Economic Newsletter Extra Griechenland und der Euro

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Economics
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Economic Newsletter Extra
Griechenland und der Euro: Zwischen Skylla und
Charybdis 1
Als Griechenland am 1. Januar 2001 der Eurozone beitrat, erfüllte es zwar formal jene
Voraussetzungen, die als Maastricht-Kriterien bekannt wurden, im Nachhinein stellte sich
jedoch heraus, dass Griechenland geschönte Daten geliefert hatte. Ein im November 2004
veröffentlichter Bericht von Eurostat zeigte auf, dass von Griechenland an die Kommission
mitgeteilten Defizitzahlen nicht nach den europäischen Regeln berechnet worden waren.
Nach der Neuberechnung lagen die griechischen Defizitangaben für die Jahre 1997 bis
2000 über dem Konvergenzkriterium von 3 % des BIP, sodass Griechenland der
Währungsunion eigentlich nicht hätte beitreten dürfen. Durch die Zustimmung der
europäischen Finanzminister konnte Griechenland trotzdem in der Währungsunion
bleiben – mit allen, damals vernachlässigten, Risiken.
Das Konzept einer Währungsunion
Betrachtet man den Euroraum durch die Brille der verschiedenen ökonomischen Theorien
über optimale Währungsräume, sind einige Fehler in der Konzeption der Europäischen
Währungsunion (EWU) sofort offensichtlich. So besagt z.B. die Theorie des
Wirtschaftsnobelpreisträgers Robert Mundell, dass ein gemeinsamer Währungsraum nur dann
optimal ist, wenn ein externes Gleichgewicht bei gleichzeitiger Erreichung
binnenwirtschaftlicher Ziele herbeiführbar ist. Sprich: Ein Währungsraum ist nur dann
optimal, wenn eventuelle externe Schocks auf alle teilnehmenden Volkswirtschaften die
gleichen Auswirkungen haben oder wenn – für die Praxis relevanter – eine hohe
Faktormobilität zwischen den Mitgliedsstaaten besteht. Denn dadurch können die
Ungleichheiten, die aufgrund eines Schocks entstehen, ausgeglichen werden (insbesondere
beim Faktor Arbeit). Im Vergleich zur USA ist die Arbeitsmobilität innerhalb Europas
allerdings nicht stark ausgeprägt, im Falle Griechenlands ist sie sogar noch schwächer.
Angesichts dieser Theorie aus dem Jahre 1961 (!) ist es also fraglich, ob Griechenland
überhaupt als funktionierender Teil einer optimalen Währungsunion anzusehen war.2
1
2
Skylla und Charibdis waren zwei Ungeheuer der griechischen Antike, zwischen denen sich Odysseus (König
von Ithaka, Erbauer des trojanischen Pferdes, Protagonist eines der ersten Reiseberichte der Welt)
durchlavieren musste. Charybdis, gestaltlos und gefräßig, saugte dabei das Meer ein und verschlang alles,
was sich darauf befand, während Skylla mit ihren langen Fangarmen alles erstickte. Die Gestalt der Skylla ist
überliefert: sie hatte den Oberkörper einer Frau, als Unterleib aber 12 Hundebeine und 6 Hundeköpfe.
Diese Frage wäre allerdings auch in Bezug auf manch anderes Land gerechtfertigt.
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Auch unter Bedachtnahme der Erweiterung des
Modells von Mundell durch Ronald McKinnon
lässt sich eine Aufnahme Griechenlands nicht
rechtfertigen. McKinnon bezog den
Offenheitsgrad einer Wirtschaft mit ein und
postulierte, dass je offener eine Volkswirtschaft
ist, desto weniger wirkungsvoll sind nominelle
Wechselkursänderungen. Betrachtet man die
Offenheit eines Landes als Durchschnitt von
Import und Export im Vergleich zum BIP, zeigt
sich, dass Griechenland mit nur 25 % (2010)
wesentlich schwächer im internationalen Markt
integriert ist als beispielsweise Deutschland mit
76 % oder Frankreich und Italien mit jeweils 49%
des BIP. Unter diesem Aspekt ist eine Teilnahme
Griechenlands an der EWU daher ebenfalls als
kritisch zu betrachten.
Maastrichter EUKonvergenzkriterien:
Das jährliche Defizit der EuroMitgliedsstaaten muss unter 3 % des BIP
liegen und die Gesamtverschuldung darf
die Grenze von 60 % des BIP nicht
übersteigen. Zusätzlich beinhalten die
Kriterien das Ziel der Preisstabilität
(maximal 1,5 Prozentpunkte über der
durchschnittlichen Inflationsrate der drei
preisstabilsten Mitgliedsländer),
Wechselkursstabilität (mindestens
zweijährige Teilnahme am Europäischen
Wechselkurssystem ohne Abwertung)
und – ironischerweise – eine langfristige
Zinsstabilität: der Zinssatz für
Staatsanleihen darf nicht mehr als 2
Prozentpunkte über dem Durchschnitt
der drei preisstabilsten Mitgliedsstaaten
liegen.
Peter Kenen untersuchte anschließend die erste
Annahme Mundells (Staaten sind gleichen oder
ähnlichen Schocks ausgeliefert) und erweiterte das
Modell um die Integration des Gütermarktes und um die Ähnlichkeit der Wirtschaftszyklen
der einzelnen Mitgliedsländer. Kenen schlussfolgerte, dass eine stärkere Verflechtung von
Volkswirtschaften ein Auftreten asymmetrischer Schocks eher unwahrscheinlich macht. Sein
zweiter Beitrag war die Berücksichtigung der Produktdiversifikation mit der Aussage, dass
ein höherer Spezialisierungsgrad einer Region (eines Landes) die Anfälligkeit für
asymmetrische Schocks erhöht. Für die Validierung dieser Theorie muss man sich zuerst die
Wirtschaftsstruktur eines Landes ansehen. Im Fall Griechenlands wird vielfach angenommen,
dass es „dort“ nur Tourismus und Landwirtschaft gibt – somit ein Indiz für einen hohen
Spezialisierungsgrad und eine damit verbundene hohe Anfälligkeit für einen asymmetrischen
Schock. Aber hält diese These der Realität stand?
Primärer Sektor
Die Landwirtschaft stellt für Griechenland eine bedeutende Einnahmequelle dar und
beschäftigte im Jahr 2010 12 % der erwerbstätigen Bevölkerung. Im selben Jahr waren über
24 % der griechischen Exporte und 12,5 % der Importe landwirtschaftliche Produkte. Die
klimatischen Bedingungen begünstigen den Anbau von Gemüse und Früchten sowie die
Schaf- und Ziegenzucht. Eine ausgesprochen dynamische Entwicklung verzeichnete in den
letzten Jahren die griechische Fischzucht. Mit einem Anteil von ca. 65 % an der
gesamteuropäischen und ca. 57 % an der weltweiten Produktion von Wolfsbarsch und
Königsbrasse ist Griechenland weltweit der größte Anbieter dieser Fischsorten. Mit 3,3 %
(2011) hat Griechenland einen wesentlich größeren Primärsektor als der EU Durchschnitt
(1,8 %). Selbst innerhalb der PIIGS-Staaten 3 hat nur Spanien mit 3,2 % einen vergleichsweise
ähnlich stark ausgeprägten Sektor. Angesichts der geringen Größe des Primärsektors
3
Portugal, Italien, Irland, Griechenland, Spanien.
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Griechenlands kann man dennoch nicht von einer Spezialisierung in diesem
Wirtschaftsbereich sprechen.
Sekundärer Sektor
2010 trug der griechische Industriesektor ca. mit 18 % zum BIP bei, beschäftigte 18% der
erwerbstätigen Bevölkerung und lieferte knapp 60 % der griechischen Exporte. Innerhalb der
PIIGS-Staaten weist Griechenland somit den niedrigsten Anteil des Sekundärsektors am BIP
auf; der EU-Durchschnitt beträgt 25 %. Die von der Finanzkrise stark betroffene
Sachgütererzeugung ist durch eine Vielzahl von kleinen und mittleren Unternehmen
gekennzeichnet. Die Mehrheit dieser Unternehmen sind kleine Familienbetriebe in den
traditionellen Branchen Nahrungsmittel und Getränke, Bekleidung und Textilien, chemische
Produkte und Plastik, Öl und Kohleprodukte, Glasprodukte und Zement. Neue Industrien
entwickelten sich in den letzten Jahren in den Bereichen Technologie und Kommunikation.
Tertiärer Sektor
Der Dienstleistungssektor erzeugte 2010 knapp 79% des BIP und beschäftige 70% der
erwerbstätigen Bevölkerung. Griechenland hat somit einen der ausgeprägtesten
Tertiärsektoren innerhalb der EU (EU-Durchschnitt: 73,2 %). Die bedeutendsten Branchen
dieses Sektors sind der Tourismus, die Schifffahrt, der Finanzsektor und der Handel. Die
wichtigsten Sparten sind das Grundstücks- und Wohnungswesen, die öffentliche Verwaltung,
Verteidigung und Sozialversicherung sowie Großhandel.
Der griechische Staat hat jedoch einen aufgeblähten öffentlichen Sektor, welcher
mitverantwortlich für den hohen Wettbewerbsnachteil von Griechenland gegenüber seinen
Handelspartnern ist. Setzt man die Beschäftigten in der öffentlichen Verwaltung, dem Militär
und den Sozialversicherungen ins Verhältnis zu den insgesamt Beschäftigten, ergibt sich ein
Anteil von 9 %. Das Land ist hierbei Spitzenreiter innerhalb der Europäischen Union.
GR: Beschäftigte in der öffentlichen Verwaltung, Verteidigung und
Sozialversicherung
in % der Gesamtbeschäftigung
Österreich
Euroraum
Spanien
Griechenland
2011
2008
0%
Q: Eurostat
1%
2%
3%
4%
5%
6%
7%
8%
9%
10%
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Wird der Betrachtungswinkel erweitert und alle bei der öffentlichen Hand Beschäftigten
zusammengezählt – wie Lehrer und staatliche Unternehmen – ist jeder vierte Erwerbstätige
beim griechischen Staat beschäftigt. Notwendige Strukturreformen gehen indes schleppend
voran: Von den rund 2.000 staatlichen Unternehmen, die oft defizitär geführt werden, sind bis
Mitte 2012 erst 100 Betriebe geschlossen worden. Bis 2015 sollen von den 768.000 im
griechischen Staatsapparat Beschäftigte, 150.000 Angestellte abgebaut werden. Aufgrund des
großen Widerstandes, konnte die Regierung bislang jedoch erst die Entlassung von ungefähr
einem Zehntel dieses Zieles durchsetzen. Allerdings konnten durch Lohn- und
Gehaltskürzungen um mindestens 20 %, große Einsparungen im öffentlichen Dienst
geschaffen werden.
Zusätzlich ist Griechenland für seine vielen kleinen Läden bekannt, das Land hat einen hohen
Anteil selbstständig Erwerbstätiger. In fast allen Geschäftszweigen liegt das Verhältnis der
Selbstständigen zu den Gesamtbeschäftigten beinahe doppelt so hoch wie im Durchschnitt der
Eurozone. Dies zieht sich durch alle Wirtschaftszweige, insbesondere in der Landwirtschaft,
Forstwirtschaft und Fischerei, sowie in den wissenschaftlichen und technischen
Dienstleistungen. Wenn alle griechischen Freiberufler und Selbstständigen ihre Steuern
regulär abführen würden, bräuchte Griechenland einer Studie der Booth School of Business
der Universität Chicago 4 zufolge kein neues Sparprogramm. In dieser Studie wurde
aufgezeigt, dass die tatsächlichen Einkommen weit höher sind als offiziell angegeben.
Dadurch entgehen dem Staat jedes Jahr 11,2 Mrd EUR. Dem gegenüber gestellt: Das
Sparpaket, das die griechische Regierung zuletzt mit den internationalen Geldgebern
vereinbart hat, hat ein Volumen von 11,5 Mrd EUR.
GR: Selbstständig Erwerbstätige im Vergleich zur Gesamtbeschäftigung
in %
Euroraum 2012Q1
Erziehung und Unterricht
Griechenland 2012Q1
Wissenschaftliche und
technische Dienstleistungen
Information und
Kommunikation
Gastgewerbe
KFZ-Handel und Reparatur
Baugewerbe
Verarbeitendes Gewerbe
Land- und Forstwirtschaft,
Fischerei
Alle Wirtschaftszweige
0%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
70%
80%
Q: Eurostat
4
Artavanis, Morse and Tsoutsoura: Tax evation across industries – Soft credit evidence from Greece; 25. Juni
2012; Link: http://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=2109500
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Angesichts der wirtschaftstheoretischen Grundlage zu gemeinsamen Währungsräumen wird
klar, dass die EWU ganz offensichtlich nicht nach einem rein ökonomischen Kalkül
aufgebaut wurde. Ökonomisch gesehen war es nie sinnvoll, Griechenland in die EWU
aufzunehmen, allerdings war die Idee eines geeinten Europas die treibende politische Kraft.
Was aber waren und sind die Folgen des Beitritts Griechenlands zur EWU, zumal für das
Land selbst?
•
Die Zinsen für Staatsanleihen fielen beinahe auf das Niveau von Deutschland. Dank
dieser niedrigen Zinsen war es Griechenland möglich, billige Schulden aufzunehmen.
Griechenland begann eine expansive Fiskalpolitik zu betreiben. Der Großteil der
Mittel floss jedoch nicht in öffentliche Investitionen sondern direkt in den Konsum.
•
Nach der Einführung des Euros verfehlte Griechenland die durchschnittliche
Inflationsrate der Euroländer, die bis zum Ausbruch der Finanzkrise zwischen 2 %
und 2,3 % pendelte, ständig. In Griechenland betrug die Preissteigerung stattdessen
stetig zwischen 3 % und 4 %. Im Einklang mit höheren Inflationsraten kamen höhere
Lohnforderungen der Gewerkschaften.
•
Die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit Griechenlands lässt sich auch aus der
Leistungsbilanz ablesen. Seit 1995 wies Griechenland ein sich stetig ausweitendes
Leistungsbilanzdefizit auf und erreichte im Jahr 2008 einen Höhepunkt mit einer
Lücke von 17,9 % des BIP. Seitdem konnte das außenwirtschaftliche Ungleichgewicht
zwar kontinuierlich abgebaut werden, ist aber immer noch defizitär.
•
Durch den Beitritt und den Währungswechsel verlor Griechenland, wie alle EuroStaaten, die Möglichkeit, über seine Geldpolitik selbst zu bestimmen.
GR: Leistungsbilanz
0,0
0
-2,0
-5.000
-4,0
-10.000
-6,0
-8,0
-20.000
-10,0
-12,0
-25.000
-14,0
-30.000
-16,0
-35.000
Leistungbilanz Mio EUR
Leistungbilanz % BIP
-18,0
-40.000
-20,0
1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011
Q: Eurostat (ecowin), DGECFIN
% BIP
Mrd EUR
-15.000
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Bei Betrachtung der ökonomischen Faktoren hat sich die Lage Griechenlands durch den
Beitritt zur EWU also stark verbessert – ein robustes BIP-Wachstum, hohe Erwerbstätigkeit,
eine starke Inlandsnachfrage usw. Allerdings konnte all dies nur aufgrund der billigen
Finanzierung geschehen, die nicht nachhaltig war und nur die Ineffizienzen der griechischen
Wirtschaft übertünchte. Mit dem Ausbruch der Staatsschuldenkrise wurde dies nur allzu
offensichtlich: Desolate Staatsfinanzen aufgrund eines dysfunktionellen Fiskalsystems, ein
überdimensionierter öffentlicher Sektor, gepaart mit endemischer Korruption und einem
dramatischen Wettbewerbsverlust der griechischen Wirtschaft in den letzten Jahren.
Staatsschuldenkrise
Bereits vor dem Ausbruch der Staatsschuldenkrise hatte Griechenland ein Budgetdefizit, das
deutlich über dem Konvergenzkriterium von 3 % des BIP lag. Die Staatsausgaben lagen mit
rund 64 % des BIP zwar im Durchschnitt der EU, die Einnahmen lagen mit 40 % allerdings
drastisch darunter. Gründe für diese geringen Einnahmen sind unter anderem die ausgeprägte
Schattenwirtschaft und die Korruption, die geringe offizielle steuerliche
Bemessungsgrundlage griechischer Großunternehmer und schließlich eine weitläufig
akzeptierte Steuerhinterziehung. Geschätzt wird, dass dem griechischen Staat aufgrund von
Schattenwirtschaft jährlich bis zu 30 Mrd EUR entgehen, rund 25 % des BIP.
Griechenland war denn auch das erste Land der Eurozone, das von der Staatsschuldenkrise
erfasst wurde. 2009 stieg das Budgetdefizit auf 15 % des BIP und die gesamte
Staatsverschuldung umfasste bereits 127 % des BIP. Der Zinsaufschlag griechischer 10Jahresanleihen auf den 10-Jahres Bund Deutschlands stieg Anfang Juni 2012 auf beinahe
3.000 Basispunkte. Unter normalen Umständen hätte Griechenland abgewertet, um die
Wettbewerbsfähigkeit wieder herzustellen. In einem gemeinsamen Währungsraum steht diese
Option aber nicht mehr zur Verfügung. Wettbewerbsverluste können nur durch eine „interne
Abwertung“ ausgeglichen werden.
GR: Öffentliche Ausgaben und Einnahmen
in Mrd EUR
140
120
Budgetsaldo
100
80
60
40
Ausgaben
Einnahmen
20
Q: Eurostat (EcoWin)
2011
2010
2009
2008
2007
2006
2005
2004
2003
2002
2001
2000
0
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Arbeitsmarkt, Nachfrage, Investitionen und Wettbewerbsfähigkeit
Ein Indikator zur Messung der Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit eines Landes sind die
Lohnstückkosten. Diese werden durch den Quotienten des Lohnniveaus eines Landes mit der
Produktionsmenge bzw. dem Output pro Beschäftigten oder pro Arbeitsstunde ausgedrückt.
Insofern können Lohnstückkosten als personalbezogene Stückkosten angesehen werden. Die
nominalen Lohnstückkosten geben Auskunft darüber, welchen Druck Lohnkosten auf das
Preisniveau ausüben.
Seit Beginn der Währungsunion 1999 bis zum Ausbruch der Staatsschuldenkrise 2009 stiegen
die nominellen Lohnstückkosten in Griechenland um beinahe 35 %, während sich diese zum
Beispiel in Deutschland innerhalb des selben Zeitraumes nur um rund 7 % erhöhten. Diese
Daten lassen vermuten, dass Griechenlands Wettbewerbsfähigkeit (nicht nur im Vergleich mit
Deutschland) stark abnahm. Zwar legte im Zeitraum 2000 bis 2009 die Produktivität in
Griechenland um 20 % zu (gemessen als reales BIP pro Erwerbstätigen), allerdings stiegen im
selben Zeitraum die Lohnkosten umso mehr und nahmen um 55 % zu (in Deutschland 12 %).
PIIGS: Nominelle Lohnstückkosten
Index 1999 = 100
145,0
140,0
Portugal
Irland
135,0
Italien
Griechenland
130,0
Spanien
Deutschland
125,0
120,0
115,0
110,0
105,0
100,0
95,0
1999
2000
2001
2002
2003
2004
2005
2006
2007
2008
2009
2010
2011
2012
Q: Eurostat
Griechenlands Lohnstückkosten sind seit 2009 im Sinken begriffen, was in einem starken
Maße an Lohnsenkungen und Einsparungen liegt. Im Mai 2012 stieg die Arbeitslosenquote in
Griechenland auf 24,4 % und wird aller Voraussicht nach mittelfristig noch weiter steigen.
Fünf Jahre zuvor lag die Arbeitslosenquote bei durchschnittlich 8 %.
Ein Nebeneffekt des Rückgangs der Lohnstückkosten durch Lohnsenkungen ist eine
abnehmende Kaufkraft pro Kopf. Bezogen auf die gesamtwirtschaftliche Nachfrage trägt der
private Konsum mit 77 % des BIP den größten Anteil zum griechischen Wirtschaftswachstum
bei; plötzlich abnehmende Konsumausgaben treffen die griechische Wirtschaft also hart.
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GR: Bruttoinlandsprodukt und privater Konsum
Veränderung gegenüber dem Vorjahr in %
6,0
BIP
Privater Konsum
4,0
2,0
0,0
-2,0
-4,0
-6,0
-8,0
2000
2001
2002
2003
2004
2005
2006
2007
2008
2009
2010
2011
2012
Q: Eurostat (EcoWin)
Steigende Arbeitslosigkeit (dadurch zunehmende Arbeitsmigration) und steigende Steuern
lassen allerdings auch keine Dynamisierung der griechischen Wirtschaft erwarten. Zusammen
mit der unsicheren politischen Lage verursacht dies eine stark sinkende Investitionstätigkeit in
Griechenland. Zwischen 2007 und 2011 brach die Investitionstätigkeit in Griechenland um 7
Prozentpunkte (gemessen am BIP) ein. Im Vergleich mit den PIIGS-Ländern wird die
griechische Kontraktion nur von Irland übertroffen.
PIIGS: Bruttoanlageinvestitionen
VGR, y-o-y, Veränderung in %
20,0
15,0
10,0
5,0
0,0
-5,0
-10,0
-15,0
Portugal
Irland
-20,0
Italien
Griechenland
-25,0
Spanien
Deutschland
-30,0
1999
Q: DGECFIN
2000
2001
2002
2003
2004
2005
2006
2007
2008
2009
2010
2011
2012
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GR: Beschäftigung und Arbeitslosigkeit
24,0
4,0
Beschäftigung
22,0
Arbeitslosenquote
2,0
0,0
18,0
-2,0
16,0
-4,0
14,0
2009
Jun.12
Dez.11
2008
Mär.12
Sep.11
Jun.11
Mär.11
Sep.10
Jun.09
Dez.10
8,0
Jun.10
-10,0
Mär.10
10,0
Dez.09
-8,0
Sep.09
12,0
Mär.09
-6,0
Arbeitslosenquote (%)
Beschäftigung (y-o-y %)
20,0
Q: Eurostat (EcoWin)
GR: BIP pro Kopf zu Kaukraftparitäten
115
110
105
100
Euroraum (17 Länder)
Griechenland
95
90
85
80
1999
2000
2001
2002
2003
2004
2005
2006
2007
2010
2011
Q: Eurostat
Wege aus der Krise
Für Griechenland wird es sehr schwierig sein, aus der Krise herauszukommen. Seit 2008
schrumpft die griechische Wirtschaft dramatisch, auch 2012 dürfte die Gesamtproduktion um
rund 5 % bis 6 % abnehmen. Das massive Sparen hat zur Folge, dass sich die
Steuereinnahmen immens verringern und sich in weiterer Folge das Haushaltsdefizit weiter
ausweitet. War es ursprünglich vorgesehen, die griechische Staatsverschuldung bis zum Jahr
2020 auf 120 % des BIP (2012: 160,6 %) zu senken, musste dies erst kürzlich revidiert
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werden – Ziel ist nun eine Verschuldung von 140 % des BIP. Griechenland befindet sich in
einem Teufelskreis, aus dem es nur schwer ist, wieder herauszukommen, ohne dass durch
Investitionen die Wirtschaft des Landes stimuliert wird. Andererseits betont die internationale
Staatengemeinschaft, die Griechenland Hilfspakete zur Verfügung stellt, dass erst ein
konsequenter Sparkurs und eine innere Abwertung eine nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit der
griechischen Wirtschaft herstellen kann. Daher wurden seit 2009 eine Vielzahl an
Maßnahmen und Reformen in Griechenland getroffen. Unter anderem wurde(n)
•
die Mehrwertsteuer von 19 % auf 21 % und anschließend nochmals auf 23 % erhöht,
•
die Benzin- und Tabaksteuer erhöht,
•
Löhne und Gehälter im öffentlichen Dienst um 20% gekürzt,
•
das Pensionsantrittsalter erhöht und der volle Bezug der Rente erst nach 40, statt
bislang 37, Arbeitsjahren gewährt,
•
Sozialleistungen gekürzt,
•
bei den Sozialtransfers und bei den Zuschüssen an die Rentenkasse gespart,
•
15.000 Angestellte aus dem öffentlichen Dienst entlassen, nur mehr jede fünfte Stelle
nachbesetzt,
•
öffentliche Unternehmen geschlossen,
•
Staatseigentum privatisiert (Lotterie, Wettgesellschaft Opap, Olympisches
Pressezentrum, ehemaliges Flughafengelände, etc.).
Ob die Vorraussetzungen für die Auszahlung der Hilfspakete erfüllt werden, überwacht die
Troika, welche aus Vertretern der EU-Kommission, der EZB und des IWF besteht.
Demnächst soll der Bericht der Troika präsentiert werden. Angesichts der langsamen
Wirkung der ergriffenen Reformmaßnahmen steht zu befürchten, dass Griechenland weitere
Hilfspakete bzw. mehr Zeit für deren Rückzahlung benötigt. Eine Haftung aller EU-Bürger
für diese Art von finanziellen „Rettungspaketen“ ist politisch jedoch immer schwerer
durchsetzbar. Insbesondere Deutschland dürfte es schwer haben, für ein weiteres Sparpaket
eine Mehrheit im Bundestag zu bekommen.
Andererseits: Wenn Griechenland aus der Eurozone ausscheidet und die alte Währung wieder
einführt, könnte es durch eine Abwertung gegenüber dem Euro seine verloren gegangene
Wettbewerbsfähigkeit schneller stärken. Um dies zu erreichen, bedarf es aber einer
Abwertung der „Nea-Drachmí“ um 30-50 %. Das steigert zwar die Wettbewerbsfähigkeit, da
sich die Preise für griechische Waren dramatisch verringern, die griechischen Kredite (private
als auch öffentliche) sind aber in Euro denominiert. Daher würden die Kreditsummen in
Drachmen dramatisch ansteigen und die EU müsste wohl zumindest den Privatsektor
unterstützen, um eine große Anzahl von Pleiten und nicht bedienbare Forderungen zu
verhindern.
Analog dazu wird sich Griechenland, wenn überhaupt, nicht in der eigenen Währung
verschulden können, da Investoren eine weitere Abwertung erwarten. Auch die Kapitalflucht
ins Ausland wird sich fortsetzen. Um diese zu verhindern, müsste mit der Rücknahme der
Kapitalverkehrsfreiheit ein Grundpfeiler der EU ausgehebelt werden.
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Dazu droht eine umfassende Inflation. Durch die Einführung der Drachme würde
Griechenland zwar wieder eine eigenständige Geldpolitik zurückerlangen, gleichzeitig wären
der griechischen Notenbank aber die Hände gebunden. Da ein Anstieg der Inflation die durch
Abwertung mühsam zurückerlangte Wettbewerbsfähigkeit wieder zunichte machen würde,
wäre die Notenbank letztlich mit einer Preis-Lohn-Spirale konfrontiert.
Der Zeitschrift „The Economist“ 5 zufolge wäre ein Austritt (oder Rauswurf) Griechenlands
daher sehr teuer:
•
Die EZB besitzt 40 Mrd EUR an griechischen Anleihen, welche möglicherweise nur
teilweise oder gar nicht zurückgezahlt werden, wenn Griechenland die Drachme
wieder einführt.
•
Kredite der Rettungsfonds in Höhe von ca. 130 Mrd EUR müssten wahrscheinlich
abgeschrieben werden.
•
100 Mrd EUR aus Target-2-Forderungen des ESZB gehen vermutlich verloren.
•
Weitere 50 Mrd EUR als eine Art Entwicklungshilfe könnten notwendig werden, um
die chaotischen Zustände nach dem Ausscheiden zu überbrücken.
Insgesamt wären dies also rund 320 Mrd EUR. Diese Zahlen sind zwar nur geschätzt, sie
geben jedoch einen Einblick in die Größenordnung der direkten Kosten im Fall eines
Ausscheidens Griechenlands aus der EWU. Zudem besteht das Risiko einer Ansteckung der
verbleibenden Eurostaaten.
So könnte dieser Präzedenzfall eines „no bail-out“ die Zinsen für Staatsanleihen der übrigen
Eurostaaten in die Höhe schnellen lassen und zu Bank-Runs führen, was Rettungspakete für
viele Banken, vor allem in der südlichen Peripherie, zur Folge hätte. In so einem Notfall
würde die Rettung der verbliebenen Eurozone keine Zeit für Verhandlungen lassen, sondern
sofortige Transferzahlungen erfordern, die an keine Auflagen wie Strukturanpassungen
gebunden sind. Wenn man alle Anleihen, welche die EZB hält, alle Target-2-Forderungen, 6
alle Hilfspakete für Griechenland und für die anderen Staaten, die sich unter den
Rettungsschirmen befinden, zusammenzählt, stehen am Ende des Tages
1.155.000.000.000 EUR! Und dies beinhaltet noch nicht einmal weitere mögliche
Bankenhilfspakete im verbliebenen Rest eines Kern-Euroraums.
Angesicht dessen kann von ökonomischer Seite nur zu einer weiteren, umfassenden
Integration Europas geraten werden. Die Aufnahme Griechenlands war eine politische
Entscheidung, die Einheit und der Fortbestand des erfolgreichen Projektes EU ist es auch.
5
6
The Economist: Breaking up the Euro area – The Merkel memorandum; 11 August 2012
Forderungen an Griechenland, Irland, Portugal, Spanien und Zypern. Bemerkenswerterweise sind in dieser
Berechnung Slowenien und Italien noch gar nicht berücksichtigt.
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Economics
16.10.2012
Seite 13 von 13
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Andreas Birnstingl (Tel. +43 5 99 05 32053 / [email protected])
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