c) Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit (§ 4 Nr. 1, 2 UWG) aa

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c)
Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit (§ 4 Nr. 1, 2 UWG)
Lit.:
Heermann, GRUR 2011, 781; Köhler, GRUR 2010, 767; Alexander, WRP 2014, 1010
Übungsfall (BGH GRUR 2014, 1117 – Zeugnisaktion)
Der Media-Markt veranstaltet zur Zeit der Sommerzeugnisse eine „Zeugnisaktion“ und wirbt
dafür mit einer Anzeige folgenden Inhalts: „Man lernt nicht nur für die Schule, sondern für die
Tiefpreise (Überschrift). Mit jedem Einser des aktuellen original Sommer-Zeugnisses kannst
du bares Geld sparen! Komm damit zu Media Markt und kassier beim Kauf eines Produktes
deiner Wahl für jede Eins € 2,-“ Unlauter?
aa)
Grundlagen
Bedeutung
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Neben dem Wahrheitsgebot (§§ 5, 5a, 4 Nr. 3-5, 9 lit. a) ist der Schutz der Entscheidungsfreiheit der zweite Pfeiler des UWG-Verbraucher- bzw. Abnehmerschutzes.
Idee: der Abnehmer soll auf der Grundlage zutreffender Information eine möglichst unbeeinflusste Entscheidung treffen.
§ 4 Nr. 1 formuliert diesen Gedanken ausdrücklich, § 4 Nr. 2 lässt sich ebenfalls darauf
zurückführen, für die Beurteilung der getarnten Werbung (§ 4 Nr. 3) und von Maßnahmen
der Verkaufsförderung (§ 4 Nr. 4 - 6) spielt er neben dem Wahrheitsgebot eine wichtige
Rolle.
Allerdings ist nicht jede Werbung, die Emotionen weckt, unsachlich. Auch der verständige
Durchschnittsverbraucher trifft seine Entscheidung nicht nur auf der Grundlage von Fakten. Insoweit hat seit den späten 1990er Jahren eine Liberalisierung der Rechtsprechung
stattgefunden, Vorsicht daher bei der Anwendung älterer Urteile.
§ 4 Nr. 1, 2 und die UGP-RL
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Die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken erfasst neben der irreführenden auch die
aggressive Werbung, worunter nicht die reine Belästigung, sondern die Beeinträchtigung
der Entscheidungsfreiheit zu verstehen ist
- Schwarze Liste Nr. 24-31
- Art. 8: unlauteres Mittel (Belästigung, Nötigung, unzulässige Beeinflussung) + Relevanz
(Veranlassung zu einer geschäftlichen Entscheidung, die Verbraucher andernfalls nicht
getroffen hätte) = aggressive Praxis
- Art. 9: Kriterien
- Definition der „unzulässigen Beeinflussung“ in Art. 2 lit. j, dabei zwei problematische
Voraussetzungen: Ausnutzung einer Machtposition und Bezug auf „informierte Entscheidung“, beides ist problematisch (dazu unten)
Problem: § 4 Nr. 1, 2 weichen deutlich von der UGP-RL ab.
- § 4 Nr. 1 ähnelt Art. 8, verwendet aber teilweise andere Kriterien
- § 4 Nr. 2 hat gar keine Entsprechung in der UGP-RL
Daher richtlinienkonforme Auslegung  Bei Anwendung des § 4 Nr. 1, 2 immer Art. 8, 9, 2
lit. j UGP-RL mitlesen!
Abschaffung des § 4 Nr. 1, 2 und Einführung eines neuen § 4a geplant, zur Kritik Köhler
WRP 2014, 1410, 1416 und Ohly, GRUR 2014, 1137, 1142 ff. (als Materialie auf der Website)
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§ 4a in der Fassung des Referentenentwurfs:
Aggressive geschäftliche Handlungen
(1) Unlauter im Sinne des § 3 Absatz 1 handelt, wer eine aggressive geschäftliche Handlung
vornimmt, die geeignet ist, den Verbraucher, Mitbewerber oder sonstigen Marktteilnehmer
zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte. Eine geschäftliche Handlung ist aggressiv, wenn sie geeignet ist, die Entscheidungsfreiheit des Verbrauchers, Mitbewerbers oder sonstigen Marktteilnehmers wesentlich zu beeinflussen durch
1. Belästigung,
2. Nötigung einschließlich der Anwendung körperlicher Gewalt oder
3. Ausnutzung einer Machtposition zur Ausübung von Druck, auch ohne die Anwendung
oder Androhung von körperlicher Gewalt.
(2) Bei der Feststellung, ob eine geschäftliche Handlung aggressiv im Sinne des Absatzes 1
Satz 2 ist, ist abzustellen auf
1. Zeitpunkt, Ort, Art oder Dauer der Handlung;
2. die Verwendung drohender oder beleidigender Formulierungen oder Verhaltensweisen;
3. die bewusste Ausnutzung von konkreten Unglückssituationen oder Umständen von solcher Schwere, dass sie das Urteilsvermögen des Betroffenen beeinträchtigen, um dessen
Entscheidung zu beeinflussen;
4. belastende oder unverhältnismäßige Hindernisse nichtvertraglicher Art, mit denen der
Unternehmer den Verbraucher, Mitbewerber oder sonstigen Marktteilnehmer an der Ausübung seiner vertraglichen Rechte zu hindern versucht, wozu auch das Recht gehört, den
Vertrag zu kündigen oder zu einer anderen Ware oder Dienstleistung oder einem anderen
Unternehmer zu wechseln;
5. Drohungen mit rechtlich unzulässigen Handlungen.“
Systematik der §§ 4 Nr. 1, 2 und Verhältnis zu anderen Vorschriften
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Die „schwarze Liste“ geht vor.
§ 4 Nr. 1 und 2 formulieren Regelbeispiele unlauterer Wettbewerbshandlungen, der gesamte Unlauterkeitstatbestand ergibt sich also
- im B2C-Bereich aus §§ 4 Nr. 1/2, 3 I, II (str., s. oben, II 4)
- im B2B-Bereich aus §§ 4 Nr. 1 bzw. 2, 3 I (unstr.)
- Allerdings ergibt sich die erforderliche Spürbarkeit schon aus den Tatbeständen des §
4 Nr. 1 und 2 („Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit“ bzw. „Ausnutzung“), keine doppelte Prüfung erforderlich.
Zur geschäftlichen Handlung gilt das unter II 1 Ausgeführte, erfasst werden also auch
Handlungen nach Vertragsschluss, die mit dem Ziel erfolgen, den Verbraucher von der
Geltendmachung seiner Rechte abzuhalten
Verhältnis zu den übrigen Beispielen des § 4 und zu §§ 5 ff.
- Nr. 3 (getarnte Werbung) ist mit Nr. 1 und 2 verwandt, der Schwerpunkt liegt jedoch
auf dem Wahrheitsgebot (Der Abnehmer soll wissen, wann geworben wird).
- Nr. 4, 5 regeln Maßnahmen der Verkaufsförderung (Rabatte, Zugaben, Gewinnspiele).
Sie können die Entscheidungsfreiheit unsachlich beeinflussen, im Vordergrund der gesetzlichen Regelung steht aber die Information („Transparenzgebot“). Dadurch kommt
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die moderne Überzeugung zum Ausdruck, dass vom mündigen, hinreichend informierten Verbraucher Standhaftigkeit gegenüber diesen Maßnahmen erwartet werden kann
(näher hierzu unten, cc).
- § 4 Nr. 6 ist ein Sonderfall des § 4 Nr. 1, der aber als abstraktes Verbot mit der UGP-RL
unvereinbar wäre, der aber bei richtlinienkonformer Anwendung mit § 3 II zusammen
zu lesen ist und damit praktisch nicht über § 4 Nr. 1 hinausgeht (näher unten, dd)
- Auch Irreführung stellt eine Beeinflussung der Entscheidungsfreiheit dar, doch sollten
diese Aspekte – soweit möglich – klar getrennt werden. Die Irreführung ist daher nach
§§ 5, 5a, ergänzt durch § 4 Nr. 3-5, 9 zu beurteilen.
- Die Belästigung kann mit einer unsachlichen Beeinflussung einhergehen (Beispiel:
Werbung am Unfallort), muss es aber nicht (Gegenbeispiel: E-Mail-Werbung). Tipp:
beide Aspekte selbständig untersuchen, nur wenn mindestens einer von beiden zu einer hinreichend erheblichen Beeinträchtigung der Abnehmerinteressen führt, liegt Unlauterkeit i.S.d. § 3 vor (str.).
Die bürgerlich-rechtliche Beurteilung gem. §§ 123, 138 BGB bzw. §§ 823 ff. BGB berührt
die wettbewerbsrechtliche Beurteilung nicht.
Fälle der „schwarzen Liste“ (Nr. 25-30 Anh. zu § 3 III)
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Praktisch wenig relevant: Nr. 25 („psychologisches Einsperren“), Nr. 30 (Ausnutzung des
Mitleids bei Hinweis auf Arbeitsplatzverlust)
Auch Nr. 27 (Vereitelung der Rechtsdurchsetzung bei Versicherungsverträgen) ist wegen
seines engen Anwendungsbereichs nicht sehr relevant, ist aber Ausdruck des allgemeineren Gedankens, dass das systematische „Zeitspiel“ mit dem Ziel, den Verbraucher von der
Geltendmachung seiner Rechte abzuhalten, unlauter ist.
Verschärfungen des Verbots der belästigenden Werbung (§ 7), näher zu diesen Fällen im
Zusammenhang mit der Belästigung, Idee: bei gesteigertem Maß an Belästigung wird
auch das Entscheidungsverhalten beeinflusst:
- Vertreter verlässt Wohnung des Verbrauchers trotz Aufforderung nicht (Nr. 26)
- Aufforderung zur Bezahlung oder Rücksendung unbestellter Ware (Nr. 29)
Umstrittenster Fall: Kaufaufforderung an Kinder (Nr. 28), zu den offenen Fragen s. unten.
bb)
Unsachlicher Einfluss (§ 4 Nr. 1)
§ 4 Nr. 1: zweistufiges Prüfungsschema (Erinnerung: Vorher „schwarze Liste“ prüfen!)
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1. Schritt: Einsatz eines der in Nr. 1 verpönten Mittel (Druck, menschenverachtende
Handlung, sonstiger unsachlicher Einfluss)
2. Schritt: Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit von Verbrauchern oder sonstigen
Marktteilnehmern
Achtung: § 4 Nr. 1 ist richtlinienkonform auszulegen, es ist unerlässlich, immer auch den
Text der Art. 8, 9, 2 lit. j UGP-RL mitzulesen!
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Ausübung von Druck
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= Ausübung von Zwang oder Androhung empfindlicher Nachteile, auf die der Drohende
Einfluss zu haben vorgibt (vgl. den strafrechtlichen Begriff der Nötigung, den auch Art. 8
UGP-RL verwendet)
Ausübung oder Androhung physischen Zwangs bzw. körperlicher Gewalt (s. Art. 9, 9 lit.
b UGP-RL), Beispiel: Ankündigung des Besuchs eines Inkasso-Teams, OLG München
GRUR-RR 2010, 50
Ausübung psychischen Zwangs, insbesondere dadurch, dass sich der Abnehmer zum
Geschäft veranlasst sieht, um sich nicht dem Vorwurf mangelnder Hilfsbereitschaft, Höflichkeit, Solidarität oder Dankbarkeit auszusetzen (psychischer Kaufzwang). Vorsicht: In
der früheren Rechtsprechung wurde der „psych(olog)ische Kaufzwang“ schnell bejaht,
nach neuem Recht kommt er nur in Ausnahmefällen in Betracht.
- Moralischer Druck, insb. durch Missbrauch einer Autoritätsstellung (Beispiel: BGH
GRUR 1979, 157 – Kindergarten-Malwettbewerb) oder Gruppenzwang (BGH GRUR
2008, 183 Rn. 19 – Tony Taler)
- Drohung mit einem Übel von einigem Gewicht, etwa mit Kündigung eines bestehenden
Vertrags für den Fall, dass kein Zusatzvertrag abgeschlossen wird.
§ 4 Nr. 1 geht über den B2C-Bereich hinaus, kann also auch die Ausübung von Druck gegenüber „sonstigen Marktteilnehmern“, also gewerblichen Abnehmern erfassen (nicht jedoch gegenüber Wettbewerbern, hier ist § 4 Nr. 10 einschlägig).
Menschenverachtende Handlungen
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Variante, die erst im Rechtsausschuss eingefügt wurde und vor allem Fälle wie Benetton
erfassen sollte.
Menschenverachtend ist eine Handlung, die gegen die Menschenwürde (Art. 1 GG) oder
den Grundgedanken anderer wesentlicher Grundrechte verstößt.
Problem: es muss zudem die Entscheidungsfreiheit der Abnehmer beeinträchtigt werden,
dazu wird es in den Fällen schockierender oder anstößiger Werbung fast nie kommen –
das hat der Rechtsausschuss übersehen.
Sonstiger unangemessener unsachlicher Einfluss
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„Unsachlicher Einfluss“ in § 4 Nr. 1 entspricht der „unzulässigen Beeinflussung“ in Art. 2
lit. j UGP-RL und ist richtlinienkonform auszulegen. „Unzulässige Beeinflussung“ = die
Ausnutzung einer Machtposition gegenüber dem Verbraucher zur Ausübung von Druck
(…) in einer Weise, die die Fähigkeit des Verbrauchers zu einer informierten Entscheidung wesentlich einschränkt
Problem 1: Was ist eine Machtposition in diesem Sinne? Sicherlich (+) bei Ausnutzung
einer Autoritätsstellung, aber wie ist es im normalen Verhältnis zwischen Unternehmer
und Verbraucher. Beispiel (das man bisher unter § 4 Nr. 1 subsumiert hätte): Aufbau eines
extremen Zeitdrucks („20 % Rabatt, aber nur, wenn Sie sich sofort entscheiden“) 
Machtstellung?
Problem 2: „informierte Entscheidung“ klingt nach Irreführung, die von § 5 geregelt wird.
§ 4 Nr. 1 soll gerade die Fälle erfassen, in denen der Verbraucher alle Informationen hat,
aber nicht frei entscheidet.
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Lösung 1 (Köhler aaO): Art. 2 lit. j UGP-RL muss wörtlich genommen werden, deshalb
laufen Art. 8 UGP-RL und § 4 Nr. 1 weitgehend leer. Die bisherigen Fälle der unzulässigen Beeinflussung fallen unter die Generalklausel (Art. 5 II UGP-RL = § 3 II UWG)
- Lösung 2 (m.E. vorzugswürdig): Art. 2 lit. j UGP-RL ist unglücklich formuliert, soll aber
nach der Systematik der UGP-RL Fälle aggressiven Verhaltens unabhängig von Irreführungen erfassen. „Informierte Entscheidung“ ist also als „freie Entscheidung“ zu lesen.
Vgl. auch den Kriterienkatalog des Art. 9 UGP-RL
Wichtige Fallgruppe: Maßnahmen der Verkaufsförderung (Rabatte, Zugaben, Gewinnspiele, Kopplungsangebote).
- Die Rechtsprechung zu § 1 a.F. nahm leicht unter dem Gesichtspunkt des „übertriebenen Anlockens“ Unlauterkeit an.
- Dagegen neuere Rechtsprechung: Anlockwirkung eines günstigen Angebots ist erwünschte Konsequenz des Wettbewerbs. Unangemessener Einfluss erst, wenn auch für
einen durchschnittlich empfindsamen Verbraucher die Rationalität der Nachfrageentscheidung völlig in den Hintergrund tritt. Beispiel: BGH GRUR 2009, 875 – Jeder 100.
Einkauf gratis. Praktisch ist das abgesehen von Dreieckskonstellationen (s. unten) vom
BGH seit 2004 nie mehr angenommen worden.
- Kritik in der Literatur: Das Kriterium der „Rationalität“ hat keine Stütze mehr in der
UGP-RL und sollte daher aufgegeben werden.
Frühere Rechtsprechung: Verbot der gefühlsbetonten Werbung, d.h. des Hervorrufens
von Emotionen, die mit dem beworbenen Produkt in keinerlei sachlichem Zusammenhang
stehen, insb. Umweltwerbung und Werbung mit sozialem Engagement. Diese Rechtsprechung gilt unter § 4 Nr. 1 nicht mehr (BGH GRUR 2006, 75 – Artenschutz), gegen den
Grundsatz „Tue Gutes und Rede darüber“ ist in der Werbung nichts einzuwenden. Unlauterkeit aber bei Irreführung, oder ausnahmsweise bei Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit, z.B. durch Überrumpelung.
Überrumpelung, insb. in Grenzfällen zu § 7, wird aber in Anbetracht des Leitbildes des
mündigen Verbrauchers nur noch ausnahmsweise vorliegen (vgl. BGH GRUR 2004, 699 –
Ansprechen in der Öffentlichkeit I). Beispiel könnte die enge Befristung einer Verkaufsfördermaßnahme ohne sachlichen Grund sein.
Verharmlosung von Gefahren, insb. für Gesundheit, z.B. durch Verkauf von Zigaretten
ohne den erforderlichen Warnhinweis, BGH GRUR 2006, 953, Rn. 19 – Warnhinweis II
Weitere denkbare Fälle: Missbrauch von Vertrauen, Autorität (Abgrenzung zu Nr. 1: gemeint ist der ohne Ausübung von Druck erteilte Rat) oder privater Beziehungen.
-
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Sonderfall Dreiecksverhältnis
U
bietet Anreiz (z.B. Prämie)
M
berät und verkauft
V
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Konstellation: Unternehmer U bietet Mittelsperson M einen materiellen Anreiz, damit dieser bei Verbraucher V für die Angebote des A wirbt. Fallkonstellationen:
Laienwerbung: M1, M2 und M3 sind Kunden, die von A im Rahmen einer „Kunden werben
Kunden“-Aktion Prämien erhalten. Dazu BGH GRUR 2006, 949 – Kunden werben Kunden:
weder Laienwerbung noch Versprechen von Prämien sind per se unzulässig, Unlauterkeit
aber (+), wenn Belästigung des Umworbenen (§ 7), Irreführung (§ 5), Verdeckung des
Prämieninteresses (§ 4 Nr. 3), Werbung für Heilmittel (§ 7 HWG i.V.m. § 4 Nr. 1), daneben wohl auch (vom BGH nicht erwähnt) Möglichkeit des psychischen Kaufzwangs bei
Ausnutzung persönlicher Bindungen. Problem allerdings: Wann haftet A – nur wenn B
sich im konkreten Fall falsch verhält oder auch weil das Laienwerbesystem abstrakt gefährlich ist?
Pflicht zur Wahrnehmung fremder Interessen: Wenn M aufgrund seiner beruflichen
Stellung die Interessen der Endabnehmer zu wahren hat, ist es gem. § 4 Nr. 1 unlauter,
wenn U ihm Vergünstigungen anbietet. Beispiele: Versprechen von Prämien an Ärzte
(BGH GRUR 2005, 1059 – Quersubventionierung von Laborgemeinschaften I, BGH GRUR
2012, 1050 – Dentallaborleistungen, vgl. auch das Zugabeverbot des § 7 HWG) oder
Rechtsanwälte (BGH GRUR 2009, 969 – Winteraktion). Kritik: die Entscheidungsfreiheit
M’s wird nicht beeinträchtigt, ob M die Abnehmer unsachliche beeinflusst, wäre im Einzelfall zu prüfen, die Rechtsprechung unterlässt aber (im Widerspruch zur UGP-RL) eine
solche Einzelfallprüfung.
M ist Mitarbeiter eines anderen Unternehmens, U verspricht absatzabhängige Prämie
bzw. Provision. Beispiel: Reiseveranstalter U bietet Mitarbeiter M eines Reisebüros eine
Incentive-Reise, wenn er eine bestimmte Anzahl von U-Reisen vermittelt. Derzeit unklar,
ob die Grundsätze der Kunden werben Kunden-Entscheidung oder die Rechtsprechung
zur Wahrung fremder Interessen gilt.
M ist die öffentliche Hand, Beispiel: Fotograf U bietet der Schule M einen PC als Geschenk, falls die Schule ihn eine Schulfoto-Aktion durchführen lässt. BGH GRUR 2006, 77
– Schulfotoaktion: zulässig (und nach §§ 331, 333 StGB unbedenklich, a.A. aber BGH St
WRP 2011, 1203), wenn die Schule eine Gegenleistung erhält und keinen Druck auf die
teilnehmenden Schüler ausübt.
Weiterführend: Heermann WRP 2006, 8 ff.; Steinbeck, GRUR 2005, 15 ff.
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cc)
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Ausnutzung besonderer Nachfragesituationen (§ 4 Nr. 2)
Allgemeine Voraussetzungen
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Auch dieses Regelbeispiel ist zweistufig aufgebaut (und auch so zu prüfen):
- 1. Schritt: besondere Nachfragesituation (geschäftliche Unerfahrenheit, Angst,
Zwangslage)
- 2. Schritt: Eignung zur Ausnutzung dieser Situation
- Abgrenzung zu § 4 Nr. 1: Schaffung einer Zwangslage fällt unter Nr. 1, Ausnutzung einer solchen (z.B. Werbung am Unfallort) unter Nr. 2, Überschneidungen sind denkbar.
Problem auch hier: § 4 Nr. 2 weicht von der UGP-RL ab, die neben dem allgemeinen Tatbestand der aggressiven Werbung (Art. 8, 9) nur den allgemeinen Beurteilungsmaßstab
des Art. 5 III (umgesetzt in § 3 II 3) vorsieht. Vor allem setzt die UGP-RL keine „Eignung
zur Ausnutzung“, sondern den Einsatz eines beanstandeten Mittels und eine Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit voraus.
- Köhler (GRUR 2010, 767, 772 ff.): § 4 Nr. 2 ist weitgehend überflüssig – unionsrechtskonforme Reduzierung des § 4 Nr. 2 auf die Fälle der Ausnutzung von Angst und
Leichtgläubigkeit, Lösung aller übrigen Fälle (z.B. also aggressiver Methoden gegenüber Jugendlichen) über §§ 4 Nr. 1, 3 II
- Heermann (GRUR 2011, 781 ff.): Auslegung des § 4 Nr. 2 im Lichte der Art, 8, 9 UGPRL, insb. genügt also nicht die „Eignung zur Ausnutzung“; da Art. 2 lit. j UGP-RL die
Ausnutzung einer Machtposition verlangt.
- Stellungnahme: Bei Irreführung nur §§ 5, 5a anwenden, bei aggressiven Praktiken Auslegung des § 4 Nr. 2 im Lichte der Art. 8, 9 UGP-RL
eigenschaftsbezogene Kriterien (vgl. auch § 3 II 3):
- Krankheit
- Alter, insb. geringere Resistenz Jugendlicher und älterer Menschen gegenüber aggressiven Praktiken
- Geschäftliche Unerfahrenheit: überschneidet sich teilweise mit Alter (vgl. auch Art. 5 III
UGP-RL, der die geschäftliche Unerfahrenheit nicht erwähnt)
- Leichtgläubigkeit: Überschneidung mit § 5, da es regelmäßig um unzutreffende Informationen geht, Maßgeblichkeit des dort geltenden Verbraucherleitbilds, Tip: wenn § 5
(+), ist Prüfung des § 4 Nr. 2 regelmäßig entbehrlich, wenn § 5 (-), dann Vorsicht mit §
4 Nr. 2.
situationsbezogene Kriterien:
- Angst: kein Verbot zutreffender Informationen, ausnahmsweise Ausbeutung der Angst
bei übertriebener „Panikmache“ in sensiblen Bereichen, etwa der Gesundheit.
- Ausnutzen einer Zwangslage, z.B. durch Werbung am Unfallort.
Insbesondere: Werbung gegenüber Kindern und Jugendlichen

Absolutes Verbot direkter Aufforderungen von Kindern, Produkte zu kaufen oder ihre Eltern zu überreden (Ziff. 28 der „schwarzen Liste“ in Anh. I der RL unlautere Geschäftspraktiken), offene Fragen:
Wer ist Kind? (Altersgrenze bei 14 oder 18)? Bisher nicht von EuGH oder BGH entschieden, hM: 14.
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Muss sich die Werbung gezielt an Kinder richten? Eine Werbung an die Allgemeinheit,
die auch Kinder ansprechend finden, genügt nicht (BGH GRUR 2014, 686 – Goldbärenbarren), aber bei einer Werbung, die sich speziell an Kinder und Jugendliche richtet
und dabei auch Jugendliche über 14 erreicht, soll Nr. 28 anwendbar sein: BGH GRUR
2014, 298 – Runes of Magic.
Was ist eine direkte Aufforderung? (+) bei der Verwendung von Begriffen wie
„Schnapp dir…“, selbst wenn man im Internet zum Kauf noch einen Link anklicken
muss (BGH GRUR 2014, 298 – Runes of Magic), direkte, persönliche Ansprache nicht
erforderlich, (-) wenn nicht ein bestimmtes Produkt, sondern das ganze Warensortiment beworben wird (BGH GRUR 2014, 1117 – Zeugnisaktion = Übungsfall)
§ 4 Nr. 2 kann neben Nr. 28 in Betracht kommen, wenn Nr. 28 (+), dann regelmäßig auch
§ 4 Nr. 2 (+), andererseits geht § 4 Nr. 2 über Nr. 28 hinaus und erfasst z.B. auch nicht
„direkte Aufforderungen“
Werbung muss sich – zumindest auch – gezielt an Kinder und Jugendliche richten (BGH
GRUR 2014, 686 – Goldbärenbarren), Anwendungsbereich des § 4 Nr. 2 also weiter als
der des § 3 II 3.
„Unerfahrenheit“ ist nicht abstrakt, sondern im Hinblick auf die beworbenen Produkte zu
bestimmen.
- Beispiele: Unerfahrenheit mit Telefontarifen führt zu strengem Transparenzgebot bei
der Angabe der Kosten für das Herunterladen von Klingeltönen (BGH GRUR 2006, 776
– Werbung für Klingeltöne), ebenso bei Aufforderung an Jugendliche, vor Teilnahme an
einem Gewinnspiel in die Verwendung personenbezogener Daten einzuwilligen (BGH
GRUR 2014, 682 – Nordjob-Messe)
- Gegenbeispiele: weibliche Teenager können den Wert einer Zeitschrift mit „DesignerSonnenbrille“ selbständig einschätzen (BGH GRUR 2006, 161 – Zeitschrift mit Sonnenbrille) und Jugendliche können die Vorteile einer Sammelaktion von Aufdrucken auf
Schokoriegeln beurteilen, bei der ein Buchgutschein von 5 € winkt (BGH GRUR 2009,
71 – Sammelaktion für Schoko-Riegel).
Indirekter Druck auf Eltern:
- Durch Ziff. 28 der „schwarzen Liste“ verboten, soweit deren Anwendungsbereich
reicht.
- Ansonsten nur § 4 Nr. 1, da nicht auf die Kinder, sondern auf die Eltern Druck ausgeübt wird.
- Auch dabei abstellen auf „durchschnittliche“ Eltern, die nicht jedem Wunsch ihrer Kinder sofort nachgeben. Es müssen also besondere Umstände vorliegen, z.B. der Gruppenzwang in Tony Taler.
-
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Der BGH (GRUR 2008, 183, Rn. 17 – Tony Taler) schreibt Eltern zur Erziehung ihrer
quengelnden Kinder Folgendes ins Stammbuch:
„Es gehört zu den Grundlagen jeder Erziehung, Kindern verständlich zu machen, dass
nicht alle Wünsche erfüllt werden können. Ein vernünftiger Erziehungsberechtigter ist
im Allgemeinen in der Lage, Kaufwünschen, die von seinen Kindern an ihn herangetragen werden, auch ablehnend zu begegnen. Dies entspricht dem für das Wettbewerbsrecht maßgeblichen Leitbild des durchschnittlich informierten und verständigen
Verbrauchers, der mit den Marktgegebenheiten vertraut ist. Die Tatsache allein, dass
seine Kinder ihn mehr oder weniger intensiv mit Wünschen bedrängen, steht daher
einer rationalen Entscheidung des Erziehungsberechtigten über den Kauf eines Produkts grundsätzlich nicht entgegen.“
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Für eine enge Auslegung der Ziff. 28 der „schwarzen Liste“ spricht, dass das UWG ansonsten über das Ziel hinausschießt. Die flexiblen Grundsätze des § 4 Nr. 1, 2 ermöglichen eine lebensnahere Beurteilung.
dd)
Kopplungsverbot bei Preisausschreiben und Gewinnspielen (§ 4
Nr. 6)
Zweck und unionsrechtliche Problematik
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§ 4 Nr. 6 ist (wohl, der Schutzzweck ist unklar) ein Sonderfall des § 4 Nr. 1: Bei Kopplung
zwischen Warenerwerb und Teilnahme stellt die Gewinnaussicht einen unsachlichen Einfluss dar, der Verbraucher zum Kauf der betreffenden Waren verleitet.
Gedacht war § 4 Nr. 6 wohl als per se-Verbot, dass jede Kopplung unabhängig von ihrer
Auswirkung auf Verbraucher verbietet.
Dazu aber EuGH, Rs. C-304/08, GRUR 2010, 244 – Wettbewerbszentrale/Plus: Außerhalb
der „schwarzen Liste“ sind per se-Verbote nicht mit der UGP-RL vereinbar, in jedem Einzelfall muss die Verbraucherrelevanz geprüft werden.
Daraufhin BGH GRUR 2011, 532 – Millionen-Chance II: § 4 Nr. 6 ist als per se-Verbot mit
der UGP-RL unvereinbar, kann richtlinienkonform dahingehend ausgelegt werden, dass
die Kopplung verboten ist, wenn sie gegen Art. 5 II UGP-RL = § 3 II verstößt.
Voraussetzungen also: Kopplung im Sinne des § 4 Nr. 6 + spürbare Beeinträchtigung der
Entscheidungsfreiheit des Verbrauchers. Letztere liegt in aller Regel nicht vor. Beispiel
(BGH GRUR 2014, 686 – Goldbärenbarren): Durchschnittsverbraucher kann bei hinreichender Information (§ 4 Nr. 5!) den Wert der Gewinnchance rational einschätzen.
Seit der EuGH- und der BGH-Entscheidung ist § 4 Nr. 6 überflüssig geworden und sollte
schleunigst gestrichen werden. Verbleibende Fälle lassen sich über § 4 Nr. 1 lösen.
Weitere einschlägige Vorschriften zur Beeinflussung durch Gewinnspiele
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Nr. 16 (unwahre Werbung für Erhöhung von Gewinnchancen) und Nr. 17 (falsche Gewinnzusage) der „schwarzen Liste“
außerwettbewerbsrechtliche Verbote, z.B. § 11 I Nr. 13 HWG
Unsachliche Beeinflussung (§ 4 Nr. 1) kommt allenfalls in extremen Ausnahmefällen in
Betracht. Beispiel (BGH GRUR 2014, 686 – Goldbärenbarren): Haribo-Gewinnspiel, für
das man bestimmte Anzahl von Produkten erwerben musste, beeinträchtigt Rationalität
der Verbraucherentscheidung nicht.
§ 661a BGB berührt die lauterkeitsrechtliche Beurteilung nicht.
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