Der Stachelpanzerlurch / Der Weisse Kiesel-Lurch

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Der Stachelpanzerlurch / Der Weisse Kiesel-Lurch
>> Seit fast 3 Tagen hatte es jetzt geregnet, in denen Síttætar é-Kronem nur mit einer
Mischung aus Resignation, Trübsinn und Faszination aus einem schmalen Spalt in der
Zeltöffnung in die graue Wand aus Wasserschnüren, die vom Himmel hingen, blicken
konnte. Seine Karavane war schon vorher ein bisschen im Verzug gewesen, doch der
plötzliche und lang anhaltende Regen warf ihn in seinem Zeitplan noch weiter zurück.
Hier, in der grauen Kieswüste Næýthem, regnete es eigentlich fast nie, und wenn dann
mal Wasser vom Himmel fiel, dann war das meist kurz und heftig. Dass es so lange
ununterbrochen regnete, kam wirklich sehr selten vor, und er selbst hatte es erst
zweimal erlebt, allerdings noch nicht in diesem Gebiet der Wüste.
Doch in Nacht des dritten Tages ging der Regen langsam in ein müdes Tröpfeln über,
und Síttætar war schon früh mit den Vorbereitungen für den Aufbruch beschäftigt
gewesen, man hatte sich doch irgendwie ziemlich eingeigelt während der letzten Tage.
„Wie hab ich dich vermisst!“ rief er aus, als sich das Sonnenrund wieder über den
Horizont wagte. Er war Karawanenführer, solang er denken konnte, und das schon in
der dritten Generation, und seine Haut war von der Sonne gegerbt und tiefschwarz.
Dann drehte er sich um trieb die anderen weiter an, ihre Tiere weiter zu bepacken,
denn er war kein Mann der vielen Worte.
Kurz darauf waren sie schon wieder unterwegs, denn sie wollten heute abend noch in
…. sein. Auf seiner Schulter saß natürlich Kraneý, ein schmaler, aber flinker
Flugbeutler, und wie jeden Morgen löste er seine lederne Fußfessel, worauf Kraneý
sich sofort in die Lüfte erhob und sich in die Höhe schraubte. Er war sein Späher, sein
drittes Auge, das ihn zuverlässig vor vor ihnen liegenden Merkwürdigkeiten warnte.
Doch sie waren noch keine Rinæ* unterwegs, da kehrte Kraneý schon kreischend
zurück und flatterte etwas ziellos um seinen Kopf herum, bevor er sich wieder auf
seiner Schulter niederließ. Beruhigend kraulte Síttætar ihm das Fell hinter dem Kopf,
bedeutete den anderen, kurz anzuhalten, und ritt mit zwei seiner Helfer die vor ihnen
liegende Anhöhe hinauf, in der Hoffnung, von dort aus schon die Ursache der
Alarmmeldung zu sehen.
Als sie dort angekommen waren, weiteten sich die Augen von Síttætar, und ihm
entfuhr ein Wort, welches hier nicht wiedergegeben werden sollte und bei dem sich
religiösere Personen wohl peinlich berührt abgewendet hätten.
Vor ihnen bot sich ein bizarres Bild. Am Fuße des Abhangs, etwa 100 Schritt von ihnen
entfernt, schlängelte sich ein Fluss von so strahlender Helligkeit, von der schon hoch
stehenden Sonne reflektiert, dass es blendete. Man konnte keine Einzelheiten
erkennen und keine Bewegung von Wellen. Die beiden Helfer machten schon
Anstalten, mit verwirrt gemurmelten Gebeten auf den Lippen zurückzuweichen, doch
Síttætar é-Kronem sah sich in der Verpflichtung als Karawanenführer, der Sache
nachzugehen. Er schnalzte mit der Zunge und bewegte sein Reittier den Abhang
hinunter, bis schließlich auch dieses seinen Dienst verweigerte, so dass Síttætar
wohlgedrungen die letzte Strecke zu Fuß gehen musste. Die Sonne brannte
unbarmherzig auf die strahlend weiße Fläche, und Síttætar musste seine Augen
bereits stark zusammenkneifen – doch jetzt erkannte er allmählich ein Flimmern in der
weißen Oberfläche, wie von vielfältiger Bewegung, und auch das Ufer des Flusses
schien nicht festgelegt zu sein.
*
Rinæ ist die Zeit, die der Sand braucht, um im großen Sandglas nach unten zu laufen.
Síttætar schattete mit der Hand einen Großteil der weissen Fläche ab und ging in die
Hocke, und jetzt erkannte er mit großem Erstaunen, um was es sich hier handelte …
und jetzt kamen ihm auch die Geschichten in den Sinn, die manchmal andere
Karawanenführer an den Lagerfeuern erzählten, vom „Weissen Kiesel-Lurch“, der
flussgleich die Wüste durchquerte. Er hatte das immer für großmäulige Lügenmärchen
gehalten.
Er streckte seine Hand aus, griff in die quirlige weiße Masse hinein, und als er, den
Fluss im Rücken, die Hand wieder öffnete, hatte er ein sich windendes, dickliches,
makellos weißes Tier in der Hand, eine Art Lurch mit langem Schwanz, was verzweifelt
versuchte, sich aus seiner Hand zu befreien, und schließlich sein kleines Maul öffnete
und ihn in den Finger biss. Mit einem weiteren Fluch ließ Síttætar das Tier fallen,
welches sofort wieder über die dunkelgrauen Kieselsteine zurück zu dem Fluß aus
Tieren wuselte, wo er in der Masse verschwand.
Síttætar erkannte am Rand des Flusses in einiger Entfernung etliche aasfressende
Flugtiere, die sich an dem reichgedeckten Tisch gütlich taten.
…
Wenig später versuchte die Karawane zögerlich, den lebendigen Fluss zu überqueren.
Die scheuenden Tiere waren dabei fast das größte Problem, denn sie wurden so
geblendet, dass sie sich weigerten vorwärtszugehen. Sie mussten ihnen schließlich
die Augen verbinden und sie dann zu Fuß an der Leine hinüberzuführen. Zuerst hatten
sie große Angst, ihren Fuß in die dahinströmende Masse zu setzen, mühsam den Fuß
knapp über den Boden vorwärtsschiebend, damit man keines der Tiere zertrat. Das
ging jedoch nur solange gut, bis die ersten kleinen Aufschreie ertönten: die weißen
Molche begannen zu beissen. Mit beherzten Schritten zogen sie ihre Reittiere
schneller vorwärts und achteten nicht mehr auf das, was sie da zertraten, zumal es
ohnehin nicht wirklich etwas ausmachte.
Síttætar dachte noch lange danach an dieses Erlebnis, und überlegte nur bedauernd,
dass seine Geschichte am Lagerfeuer wohl auch nur müde belächelt werden würde...
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Der Stachelpanzerlurch / Der weiße Kiesel-Lurch
Bei dem Stachelpanzerlurch handelt es sich um ein Amphibium, welches normalerweise im
warmen Uferdelta des Flusses Ákar-inam lebt. Das erwachsene Tier wird mit Schwanz stolze
50-60cm lang, ist von hell-dunkel-grau gescheckter Färbung und ist für gewöhnlich über und
über mit den Kalkablagerungen winziger Flusskrebse bedeckt, welche sich auf seiner Haut
ansiedeln und ihm eine stabilen, stacheligen Panzer bescheren, der ihn vor Fressfeinden
schützt. Die Bauchregion und die Extremitäten werden allerdings immer sorgsam sauber
gehalten, damit eine unbehinderte Bewegung möglich bleibt. Das Tier ernährt sich von Algen
und anderen Wasserpflanzen, die es im Delta in großen Mengen gibt, verschmäht aber auch
Schnecken, kleine Fische und Krebse nicht, die es mit seinen starken Kiefern zerbeissen
kann. Seine scharfen Zähne machen es in Kombination mit seinem Panzer auch gegenüber
größeren Tieren durchaus wehrhaft.
Stachelpanzerlurche werden bis 25 Jahre alt und werden mit etwa 3 Jahren geschlechts-reif.
Die Männchen, sonst einzelgängerisch lebend, begeben sich jedes Jahr zur Paarungszeit im
Frühsommer auf die Suche nach einem geeigneten Weibchen, mit tiefen kollernden Rufen,
die man weithin hören kann, durchforsten sie dann nachts die Uferzonen des Deltas. Das
Weibchen, das meist etwas abseits vom Ufer im Unterholz wartet, wo es geschützter ist,
antwortet darauf und zieht damit mitunter auch mehrere Männchen an. Es gibt nur wenige,
die bisher das Schauspiel der kämpfenden Stachelpanzerlurche beobachten konnten. Diese
Kämpfe können bis zu einer Stunde dauern und durchaus mit Verletzungen verbunden sein.
Das erfolgreiche Männchen hat nun das Recht erworben, das Weibchen zu begatten.
Anschließend bleibt es noch einige Tage mit dem Weibchen zusammen, um etwaige
Mitkonkurrenten davon abzuhalten, sich ebenfalls noch mit dem Weibchen zu paaren.
Anschließend verlässt es das Weibchen wieder und geht seiner Wege.
Das Weibchen entwickelt nun in den kommenden 20-25 Tagen eine große Anzahl von Eiern
in ihrem Unterleib. Das ist der Zeitpunkt, an dem das Weibchen nun den Fluss hinauf zieht,
hinein in den Nebenarm des Stæk bis zum See Rokar, wo es das sichere Wasser verlässt
und sich auf den langen Weg in die Kieswüste Næýthem macht, die nur unweit im Nordosten
des Sees beginnt. Der Panzer schützt nun auch vor der brennenden Hitze der Sonne, wobei
die Kleinstkrebse, die den Panzer eigentlich geschaffen haben, in der Regel dabei absterben.
Es werden sich, wenn die Weibchen zurück ins Flussdelta gelangen, wieder neue Krebse
einfinden, die die leerstehenden Behausungen wieder übernehmen.
Der Stachelpanzerlurch mildert die für Amphibien lebensfeindliche Hitze aber auch durch das
Verhalten, dass er vor allem des Nachts unterwegs ist und sich tagsüber in den Kies eingräbt.
Das ist übrigens mit ein Grund, warum bis jetzt noch niemand bemerkt hat, dass es sich bei
dem Stachelpanzerlurch und dem Weißen Kiesel-Lurch um ein und dieselbe Art handelt!
Nach einem Gewaltmarsch von 6-7 Tagen beginnt das Weibchen nun, in regelmäßigen
Abständen einige Eier auf den Kies zu legen. Durch die grobe Struktur der Kieselsteine fallen
die Eier ohnehin schon etwas tiefer, doch der Stachelpanzerlurch verstärkt diesen Effekt
noch, indem er anschließend den Schwanz in einem schnellen Rhythmus gegen den Boden
schlägt.
Diese Prozedur wiederholt das Weibchen noch einige Male, dann macht es sich wieder auf
den Weg zurück zum Fluss. Das Ganze schwächt das Tier erheblich, und es kommen einige
dabei um, wenn sie dabei von Feinden angegriffen werden oder schlichtweg austrocknen. Die
toten Tiere rufen dann bei denen, die sie finden, große Rätsel auf, wie diese Amphibien des
Flussdeltas hierher gelangt sein mögen.
Die Eier, die in der Wüste zurückgelassen wurden, können dort nun über mehrere Jahre
überdauern. Sie warten auf ganz bestimmte Umweltbedingungen. Es kommt nämlich
durchaus vor, wenn auch nicht sehr häufig, dass es in der Kies-Wüste Næýthem auch regnet.
Geschieht dies, schlüpfen die jungen Stachelpanzerlurche sehr schnell. Sie sind dann etwa
10cm lang. Doch meist regnet es nur wenige Stunden lang, bis die Sonne das frisch gefallene
Wasser wieder verdampfen lässt. Die frisch geschlüpften Lurche trocknen dabei erneut fast
völlig ein, sterben dabei aber faszinierenderweise trotzdem nicht, sondern harren weiter dem
nächsten Regen entgegen.
Erst wenn der höchst seltene Fall eintritt, dass es über mehrere Tage hinweg regnet,
erwachen die jungen Lurche zu ihrem großen Auftritt. Sie speichern zusätzliches Wasser in
ihren Körper, arbeiten sich aus dem Boden hervor und beginnen sofort, sich wie von
Geisterhand gerufen in Richtung des Sees Rokar vorzuarbeiten. Dabei schließen sie sich zu
einem Strom zusammen, der gegen Ende zu einer Breite von 3-4 Metern anschwellen kann.
Sie sind im Gegensatz zu den erwachsenen Tieren fleckenlos und weiß wie Schnee, um die
gnadenlose Hitze der Wüste besser zu reflektieren. Natürlich lockt dies allerdings jede Menge
Feinde an, denen sie ganz ohne Panzer fast völlig schutzlos ausgeliefert sind. Lediglich ihr
Gebiss, das später einmal Krebspanzer aufbeissen kann, setzen sie auch jetzt schon bei
Gefahr ein.
Doch vor allem durch die schiere Masse ist es möglich, das viele von ihnen den See erreicht.
Dort ist die Gefahr selbstverständlich noch lange nicht vorbei, auch dort warten viele Räuber
an Land und im Wasser, die die Zahl der Jungtiere weiter dezimieren. Nur etwa ein Zehntel
der geschlüpften Tiere schafft es bis ins Delta, und von diesen gelingt es auch nur wenigen
Tieren, drei Jahre lang zu überleben, sich in dieser Zeit einen zumindest dünnen Panzer
wachsen zu lassen und schließlich geschlechtsreif zu werden.
Dieses faszinierende Schauspiel des lebendigen Stroms haben bisher erst wenige sehen
dürfen, da es so selten ist und das Ostufer des Rokar-Sees, das an die Kieswüste Næýthem
angrenzt, kaum besiedelt ist.
Die Jungtierform des Stachelpanzerlurchs, bekannt als Weisser Kiesel-Lurch
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