Architektur im Bestand – Baugeschichte SoSe 2009 Materielle und kulturelle Ressourcen Prof. Dr.-Ing. Johannes Cramer Vorlesung Architektur im Bestand 21.04. 28.04. 05.05. 12.05. 19.05. 26.05. 02.06. 09.06. 16.06. 23.06. 30.06. 07.07. Das Bauwerk als materielle und kulturelle Ressource: Ökologie und Denkmaltheorie Das veränderte Bauwerk: Dokumentation und Bauforschung Das besondere Bauwerk: Archäologische und restauratorische Untersuchungen Das stabile Bauwerk: Historische Tragwerke – was ist anders? Exkursionswoche Das verwaltete Bauwerk: Baugesuch und Baustelleneinrichtung Das entworfene Bauwerk: Haltungen I Das entworfene Bauwerk: Haltungen II Das geschädigte Bauwerk: Was tun gegen Schädlinge und Schäden? Das reparierte Bauwerk: Systemlösungen für wiederkehrende Probleme – Feuchtigkeit, Fenster, Mauerwerk, Holzkonstruktionen Das ergänzte Bauwerk: Additive Lösungen im Detail Das geplante Bauwerk – Gastvortrag zum Neuen Museum in Berlin Materielle und kulturelle Ressourcen Architektur im Bestand – Baugeschichte SoSe 2009 Unsere weiteren Veranstaltungen in diesem Semester: Einführung in die Stadtbaugeschichte Mi. 18-20, A 053, 14tg. Beginn 22.04., 18-20 Bauaufnahme, Pflicht 2. Studienjahr Bachelor Di. 12-14, A 053 Einführung war 21.04. Wahlpflichtfächer, für alle Studienverläufe (BA, MA, Diplom) Die Kirchen Roms (Dr. Perlich-Nitz): Einführung 13.05., 12-14, A 052 Historische Dachwerke (Dr. Rogacki-Thiemann): Einführung 22.04., 12-14, A 052 Organische Architektur (Dr. Köllner): Einführung war 20.04. Berlin um 1900 (Dr. Nägelke): Einführung 29.04., Architekturmuseum Haus Estrich von Konrad Wachsmann (Prof. Cramer): Einführung 27.04., A 310 Auf der Suche nach dem alten Ost-Berlin (Dr. Speiser): Einführung war 21.04. Denkmalpflege im internationalen Kontext (Dr. Speiser) Einführung 27.04., A 921 Einzelheiten auf dem Server http://baugeschichte.a.tu-berlin.de oder vor dem Fachgebiet, Raum A 902. Architektur im Bestand – Baugeschichte SoSe 2009 Materielle und kulturelle Ressourcen Der Markt für Architekten 80% aller Bauten, die im Jahre 2050 genutzt werden, sind heute schon da 100% Neubauten bis 2050 100% Altbauten ca. 4/5 aller Bauaufgaben Baudenkmale 3% Quelle: Kohler 1992 Architektur im Bestand – Baugeschichte SoSe 2009 Materielle und kulturelle Ressourcen Architektur im Bestand – Baugeschichte SoSe 2009 Materielle und kulturelle Ressourcen Architektur im Bestand – Baugeschichte SoSe 2009 Materielle und kulturelle Ressourcen Der Abbruch nutzungsfähiger Gebäude verschwendet Ressourcen und verstopft die Deponien Architektur im Bestand – Baugeschichte SoSe 2009 Materielle und kulturelle Ressourcen Vier Fünftel des gesamten Deponiegutes sind Bauschutt 40% der volkswirtschaftlichen Werte eines Gebäudes stecken im Rohbau 60% des Baubestandes ist der Ausbau Gebaut um 1965, abgebrochen 1998 Sinnlos entsorgt: Jede Tür: 3.500 € Gebaut um 1970, abgebrochen 2004 Sinnlos zerstört, Wiederherstellung: 8.500 € Architektur im Bestand – Baugeschichte SoSe 2009 Materielle und kulturelle Ressourcen Dauerhaftigkeit (Nachhaltigkeit) ist ein Ziel und ein Qualitätsmerkmal in allen Wirtschaftsbereichen (außer dort, wo das Produkt so schnell wie möglich kaputt gehen soll) – warum nicht im Bauwesen? Aus dem Anzeigentext: … gut dass mehr als zwei Drittel aller jemals gebauten 911er noch fahren. Architektur im Bestand – Baugeschichte SoSe 2009 Materielle und kulturelle Ressourcen Was den Ruf der Dauerhaftigkeit hat, muss nicht dauerhaft sein Architektur im Bestand – Baugeschichte SoSe 2009 Materielle und kulturelle Ressourcen „Alte und untaugliche“ Holzfenster durch „moderne und langlebige“ Kunststoff-Fenster ersetzen? Anzeige der Industrie zum Recycling von KunststoffFenstern. Dagegen ist natürlich nichts zu sagen. Aber: Kunststoff-Fenster gibt es erst seit den siebziger Jahren. Die Anzeige stammt aus dem Anfang der neunziger Jahre. Lebensdauer also ca. 20 Jahre. Im Gegensatz dazu die Holzfenster: Kastenfenster in Berlin: über 100, Das älteste bekannte: von 1545, also fast 500 Jahre. Die volle Wahrheit über alte Kunststofffenster Architektur im Bestand – Baugeschichte SoSe 2009 Materielle und kulturelle Ressourcen Historische Baumaterialien sind ihrer Natur nach ungiftig und gesund, moderne nicht unbedingt Materielle und kulturelle Ressourcen Architektur im Bestand – Baugeschichte SoSe 2009 Historische Baumaterialien können auch heute verarbeitet werden Architektur im Bestand – Baugeschichte SoSe 2009 Materielle und kulturelle Ressourcen Alte Häuser sind auch die Wohnung geschützter Arten: Fledermäuse im Dach und im gotischen Gewölbe Architektur im Bestand – Baugeschichte SoSe 2009 Materielle und kulturelle Ressourcen Geschützte Arten können den Fortgang der Baustelle beeinflussen: Falken Architektur im Bestand – Baugeschichte SoSe 2009 Materielle und kulturelle Ressourcen Falke über dem Baugerüst, Schwalbe in der Baustelle Architektur im Bestand – Baugeschichte SoSe 2009 Materielle und kulturelle Ressourcen Das Vorhandene weiter zu bauen und an geänderte Anforderungen anzupassen, war über Jahrhunderte eine der Hauptaufgaben der Architekten und wird es zukünftig wieder werden. Die Vorstellung, dass ein Bauwerk nach zwei Jahren fertig ist und dann bis zum Abbruch nach einer Nutzungsdauer von höchstens 30 Jahren nicht mehr verändert wird, ist unzeitgemäß geworden. Rom, Alt St.-Peter Bauzeit: 30 Jahre Nutzungszeit: 1200 Jahre Rom Neu St.-Peter Bauzeit: 200 Jahre Nutzungszeit: bis heute Shanghai, Hochhausviertel Pudong Bauzeit: 2 Jahre Nutzungszeit: ? Architektur im Bestand – Baugeschichte SoSe 2009 Materielle und kulturelle Ressourcen Siena, Dom Gescheitertes Erweiterungsprojekt Architektur im Bestand – Baugeschichte SoSe 2009 Materielle und kulturelle Ressourcen Siena, Dom Fahrverkehr im nicht vollendeten großen Kirchenschiff Architektur im Bestand – Baugeschichte SoSe 2009 Materielle und kulturelle Ressourcen Umbau eines RenaissanceSchlosses in barocken Formen vorher - nachher Architektur im Bestand – Baugeschichte SoSe 2009 Materielle und kulturelle Ressourcen Vicenza, Umbau des Rathauses (Palazzo di Raggione / Basilica) durch Andrea Palladio Materielle und kulturelle Ressourcen Architektur im Bestand – Baugeschichte SoSe 2009 Rathaus Vicenza, Ummantelung mehrerer älterer Bauten mit einer neuen Fassade Architektur im Bestand – Baugeschichte SoSe 2009 Materielle und kulturelle Ressourcen Architektur im Bestand – Baugeschichte SoSe 2009 Materielle und kulturelle Ressourcen Unfertig gebliebene Kirchenfassade in Catania, Sizilien Architektur im Bestand – Baugeschichte SoSe 2009 Materielle und kulturelle Ressourcen Unfertig gebliebene Kirche auf Sizilien Architektur im Bestand – Baugeschichte SoSe 2009 Materielle und kulturelle Ressourcen Eine alte Kapelle, in der heute jemand wohnt Architektur im Bestand – Baugeschichte SoSe 2009 Materielle und kulturelle Ressourcen Umfangreiche Fassadendekorationen auf der scheinbar verwahrlosten Fassade: Quaderstruktur um die zugemauerten Fenster Architektur im Bestand – Baugeschichte SoSe 2009 Materielle und kulturelle Ressourcen Spuren suchen … Architektur im Bestand – Baugeschichte SoSe 2009 Materielle und kulturelle Ressourcen Eine alte Kirche, in der heute jemand wohnt: Deutschordenskirche in Maastricht Umbau zum Hotel Satijn Architecten 2004 Architektur im Bestand – Baugeschichte SoSe 2009 Materielle und kulturelle Ressourcen Die Wertschätzung der gebauten Geschichte hat eine lange Tradition mit großartigen Ergebnissen auch im Entwurf. Nur heute wird diese uralte Haltung aus unterschiedlichen Gründen oftmals ad absurdum geführt. Architektur im Bestand – Baugeschichte SoSe 2009 Materielle und kulturelle Ressourcen Kitsch im überformten Fertigteilbau der siebziger Jahre ……. Architektur im Bestand – Baugeschichte SoSe 2009 Materielle und kulturelle Ressourcen Belek (TR) Nimes (F) Paphos (CY) All fake! Architektur im Bestand – Baugeschichte SoSe 2009 Materielle und kulturelle Ressourcen Carlo Scarpa, Castelvecchio, Verona Jean Nouvel, Theater in Belfort Architektur im Bestand – Baugeschichte SoSe 2009 Materielle und kulturelle Ressourcen Gotische Kirche mit romanischen Spolien (Gotland) und Stadtpalast in Rom mit antiken Fundstücken Architektur im Bestand – Baugeschichte SoSe 2009 Materielle und kulturelle Ressourcen Bischofsburg Seggau (Steiermark) mit römischen Fundstücken Architektur im Bestand – Baugeschichte SoSe 2009 Materielle und kulturelle Ressourcen Neubau des Rathauses in Seligenstadt im Jahr 1823 mit Wiederverwendung von zwei alten Steinen in der Fassade Architektur im Bestand – Baugeschichte SoSe 2009 Materielle und kulturelle Ressourcen Chicago Tribune Tower (1924) mit steinernen Fundstücken aus aller Welt in der Fassade Architektur im Bestand – Baugeschichte SoSe 2009 Materielle und kulturelle Ressourcen Denkmalpflege – Die Arbeit mit Geschichte und Erinnerung Begriffe: Baudenkmalpflege Denkmalschutz Denkmalschutzgesetze Denkmalämter Konservierung Restaurierung Instandsetzung Modernisierung Restauration Die Arbeit am Baudenkmal Das Bemühen um dessen Erhaltung Die Rechtsgrundlage der Länder Die zuständigen Behörden Fachbehörde: Landesdenkmalamt Vollzugsbehörde: UDSchB (= Untere Denkmalschutzbehörde) Unveränderte Erhaltung des Bestands Ergänzende Erhaltung des Bestands Reparatur des Bestands Verbesserung des Bestands Eine Wirtschaft oder Politik – Grrrrrr! Architektur im Bestand – Baugeschichte SoSe 2009 Materielle und kulturelle Ressourcen DAS BAUDENKMAL ALS VERFÜGUNGSMASSE ? 88% der Deutschen ziehen die Restaurierung alter Gebäude dem Bau neuer vor …. Bekenntnisse ….. 65,9% aller Deutschen empfinden das Wohnen in einem denkmalgeschützten Gebäude als „etwas Besonderes“ 64,4% aller Deutschen sehen die Instandsetzung alter Bauten als Beitrag zur „Erhaltung von etwas Schönem“ (Architektenblatt 11/2006) ... und die Realität Architektur im Bestand – Baugeschichte SoSe 2009 Materielle und kulturelle Ressourcen Architektur ist dem Wandel unterworfen … Die Frage besteht darin, wie viel Wandel erforderlich ist und wann das Bauwerk seine Identität verliert … die Vertheidigung gegen die Stürmenden zu übernehmen, welche … auf den Untergang manches herrlichen Werkes hinarbeiteten, so … dass unser Vaterland von seinem schönsten Schmuck so unendlich viel verlor … so werden wir in kurzer Zeit unheimlich nackt und kahl, wie eine neue Colonie in einem nicht bewohnten Land dastehen. Karl Friedrich Schinkel, 1815 Architektur im Bestand – Baugeschichte SoSe 2009 Materielle und kulturelle Ressourcen Architektur im Bestand – Baugeschichte SoSe 2009 Materielle und kulturelle Ressourcen Keine Frage: Mit dem Denkmalschutz gibt es immer wieder Konflikte. Aber nicht immer ist die Behörde schuld. Viel öfter sind es falsche Erwartungen beim Bauherrn und unzureichendes Wissen beim Planer, die den Konflikt herauf beschwören. Architektur im Bestand – Baugeschichte SoSe 2009 Materielle und kulturelle Ressourcen Betonung der Authentizität des Historischen und der Bedeutung des Materials, nicht des Bildes. … zählt seine Steine wie die Edelsteine einer Krone, bindet es mit Eisenklammern zusammen, wo es sich löst, stützt es mit Balken, wo es sich neigt, kümmert euch nicht um die Unansehnlichkeit solcher Stützen: Besser eine Krücke als ein verlorenes Glied! (The lamp of memory) Eine Stütze, ein eiserner Ring, ein kräftiger Strebepfeiler, eine ganze Stützmauer, ein Schutzdach, selbst eine noch so auffällige Hilfskonstruktion, um einen Bauteil, der mit dem Sturz droht, zu halten, ist so lange das Richtige, als ein solches Mittel überhaupt noch angewendet werden kann. (Hermann Muthesius, 1902) John Ruskin (1819 – 1900) The Seven Lamps of Architecture (1849) The Stones of Venice (dt. Die Steine von Venedig), London 1851 Architektur im Bestand – Baugeschichte SoSe 2009 Materielle und kulturelle Ressourcen Visby (Gotland), mittelalterliche Stadtmauer Architektur im Bestand – Baugeschichte SoSe 2009 Materielle und kulturelle Ressourcen Visby (Gotland), mittelalterliche Stadtmauer – Verkürzung der Kurtinen durch zusätzliche Türme, die auf die Mauer aufgesetzt wurden. Das Problem: Die auf der Mauer reitenden Türme kippen ab. Architektur im Bestand – Baugeschichte SoSe 2009 Materielle und kulturelle Ressourcen Visby (Gotland), Sicherung der Türme auf der mittelalterlichen Stadtmauer – Additive und reversible Stützmaßnahme mit gusseisernen Stützen, die mit Bleifutter angepasst sind. Architektur im Bestand – Baugeschichte SoSe 2009 Materielle und kulturelle Ressourcen Betonung der Authentizität des Historisch Gewordenen und des Zeugniswertes des veränderten Bauwerks. Motto: Konservieren, nicht Restaurieren! … so kann ich denen nicht widersprechen, die behaupten, der durch übereifrige Liebe mit dem Restaurationswesen angerichtete Schaden sei für die Denkmäler größer als er je durch einfaches Gehenlassen hätte werden können. Es ist nicht anders: Die Ärzte sind gefährlicher geworden als die Krankheit selbst. (Georg Dehio 1905) Materielle und kulturelle Ressourcen Architektur im Bestand – Baugeschichte SoSe 2009 Das Anliegen des Denkmalschutzes: Schutz vor Beschädigung und Zerstörung Brunnen mit Sandsackschutz im Krieg Skulptur mit Tuch im Depot Architektur im Bestand – Baugeschichte SoSe 2009 Materielle und kulturelle Ressourcen Konzeptkunst – keine Denkmalpflege: Die Glasglocke über dem alten Bauwerk