Türe auf, Blick zurück

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Datum: 18.04.2011
,1,19
MP.
..:751
Ausgabe St. Gallen+Gossau
St. Galler Tagblatt AG
9001 St. Gallen
071/ 272 77 11
www.tagblatt.ch
Medienart: Print
Medientyp: Tages- und Wochenpresse
Auflage: 29'504
Erscheinungsweise: 6x wöchentlich
Themen-Nr.: 833.4
Abo-Nr.: 833004
Seite: 11
Fläche: 60'786 mm²
Türe auf, Blick zurück
Theater St. Gallen Regisseur Wolf-Dietrich Sprenger hat Georges Feydeaus Der Floh im Ohr für St. Gallen bearbeitet.
Premiere des Stücks mit viel Mundart, viel Slapstick und wenig Hintersinn war am Freitag.
Peter Surber
Bild: Raliyi Ribi
Ein Spiel mit vielen Türen, und vielen Verwechslungen: Doktor Schütz (Bruno Ried!) lässt Kussfeldt (Christian Hettkamp) die Hosen runter.
Keine Inhaltsangabe also. Die trägern von Gatte Dr. Hans JoaForm ist der Inhalt: Sechs Türen chim «Hajo» Kussfeldt (Christian
schwingen im ersten und dritten Hettkamp), die dieser im Bordell
Akt unablässig auf und zu für Rote Katze vergessen haben soll.
buchstäblich Hunderte von Auf- Eine Tür für Lissi Aufdermauer
tritten, Fehltritten, unerwünsch- (Annette Wunsch) und ihren
ten, unverhofften und abverhei- Genie-Einfall, Hajo mit einem
nicht zu trennen und diese im ten Begegnungen. Eine Tür für handgeschriebenen Liebesbrief
übrigen sowieso stets dieselbe: Isabell Kussfeldt (Diana Dengler), der Untreue zu überführen.
Seitensprünge, Eifersüchte, Ver- eine zweite für das Couvert mit
dem Corpus Delicti: den Hosen- Im Rotlichtviertel
wechslungen ä gogo.
eine Inhaltsangabe. So
steht es im Programmheft; Feydeaus Vaudeville-Komödien liessen
sich nicht nacherzählen, die vielgerühmte «Mechanik» seiner
Stücke sei von der Geschichte
1(
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Damit ist der Sack zu. Und alle Schweizer und Sauschwoobe
einen Sprachwitz und Kalauer
Türen offen: für Lissis eifersüchtiSo kommt am Ende alles wie- gut.
gen Gatten Guido (Hans-Jörg der gut. Zumindest für TheaterFrey), für den eitlen Ruedi Tunnel gänger, die einen raschen, über- I weiss nöd wer i bi
(Alexandre Pelichet), den diaboli- drehten Klamauk mögen. Und
90 Minuten Turbulenz ohne
schen Doktor Schütz genannt dem Comedythema Eifersucht Pause, mit glänzend aufgelegten,
Sprütz (Bruno Riedl), für das Fak- und Doppelmoral noch etwas schamlos
überzeichnenden
totum Eddi (Marcus Schäfer) und
die heimliche Liebe von Töchterchen Annie (Hanna Binder) und
Kussfeldt-Filius Oscar (Dominik
Kaschke).
Der erste Akt zieht die Stricke so
eng, dass sich im zweiten unausweichlich die ganze ehrenwerte
Gesellschaft in der «Roten Katze»
abgewinnen können. Immerhin Schauspielern, viel Körpereinsatz
aber hat Regisseur Wolf-Dietrich und pannenloser SzenenmechaSprenger das Original kräftig nik: Mehr hätte sich wohl auch
bearbeitet und auf das hiesige Autor Feydeau nicht gewünscht.
Ensemble zugeschnitten. So Seine Komödie ist ein «petit hen» ,
viele Türen, so viele Dialekte: systemerhaltend: Nach andertSchäfer sächselt, Riedl wienert, halb Stunden ist alles wieder beim
alten und jeder glücklich, dass
Hettkamp
spricht
gepflegtdeutsch, Kaschke mit Sprach- sich nichts geändert hat.
trifft. Im plüschigen Etablisse- fehler, Frey übt Emildeutsch, und
Wer sich hingegen den Floh ins
ment, pikanterweise in Kreuzlin- Dengler, Wunsch und Pelichet Ohr setzt, dass im Geschlechtergen gelegen, hat Ausstatter Achim reden Dialekt wie beim drama- wesen seit der Uraufführung 1907
Römer zu den Türen Treppen, tischen Verein Bachenbülach.
ja doch einiges anders geSofas, eine Perücke und ein Drehbett hinzugefügt. Willi Häne spielt
Akkordeon, ausserdem vermeh-
worden sei, bekommt auf der
Was für ein Witz!
Das Vaudeville tot?
Das Melodram tot?
Das fehlte noch!
ren ein dussliger Professor (David
Steck), Wirt Hans Rudolf Spühler
und Frauenheld Noboddecall
(Matthias Albold) die Konfusion.
Georges Feydeau
Sowie der Mann für alle Fälle: Till,
der Dr. Kussfeldt fatalerweise aufs
Über weite Strecken (nobel: mit
Haar gleicht. Die Folge: Quadratur Übertitelung) erlebt man in
der Verwechslung, ein wüstes St. Gallen einen Mundart-FeyDurch-, In- und Übereinander, bis deau. Regisseur Sprenger macht
am Ende Männlein und Weiblein sich einen Jux daraus, das hunallesamt kompromittiert sind. Im dert Jahre alte Pariser Stück ganz
strömenden Ostschweizer Regen nah heranzuholen, und er hat das
geht es zurück zum türenschla- kabarettistische Talent dafür.
Bühne keine Antwort. Dabei
zitiert das Programmheft immer-
hin Max Frischs «Stiller». Und
das Ensemble bietet zum Auftakt
fast marthalerisch ein Gsängli
dar, das die Identitätsfrage aufwirft: I weiss nöd wer i bi.
Ein Abenteuerchen
Im «Stiller», auch schon wieder
eine Weile her, aber schlagend
modern, fordert Frisch «die lebenslängliche Bereitschaft für das
Lebendige, selbst wenn es die Ehe
gefährdet, und also eine immer
genden Akt drei. Guido Aufder- Schweizer und «Sauschwoobe» offene Tür für das Unerwartete,
mauer kann knapp davor bewahrt nehmen sich gegenseitig hoch; nicht für Abenteuerchen, aber für
werden, sich als «John Wayne von die Waffen-Initiative, die «bösen das Wagnis». Bei Feydeau sind
St. Gallen» unsterblich zu machen Deutschen» Grübel oder Hitz- zwar gleich sechs Türen offen und die ganze Truppe totzu- feld, Calmy-Rey, das müde St. Gal- aber bloss für ein wagnisloses,
ballern. Und die Ehen sind noch ler Nachtleben oder das Thea- wenn auch unterhaltendes Abeneinmal gekittet. Schampus!
ter selber («solangs es no gitt»): teuerchen.
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