Pressedossier _Anna Huber

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Anna Huber
Eine Frage der Zeit
19. / 20. September 2009
Dampfzentrale Bern
Marzilistrasse 47
3005 Bern
Foto: Caroline Minjolle
dossier
Anna Huber
Eine Frage der Zeit
Uraufführung: 29.10.2008, Dampfzentrale Bern
Konzept/Choreografie/Tanz:
Anna Huber
Musik:
Martin Schütz
Raum/Licht:
Thilo Reuther
Künstlerische Mitarbeit:
Markus Wolff
Kostüm:
Inge Zysk, Elke Schmid,
Anna Huber
Oeuil Extérieur:
Elke Schmid
Assistenz:
Petra Rusch
Produktion
annahuber.compagnie.
Koproduktion: Dampfzentrale Bern,
Theater Chur, Centre national de la
danse, Pantin/Paris, Tanzfabrik Berlin
Mit freundlicher Unterstützung von
Kultur Stadt Bern, Amt für Kultur des
Kantons Bern, Pro Helvetia Schweizer
Kulturstiftung.
Tanz ist wie sichtbar vergehende Zeit.
Alles ist in ständiger Veränderung. Nichts ist sicher. Wir können nichts festhalten.
Es gibt keine Gewissheit, ausser, dass alles irgendwann zu Ende ist. Jeder Moment ist einmalig und im nächsten Augenblick schon vorbei.
Wie speichern sich Erinnerungen im Körper, im Gedächtnis? Wie verändern sich
Erinnerungen im Lauf des Lebens? Wann verblassen sie? Was für Spuren hinterlassen sie?
Zeit hinterlässt Spuren, Narben, Falten. Zeit verwischt Spuren.
Wir rennen der Zeit hinterher, versuchen sie einzuholen. Die Zeit soll stehen
bleiben, langsamer vergehen, schneller vergehen. Wir wollen Zeit anhalten, festhalten, einfangen, einholen, wiederholen, die Zeit vergessen, zurückschrauben,
vorwärts spulen. An unserem Wunsch, das Fliessen der Zeit zu beeinflussen,
scheitern wir immer wieder.
Lauter Gegensätze und Widersprüche prägen die Bewegung der Zeit. Wachsen vergehen, beginnen - enden, Begegnung - Abschied, anwesend - abwesend, vorwärts – rückwärts, gewinnen - verlieren.
Wertvoll und vergänglich zerrinnt uns Zeit zwischen den Fingern.
Das Bewusstsein, dass Zeit für uns endlich ist, macht Zeit erst erfahrbar. Die
Grenze, das Ende macht uns das Vergehen der Zeit bewusst.
Zeit scheint grenzenlos und setzt uns gnadenlos ihre Grenzen.
Zeit gibt es ohne Ende und nie genug.
Nicht die Zeit vergeht, wir vergehen.
biografie
Anna Huber
Nach ihrer Tanzausbildung in Zürich arbeitet Anna Huber mit verschiedenen
Choreografen, u.a. mit Jo Fabian und Helena Waldmann. 1989 - 2007 lebt und
arbeitet sie in Berlin. Seit 2007 ist sie Artist in Residence an der Dampfzentrale
Bern und wird im Rahmen eines 3-jährigen Kooperationsvertrags von Kultur
Stadt Bern, Amt für Kultur des Kantons Bern und Pro Helvetia Schweizer Kulturstiftung unterstützt.
Während ihres Engagements am Staatstheater Cottbus beginnt Anna Huber 1993
ihre eigene choreografische Recherche. In Berlin entstehen seit 1995 die Soli in
zwischen räumen, brief letters (1996), unsichtbarst (1998), das
Gruppenstück die anderen und die gleichen (1999) und das Duo
l´autre et moi mit Lin Yuan Shang (1999). 2001 erarbeitet sie Stück
mit Flügel mit der Pianistin Susanne Huber und das Duett two,too mit der
tschechischen Tänzerchoreografin Kristyna Lhotáková. Seit 2002 entwickelt sie
die architekturspezifischen Performances umwege. 2004 choreografiert sie wolkenstück am luzernertheater für 5 Tänzer und 2 Musiker sowie das Solo hierundoderhierundoderhierundoderdort. 2005 erarbeitet sie das Trio
trois de pas am Theater St. Gallen. 2006 entsteht das Duo handundfuss
mit dem Schlagzeuger Fritz Hauser. 2008 entwickelt sie das Solo Eine Frage
der Zeit in Zusammenarbeit mit dem Musiker Martin Schütz. Diese Zusammenarbeit setzt in dem ortspezifischen Projekt timetraces fort. 2009 entsteht
in Kooperation mit dem Klavierduo huber/thomet tasten.
Mit ihren Stücken tourt Anna Huber international.
1998 erklären sie die Kritiker zur bemerkenswertesten Nachwuchschoreografin.
2001 erhält sie den Ellys Gregor-Förderpreis der Mary Wigman-Gesellschaft,
Köln. 2002 wird ihr mit dem Hans Reinhart-Ring die höchste Theaterauszeichnung der Schweiz verliehen und ihre Arbeit mit dem 1. Schweizer Tanz- und
Choreografiepreis 2002 (Kritikerpreis) ausgezeichnet.
2005 ermöglicht ihr ein Atelierstipendium der Zuger Kulturstiftung Landis & Gyr
einen halbjährigen Londonaufenthalt.
Arbeitsansatz
Anna Hubers Arbeit an der Schnittstelle von darstellender und bildender Kunst
und in ständiger Reibung zwischen Abstraktion und Emotion erforscht die künstlerischen Möglichkeiten von Tanz als immer wieder neu zu hinterfragender Formensprache.
Menschliche Bewegung ist in ihrer komplexen Einfachheit ein Experimentierfeld,
in dem sich Raum- und Zeitwahrnehmung ständig verändern. Ihre Flüchtigkeit
lässt Grenzgänge und Irritationen zu. Die Komplexität, Vielschichtigkeit und
Widersprüchlichkeit menschlicher Verhaltensmuster wird aus verschiedenen
Perspektiven untersucht und beleuchtet. Fragen nach Wahrnehmung, Identität und
Kommunikation werden ausgelotet. In Grenzbereichen, Zwischenräumen und
scheinbaren Gegensätzen, in der Lücke zwischen dem Möglichen und dem Unmöglichen finden sich inspirierende Neuentdeckungen. Der Körper im Raum ist
Instrument und Forschungsgegenstand gleichzeitig. Die offene Frage, das Paradoxe sind Thema und Motivation, weiter zu suchen.
Irene Sieben
Licht und Transparenz durchdringen das Repertoire von Soli, Duetten und Gruppenstücken der Anna Huber. Luzide auch das Klima ihres Forschungslabors.
Konsequent, immer wieder bei Null beginnend, befragt sie den Körper, fragmentiert, verwirft, um an der Schnittstelle zwischen Motion und Emotion den Sinn,
die Sinne, ihren Eigensinn zu enthüllen. Scharf konturiert, dicht und leicht ist ihre
Bewegungssprache, fern postmoderner Klischees, aufgeraut durch Kontraste.
Überraschend kippt sie in Komik, wenn sich die Glieder verwirren/entwirren.
Abstrakt, wenn sie ihre Körperarchitektur zum Schlagwerk Fritz Hausers mit der
Struktur bühnenunspezifischer Räume konfrontiert (ihr Ton-Tanz-Dialog spinnt
sich 2006 zum Thema handundfuss fort). Ergreifend konkret und verstörend in
ihrem Zwiespalt und Einsamkeit atmenden Doppel-Soloabend two ones mit
Kristyna Lhotáková. Als Tänzerin der freien Szene choreografiert die Bernerin
aus Berlin auch am Theater, zuletzt das vor Temperament und Humor sprühende
Trio trois de pas am Stadttheater St. Gallen.
Jahrbuch ballettanz 2005,
Katja Schneider
Für Ausdauer, Konsequenz und Nachhaltigkeit: Seit mehr als zehn Jahren leistet
Anna Huber mit ihren Recherchen zum tanzenden Körper im Raum Herausragendes. Es gelingen ihr immer wieder neue Perspektiven und Akzentuierungen; sie
wagt Grenzgänge und bleibt trotz aller Akribie flexibel und offen. Kein Stück
gleicht dem anderen, doch alle sind unverkennbar Anna Huber. Seit ihren frühen
Soli, die international beachtet wurden – in zwischen räumen war das erste
–, über die Duette mit Tänzerkollegen und Musikern, bis hin zu ihren Gruppenstücken, auch für andere Ensembles, in allem überzeugt Anna Huber mit Strenge.
Der Arm auf der Treppenstufe, das Bein im Türrahmen – winkelige Angelegenheiten in perfekter Entsprechung zur Architektur des Raums, in dem sie sich
bewegt. Hinter der formalen Kühle pulsen dabei Kraft, Temperament und – Humor.
Mit ihrer letzten Arbeit hierundoderhierundoderhierundoderdort
(als Teil von two ones) hat sie endgültig bewiesen, dass sie das Zeug zum
Klassiker hat. Anna Huber zeigt: Qualität setzt sich doch durch – und das lässt
hoffen.
Repertoire
timetraces (2009), Tanz: Anna Huber, Musik: Martin Schütz
Eine Frage der Zeit (2008), Tanz: Anna Huber, Musik: Martin Schütz
Stück mit Flügel (2001), Tanz: Anna Huber, Klavier: Susanne Huber
unsichtbarst (1998), Solo
hierundoderhierundoderhierundoderdort, Solo, bzw.
two ones (2004), zwei Soli von Anna Huber und Kristyna Lhotáková
Improvisationen mit Martin Schütz, Hans Koch u.a.
umwege (2002), architekturspezifisches Projekt
two,too (2001), Duett mit Kristyna Lhotáková
Biografie Anna Huber
Geboren 1965 in Zürich. Gymnasium, Tanz- und Theaterunterricht in Bern.
1985–88
seit 1989
1989–97
1988–92
1992–94
1995
1996
Tanzausbildung am ch-tanztheater in Zürich
in Berlin
Performanceprojekte mit:
Kazuo Ohno, Giorgio Barberio Corsetti, Saburo Teshigawara,
Meg Stuart, Susanne Linke u.a.
Engagements als Tänzerin in der Schweiz, Deutschland und Österreich
(u.a. Willi Dorner)
Engagement Tanztheater-Kompanie am Staatstheater Cottbus
(Regie/Choreografie: Jo Fabian, Elvira Schurig)
"Die Hawkingvariante" (Regie: Jo Fabian)
"face… à" (Regie: Helena Waldmann)
Werkverzeichnis /
Eigene Arbeiten
2009
2008
2006
timetraces Tanz: Anna Huber; Musik: Martin Schütz
Eine Frage der Zeit Konzept/Choreografie/Tanz: Anna Huber; Musik:
Martin Schütz; Raum/Licht: Thilo Reuther;
Premiere: Dampfzentrale Bern
2005
seit 2004
2004
2004
seit 2003
2002
2001
2001
1999
1999
1998
handundfuss Konzept/Musik/Tanz: Anna Huber, Fritz Hauser; Licht: Thilo
Reuther; Kostüm: Inge Zysk; Premiere: Dampfzentrale Bern
trois de pas Choreografie: Anna Huber; Tanz: Kristina Veit, Philipp
Egli, Nunzio Verdenero; Musik: Fritz Hauser; Raum/Licht: Bert de
Raeymaecker; Kostüm: Claudia Binder; Premiere: Stadttheater
St. Gallen
Improvisationen mit Martin Schütz, Hans Koch, Fritz Hauser u.a.
wolkenstück Konzept/Choreografie: Anna Huber; Musikkonzept/Live-Musik:
Susanne Huber, Fritz Hauser; Tanz: Linda Magnifico, Angela Müller, Sandro
Kolbe, Fernando Nicolas Pellicioli, Marco Volta;
Video: Heike Baranowsky; Raum/Licht: Thilo Reuther, David Hedinger;
Kostüm: Nina Lepilina; Dramaturgie: Brigitte Knöß;
Premiere: luzerntanz am luzernertheater
two ones 2 Soli, Premiere: Hebbel am Ufer, Berlin, bzw.
hierundoderhierundoderhierundoderdort Konzept/Choreografie/Tanz: Anna Huber; Musik: Martin Schütz; Licht: Thilo Reuther; Kostüm: Chris Kremberg
I am here, you are at home
Konzept/Choreografie: Kristyna Lhotáková, Ladislav Soukup; Tanz: Kristyna
Lhotáková; Musik: Ladislav Soukup; Licht: Jochen Massar
Neufassungen von umwege: Maison des Arts, Créteil (F), Le Manège, Maubeuge
(F), KKL Luzern (CH), ehem. Feuerwehrhaus der Vitra GmbH Weil/Rhein (D),
Kunstmuseum Stuttgart (D), CCS, Rom (I), Mambo
Bologna (I) u.a.
umwege Konzept: Anna Huber, Fritz Hauser; Choreografie/Tanz: Anna Huber;
Musik: Fritz Hauser; Licht: Thilo Reuther; Kostüm: Inge Zysk, Erstaufführungen:
Therme Vals, U-Bahnhof Potsdamer Platz, Berlin. Fundació Miró, Barcelona,
Akademie der Künste, Berlin.
two,too Konzept/Choreografie/Tanz: Anna Huber, Kristyna Lhotáková; Licht:
Thilo Reuther; Song: Sophie Huber; Kostüm: Katharina Montag; Uraufführung:
Theater am Halleschen Ufer, Berlin
Stück mit Flügel Konzept/Choreografie/Tanz: Anna Huber;
Klavier/Musikkonzept: Susanne Huber; Musik: György Ligeti, György Kurtág,
Franz Liszt; elektronische Musik: Martin Schütz; Kostüm: Inge Zysk; Uraufführung: luzerntanz am luzernertheater
l’autre et moi Choreografie/Tanz: Anna Huber, Lin Yuan Shang; Licht:
Hervö Gary; Musik: Martin Schütz; Kostüm: Inge Zysk;
Uraufführung: Theaterhaus Gessnerallee, Zürich
die anderen und die gleichen Konzept/Choreografie: Anna Huber;
Tanz: Heiko Büter, Vanessa Kienast, Fine Kwiatkowski, Kristyna Lhotáková,
Britta Schönbrunn, Günther Willhelm, Udo Zickwolf; Raum/Licht: Thilo Reuther;
Musik: Wolfgang Bley-Borkowski; Kostüm: Inge Zysk;
Uraufführung: Theater am Halleschen Ufer, Berlin
1996
1995
1994
1993
Tourneen
Preise
2001
2002
2002
unsichtbarst Konzept/Choreografie/Tanz: Anna Huber; Raum/Licht: Thilo
Reuther; Musik: Wolfgang Bley-Borkowski; Kostüm: Inge Zysk;
Uraufführung: Museum für Gegenwart im Hamburger Bahnhof, Berlin
brief letters Konzept/Choreografie/Tanz: Anna Huber; Raum/Licht: Thilo
Reuther; Live-Musik: Sebastian Hilken; Kostüm: Inge Zysk;
Uraufführung: Hebbel-Theater, Berlin
in zwischen räumen Konzept/Choreografie/Tanz: Anna Huber;
Raum/Licht: Thilo Reuther; Musik: Wolfgang Bley-Borkowski; Kostüm: Inge
Zysk; Uraufführung: Theater am Halleschen Ufer, Berlin
brief Choreografie/Tanz: Anna Huber; Musik: Georg Wieland Wagner;
Uraufführung: Staatstheater Cottbus
dualLein Choreografie/Bühne/Tanz: Anna Huber; Musik: Franz Petzold;
Uraufführung: Staatstheater Cottbus
Seit 1996 Tourneen in ganz Europa, Asien, Australien und Lateinamerika, ermöglicht durch Pro Helvetia Schweizer Kulturstiftung und das Goethe-Institut InterNationes
Ellys Gregor-Förderpreis der Mary Wigmann-Gesellschaft, Köln
Hans Reinhart-Ring
1. Schweizer Tanz- und Choreografiepreis 2002: Kritikerpreis
Lehrtätigkeit
Freie Universität Berlin, Masterstudiengang Tanzwissenschaft
Wintersemester 2007/08: Valeska-Gert-Gastprofessur für Tanz und Performance
Nachdiplomstudiengang Tanz, Uni Bern
Hochschule der Künste Bern
Palucca Hochschule Dresden
ETH Zürich
Jury Studienpreis Tanz Migros-Kulturprozent
Förderungen
Kultur Stadt Bern
Amt für Kultur des Kantons Bern
Pro Helvetia Schweizer Kulturstiftung
Senat für Wissenschaft, Forschung und Kultur, Berlin
Fonds Darstellende Künste, e.V., Essen
Hauptstadtkulturfonds Berlin
Atelierstipendium in London der Zuger Kulturstiftung Landis & Gyr
Koproduktionen
annahuber.compagnie. mit
Kulturhallen Dampfzentrale, Bern
luzerntanz am luzernertheater
presse
Anna Huber
Eine Frage der Zeit
Uraufführung: 29.10.2008, Dampfzentrale Bern
Theaterhaus Gessnerallee, Zürich
Theater am Halleschen Ufer, Berlin
Tanznacht Berlin
Theater St. Gallen
Marianne Mühlemann,
Der Bund,
31.10.2008
Evolution der Vergänglichkeit
Uraufführung des Solotanzstücks Eine Frage der Zeit von und mit Anna Huber in
der Dampfzentrale Bern
Sie ist auf der Höhe ihres tänzerischen Könnens: In ihrer jüngsten Soloperformance verblüfft die Tänzerin Anna Huber mit neuen Erkenntnissen zum Phänomen
Zeit.
In der Spannung ihres Körpers spiegeln sich ihre Gedanken. Zeit will sie gewinnen, Sekunden, Minuten, Zeit, dieses kostbarste aller Lebensgüter, das schon für
Aristoteles untrennbar mit Bewegung und Veränderung verbunden war. Explosiv
rennt sie in den Raum, mit wild drehenden Propellerarmen. Vorwärts, rückwärts,
schnell, schnell. Sie hetzt durch eine Wand von metallenen Klängen und Geräuschen (ab Band Martin Schütz) und kommt vor der Rückwand kurz zur Ruhe: Wie
Gletscherzungen hängen sieben glänzende Kunststoffläufer in den Bühnenraum,
breiten sich als Tanzteppich gegen das Publikum aus. Mit punktgenau nadelnden
Kreuzschritten grenzt Anna Huber die silbergraue Fläche ein. Als wäre sie ein
Becken für die eingebrachte Zeit...
Anna Huber findet ihre eigenen Bilder für ein Phänomen, das sich nicht im physikalischen Erleben erschöpft.
In einer ausgeklügelten Dramaturgie zwischen Lichtquadraten und atmosphäri-
schem Dämmerlicht (Thilo Reuther) spielt sie ihren Körper in eine Evolution der
Vergänglichkeit.
Sie verformt sich zum archaischen Insekt, zur filigran zugespitzten Körpernadel.
Sie balanciert ihren Körper durch ein perfekt komponiertes Kontinuum aus Bewegungselementen, die manchmal zeichenhaft-abstrakt wie Kalligrafie aufscheinen, manchmal als transparente Körperarchitektur zu lesen sind, die sich auflöst:
Etwa dann, wenn die Tänzerin ihren Körper im schwarzen Trikot vor dem dunklen Hintergrund zur Kugel verdichtet und – Schwarz auf Schwarz – unsichtbar
wird.
Körper-Ikebana
Huber verschiebt sich von einer Gletscherzunge zur andern durch Zeit und Raum.
Und spielt mit der Illusion der Zeitlosigkeit dahinter, wenn sie zwischen den
grauen Nähten in neue Weiten aufbricht und zu neuen Identitäten findet. Im roten
Glitzerkleid tanzt sie in einer Wolke aus Reiskörnern eine Andromeda-Galaxie.
Faszinierend, wie sie die Gleichzeitigkeit des Ungleichen in spektakulären Isolationen sichtbar macht, wie sie ihre Fingerfächer hinter dem Rücken zur KörperIkebana aufblühen lässt oder blitzschnell in die Leere greift, als gäbe es da unverbrauchte Zeitreste wie Mücken einzufangen. Und wenn sie in kurzen Staccati auf
die Erde klopft, scheinen da Zeitfunken zu sprühen, die ihr Uhrwerk neu mit
Energie versorgen.
«Nicht die Zeit vergeht, wir vergehen», sagt Anna Huber. Es ist das Fazit ihrer
Bewegungsrecherchen zum Thema Zeit. Wer bei der Premiere in der Dampfzentrale genau hinsah, erlebte indessen das Gegenteil: Die kompromisslose Tänzerin
zeigte in ihrer ersten Soloarbeit seit vier Jahren eine physische Klarheit, mentale
Präsenz und kompositorische Frische, als ob die Zeit an ihr vorübergegangen
wäre. Sie liess die Zeit vergessen.
Marlies Strech,
tanznetz.de
30.10.2008
Wie vom Himmel gefallen
Anna Hubers neues Solo Eine Frage der Zeit
Ende Oktober, früher Wintereinbruch in Bern. Beim Verlassen der Dampfzentrale
unten an der Aare fallen dicke Schneeflocken auf die mit Blättern bedeckten
Strassen. Dünne Strassenbeleuchtung. Eine Stimmung, so wirklich-unwirklich wie
zuvor bei der Uraufführung von Anna Hubers jüngstem Solo Eine Frage der
Zeit. Die Kreation, das sei vorweggenommen, ist ein Wurf. Man darf ihr eine
lange Zukunft prophezeien.
Wie eine Außerirdische erscheint Huber in Eine Frage der Zeit - vom
Himmel gefallen mit dem Schnee? Das neue Solo erinnert auch insofern an eine
Schneeflocke, als die Tanzelemente so ziseliert sind wie die Muster einer Flocke,
wenn man sie unter die Lupe nimmt. Zwar hat auch Anna Huber nur zwei Arme
und Beine, zwei Hände und Füße. Aber ihre Bewegungen im Großen und erst
recht im Kleinen nehmen hunderterlei Gestalt an. Manchmal erinnert die Tänzerin
an eine indische Gottheit mit vielen vibrierenden Armen, dann wieder reduziert
sich das Geschehen auf ein paar Finger, die auf dem Boden laufen. Kleinkindern
gleich, die miteinander spielen oder in Streit geraten.
Die Tänzerin scheint wirklich von einem andern Stern zu kommen.
Das Besondere an ihr sind die Neugier an ihrem eigenen biegsamen Körper, das
Erproben jedes einzelnen Müskelchens, das Staunen über sich selbst. Ihre Präzision. Alles mit der kühnen Ausdauer einer Forscherin.
Für einprägsame Strukturen in diesem filigranen Stück sorgt der Sound. Martin
Schütz hat eine Musik-Geräusch-Kulisse geschaffen, die an Weltraum erinnern, an
Sphärenklänge und Meteoritengeklirr. Am Anfang und Schluss erschreckt Schütz
durch Lautexzesse, zwischendurch bezaubert oder befremdet er mit Effekten aller
Art. Die Musik kommt vom Tonträger, doch ist sie in enger Zusammenarbeit mit
der Tänzerin entstanden.
Ein Wesen voller Gegensätze: schüchtern, subtil, introvertiert – und gleichzeitig
ausdauernd, energisch und weltbezogen. Für ihre Arbeit wurde Anna Huber vielfach ausgezeichnet: 1998 von der Zeitschrift Ballett International/tanz aktuell,
2001 von der Mary-Wigman-Gesellschaft Köln, 2005 mit dem Hans-ReinhartRing, dem wichtigsten Schweizer Theaterpreis. Auch Eine Frage der Zeit
erscheint medaillenverdächtig.
Lucie Machac,
Berner Zeitung,
31.10.2008
Von der Zeit verschluckt
Die Bernerin Anna Huber macht Zeit sichtbar: Ihre Soloperformance Eine
Frage der Zeit ist ein fesselndes Experiment mit dieser relativen und doch
unerbittlichen Dimension.
... hat die international beachtete Choreografin und Tänzerin mit Eine Frage
der Zeit in der Dampfzentrale eine Soloperformance präsentiert, wie man sie
von ihr gewohnt ist: formstreng und doch verspielt, simpel, aber raffiniert, unspektakulär und dennoch fesselnd.
Im Strudel der Zeit
Für die 43-Jährige bedeutet Tanz «sichtbar vergehende Zeit». Weshalb also nicht
die Zeit selbst zum Thema machen? Ein kahler, mit herabfliessenden schwarzen
Plastikbahnen begrenzter Raum scheint die ideale Spielwiese, um diese relative
Dimension sinnlich erfahrbar zu machen. Zum Beispiel, wenn die Zeit heimlich
davonläuft und Anna Huber ihr hinterherrennen muss. Oder umgekehrt, wenn die
Zeit sie von einem Ort zum nächsten hetzt, sodass der Körper samt wild rudernden Uhrzeiger-Armen vergeblich ums Gleichgewicht ringt. Sich im Strudel der
Zeit einzupendeln ist unmöglich, da kann Anna Huber ihren geschmeidigen Bewegungsapparat noch so lange zum Pendel umfunktionieren.
Dass sie aber mit scheinbar minimalen Mitteln die vierte Dimension
erschliessen kann, das muss ihr erst eine nachmachen.
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