8 Medizin Aufgaben und Herausforderungen der modernen Herzchirurgie ­ Die 66 TOPFIT präsentiert Herzchirurgische Klinik und Poliklinik am Klinikum der Universität München (LMU), Campus Großhadern Nach den Daten der Deutschen Gesellschaft für Herz-, Thorax- und Gefäßchirurgie ist heute bereits jeder zweite Patient, der in Deutschland herzchirurgisch versorgt wird, über 70 Jahre alt, während der Anteil 1994 gerade einmal bei 25 Prozent lag. In den letzten drei Jahren erreichte der Anteil der über 80-Jährigen die Zehn-Prozent-Marke, 2011 lag er bereits bei über zwölf Prozent. Die demographische Entwicklung nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa zeigt, dass wir hier in Bezug auf die Altersentwicklung unserer Patienten noch lange nicht am Ende angekommen sind. 2030 wird der Anteil der über 80-Jährigen an der Bevölkerung bei ca. zehn Prozent liegen. Das stellt die moderne Herzchirurgie vor entsprechende Herausforderungen. Von Prof. Dr. med. Christian Hagl E twa 100 000 Herzoperationen werden jährlich in 83 deutschen Zentren durchgeführt, und die Herausforderungen an Hausärzte, Kardiologen und Herzchirurgen steigen kontinuierlich. Dies hat nicht allein mit dem Patientenalter zu tun, sondern auch damit, dass die Zahl jener, die mit einer Reihe von zusätzlichen Erkrankungen ärztliche Hilfe benötigen, wächst. Dabei stehen Erkrankungen der Lunge, Niere, Leber, aber auch des Bewegungsapparats oder der blutbildenden Organe im Vordergrund. Viele Patienten stellen sich mit einer Liste von Diagnosen vor, die noch vor 20 Jahren einen herzchirurgischen Eingriff unmöglich gemacht hätten. Diese Tatsache stellt uns täglich vor neue Aufgaben, auf die wir jeweils unterschiedliche Antworten finden müssen. Aufgrund der steigenden Anforderungen wurden in den letzten Jahren neue, moderne VerTopfit 1 / 2012 fahren etabliert, um schonender und individueller therapieren zu können. Neben minimal-invasiven Eingriffen (geringeres Trauma) wurden vermehrt Operationen ohne Einsatz der HerzLungen-Maschine durchgeführt, aber auch die Maschinen selbst wurden kontinuierlich in ihrer Funktion weiterentwickelt und verbessert. Darüber hinaus fanden neben der Stent-Implantation in Herzkranzgefäße durch die kardiologischen Kollegen, weitere katheter-basierende Verfahren Einzug in die Therapie von Herz­ erkrankungen. Hier hat die katheter-gestützte Implantation von Herzklappen (vgl. Abbildungen S. 9 oben links) bei Patienten mit einem extrem hohen Risiko für eine konventionelle Operation, neue Möglichkeiten eröffnet. Ähnliches gilt für endovaskuläre Verfahren an der Hauptschlagader (z. B. die innere Schienung bei krankhafter Gefäßerweiterung). Sonntag, 22. April, referiert Prof. Dr. med. Christan Hagl um 12 Uhr im Gesundheits­ forum auf der Messe »Die 66« über das Thema: Möglichkeiten und Grenzen der modernen Herzchirurgie Jeder ist willkommen. Zur Person Prof. Dr. med. Christian Hagl ist seit 1. Oktober 2011 Leiter der Herzchirurgischen Klinik und Poliklinik am Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität. Der gebürtige Münchner war u. a. Herzund Gefäßchirurg an der Uniklinik in Kiel, verbrachte zwei Jahre in New York und war zuletzt Leitender Oberarzt an der Klinik für Herz-, Thorax-, Transplantations- und Gefäßchirurgie der Medizinischen Hochschule in Hannover. Prof. Hagl ist Mitglied in zahlreichen wissenschaftlichen Fachgesellschaften und Kommissionen. Nähere Infos: Herzchirurgische Klinik und Poliklinik Klinikum der Universität München-Großhadern Marchioninistr. 15 · 81377 München Tel.: 089 / 70 95-29 51 www. klinikum.uni-muenchen.de Patientenadaptierte, individuelle Therapie In diesem Zusammenhang ist es wichtig, auf individueller Basis eine für den Patienten optimierte Therapie auszuwählen. Im Idealfall ist hier die Etablierung eines sogenannten Herzteams sinnvoll, d. h. die gemeinsame Beratung durch Kardiologen und Herzchirurgen, die Medizin nach Abwägung des Für und Wider aller Optionen mit dem Patienten gemeinsam die optimale Strategie festlegen. Voraussetzung hierfür ist eine enge Kooperation auf Augenhöhe zwischen den einzelnen Disziplinen, ohne dass Konkurrenzgedanken im Vordergrund einer Entscheidung stehen. Damit besteht die Möglichkeit, neben einer klappenerhaltenden Rekonstruktion der eigenen Herzklappe (offen oder minimal-invasiv), einem biologischen oder mechanischem Klappenersatz sowie katheter-gestützten Verfahren über die Herzspitze oder die Leistenschlagader und einigen weiteren Optionen eine Vielzahl von modernen Techniken zu wählen. Herzinsuffizienz – wenn das Herz versagt Die Herzmuskelschwäche ist heute weiter verbreitet als viele Krebsarten. Jedes Jahr entwickeln etwa zwei bis drei von 1000 Personen eine Herzinsuffizienz. In Europa leiden etwa 14 Millionen Menschen an dieser Krankheit, in Deutschland sind es geschätzte 1,8 Millionen. In den meisten Fällen entwickelt sich die Herzmus- Bilder mit Genehmigung der Firma Edwards Life Science Katheter-gestützte Aortenklappenimplantation: links über die Herzspitze (transapikal), rechts über die Leistenschlagader (transfemoral) kelschwäche schleichend, beispielsweise nach einem ausgedehnten Herzinfarkt oder wenn das Herz unter Dauerbelastungen wie einem gar nicht oder schlecht eingestellten Blutdruck oder Herzklappenfehlern steht. Hinzu kommen akutere Verläufe wie etwa bei bakteriellen oder viralen Infekten, die eine Herzmuskelentzündung zur Folge haben können. Neben medikamentösen Ansätzen stehen hier unterschiedliche invasive Verfahren zur Verfügung. Dabei hat die Behandlung der Grundkrankheit, z. B. durch Stentimplantation, moderne Bypass-Verfahren oder Klappenoperationen, einen hohen Stellenwert. Darüber hinaus kann unter Umständen auch die Implantation eines speziellen Herzschrittmachers zu einer deutlichen Besserung der Beschwerden führen. Hintergrund ist die Tatsache, dass manche Grunderkrankung des Herzens zu einer erheblichen Störung der elektrischen Erregungsausbreitung im Herzmuskel führen kann. Die verschiedenen Abschnitte des Herzens ziehen sich dann nicht mehr gleichzeitig, sondern zeitversetzt zusammen, sodass die Pumpkraft des Herzens nachlässt. Hier kann eine sogenannte Resynchronisationstherapie sinnvoll sein, bei der ein spezieller Schrittmacher dafür sorgt, dass die Herzmuskelabschnitte wieder gemeinsam funktionieren. Zusätzlich enthalten einige dieser speziellen Schrittmacher eine automatische Defibrillatorfunktion, um den plötzlichen Herztod durch Kammerflimmern zu verhindern. Schwerpunkte der Herzchirurgie der LMU Chirurgie der erworbenen Herzfehler mit und ohne Herz-Lungen-Maschine Koronarchirurgie (inklusive minimal-invasiver Techniken und komplett arterieller Revaskularisation) Chirurgie des akuten Herzinfarkts und dessen Folgen Chirurgie der Klappenerkrankungen, Klappenersatz, Klappenrekonstruktionen Chirurgie der Klappenerkrankungen, minimal-invasiver transapikaler und trans­ femoraler Aortenklappenersatz (Herzteam mit der Kardiologie) Chirurgie der angeborenen Herzfehler mit und ohne Herz-Lungen-Maschine Säuglingschirurgie Kinderherzchirurgie Chirurgie der Herzfehler im Heranwachsenden- und Erwachsenenalter Rhythmuschirurgie (Schrittmacher und Defibrillatortherapie) Chirurgie der herznahen Gefäße Herztransplantation Mechanische Kreislaufunterstützung und Kunstherz Die Herzchirurgische Klinik der LMU bietet einen 7-Tage-rund-um-die-Uhr-Dienst Patientenorientierte Beratung mit einem individuellen, interdisziplinären Therapiekonzept in Kooperation mit Kardiologen, Gefäßchirurgen und weiteren Nachbardisziplinen zur ganzheitlichen Optimierung ihrer Therapie. Betreuung durch hochqualifizierte Ärzte, hochmotivierte Pflege- und Fachkräfte unter Einsatz modernster Medizintechnik und bewährter OP-Verfahren. 9 Herztransplantation und Kunstherzen Mit dem bedauerlichen Rückgang der Anzahl an Herztransplantationen in den letzten Jahren in Deutschland und der zunehmenden Zahl an Patienten auf der Transplantationswarteliste (> 900) bestand die Notwendigkeit für alternative Therapiemöglichkeiten. So wurde mit Hochdruck an der Weiterentwicklung von Kunstherzen (implantierbare Minipumpen) gearbeitet, welche die Funktion des Herzens teilweise Technische Weiterentwicklung von Herzunterstützungssystemen Foto: Deutsches Ärzteblatt International oder vollständig ersetzen sollten. Die verbesserte Technologie, eine deutliche Größenreduktion (vgl. Abbildung oben) und ein verbessertes Blutgerinnungsmanagement haben dafür gesorgt, dass Patienten mit Kunstherzen heutzutage häufig eine gute Lebensqualität empfinden. Damit ist dieses Verfahren, welches ursprünglich nur zur Überbrückung bis zu einer Transplantation angewendet wurde, auch eine dauerhafte Therapieoption für Schwerstkranke, deren Organfunktionen zu versagen drohen. Entscheidend für den Erfolg dieses Verfahrens ist allerdings der Zeitpunkt der Implantation und der Allgemeinzustand des Patienten. Ausblick Die moderne Herzchirurgie in der LMU bietet heute vom sensiblen Neugeborenen bis hin zum hochbetagten Erwachsenen individuelle Therapiekonzepte und Möglichkeiten. Hierbei nehmen minimal-invasive Verfahren und Eingriffe ohne Herz-Lungen-Maschine mittlerweile einen wichtigen Stellenwert ein. Zudem wird die Zahl an sogenannten Hybrideingriffen, bei denen Herzchirurgen und Kardiologen in einem spe­ziell ausgerüsteten Operationssaal zusammenarbeiten, weiter ansteigen. Ähnliche Koope­ rationen bestehen in der LMU mit der Abteilung für Gefäßchirurgie (z. B. Behandlung der ­großen Körperschlagader) und der Abteilung für Thoraxchirurgie (z. B. Lungentransplantation). Da sich immer ältere und kränkere Patienten einem herzchirurgischen Eingriff unterziehen müssen, ist ein konsequentes interdisziplinäres Vorgehen sinnvoll. Hier ist die ganzheitliche Abklärung durch die niedergelassenen Hausund Fachärzte zur Risikoeinschätzung genauso wichtig wie die Versorgung in einem Zentrum, welches Spezialisten aus allen Fachgebieten der Medizin rund um die Uhr zur Verfügung stellt. Topfit 1 / 2012