Zur Vertiefung der Sozialismusvorstellungen - DKP

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Hearing der Programmkommission der DKP am 3.März 2001
Nina Hager
Zur Vertiefung der Sozialismusvorstellungen
Mir geht es um eine erste Sichtung der Fragen, vor denen wir im Zusammenhang mit der Sozialismusproblematik in der Programmdebatte der DKP stehen. In unseren Vorstellungen über eine
gesellschaftliche Alternative zum Kapitalismus kulminieren alle anderen Schwerpunkte der Programmdebatte. Viel Arbeit ist noch zu leisten.
Das sozialistische Ziel wird auch schon im gegenwärtig noch gültigen Programm der DKP von
1978 bestimmt. Dort heißt es: “Die DKP erstrebt die grundlegende Umgestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland. Das Ziel der Deutschen Kommunistischen Partei ist der Sozialismus. Er bildet die grundlegende Alternative zum historisch überlebten Ausbeutersystem. Als erste Phase der kommunistischen Gesellschaftsformation ist der
Sozialismus zugleich eine Etappe auf dem Weg zum Kommunismus...”.1
Dann wird dies genauer erläutert, die grundlegenden Merkmale des Sozialismus benannt. Wie
soll in den wesentlichen Grundsätzen eine sozialistische Gesellschaft aussehen, die ausgehen
würde von den Bedingungen in einem hochentwickelten kapitalistischen Land wie der Bundesrepublik Deutschland? Die Darstellung war relativ umfangreich und sie ging von der Existenz der
DDR und der anderen sozialistischen Staaten in Europa aus.
Das Programm von 1978 ist noch das gültige Parteiprogramm der DKP. Inzwischen haben sich
jedoch grundlegende gesellschaftliche Veränderungen vollzogen. Im Imperialismus gibt es neue
Entwicklungen, die im Referat von Leo Mayer auf unserem heutigen Hearing ausführlich analysiert wurden. Die sozialistischen Länder Europas existieren nicht mehr und damit nicht nur wesentliche Rahmenbedingungen des Kampfes für eine sozialistische Alternative . Ebenso haben
sich nicht wenige, die sich früher Kommunisten nannten, von ihren Überzeugungen oder Organisationen verabschiedet.
Die DKP existiert – im Gegensatz zu anderen Parteien – jedoch auch heute trotz aller Widerstände und Widrigkeiten in der Bundesrepublik als kommunistische Partei. Sie kämpft um ihren
Erhalt und ihre Stärkung. Ihre Mitglieder sind in Betrieben, in den Gewerkschaften und Kommunen, in antifaschistischen und Friedensbündnissen aktiv. Das stellt uns vor Herausforderungen und neue Aufgaben.
Im vergangenen Jahrzehnt waren drei Diskussionen wesentlich, um die Existenz der DKP als
kommunistische Partei zu sichern und die neuen Entwicklungen theoretisch zu reflektieren:
! Das war unsere Diskussion über Schlußfolgerungen aus dem Zusammenbruch und der Zerschlagung des Sozialismus in Europa,
! das war die vertiefte Analyse des Imperialismus unter den neuen gesellschaftspolitischen
Rahmenbedingungen in der Welt sowie
! unsere Haltung zur Theorie von Marx, Engels und Lenin, zur wissenschaftlichen Weltanschauung der kommunistischen und Arbeiterbewegung.
Die Ergebnisse dieser Diskussionen kann man nachlesen. In den "Thesen zur programmatischen
Orientierung der DKP", beschlossen auf dem Mannheimer Parteitag 1993, in den als Arbeits-
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und Diskussionsgrundlage beschlossenen Sozialismusvorstellungen der DKP (Sozialismus - die
historische Alternative zum Kapitalismus, 14. Parteitag der DKP, Hannover im Mai 1998), in
den Beschlüssen des 15.Parteitages und anderen Materialien. Unsere Position zur DDR kann
man zudem in den Erklärungen der DKP zu den 50. Jahrestagen der Gründung von BRD und
DDR 1999 sowie in der Erklärung zum 10.Jahrestag des Anschlusses der DDR lesen.
Gegenwärtig wird die 5.Parteivorstandstagung vorbereitet. Dort werden wir über die DKPPolitik in Ostdeutschland und die Jugendpolitik der Partei diskutieren.
Heute steht die DKP vor der Aufgabe, mit einem neuen Programm auch Zukunftsvorstellungen
zu entwickeln und dabei an die Diskussionen der letzten zehn Jahre anzuknüpfen. Dabei sehen
wir Veränderungen in der Gesellschaft, aber auch unterschiedliche Entwicklungen in anderen
linken Parteien und Organisationen der Bundesrepublik, die gleichfalls über Zukunftsvorstellungen nachdenken. Im Rahmen dieses Hearings können viele Fragen nur andiskutiert werden. Wir
laden hiermit zur Diskussion und zur Weiterdiskussion der Sozialismusvorstellungen der DKP
im Rahmen der Programmdebatte der DKP. Nicht nur, um die Debatte und den Meinungsstreit
zu nutzen, einen wichtigen Programmpunkt zu erarbeiten und damit ein Angebot für politische
und soziale Bewegungen, für politisch Interessierte. Es geht vor allem um die junge Generation,
um deren Zukunft und Zukunftsabsichten.
Doch damit steht zunächst eine erste Frage: Kann, muß sozialistische bzw.
kommunistische Programmatik heute überhaupt noch auf das Ziel einer grundlegenden
Alternative zum Kapitalismus, auf den Sozialismus, orientieren?
Dagegen spricht scheinbar, daß zwischen 1978 und 2001 eine Tendenzwende oder Tendenzbruch liegt. Ich meine die Jahre 1989/90/91, damit den Zusammenbruch und die Zerschlagung
der sozialistischen Länder. Offen ist, ob damit ein weltgeschichtlicher Übergangsprozeß zu einer
neuen Gesellschaftsformation zunächst für gewisse Zeit ab- oder unterbrochen oder nur eine
neue Phase desselben eingeleitet wurde. Es ist sehr schwierig, dies aus heutiger Sicht genauer zu
bestimmen.2
Sicher ist jedoch Der Sozialismus hat eine tiefe Niederlage erlitten. Innere wie äußere, subjektive
wie objektive Bedingungen haben dazu geführt. Kapitalistische Restaurationsprozesse mit den
entsprechenden ökonomischen, politischen, sozialen und kulturellen Folgen charakterisieren die
Vorgänge in den früheren osteuropäischen sozialistischen Ländern. Mit den entsprechenden
Auswirkungen auf die Arbeiterklasse und ihre Organisationen. Auch in Westeuropa und in anderen Ländern. So vollzog sich beispielsweise auf dem Gebiet der früheren DDR, das hierbei eine
Sonderstellung einnahm und einnimmt, ein beispielloser kapitalistischen Rückgewinnungs-,
Ausplünderungs- und Transformationsprozeß.
Eine sozialistische Gesellschaft scheint hier – aber auch in den meisten anderen Regionen der
Welt - in absehbarer Zeit unerreichbar. Das Kräfteverhältnis ist in der Bundesrepublik ebenso
wie international für revolutionäre und fortschrittliche Kräfte außerordentlich ungünstig. Neue
Formierungsprozesse in der Arbeiterklasse bzw. entsprechende soziale und politische
Bewegungen sind nicht oder nur in Ansätzen erkennbar. Dagegen spricht auch die theoretische
Uneinigkeit und organisatorische Zersplitterung der Linken.
Was spricht dafür? Leo Mayer hat in seinem Beitrag bereits die entscheidenden Fragen
benannt. Ich möchte hier nur einige Aspekte wiederholen: Für die große Mehrheit der Menschen
nehmen unter den gegenwärtigen gesellschaftlichen Bedingungen im Imperialismus
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unmenschliche Arbeitsbedingungen, Ausgrenzung und Armut zu. Es scheint keine Auswege zu
geben. Der Zugang zu Bildung und Gesundheit, zu Kultur, oft zu einfachsten politischen
Rechten wird immer mehr erschwert.
Sowohl in den entwickelten kapitalistischen Industrieländern als auch in den ausgebeuteten
Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas schreitet die Zerstörung der natürlichen Umwelt
immer weiter voran. Weltweit gibt es eine zunehmende Verelendung von Millionen von
Menschen.
Alles wurde und wird zur Ware. Werte wie Solidarität, soziale Gerechtigkeit oder die
Menschenwürde zählen in diesem System nicht. Dabei wissen wir: “Die wissenschaftlichtechnische Revolution hat im gerade beendeten Jahrhundert fast unermeßliche Möglichkeiten
geschaffen, in die natürliche Welt einzugreifen, um menschliches Leben zu verbessern. Noch nie
hatten die Menschen so viele Chancen, ihre Produktivität und Kreativität zu entfalten und
zugleich physische Belastungen zu verringern. Es wäre heute möglich, Hunger und Elend
weltweit zu überwinden, den Menschen ein würdiges Leben ohne Armut zu ermöglichen und
gleichzeitig die Erde künftigen Generationen als lebensfähiges Ökosystem zu übergeben.
Doch die Wirklichkeit sieht anders aus.”3 Der Sozalismus hatte schon Errungenschaften – vor
allem in kultureller und sozialer Hinsicht aufzuweisen – die für die Lösung einiger grundlegender
Probleme der heutigen Welt von bleibendem Wert sind. Das aufzugreifen und für eine
gesellschaftliche Perspektive nutzbar zu machen, ist von großer Bedeutung.
Für linke Sozialisten und Kommunisten kann der Ausgangspunkt und der Maßstab politischen
Handelns nur ein konsequenter Humanismus sein, der allein durchsetzbar ist durch eine
grundlegenden Bruch mit der gegenwärtigen Gesellschaft. Im Beschluß ”DKP – Partei der
Arbeiterklasse – Ihr politischer Platz heute” des 15. Parteitag unserer Partei, der Anfang Juni
2000 stattfand, heißt es – unter Berufung auf die Thesen zur programmatischen Orientierung der
DKP und die Sozialismusvorstellungen: “Nur eine Gesellschaft, in der durch die Überwindung
des Profitprinzips eine Wende der Produktivkraftentwicklung ermöglicht wird, in der die
Ergebnisse der Produktion zur Befriedigung der gesamtgesellschaftlich geregelten menschlichen
Bedürfnisse dienen, kann der Spirale von gleichzeitiger Erzeugung von Reichtum und Elend, von
Nutzung und Zerstörung der Natur ein Ende setzen. An die Stelle konkurrierender
Einzelinteressen treten Frieden, globale Verantwortung, internationale Solidarität, Achtung der
unveräußerlichen Menschenrechte, Demokratie, planmäßiger Einsatz aller Produktivkräfte und
die Abschaffung der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen. Diese Gesellschaftsform
ist der Sozialismus.”
Mit dieser Position steht die DKP nicht allein. Es gibt unterschiedliche Bewegungen, die eine
Veränderung der Gesellschaft und einen grundlegenden Bruch mit den herrschenden Macht- und
Eigentumsverhältnissen anstreben. Über manche Fragen und unterschiedliche Positionen muß
man weiter diskutieren. Zugleich formieren sich neue Kräfte – auch in den Gewerkschaften - und
neue soziale Bewegungen. Dies kann mittel- oder langfristig größere gesellschaftliche Bedeutung
gewinnen. Die Autoren des Diskussionspapiers “Ein Beitrag zur linken Programmdebatte in der
BRD”, Heinz Kallabis, Hans Krusch und Ingo Wagner, sehen die Situation aus marxistischer
Sicht so: “Die größte Barriere für den weltweiten gesellschaftlichen Fortschritt stellt die ökonomische, politische und ideologische Macht des Monopolkapitalismus dar. Die dem Imperialismus eigene Tendenz zur Barbarei verstärkt sich seit der Niederlage des Sozialismus in Europa
zunehmend. Doch es gibt am Beginn des 21.Jahrhunderts nicht nur die Dominanz des Imperialismus, sondern auch eine Vielfalt von Gegenkräften in der Welt, die unterschiedlich wirksam
werden. Der epochale Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus geht weiter. Es gehört zur
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Offenheit der Geschichte, dass sich mit der Formierung eines geschichtsmächtigen Subjekts in
längeren historischen Fristen zugleich die Chance für einen neuen sozialistischen Anlauf ergibt.
Die Alternative Sozialismus oder Barbarei enthält ein historisch noch vorhandenes Zeitfenster,
um die unheilbaren Grundgebrechen der kapitalistischen Gesellschaftsformation aus der Welt
zu schaffen. Der Sozialismus ist und bleibt daher unser programmatisches Ziel.”4
Was spricht weiter dafür? Die Menschen, die heute leben und Antworten suchen auf ihre
Fragen, die sich trotz der Medienmacht und dem alltäglichen Antikommunismus Gedanken um
eine Alternative oder auch nur allein die Lösung ihrer eigenen sozialen Probleme bzw. ihrer oft
insgesamt verzweifelten Lebenssituation suchen, brauchen eine Perspektive, ein
Diskussionsangebot. Das betrifft vor allem die Jugend.
Was spricht auch dafür? Was würde passieren, wenn Kommunisten aufhören würden, am Ziel
Sozialismus/Kommunismus festzuhalten? Vor allem in der jetzigen Situation, die noch lange Zeit
vor allem durch Abwehrkämpfe charakterisiert sein wird? Die kommunistische Partei würde
sich reformistisch wandeln. Damit würde sie überflüssig und das wäre auch ihr Ende.
Allerdings gibt es in der sozialistischen Bewegung in unserem Land deutliche Ansätze in dieser
Richtung. Darauf verweist die Programmdebatte in der PDS, in der es sehr unterschiedliche
Positionen gibt. Mancher meint dabei, man müsse das gegenwärtige System nur ausreichend
reformieren und demokratisieren. Der Philosoph Erich Hahn bemerkte jedoch bereits vor einigen
Jahren in einer Diskussion, auch der heutige Kapitalismus sei ” in seinen konkreten
Erscheinungsformen nicht als Naturgegebenheit, als Sachzwang einer Moderne oder als
zivilisatorische Normalität aufzufassen, sondern als eine historisch-konkrete Summe
veränderlicher, letztlich materiell-ökonomisch bedingter gesellschaftlicher Beziehungen"5. Und
an anderer Stelle machte er darauf aufmerksam: "Die sozialistische Idee ist untrennbar mit der
Vorstellung von einer anderen als der gegebenen (kapitalistischen) Gesellschaft verbunden.
Der Verzicht darauf verändert die sozialistische Idee grundlegend"6. Der Rechtsphilosoph
Hermann Klenner verweist in einem Beitrag übrigens auf eine Formulierung auf der einzigen
erhalten gebliebenen Seite des Originalentwurfs des “Kommunistischen Manifestes”. Aus
Marxens Handschrift ist dort zu entziffern, daß der meinte, das bürgerliche Recht sei der zum
Gesetz erhobene Wille der Bourgeoisie-Klasse, ein Wille, dessen Inhalt durch deren materielle
Lebensbedingungen bestimmt sei.7
Klenner macht in diesem Zusammenhang darauf aufmerksam, jene Erkenntnis sei noch heute
gültig, daß “...die (bis heute herrschende!) schöne Idee von einem unter privatisierten
Eigentums- und Staatsverhältnissen in Richtung auf Gerechtigkeit perfektionierungsfähiges
Recht eine häßliche Illusion ist, ein interessantes Vorurteil. Die Realität der bürgerlichen
Gesellschaft ausschließlich mit ihrer Idealität, dem verschönerten Schein ihrer selbst, zu
bekämpfen, hat aber noch immer auch zu einer Stabilisierung des Kapitalismus beigetragen.
Eine Opposition dieser Art droht zu einer Selbsterhaltungsfunktion des Systems, der
existierenden Macht/Ohnmacht-Struktur der Gesellschaft zu verkümmern, statt diese zur
intellektuellen und tatsächlichen Disposition zu stellen”8.
Wir können E.Hahn und H.Klenner nur zustimmen. Und deshalb kann ich mich jetzt meiner
zweiten Frage zuwenden.
Welche Folgerungen ergeben sich für die Sozialismusdebatte der DKP aus den bisherigen Erfahrungen?
5
Ging es in den ersten Jahren nach 1989/90 in den marxistischen theoretischen Diskussionen und
programmatischen Überlegungen vor allem zunächst um die Ursachen der Niederlage, um die
Analyse dieses historischen Prozesses, dann zugleich aber immer auch um eine Sichtung des
theoretischen Insalltrumentariums, des Festhaltens an tragfähigen, bewährten Einsichten wie um
neue Denkansätze.
1992 schrieben die Herausgeber des Buches ”Keiner redet vom Sozialismus, aber wir: Die
Zukunft marxistisch denken” in ihrem Vorwort: ”In einem geschichtlichen Augenblick, in dem
sich politisch so Grundlegendes verändert hat, sind Standortbestimmungen ebenso notwendig
wie schwierig. Nicht nur, weil unklar ist, an welchem Punkt des raschen Umbruchs wir uns
befinden, sondern weil es enorme Probleme bereitet, die abgelaufenen Prozesse in einer
angemessenen Begrifflichkeit und Perspektive zu verstehen.”9
Wir sind heute in bestimmter Hinsicht in einer anderen Situation. Jene Prozesse, die 1989/90/91
abliefen können heute begrifflich-theoretisch genauer erfaßt werden. Jedoch stehen wir vor einer
ähnlichen Situation, wenn wir Sozialismusvorstellungen für die Zukunft ausarbeiten. Auch hier
steht das Problem angemessener Begrifflichkeit und – vor allem – der Perspektive. Letzteres
umfaßt mindestens folgende Momente:
! Es ist dabei nicht möglich, über den Sozialismus unabhängig von den gewonnenen
historischen Erfahrungen nachzudenken und entsprechende Lehren zu ziehen. Diese sind
jedoch – bezogen auf die verschiedenen Länder - sehr unterschiedlich. Deshalb wird es
künftig stärker darauf ankommen zu differenzieren, unterschiedliche Ansätze in jenen
Ländern, aber auch neue Erkenntnisse zu beachten. Hans Heinz Holz hat in einem Vortrag
1998 in diesem Zusammenhang darauf verwiesen, ”der Hinweis auf die allgemeinen
geschichtlichen Entwicklungsgesetze reicht nicht mehr aus. Menschen, die sich für uns
entscheiden sollen und wollen, haben angesichts offenkundiger Mängel beim ersten Aufbau
des Sozialismus ein Recht zu fragen, wie es beim nächsten aussehen soll und besser gemacht
werden kann.”10
! Dies macht uns auch darauf aufmerksam, sehr sorgsam an die Ausarbeitung von Sozialismusvorstellungen heranzugehen. Wir entwickeln sie auf der Grundlage der Entwicklungen in der
Bundesrepublik, müssen die Geschichte und den internationalen Aspekt einbeziehen.
! Wir müssen beachten, daß wir über Möglichkeiten gesellschaftlicher Entwicklung nachdenken,
über Tendenzen gesellschaftlicher Entwicklung, die sich unter bestimmten Bedingungen mit
einer bestimmten Wahrscheinlichkeit durchsetzen werden. Nur muß beachtet werden: Wir
können nicht voraussagen, welche sozialen Bewegungen und Klassenkräfte künftig unter
welchen konkret historischen Bedingungen agieren werden, wenn die Frage des Sozialismus
direkt steht. Dies betrifft Übergangsformen ebenso wie die Gestaltung der neuen Gesellschaft. Wie wird dann die Welt aussehen?
Die weltanschauliche Grundlage der Politik der DKP ist und bleibt die Theorie von Marx, Engels und Lenin, die wissenschaftliche Weltanschauung der kommunistischen und Arbeiterbewegung. Auch für die Untersuchung und Diskussion dieser Problematik. Unsere wissenschaftliche
Weltanschauung ist jedoch kein Dogma. Sie muß auf der ständigen Analyse und
Verallgemeinerung der Ergebnisse der einzelnen Wissenschaften, der gesellschaftlichen
Verhältnisse sowie der eigenen und internationalen Erfahrungen in den Klassenkämpfe beruhen.
Zusammenhänge und Widersprüche sind zu beachten. Das bedeutet, die gewonnen Erkenntnisse
immer wieder aufs Neue zu überprüfen, weiterzuentwickeln und an der gesellschaftlichen Praxis
zu messen. Ohne dialektisches und historisches Denken ist Untersuchung der Ursachen der
6
Niederlage ebenso wie die Ausarbeitung von Sozialismusvorstellung von Überlegungen für
Übergangsformen unter verschiedenen Bedingungen nicht möglich. Aber dies ist nur ein Teil der
theoretischen Voraussetzungen.
Ebenso ist es nötig, politökonomische, soziologische, staats- und rechtstheoretische
Untersuchungen u.a. in die Debatte einzubeziehen.
Die theoretischen Debatten werden auch international, werden weltweit geführt. Ich will hier
nur daran erinnern, daß es Sozialismusdebatten in Rußland ebenso gibt wie in Griechenland oder
in anderen europäischen Ländern, in Nord- und Südamerika, in Südafrika usw., in Kuba oder in
China.
Nur ein Beispiel aus dieser Debatte: Ein interessanter programmatischer Ansatz wurde in
Südafrika entwickelt. Ende der 90er Jahre stellten COSATU und SACP Positionen zur
Diskussion, in der die Frage nach dem Zusammenhang der gesellschaftlichen Prozesse, die nach
der Ablösung der Apartheid im Lande vor sich gehen mit der sozialistischen Perspektive gestellt
wird. Die vor sich gehenden Prozesse des Wandels, der Beseitigung der Unterdrückung der
schwarzen Bevölkerungsmehrheit, der Demokratisierung des Landes sollen in eine Bewegung für
den Sozialismus münden. Verbunden wird dies mit Überlegungen zur Formierung
gesellschaftlicher Kräfte, die eine sozialistische Perspektive durchsetzen können.11
Daneben gibt es zugleich vielfältige theoretische Ansätze zu einzelnen Fragen: Welche
gesellschaftlichen Kräfte werden in diesem Zusammenhang agieren? Für die einen verschwindet
mit der wissenschaftlich-technischen Revolution die Arbeiterklasse. Für andere ist sie in einem
ständigen Wandel, der neue Probleme bei ihrer Formierung von einer Klasse an sich in eine
Klasse für sich mit sich bringt. Wieder andere verweisen in diesem Zusammenhang darauf, daß
auch neue soziale und politische Kräfte in gesellschaftliche Auseinandersetzungen eingreifen.
Wie der Weg zu dieser neuen Gesellschaft, der Bruch mit den gegenwärtigen Verhältnissen
aussehen wird, ist gleichfalls umstritten.
Nehmen wir einmal an, man könnte sich in dieser Frage auf einen Nenner einigen, dann beginnt
der Streit erst, denn auch die Vorstellungen, wie dieser künftige Sozialismus aussehen wird, sind
heute außerordentlich vielfältig. Es ist als ob sich auf einer fortgeschritteneren gesellschaftlichen
Grundlage des Kapitalismus, nach den Erfahrungen dieses Jahrhunderts jener Erkenntnisprozeß,
den auch Marx und Engels durchschnitten, neu vollziehen muß. Es geht um die Tiefe des Durchdenkens entsprechender Vorstellungen über die künftige Gesellschaft, um das immer tiefere Eindringen in diese komplizierte Thematik.
In heutigen nichtrevolutionären Zeiten können wir aber an wesentlichen Erkenntnissen historischer Zusammenhänge anknüpfen. Hans Heinz Holz hat in einem Artikel, der sich mit der Diskussion der Sozialismusvorstellungen der DKP beschäftigt, dazu folgende Position formuliert:
"Können wir denn überhaupt heute schon ein Sozialismuskonzept skizzieren? Genügt es nicht,
die unverrückbare Grundlage zu kennen, die am Anfang einer sozialistischen Gesellschaft gegeben sein muß: Der Besitz an den Produktionsmitteln muß in gesellschaftliches Eigentum überführt werden - die private Aneignung des gesellschaftlich erzeugten Reichtums muß aufgehoben
werden - die Finanzinstitute müssen verstaatlicht werden. Das heißt, die gesamte ökonomische
Basis erhält eine neue Verfassung, durch die sie der Macht privater Interessen entzogen wird.
Wie im einzelnen die Übergangs- und Organisationsprozesse verlaufen werden, kann ohnehin
niemand voraussagen. Entscheidend ist, daß mit dem Grundwiderspruch der kapitalistischen
Produktionsverhältnisse auch die Voraussetzungen von deren Übeln beseitigt sind. Die Ent-
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wicklung einer neuen Gesellschaft mit einem neuen Menschentyp ist dann eine Frage der Zeit,
eine Aufgabe der Menschen, die an der Verwirklichung der neuen Gesellschaft mitarbeiten.
Wir sind keine utopischen Sozialisten, die die Zukunft vorwegnehmen wollen. Das ist richtig.
Marx und Engels haben die wissenschaftliche Geschichtsbetrachtung gegen utopische Erwartungen klar abgegrenzt. Hinter dieser Bestimmung des Sozialismus als einer wissenschaftlichen
Theorie für eine revolutionäre Praxis dürfen wir nicht zurückfallen, wenn wir nicht wieder Ideologien an die Stelle von Erkenntnissen setzen wollen"12.
Damit sind Grundsätze benannt. Sicherlich gibt es auch hier Streitpunkte. Die erste Frage, die
ich hätte, wäre die nach dem neuen Menschentyp. Das klingt als müsse man ihn konstruieren,
damit er künftigen Anforderungen genügt. Ich meine, daß dies nicht funktioniert. Sicherlich geht
es darum, in einem längeren Prozeß Verhaltensweisen des Individualismus zu verändern, mangelnde Solidarität usw. abzubauen.
Der künftige Sozialismus wird zur Beseitigung vieler Probleme der heutigen Zeit führen, deren
gesellschaftliche Ursache der Kapitalismus ist. Bei der Frage nach der Beseitigung gesellschaftlicher Ursachen der Übel, die aus der kapitalistischen Produktionsweise entstehen, kann man
meines Erachtens jedoch nicht soweit wie Gerhard Branstner gehen, der glaubt, die historische
Funktion des Sozialismus bestehe darin, die Übereinstimmung von Mensch und Natur ein für
allemal herzustellen13. Wie soll das denn aussehen? Es klingt zwar gut, vergißt aber den Prozeß
der dazu führen könnte ebenso wie objektive Unbestimmtheiten. Auch im Sozialismus werden
Menschen mit den Risiken und Widersprüchen, die die Entwicklungen von Wissenschaft und
Technik und ihre Umsetzung in Produktionsprozesse mit sich bringen, leben müssen. Risiken,
Widersprüche wird es auch im Zusammenleben der Menschen geben. Individuelle Interessen
und die von Gruppen oder der Gesellschaft werden sich unterscheiden und die daraus entstehenden Widersprüche gelöst werden müssen. Aber in einer sozialistischen Gesellschaft müssen
und werden die dann lebenden und agierenden Menschen damit anders umgehen als heute. Auch
um die natürlichen Existenzbedingungen auf dieser Erde nicht nur für den Menschen zu erhalten.
Das geht jedoch schon ins Detail.
Kommen wir zurück zu Hans Heinz Holz. Er fordert eben dieses historische Denken. Neues
wird sich erst in einem langwierigen Prozeß durchsetzen, dabei sind Kompromisse notwendig.
"Der Sozialismus', so Holz, "wird eine Übergangsperiode sein, mit allen Widersprüchen einer
sich erst herausbildenden, noch nicht gefestigten Gesellschaft"14. Ich würde sogar noch einen
Schritt weiter gehen. Auch spätere Entwicklungsstufen der Gesellschaft werden unfertig und
voller Widersprüche sein, können nur als Entwicklungsprozeß verstanden werden. Über die
ersten Schritte des Sozialismus haben wir möglicherweise noch eine Vorstellung. Weil es historische Erfahrungen gibt, die wir verallgemeinern können. Aber wie diese spätere Entwicklung aussehen wird, darüber könnten wir nur noch spekulieren.
Robert Steigerwald verweist in einem Artikel in der Zeitschrift ”Kalaschnikow”, in dem er sich
mit Positionen Andre Bries auseinandersetzt, auf Erfahrungen aus den Diskussionen um das
DKP-Parteiprogramm 1978: ”Wie es um die Erörterung von “Sozialismus-Modellen” stehe,
habe er 1981 in einem Interview gefragt. Partner waren Herbert Mies, der Parteivorsitzenden der
DKP und Willi Gerns, für die ideologische Arbeit zuständiges Mitglied des Parteipräsidiums.
Die Frage zielte auf das Parteiprogramm von 1978. ”Hier einiges aus der Antwort: ‘Von
Spekulationen über Sozialismus-Modelle hält die DKP nichts’. Sie äußerten sich dann lediglich
8
zu den aus der Theorie sich herleitenden allgemeinen Gesetzmäßigkeiten einer sozialistischen
Gesellschaftsordnung und verwiesen auf die Abhängigkeit jedes sich herausbildenden
Sozialismus vom Entwicklungsstand der Produktivkräfte, von der Geschichte und den
nationalen Eigenarten, von den konkreten Bedingungen, unter denen die sozialistische
Umwälzung sich vollzieht. Man befinde sich in völliger Übereinstimmung mit Marx und Engels,
die es stets ablehnten, die ”Rezepte für die Garküchen der Zukunft” (so Marx in den
“Grundrissen der Kritik der Politischen Ökonomie”) zu schreiben und dies damit begründeten,
daß man gar nicht voraussehen könne, unter welchen Bedingungen der Kampf um den
Sozialismus stattfände. Wir können also - um bei diesem von Marx geprägten Bild zu bleiben nicht wissen, mit welchem Feuer, welchem Geschirr, welchen Zutaten die Gerichte der Zukunft
gekocht werden können!”. Daran, so Robert Steigerwald, hat sich doch nichts geändert.
”Natürlich können wir sagen, was wir möchten, was wir wollten usw. Nur: Die reale Geschichte
zeigt, daß die Dinge sich nie so verhalten haben, wie die jeweiligen Akteure wollten oder
wünschten.”15
Ich meine, damit sind Ausgangspunkte formuliert, an die wir in diesem Punkt der Programmdebatte anknüpfen sollten. Ich möchte sie zusammenfassen:
•
Leo Mayer hat in seinem Referat heute auf die Auswirkungen der rasanten Entwicklung der
Produktivkräfte und der Ausweitung der Macht der transnationalen Konzerne auf dieser
Grundlage, die sich zuspitzenden Widersprüche im Imperialismus, aufmerksam gemacht.
Die Notwendigkeit einer gesellschaftlichen Alternative zum Kapitalismus erwächst unseres
Erachtens zuallererst aus den objektiven Prozessen und Widersprüchen dieser Gesellschaft
selbst, aus der Lebenslage der Mehrheit der Menschen sowie aus der dramatischen Verschlechterung der natürlichen Existenzbedingungen am Beginn des 3.Jahrtausends als direkte
Folge der kapitalistischen Ausbeutung von Mensch und Natur. Übrigens ergibt sich aus dieser Situation möglicherweise die Notwendigkeit eines Bruches mit der herrschenden Gesellschaft, der viel tiefer und weitergehender sein muß als bislang theoretisch durchdacht. Das
wäre für mich eine offene Frage, die diskutiert werden müßte.
• Kommunistinnen und Kommunisten knüpfen in ihren theoretischen wie programmatischen
Debatten – ebenso aber im praktischen Handeln – an historische Erfahrungen der Arbeiterbewegung und des Sozialismus an. Sie verarbeiten diese Erfahrungen kritisch. (Ich komme
noch einmal darauf zurück daß dies unterschiedlich gesehen wird.)
• Dabei geht es zugleich aber immer auch um eine Sichtung des theoretischen Instrumentariums, des Festhaltens an tragfähigen, bewährten Einsichten wie um neue Denkansätze.
Die weltanschauliche Grundlage der Politik der DKP ist und bleibt die Theorie von Marx,
Engels und Lenin, die wissenschaftliche Weltanschauung der kommunistischen und Arbeiterbewegung.
• Wir können in unserem Programm keine “Rezepte für die Garküchen” der Zukunft geben, sondern müssen – auf der Grundlage der Analyse historischer Erfahrungen - jene wesentlichen
Momente begründen, die aus marxistischer Sicht die sozialistische Gesellschaft kennzeichnen werden.
• Von den konkreten historischen Bedingungen und den agierenden gesellschaftlichen Kräften
werden Übergangsformen wie die Möglichkeiten der neuen Gesellschaft abhängen. Aber
meines Erachtens ist es mehr als bisher notwendig, auf Möglichkeiten von Entwicklungen zu
verweisen, auf Tendenzen, die sich unter bestimmten Bedingungen durchsetzen können.
Zugleich scheint es nötig, auf Erkenntnisschranken aufmerksam zu machen.
9
• Notwendig ist eine breite Debatte zwischen Marxistinnen und Marxisten in der Bundesrepublik und darüber hinaus. Es wäre an der Zeit, entsprechende Diskussionen im breiteren
Rahmen – anknüpfend an die Marxismus-Konferenz vom März 1998 in Hannover weiterzuführen.
Welche offenen Fragen ergeben sich aus der bisherigen Sozialismusdiskussion der
DKP?
Wir können in diesem Zusammenhang unmittelbar an die Diskussion um die Sozialismusvorstellungen der DKP anknüpfen, die auf dem DKP-Parteitag 1998 als Arbeits- und Diskussionsgrundlage beschlossen wurden. Im Vorfeld des Parteitages wurde über Monate eine breite Debatte in der Partei und darüber hinaus geführt. An den Veranstaltungen zu dieser Problematik
nahmen nicht wenige junge Menschen teil. Offene Fragen und Meinungsunterschiede wurden
deutlich. Die Frage stellte sich, ob wir in den Sozialismusvorstellungen vor allem auch die offenen Fragen benennen sollten.
Meines Erachtens sollten wir in der Programmdiskussion erstens an die Breite unserer Debatte
zu den Sozialismusvorstellungen anknüpfen. Im Zusammenhang mit den Sozialismusvorstellungen sollten wir zweitens zwischen grundsätzlichen Fragen, die unverzichtbar sind für unsere
Sozialismusvorstellungen und weitergehende Fragestellungen, die mögliche Regelungen und Institutionen im Sozialismus betreffen, unterscheiden. Die Programmdebatte sollte jedoch keine
dieser Fragen ausklammern, für das Programm sollten wir uns aber dann meines Erachtens auf
das Wesentliche beschränken.
Offene Fragen und Meinungsunterschiede gibt es im Zusammenhang mit einer Reihe von Fragen.
Es geht um folgende Schwerpunkte, die in der Sozialismusdebatte sowie im Zusammenhang mit
der Diskussion von Geschichtsfragen bislang eine Rolle gespielt haben:
!
!
!
!
!
Es wird wichtig sein, die Einschätzung des Imperialismus und die Begründung der sozialistischen Alternative aus den gesellschaftlichen Umständen weiter zu vertiefen und in überzeugenden Argumentationen umzusetzen.
Historische Fragen müssen weiter untersucht, die Ursachen und Bedingungen des
Zusammenbruchs und der Zerschlagung des Sozialismus in Europa differenzierter betrachtet
werden.
Aus der Verallgemeinerung historischer Erfahrungen sowie der Analyse gegenwärtiger
politischer und sozialer Bewegungen müssen Folgerungen für mögliche Wege zu einer
sozialistischen Alternative gezogen und auf der Grundlage bereits erarbeiteter Positionen
weiter diskutiert werden.
Fragen der Ökonomie und der Demokratie in einer künftigen sozialistischen Gesellschaft
müssen weiter durchdacht werden. Auch hier geht es nicht darum ”Rezepte für die
Garküchen der Zukunft” zu liefern, sondern um Schlußfolgerungen, die aus historischen
Erfahrungen zu ziehen sind.
Für uns steht vor allem auch die Frage nach der Rolle der kommunistischen Partei in einem
künftigen Sozialismus.
Ich möchte abschließend nur auf einige Fragen eingehen, die damit im Zusammenhang stehen
10
Geschichte des Sozialismus
In den Sozialismusvorstellungen der DKP und anderen Dokumenten geht die DKP davon aus,
daß es große Erfolge und Errungenschaften des Sozialismus gab. Ihre Position zu den
sozialistischen Staaten wurde eindeutig formuliert. Hingewiesen wird auf die schwierigen
Anfangs- und Begleitbedingungen, jedoch auch auf Fehler, Deformationen und und sogar
Verbrechen. In den Sozialismusvorstellungen der DKP heißt es in diesem Zusammenhang:
”Nach dem kurzen Anlauf der Pariser Commune von 1871 wurde mit der Oktoberrevolution
1917 in Rußland zum erstenmal der Aufbau eines sozialistischen Gesellschaftssystems
begonnen. Die Oktoberrevolution gab der Menschheit das Signal zum Aufbruch in eine neue
weltgeschichtliche Epoche. Unter ungünstigsten Ausgangsbedingungen wurden in der
Sowjetunion und später in weiteren sozialistischen Staaten großartige Leistungen vollbracht.
Die DKP als Partei hat sich mit den sozialistischen Staaten in Europa identifiziert. Deren
regierende Parteien waren unsere engsten Verbündeten. Die Existenz der DDR hat eine nicht
aufzuhebende historische Dimension: als sozialistische Alternative zum Imperialismus der BRD.
Wir verteidigen die Erfolge beim Aufbau und analysieren die Ursachen für die Zerschlagung
und den Zusammenbruch des Sozialismus.”
In der Programmerarbeitung sollten eben diese Ursachen der Zerschlagung und des
Zusammenbruchs des Sozialismus differenzierter untersucht werden. Wir sollten dabei jedoch
nicht hinter den bereits erreichten Diskussionsstand, der sich in den Thesen zur
programmatischen Orientierung der DKP und den Sozialismusvorstellungen widerspiegelt,
zurückgehen. Dies betrifft auch die DDR und die Geschichte der Sowjetunion.
Über die Ursachen dieser Niederlage wird man noch lange streiten. Auch über die Begrifflichkeit.
Und das ist notwendig, weil man vor allem aus den eigenen Fehlern und Irrtümern lernen muß für die heutige Bewegung ebenso wie für die neuen Schritte in Richtung einer gesellschaftlichen
Alternative zum gegenwärtig herrschenden kapitalistischen System. Daß diese neue, alternative
Gesellschaft einen Gegner hatte und hat, der ihr während ihrer ganzen Existenz an den Kragen
wollten, ist nicht neu und sollte niemanden überraschen. Aber bei allen Niederlagen revolutionärer Bewegungen in der Vergangenheit gab es einen Ursachenkomplex für diese Niederlage.
Nehmen wir nur ein Beispiel: 1989/90 wurde von manchen behauptet – und dies setzt sich bis
zum heutigen Tag fort -, der Sozialismus sei daran gescheitert, daß eine “korrupte Führungsschicht” geherrscht habe. Dazu wäre anzumerken, daß unsere Niederlage eben nicht daran festzumachen ist, daß sich Einzelne falsch verhalten, geirrt, absolutistisch verhalten bzw. bereichert
hätten. Die Ursachen der Niederlage des Sozialismus müssen differenziert betrachtet werden, so
wie wir als DKP bislang vorgegangen sind. Sie ist auch nicht – wie auch noch gegenwärtig
vereinzelt einige Genossen meinen - mit den Begriffen ”Konterrevolution” oder ”Verrat” durch
Gorbatschow, Schewardnadse, Jakowlew usw. erklärbar. Dies sind womöglich Momente eines
umfassenden widerspruchsvollen Prozesses, in dem innere und äußere, objektive wie subjektive
Ursachen eine Rolle gespielt haben. Jedoch erklären sie noch nicht das Wesen.
Die Niederlage des Sozialismus kann man nicht auf eine Verratsgeschichte reduzieren. Über solche einseitigen Vorstellungen hat sich schon Hegel lustig gemacht: "In der philosophischen Betrachtung der Geschichte muß man absehen von solchen Ausdrücken wie: ein Staat wäre nicht
zugrunde gegangen, wenn ein Mann dagewesen wäre, der usw."16.
Der Weg zur neuen Gesellschaft
Wie der Weg zu dieser neuen Gesellschaft, der Bruch mit den gegenwärtigen Verhältnissen aussehen wird, ist gleichfalls umstritten. Manch einer vermag dies noch heute sich nur als Putsch
11
oder Aufstand einer kleinen Gruppe zu denken. Als hätten sich revolutionäre Brüche mit dem
Bestehenden, die qualitative Veränderung von Grundqualitäten in der Geschichte nur auf solche
Weise abgespielt. Für manchen ist schon die Vorstellung eines möglicherweise langen revolutionären Prozesses "Reformismus pur". Das ist allerdings Unsinn und völlig unhistorisch.
In den programmatischen Dokumenten der DKP wird nach Möglichkeiten von Übergängen aus
heutigen Zuständen in zunächst antimonopolistische und von da aus in sozialistische gesucht.
Robert Steigerwald wies in Auseinandersetzung mit A.Brie u.a. darauf hin: ”Wir haben, weil wir
das “Unternehmerlager” nicht als homogen einschätzten, beispielsweise die antimonpolistische
Strategie, die verschiedenen bündnispolitischen Konzeptionen – jeweils in Abhängigkeit von der
konkreten politischen Aufgabe – entwickelt. ”17 Wie aber werden künftige Übergänge tatsächlich
verlaufen? Ich persönlich kann mir so etwas heute nur als einen Prozeß vorstellen, in dem Millionen und Abermillionen Menschen in Bewegung geraten, sich in sozialen und politischen Bewegungen formieren und für eine Alternative kämpfen. Wie dies konkret aussehen wird, ist für
mich offen. Dieser Prozeß könnte sich kurzfristig aus einer gesellschaftlichen Krise entwickeln
oder in einem längeren Prozeß entstehen. Eine breite antifaschistisch-demokratische Bewegung
ist denkbar, aber auch andere, die insgesamt in einem antimonopolistischen Kampf zusammenfließen. Es wird aber meines Erachtens - so oder so - die Arbeiterklasse, möglicherweise im
Bündnis mit völlig neuen sozialen und politischen Kräften sein, die in diesem Prozeß eine entscheidende Rolle spielen wird. Notwendig wird es sein, in die Bewegungen entsprechende Orientierungen einzubringen.
Aber genau das sind Fragen, die heute offen sind. Man könnte meinen, sie sind schwieriger als
jene, die im Zusammenhang mit der neuen Gesellschaft zu beantworten wären. Aber sie hängen
unmittelbarer mit der heutigen Politik von Kommunistinnen und Kommunisten zusammen.
Die Schwierigkeiten der Ökonomie
Marxisten benennen, gefragt nach den Ursachen des Scheiterns des sozialistischen Versuchs in
diesem Jahrhundert vor allem das Zurückbleiben der ökonomischen Entwicklung sowie den
Mangel an Demokratie und sozialistischer Rechtsstaatlichkeit in den Ländern des Sozialismus.
Im Mai 1990 schrieb Uwe-Jens Heuer jedoch in seinem Buch "Marxismus und Demokratie":
"Es hat sich gezeigt, daß diese Form des Sozialismus vor allem auf ökonomischem Gebiet und
auf dem Feld der Demokratie dem Kapitalismus immer weniger gewachsen war". Und an anderer Stelle betonte er, daß immer deutlicher wurde, "daß diese Ordnung mit der Befriedigung
bestimmter Bedürfnisse immer stärker die Befriedigung neuer, sich in einer modernen Gesellschaft herausbildenden Bedürfnisse behinderte"18. Vor allem die wissenschaftlich-technische
Revolution hat zur Herausbildung entsprechender Widersprüche in Ökonomie und demokratischer Gestaltung der Gesellschaft geführt, die letztlich nicht gelöst werden konnten19.
Ich kann hier einiges nur andeuten:
Wie müssen diese Fragen künftig gelöst werden? Welche gesellschaftlichen Eigentumsformen
sind in der Lage, die Frage der sozialen Gerechtigkeit dauerhaft zu lösen? Wie muß in diesem
Zusammenhang gesellschaftliche Kontrolle und Mitbestimmung geregelt werden? Welche Mechanismen oder Stimuli sind in der Wirtschaft wie der gesamten Gesellschaft nötig, damit erreichte Rechte und Regelungen nicht wieder als selbstverständlich angesehen werden?
Die Frage wird auch gestellt, ob es im Sozialismus noch Warenproduktion geben kann.
Überschätzen wir die Demokratiefrage?
Die historische Analyse zeigt: Zeiten des Aufbaus der Industrie aufgrund von
Unterentwicklung, Kriege usw. forderten bestimmte strenge, administrative und zentralistische
12
Formen der Leitung der Gesellschaft und der Volkswirtschaften. Neue Technologien, die
Revolution in Wissenschaft und Technik, das hohe Bildungsniveau der durch die sozialistische
Gesellschaft ausgebildeten Facharbeiter, Ingenieure, Wissenschaftler usw., die Entwicklung der
Bildung, der Kultur usw. benötigten spätestens seit den sechziger Jahren ein ganz anderes
Herangehen an die Leitung und Planung der Gesellschaft: Dezentralisierung, Entwicklung von
Verantwortung und Entscheidungsmöglichkeiten vor Ort, Entfaltung von Initiative,
Selbstorganisation innerhalb eines organischen, organisierten gesellschaftlichen Ganzen. Dazu
gab es Vorschläge, um die betriebliche und gesellschaftliche Mitbestimmung und
gesellschaftliche Kontrolle auf allen Ebenen der Gesellschaft auszubauen.
In der DDR empfanden sich in den 70er und vor allem in den 80er Jahren die jüngeren Generationen immer weniger selbst als Gestalter der neuen Gesellschaftsordnung. Die eigenen
Wirkungsmöglichkeiten waren zu gering, die Mitsprache- und Entscheidungsmöglichkeiten, das
Gefühl, selbst Gestalter der neuen Welt zu sein. Weil dies - die NÖP in der DDR war
möglicherweise ein (aber letztlich unerprobt gebliebener) Ansatz für eine andere
Entwicklungsrichtung - weitgehend unterblieb, brachen in der Gesellschaft Widersprüche auf,
die letztlich systemzerstörend wirkten. Es kam zur Stagnation und damit im Zusammenhang
auch zum Mangel an Initiative und Innovation. Radikale Reformen, besser: eine ständige
revolutionäre Umgestaltung der Gesellschaft auf ihren eigenen Grundlagen, wären nötig gewesen.
Als dies erkannt und teilweise versucht wurde, war es zu spät, brach das Ganze auseinander.
Wie dies ablief ist bekannt.
Die Gründe für dieses Zurückbleiben des Sozialismus auf ökonomischem Gebiet und im Bereich
der Demokratie sind vielfältig. Wir haben versucht, die wesentlichen in den "Sozialismusvorstellungen der DKP" zu benennen. Erinnert sei an Interventionen, an Kriege, Cocom-Listen,
Boykott und Sabotage. Erinnert sei an die historische Ausgangssituation der Sowjetunion wie
der anderen Länder. Doch diese Momente reichen nicht aus, um die Niederlage zu begründen.
Auch darauf haben wir verwiesen. Und es sollte uns sehr nachdenklich stimmen, warum wir in
Diskussionen über Freiheit, Demokratie und Menschenrechte vor 1989 meist in der Defensive
waren. Das betraf alle sozialistischen Länder Europas. Und da gab es eben Anknüpfungspunkte
für die andere Seite: Die sozialen Menschenrechte wurden im Rahmen der jeweiligen
ökonomischen Möglichkeiten in unseren Ländern mehr oder weniger gewährleistet. Sie wurden
in einem Maße realisiert - wenn man an die sozialen Maßnahmen der DDR denkt -, daß sie
diese ökonomischen Möglichkeiten sogar überstiegen. Wir haben über unsere Verhältnisse
gelebt. Und es gab auch vielfältige Ansätze für politische Freiheitsrecht und demokratische
Mitwirkung. Für die DDR wäre die Neuformulierung des Strafrechts unter dem Gesichtspunkt
allgemeiner Verständlichkeit zu nennen, das Zivil-, Arbeits- und Familienrecht, die
gesellschaftlichen Gerichte, die geringere strafrechtlich relevante Delikte oder andere Konflikte
bereits in den Arbeitskollektiven bzw. Wohngebieten klärten. Es gab ein Arbeitsgesetzbuch, das
den Werktätigen Rechte zumaß, von denen man in der heutigen BRD nur zu träumen wagt.
Rechte für Frauen existierten, die heute wie die Ideale einer fernen Zukunft erscheinen.
Abgeordnete mußten vor ihren Wählern Rechenschaft abgeben usw. usf.
Allerdings wurde den politischen Freiheitsrechten insgesamt, der Rechtsstaatlichkeit wie
beispielsweise der Gewaltentrennung, der Unabhängigkeit der Gerichte und den demokratischen
Wirkungsmöglichkeiten der Mehrheit der Bevölkerung nicht annähernd jene Bedeutung
zugemessen, die sie auch unter den ökonomischen und politischen Bedingungen der
sozialistischen Staaten in Europa hätten erlangen müssen. Die formalen Möglichkeiten
bürgerlicher Demokratie, die nicht zuletzt durch den Kampf der Arbeiterbewegung erreicht
13
wurden, wurden mißachtet oder gering geschätzt, statt daran anzuknüpfen.
Eine Folgerung ist, daß Marxisten stets die Einheit von sozialen und politischen bzw. bürgerlichen Menschenrechten verteidigen müssen. Unter heutigen Bedingungen heißt das unter
anderem, alle Angriffe von Kapital und Staat auf bürgerlich-demokratische und soziale Grundrechte abzuwehren und Forderungen nach Reformen bis hin zu radikal-demokratischen Forderungen einzubringen und durchzusetzen. In einer künftigen Gesellschaft muß
sozialistische Demokratie ein grundlegender Wert sein. Denn diese Gesellschaft ist nicht
machbar ohne die Initiative, ohne die schöpferische Mitwirkung der Mehrheit des Volkes.
Das ist auch der Grund, warum beispielsweise neben den Fragen der ökonomischen Grundlagen
der neuen Gesellschaft in den Sozialismusvorstellungen der DKP Demokratiefragen eine so
große Rolle spielen. Ich möchte mich abschließend darauf konzentrieren:
In den vom 14. DKP-Parteitag als Arbeits- und Diskussionsgrundlage für künftige Programmarbeit beschlossenen Sozialismusvorstellungen heißt es unter anderem: ”Um gegen die geballte
Macht des Kapitals einen anderen Entwicklungsweg durchzusetzen, bedarf es umfassender
Massenkämpfe. Der Beginn des sozialistischen Weges ist nicht als Putsch denkbar, sondern nur
als Ergebnis des Handelns von Millionen"20. Wesentliche Grundlage dafür, daß sich die neue
Gesellschaft dauerhaft durchsetzt, sind nicht entsprechende Repressionsapparate oder Gewalt
gegen Menschen und Menschengruppen. Auch das wird es geben. Ich halte ein solches Herangehen für den falschen Ausgangspunkt. Hans Heinz Holz verweist darauf, daß mit der neuen
Gesellschaft nicht das Paradies entsteht. "'Paradise now"', so Holz, "ist eine unhistorische illusionäre Parole". Er verweist aber darauf, daß die neue Gesellschaft auf Dauer nur gefestigt werden kann, wenn die Bürgerinnen und Bürger sich an der Gestaltung ihres Staates und ihrer Lebensweise aktiv beteiligen21. Dazu wird und muß es entsprechende Formen und Institutionen
der Beteiligung und Gestaltung geben, die vielleicht über das weit hinausreichen, was wir kennen
und was sich in einem bestimmten gesellschaftlichen Rahmen durchaus bewährt hat.
Sozialistische Demokratie ist aber kein abstrakter Wert, sondern immer nur unter historisch
konkreten Bedingungen verwirklichter. Ihre Realisierung wird eine Frage der gesellschaftlichen
Durchsetzungsmöglichkeiten sein und bleiben.
Mancher meinte in der damaligen Debatte, wir wären damit in eine “Demokratiefalle” getappt,
andere gar, damit wäre die bürgerliche Demokratie gemeint. Sie bedenken nur nicht, daß dem ein
grundlegender Bruch mit den kapitalistischen Macht- und Eigentumsverhältnissen vorausgehen
muß.
Auf einige Probleme der künftigen Gesellschaft machte Rosa Luxemburg in Auseinandersetzung
mit den Zielen und der realen Politik der Bolschewiki bereits 1918 aufmerksam: "Das
sozialistische Gesellschaftssystem soll und kann nur ein geschichtliches Produkt sein, geboren
aus der eigenen Schule der Erfahrung, aus dem Werden der lebendigen Geschichte... der
Sozialismus [läßt] sich seiner Natur nach nicht oktroyieren..., durch Ukase einführen. Er hat
zur Voraussetzung eine Reihe von Gewaltmaßnahmen - gegen Eigentum etc. Das Negative, den
Abbau kann man dekretieren, den Aufbau, das Positive, nicht.” Sie verwies auf Neuland, auf
Tausend Probleme. ”Unbedingt öffentliche Kontrolle notwendig. Sonst bleibt der Austausch der
Erfahrungen nur in dem geschlossenen Kreise der Beamten der neuen Regierung. Korruption
unvermeidlich. (Lenins Worte, Mitteilunges-Blatt Nr. 36.)"22. Und an anderer Stelle ihrer Schrift
14
"Zur russischen Revolution" fordert Rosa "Schule des öffentlichen Lebens ..., uneingeschränkte
breiteste Demokratie, öffentliche Meinung"23.
Ohne dies, so Rosa Luxemburg, die die Bedingungen der russischen Revolution und die
eingeschränkten Handlungsspielräume der Akteure sehr wohl sah und trotzdem offenbar auf
grundlegende Fragen sozialistischer Entwicklung aufmerksam machen wollte, "Ohne allgemeine
Wahlen, ungehemmte Presse- und Versammlungsfreiheit erstirbt das Leben in jeder öffentlichen
Institution, wird zum Scheinbleben, in der die Bürokratie allein das tätige Element bleibt. Das
öffentliche Leben schläft allmählich ein, einige Dutzend Parteiführer von unerschöpflicher
Energie und grenzenlosem Idealismus dirigieren und redigieren, unter ihnen leitet in
Wirklichkeit ein Dutzend hervorragender Köpfe, und eine Elite der Arbeiterschaft wird von Zeit
zu Zeit zu Versammlungen aufgeboten, um den Reden der Führer Beifall zu klatschen,
vorgelegten Resolutionen einstimmig zuzustimmen..."24. Ihre Befürchtungen sind leider wahr
geworden. Erstaunlicherweise wiederholte sich trotz einer vollkommen anderen Zielstellung,
nämlich alle Verhältnisse umzustoßen, in denen der Mensch unterdrücktes Wesen ist, eine
Erfahrung aus früheren menschlichen Gemeinwesen. Auch die neue Gesellschaft ist nicht vor der
Entstehung neuer, einseitiger oligarchischer und patriarchalischer Herrschaftsverhältnisse gefeit.
Werden dagegen nicht strenge gesellschaftliche Kontrollmechanismen, Offenlegung aller
politischen Entscheidungsvorgänge, Rechenschaftslegung und sofortige Abwahlmöglichkeiten
gesetzt, werden vielleicht immer wieder auch in einer in ihrer Zielstellung humanen, auf soziale
Gerechtigkeit, Solidarität und Frieden ausgerichteten Gesellschaft neue Herrschaftsformen
entstehen.
Die Rolle der kommunistischen Partei
Schlußfolgerungen aus dem Gewesenen berühren unter anderem auch die Frage nach der Rolle
revolutionärer marxistischer Parteien in einer künftigen sozialistischen Gesellschaft, die Formen
ihrer Organisation und die innerparteilichen Demokratie. Denn offensichtlich sind die
staatstragenden sozialistischen bzw. kommunistischen Parteien in Osteuropa im Laufe ihre
Existenz in Krisen geraten. Sie waren nicht in der Lage, die daraus erwachsenden Widersprüche
konstruktiv zu lösen. Diese Entwicklung hat meines Erachtens letztlich den Untergang des
Sozialismus in Europa befördert. Eine führende Rolle – so eine der Schlußfolgerungen – nimmt
man nicht ein, indem man diese deklariert oder in der Verfassung festschreibt. Man muß sie
ständig neu erobern: Indem man Vertrauen und Autorität gewinnt, indem man strebt, in breiter
Diskussion mit anderen die besten Lösungen für gesellschaftliche Entwicklungsprobleme zu
finden.
Robert Steigerwald hat in diesem Zusammenhang in seinem bereits zitierten Artikel noch einen
Aspekt benannt, warum diese Frage für uns wichtig ist: ”Es kommt noch etwas hinzu, was
durchaus bedeutsam ist: Wir sagen etwa, wie sich Demokratie im Sozialismus darstellen soll.
Daraus sind Folgerungen für unser Parteiverständnis heute abzuleiten. Wie soll uns jemand
glauben, wir meinten es mit unseren Demokratie-Vorstellungen im Sozialismus ernst, wenn wir
es in unserer Partei ganz anders trieben? Das Papier bindet uns also nicht erst in der Zukunft
an gewisse Normen, sondern auch schon heute.”25
Ich konnte nur einige Fragen benennen, die in der Programmdebatte im Zusammenhang mit
unseren Sozialismusvorstellungen sicherlich eine Rolle spielen werden. Andere werden dies in
der Diskussion ergänzen. Uns allen ist bewußt, daß für künftige Veränderungen heutige
Diskussionen über Sozialismus ein erster Schritt sind. Ohne Aktion, ohne Schritte wirklicher
Bewegung in unserer Zeit bleiben sie wertlos. Und damit ist uns im Zusammenhang mit unseren
15
Vorschlägen für die Zukunft zugleich immer auch die Aufgabe heutiger Aktion gestellt!
1
Programm der Deutschen Kommunistischen Partei. 1978. S.59 ff
Zur Epocheproblematik gibt es unterschiedliche Standpunkte aus reformistischer, aber auch aus marxistischer
Sicht. Sie werden beispielsweise diskutiert in U.-J.Heuer: In welcher Epoche leben wir? In: Z. Zeitschrift
Marxistische Erneuerung. Heft 44. Dezember 2000. S.74-88
3
Aus dem Beschluß des 15.Parteitages der DKP, Duisburg-Rheinhausen 2000 “DKP – Partei der Arbeiterklasse –
Ihr politischer Platz heute”
4
H.Kallabis/ H.Krusch/ I.Wagner: Ein Beitrag zur linken Programmdebatte in der BRD. Siehe
beispielsweise:www.pds-sachsen.de/ag/MF/index2.htm
5
E.Hahn: Umbrüche? Auswege? In: Marxistische Blätter. Heft 5/1995. S.48
6
Ebenda. S.4
7
Vgl. MEW 4, S.610
8
H.Klenner: Marxistische Rechtsphilosophie - auf dem Abstellgleis der Weltgeschichte? In: Eric Hobsbawm u.a.:
Das Manifest – heute. Hamburg 1998. S.193
9
Keiner redet vom Sozialismus, aber wir: Die Zukunft marxistisch denken. Hrsg. D.Boris/ W.Gerns/ H.Jung.
Bonn 1992
10
Siehe: Konferenz der DKP: "150 Jahre Manifest der Kommunistischen Partei". Referat von Hans Heinz Holz
Das Kommunistische Manifest und die Sozialismusvorstellungen der DKP, gehalten am 21.2.1998. In: trend
onlinezeitung für die alltägliche wut. Nr. 7-8/1998
11
Building socialism now: preparing for the new millenium. Published by COSATU and SACP. Johannisburg
1999. S.61 ff
12
Konferenz der DKP: "150 Jahre Manifest der Kommunistischen Partei" Referat von Hans Heinz Holz: Das
Kommunistische Manifest und die Sozialismusvorstellungen der DKP gehalten am 21.2.1998. A.a.O.
13
Vgl. Gerhard Branstner: Revolution auf den Knien. S.121 ff
14
Hans Heinz Holz: Von der Utopie zur Wissenschaft. In: UZ. 24. April 1998. S.15
15
R.Steigerwald: Der Sozialismus und die Wirrnisse des André Brie. In: Kalaschnikow - Das Politmagazin
Ausgabe 16, Heft 3/00, S. 94ff.
16
Georg Friedrich Wilhelm Hegel: Die Vernunft in der Geschichte. Hrsg. J.Hoffmeister. Mit einem Vorwort von
G.Stiehler. Berlin 1966. S.60
17
R.Steigerwald: Der Sozialismus und die Wirrnisse des André Brie. A.a.O.
18
Uwe-Jens Heuer: Marxismus und Demokratie. Nomos Verlagsgesellschaft. Baden-Baden 1990. S.XI
19
Ebenda, S.VI
20
Sozialismusvorstellungen der DKP
21
Hans Heinz Holz: Von der Utopie zur Wissenschaft. A.a.O. S.15
22
Rosa Luxemburg: Zur russischen Revolution. In: Rosa Luxemburg und die Freiheit der Andersdenkenden.
Berlin 1990. S.154/155. Vgl. auch R.Luxemburg: Gesammelte Werke. Bd.4. Berlin 1987
23
Ebenda. S.156/257
24
Ebenda. S.157/158
25
R.Steigerwald: Der Sozialismus und die Wirrnisse des André Brie. A.a.O.
2
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