werden – auch am Menschen. Für Winnacker ist das unvertretbar. Er hält auch nach den Erfolgen der südkoreanischen Forscher das thera- D O K U M E N T A T I O N peutische Klonen unverändert für einen „Irrweg“. Als Alternativen schlägt Winnacker die Erforschung der Reprogrammierung von Genomen im tierischen System und die Etablierung von Stammzellbanken vor. Einige Hundert menschliche embryonale Stammzellen seien vermutlich ausreichend, um immunologisch tolerierbare Zellen zu liefern. Auch Stammzellforscher Prof. Dr. med. Oliver Brüstle, Bonn, glaubt nicht, dass der von den Südkoreanern eingeschlagene Weg jemals klinisch relevant wird: „Zu selten verläuft eine Reprogrammierung fehlerfrei.“ Potenzielle Schäden seien im Zellkulturstadium oftmals nicht identifizierbar. Somit bergen geklonte embryonale Stammzellen ein viel zu hohes Risiko, als dass man sie klinisch einsetzen könnte. „Nicht akzeptabel“ ist für Brüstle auch die Bereitstellung der vielen erforderlichen Eizellen. Nach seiner Ansicht sollten deshalb vielmehr die Mechanismen der Zellkern-Umprogrammierung erforscht werden, um langfristig adulte Zellen in ein pluripotentes Stadium zu überführen. Kritiker halten dem entgegen, dass es schon bald möglich sein wird, Eizellen aus Stammzellen herzustellen, und zwar in beliebiger Menge. In der Tat ist dies Schöler bei Versuchen an Maus-Zellen bereits gelungen. Bisher keine Ächtung Andere Forscher geben wiederum zu bedenken, dass die durch therapeutisches Klonen entstandenen Zellen doch vom Immunsystem abgestoßen werden könnten, obwohl sie den Kern einer Körperzelle des Empfängers enthalten. „Wir müssen zwischen einem echten Klon und „Die Wissenschaft ist in der Bringschuld“ Eine angemessene Akzeptanz der Stammzellforschung in der Bevölkerung kann nur erreicht werden, wenn über alle ethischen und rechtlichen Aspekte aufgeklärt wird. „Hier ist die Wissenschaft in der Bringschuld“, sagte Prof. Dr. med. Hans Schöler, einer der weltweit gefragtesten Stammzellexperten, anlässlich des 2. Internationalen Meetings des Kompetenznetzwerkes Stammzellforschung NRW in Bonn. Aus dem Blickwinkel eines deutschen Wissenschaftlers, der fünf Jahre auf dem Campus der Universität Pennsylvania das Center for Animal Transgenesis and Germ Cell Research geleitet hat und nun dem Ruf des Max-Planck-Instituts Münster gefolgt ist, hat sich die Diskussion über die biotechnologische Forschung in Deutschland versachlicht. Einen Anteil daran habe sicher auch die Informationspolitik des Kompetenznetzwerks Stammzellforschung NRW, mit dem dieses junge Fachgebiet von Medizinern, Naturwissenschaftlern, Philosophen, Sozialwissenschaftlern, Juristen und Theologen transparenter gestaltet wird. „Die Stammzellforschung ist ein Modellbeispiel für das Konzept der Landesregierung Nordrhein-Westfalen, zukunftsweisende Forschungsfelder zu fördern und für sie eine gemeinsame Plattform zu schaffen“, sagte Ministerpräsident Peer Steinbrück. Mit den Standorten Aachen, Bielefeld, Bochum, Bonn, Essen, Düsseldorf, Köln und Münster decke NRW das breite Spektrum der wissenschaftlichen Fragestellungen der adulten und embryonalen Stammzellforschung ab. Für Steinbrück sind die Biowissenschaften eine Schlüssel-Technologie, deren Entwicklung konsequent weitergefördert werden soll. So kündigte der Ministerpräsident den Aufbau weiterer wissenschaftlicher Netze auf dem Gebiet der „life sciences“ an. Er dämpfte allerdings die – auch in einigen Medien propagierte – Erwartung einer unmittelbaren „Verwertungsmöglichkeit“ von Forschungsergebnissen. „Wir brauchen Zeit, denn mit der Zunahme der Optionen muss gegebenenfalls auch ihr Verzicht abgewogen und begründet werden“, so Steinbrück. Auch für Kongresspräsidenten Prof. Dr. med. Oliver Brüstle steht die Grundlagenforschung – wie die Aufklärung der Zelldifferenzierung embryonaler Stammzellen – an erster Stelle: „Wir haben die Anwendung zwar im Auge, aber sie steht derzeit nicht im Vordergrund.“ Brüstle und Schöler halten es daher für problematisch, dass kardiologische Patienten im Rahmen von klinischen Studien bereits mit Stammzellen therapiert worden sind. Die widersprüchlichen Ergebnisse dieser Untersuchungen führen sie auf einen Mangel an Grundlagenwissen zurück. „Um diese Defizite zu schließen, brauchen wir sicher noch fünf bis zehn Jahre. Frühzeitige klinische Studien schaden nur dem Ruf der Stammzellforschung“, betonte Schöler in Bonn. Dr. med. Vera Zylka-Menhorn einer genomischen Kopie unterscheiden“, sagt Prof. Dr. med. vet. Eckhard Wolf, München. Nach dem Kerntransfer enthielten die Zellen zwar die identische Kern-DNA, aber die mitochondriale DNA, die hauptsächlich aus der Eizelle kommt, sei durchaus unterschiedlich. Gerade weil beim therapeutischen Klonen noch so viele Details ungeklärt sind, hält es Prof. Dr. med. Detlev Ganten, Vorsitzender der Charité – Universitätsmedin Berlin und Mitglied des Nationalen Ethikrates, für „nicht hilfreich“, von „Irrweg“ oder vom „richtigen Weg“ zu sprechen. „Was richtig und was verkehrt ist, lässt sich in der Forschung zu einem so frühen Zeitpunkt nicht entscheiden.“ (Interview) Auch der Dolly-Schöpfer Ian Wilmut sprach sich erneut dafür aus, menschliche Embryonen zu Forschungszwecken zu klonen. „Das Klonen verspricht einen so großen Nutzen, dass es unmoralisch wäre, es nicht zu tun“, hält der schottische Klon-Pionier seinen Kritikern entgegen. Mit seinem Forscherteam plant er derzeit, Embryonen mit dem Erbgut von Patienten mit Amyotropher Lateralsklerose zu klonen, um daraus Stammzellen herzustellen. Mit dem Klonerfolg von Südkorea dürfte es international noch schwieriger werden, das therapeutische Klonen zu ächten. Schweden, das seit 1991 die Forschung an überzähligen, künstlich befruchteten Embryonen erlaubt, will nun auch das Klonen menschlicher Embryonen zu Forschungszwecken gestatten. Noch im April soll dem Parlament ein entsprechender Gesetzentwurf vorgelegt werden, teilte die Regierung mit. Danach sollen gleichzeitig eine konkrete medizinische Anwendung des Forschungsklonens sowie das reproduktive Klonen vorerst verboten bleiben. Das ist auch weltweit Konsens. Eine internationale Klonkonvention kam freilich dennoch nicht zustande. Da sich die Vertreter der UN-Mitgliedsstaaten Ende vergangenen Jahres in New York auf keine gemeinsame Konvention einigen konnten, verschoben sie die Verhandlungen um weitere zwei Jahre. Damit bleibt die Tür zum „Forschungsklonen“ zumindest bis 2005 offen. Weder der Antrag von Costa Rica, hinter dem die USA und rund 60 weitere Staaten stehen und der ein komplettes Klonver- 207 D O K U M E N T A T I O N bot vorsieht, noch der Antrag von Belgien wurde von den Vereinten Nationen angenommen. Die belgische Initiative, unterstützt von 25 Ländern wie Großbritannien, China und Singapur, will lediglich das reproduktive Klonen verbieten, beim „Forschungsklonen“ aber nationale Regelungen zulassen. Deutschlands Position blieb bei den Verhandlungen zum internationalen Klonverbot im vergangenen Jahr verwaschen. Zwar hatte der Deutsche Bundestag die Bundesregierung im Febuar 2003 aufgefordert, sich für ein möglichst umfassendes Klonverbot einzusetzen. Die Koalition ließ jedoch die Verhandlung des 6. Komitees der Generalversammlung der UN Anfang Oktober verstreichen, ohne sich zu einem umfassenden weltweiten Klonverbot zu bekennen. Diese Zurückhaltung nennt die zuständige Staatssekretärin im Auswärtigen Amt, Kerstin Müller, „Strategie“. Sie wolle eine Kampfabstimmung innerhalb der UN vermeiden, die dazu führen könnte, dass sich die Befürworter des therapeutischen Klonens vollständig aus dem Konventionsprojekt zurückzögen. Überraschend forderte indes das Europäische Parlament Ende Januar in einer Resolution ein internationales Klonverbot. Dabei unterstützte es die Initiative Costa Ricas. Noch Ende 2003 nahm es knapp – mit 80 zu 79 Stimmen – einen Antrag an, der für das Aussetzen der Verhandlungen plädierte. „Die entscheidende Stimme kam dabei von der Bundesregierung, die entgegen dem Willen des Deutschen Bundestages für die Vertagung stimmte“, sagt der Vorsitzende der Arbeitsgruppe Bioethik der 208 Europäischen Christdemokraten, Dr. med. Peter Liese. „Schon eine Stimme hätte ausgereicht, dafür zu sorgen, dass dieses dringliche Thema schnellstmöglich behandelt wird.“ Umstritten ist innerhalb der EU seit nunmehr fast drei Jahren auch die Finanzierung der Embryonenforschung aus dem europäischen Haushalt. Im 6. Forschungsrahmenprogramm der EU ist nicht geregelt, welche Form von Stammzellforschung unterstützt werden soll. Lediglich die Herstellung von Embryonen eigens zu Forschungszwecken – wie in Südkorea geschehen – ist für die gesamte Laufzeit bis 2006 verboten. Ende Februar erklärte der zuständige EU-Forschungskommissar Philippe Busquin, dass er keine Projekte zur Förderung vorschlagen will, die die Gewinnung von embryonalen Stammzellen aus so genannten überzähligen Embryonen voraussetzen. Erst solle der Forschungministerrat den ethischen Rahmen in dieser Frage setzen. Dies hatte im Dezember vergangenen Jahres noch ganz anders geklungen, als die Beratungen der EU-Forschungsminister schon einmal scheiterten. Damals kündigte Busquin, der als vehementer Befürworter der Stammzellforschung gilt, an, entsprechende Forschungsvorhaben auszuschreiben. Trotz ethischer Bedenken einiger Mitgliedsstaaten ist dies möglich, denn Ende vergangenen Jahres lief das Moratorium für die Förderung der embryonalen Stammzellforschung aus. Es war im September 2002 vom Ministerrat verhängt worden, um im Laufe des Jahres 2003 einen für alle ethisch vertretbaren Konsens zu fin- den. Während Großbritannien, Belgien, Frankreich, Schweden, Dänemark, Finnland und Griechenland als Befürworter gelten, setzen sich Deutschland, Italien, Irland, Portugal und Österreich für einen strengen Embryonenschutz ein. Auf der Sondersitzung des Ministerrats am 3. Dezember 2003 war ein Kompromiss zum Greifen nahe gewesen. Portugal hatte vorgeschlagen, nur embryonale Stammzelllinien für Forschungszwecke zu verwenden, die vor einem Stichtag erzeugt worden sind. Eine Mehrheit der Mitgliedsstaaten unterstützte diesen Vorschlag. Doch Busquin stellte kurz vor der entscheidenden Sondersitzung den Kompromiss wieder infrage. Seine anfängliche Zustimmung sei ein „Missverständnis“ gewesen. Fürs Erste wartet man derzeit aber ab. Damit besteht die Gefahr, dass Forschungsvorhaben gefördert werden, die in Deutschland bei Strafe verboten sind. 17,5 Milliarden Euro sollen innerhalb des EU-Forschungsrahmenprogramms bis 2006 bereitgestellt werden, davon etwa zwei Milliarden für die Biotechnologie. „Jeden Tag lehnt die EU-Kommission Projekte ab, die unumstritten sind“, berichtet Liese. Es sei widersinnig, eine umfassende Embryonenforschung zu fordern. Lediglich neun Anträge bezögen sich auf diesen Bereich. Sollte die Europäische Kommission dennoch einen dieser Anträge bewilligen, will die Bundesregierung rechtliche Schritte prüfen. Infrage käme eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof, teilte sie Mitte April auf eine Anfrage der CDU/CSUFraktion mit. Die Erfolgsaussichten schätzt die Regierung selbst jedoch als „gering“ ein. Dr. med. Eva A. Richter-Kuhlmann D O K U M E N T A T I O N Heft 17, 23. April 2004 Prof. Dr. med. Detlev Ganten „Das ganze System erforschen“ I N T E R V I E W wie wichtig halten wir diese Thematik, dass wir sie jetzt schon am Menschen untersuchen wollen, um zu einem möglichst frühen Zeitpunkt diese Ergebnisse für die Linderung von Leiden – das ist ja unser ärztliches Mandat – zur Verfügung zu haben. Foto: privat DÄ: DFG-Präsident Prof. Winnacker bezeichnete kürzlich das therapeutische Klonen als einen „Irrweg“. Halten Sie das therapeutische Klonen für aussichtsreich? Ganten: Zunächst einmal halte ich DÄ: Ist denn durch den Klonerfolg in den Ausdruck therapeutisches Klonen Südkorea die therapeutische Anwendung für nicht besonders hilfreich, weil er im- des Klonens in greifbare Nähe gerückt? pliziert, dass mit dieser Methode theraGanten: Ja, das ist ein wichtiges Expeutische Wege aufgezeichnet werden, periment gewesen. Es zeigt, dass diese die breit angewandt werden können. Methode beim Menschen möglich ist. Dazu ist das Thema viel zu offen und viel zu neu. „Forschungsklonen“ halte DÄ: Das Einpflanzen eines Klons in ich für einen besseren Ausdruck. Im einen menschlichen Uterus ist nur ein Grunde geht es darum, die relativ kleiner weiterer frühen Stadien der EntSchritt. Zudem dürften wicklung von Leben, aber sich Menschen finden, die eben auch vom Mendies tun.Wie hoch schätzen schenleben zu verstehen. Sie die Gefahr des MissIm eigentlichen Sinne ist brauchs solcher Methoden das Entwicklungsbiologie ein? und die Erforschung der Ganten: Ich sehe immer Differenzierung der Zydie Notwendigkeit, den gote zu den etwa 200 verMissbrauch einer Technoschiedenen Körperzellen. logie mit allen Mitteln Insofern halte ich es nicht einer wachsamen Demofür hilfreich, von „Irrweg“ Ganten: „ Ich glaube an die kratie zu verhindern. Ich oder vom „richtigen Weg“ Vernunft der Menschen“ halte aber die reale Gezu sprechen. Was richtig fahr für gering. Wir müsund was verkehrt ist, lässt sich in der sen alles tun, damit wichtige wissenForschung zu einem so frühen Zeit- schaftliche medizinische Experimente punkt nicht entscheiden. nicht in Misskredit geraten. So schnell wie möglich sollten deshalb internatioDÄ: Wenn dieses Thema noch so neu nale Konventionen getroffen werden, ist, warum kann man diese Experimente die das reproduktive Klonen auf der nicht erst einmal im Tierversuch machen? ganzen Welt verbieten. Ein Einpflanzen Ganten: Die Experimente werden im des Embryos in die Gebärmutter ist ein Tierversuch gemacht. Und zwar inten- Schritt, der einfach zu kontrollieren ist. siv: an Fröschen, an Mäusen, an Ratten, an Schafen, an Kühen, an allen ModelDÄ: Es gibt gewisse Sekten, die sich len, die Erkenntnisgewinn erwarten las- vielleicht nicht so einfach kontrollieren sen. Aber ein Mensch ist keine Maus, lassen . . . und die Menschenbiologie ist, wie wir Ganten: Es gibt kriminelle Leute und wissen, in entscheidenden Punkten eine Terroristen und andere furchtbare Dinganz andere. Das heißt, es ist nicht die ge auf dieser Welt. Wegen der Gefahr Frage der Alternative. Die Frage ist, für des Missbrauchs durch einzelne Ver- rückte diesen Forschungszweig nicht beginnen zu wollen, halte ich für eine nicht zu verantwortende Konsequenz. DÄ: Sollten wir uns als Deutsche an diesem Forschungszweig beteiligen? Ganten: Wir als Deutsche müssen natürlich geschichtsbewusst leben. Doch das hindert uns nicht daran, biomedizinische Forschung dort zu betreiben, wo sie aus meiner Sicht verfassungskonform ist. Verfassungskonform ist sie ganz offensichtlich so, wie die Bundesministerin für Justiz es auch dargestellt hat – in den frühen Stadien der Entstehung von Leben. Dann darf es auch keinen deutschen Sonderweg geben. Wir dürfen nicht die „Gutmenschen“ dieser Welt sein wollen. DÄ: Bisher schränken Gesetze die Stammzellforschung stark ein. Müssten diese geändert werden? Ganten: Ich bin natürlich gesetzestreu und akzeptiere den Beschluss des Bundestages. Das heißt aber nicht, dass Gesetze nach einer gewissen Zeit nicht kritisch überdacht werden sollen. Die Stichtagsregelung 1. Januar 2002 ist aus meiner Sicht unhaltbar. DÄ: Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass das Gesetz noch einmal überdacht wird? Ganten: Ich glaube an die Vernunft der Menschen und weiß, dass auch in Deutschland darüber noch diskutiert wird, irgendwann sicher auch offiziell im Bundestag. Ich hoffe nur, dass es rechtzeitig passiert und dass die Forscher, die an solchen Fragen interessiert sind, Deutschland dann noch nicht verlassen haben. DÄ: Halten Sie adulte Stammzellen für eine ernsthafte Alternative? Ganten: Ich halte es für einen unbedingt förderungswürdigen Weg. Wenn wir adulte Stammzellen so gut verstehen, dass wir sie stimulieren und dahin bringen können, dass sie sich zum gewünschten Zelltyp differenzieren, dann wäre das wunderbar. Das heißt aber nicht, dass die Forschung an embryonalen Stammzellen ein Irrweg wäre. Die Frage ist, ob wir das ganze System erforschen dürfen, oder nur einen Teil. DÄ-Fragen: Dr. med. Eva A. Richter-Kuhlmann 209 D O K U M E N T A T I O N Heft 17, 23. April 2004 Klonen/Stammzellen II Politische Trendwende (vorerst) nicht in Sicht Noch ist Forschung an und mit Embryonen ebenso wie die Präimplantationsdiagnostik unzulässig. Ob dieses Verbot auch künftig erhalten bleibt, ist allerdings fraglich. D ie Umweltschutzorganisation Greenpeace hat am 5. April das Europäische Patentamt in München lahm gelegt. Mehr als hundert Greenpeace-Aktivisten mauerten aus Protest gegen ein so genanntes BabyPatent alle Eingänge des Patentamts zu. Sie verwendeten dazu Eisblöcke, in denen Babypuppen eingefroren waren. Greenpeace protestierte damit gegen ein im November erteiltes Patent, das menschliche Eizellen, Sperma und Embryonen umfasst, die nach einem bestimmten Verfahren tiefgekühlt und im Rahmen der künstlichen Befruchtung verwendet werden können. Die Umweltschutzorganisation bezeichnete dies als rechtlich und ethisch bisher schwerwiegendsten Skandal am Europäischen Patentamt. Auch die letzten Tabus würden jetzt gebrochen. Mit einem besonderen Tabubruch überraschte im Februar ein südkoreanisches Forscherteam die Weltöffentlichkeit. Ihm war es nach eigenen Angaben gelungen, 30 menschliche Embryonen zu klonen. Was die Forscher als medizinischen Durchbruch bezeichnen, ist für Kritiker dieser Techniken Anlass, noch vehementer ein internationales Klonverbot zu fordern. „Die Klonexperimente dienen einzig und allein dem Zweck, menschliche Embryonen als Ersatzteillager zu nutzen. Diese Ausbeutung von menschlichem Leben in seinem frühesten Stadium ist ethisch absolut verwerflich und in keiner Weise zu rechtfertigen. Wer Embryonen nur deshalb erzeugt, um daraus ,Bio-Rohstoffe‘ zu gewinnen, macht sich zum Herrn über Leben und Tod menschlicher Embryonen. Diesen Machbarkeitswahn der Forscher müssen wir stoppen“, sagte der Präsident der 210 Bundesärztekammer, Prof. Dr. med. Jörg-Dietrich Hoppe, dem Deutschen Ärzteblatt. Mit seiner ablehnenden Haltung steht Hoppe keineswegs allein. Doch vonseiten der Bundesregierung sind gleichzeitig auch Bestrebungen zu einer Trendwende erkennbar. Zeitgleich mit der Vertagung der internationalen Klonkonvention hatte sich Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) für eine Lockerung des Embryonenschutzgesetzes ausgesprochen. Zypries will dem im Reagenzglas gezeugten Embryo nicht mehr vom Zeitpunkt der Verschmelzung von Eiund Samenzelle an Menschenwürde zusprechen. Die Ministerin ist zwar der Ansicht, dass der Embryo auch im Reagenzglas „kein beliebiger Zellhaufen ist, über den Eltern, Mediziner und Forscher nach Gutdünken verfügen könnten“. Solange sich der Embryo in vitro befinde, fehle ihm aber die wesentliche Voraussetzung dafür, sich „aus sich heraus zum Menschen“ oder „als“ Mensch zu entwickeln. Diese ohne erkennbaren Anlass im Oktober in der Humboldt-Universität Berlin vorgetragene Rede wird die Ministerin sicherlich nur im Einklang mit Bundeskanzler Gerhard Schröder gewagt haben. Schließlich war der schon seit längerem als Verfechter einer „Ethik des Heilens und Helfens“ hervorgetreten. Zwar relativierte Zypries ihre eigenen Ansichten, indem sie sich gegen das therapeutische Klonen und die Präimplantationsdiagnostik (PID) aussprach. Dennoch stieß sie auf erbitterte Kritik aus der Ärzteschaft, der Kirchen und auch bei Politikern. Im Bundestag findet diese Haltung ebenfalls wenig Anklang, was nicht nur an dem Einsatz für ein internationales Klonverbot deutlich wird. Die Enquetekommission des Deutschen Bundestages „Ethik und Recht der modernen Medizin“ war zu dem Ergebnis gekommen, dass eine embryonenverbrauchende Gewinnung von Stammzellen nicht verantwortbar sei. Mehrheitlich sprach sich die Kommission gegen einen Import solcher Zellen aus. Bundeskanzler Schröder, dem die Stellungnahmen der Enquetekommission offenbar nicht gefielen (auch die PID wurde mit großer Mehrheit abgelehnt), setzte im Jahr 2001 über einen Kabinettsbeschluss einen Nationalen Ethikrat ein. Erwartungsgemäß befürwortete die Mehrheit des Nationalen Ethikrates eine zeitlich befristete und mit Auflagen versehene Genehmigung des Imports. Eine deutliche Mehrheit hatte sich außerdem für eine Zulassung der PID in Deutschland entschieden. Vor zwei Jahren wurde ein Stammzellgesetz ver- Dossier zur Embryonenforschung Von Anfang an hat sich das Deutsche Ärzteblatt an der Debatte über pränatale Diagnostik (PND) und Präimplantationsdiagnostik (PID) beteiligt. In einem Sonderdruck aus dem Jahr 2001 wurden zum ersten Mal die bis dahin erschienenen Beiträge zusammengefasst. Die Meinungsbildung in der Ärzteschaft spiegelt sich in der Berichterstattung und Kommentierung des Deutschen Ärzteblattes wider, wie die ein Jahr später publizierte, erweiterte Materialsammlung beweist. Die in der Folgezeit veröffentlichten Beiträge der DÄ-Redakteurinnen und -Redakteure zu diesen Themen sowie Aufsätze und Kommentare von Ärzten, Wissenschaftlern und Theologen wurden vor kurzem in einer erweiterten Dokumentation online veröffentlicht. Sie ist im Internet abrufbar unter: www.aerzteblatt.de/dossiers/embryonenforschung. Dieses Dossier ist jetzt durch weitere Statements ergänzt worden. Der Präsident der Bundesärztekammer, Prof. Dr. med. Jörg-Dietrich Hoppe, Bundesforschungsministerin Edelgard Bulmahn, der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Prof. Dr. rer. nat. Ernst-Ludwig Winnacker, der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Bischof Wolfgang Huber, der Bonner Stammzellforscher Prof. Dr. med. Oliver Brüstle und Hubert Hüppe, stellvertretender Vorsitzender der Enquetekommission des Bundestages „Ethik und Recht der modernen Kli Medizin“, haben fürs Deutsche Ärzteblatt Stellung zu der Thematik bezogen. D O K U M E N T A T I O N abschiedet, wonach der Import menschlicher embryonaler Stammzellen unter strengsten Auflagen zulässig ist. Die Abgeordneten stimmten Ende April 2002 über drei Varianten ab: über ein „Nein“ oder ein „Ja“ zur Stammzellforschung oder über die Kompromisslösung, die sich schließlich durchsetzen konnte. Das Gesetz sieht vor, dass nur embryonale Stammzellen eingeführt werden dürfen, die bereits am 1. Januar 2002 vorhanden waren und die in Übereinstimmung mit der Rechtslage im Herkunftsland gewonnen wurden. Die frühere Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer (Bündnis 90/Die Grünen) war eine der Abgeordneten, die diesen Antrag auf den Weg gebracht hatte. Noch während ihrer Amtszeit hatte Fischer ein Fortpflanzungsmedizingesetz angekündigt, mit dem sie PID und das therapeutische Klonen unmissverständlich verbieten wollte. Doch nach Fischers Rücktritt wurde zunächst der von ihr gegründete Ethikbeirat kaltgestellt, und aus dem geplanten Gesetz wurde nichts. Fischers Nachfolgerin Ulla Schmidt (SPD) gilt als eine vorsichtige Befürworterin der gentechnischen Methoden. Zypries schlug sich mit ihrer Rede ebenfalls auf die Seite des eher „forschungsfreundlichen“ Teils des Regierungslagers. Ob die Regierung mit einer geplanten Lockerung der restriktiven Gesetzgebung erfolgreich wäre, bleibt allerdings fraglich. Der Bundestag jedenfalls beabsichtigt Hüppe zufolge keinen Richtungswechsel: „Der Deutsche Bundestag hat in letzter Zeit mehrfach mit fraktionsübergreifenden Mehrheiten den Stellenwert des in der Menschenwürdegarantie der Verfassung begründeten Embryonenschutzes unterstrichen: beim Stammzellimport in der vergangenen Legislaturperiode und in der laufenden Legislaturperiode in seinen Beschlüssen zum Klonen und zur Embryonenforschung in der EU. Ich kann weder überzeugende Gründe noch Mehrheiten für eine Kehrtwende erkennen.“ Und schließlich seien die gewählten Parlamente die Gesetzgeber. „Was der Nationale Ethikrat verlautbart, sind legitime Beiträge zur öffentlichen Debatte. Sie kommen aber aus einem vom Bundeskanzler berufenen Beratungsgremium und nehmen deshalb eine Entscheidung des Bundestages nicht vorweg“, sagte Hüppe. Eine klare Absage erteilten die Delegierten des 104. Deutschen Ärztetages in Rostock der Herstellung, dem Import und der Verwendung embryonaler Stammzellen. Hoppe wendete sich seitdem immer wieder gegen solche Bestrebungen. „In Deutschland ist die Herstellung von menschlichen Embryonen verboten. Das schließt das Klonen von Embryonen ein. An dieser eindeutigen Ablehnung der verbrauchenden Embryonenforschung sollten wir festhalten. Es darf niemals dazu kommen,dass menschliches Leben als Erzeugnis für den Heilungsprozess anderer ausgenutzt wird“, erklärte Hoppe gegenüber dem DÄ. Menschliches Leben einer so genannten Rechtsgüterabwägung und damit auch Beliebigkeit zu unterstellen, könnte zu einem unkontrollierten Selektionsautomatismus führen. Zu bedenken sei auch, dass mit der embryonalen Stammzellforschung zu leichtfertig unrealistische Heilsversprechen verbunden würden. Den Einfluss der großen christlichen Kirchen gilt es ebenfalls nicht zu unterschätzen. Das Klonexperiment der südkoreanischen Forscher wird von beiden Kirchen scharf verurteilt. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonfe- renz, Kardinal Karl Lehmann, warnte eindringlich vor dieser Entwicklung: „Hier wird mit menschlichen Hoffnungen und Heilungsversprechen gespielt, die verschleiern, dass der Mensch am Beginn seines Lebens zum reinen Objekt gemacht wird.“ Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Bischof Wolfgang Huber, teilt diese Auffassung: „Im Blick auf die neueren Ergebnisse der Grundlagenforschung ist aus Sicht der evangelischen Ethik immer wieder daran zu erinnern: Wer die Tötung menschlicher Embryonen zur Gewinnung von Stammzellen in Kauf nimmt, instrumentalisiert menschliches Leben in einer Weise, die ethisch nicht gerechtfertigt werden kann. Unsere Schutzverpflichtung für menschliches Leben reicht so weit wie unsere Schutzmöglichkeiten. Deshalb haben wir gegenüber einem künstlich erzeugten Embryo eine Schutzverpflichtung auch auf den frühen Stufen seiner Entwicklung, die es verbietet, ihn zu ,verbrauchen‘.“ Diese massive Kritik von Ärzten, Kirchen, aber auch von Politikern dürfte ihre Wirkung nicht verfehlt haben. So lehnt Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) inzwischen Bestrebungen, die bestehenden Gesetze aufzuweichen, strikt ab. Gegenüber dem Deutschen Ärzteblatt sagte sie, „dass wir mit dem Embryonenschutzgesetz und dem Stammzellgesetz eine sichere Grundlage haben, um mit den Herausforderungen der Biotechnologie umzugehen. Wir haben eine verantwortungsvolle Regelung geschaffen, die der Forschung in Deutschland den Anschluss an den internationalen Standard in der Grundlagenforschung ermöglicht und mögliche Heilungsperspektiven nicht Gisela Klinkhammer verspielt.“ wenige Deutsche über die modernen Verfahren der Reproduktionsmedizin informiert. Zu diesem Ergebnis kommt eine vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte repräsentative Studie der Universität Leipzig. Ende 2003 wurden dazu bundesweit mehr als 2 000 Deutsche im Alter von 18 bis 50 Jahren zu verschiedenen Themen der Reproduktionsmedizin befragt. Nur 30 Prozent der Deutschen können der Umfrage zufolge etwas mit dem Begriff „Präimplantationsdiagnostik“ anfangen. „Dabei werden die Einsatzmöglichkeiten der PID überschätzt“, sagt Prof. Dr. Elmar Brähler, Leiter der Studie. So glaubt über die Hälfte der Befragten, dass damit alle Arten von Krankheiten und Beeinträchtigungen festgestellt werden können. 60 Prozent der Teilnehmer haben da- Heft 20, 14. Mai 2004 Reproduktionsmedizin Wenig konkretes Wissen Erste deutsche Studie zu Informationsverhalten und Akzeptanz vorgestellt T rotz der aktuellen Debatten über Stammzellforschung und Präimplantationsdiagnostik (PID) sind offenbar nur 211 D O K U M E N T A T I O N gegen noch nie etwas über die Thematik vernommen; zehn Prozent können keine Angaben machen. Der überwiegende Teil der Befragten (70 Prozent) gab kein oder nur wenig Interesse an. Zurückhaltender sind die meisten Befragten, wenn es darum geht, die PID potenziell selbst in Anspruch zu nehmen. So würde nur knapp ein Drittel generell genetische Störungen mittels PID überprüfen lassen. Sechs Prozent befürworten sie ausschließlich bei Verdacht auf eine spezifische Erkrankung. 24 Prozent der Befrag- ten lehnen eine Anwendung der PID strikt ab. Die PID zur Geschlechterwahl zu nutzen kommt für 94 Prozent nicht in Frage. Abgelehnt wird von 83 Prozent ebenfalls die Einführung des reproduktiven Klonens in Deutschland, von einem Drittel die Zulassung der Eizellspende und von 44 Prozent die Leihmutterschaft. Kontrovers werden derzeit Brählers Daten zur Prävalenz von Subfertilität und Sterilität diskutiert. „Mindestens zehn Prozent der Befragten werden gewollt kinderlos bleiben“, schlussfolgert Brähler aus den Ergebnissen seiner Erhebung. Es sei sogar noch von einem höheren Anteil auszugehen, da ein Teil der unentschiedenen Personen den Kinderwunsch nicht realisiere oder so lange hinausschiebe, bis er sich nicht mehr realisieren ließe. Lediglich ein Prozent der Bevölkerung sei von primärer Sterilität betroffen. Reproduktionsmediziner gehen von vier bis fünf Prozent aus. Von den Deutschen wird diese Rate noch viel höher geschätzt. Sie meinen im Mittel, dass 20 Prozent aller Paare ungewollt kinderlos sind. ER Heft 22, 28. Mai 2004 K ein Präsident vor ihm hatte so setz und den Beschluss des Bundes- dürfen“.Auch hochrangige Ziele meeinen schweren Start. Als Jo- tages zur Stammzellforschung hin. dizinischer Forschung dürften nicht hannes Rau ins Schloss Belle- Nicht umsonst stünde die Unantast- darüber bestimmen, ab wann vue einzog, erwarteten so manche barkeit der Menschenwürde am An- menschliches Leben geschützt wernicht viel von ihm. Er sei ein altge- fang des Gesetzes. Sie müsse das den soll, erklärte er mit Blick auf dienter Sozialdemokrat ohne Charis- Leitbild sein, das der medizinischen Embryonenforschung und Präimma und Repräsentationsvermögen, Forschung die Richtung vorgibt und plantationsdiagnostik. Er sei fest dader sich ehrgeizig in die höchste Posi- ihr Grenzen setzt. Dabei widerlegte von überzeugt, so Rau, „dass wir untion des Staates gedrängt habe, hieß Rau ein von Forschern vielfach ge- endlich viel Gutes erreichen können, es. Das war einmal. Das Bild von Rau brauchtes Argument: „Die Freiheit ohne dass Forschung und Wissenschaft sich auf ethisch behat sich inzwischen entdenkliche Felder begeben scheidend geändert. Seine müssen. Es gibt viel Raum einstigen Kritiker zollen diesseits des Rubikon.“ dem Mann, der mit seinen Zweieinhalb Jahre nach mutigen Reden Menschen seiner Berliner Rede wandHalt und Trost zu geben te sich Johannes Rau erneut vermag, Hochachtung und vehement gegen eine Respekt. Rau gilt als VerLockerung des Embryosöhner. Jedoch als einer, nenschutzgesetzes. Damit der seine Ansichten mit Während seiner Amtszeit äußerte widersprach er Bundesjuklaren Worten vertritt. stizministerin Brigitte ZyGerade zu medizinethisich Rau mehrfach zu Stammzellforschung pries, die sich im Oktober schen Fragen bezog der und Präimplantationsdiagnostik. 2003 dafür ausgesprochen Bundespräsident mehrfach hatte, den Schutz von Emeindeutig und kritisch Position. Davon konnte sich die Ärzte- der Forschung gerät nicht dadurch in bryonen im Reagenzglas einzuschränschaft auch jetzt, wenige Wochen vor Gefahr, dass wir ihr ein ethisches ken. Eine solche Abstufung der Mendem Ende seiner Amtsperiode, noch Fundament geben. Die Freiheit der schenwürde sei jedoch mit dem Grundeinmal überzeugen. „Wir dürfen Em- Forschung ist nicht frei von Bindun- gesetz unvereinbar, sagte Rau. Sein Nachfolger im höchsten bryonen nicht als Experimentiermas- gen.“ Solche Worte sind nicht neu se verwenden und nach Gebrauch ver- von Johannes Rau. Bereits 2001, als Amt des Staates hat in der Frage der werfen“, warnte Rau vor den Dele- die Stammzelldebatte in Deutsch- Embryonenforschung „noch kein gierten auf dem 107. Deutschen Ärz- land sehr hitzig und emotionsgela- fertiges Urteil“, wie Horst Köhler im tetag in Bremen. „Wir dürfen die Ge- den geführt wurde, forderte der Bun- Interview mit dem Rheinischen fahr der biologischen Selektion nicht despräsident einen „Fortschritt nach Merkur verlauten ließ. „Im Zweifel verharmlosen, nur um einem mögli- menschlichem Maß“ – so der Titel geht für mich aber der Lebensschutz chen therapeutischen Nutzen nachzu- seiner viel zitierten Berliner Rede vor“, sagte Köhler. Es dürfe nicht aljagen.“ (Siehe dazu auch die Bericht- vom 18. Mai 2001. Eindrücklich be- les, was technisch möglich ist, auch tonte er damals, „dass es Dinge gibt, gemacht werden. Gleichzeitig warnt erstattung in DÄ, Heft 21/2004) Zum wiederholten Male wies das die wir um keines tatsächlichen oder er vor Zeitdruck und schnellen UrStaatsoberhaupt auf das Grundge- vermeintlichen Vorteiles willen tun teilen. Dr. med. Eva A. Richter-Kuhlmann Johannes Rau Verfechter der Menschenwürde 212 D O K U M E N T A T I O N Heft 31–32, 2. August 2004 Wartburgtagung Vom Umgang mit der Menschenwürde Über embryonale Stammzellforschung, Präimplantationsdiagnostik und therapeutisches Klonen diskutierten Ärzte, Theologen und Wissenschaftler auf der Wartburg. S chon der gewählte Tagungsort war durchaus symbolträchtig. Die Veranstalter – das thüringische Forschungsministerium und die FriedrichSchiller-Universität Jena – der Wartburgtagung hatten sich ein hohes Ziel gesteckt. Ähnlich wie Luther, der dort die Bibel ins Deutsche übersetzt hatte, wollten auch sie „Übersetzungsarbeit“ leisten. „Die Tagung will die Grundlage dafür schaffen, dass in der Öffentlichkeit über bioethische Fragen informiert nachgedacht werden kann“, schrieb Prof. Dr. phil. Nikolaus Knoepffler, Jena, in der Ankündigung. Nicht erwähnt wurde, dass die Wartburg auch der Ort eines mittelalterlichen Sängerstreits war. Und gestritten wurde tatsächlich eher wenig. Die Klonexperimente der südkoreanischen Forscher, denen es Mitte Februar erstmals gelungen war, durch Kerntransfer 30 menschliche Blastozysten herzustellen und daraus eine Linie embryonaler Stammzellen zu gewinnen, ging den meisten Referenten und Tagungsteilnehmern zu weit. So warf der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Prof. Dr. rer. nat. Ernst-Ludwig Winnacker, den Forschern vor, sie hätten den hippokratischen Eid für ihren „Irrweg“ gebrochen. Die Reprogrammierung hoch spezialisierter Erbinformation beim Klonen verlaufe unvollständig und fehlerhaft; so entstandene Fehler seien im frühesten Stadium in den Zellen angelegt. „Kann man den Einsatz solcher Zellen zur Therapie am Menschen wollen?“ fragte Winnacker (dazu auch DÄ, Heft 17/2004). Nobelpreisträgerin Prof. Dr. rer. nat. Christiane Nüsslein-Volhard, Tübingen, betonte zudem die „engen natürlichen Grenzen“, die den Visionen Schranken setzen würden. Doch trotz dieser Bedenken forderten die meisten Referenten, das deutsche Stammzellgesetz zu novellieren. Das Gesetz sieht vor, dass nur embryonale Stammzellen eingeführt werden dürfen, die bereits am 1. Januar 2002 vorhanden waren und die in Übereinstimmung mit der Rechtslage im Herkunftsland gewonnen wurden. „Als Erstes wird die Stichtagsregelung fallen“, prognostizierte die thüringische Wissenschaftsministerin Prof. Dr.-Ing. Dagmar Schipanski. Nüsslein-Volhard kritisiert vor allem die in Deutschland herrschende „Scheinheiligkeit“. Das Stammzellgesetz erlaube deutschen Forschern nicht, bei der internationalen Forschung auf diesem Gebiet mitzuhalten. Nur wenige Referenten lehnten die embryonale Stammzellforschung und die Präimplantationsdiagnostik grundsätzlich ab. Zu ihnen zählte der katholische Bischof des Bistums Erfurt, Prof. Dr. theol. Joachim Wanke. Er hielt diese gentechnischen Möglichkeiten für mit der Menschenwürde unvereinbar. „Eine an Differenzierungsgrade gebundene rechtliche Bewertung des Status des Embryos führt dazu, die Lebensphasen des Menschen prinzipiell schutzlos zu machen“, betonte Wanke. Nüsslein-Volhard hält dagegen die Würde der Frau für vorrangig und fordert die Zulassung der Präimplantationsdiagnostik, weil es ihrer Ansicht nach mit der Menschenwürde nicht vereinbar sei, der Frau einen defekten Embryo zu implantieren. Erbkranke Föten könnten durch Pränataldiagnose bisher erst relativ spät während einer Schwangerschaft erkannt werden. Eine Frühdiagnose vor der Implantation würde die Tötung solcher Embryonen im fortgeschrittenen Stadium vermeiden. Ähnlich argumentiert auch Knoepffler in seinem anlässlich der Tagung erschienenen Buch „Menschenwürde in der Bioethik“. Wer davon ausgehe, dass dem Embryo und Fötus Menschenwürde und damit verbunden ein Recht auf Leben zukomme, werde diesem Lebensrecht Vorrang vor dem mütterlichen Selbstbestimmungsrecht geben, wenn die Mutter für die Schwangerschaft verantwortlich sei. Ausnahmen seien dann nur bei einer Vergewaltigung möglich oder wenn im Rahmen einer medizinischen Indikation ihr Leben bedroht ist. Wer dagegen davon überzeugt sei, dass Embryonen und Föten bis zu einem bestimmten Zeitpunkt keine Menschenwürde zukomme, werde die Annahme oder Nichtannahme des Kindes durch die Mutter anders gewichten. Prof. Dr. theol. Reiner Anselm, Göttingen, warnt grundsätzlich vor einer Überbewertung des Menschenwürdebegriffes. In einer Stellungnahme evangelischer Theologen mit dem Titel „Starre Fronten überwinden“, die von Anselm mitverfasst wurde, heißt es: „So wichtig die menschliches Handeln begrenzende Funktion von Menschenwürde und Gottebenbildlichkeit ist, so bildet sie dennoch nur einen Aspekt ihrer Bedeutung ab.“ Das Argument der Menschenwürde werde verkürzt, wenn nicht zugleich mit den Grenzen auch die Aufgaben des Menschen in den Blick genommen würden. Die Zuwendung zum Kranken gehöre zu den Kernbeständen der christlichen Ethik. Die therapeutisch begründete Embryonenforschung gewinne daher ihre moralische und religiöse Rechtfertigung. Eine „therapeutische Überlegitimation“ sei jedoch ethisch problematisch, weil sie falsche Hoffnungen wecke. Damit stehen die Verfasser der Stellungnahme allerdings in Widerspruch zum Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland, Bischof Wolfgang Huber, der für das Deutsche Ärzteblatt schrieb: „Die Forschung mit embryonalen Stammzellen wird mitunter auch mit dem Argument befürwortet, es sei ein Abwägungsprozess zwischen dem verfassungsrechtlichen Lebensschutz des Embryos einerseits und der ebenfalls verfassungsrechtlich 213 D O K U M E N T A T I O N geschützten Forschungsfreiheit andererseits nötig. Soweit jedoch das werdende Leben in Achtung und Schutz der Menschenwürde einbezogen ist, kann es eine solche Abwägung nicht geben. Denn die Menschenwürde kann nicht Gegenstand einer solchen AbwäGisela Klinkhammer gung sein.“ Weitere Informationen zum Thema Stammzellforschung und Präimplantationsdiagnostik sind abrufbar unter www.aerzteblatt.de/dossiers/embryonenforschung. Informationen zur Tagung: www.wartburgtagung.de Heft 33, 13. August 2004 Stammzellbericht Trügerische Ruhe S o mühsam auch vor zwei Jahren um das Stammzellgesetz gerungen wurde – lange wird dieser „ethische Damm“ dem steten Druck seiner Gegner wahrscheinlich nicht standhalten können. Erster Angriffspunkt wird wohl die Stichtagsregelung sein. Denn die importierten Stammzelllinien, die nach dem Gesetz vor dem 1. Januar 2002 gewonnen sein müssen, können mit tierischen Erregern verseucht sein. Jüngere Stammzellkulturen sind hingegen nie mit tierischen Feeder-Zellen in Berührung gekommen und könnten daher im Erfolgsfall auch für den klinischen Einsatz zugelassen werden. Zurzeit jedoch muss man keine Gesetzesänderung befürchten. Das tendenziell eher „forschungsfreundliche“ Regierungslager verhält sich ruhig.Unisono erklärten jüngst Bundesgesundheitsmini- sterin Ulla Schmidt und Bundesforschungsministerin Edelgard Bulmahn, das Stammzellgesetz habe sich bewährt. Das Genehmigungsverfahren zum Import von embryonalen Stammzelllinien nach Deutschland „bewahre hohe ethische Standards und schaffe sichere Bedingungen für die Forschung“, kommentierten sie den ersten Stammzellbericht der Bundesregierung, veröffentlicht Ende Juli. Auf 16 Seiten gibt er einen Überblick über die zwischen Juli 2002 und Dezember 2003 gestellten Anträge und den derzeitigen Stand der Stammzellforschung. Sieben gestellte und fünf genehmigte Forschungsanträge lassen zwar keinen Run auf dieses Forschungsgebiet vermuten – zumindest nicht in Deutschland. International steigt jedoch die Zahl der Publikationen und die Bedeu- tung der stammzellbasierten regenerativen Medizin. Und die Stimmen der deutschen Wissenschaftler, die rechtliche Probleme bei der Zusammenarbeit mit Forschergruppen im Ausland beklagen, werden lauter. Auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft fordert, die gesetzlichen Grenzen zu überdenken. Schmidt und Bulmahn schweigen. Beide sind mit Gerüchten konfrontiert, sie würden im Kabi-nett ausgewechselt. Der Bundesforschungsministerin, die sonst aus ihrem Wunsch, das Stammzellgesetz auszuweiten, auch öffentlich keinen Hehl macht, wird auch der Streit um die Spitzenuniversitäten und das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Juniorprofessuren schwer zu schaffen machen. Der Bericht und die wohlwollende Bewertung der Ministerinnen darf über eines nicht hinwegtäuschen: Das letzte Wort ist über das Stammzellgesetz noch nicht gesprochen. Dr. med. Eva A. Richter-Kuhlmann Heft 33, 13. August 2004 Präimplantationsdiagnostik Auf dem Weg zum Routineangebot Die Entwicklung der genetischen Untersuchung in sieben ausgewählten Ländern N ur ein generelles Verbot der Präimplantationsdiagnostik (PID) schützt vor einer Ausweitung der bisherigen Indikationen. Diese Schlussfolgerung zieht der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung des Bundestages in seinem jetzt vorgelegten Sachstandsbericht Präimplantationsdiagnostik. Darin werden Praxis und rechtliche Regulierung in sieben ausgewählten Ländern (USA, Belgien, Italien, Dänemark, Großbritannien, Frankreich, Norwegen) verglichen. 214 Bei einem völligen Verzicht auf regulierende Eingriffe und einer weitgehend freien Entwicklung von Angebot und Nachfrage könne davon ausgegangen werden, dass die Nutzung der PID nicht auf Einzelfälle mit besonderen Risiken oder sogar auf medizinische Indikationen begrenzt bleiben wird. Ähnlich wie bei der Pränataldiagnostik sei damit zu rechnen, dass sich die PID schrittweise als „Routinecheck“ im Rahmen der In-vitro-Fertilisations-Behandlung etabliere. Nur in Großbritannien und Frank- reich besteht eine detaillierte Regulierung der PID. In Großbritannien ist das zulässige Einsatzspektrum der Präimplantationsdiagnostik eher „unscharf oder offen gesetzlich“ definiert, was in der „Tendenz zu Fall-zu-FallEntscheidungen durch die zuständige Behörde führt, die jeweils dann, wenn sich neue Nutzungsoptionen für die PID eröffnen, unter Entscheidungsdruck steht“. Eine Barriere gegen eine Erweiterung des jeweils etablierten Anwendungsspektrums bilde dann meist D O K U M E N T A T I O N nur die interessierte Öffentlichkeit. In Frankreich sorgt eine Kommission oder Behörde für eine Zulassung beziehungsweise Kontrolle des „gesetzlich sehr eng definierten Spektrums zulässiger Indikationen“. Lediglich für Fälle „besonders schwerer, nicht heilbarer erblicher Erkrankungen“ darf die genetische Untersuchungsmethode angewendet werden. Auf diese Weise sei „die sukzessive Ausweitung des Einsatzes der PID auf die Diagnose von spontan auftretenden Chromosomenanomalien und damit auch auf das Screening zum Zweck der Erhöhung der Schwangerschafts- und Geburtenrate bei der künstlichen Befruchtung ausgeschlossen“. In Dänemark ist PID grundsätzlich zulässig, sie unterliegt allerdings einer besonderen Kontrolle durch das Gesundheitsministerium, da PID-Untersuchungen als Forschungsvorhaben behandelt werden. In Italien wurde im Dezember 2003 vom Senat des Parlaments ein Gesetz verabschiedet, das die Praxis der In-vitro-Fertilisation (IVF) erheblich eingeschränkt und die PID generell verboten hat. In den USA wird die Präimplantationsdiagnostik seit 1990 an einer Vielzahl von IVF-Kliniken praktiziert. Regelungen zur PID bestehen auf bundesstaatlicher Ebene nicht. Die konkrete Ausgestaltung der Praxis Tabelle ´ C C unterliegt fast ausschließlich der freiwilligen Selbstkontrolle der Ärzte. Eine verbindliche Einschränkung des Indikationsspektrums ist bisher nicht zu erkennen. Im Gegenteil – dort wird die PID sogar zur Geschlechtswahl als weitgehend legitim anerkannt. In Belgien ist die PID für ein „weites Spektrum medizinischer Indikationen“ zulässig. In Norwegen ist die PID nur bei einem Risiko für eine geschlechtsgebundene, schwere und nicht erbliche Erkrankung vorgesehen. Die Autoren des Berichts gehen davon aus, dass drei Anwendungsmöglichkeiten zu Diskussionen führen werden: Wenn sich herausstellen sollte, dass sich durch das Aneuploidie-Screening die Geburtenrate bei der IVF signifikant erhöhen lasse, „werden sicherlich Forderungen nach Zulassung eines entsprechenden Screenings erhoben werden. Die Nutzung der PID zur Selektion eines als Gewebespender geeigneten Embryos für ein erkranktes Geschwister wird wegen der Aussichten auf eine Therapie für ein schwer erkranktes Kind wahrscheinlich immer wieder zu Anträgen auf Zulassung führen“. Ein weiteres „Einfallstor“ für eine Erweiterung der Indikationen stellen schließlich auch Tests auf eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für das Auftreten einer multifaktoriell bedingten schweren Erkrankung ´ Rechtliche Regelung und Indikationsspektrum in den unterschiedlichen Ländern Aneuploidien Regelung Gewebetypisierung Krankheitsdisposition Geschlechtswahl („social sexing“) Regelung Praxis Praxis Regelung Praxis Regelung Praxis USA keine Großteil der PID keine wird praktiziert keine wird praktiziert keine wird praktiziert I* keine Großteil der PID keine in Vorbereitung keine ? keine ? B erlaubt wird praktiziert erlaubt wird praktiziert erlaubt Angebot verboten in Vorbereitung – DK erlaubt – verboten – nicht verboten – verboten – GB erlaubt eingeschränkt praktiziert erlaubt in praktiziert Ausnahmefällen nicht verboten – verboten – F verboten – erlaubt in –** Ausnahmefällen verboten – verboten – dar. Dabei wird jeweils darüber diskutiert werden, ab wann von einem „erheblichen Risiko“ gesprochen werden kann und ob die Nutzung schon bei eher gering erhöhter Wahrscheinlichkeit legitim sein könnte. Die Länderstudien verdeutlichen, „dass die praktische Anwendung der PID international weiter fortgeschritten ist, als in der Diskussion oft angenommen wird“. Wenn man die unvollständigen Daten zusammenfasse, ergebe sich „die Zahl von mindestens 1 600 Kindern, die bis Anfang 2003 in den sechs erfassten Ländern, in denen PID zulässig ist, nach Durchführung einer PID zur Welt gekommen sind“. Die tatsächliche Zahl der Kinder dürfte weitaus höher liegen. Das deutsche Embryonenschutzgesetz von 1990 „verbietet die Durchführung einer PID zwar nicht explizit, die Mehrheit der Experten geht jedoch von einem ableitbaren Verbot aus“, heißt es in dem Bericht. Der CSU-Parteivorstand forderte Mitte Juli ein eindeutiges Verbot der PID. Eine Zulassung der umstrittenen Präimplantationsdiagnostik könnte die Akzeptanz des Lebens mit Behinderung massiv verändern, sagte der Vorsitzende der CSU-Grundsatzkommission, Alois Glück. Der Gesundheitsexperte der FDP-Bundestagsfraktion, Detlef Parr, kritisiert die Forderung der CSU. Er versteht den ländervergleichenden Bericht so, dass dann, wenn Präimplantationsdiagnostik in engen Grenzen rechtlich zugelassen werde, kein Dammbruch zu Gisela Klinkhammer befürchten sei. Der Sachstandsbericht „Präimplantationsdiagnostik“ ist abrufbar unter www.aerzteblatt.de/plus3304. *Die Angaben für Italien beziehen sich auf die rechtliche Situation vor dem Verbot der PID im Dezember 2003. **Die Zulässigkeit wird erst durch die novellierten Bioethikgesetze in ihrer Fassung vom 11. Dezember 2003 bewirkt, sodass bislang kein HLAMatching durchgeführt worden ist.Allerdings liegen seit einiger Zeit Anträge auf Gewebetypisierung vor. 215 D O K U M E N T A T I O N Heft 36, 3. September 2004 Therapeutisches Klonen Rat gespalten Teil hält die Technik des Forschungsklonens bislang nicht für notwendig. Einig ist sich der Ethikrat nur darin, dass reproduktives Klonen verboten bleiben soll. ER nen: Ein Teil befürwortet das Forschungsklonen unter strengen Auflagen, ein anderer lehnt es aus ethisch-moralischen Gesichtspunkten grundsätzlich ab. Ein dritter Stellungnahme im September erwartet D er Nationale Ethikrat konnte Mitte August keine Einigung zu der Frage erzielen, ob das Klonen von menschlichen Embryonen zu Forschungszwecken (therapeutisches Klonen) künftig erlaubt werden soll. Auf eine Abstimmung unter den 25 Mitgliedern will der als eher forschungsfreundlich geltende Rat jedoch verzichten. Stattdessen sollen alle Argumente dargestellt und von den jeweils sie tragenden Mitgliedern unterzeichnet werden. Ähnlich war der Ethikrat vor gut einem Jahr bei seiner Stellungnahme zur Präimplantationsdiagnostik vorgegangen. Erwartet werden bei der für September angekündigten Stellungnahme zum therapeutischen Klonen drei Positio- Heft 37, 10. September 2004 L E X I Mit dem Begriff „Präimplantationsdiagnostik“ (PID) wird die Diagnostik an einem Embryo vor seinem Transfer in den Uterus der Frau bezeichnet. Dem sich im Anschluss an eine In-vitro-Fertilisation entwickelnden Embryo werden Zellen entnommen, die auf Chromosomenanomalien oder Genmutationen hin untersucht werden. Bei entsprechendem Befund wird der Embryo nicht in die Gebärmutter übertragen. Die Zellen werden gewöhnlich am dritten Tag nach der Befruchtung entnommen. Da davon ausgegangen wird, dass sich bis zum Achtzellstadium jede Zelle zu einem Embryo entwickeln kann (Totipotenz), wird in der Debatte in Deutschland, wo die Vernichtung totipotenter Zellen verboten ist, eine Biopsie im Blastozystenstadium vorgeschlagen. Das deutsche Embryonenschutzgesetz verbietet die Präimplantationsdiagnostik zwar nicht explizit, die Mehrheit der Experten geht jedoch von einem ableitbaren Verbot aus. Nach dem „Diskussionsentwurf K O N zu einer Richtlinie zur Präimplantationsdiagnostik“, den der Vorstand der Bundesärztekammer im Jahr 2000 vorlegte, sollte die PID restriktiv eingesetzt werden – nur bei wenigen Paaren mit hohem genetischen Risiko nach einem komplizierten Genehmigungsverfahren. Die Enquetekommission des Deutschen Bundestages „Ethik und Recht der modernen Medizin“ sprach sich mehrheitlich dafür aus, die PID zu verbieten. Eine Mehrheit des Nationalen Ethikrates plädierte dagegen für eine „eng begrenzte“ Zulassung der PID. Kritiker befürchten, dass die PID zu einer Diskriminierung behinderter Menschen führen könnte. Die Diskussion über die Zulassung der PID führte auch zu einer Debatte über die Schutzwürdigkeit von Embryonen. Dabei gibt es zwei konkurrierende Ansichten: Die eine überträgt die dem geborenen Menschen eigene Schutzwürdigkeit auf den Embryo, die andere spricht dem Embryo eine je nach seiner Entwicklungsstufe abgestufte Schutzwürdigkeit zu. Kli PID Heft 38, 17. September 2004 Nationaler Ethikrat Quadratur des Kreises M it seiner Stellungnahme zum Klonen ist dem Nationalen Ethikrat gleichsam die Quadratur des Kreises gelungen. Ohne unter den 25 Mitgliedern abzustimmen, veröffentlichte er am 13. September drei Positionen zum therapeutischen Klonen. Gleichzeitig empfiehlt der Rat jedoch am Ende einmütig – „unbeschadet der divergierenden Voten“ –, das Forschungsklonen in Deutschland gegenwärtig nicht zuzulassen. Bis zuletzt galt die Stellungnahme „Klonen zu Fortpflanzungszwecken und Klonen zu biomedizinischen Forschungszwecken“ als Nagelprobe für den 2001 durch Bundeskanzler Gerhard Schröder eingesetzten Ethikrat. Noch in den letzten Wochen seiner mehr als einjährigen Beratungszeit zu 216 diesem Thema blieb unklar, ob der Rat mit einer klaren Mehrheitsfindung Politik und Gesellschaft die Richtung weisen oder die ethisch-moralische Problematik des Klonens nur umfassend erörtern und damit auf seine „Wegweiserfunktion“ verzichten würde. Offenbar geht beides. Keine Abstimmung, kein Votum, dennoch eine einheitliche „Schluss-Empfehlung“, die politisch vorzeigbar ist. Bei der Frage, ob man das therapeutische Klonen zulassen sollte, scheiden sich derart die Geister, dass keine Pro- und Kontra-Position ausreichte, um die Ansichten des Rates zu beschreiben. Stattdessen sprechen sich die Vertreter der Position A (fünf Mitglieder) in der Stellungnahme klar für ein weltweites Verbot des For- schungsklonens aus und fordern, in Deutschland dieses Verbot strafrechtlich zu präzisieren. Die (zwölf) Vertreter der Position B halten das therapeutische Klonen generell für vertretbar, es sei jedoch eine Regulierung notwendig. Die (fünf) Vertreter der Position C vermissen noch Beweise für eine therapeutische Perspektive. So lange lehnen sie das Forschungsklonen ab. Die divergierenden Positionen sind ausführlich begründet und von den Mitgliedern unterzeichnet worden, die diese Ansicht vertreten. Drei Namen fehlen. Die Betroffenen konnten sich in keiner der drei Positionen wiederfinden. Die Anzahl der Unterzeichner werde nie explizit genannt und sei auch „unerheblich“, betont der Vorsitzende des Nationalen Ethikrates, Prof. Dr. Spiros Simitis. Absichtlich hätte man auf eine Abstimmung verzichtet, ein Mehrheitsvotum gebe es nicht. Dr.med. Eva A. Richter-Kuhlmann D O K U M E N T A T I O N Heft 40, 1. Oktober 2004 Forschungsklonen „Die Zeit arbeitet für die Wissenschaftler“ Der Nationale Ethikrat hat sich – trotz divergierender Voten – auf die Empfehlung verständigt, das Klonen von Menschen zu Forschungszwecken derzeit nicht zuzulassen. Prof. Dr. rer. nat. Regine Kollek, Dr. phil. Peter Radtke und Prof. Dr. iur. Jochen Taupitz erläutern die Positionen. DÄ: Der Nationale Ethikrat hat im September zum Thema Klonen Stellung genommen und dabei ein gemeinsames Votum abgegeben. Er empfiehlt, das Forschungsklonen zum gegenwärtigen Zeitpunkt zu verbieten. Gleichzeitig hat er drei unterschiedliche Positionen formuliert. Wie passen dieses Moratorium und die unterschiedlichen Positionen zusammen? War das Ganze ein politischer Kompromiss? Kollek: Das sehen die Vertreter der Positionen ganz unterschiedlich. Für die Position B war es ein politischer Kompromiss, das wurde auch explizit so gesagt. Für die Position C ist das Moratorium wissenschaftlich und sozialpolitisch begründet. Für die Vertreter der Position A war es eine Möglichkeit, aufeinander zuzugehen, obwohl sie ein prinzipielles Verbot dieser Technik gefordert haben. Es war der kleinste gemeinsame Nenner, auf den man sich einigen konnte – auch im Hinblick darauf, dass man versuchen wollte, eine gemeinsame Empfehlung an die Politik zu geben. DÄ: Wie lange soll das Moratorium gelten? Kollek: Das ist so konkret nicht diskutiert worden. Aber Vertreter der Positionen B und C machen Angaben zu den Bedingungen, die erfüllt sein müssen, um das Moratorium zur Diskussion zu stellen. DÄ: Position A geht grundsätzlich von der Unantastbarkeit der Menschenwürde und dem Schutz des Lebens aus. Herr Radtke, von welchem Zeitpunkt an definieren Sie das Leben als schützenswert? Radtke: Die Gruppe A will das menschliche Leben von der Vereini- gung von Ei- und Samenzelle an schützen. Zum einen aus weltanschaulichen, in meinem Fall aus pragmatischen Überlegungen. Selbstverständlich gibt es Einschnitte in der Menschwerdung, die in Bezug auf die Schutzwürdigkeit unterschiedlich bewertet werden. Das ist eine gesell- Fotos: Georg Lopata I N T E R V I E W Die stellvertretende Vorsitzende des Nationalen Ethikrats, Prof. Dr. rer. nat. Regine Kollek, Hamburg, hält als Vertreterin der Position C das Klonen menschlicher Embryonen zu wissenschaftlichen oder therapeutischen Zwecken für derzeit nicht vertretbar. Es müsse durch entsprechende Regelungen untersagt werden. schaftliche Festlegung. Deshalb sagen wir generell, dass ab dem frühestmöglichen Zeitpunkt Schutzwürdigkeit besteht, um nicht Willkür Tür und Tor zu öffnen. DÄ: Beim Forschungsklonen kommt es nicht zur Kernverschmelzung. Es werden auch keine totipotenten Zellen entnommen. Gilt hier trotzdem das Prinzip der Schutzwürdigkeit? Radtke: An die Stelle der Kernverschmelzung tritt der Kerntransfer. In allen Fällen ist die Anlage zu einem Embryo beziehungsweise zu einem späteren Menschen gegeben. Insofern verstehen wir nicht, warum auf der einen Seite das reproduktive Klonen einhellig abgelehnt wird, aber genau derselbe Prozess – das Forschungsklonen – von Teilen des Ethikrates anders gewertet wird. Wir sehen keinen Unterschied. Taupitz: Wir sehen einen großen Unterschied. Wenn man einem Menschen mit einem Messer in den Bauch sticht, kann man das in sadistischer Absicht tun. Wenn ein Arzt das tut, wird genau dieselbe Handlung von unserer Rechtsordnung anders bewertet. So sehen wir auch den Unterschied zwischen dem therapeutischen und dem reproduktiven Klonen. Beim reproduktiven Klonen sollen Menschen hergestellt werden. Beim therapeutischen Klonen soll kein Embryo in den Uterus einer Frau implantiert werden. Es handelt sich um eine völlig andere Absicht und um einen völlig anderen Kontext. Auch ist das Verfahren ein ganz anderes als das der natürlichen oder künstlichen Befruchtung. Und auch das Ergebnis ist ein anderes, weil nicht zwei verschiedene Chromosomensätze zu einem neuen Genom zusammengetreten sind, sondern nur der eine schon vorhandene Chromosomensatz des Zellkernlieferanten perpetuiert wird. DÄ: Wird dabei nicht menschliches Leben instrumentalisiert? Taupitz: Man muss erst einmal fragen, ob hier überhaupt menschliches Leben im Sinne des Menschenwürdeschutzes entsteht. Es ist sehr fraglich, ob die Entität, die beim therapeutischen Klonen entsteht, wirklich Menschenwürdeschutz genießt. Nach unserer Auffassung ist 217 D O K U M E N T A T I O N diese Entität nicht im gleichen Maße schutzwürdig wie ein geborener Mensch. DÄ: Wann beginnt für Sie die Schutzwürdigkeit? Taupitz: Der wesentliche Einschnitt ist die Nidation im Uterus einer Frau. Erst die Faktoren, die von der Frau ausgehen, führen zur Embryogenese. Ohne die Mutter geht nichts. Radtke: Die Festlegung eines Einschnitts hängt sehr stark von der eigenen Einstellung ab. Um einen objektiven Einschnitt zu definieren, sollte man deshalb den frühesten wählen. Taupitz: Wenn ich sage, für mich ist die Nidation der wesentliche Einschnitt, dann bringe ich damit zugleich zum Ausdruck, dass ich Ihre Ansicht achte. Ich glaube, das ist der gegenseitige Respekt, den wir uns zollen – auch im Ethikrat. Und wir sind uns einig, dass es keinen Einschnitt gibt, der der allein richtige sein kann. DÄ: Frau Kollek,wie sehen Sie die Frage des gestuften Lebensschutzes und der Unantastbarkeit der Menschenwürde? Kollek: Wir bewerten die frühen Entwicklungsstufen des menschlichen Lebens ähnlich wie Position A. Es ist nicht einleuchtend, den Transfer von Blastozysten in den weiblichen Körper in normativer Hinsicht als einen derart weitreichenden Einschnitt zu werten. Die extrakorporale Erzeugung menschlichen Lebens ist erst einmal selbst begründungspflichtig. Es ist auch nicht nachzuvollziehen, dass für den Klonembryo die gängigen Bewertungskategorien, wie zum Beispiel das Vorliegen von Totipotenz, nicht mehr zutreffen sollen. DÄ: Bei der fragwürdigen Schutzwürdigkeit kommt man mit der Entwicklungsmöglichkeit des Embryos nicht weiter, denn die Entwicklung wird ja von außen beschränkt . . . Taupitz: Die Schutzwürdigkeit wird dadurch begründet, dass die Entität prinzipiell die Fähigkeit hat, sich zu einem ganzen Menschen zu entwickeln. Wenn das nicht der Fall ist, fehlt die Basis. Sonst müsste man jede Hautzelle, jede Haarzelle schützen, weil durch die Reprogrammierungsmaßnahmen ein Mensch entstehen könnte. 218 Kollek: Die Manipulation einer Hautzelle ist keine ethisch verwerfliche Handlung, solange dabei kein Embryo entsteht. Das Problem besteht darin, dass sich das Vorliegen von Totipotenz aus ethischen Gründen nicht beweisen lässt, weil dies die Übertragung der erzeugten Entität in den weiblichen Körper erfordern würde. Deshalb müssen weitere Beurteilungskriterien entwickelt werden. Eines davon ist die Verwendung weiblicher Eizellen. DÄ: Würde sich Ihre Position ändern, wenn das Problem „Eizellverbrauch“ nicht mehr bestünde? hin. Zweitens möchte ich anfügen, dass ich das prinzipielle Votum nicht nur im Zusammenhang mit dem Beginn des Lebens sehe. Wenn wir eine abgestufte Schutzwürdigkeit definieren, gilt sie auch für andere Phasen des Lebens, beispielsweise das Ende des Lebens. Taupitz: Wenn man den Vorwurf des manipulativen Sprachgebrauchs erhebt, dann gilt er auch umgekehrt. Sie sprechen vom Embryo. Und es ist ja gerade die Frage, ob es ein Embryo im üblichen Sinne ist, was hier entsteht. Ihren zweiten Punkt finde ich sehr wichtig und unterstütze ihn. Denn in der Tat genießt der Leichnam anerkanntermaßen Menschenwürdeschutz – aber eben bezeichnenderweise nicht im gleichen Ausmaß wie ein noch lebender Mensch. Das heißt aber nicht, dass wir den Menschenwürdeschutz in der Phase vor dem Tod eines Menschen abstufen dürfen. DÄ: Momentan geht es hauptsächlich um das Forschungsklonen. Frau Kollek, selbst wenn das therapeutische Klonen in greifbarer Nähe sein sollte, glauben Sie als Biologin, dass man damit die Volkskrankheiten heilen könnte? Kollek: Das ist schwer vorstellbar. Stammzelltherapien sind aufwendig und teuer. Allenfalls werden sie – wie bei der Knochenmarkstransplantation – einem kleinen Kreis von Patienten zugute kommen. Dr. phil. Peter Radtke, München, vertritt im Ethikrat die Position A, die von der unantastbaren Würde des Embryos vom Beginn seiner Entstehung an ausgeht. Die Vertreter dieser Position plädieren daher für eine vorbehaltlose Beibehaltung des Verbots des Forschungsklonens. Kollek: Auch dann würde ich dafür Sorge tragen wollen, dass keine entwicklungsfähigen Embryonen erzeugt werden. Radtke: Ich möchte auf zwei Punkte aufmerksam machen. Erstens auf die manipulierende Terminologie der Gruppe B. Es ist für die Vertreter von Gruppe B sehr problematisch, den Begriff Embryo zu verwenden. Um dies zu verschleiern, wurde eine andere Form gefunden: Entität. Zudem wird immer vom „therapeutischen Klonen“ gesprochen. In Wirklichkeit handelt es sich aber um Forschungsklonen. Ob es zum therapeutischen Klonen führt, steht erst einmal da- DÄ: Hinzu käme der Eizellverbrauch. Beim Klonexperiment in Südkorea wurden 242 Eizellen verbraucht, um eine Stammzelllinie herzustellen . . . Kollek: Solange dieser Eizellbedarf nicht um Zehnerpotenzen gesenkt werden kann, ist das kein vertretbares Verfahren. Auch das Argument, dass sich die Frauen möglicherweise freiwillig als Eizellspenderinnen zur Verfügung stellen werden, überzeugt nicht. Die Instrumentalisierung des weiblichen Körpers als Rohstoff für medizinische Therapien ist nicht akzeptabel. DÄ: Herr Taupitz, halten Sie den hohen Eizellverbrauch nicht für problematisch? Taupitz: Doch, natürlich. Wir sagen deshalb, dass die Freiwilligkeit der Frauen sichergestellt sein muss. Aber wie kann D O K U M E N T A T I O N man mit dem Argument, das Frau Kollek vorgestellt hat, noch die Transplantationsmedizin zulassen? Auch bei der Lebendspende werden menschliche Körper als Ressource in Anspruch genommen. Kollek: Das sind medizinisch riskante Eingriffe, und darum sind sie auch in hohem Maße problematisch. Eine in großem Umfang erforderliche Lebendspende als Grundlage von Therapien gegen verbreitete Erkrankungen zu etablieren ist nicht vertretbar. Offensichtlich traue ich der Forschung viel mehr zu als Sie. Ich bin sicher, dass man Alternativmethoden entwickeln wird. Radtke: Gehen wir davon aus, dass das therapeutische Klonen möglich wäre. Es bestünde die Gefahr, dass sich nur die begüterten Menschen diese Möglichkeiten leisten können. Taupitz: Das haben wir heute bei den Transplantationen auch als grundlegendes Problem. Trotzdem kommt niemand auf die Idee zu sagen, wir schaffen die Lebendnierenspende oder die Lebertransplantation ab, weil die Verfahren teuer sind oder die Möglichkeit der Unfreiwilligkeit und Bestechlichkeit besteht. DÄ: Beim Eizellverbrauch für das therapeutische Klonen geht es aber um andere Quantitäten . . . Taupitz: Es sind Eizellen in unterschiedlichen Entwicklungsstadien vorhanden, die man weiter kultivieren könnte. Kollek: Das ist technisch zumindest derzeit nicht möglich.Aus explantierten Ovarien können nur wenige reife Eizellen gewonnen werden. Unreife Eizellen sind nicht in der Lage, die Entwicklung des frühen Embryos zu unterstützen. Wenn es tatsächlich einmal möglich werden sollte, aus explantierten Ovarien eine große Anzahl von reifen vollwertigen Eizellen zu gewinnen, müssen die Argumente neu abgewogen werden. Taupitz: Der Unterschied zwischen uns beiden ist – bezogen auf dieses Thema – die Skepsis, die bei Ihnen vorherrscht. Bei mir gilt der Optimismus, das Warten auf Weiterentwicklungen in der Medizin und die Hoffnung, dass sich dort etwas tut. Radtke: Das Problem ist doch, dass in den Medien genau auf diesen Optimismus, der im Augenblick nicht begründet ist, gebaut wird. Dem Leser, dem Zuschauer wird suggeriert, wir seien kurz vor dem Erreichen des therapeutischen Klonens. DÄ: Sollte der deutsche Gesetzgeber seine Gesetze ändern beziehungsweise das Thema Klonen erneut im Deutschen Bundestag öffentlich diskutieren? Taupitz: Das Embryonenschutzgesetz ist nicht so klar, wie immer wieder gedacht wird. Es verbietet zwar das Klonen von Embryonen, aber die Definition des Embryos ist sehr unscharf. Bei Prof. Dr. iur. Jochen Taupitz, Mannheim, hält als Vertreter der Position B die Verwendung von durch Klonen hergestellten Embryonen im Rahmen der Grundlagenforschung mit therapeutischer Zielsetzung für prinzipiell vertretbar. genauer Lesart erfasst das Embryonenschutzgesetz das Klonen durch die Methode des Zellkerntransfers nicht. DÄ: Man müsste also auch die Entstehungsvariante durch Kerntransfer aufnehmen? Taupitz: Ja, das müsste im Gesetz klargestellt werden. Im Sinne der Position A mit einem deutlichen Verbot und im Sinne der Position B durch eine Erlaubnis unter Vorbehalt einer Genehmigung. Radtke: Die Vertreter von A haben dem Moratorium nur zugestimmt, weil wir die Richtung als richtig ansehen. Wir akzeptieren keine zeitliche Begrenzung dieses Moratoriums. Insofern se- hen wir keinen Grund, das Embryonenschutzgesetz aufzuweichen. DÄ: Von der strafrechtlichen Seite des Embryonenschutzgesetzes sind die Wissenschaftler bereits jetzt betroffen. Einige bezeichnen die jetzige Stellungnahme des Nationalen Ethikrates als „forschungsfeindlich“. Was sagen Sie diesen Forschern angesichts der Tatsache, dass kürzlich in Großbritannien Klonexperimente erlaubt worden sind? Kollek: Man muss die forschungspolitische und forschungsstrategische Relevanz des Klonens bedenken. Es gibt auf der ganzen Welt kaum eine Hand voll Gruppen, die das derzeit tun oder tun wollen. Es sind noch viele wissenschaftliche Grundsatzfragen offen, die im Tierversuch oder in der Zellkultur geklärt werden können. Ich sehe kein Forschungshindernis. Taupitz: Ich finde, es ist aus dem Blickwinkel der Forschungsfreiheit keine akzeptable Antwort zu sagen: „Ihr könnt über andere Dinge forschen.“ Dann könnte man auch Geisteswissenschaftlern sagen: „Schreibt über andere Dinge.“ Im Moment ist in Deutschland noch nicht der Punkt erreicht, wo wir dem Gesetzgeber empfehlen, das Forschungsklonen freizugeben. Die Zeit ist politisch noch nicht reif. Kollek: Sie ist wissenschaftlich noch nicht reif. DÄ: Herr Radtke, glauben Sie, dass die Zeit jemals dafür reif sein kann? Radtke: Wenn ich Realist bin, würde ich sagen, die Zeit arbeitet für die Wissenschaftler. Nur das kann unsere Fraktion nicht davon abhalten, uns dagegenzustellen.Was mir in der ganzen Diskussion ein wenig fehlt, ist die Frage des Kommerzes. Wenn von der Freiheit der Forschung gesprochen wird, sollte man durchaus sagen, dass es auch ökonomische Gründe gibt, bestimmte Dinge zu forcieren. Taupitz: Das besagt aber gleichzeitig, dass bestimmte Leute denken, dass sie später damit Geld verdienen können. Und dies können sie mit dem Klonen nur, wenn Therapieansätze in die Praxis umgesetzt werden. Das ist eigentlich ein Argument, das alle hoffnungsfroh stimmen sollte. DÄ-Interview: Dr. med. Eva A. Richter-Kuhlmann, Gisela Klinkhammer, Heinz Stüwe 219 D O K U M E N T A T I O N Heft 41, 8. Oktober 2004 Heft 44, 29. Oktober 2004 Bundesrat „Klon-Patent“ Verbot des Klonens Klage gegen Brüstle Das Länderparlament nimmt Stellung zum Stammzellbericht. Greenpeace und Marburger Bund fordern den Widerruf des Patents. D D er Bundesrat spricht sich in einer Stellungnahme zum Ersten Stammzellbericht der Bundesregierung gegen jede Form des Klonens menschlicher Embryonen aus. Die Bundesregierung wird aufgefordert, „an dem in Deutschland bestehenden, im Embryonenschutzgesetz und im Stammzellgesetz verankerten Verbot des reproduktiven und therapeutischen Klonens festzuhalten“. Außerdem soll sie sich bei den im Herbst anstehenden Verhandlungen der Vereinten Nationen für ein umfassendes Klonverbot einsetzen. Kli ie Umweltschutzorganisation Greenpeace klagt beim Deutschen Patentamt in München gegen ein Patent des Bonner Stammzellforschers Prof. Dr. med. Oliver Brüstle. Das „Klon-Patent“ umfasse die Nutzung von Zellen aus menschlichen Embryonen und verstoße damit gegen das Verbot der kommerziellen Verwertung des menschlichen Körpers. Brüstle weist die Vorwürfe zurück. Die „kampagnenartig betriebene Aktion“ von Greenpeace stelle den Inhalt seiner seit Jahren bekannten Patentschrift völlig ver- zerrt dar. Das Patent beschreibe, wie aus existierenden embryonalen Stammzelllinien Ersatzzellen für das Gehirn und das Rückenmark gewonnen werden könnten. Eine Prüfung des Patents durch das Europäische Patentamt im Mai habe bestätigt, dass sich das Verfahren auf existierende Zelllinien beschränke und keine Zerstörung von Embryonen einschließe. Die Klinikärztegewerkschaft Marburger Bund unterstützt die Klage von Greenpeace. Der Vorsitzende, Dr. med. Frank Ulrich Montgomery, bezeichnete die Vergabe von Patenten auf Gene und Zellen als „würdelose Degradierung des Menschen zu Ersatzteillieferanten“ und forderte Brüstle auf, freiwillig auf sein Patent zu verzichten. Brüstle hatte als erster deutscher Wissenschaftler die Genehmigung erhalten, menschliche embryonale Stammzelllinen zu importieren. ER Heft 46, 12. November 2004 Spätabtreibungen Geteilte Verantwortung Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion fordert Gesetzesnachbesserungen zur Vermeidung von Schwangerschaftsabbrüchen nach der 22. Woche. D ie Diskussion über die strafrechtliche Bewertung des Schwangerschaftsabbruchs neu aufrollen will wohl niemand. Zu mühsam ist der Kompromiss zustande gekommen,der im Jahr 1995 zur Verabschiedung des Schwangeren- und Familienhilfegesetzes führte. Dennoch geht die Praxis der Spätabtreibungen der Unionsfraktion eindeutig zu weit. Deswegen hat sie jetzt einen Antrag zur „Vermeidung von Spätabtreibungen – Hilfen für Eltern und Kinder“ eingebracht. Schließlich hatte das Bundesverfassungsgericht vom Gesetzgeber eine Beobachtungs- und Nachbesserungspflicht gefordert, „wenn sich nach hinreichender Beobachtungszeit herausstellt, dass das Gesetz das von der Verfassung geforderte Maß an Schutz nicht zu gewährleisten vermag“. Die Unionsfraktion hält eine Nachbesserung für erforderlich, weil nach der 220 geltenden Vorschrift Schwangerschaftsabbrüche zeitlich unbegrenzt möglich sind. „Es muss davon ausgegangen werden, dass es auch in einer späteren oder gar späten Phase der Schwangerschaft, in der das ungeborene Kind außerhalb des Mutterleibes bereits lebensfähig wäre, noch zum Abbruch der Schwangerschaft kommt.“ Ursache für diese Spätabtreibungen ist die Aufnahme der so genannten embryopathischen in die medizinische Indikation. Damit sind, so die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG), Hürden verschwunden: die Beratungspflicht samt einer Bedenkzeit danach für die Mutter sowie die genaue statistische Erfassung der Abbruchgründe. „Vor allem Der Antrag der CDU/CSU-Fraktion „Vermeidung von Spätabtreibungen – Hilfen für Eltern und Kinder“ kann abgerufen werden unter www.aerzteblatt.de/plus4604. fiel jedoch die Grenze, jenseits derer ein Abbruch nicht mehr möglich ist – die 22. Schwangerschaftswoche.“ Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes wurden im letzten Jahr 128 030 Schwangerschaftsabbrüche gemeldet. 2 044 Abtreibungen wurden zwischen der 13. und 23. Woche vorgenommen. In 217 der gemeldeten Fälle kam es zu einem Schwangerschaftsabbruch nach der 23. Woche, wobei eine höhere Dunkelziffer wahrscheinlich ist. Die CDU/CSU-Fraktion stellt deshalb den Antrag an den Bundestag, die Bundesregierung aufzufordern, einen Gesetzentwurf zur wirksamen Vermeidung von Spätabtreibungen vorzulegen. Darin müsse klargestellt werden, dass ei-ne absehbare Behinderung allein kein Grund für einen Schwangerschaftsabbruch sein dürfe. „Die pränatale Diagnostik muss mit einer vorausschauenden, umfassenden Beratung durch einen fachkundigen Arzt verbunden sein.“ Außerdem soll die medizinische Beratung „in angemessener Weise“ um eine psychosoziale ergänzt werden. Die Krankenkassen sollten für die pränatale Diagnostik nur dann die Kosten übernehmen, wenn die Schwangere sich in der vorgeschriebenen Weise hat beraten lassen. Ob die Voraussetzungen für eine medizinische Indikation im Zusammen- D O K U M E N T A T I O N hang mit einer Behinderung des ungeborenen Kindes vorliegen würden, soll nach Ansicht der Unionsfraktion ein „interdisziplinär besetztes Kollegium“ aus Gynäkologen, Pädiatern, Psychologen und Humangenetikern entscheiden. „Durch ein solches Kollegium sollen insbesondere die Ärzte unterstützt werden, indem die Verantwortung für die Prognoseentscheidung nicht mehr allein einem einzelnen Arzt obliegt.“ Die Fraktion fordert außerdem, dass bei Vorliegen einer medizinischen Indikation vor einem Schwangerschaftsabbruch drei Tage Bedenkzeit einzuhalten seien, „sofern das Leben der werdenden Mutter nicht akut gefährdet ist“. Um den Eltern die Entscheidung für ein behindertes Kind zu erleichtern, fordert die Unionsfraktion „ein eigenständiges und einheitliches Leistungsgesetz für Behinderte“. Die DGGG fürchtet „den Haftungsdruck, der nach der aktuellen höchstrichterlichen Rechtsprechung (,Kind als Schaden‘) steigt“. Ausgehend von diesen Bedenken, fordert die Unionsfraktion deshalb die Bundesregierung dazu auf zu prüfen, ob eine ärztliche Haftung für Unterhaltsleistungen ebenso wie in Frankreich auf die Fälle grober Fahrlässigkeit beschränkt werden könne. Andernfalls besteht die Möglichkeit, wie von der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe befürchtet, dass im Zweifel ein Schwangerschaftsabbruch empfohlen werde, da der Arzt „im Falle eines geschädigten Kindes einen Haftungsprozess fürchten muss“. Das Weigerungsrecht der Ärzte, an einem Schwangerschaftsabbruch mitzuwirken, soll nach den Vorstellungen der Unionsfraktion nur für die Fälle einer unmittelbaren Lebensgefahr der Schwangeren ausgeschlossen werden. Gefordert wird schließlich auch eine statistische Erfassung von Problemfällen, insbesondere zur Sicherstellung der Meldung aller Spätabtreibungen. Erfasst werden sollen die Art der jeweiligen Behinderung, der Zeitpunkt des Schwangerschaftsabbruchs sowie die „Art des Eingriffs und beobachtete Komplikationen, insbesondere bei potenzieller extrauteriner LebensfähigGisela Klinkhammer keit des Kindes“. Heft 46, 12. November 2004 Präsidentschaftswahl in den USA Bioethische Schranken A uch wenn die Mehrheit der Deutschen vom Ausgang der Präsidentschaftswahlen in den USA enttäuscht ist – zumindest aus dem bioethischen Blickwinkel ist der Wiederwahl von George W. Bush Positives abzugewinnen. Der betont religiöse Republikaner hatte sich während seiner Präsidentschaft massiv für den Schutz des ungeborenen menschlichen Lebens ausgesprochen. Die staatliche Förderung der Stammzellforschung beschränkte er auf embryonale Stammzelllinien, die bereits vor dem 9. August 2001 hergestellt worden waren. Sein demokratischer Herausforderer John Kerry hingegen plädierte während des Wahlkampfs für die Forschung mit embryonalen Stammzellen ohne Stich- tag. Im Falle eines Wahlsiegs wolle er in großem Stil Fördermittel in diesen Bereich pumpen, hatte Kerry angekündigt. Unterstützung erhielt der Demokrat von den Angehörigen des verstorbenen US-Präsidenten Ronald Reagan und des Schauspielers Christopher Reeve, aber auch vom republikanischen Gouverneur von Kalifornien, Arnold Schwarzenegger. Der würde Kalifornien gern weltweit auf Platz eins der embryonalen Stammzellforschung sehen. Parallel zur Präsidentschaftswahl waren die kalifornischen Wähler aufgerufen, über die „Prop 71“ abzustimmen. Das Resultat: Mehr als zwei Drittel befürworteten diese Initiative von Wissenschaftlern, Prominenten und Unternehmern, die Stammzellprojekte jährlich mit 295 Mil- lionen Dollar über einen Zeitraum von zehn Jahren unterstützen will. Eine emotional geführte Kampagne hatte die baldige Heilung von Volkskrankheiten in Aussicht gestellt. Mit Proposition 71 wird erstmals ein US-Bundesstaat beträchtliche Summen in den umstrittenen Forschungsbereich investieren – und zwar an Bush vorbei. Auf Deutschland könnte die Initiative mittelfristig den Druck erhöhen, die eigene Stichtagsregelung zu überdenken. Zunächst aber wird Bushs erneute Präsidentschaft die UN-Verhandlungen zum internationalen Klonverbot beeinflussen. Sie wa-ren während des Wahlkampfes ins Stocken geraten. Nun ist klar, dass sich die USA erneut hinter ein generelles Klonverbot stellen werden. Für die Bundesregierung sollte dies ein zusätzliches Argument sein, für ein weltweites Verbot des reproduktiven und therapeutischen Klonens zu stimmen. Dr. med. Eva A. Richter-Kuhlmann 221 D O K U M E N T A T I O N Heft 48, 26. November 2004 Klonverbot Kompromiss angestrebt Ein komplettes Klonverbot bleibt auf UN-Ebene nicht durchsetzbar. N ach längeren Verhandlungen zum internationalen Klonverbot zeichnet sich bei den Vereinten Nationen ein Kompromiss ab.Am 19. November einigten sich die Vertreter des UN-Rechtsausschusses in New York darauf, eine gemeinsame, aller- dings völkerrechtlich nicht bindende Deklaration zu verabschieden. Über den genauen Wortlaut der Erklärung wird in den nächsten Wochen beraten. Belgien schlägt vor, das Klonen von Menschen oder menschlichen Lebewesen (human being) zu verbieten. Italien besteht dagegen, in der Annahme, dass menschliches Leben bereits mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle beginnt, auf der Formulierung „menschliches Leben“ (human life). Strittig bleibt weiterhin auf UN-Ebene, ob nur das reproduktive Klonen oder auch das therapeutische beziehungsweise das „Forschungsklonen“ verboten werden soll. Bisher stand einer Initiative von Belgien ein Antrag von Costa Rica gegenüber, der ein komplettes Klonverbot vorsah. Unterzeichnet wurde er von den USA, Italien und rund 60 weiteren Staaten. Die ursprüngliche belgische Initiative, unterstützt von 25 Ländern wie Großbritannien, China und Singapur, wollte das reproduktive Klonen verbieten, beim „Forschungs-Klonen“ aber nationale Regelungen zulassen. ER die unter anderem auch die Einführung eines Stichtages vorsahen, scheiterten. Im laufenden 6. Forschungsrahmenprogramm der EU ist deshalb nicht geregelt, welche Form von Stammzellforschung unterstützt werden soll. Lediglich die Herstellung von Embryonen zu Forschungszwecken ist bis 2006 verboten. Damit besteht die Gefahr, dass Vorhaben gefördert werden, die in Deutschland bei Strafe verboten sind. Auch nach der EU-Erweiterung hat sich die Machtkonstellation zwischen EU-Kommission und den EU-Mitgliedstaaten wenig geändert. Einer aktuellen Studie der Kommission zufolge verfügen weder Befürworter noch Gegner der Stammzellnutzung über die erforderliche Mehrheit im Rat der Europäischen Union. Beide Seiten können jedoch mit einer Sperrminorität das andere Lager blockieren. Das Patt würde erneut zu Rechtsunsicherheit führen. Denn der vom neuen Forschungskommissar Janez Potocnik abgelöste Philippe Busquin hatte angekündigt, die Gewinnung neuer Stammzelllinien erst zu fördern, wenn sich der Rat geeinigt habe. Auch in Deutschland bleiben die Ansichten über die Förderung der Stammzellforschung unterschiedlich. „Es darf keine Blockadeversuche europäischer Stammzellforschung durch deutsche Sonderregelungen geben“, sagt Ulrike Flach, FDP. Regierungskoalition und die Union setzen sich dagegen für den (vorläufigen) Erhalt der Stichtagsregelung und ihre Erweiterung auf Europa ein. Dies ist nachzuvollziehen. In der Tat sollten Projekte, die den ethischen Grundwerten vieler Mitgliedstaaten widersprechen, nicht durch deren Beiträge zur EU-Forschung finanziert werden. Dr. med. Eva A. Richter-Kuhlmann Heft 49, 3. Dezember 2004 Stammzellforschung Patt in Europa D ie Europäische Kommission beabsichtigt nicht, bei der Forschungsfinanzierung eine Stichtagsregelung für die Forschung mit humanen embryonalen Stammzellen einzuführen. Dies ließ Richard Escritt, Forschungsdirektor innerhalb der EU-Kommission, jüngst bei einer Befragung durch den Forschungsausschuss des Deutschen Bundestages verlauten. Damit steht fest: Die Debatte um die Finanzierung der Embryonenforschung aus dem europäischen Haushalt wird bei der jetzt anstehenden Planung des 7. Forschungsrahmenprogramms eine Neuauflage erhalten. Gestritten wird um diese Frage bereits seit Jahren. Mehrere Konsensgespräche, Heft 51–52, 20. Dezember 2004 Embryonale Stammzellforschung Trügerische Ruhe Änderungen des Stammzellgesetzes wird es vorerst nicht geben. Doch unter der Oberfläche brodelt es. E s sollte Ruhe herrschen. Doch kurz vor dem Weihnachtsfest ist die Debatte um die embryonale Stammzellforschung wieder entfacht. Anfang Dezember setzte die FDP bei einer von ihr beantragten Aktuellen Stunde im 222 Bundestag erneut zu einem Vorstoß an. Sie forderte die Abschaffung der Stichtagsregelung für den Import von menschlichen embryonalen Stammzelllinien und eine Änderung des Embryonenschutzgesetzes. Anlass war eine Volksabstimmung in der Schweiz. Zwei Drittel der Wähler sprachen sich dort dafür aus, embryonale Stammzellen aus so genannten überzähligen Embryonen zu gewinnen und für die Forschung zu nutzen. Überall in der Welt würden die Chancen der embryonalen Stammzellforschung offensiv aufgegriffen, beklagte Ulrike Flach (FDP). Nur Deutschland isoliere sich durch die Fundamentalposition von Rot-Grün und Teilen der Union immer mehr. Bei der Mehrheit der Bundestagsabgeordneten stößt die FDP mit solchen Argumenten auf wenig Gegenliebe. Dies wurde in der Debatte deutlich.Anders dürfte es indessen beim Kanzler D O K U M E N T A T I O N und bei zumindest drei seiner Bundesminister aussehen. Das weiß Flach. „Wer regiert denn eigentlich in diesem Lande?“ fragte sie provokativ. Doch Wirtschaftsminister Wolfgang Clement, Forschungsministerin Edelgard Bulmahn und Justizministerin Brigitte Zypries schweigen eisern. In der Vergangenheit hatten sie wiederholt öffentlich für eine Lockerung der gesetzlichen Bestimmungen geworben. Nicht aber in den letzten Wochen. Zuletzt hatte Clement bei der Haushaltsdebatte im September die „Bremsen bei Forschung und Entwicklung“ kritisiert. Auffällig ist besonders die Zurückhaltung von Bulmahn. Lediglich ihr parlamentarischer Staatssekretär wagte sich vor: „Wenn reale Perspektiven für die klinische Anwendung der embryonalen Stammzellforschung bestehen, muss das Gesetz neu verhandelt werden“, sagte Wolf-Michael Catenhusen bei einer Tagung der Deutschen Gesellschaft für Regenerative Medizin Ende November in Berlin. „Gesetzliche Rahmenbedingungen sind nur Kompromisse auf Zeit.“ In dieser Legislaturperiode sei eine Gesetzesänderung jedoch nicht zu erwarten. Offenbar gilt in Kanzleramt und Ministerien die Zeit dafür als noch nicht reif. Vor allem nicht jetzt, da nach der Wiederwahl von George W. Bush auch die USA weiterhin einen restriktiven Weg verfolgen werden. In Europa wird das Thema Stammzellforschung derzeit ebenfalls verhalten diskutiert. Janez Potocnik, der neue EU-Forschungskommissar, steht der Stammzellforschung zurückhaltender als sein Vorgänger Philippe Busquin gegenüber und will zunächst „alle Meinungen in Betracht ziehen“, ehe er Projekte, bei denen embryonale Stammzellen verwendet werden, mit EU-Geldern fördert. Auf ruhige Gemüter scheint auch die Bundesregierung zu setzen. „Eine Polarisierung der Debatte muss vermieden werden“, betonte Catenhusen. Man müsse Rücksicht auf die deutsche Kultur nehmen. Politische Entscheidungen seien sonst nicht haltbar. Lägen neue Forschungsergebnisse vor, müsse man einen Weg finden, den die Gesellschaft mitgehen kann. Bis dahin werden die Wissenschaftler zumindest finanziell von staatlicher Sei- te unterstützt. 36 Millionen Euro stellt das Bundesforschungsministerium derzeit für Projekte auf dem gesamten Gebiet der Regenerativen Medizin zur Verfügung. Gleichzeitig arbeitet Buhlmahn an einer Forschungsstrategie für die Regenerative Medizin. Sie soll im Frühjahr 2005 veröffentlicht werden. Als Grundlage könnte dafür das Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Regenerative Medizin dienen, das auf der Tagung vorgestellt wurde. Kliniker, Naturwissenschaftler und Ingenieure aus den großen Forschungsorganisationen Deutschlands fordern darin eine Vernetzung der Forschungsbereiche, die Orientierung auf die klinische Anwendung, eine verstärkte Aufklärung der Öffentlichkeit sowie die Überwindung von Entwicklungshemmnissen. Welchen Weg die Stammzellforschung in Deutschland einschlagen sollte, ist auch unter Wissenschaftlern umstritten. Während einige Grundlagenforscher embryonale Zellen favorisieren, setzt beispielsweise der Kardiologe Prof. Dr. Bodo-Eckehard Strauer, Universität Düsseldorf, auf adulte Stammzellen. Zur Myokardregeneration nach Herzinfarkt injizierte er Patienten intrakoronar humane autologe Stammzellen. „Der Funktionsdefekt halbierte sich“, berichtete Strauer Ende Oktober Bundestagsabgeordneten. Als Ursache nimmt er dafür eine direkte Zell-Transdifferenzierung, eine zytokinvermittelte sowie endogene Stimulation der Myokardregeneration an. Prof. Dr. med. Jürgen Hescheler, Universität Köln, und Dr. med. Wolfgang M. Franz, Universität München, bezweifeln Strauers Ergebnisse. „Es ist strittig, ob sich aus adulten Knochenmarkszellen tatsächlich Herzmuskelzellen entwickeln“, sagte Franz. Auch Hescheler betonte, dass sein Team keine Transdifferenzierungsprozesse bei adulten Zellen nachweisen konnte. Stattdessen präsentierte der Neurophysiologe zuckende Herzmuskelzellen, die er aus embryonalen Stammzellen gezüchtet hatte. Für die Zukunft hofft Hescheler, embryonale Stammzellen gewinnen zu können, ohne die Blastozyste zu zerstören – ein entsprechendes Projekt sei jedoch bisher nicht genehmigt worden. „Die Gesellschaft sollte besser informiert werden und sich hin- ter die Wissenschaft stellen, die, wenn sie nicht weiter blockiert wird, konkrete Ergebnisse zur Therapie schwerwiegender Krankheiten liefern kann“, forderte der Wissenschaftler. Das sehen viele Politiker, Bürger und auch Forscher anders. Von einer Blokkade könne im derzeitigen Stadium der Forschung keine Rede sein, meinen sie. „Es bedarf keiner Gesetzesänderung. Wir werden an dem Grundsatz festhalten: Grundlagenforschung ja, aber kein Verbrauch von Embryonen für die Forschung in Deutschland“, brachte es Dr. Maria Böhmer (CDU/CSU) in der Aktuellen Stunde nochmals auf den Punkt. Nach dem 2002 beschlossenen deutschen Stammzellgesetz dürfen nur embryonale Stammzelllinien zu Forschungszwecken verwendet werden, die bereits vor dem 1. Januar 2002 existierten. Der Bundestag hatte sich auf diesen Kompromiss geeinigt, um zu verhindern, dass Embryonen eigens für die Forschung getötet werden. Auch die als eher liberal geltende SPD-Forschungsexpertin Dr. Carola Reimann stimmte zu. Sie wolle keine „permanente Lieferbeziehung zwischen Fortpflanzungsmedizin und Forschung“. Eine solche wäre aber in der Tat die Konsequenz einer embryonenverbrauchenden Forschung beziehungsweise Medizin. Die Reproduktionsmedizin unterliegt in Deutschland strengen Regelungen. Unbegrenzte Lager mit „überzähligen Embryonen“ gibt es hierzulande nicht. Dazu müsste schon das Embryonenschutzgesetz geändert Dr. med. Eva A. Richter-Kuhlmann werden. 223