Musikalischer Festgottesdienst mit dem Gloria D-Dur von Antonio Vivaldi (1678 – 1741) Liebe Gemeinde, in seiner Heimatstadt Venedig nannte man Antonio Vivaldi „il prete rosso“ den „roten Priester“. Sein Vater hatte ihm die roten Haare vererbt und ihn auf eine Karriere als Geistlicher vorbereiten lassen, um ihm sozialen Aufstieg zu ermöglichen. Antonio wurde zwar zum Priester geweiht, übte den Beruf aber kaum aus. Sein musikalisches Talent ließen ihn zum Geiger, Musiklehrer und Komponisten werden. Er bekam immer wieder Jahresverträge in einem der 4 kirchlichen „Conservatorien“ Venedigs. Conservatorium kommt von conservieren = aufbewahren, bedeutet also ursprünglich „Aufbewahrungs-Anstalt“, Haus für die vielen Findel- und Waisenkinder der Zeit. Das Conservarorium der Barmherzigkeit, „die Pietà von Venedig“, war speziell für Findelkinder. Dort gab es eine regelrechte Babyklappe, durch die jährlich ca 500 Kinder geschoben wurden. Die ausgesetzten Kinder bekamen dort eine Ausbildung, die Jungen eine handwerkliche, die Mädchen dagegen eine musikalische. Durch hartes Training und Auslese gingen aus den Conservatorien die Virtuosinnen Venedigs hervor. Mädchenorchester und Mädchenchor der Pietà erfreute sich bald eines legendären Rufes in Europa, nicht zuletzt auch durch die genialen Kompositionen Vivaldis. Kinder und Jugendliche zum Singen und Musizieren zu bringen, ist eine große und wichtige Aufgabe, daran hat sich nichts geändert. Mit Heranwachsenden musizieren, heißt sie ins Leben führen, sie zu gemeinsamer Lebensgestaltung anleiten. Es sind ja heute viele Musiklehrer und Pädagogen anwesend, sowohl hier vorne unter den Akteuren, als auch in den Bänken. Vielleicht kennen sie „das System“ von Venezuela. Das Netzwerk der venezolanischen Kinder- und Jugendorchester, eine wegweisenden Einrichtung, dort nur als „El Sistema“, das System bezeichnet. Es hat das Ziel, Kindern aus sozial schwachen Familien durch die Musik Würde, Selbstvertrauen und ein Leben jenseits von Gewalt und Drogen zu bieten. Begabte Kinder aus den Slums bekommen Stipendien, die es ihnen ermöglichen Instrumente spielen zu lernen. In den vierzig Jahren seit seiner Gründung entstand ein Netzwerk, das nicht nur für Hundertausende Kinder sinnstiftend wirkt, und ein weltbekanntes Orchester hervorgebracht hat. Christian Keimann, der Autor unseres Predigtlieds EG 34 war auch ein Pädagoge, der die Kinder seiner Zeit zum Singen brachte. Er war Schulmeister und Rektor des Gymnasiums in Zittau in der Oberlausitz, ein bedeutender Pädagoge und Verfasser von Schulbüchern, Schuldramen und Liedern. Im Jahre 1646, also noch während des furchtbaren 30jährigen Krieges, schrieb er das Lied „Freuet euch ihr Christen alle“, das meiner Predigt zugrunde liegt. Ein besonders festliches Lied: die vier Strophen werden umgeben und festlich bekränzt von einem Kehrvers „Freude Freude über Freude“. Damit nicht genug: zusätzlich wird das Lied noch von einem Halleluja umrahmt, ein Tanz im fröhlichen 6/4 Takt. Das Singen dieses Lieds wird also zu einer kleinen Aufführung, einer Festmusik über die Weihnachtsfreude. Keimanns Kollege, der Zittauer Kantor Andreas Hammerschmidt schuf die schwungvolle Melodie zum genialen Lied. Singen wir also das Halleluja, die 1. Strophe und Kehrvers Warum sind gerade die alten Weihnachtslieder so langlebig, so edel? Liegt es daran, dass sie nicht so sehr auf Gefühl und Stimmung setzen, sondern vielmehr schlicht auf Aussagen? Gefühle und Stimmungen können sich leicht ändern, bald auch abgeschmackt sein. Fakten, Tatsachen, Aussagen dagegen veralten nicht. „Gott hat viel an uns getan“ das ist eine der Tatsachen, die der Dichter Keimann anführt als Grund für die Weihnachtsfreude. „Gott hat uns so hoch geachtet, dass er sich mit uns befreundet hat.“ Schöner kann man das Geschenk des Christfests kaum benennen: Der große lebendige Gott und wir werden Freunde. Er achtet uns so sehr, dass er uns an sich bindet, einer von uns wird, dass er zur Welt kommt. Ja, er ist der „heruntergekommene Gott“! Singen wir Strophe 2 und den Kehrvers Der 30jährige Krieg war eine fürchterliche Zeit, ein wahres Trauma für die Menschen. Ganze Landstriche Deutschlands wurden verwüstet, entvölkert, die Ernten vernichtet, wer das Schlachten überlebte, fiel Seuchen und dem großen Hunger zum Opfer. Auch damals wurden Kindern von ihren Eltern ausgesetzt, aus Hungersnot. Man vermutet, dass es damals in Deutschland auch zu Kanibalismus kam. Das Märchen von Hänsel und Gretel, die von ihren Eltern in den Wald geschickt werden, weil sie sie nicht mehr ernähren können und die die böse Hexe verzehren will, stammt jedenfalls aus jener Zeit. Menschen wie Christian Keimann und Andreas Hammerschmidt erlebten ganz hautnah, wie hart, wie unbarmherzig und gnadenlos das Leben gerade zu den Kindern sein kann. Die Krippe ist hier kein warmer, weicher Stall, sondern eine dunkle Höhle, in der das Jesuskind hart liegen muss. Wie viele, zu viele Menschen ist das Leben bis heute keine Lust, sondern eine harte Last. Eltern, die nicht wissen, wie sie ihre Kinder ernähren sollen, die keinen Zugang zu sauberem Wasser haben, die nicht wissen, wie sie den nächsten Tag überleben sollen. Solchen Menschen muss man nicht erklären, was „Erlösung“ und was „Wonne“ ist, denn sie sehnen sich jeden Tag nach nichts anderem als Erlösung und Wonne. Und sie verstehen auf Anhieb, was eine „Gnadensonne“ ist. Eine Sonne, die nicht unbarmherzig brennt und das Leben versengt, sondern die gnädig wärmt, Leben fördert, ermöglicht und aufbaut. Normalerweise sind wir eher skeptisch, wenn sich in einem Lied „Wonne“ auf „Sonne“ reimen soll und die „Wonne“ gleich dreimal hintereinander bemüht wird. Das ist hier bemerkenswert anders. Hier entfalten diese Worte eine große, unvergleichliche Stahlkraft, eine ansteckende Freude. Denn die Gnadensonne, die hier scheint, ist eine Person und hat einen Namen: Jesus Christus ist die „Gnadensonne!“ Singen wir auch die 3 Str. In den ersten beiden Strophen wurde Christus, Gottes fleischgewordener Sohn besungen und die Freude begründet. Das Singende und Glaubende „Ich“ war gewissermaßen ein Betrachter. In dieser 3.Strophe wird das „Ich“ aktiv. Indem wir die Weihnachtsfreude besingen, werden wir tätig und das verändert uns. Wir danken, wir bekennen und bitten: „Lass mich von dir nicht wanken! Und nimm mich dir zu eigen hin!“ Wer so betet: „Nimm mich dir zu eigen hin!“ der oder die will und erfährt Veränderung. Der oder die will Christus angehören, ja ihm ganz gehören. „Wird Christus tausendmal zu Bethlehem geboren und nicht in dir; du bleibst noch ewiglich verloren“ so dichtet Angelus Silesius. Weihnachten kommt dann an sein Ziel, wenn Christus in uns geboren wird, d. h, wenn wir es ihm erlauben, in unser Leben zu kommen und wir dadurch in sein Kraftfeld gelangen. Wenn das geschieht, wenn Gottes gute Herrschaft uns bestimmt, dann werden wir verändert, immer wieder aufs Neue, unablässig und nachhaltig. Singen wir die 4. Str. + Kehrvers. Heute ist Stephanustag, Gedenktag des ersten Märtyrers der Kirche und Gebetstag für bedrängte und verfolgte Christen in aller Welt. Das soll heute nicht unerwähnt bleiben. Wir wollen und können nicht fröhlich feiern ohne an die zu denken, die eben das nicht können: fröhlich feiern. Weil sie tiefes Leid erfahren, ihres Lebens nicht sicher sind, angefeindet und bedrängt werden. Weihnachten ist ein Ausbruch der Freude in einer elenden Welt. Noch leben wir in einer gefallenen Welt, in der wir nicht aufgehen können, weil sie durch und durch von Feindschaft gegenüber Gott, von Hass und Krieg durchtränkt ist. Wir beten „dein Reich komme“, weil kein irdisches Reich und keine Regierungsform und sei es noch so ausgefeilt und modern, Gottes Willen ganz entspricht. Das macht uns jedoch nicht passiv, sondern vielmehr aktiv: der Glaube will uns am Werk sehen, als tätige Leute, so wie die Musiklehrer in Venezuela und bei uns, wie Vivaldi, Keimann und Hammerschmidt tätige Leute waren, damit die Kinder und Jugendlichen in einer besseren Welt leben können.. So geht am Ende der Blick in die Zukunft. „Schenke, was man bitten kann. Gib der ganzen Christenschar, Frieden und ein selig´s Jahr“. Darum beten wir „dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit“ weil wir zwar in dieser Welt sind, aber nicht von dieser Welt. Darum singen wir von einer anderen Welt, weil wir haben sie schon verschmeckt haben, weil wir schon das Bürgerrecht in ihr bekommen haben. Darum musizieren wir das Große Gloria und singen „Halleluja - Lobet den Herrn“. Gemeinde: „Halleluja“