SBORNlK PRACl FILOSOFICKE FAKULTY BRNENSKE UNIVERSITY 1967, H2 KAREL PADRTA DIE M E N U E T T - T Y P E N IM W E R K E DES KRAMAR-KROMMER KOMPONISTEN 1 Das Menuett wurde für die Musik des 18. Jahrhunderts zu einem Ge­ bilde, das unstreitig mit größter Uberzeugungskraft die Ausdrucksform des Klassizismus konkretisiert hat. Aus der vorhergehenden Barocketappe ü b e r n a h m es manchmal noch die praktische Funktion des Tanzes, so d a ß Menuette als G e l e g e n h e i t s t ä n z e auch Haydn und Mozart und zu Beginn des 19. Jahrhunderts auch noch Schubert komponierte. Die größte M ö g ­ lichkeit, sich k ü n s t l e r i s c h durchzusetzen, hatte das Menuett, als es in den Sonatenzyklus eingereiht wurde, woran Haydn das größte Verdients hat. Er erhob das Menuett zu einem musikalischen Gebilde, das sich dann gleichberechtigt zu den ü b r i g e n S ä t z e n des Sonatenzyklus reihen konnte. Wenn er auch nicht der erste war, der sich darum b e m ü h t hat, so stabili­ sierte er doch das Menuett sowohl in den Sinfonien als auch in der K a m ­ mermusik und gemeinsam mit Mozart formte er daraus ein eigenartiges k ü n s t l e r i s c h e s Musikgebilde. In diese Situation tritt Franz Vincenc Krommer mit seinem Schaffen ein. In seinen fast ausschließlich auf Kammermusik (Quartette, Quintette und Duette) und auf Orchestralmusik (Sinfonien, Konzerte und Harmonien) orientierten Kompositionen spielt das Menuett eine wichtige Rolle. Es ist bemerkenswert, daß die erste Komposition mit Menuett erst ein Streich­ quartett op. 5/III ist, das im Jahre 1793 gedruckt wurde, also in der Zeit, da die Viersätzigkeit bei den f ü h r e n d e n Komponisten schon g ä n z l i c h sta­ bilisiert ist. Bei Haydn kommt es dazu im Jahre 1765, bei Mozart in den Wiener Sinfonien 1767—68. Alle f r ü h e r e n Kompositionen Krommers — sowohl die mit Opusnummern versehenen als auch die nicht gedruckten (z. B. das u n l ä n g s t in der ungarischen Musikbibliothek Helikon in Keszthely gefundene Streichquartett C-dur oder zwei im Manuskript erhaltene Oboenquartette, die in Musica Antiqua Bohemica Nr. 42 im Jahre 1959 erschienen sind) — sind ohne Menuette und ihre Dreisätzigkeit weist chro­ nologisch u n t r ü g l i c h auf die f r ü h e s t e Schaffensperiode hin. V o m Opus 7 an wird jedoch das Menuett ein r e g e l m ä ß i g e r Bestandteil der zyklischen Kompositionen des Autors und verbleibt darin mit interessanten technisch­ stilistischen Verwandlungen bis ans Ende seine k ü n s t l e r i s c h e n Schaffens. In den Menuetten Krommers äußert sich der unmittelbare Tonreichtum und der melodische Fond des Komponisten. Sie zu typisieren, ist sehr schwer, denn die musikalisch-gedankliche Mannigfaltigkeit des Autors durchdringt darin die natürliche Entfaltung seiner komponistischen Aus­ drucksarten, und das zur Zeit des stilistischen Uberwachsens des klassi­ schen Menuetts in das f r ü h r o m a n t i s c h e Scherzo. Und gerade diese Stil2 3 4 32 K. PADRTA Wandlung zeigt sich als das Wichtigste und bestimmt zugleich die anderen Elemente. Nach diesem Kriterium k ö n n e n wir die Menuette Krommers in drei Etappen einreihen: die erste stellt die klassische Form dar, welche noch aus Haydns und Mozarts V e r m ä c h t n i s lebt, in der zweiten, der be­ deutendsten, entwickeln sich die neuen technischen, stilistischen und form­ bildenden Scherzoelemente, in der dritten Etappe kann man schon von einem klaren und entwickelten Scherzo sprechen. Die A n k n ü p f u n g an die klassische Menuettenform ist bei Krommer ganz natürlich, denn es geht um seine j ü n g s t e Schaffensperiode, wo er erst seine komponistischen Erfahrungen gewann und eigene Ausdrucksarten suchte. Wenn wir bedenken, daß er in seinem k n ü s t l e r i s c h e n Wachsen g r ö ß t e n ­ teils nur auf schwierige und m ü h s e l i g e Selbstbildung angewiesen war, so ist seine Zuneigung zu großen klassischen Musikvorbildern ganz begreiflich. Wenn wir die Menuette Krommers mit den von Therstappen typisierten Menuetten Haydns vergleichen, so finden wir, daß sie in manchen ü b e r ­ einstimmen. Es geht dabei nicht nur um analogischen Formenausbau und verwandte A u s d r u c k s a t m o s p h ä r e , sondern auch um rhythmisch-melodische Modelle, die Tharsteppen als typisch für Haydn festlegt (Beisp. 1). 5 Bei Krommer w ä r e es aber nötig, noch weitere Melodientypen anzuschließen, vor allem auf - und absteigende Skalenbewegungen (Beisp. 2) 1 und Dreiklangzerlegungen ebenfalls in beiden Richtungen (Beisp. 3) KRAMAR-KROMMERS 33 MENUETTEN Diese Typen sind auch dadurch interessant, daß sie die melodische Linie ver­ h ä l t n i s m ä ß i g weit ausdehnen, was ü b r i g e n s auch eines der wesentlichen Merkmale der instrumentalisch a u f g e f a ß t e n Melodik Krommers ist. Jeden­ falls handelt es sich aber um so allgemeine Melodientypen, d a ß er schwer m ö g l i c h ist, von eigenartigen charakteristischen Gebilden zu sprechen. Von demselben Aufbau geht aber gleichzeitig auch der Melodiebau der Trios aus, so daß ihr Verhältnis zum ersten Teil nicht allzu kontrastreich ist, besser gesagt, es unterscheidet sich eher durch die Melodie als durch den Ausdruck. Bei den Klassikern finden wir tatsächlich eine Reihe von F ä l ­ len, wo beide Menuettenteile melodisch und inventionell einander sehr nahe stehen, ja viel näher, als es bei Krommer g e w ö h n l i c h der Fall ist und als wir es auf seinen Beispielen demonstrieren k ö n n t e n . Dieses h ä u f i g e Merkmal der klassischen Menuette nennt Danckert monistisch, da beide Teile nicht scharf voneinander getrennt, sondern polarisch aufeinander bezogen sind. Tieshalb stellt Danckert auch Haydn und Mozart auf eine Stufe. Was den Stil betrifft, weist aber das Menuett beider Meister deut­ liche Unterschiedlichkeiten auf. Bei Haydn w ä c h s t das Menuett aus der A t m o s p h ä r e des Volkstanzes heraus, von dem es auch unmittelbare Impulse ü b e r n a h m . Die Ausgangsbasis des Menuetts Mozarts legt Tharsteppen in den höfischen Rokokotanz und sieht in ihm „ g e m e s s e n e Bewegung von ge­ sellschaftlicher Etikette". 6 7 8 9 Sollen wir also Krommers F r ü h m e n u e t t e mit denselben Werken der beiden Meister vergleichen, dann m ü s s e n wir uns g e w i ß zu Haydn als seinem Vorbild zuneigen, denn beide Tondichter verbindet hier lebendige musikalische Unmittelbarkeit und eine v o l k s t ü m l i c h e Intonationsbasis. Was Komposition und Stil anbelangt, entsprechen Krommers F r ü h m e n u e t t e in jeder Hinsicht den klassischen Menuetten, denn die feststehende Form des Menuetts gestattete es nicht, allzu neue individuelle Elemente hinein­ zutragen, ausgenommen das melodische Element und die A r t der Kompo­ sitionsarbeit, wie es z. B. Haydn machte, indem er kontrapunktische Arbeit hineintrug. Doch auch dazu finden wir bei Krommer in seiner f r ü h e n Schaffenszeit eine Analogie in h ä u f i g e n Imitationsgängen. Die Entwicklung der Musik strebte aber der Ausbildung einer neuen Form zu, die dem B e d ü r f n i s nach neuem stilistischen Ausdruck entspre­ chen w ü r d e . Gerade in diesen Prozess der Zerstörung der alten Formen des klassischen Menuetts und der Kristallisierung der neuen Scherzofor­ men fällt der größte und interessanteste Teil der s c h ö p f e r i s c h e n Arbeit Krommers. Es ist wahr, d a ß den Weg zum Scherzo verwegen Beethoven bahnte. Krommers Werk ist aber dadurch interessant, d a ß wir darin ganz konkret und in logischem Verlauf Entwicklungselemente beobachten k ö n ­ nen, welche die Konzeption des klassischen Menuetts zerstören. Schon in den ersten Kompositionen bildet sich ein Menuett-Typ, der sich von den bisherigen Formen abwendet. Sein melodisches Kennzeichen ist die h ä u f i g e Wiederholung desselben Tones, aber sein innerliches Wesen beruht auf dem entlasteten Ausdruck und darauf, d a ß die Bedeutung aller Taktteile ausgeglichen ist, wodruch die Komposition eine leichtere Aus- K. PADRTA prägung und gleichmäßigere, fließende metrische Aufwiegung bekommt (Beisp. 4). Die metaphorische Bezeichnung „ K l a p p m o t i v e " erfaßt treffend wie die rhythmische Regelmäßigkeit, so auch das Leichte und Zwanglose des musikalischen Ausdrucks. Wenn wir sie musikalisch zu Ende denken, so k ö n n e n wir bis zu den wirklichen Scherzothemen kommen (z. B. Beethovens Eroica), ja sogar bis zu den romantisch-grotesken Scherzos Mendelssohns. Es ist notwendig, den Eintritt des erleichterten Ausdrucks ins Menuett als eines der wichtigsten neuen Merkmale zu bezeichnen, denn er ermöglicht eine ganze Reihe weiterer E n t w i c k l u n g s v e r ä n d e r u n g e n . A n ihrer ersten Stelle steht die Temposteigerung. Ihre Rolle wird g e w ö h n l i c h dadurch überschätzt, daß sie als das wichtigste Entwicklungselement des Scherzo bezeichnet wird. In der Literatur werden oft die Tempobezeich­ nungen verglichen und gegenseitig in chronologischer Folge konfrontiert. Die Temposteigerung ist aber nur eine Folgerung und ein äußerlicher Ausdruck einer verwickelten Stilentwicklung, der notwendig ein Prozess der Entlastung des bisherigen Meneuttenausdrucks und der Erleichterung des stereotypen rhythmischen Systems voranging. Die Tempobezeichnun­ gen stehen in dieser Zeit noch nicht fest und dadurch sind sie auch f ü r eine vergleichende Ubersicht nur wenig verläßlich. Goldmann macht dar­ auf auf merksam, d a ß man auf eine genauere Tempoangabe nicht nur in der vorklassischen Etappe, sondern auch in der Zeit Haydns und Mozarts nur selten stößt und daß sie sogar auch bei Schubert nicht präzis ange­ geben wird. Nur Beethoven b e m ü h t sich durch seine metronomischen Angaben um m ö g l i c h s t größte Genauigkeit. Krommers Tempobezeichnun­ gen sind sehr unbestimmt. Es ist ein charakteristisches Zeichen seiner Noteneintragung, was nicht nur f ü r die Tempo-, sondern auch für die Agogik-, Dynamik- und Phrasenangaben gilt. Die Bezeichnung der Me­ nuette (Menuetto, Menuetto allegretto, vereinzelt Menuetto con brio) ändert sich im Verlaufe seiner k ü n s t l e r i s c h e n Tätigkeit gar nicht, und zwar auch da nicht, wo wir schon von einem ganz klaren Scherzo sprechen k ö n n e n . Wenn ü b e r h a u p t der Autor diesen Begriff anwendet, dann nur für den musikalischen Ausdruck (allegretto con scherzo, andante con scherzo). Wenn wir die Frage der Temposteigerung verfolgen, so m ü s s e n wir also notwendigerweise — und das im allgemeinen und bei Krommer im beson­ deren — ausschließlich vom musikalischen Charakter der Komposition, von ihrem innerlichen Organismus und der S t i l ä u ß e r u n g ausgehen. Der er­ w ä h n t e Menuett-Typ Krommers stellt schon eine tempogesteigerte K o m ­ position vor, die schon unmittelbar den Weg zum Scherzo zeigt. 10 11 KRAMAR-KROMMERS MENUETTEN 35 In diesem Zusammenhang gewinnen beide Teile des Menuetts auch an Ausdehnung. Das klassische Menuett war keineswegs lang, was übrigens auch eines der Probleme bei der proportioneilen Ausgleichung des klas­ sischen Sonatenzyklus war. Die Erleichterung des Ausdrucks und die Temposteigerung führte zur Ausdehnung und zum breiteren Ausbau beider Teile. Die Menuette Krommers zeigen auch hier anschaulich diese Aus­ dehnung, die im Endstadium mehr als das Doppelte der u s p r ü n g l i c h e n Länge erreichte. Die größere Spannweite der einzelnen Teile führt gleichzeitig auch zu ihrer Vereinigung und inneren Selbstständigkeit. Die Menuette von g r ö ­ ß e r e n Proportionen erzwingen sich auch größere gedankliche A u s g e p r ä g t ­ heit und schärferen Kontrast zwischen dem ersten Teil und dem Trio zum Unterschied von den f r ü h e r e n Menuetten, wie sie die zitierte, vonDanckert stammende Definition des thematischen Monismus e r w ä h n t . W ä h r e n d in den Menuetten Krommers, die der f r ü h e s t e n Zeit angehören, beide Teile bei aller melodischen Differenzierung gemeisame melodische Typen haben, so b e m ü h t sich jetzt der Autor vor allem um einen Unterschied im Aus­ druck, und zwar meistens im V e r h ä l t n i s des rhythmischen Charakters zum lyrischen, eventuell des t ä n z e r i s c h e n zum sangbaren. Dabei ist dieser Unterschied noch durch die verschiedenartige Stilisation und Instrumen­ tation betont, ja oft f ü h l e n wir sogar — bei Krommers Ungenauigkeit in den Tempobezeichnungen — auch die Notwendigkeit, beide Teile auch im Tempo zu unterscheiden (Beisp. 5). 12 13 Zur Zerstörung der bisherigen Konzeption des klassischen Menuetts ge­ langt Krommer noch von der rhythmischen Position aus. Schon in einem der ersten Quartette mit Menuett, in dem im Jahre 1797 herausgegebenen Streichquartett op. 7/II, bemerken wir das Bestreben, sich von den bis­ herigen genauen Rhythmen und von der feststehenden R e g e l m ä ß i g k e i t der drei Taktteile, die wir z. B. in Mozarts Sinfonien K . V . 543 oder in der Serenade Eine kleine Nachtmusik K . V . 525 sehen k ö n n e n , abzuwenden. Das genannte Menuett Krommers hat schon den ersten Taktteil durch das Einfallen der anderen Stimmen auf den zweiten und dritten Taktteil er­ leichtert. In den Takten 5—10 kommt es dann zum offensichtlichen Ver­ wischen des schweren Taktteiles und zur Zerstörung der r e g e l m ä ß i g e n dreiteiligen Taktkonzeption. Die rhythmischen Formationen im 5.-6. Takt 36 K. PADRTA sind schon das Vorzeichen der s p ä t e r e n Furiantenrhythmen, aber die Kadenz im 11.—12. Takt steht weiterhin auf klassischer Grundlage (Beisp. 6). Qiarteit op 7(11 Das Menuett klingt noch e i n i g e r m a ß e n s c h w e r f ä l l i g aus, aber es kommt da zu einer für die weitere Entwicklung wichtigen Erscheinung, zur Z e r s t ö ­ rung des Tänzerischen, das für die bisherigen M e n u e t t e n s ä t z e charakte­ ristisch war. Die synkopische Abwechslung der Akzente und die zweitaktteilige Gliederung der Phrasen löst gänzlich die r e g e l m ä ß i g e rhythmische Ordnung auf. Eine analogische Erscheinung finden wir auch im Trio des­ selben Quartetts (Beisp. 7). Quartett op. 'r n 1 m* - Trio Ii r 'yt&Ai»—*— yyffg *•— r 1J i TJH ... i 1 J r i 1 frr r, t n «ej i J Eine v o l l s t ä n d i g e Zerschlagung der r e g e l m ä ß i g e n rhythmischen Struktur tritt in einer Entwicklungsetappe ein, welche in die mittlere Schaffens­ periode des Komponisten f ä l l t . Krommer trägt da in den ersten Me­ nuettenteil v o l k s t ü m l i c h e Furiantenelemente hinein, welche das Grund­ schema des % Taktes völlig zerschlagen. In diesem Zusammenhang kann 14 KRAMAR-KROMMERS MENUETTEN 37 man von einem weiteren Menuett-Typ sprechen, das diesmal a u s s c h l i e ß ­ lich auf rhythmischer Grundlage beruht (Beisp. 8). Vergl. auch Beisp. 5 und 7. Die v o l k s t ü m l i c h e Basis bestimmt nicht nur die charakteristischen Rhyth­ men, sondern b e e i n f l u ß t auch die Melodie, die in diesem Typ alle Merk­ male einer natürlichen, einfachen und logisch gebauten Kantilene trägt. Es ist g e w i ß bemerkenswert, d a ß sich Krommer den v o l k s t ü m l i c h e n Ele­ menten zuwendet, wenn er sich von den bisherigen Menuettformen ab­ wenden und neue Wege einschlagen will. Es ist nicht nur ein interessanter romantisierender Zug, sondern auch ein Beleg für das V e r h ä l t n i s des K o m ­ ponisten zur tschechischen Volkskunst. Eine Analogie zu der Art, wie sich Krommer von den e i n g e b ü r g e r t e n Kompositionsschemen für Menuette frei macht, finden wir g e w i ß auch bei manchen seiner Altersgenossen. Auch sie b e m ü h t e n sich darum, neue Formen für die Tanzsätze zu schaffen, doch nirgends finden wir diese Z ü g e so markant festgehalten wie bei Krommer. Dadurch, d a ß die Ent­ stehungszeit seiner Kompositionen chronologisch nicht festgestellt ist, ent­ stand zwar die Situation, d a ß die Opusfolge nicht vollends der chronolo­ gischen Reihenfolge der Werke entspricht, so daß die Abgrenzung der ein­ zelnen E n t w i c k l u n g s z ü g e verwischt wird. Die Umschichtung der Etappen ist jedoch eine ganz normale Erscheinung, welche auch die MenuettTypen Krommers nicht besonders stört. Becking z. B. macht darauf auf­ merksam, d a ß auch bei Beethoven, dem Hauptvertreter des neuzeitlichen Scherzos, auch nach dem Jahre 1800, also schon nach der ersten Sinfonie, Menuette erscheinen, die noch von den klassischen Formen ausgehen. Beethoven bringt jedoch in die Zerstörung der klassischen Konzeption noch einen weiteren wichtigen Zug, dem wir bei Krommer nicht be­ gegnen — die harmonische Entspannung. Die bisherige harmonische Struk­ tur ging vor allem von den harmonischen Hauptfunktionen aus und sie wagte sich nur an kurze Tonalausschreitungen in den n ä c h s t e n Tonarten heran (besonders in der Dominante und Subdominante). Eine k ü h n e r e har­ monische L ö s u n g ist schon in Beethovens Menuett aus dem Streichquartett op. 18/V aus dem Jahre 1799 angedeutet, das sonst aber noch weiterhin auf klassischer Grundlage besteht. Seinen H ö h e p u n k t erreicht jedoch dieses 15 38 K. PADRTA Bestreben erst in Schuberts Menuetten, in denen sowohl das harmonische Material, als auch die Tonalität an Buntheit zunimmt. In der letzten Phase des k ü n t l e r i s c h e n Schaffens unseres Komponisten gehen die Menuette in wirkliche Scherzos über. Ihre Konzeption hat schon der dritte Satz aus der Harmonie op. 45/III, wenn auch der Autor weiter­ hin diesen Satz als Menuett bezeichnet. Vom Standpunkt der technischen Komposition aus kann man als charakteristische Merkmale dieser Etappe die Betonung der Rhythmik, das Eindringen der Moll-Tonarten und die Verschärfung des Kontrastes zwischen den beiden Menuettenteilen be­ zeichnen. Wenn wir die Scherzos aus dieser Zeit dem musikalischen Aus­ druck nach vergleichen, so k ö n n e n wir feststelen, d a ß sie keine so reich­ haltige Differentiation enthalten, wie sie z. B. Hendrichs in Beethovens Scherzos vorfindet. Wir k ö n n e n sagen, daß sie sich bei Krommer nur in einer Richtung entwickelten und man in ihnen nur zwei h a u p t s ä c h l i c h e Ausdruckstypen wahrnehmen kann. Für den ersten Typ sind häufige I m i t a t i o n s g ä n g e im Teile A charakte­ ristisch, und zwar wie in den Themen selbst, so auch in der Evolution des musikalischen Gedankens. Es handelt sich in der Regel um freie Imitations­ auftritte, die in die Menuette die kontrapunktische F ü h r u n g der Stimmen hinentragen und zugleich auch die f ü r das klassische Menuett charakte­ ristische Periodizität der Melodie zerschlagen. Es dominiert hier einheit­ liche Bewegung in den Vierteln und ihre r e g e l m ä ß i g e rhythmische Pulsa­ tion (Beisp. 9). 16 17 18 rrrVrr'r'fr' r rrrr ' r'r Sehr oft tritt bei diesem T y p am Anfang nur eine Stimme an, der nach 1—2 Takten das ganze Ensemble nachfolgt. Es geht im Grunde genommen um das Ableitungsprinzip der Imitationsantritte, welches in diesem Falle bis in Manier ü b e r g e h t (Beisp. 10). Vergl. auch 9b. KRAMAR-KROMMERS MENUETTEN 39 Den zweiten Menuett-Typ finden wir erst in den letzten Opusen und sein Wesen steht auf harmonisch-rhythmischer Grundlage. Auch da ist die Ausgangsbasis die r e g e l m ä ß i g e Pulsation in den Vierteln, aber die einige Taktteile betonenden Akzente und die Synkopierung der Phrasen geben den Kompositionen den heftigen und aggressiven Ausdruck (Beispiel 11). Die Scherzos haben breiten sinfonischen Flug und sie bilden ausgedehnte Flächen, auf denen man ausdrucksvolle Gradation aufstellen kann. Beson­ ders die letzten, im Druck nicht mehr erschienenen Sinfonien haben breite Flächen, wenn wir auch fühlen, daß es dem Autor nur mit M ü h e gelingt, sie zu b e w ä l t i g e n . Die dramatischen Züge, welche diesen letzten „Menuett"Typ beherrschen, werden noch durch viele f r ü h r o m a n t i s c h e Harmonie­ elemente unterstützt, vor allem durch reichliche B e n ü t z u n g des verklei­ nerten Septakkords und durch Alteration. Sie geben den Scherzos nicht nur lapidaren Nachdruck, sondern auch robusten Ausdruck. Darum nähern sich die Scherzos Krommers stilistisch eher dem Schaffen der F r ü h r o m a n ­ tiker als dem Schaffen Beethovens; die naheste Ausdrucksbasis k ö n n t e n wir bei J. V. H . V o r i ä e k (Sinfonie D-Dur), eventuell bei den sinfoni­ schen Scherzos S c h u m a n n s (IV. Sinfonie d-Moll) finden. B e e t h o ­ v e n n ä h e r n sie sich am meisten in den Typen, die Hendrichs als demonisch bezeichnet. Freilich kommt auch da der Hauptunterschied in der Konzeption des Komponierens der beiden Komponisten zum Vorschein: die folgerichtig durchdachte und erlebte k ü n s t l e r i s c h e Arbeit bei Beetho­ ven und die unmittelbare musikalische Vitalität bei Krommer. Die Tanzsätze in den zyklischen Kompositionen Krommers machten also eine große und breite Stilentwicklung durch. Sie gehen von den Menuetten klassischer Konzeption aus und enden in den Scherzos mit f r ü h r o m a n t i ­ schem Entwurf. Als die interessanteste Etappe m ü s s e n wir die Ubergangs­ zeit bezeichnen, in der die Merkmale des Menuetts zerstört wurden. Und das erscheint in seinem Werke in seltener Vollständigkeit und chronologi­ scher Folge. Es beweist auch, d a ß Krommer seine musikalische Ausdrucks­ form auf langwierigem, schwerem Wege selbständig erreichte und d a ß er 40 K. P A D R T A wirklich innerlich zu seinem eigenartigen k ü n s t l e r i s c h e n Profil heran­ wuchs. Wir d ü r f e n gewisse E i n f l ü s s e g r o ß e r T o n k ü n s t l e r nicht a u ß e r Acht lassen; das gegenseitige Beeinflussen der z e i t g e n ö s s i s c h e n Komponisten ist historische S e l b s t v e r s t ä n d l i c h k e i t . Schon aus dieser kleinen Studie, die sich nur mit einem Teilproblem befaßt, ist zu ersehen, daß wir Krommer nicht eindeutig als b l o ß e n Epigonen bezeichnen k ö n n e n , wie er oft in den Lexiken genannt wird. Sein Werk h ä l t die z e i t g e m ä ß e Entwicklung fest und stellt einen organischen Bestandteil des damaligen Musiklebens dar. Es wird die Forscher noch viele M ü h e kosten, den wirklichen Wert des Werkes Krommers zu bestimmen und seine k ü n s t l e r i s c h e Stellung im M u ­ sikgeschehen seiner Zeit abzugrenzen. Übersetzt von Karel Padrta ANMERKUNGEN 1 2 3 Der Zuname des Komponisten wird bis jetzt nicht einheitlich wiedergegeben. Die tschechische Musikliteratur benützt heute ausschließlich die tschechischen Form „Kramäf" nach der Geburtsmatrik in Kamenice. In anderen Ländern neigt man zum Namen „Krommer", wie ihn später der Komponist gebrauchte. Dieser Namens­ wechsel ist nicht Äußerung der Nationalität, sondern Anpassung an die Umwelt, in welcher Krommer lebte. — In dieser Studie gebrauche ich die in der fremden Literatur gebräuchliche Schreibweise „Krommer". Den Komponisten Franz Vincenc K r o m m e r (27. XI. 1759—8. I. 1831) vorzustellen, ist nicht notwendig, denn es geht um eine allgemein bekannte künstlerische Per­ sönlichkeit. Das beweist das wachsende Interesse für sein Werk und die Auf­ merksamkeit, welche ihm wie die ausübenden Künstler, so auch die Musikverleger widmen. Eine elementare Orientierung über das Leben und Wirken des Künstlers ist heute überwiegend nur lexikographisch erfaßt, vor allem in den neuen Publi­ kationen: Pazdirküv hudebni slovnik, Brno 1937 (B. Stedron); G r o ve: A Dictionary of Musik and Musicians, London 1954 (G. Cernuääk); Jan R a c e k : Ceskä hudba, Praha 1958; Ceskoslovensky hudebni slovnik, Praha 1963 (K. Padrta) und Die Musik in Geschichte und Gegenwart VII, Kassel 1960 (O. Wessely), wo auch ein Verzeichnis seiner Kompositionen angeführt ist. Aus den Teilmonographien sind die wichtigsten: Horst W a l t e r : Franz Krommer, sein Leben und Werk, mit be­ sonderer Berücksichtigung der Streichquartette, Disert. Wien 1932; Karel P a d r t a : F. V. Kramäf-Krommer a jeho orchesträlnl skladby (K.-K. und seine Orchestral­ kompositionen), Disert. Brno 1950; Karel P a d r t a : F. V. KTamäf-Krommer, Studie k zivotopisnym a slohovym otäzkdm (K.-K., Studien zu Biographie- und Stilfragen), Brno 1966. Es ist zu erwähnen, d a ß viele in der genannten Literatur angeführten Daten heute schon auf Grund der neuen Archivforschungen überholt sind. Näher beschäftigt sich damit die letztgenannte teilmonographische Arbeit. Krommer bezeichnete mit Opusnummem nur die gedruckten Kompositionen. Als erste erscheinen 3 Streichquartette op. 1. im Jahre 1793. — Weil eine Chronologie der Entstehung der Werke nicht erhalten ist, so sind die Werke Krommers nach dem Datum der Auflagen geordnet, was jedoch eine verläßliche Nachfolge der Entstehung nicht verbürgt. Näher behandeln diese Chronologie die Studien zu Biographie- und Stilfragen von K . Padrta (1. c). '• Die zyklischen Kompositionen bilden den größten Teil der Werke Krommers. (Ein Verzeichnis ist in M G G eingeführt.) Das Menuett fehlt nur in Duetten, Solokon­ zerten und in den Violinisonaten. H . J . T h e r s t a p p e n : Josef Haydns sinfonisches Vermächtnis. Berlin 1941, S. 215. H . W a l t e r (1. c. S. 63) sieht gerade in diesen Typen das Hauptprinzip, nach dem Krommer seine Themen baut. Die enge melodische Verbindung der beiden Teile können wir auch bei großen Meistern des Klassizismus sehen. — Mit dieser Frage hängt auch die Verwand­ schaft der Themen in Sonatenform zusammen, vomit sich vor allem H. E n g e l 5 6 7 KRAMAR-KROMMERS B 9 1 0 1 J 1 2 41 MENUETTEN beschäftigt: Haydn, Mozart und Klasik, Mozart—Jahrbuch 1959, Salzburg 1960, S. 46. W . D a n c k e r t : Mozarts Menuett-Typen, Bericht der Musikwissenschaftlichen Tagung 1931, Leipzig 1932. H . J. T h e r s t a p p e n (1. c. S. 213—214). H. G o l d m a n : Das Menuett in der deutschen Musikgeschichte des 17. und 18. Jahr­ hunderts, Disert, Nürnberg 1956. — Auch Goldman beschäftigt sich ausführlich mit der Temposteigerung im Menuett nach den Tempobezeichnungen und Angaben der Komponisten. A u f die Ungenauigkeit der Bezeichnungen Krommers weist auch J. K r a t o c h v i l hin: Nezapominejte na dilo Frantiska Kramäfe. Hudebni rozhledy XII, Praha 1959, S. 889. Zur Anschaulichkeit führte ich einige statistische Angaben über die Länge der Menuette und der Trios bei Haydn, Mozart und Schubert an. (Opus, Taktenzahl des ganzen Menuettes, daraus Trio.) Kammermusik Sinfonien Haydn: op. 3/V op. 54/111 op. 76/IV 44—20 60—22 104—54 Nr. 19 Nr. 21 Nr. 24 86—28 72—32 78—40 Mozart: K. V. 458 K. V. 575 K. V. 590 61—33 114^6 75—33 K. V. 385 K. V. 543 K. V. 551 52—28 68—24 87—28 115—34 79—24 Nr. 4 Nr. 7 Schubert: op. 29 op. 116 76—37 404—166 Analogisch führe ich noch einige statische Angaben in den Kompositionen Krom­ mers an. Sinfonien Kammermusik op. 8/1 op. 21/1 op. 46/11 op. 92/1 op. 106/11 62—32 75—17 106—56 158—74 168—89 op. 12 op. 40 op. 62 op. 102 Nr. VII. Nr. IX. 75—47 122—52 98—57 200—140 162—69 204—130 Harmonien op. op. op. op. u 1 5 1 6 1 7 1 8 45/111 76 77 79 93—52 80—46 91—56 110—62 Das markanteste Anwachsen finden wir also in den Sinfonien und in der Kam­ mermusik. Die Grenze dieser Etappe bildet das Koncertino op. 70, das im Jahre 1809 heraus­ gegeben wurde. G. B e c k i n g: Das Scherzothema. Studien zu Beethovens Personalstill. Leipzig 1921, S. 16. Treffenden Beleg für die breite Tonalität bei Schubert findet Goldman (1. c. S. 53) in der unvollendeten C-dur Sonate: As — A — Ges — Fes — Heses — As — A. Die Harmonie Op. 45 wurde im Jahre 1803 herausgegeben. G . H e n d r i c h s : Die schnellen Mittelsätze in Beethovens Sinfonien. Köln 1960. MENUETOVE TYPY V D l L E S K L A D A T E L E KRAMÄRE-KROMMERA Dilo F. V. Kramäfe-Krommera spadä casove do doby slohoveho pferüstäni hudebniho klasicismu v rany romantismus. Pfechodov6 znaky se o b z v l ä l t e jasne objevuji v jeho menuetech, ktere vychäzejf z klasickeho tvaru, postupne ho rozrusuji a p f i v ä - 42 K. PADRTA deji az ke scherzu. Hlavnf cestu k tomu ukazuje Beethoven; Kramäfovo di'lo je vsak zajimav6 tim, ze v logickem sledu zachycuje jednotliv6 prvky postupneho pferüstäni. Z tohoto hlediska lze rozdelit jeho menuety na tri vyvojove etapy. V prve jeäte navazuji na klasicke vzory, pfedeväfm Haydnovy, nebof oba skladatele zde spojuje lidovy hudebni zäklad. Pfiklon k velkym vzorüm je u K r a m ä f e v te dobe pochopitelny, nebot jde o jeho nejmladSi tvürti etapu, v niz teprve vytväfel svüj vlastni hudebni projev. Casove nejrozsählejsi je druhä etapa, v niz dochäzi k narusoväni dosavadni klasicke koncepce. Prvni fäzi je üsili po odlehöenem manuetovem projevu, umoznujicim dalsi vyvojove pfemöny, pfedevsim zrychleni tempa. Soucasne B tim nabyvaji skladby na rozm&rnosti a dosahuji v konecnem stadiu vic jak divojnäsobnö delky. Menuetove cästi se sjednocuji a vyhranuji me jiz k pouhexnu melodickemu rozdilu, ale k vyvojove vyssimu vyrazovemu kontrastu. K vyzmamnemu naruäoväni klasicke koncepce dochäzi u K r a m ä f e jeste z pozice rytmicke, a to nejprve odlehcovänim t&zke doby, pozdSji synkopami a vnäsenim lidovych furiantovych prvkü, ktere jiz zcela rusi jak pravidelnou tfidobou rytmickou strukturu, tak i püvodni menuetovy tanedni Charakter. — V teto plynule a postupnö vyvojove fadö nerozviji vsak Kramäf d ü sledne i nemen£ dülezitou harmonickou slozku. V posledni etape jiz m ü z e m e mluvit o zfetelnych ran£ romantiokych scherzech. Za charakteristicke rysy teto etapy lze oznacit zdüraznoväni rytmizace, pronikäni mollovych tönin a zostfoväni kontrastu mezi jednotlivymi dily. Vyrazove nejsou Kramäfovy „rnenuety" (jak jsou neustäle nazyväny) tak bohat£ diferencoväny jako u Beethovena a lze v nich vytycit Jen dva zäkladni typy. Prvni je charakteristicky pronikänim imitacniho zpüsobu präce, v zävörecnem dochäzi autor k vysoce dramatickemu projevu na rozsähle symfonioky pojate plose. Taneöni vSta Kramäfavych cyklickych skladeb tedy prosla velkym a zajimavym vyvojem. Jeji plynul6 pferüstäni dosvSdcuje, ze skladatel se ke svemu umöleckemu vyrazu dopracoval dlouhou a samostatinou cestou. Bude väak tfeba vynalozit jeäte mnoho badatelskeho üsili, aby se objasnila skute&iä hodnota Kramäfova dila a v y mezilo jeho postaveni v dobovem hudebnim d&ni.