Die römische Kunst

Werbung
Wolfgang Wohlmayr
Die römische Kunst
Sogenanntes Tellus-Relief von der Ara Pacis in Rom, Detail.
Wolfgang Wohlmayr
Die römische Kunst
Ein Handbuch
Für Maria-Luise, Michael und Sophia –
in Erinnerung an einen schönen Romaufenthalt
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation
in der Deutschen Nationalbibliografie;
detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über
http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt.
Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig.
Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen,
Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in
und Verarbeitung durch elektronische Systeme.
© 2011 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt
Die Herausgabe des Werkes wurde durch
die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht.
Typographie und Satz: SatzWeise, Föhren
Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier
Printed in Germany
Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de
ISBN 978-3-534-20110-5
Die Buchhandels-Ausgabe erscheint beim Verlag Philipp von Zabern
ISBN 978-3-8053-3838-7
www.zabern.de
Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich:
eBook (PDF): 978-3-534-71994-5 (für Mitglieder der WBG)
eBook (epub): 978-3-534-71995-2 (für Mitglieder der WBG)
eBook (PDF): 978-3-8053-4335-0 (Buchhandel)
eBook (epub): 978-3-8053-4334-3 (Buchhandel)
Inhalt
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9
1. Kapitel: Der lange Weg Roms
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
20
2. Kapitel: Zeugnisse der frühen römischen Kunst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
61
3. Kapitel: Einflüsse und Stabilisierungsprozesse
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
92
4. Kapitel: Wendepunkte der römischen Kunst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
134
5. Kapitel: Die Zeit der späten Republik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
164
6. Kapitel: Augustus und sein Erbe
189
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7. Kapitel: Kunst des Imperiums – Kunst der Kaiser
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
241
8. Kapitel: Die erstarkte Weltmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
269
9. Kapitel: Zeit der Fülle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
290
10. Kapitel: Die Umformung der römischen Kunst
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
306
11. Kapitel: Auftakt zu einem neuen Zeitalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
340
12. Kapitel: Späte Entfaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
360
Roma Aeterna . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
368
ANHANG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
370
Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
372
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
386
Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
389
Abbildungsnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
400
Glossar
1 Aqua Marcia, Tepula Iulia
2 Aqua Marcia Iovia
3 Aqua Claudia
N
Via Sa lar ia
Porta
Flaminia
S
V ia
ti
ca
Porta
Pinciana
Mausoleum
des Augustus
n
Se
m
Aurelianische Mauer
ita
Thermae
Diocletiani
1
2
tri
Thermae
Constantini
M
Vi
cu
Saepta
Iulia
sP
a
Pantheon
Odeion
Theatrum
Pompei
ciu
s
A
lta
is
na
Q
al
rti
is
in
bu
ll
Co
ata
V ia L
M
S Ara Pacis
P UThermae
M
Neronianae
CA
Stadium
Domitiani
r
ui
Ti
S
a
IU
Vi
T
AR
(Engelsburg)
Castra Praetoria
us
Circus
Caligulae
s
iu
nc
in ia
Va
er
r
Mausoleum
Hadriani
F la m
Tib
Age
Mons Pi
Kaiserforen
SUBURA
Thermae
Titi
o
Macellum
Liviae
ns
Thermae E s q Vi a L
3
a
ui
Traiani
l i n bicana
us
Pons
Aurelius
Forum Romanum
Via Au rel ia
Pagus Ianicule
Pons
n s Aemilius
is
(Colosseum)
Circus
Maximus
TRANS TIBERIM
Tiberhafen
Thermae
Surae
Thermae 3
Decianae
(Emporium)
tin
us
Porta
Ostiensis
Via Os tie nsi s
tue
Por
en
iu
s
Servianische Mauer
Thermae
Caracallae
(Thermae
Antoninianae)
a
V ia
Av
M
el
Ca
ons
pi
600 m
s
on us
M ace
t
s
Te
s
Amphitheatrum
Castrense
3
Ap
400
on
Domus
Augustana
Vi a
200
M
r
0
Porticus
Aemilia
Tibe
n s is
Porta
Portuensis
Thermae
Helenae
Amphitheatrum
Flavium
Vi a La tin
a
Porta Appia
Aquädukte
Vorwort
Die Idee zu dem vorliegenden Buch ist im Zusammenhang einführender Vorlesungen zum
Thema „Römische Kunst“ an den Universitäten
Salzburg und Innsbruck entstanden. Mein
Dank für viele Anregungen zum Aufbau dieser
Kunstgeschichte des Alten Rom gilt daher den
Studierenden und im gleichen Maße der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft in Darmstadt
namens ihres stellvertretenden Programmleiters Dr. Harald Baulig, die mir mit Rat und Hilfe zur Seite standen. Dank sagen möchte ich
weiterhin all denen, die Korrektur- und Lektoratsarbeiten übernommen und damit zum
Gelingen des Bandes beigetragen haben: dem
Lektorat der WBG sowie Mag. Birgit Gembinsky, Mag. Magdalena Stütz und Mag. Felix
Lang (Salzburg). Bei mehreren Bildvorlagen
konnte ich auf das fotografische Geschick von
Mag. Monika Hinterhöller und Mag. Manuel
Schwembacher zurückgreifen – ihnen gilt
gleichfalls mein herzlicher Dank.
Handbücher wie dieses stehen zunächst
einmal vor dem Problem der Auswahl geeigneter Bildbeispiele. Natürlich gibt es neben
den unverzichtbaren Denkmälern eine große
Anzahl weiterer Werke, die man zeigen möchte. Aus Platzgründen muss es jedoch – wie auch
im vorliegenden Handbuch – bei einer begrenzten Auswahl bleiben und, daraus folgernd, einem sehr persönlichen Leitfaden für
Bild wie auch Text. Die hier ausgewählten und
in den einzelnen Abschnitten des Buches beschriebenen Beispiele sollen in erster Linie den
breiten Gestaltungsmöglichkeiten einer Kunst
in Rom und seinen Provinzen Raum geben.
Auf dem Weg dorthin ist das Konzept des
Handbuches aus Abwägungen und Zwischenschritten heraus immer wieder neu entwickelt
worden. Stets sollten dabei die Zusammenhän-
ge und das Grundprinzip einer römischen
Kunst sichtbar werden. Die ausgewählten
Denkmäler werden im Handbuch daher nicht
isoliert – als „Topics“ – beschrieben, sondern
entsprechend ihrer chronologischen und inhaltlichen Verbindungslinien.
Die Zugänge zu den Römern in Geschichte,
Literatur und Kunst sind nicht mehr dieselben
wie noch vor Jahren: Als „Bildungsgut“ hat die
Antike insgesamt zwar lange Zeit gegolten,
doch derzeit scheint diese Grundlage abgegriffen zu sein. Es versteht sich daher von selbst,
dass ein Basiswissen zu antiken Zeugnissen immer wieder neu gebildet, wesentlicher noch:
aus den heutigen Gegebenheiten heraus positioniert werden muss. Dabei spricht einiges
für die Kultur Roms und seiner Provinzen: Die
Bauten und Bilder der römischen Antike sind
nach wie vor präsent – sie begegnen uns auf
Reisen und in vielen Museen. Das Imperium
Romanum gilt gleichfalls bis heute als Modellfall der Geschichte – und selbst der Bau einer
modernen europäischen Ordnung bedient sich
seiner Konzeption. Rom hat also innerhalb der
gesellschaftlichen Einschätzung kaum etwas
von seiner Faszination eingebüßt. Unser Zugang zu den Römern kann vielleicht mit einer
Spurensuche verglichen werden, die über eine
Zeitspanne von 2000 Jahren hinweg auch
greift. Den vielfach erst zu erwerbenden Kenntnissen auf den Gebieten der Sprache und Literatur, der Geschichte der römischen Antike,
ebenso jener der Denkmäler, stehen heutzutage
Erfahrungen auf dem Gebiet des Reisens gegenüber. Vielen Leserinnen und Lesern wird
bereits der Besuch von Museen und Ausstellungen eine Anregung zur weiteren Beschäftigung
mit der römischen Antike geboten haben. Es
gilt daher, zeitgemäße Informationen zur
8
Vorwort
Kunstgeschichte Roms aufzubauen, um so die
Zugänge zur Welt der römischen Antike zu
vertiefen. Dabei stehen Lesbarkeit und Benutzerfreundlichkeit im Vordergrund; eine umfangreiche Auflistung der relevanten Forschungs- und Spezialliteratur bietet Hilfe zur
vertiefenden Beschäftigung mit dem Thema.
Welche Beispiele der römischen Kunst sollen in diesem Band vorgestellt werden? Welche Ausgangsfragen stellen sich dabei den Benutzern des Handbuches? Nach welchen
Kriterien lassen sich die ausgewählten Kunstwerke lesen?
• Denkmäler und Gattungen: Welche Kategorien und Gruppen bildet die römische
Kunst in ihrem historischen Verlauf heraus?
• Darstellungsformen und Inhalte: Was und
mit welchen Mitteln wird dargestellt?
• Ikonographie und Vermittlung: Wie und in
welcher Zeichensprache wird erzählt?
• Politischer und sozialer Hintergrund: Für
wen und aus welchen Beweggründen heraus kommen die Künste zum Einsatz, wird
dargestellt und vermittelt?
Salzburg, 6. Dezember 2010
Es soll also insgesamt um die Bildersprache
Roms gehen, aber auch um das „Bedeutungsmuster“ von Kunstdenkmälern, die sich aus
den jeweiligen Zeitabschnitten erhalten haben.
Das Handbuch bietet dazu eine knappe, jedoch
prägnante Auswahl. Den Leitfaden bilden insbesondere jene Bildbeispiele, die einen Bezug
zum gesamten System der römischen Kunst
aufweisen. Die Verknüpfung der Denkmäler
untereinander bildete ein weiteres Kriterium
für den vorliegenden Band. Weitgehend musste jedoch auf Werke der Kleinkunst und auf
Beispiele der dekorativen Kunst verzichtet werden.
Insgesamt zwölf Kapitel dieses Buches – gegliedert nach den chronologischen Abschnitten des rund tausendjährigen Bestehens Roms
– sollen die Kunst des Imperium Romanum
näherbringen. Ein Ausblick soll schließlich zeigen, dass die römische Kunst mit den Übergängen zur Spätantike und zum Mittelalter
keineswegs ihre Wesenszüge verliert.
Wolfgang Wohlmayr
Tu regere imperio populos, Romane, memento:
hae tibi erunt artes – pacique imponere morem,
parcere subiectis et debellare superbos
Du, Römer, denke daran, durch deine Herrschaft die Völker zu lenken –
dies werden deine Fähigkeiten sein – und dem Frieden Gesittung aufzuerlegen,
die Unterworfenen zu schonen und die Hochmütigen niederzukämpfen.
(Vergil, Aeneis 6,851–853)
Einleitung
Lassen wir zunächst einzelne Bildbeispiele auf
uns wirken! Wir werden dadurch auf Fragen
stoßen, die uns Bauten, Bildwerke und Malereien der römischen Antike in ihrer historischen
Dimension, wahrscheinlich aber auch durch
ihren aktuellen Bezug faszinierend erscheinen
lassen.
Ein römischer Durchgangsbogen – an sich
schon ein verbindendes Element – leitet unser
Handbuch ein: der Sergier-Bogen in Pula
(Abb. 1). 1
Dieser Bogen erzählt von der reichen und
über zweitausendjährigen Geschichte der bedeutenden Hafenstadt Pula (Pola) in Istrien.
Als Bogenmonument vertritt er zugleich eine
der wichtigsten Grundformen der römischen
Architektur. Der Sergier-Bogen war ursprünglich mit dem wichtigsten Eingangstor in die
Stadt, der Porta Aurea, verbunden. In der Antike besaß der aus weißem istrischem Kalkstein
gemeißelte Durchgangsbogen zudem die
Funktion eines Ehrenmonumentes für eine der
bedeutendsten Familien der Stadt. Das Bemerkenswerte an diesem Bogen aus heutiger Sicht
ist, dass man frei durch ihn spazieren kann und
ihn so gewissermaßen als Bestandteil der jetzigen Fußgängerzone wahrnimmt. Wir verdanken diese Tatsache der ursprünglichen Verbindung des Ehrenbogens mit der antiken wie
später auch mittelalterlichen Wehrarchitektur,
die so die wesentlichen Bestandteile des Bogens
schützte. Als man im frühen 19. Jahrhundert
Teile der Toranlagen Pulas abriss, wäre der Ser-
gier-Bogen dieser Zerstörung beinahe zum Opfer gefallen.
In ihren Anfängen wurden römische Städte
und Koloniegründungen von einflussreichen
Familien angeführt, die ihrerseits bei der Gestaltung und Finanzierung von öffentlichen
Bauten mitwirkten. In augusteischer Zeit etwa
ist ein besonderer Ausbau der Städte Oberitaliens zu vermerken. Pula zählte damals zur italischen Region Venetia et Histria. Das bedeutende Geschlecht der Sergier 2 war seinerseits
mit dem Kaiserhaus eng verbunden und ließ
in Pula ein Bogenmonument errichten, das die
wesentlichen Aspekte der Monumentalkunst
der Zeit, nicht zuletzt aber auch den eigenen
Ruhm verkörpern sollte.
Der Sergier-Bogen stand in römischer Zeit –
wie erwähnt – in unmittelbarer Verbindung
zum Haupttor der Stadt, der Porta Aurea. Bei
diesem Tor erreichte die Staatsstraße der Via
Flavia – von Aquileia und Triest (Tergeste)
kommend – die Stadt. Das an glanzvolle Marmorarchitektur erinnernde Monument bot so
eine eindrucksvolle Empfangssituation. Es
misst mit seiner Höhe von 10,62 m exakt 36 römische Fuß; seine Breite beträgt 30 Fuß oder
8,85 m. Stets wurde die klare Proportionierung
im Aufbau des Bogens bewundert. Das Bogenmonument als Ganzes wird durch die Bogenpfeiler (Pylone) und den inneren Bogengang,
schließlich durch die Gebälkzone und eine darüber befindliche Attika charakterisiert. Seitlich des von Rankenpilastern flankierten Bo-
10
Einleitung
gendurchgangs befinden sich die jeweils durch
Halbsäulen hervorgehobenen Bogenpfeiler.
Diese ruhen auf vorspringenden, gegliederten
Sockeln, die ihrerseits die Pfeiler mit den jeweils zwei nebeneinandergestellten korinthischen Halb- beziehungsweise Dreiviertelsäulen
tragen. In den Zwickeln des Bogens befinden
sich Reliefs mit fliegenden Siegesgöttinnen
(Victoriae). Dieser Bildschmuck sollte durchaus
an gleichartig gestaltete Triumphbögen in der
Hauptstadt Rom erinnern. Darüber umzieht
ein faszierter Architrav das Bogenmonument.
Eine Frieszone sowie ein Kranzgesims schließen sich an. Nach oben zu wird der Sergier-Bogen – wie andere römische Triumphbögen und
Ehrenbögen auch – von der sogenannten Attikazone abgeschlossen. Die drei vorspringenden
Postamente der Attika zeigen mit ihren Inschriften, dass sich darüber einst Statuen von
Familienmitgliedern der Sergier befanden.
Über die Siegessymbolik des Bogens und
der heute nicht mehr erhaltenen Statuen ist
viel gerätselt worden. Einer der am Bogen inschriftlich Genannten, L. Sergius Lepidus, hat
immerhin an der Seite des Augustus an der
Entscheidungsschlacht von Actium gegen Marcus Antonius 31 v. Chr. teilgenommen. Als Befehlshaber der 29. Legion, die allerdings bald
nach diesem Ereignis aufgelöst worden sein
dürfte, hat diese Persönlichkeit, wie auch seine
mitangeführten Familienangehörigen, später
wichtige zivile Ämter in Pula bekleidet. Als
Stifterin des Bogens fungierte Salvia Postuma,
die ebenfalls statuarisch oberhalb der Attika
des Ehrenbogens dargestellt war. Es würde an
dieser Stelle zu weit führen, den Bogen näher
datieren zu wollen. Auch Fachleute sind sich
darin nicht einig geworden. Anhand der epigraphischen Hinweise denken einige Forscher
noch an die mittelaugusteische Zeit, andere,
aufgrund ihrer Beobachtungen zur Bauornamentik des Bogens, bereits an die nachaugusteische Periode. Fest steht, dass die qualitätvolle Ausführung des Sergier-Bogens sowie die
hervorragende Durchbildung seiner Schmuckelemente eng mit den Strömungen der Kunst
in der Hauptstadt Rom zu tun haben. Der Sergier-Bogen kann so insgesamt als ein Zeugnis
für das Aufblühen der Städte in der frühen
Kaiserzeit gelten.
Damit stellt sich gleich die Frage nach den
Gattungen der Kunst in Rom und Italien: In
der Regel verbinden wir „Römische Kunst“
mit Zeugnissen einer Architektur, deren erstaunlich hoher technischer Perfektionsgrad
auffällt. Häufig angeführt werden auch die
Gattungen der Plastik und Skulptur wie etwa
das römische Porträt oder das Staatsrelief. Aber
auch Beispiele der Kleinkunst, von Bronzestatuetten über Keramik oder Glas und nicht zuletzt die Münzprägungen gelten zu Recht als
Leitformen für die künstlerische Produktion
im gesamten Imperium Romanum.
Kaum einmal macht man sich dabei jedoch
klar, dass dieses Bild der häufigsten römischen
Kunstformen zwar für die einzelnen Epochen
der römischen Kaiserzeit und – mit Einschränkungen – auch für jene der vorangehenden römischen Republik gilt, nicht jedoch für die
„Anfänge“ einer römischen Kunst. Viele dieser
Kunstgattungen hat es zu den Anfangszeiten
Roms noch nicht gegeben oder aber sie stellten
sich zum damaligen Zeitpunkt in anderem
Kontext dar. Eine der wichtigsten Fragen lautet
daher: Wann beginnt eigentlich römische
Kunst? Wir werden dabei beobachten, dass es
zwar künstlerische Zeugnisse seit den ersten
Siedlungen in Rom gibt, dass dieses Faktum jedoch unsere eigentliche Frage nach einer für
Rom charakteristischen Kunst nicht lösen wird.
Was anfangs fehlt, sind nämlich verbindliche
Komponenten einer Kunstentwicklung in Rom
und Italien.
Die Herausbildung der römischen Kunst
Römische Kunst im eigentlichen Sinn setzt spät
an. Die Gründung Roms in archaischer Zeit,
die Herausbildung der lateinischen Sprache
und eines gemeinsamen religiös-kulturellen
Kontextes für Mittelitalien stehen in einem
Einleitung
11
Abb. 1: Sergier-Bogen in Pula/Kroatien.
merkwürdigen Gegensatz zum verspäteten
Auftreten von Leitformen einer römischen
Kunst. Das ist umso erstaunlicher, als die Kunst
in Rom zu Beginn ja auf der künstlerischen Erfahrung der Etrusker und mindestens ebenso
jener der Griechen aufbaut. Die Frage lautet jedoch: Gibt es Gemeinsamkeiten zwischen den
frühen Artefakten aus Rom und seiner Umgebung und den sich erst entwickelnden Gattungen einer späteren römischen Kunst? Unser
Augenmerk richtet sich dabei in erster Linie
auf gleichbleibende Merkmale der Kunstentwicklung, aber auch auf die Frage erkennbarer
Aufgaben einer Kunst in und für Rom. Eine
12
Einleitung
wie immer auch geartete römische Kunst musste offenkundig erst eigene Voraussetzungen
entwickeln, um den weiteren Weg ihrer Möglichkeiten sichtbar werden zu lassen. Nach Meinung vieler Fachleute liegt ein Ansatzpunkt für
die besondere Note der späteren römischen
Kunst im politischen Entwicklungsmodell des
Stadtstaates Rom und dessen geografischer Lage im Zentrum Italiens.
Die Stadt Rom bildet eine ursprünglich auf
dörfliche Siedlungen des frühen 1. Jahrtausends v. Chr. zurückgehende, gewachsene urbane Einheit. Diese urbs Roma lag inmitten ethnisch wie religiös unterschiedlich geformter
Gebiete, deren Traditionen weit zurückreichten. Das frühe Rom bildete sich im Einflussbereich verschiedener Völker heraus, unter denen die Latiner eine herausragende Rolle
spielten. Während einer langen Zeitspanne
formt sich eine „römische Komponente“ zwischen den Kulturkreisen der Etrusker, der
mittelitalischen Bergvölker und jenen der griechischen Kolonisten heraus. Von den Anfängen
der Stadt erzählen Darstellungen aus viel späterer Zeit anhand mythischer Bilder und Vergleiche. Auch von der Bedeutung Roms zur Zeit
seiner Könige sowie der darauf folgenden
Gründung der Republik erfahren wir hauptsächlich erst durch spätere Berichte. Die Anzahl der erhaltenen Kunstwerke aus diesen frühen Epochen hält sich in bescheidenem
Rahmen. Allerdings gibt es bereits Zeugnisse
von Tempelbauten sowie Hinweise auf umfangreiche Baumaßnahmen in Rom selbst
(Abb. 730 1339 1541 1642 2053). Von einer Herausformung charakteristischer künstlerischer Gattungen im Sinne der späteren Kunst kann
jedoch noch nicht die Rede sein. Die Grundlagen des frührömischen Staates, dessen historischer wie politischer Werdeprozess, führten
offenkundig nicht unmittelbar auf eine eigenständige Kunstproduktion zu. In Rom angetroffene Bauten der Frühzeit sowie deren
künstlerischer Schmuck folgen ganz offensichtlich Vorbildern aus Etrurien und teilweise
jenen der Griechenstädte im Süden der ita-
lischen Halbinsel. Um es noch einmal zu unterstreichen: Erst verhältnismäßig spät entsteht
das, was man als eigenständige Linie der Kunst
in Rom und zugleich als Zukunftslinie der
Künste für Italien und die Provinzen wird ansehen können.
Die Gründe für einen solchen verzögerten
Ansatz könnten in der strengen Bindung der
künstlerischen Produktion an vorgegebene
Zwecke liegen. Religiöse Vorgaben, rituelle
Abläufe sowie Äußerungen der staatlichen Gewalt bildeten – soweit erkennbar – den Hintergrund für erste Auftragswerke in Rom. Viele
der in der Frühzeit des 6. bis 4. Jhs. v. Chr. in
Rom arbeitenden Künstler und Werkstätten
kamen der literarischen Überlieferung nach
aus Etrurien oder Unteritalien. Diese Gebiete
verfügten über länger zurückreichende Erfahrungen im Bauwesen und im Bildschmuck. Der
Formenapparat der meisten Artefakte aus römischem Umfeld scheint daher durch Beispiele
der Reliefkunst, der Malerei und auch des Tempelschmuckes in Italien bereits vorgeprägt
(Abb. 1848 1949 2358). Auch anhand der ersten
Bauten in Rom sowie bedeutender dort angetroffener Bodenfunde, welche die Archäologie
gerade der letzten Jahrzehnte bergen konnte,
lässt sich ein enger Anschluss Roms an Vorgaben und Erfahrungswerte der Etrusker wie
auch ihrer griechischen Nachbarn entnehmen.
Erst allmählich kam es auf diesen Gebieten zu
Anpassungen und schließlich einem eigenständigen Formenapparat. Eine ausgeprägte
Wohnkultur konnte für das frühe Rom bislang
nicht nachgewiesen werden. Zeugen etwa
Grabkomplexe und darin enthaltene Luxusgegenstände in Etrurien indirekt von einem
üppigen Zivilisationsmuster, so können wir in
Latium und Rom – zumindest anhand der bisherigen Befundlage – von einer wesentlich
nüchterneren Lebenswelt sprechen.
Gehen wir historisch nun einen Schritt weiter und fassen damit die Zeitspanne der frühen
und mittleren Republik ins Auge. Vereinzelt
im 4. Jh. v. Chr. und deutlicher dann im 3. und
2. Jh. v. Chr. finden sich Zeugnisse einer spezi-
Einleitung
fischen Architektursprache sowie formal ausgeprägte Beispiele der Bildkunst, die den Bedeutungsgrad Roms als dem führenden Zentrum Italiens erkennen lassen. Ausdruck dieser
Entwicklung sind zunächst die vielen Koloniegründungen Roms. Die dort anzutreffenden
Baulösungen wirken ausgesprochen zukunftsorientiert wie auch technisch innovativ
(Abb. 3682 –4087). Erstmals in diesem Zeitraum
lassen sich auch Einzelbeispiele für Reliefs, für
Statuenformen, für Grabausstattungen sowie
für die Anfänge der Malkunst anführen
(Abb. 3074 –3480). Doch lassen sich damit auch
Kriterien für eine spezifisch römische Kunst
aufstellen? Allgemeine Kennzeichnungen und
Charakteristika für „das Römische“ gibt es ab
diesem Zeitraum zweifelsfrei. Gerade der Formenapparat der Architektur sowie generell die
neuartigen Aufgabengebiete der Baukunst lassen sich stellvertretend anführen. Römische
Koloniestädte in Italien erhalten allein durch
ihr klares Anlageprinzip Modellcharakter wie
auch durch den Einsatz spezifischer Bautechniken ihr eigenes Gepräge. Die von Rom
unterworfenen Gebiete Italiens werden durch
Straßenbauten erschlossen und zentral an die
Hauptstadt angebunden. Der Funktionsrahmen der römischen Stadt und ihrer öffentlichen Gebäude erweitert sich und führt
schließlich zu eigenen Baulösungen wie jener
der Basiliken (Abb. 62125 –64129) oder der Thermenanlagen (Abb. 88169 89171). Die Städtebaukunst bietet so den wichtigsten Anhaltspunkt
für den Entwicklungsstand der Architektur.
Aber auch die Weiterentwicklung der Nutzarchitektur sowie neuartige technische Konstruktionen wie jene von Brückenbauten,
Aquädukten oder Substruktionen betonen die
innovative Note der römischen Baukunst im
Rahmen der Mittelmeerwelt (Abb. 76151 87168).
Auf dem Gebiet der Sakralarchitektur fallen
unter die Neuerungen dieses Zeitraumes differenzierte Typenbildungen bei Tempeln und
Heiligtümern (Abb. 4188 4289). Schwieriger
wird es, gilt es die übrigen Kunstgattungen
der römischen Kunst zu bewerten. Innerhalb
13
der Gattungen der Reliefs und der – allerdings
kaum mehr greifbaren – Gemälde dieses Zeitraumes lassen sich nur gelegentlich historische
oder aber mythologische Begebenheiten ablesen (Abb. 3176 63127). Allerdings, die „Bildersprache“ dieser Zeit verrät erstmals römische
Muster: Einzeln komponierte Szenen, Namensbeischriften, Attribute und penible Kennzeichnungen von Personen bildeten für die Erzählkunst offenbar einen wichtigen Bestandteil.
Für Ehrenstatuen und öffentliche Monumente
der frühen Epochen gibt es mehr literarische
Nachweise als tatsächlich erhaltene Beispiele.
Folgt man den Schriftquellen, so dürfte sich
das republikanische Rom – und mit ihm viele
Bündnisstädte in Italien – jedoch durch umfangreichen Statuenschmuck ausgezeichnet haben. Auch für die spezifische Gattung des römischen „Ahnenporträts“ gibt es entschiedene
Anhaltspunkte (Abb. 93175 94176). Diese Bildnisgattung entstand offenkundig im Umfeld der
Ehrung verstorbener Angehöriger der Oberschicht und damit verbundener ausgeprägter
Begräbnisriten, bei denen die Zurschaustellung
der Gesichtszüge von Verstorbenen in Form
von Wachsmasken eine Rolle spielte. Der Übergang zu echten Porträtformen lässt sich allerdings schwer nachzeichnen. Aus verschiedenen
Steinmaterialien gearbeitete Bildnisköpfe aus
der Zeit der späten Republik geben durchaus
unterschiedliche Qualitätsmuster wieder. Viele
Porträts der republikanischen Zeit bringen
größte Naturnähe zum Ausdruck, ein Merkmal, das auf den „Abbildcharakter“ von Porträts im römischen Umfeld schließen lässt. Bei
anderen Porträts dieses Zeitraumes übten auch
Vorbilder der hellenistischen Bildniskunst
ihren Einfluss aus, sodass die Bildniskunst in
Rom merklich in verschiedene Richtungen zerfällt (Abb. 100182). Diese unterschiedlichen
Kunstauffassungen hängen grundlegend mit
den verschiedenen Gesellschaftsklassen in
Rom, deren Aufgabenstellung und deren Repräsentationsbedürfnis im öffentlichen oder
privaten Rahmen zusammen. Nach wie vor bilden die aufkommenden Gattungen einer römi-
14
Einleitung
schen Kunst allerdings recht unterschiedlich
diskutierte Fragen innerhalb der Forschung.
Rein quantitativ, so wird man festhalten müssen, tauchen erst in spätrepublikanischer Zeit
wirkliche Leitgattungen der Plastik und Skulptur auf, welche sich schließlich kontinuierlich
bis in die Kaiserzeit hinein verfolgen lassen. Es
gibt jedoch, und das macht die Betrachtung so
spannend, überlieferungsbezogen deutlich frühere Ansätze für eine römische Bildkunst während der ersten Jahrhunderte.
Römische Kunst unterliegt – so kann man
häufig lesen – realen Gestaltungsmustern: Es
geht ihr vorwiegend um das Faktische und
Greifbare. Die Wiedergabe von historischen
oder aus dem gegenwärtigen Leben gegriffenen
Vorgängen, die Bildung eines Realraumes innerhalb der Landschaftsdarstellungen, schließlich Inschriften und Attribute als Veranschaulichungsmomente kennzeichneten die Werke
der Malerei und Skulptur. Dabei sollte man
nicht übersehen, dass sich die Kunst im öffentlichen Raum häufig einer Symbolsprache bedient, welche sich auf einfache Chiffren beschränkt. Beides: Reale Wiedergabemomente
und abstrakt zu Lesendes bilden keinen unmittelbaren Widerspruch innerhalb der römischen Bildersprache. Bleiben wir bei diesen
gängigen Charakterisierungen, so müssen wir
weiterhin nach Ursachen fragen. Das historische Verständnis für die Gesellschaft der römischen Antike hilft uns dabei entschieden weiter. Die Vorgabe der Maßstäbe für eine Kunst
im öffentlichen Raum, man kann auch sagen
für eine römische Staatskunst, blieb stets in
der Hand der Oberschicht. Es war nicht zuletzt
Aufgabe der Magistrate und der höchsten Ämter in Rom und den Städten, Tempel und öffentliche Gebäude, Straßen sowie Nutzbauten
zu errichten und für deren Erhalt zu sorgen.
Neben den Leitformen einer vom Gemeinwesen getragenen, jedoch von „oben“ her dirigierten Kunst gilt es in Rom zusätztlich den Strang
einer „Volkskunst“ zu beobachten. Nach Meinung eines Teiles der Forscher entwickelte sich
diese zweite Linie der Kunst entsprechend einer
Mehrheit der einfacheren Bevölkerungsschichten (plebs). Darunter fallen etwa Darstellungen
aus der „Lebenswelt“ ebenso wie bestimmte
Bildnisreliefs der Grabkunst, bei denen deutlich veristische Porträtformen hervorstechen
(Abb. 93175 94176). Letztere tauchen am Ende
der römischen Republik auf und lassen sich
bis hinein in die frühe Kaiserzeit als eine Kunst
der „Freigelassenen“ verfolgen (Abb. 96178). Die
Nachkommen der ehemaligen Sklaven bildeten während der Kaiserzeit gemeinsam mit
den Handwerkern und den Händlern in den
Städten eine Art Mittelstand. Die Kunstproduktion dieser Schicht ist deutlich konservativer gehalten als jene der oberen Stände.
Das Problem bei diesen Parallelströmungen
der römischen Kunst bleibt jedoch, dass sie keinen wirklichen Entwicklungsverlauf zu erkennen geben. Bis zu einem gewissen Punkt vollzieht die sogenannte Volkskunst während der
Kaiserzeit eine Reaktion auf offizielle Strömungen der Kunst. Es kommt aber auch vor,
dass sich die Strömungen einer „offiziellen“ sowie einer „populären“ Kunstrichtung in Rom
in gewissem Maße ablösen beziehungsweise
dass eine dieser beiden Richtungen die Oberhand gewinnt. Auch hinsichtlich der gesellschaftlichen Leitformen und Normen macht
es uns römische Kunst demnach nicht allzu
leicht: insgesamt komplizierte Voraussetzungen also, die uns den Blick auf die Wesenszüge
der Kunst eingangs erschweren.
Kommen wir damit zurück zum Entwicklungsverlauf der römischen Kunst: In den Phasen der Ausbreitung des römischen Einflusses
auf ganz Italien hatte sich das römische Staatswesen neuen Aufgaben zu stellen. Eine der Folgen dieser Expansion bildete der erneut wachsende Einfluss griechischer Kunstformen auf
Rom ab dem 3. Jh. v. Chr. Diese Vorgänge erreichten in der Folgezeit – mit der Einrichtung
römischer Provinzen in Griechenland und
Kleinasien – ihren Höhepunkt. In Rom arbeitende, namhafte griechische Künstler und
deren Werkstätten befruchteten die römische
Anschauung enorm. Ganze Gattungen der Bild-
Einleitung
kunst wie jene der Kultbilder, jene der sogenannten Idealplastik (Kopien und Nachbildungen von Statuen) für den öffentlichen und privaten Bereich und schließlich jene der
Schmuckreliefs wurden durch die griechische
Kunst angeregt beziehungsweise von dieser teilweise detailgetreu übernommen (Abb. 61123
70143 71144 74148 75150 84160). Es wird daher bereits jetzt wichtig festzuhalten, dass einzelne
Kunstgattungen und Stile, denen wir während
der Kaiserzeit begegnen werden, nicht in Rom
selbst entstanden sind. Aber selbst die Kopistenkunst in Italien entwickelte ihre eigenen
Gesetze und wird nicht zuletzt durch römische
Anschauungsmomente bestimmt. Jene „klassizistischen“ Kunstrichtungen, die zunächst
durch römische Auftraggeber und in Rom ansässige Künstler formal und inhaltlich aufgenommen wurden, verbreiteten sich im gesamten Imperium Romanum, wurden dort
weiterentwickelt und verselbständigt. Wie
auch auf anderen Gebieten – etwa der Literatur
oder der Philosophie – bildet der Gesichtspunkt der „Übersetzung“ und Adaptierung
von Vorbildern einen wichtigen Bestandteil
der römischen Anschauung. Die Kunst Roms
zeigt bei der Übersetzung fremden Formguts
naturgemäß Brüche und Veränderungen. Innerhalb der bildenden Künste ist eine Neuaufnahme von künstlerischen Formen ebenso zu
erkennen wie andererseits die Weitergabe tradierter Formen. Römische Kunst ist in diesem
Sinne diskontinuierlich, wie sie umgekehrt an
Konstanten festhält. Man könnte es vielleicht
auch so formulieren: Der formale und stilistische Ansatzpunkt der römischen Kunst wechselt mehrfach, die inhaltlichen Aussagewerte
bleiben hingegen unverkennbar römisch.
Ziehen wir ein Fazit zu diesen mitunter
komplizierten, jedoch notwendigen Vorüberlegungen: Römische Kunst zeigt, und daran
führt kein Weg vorbei, keinen einheitlichen
Entwicklungsgang. Und – die Kunst Roms zu
umreißen bedeutet auch, Traditionen und Vorgaben, Moden und gesellschaftliche Muster für
die jeweilige Denkmälergattung freizulegen.
15
Bei dieser Ausgangsbasis kann jedoch eines als
gesichert gelten: Die uns in Form von Bauten,
Bildwerken und Gemälden bekannte Kunst
Roms und seiner Provinzen sollte sich spätestens während der Kaiserzeit deutlich von jener
der übrigen Völker und Kulturen der Mittelmeerwelt unterscheiden. Das Bild der römischen Kunst selbst bleibt damit letztlich unverkennbar.
Bilder des Mythos und der Geschichte
Mit einer weiteren wichtigen Fragestellung zur
römischen Kunstgeschichte wollen wir uns im
Folgenden beschäftigen: mit Bildern des Mythos und der Geschichte. Dabei geht es naturgemäß um die Anfänge Roms.
Bildliche Darstellungen in Rom konnten
sich – so viel wurde ja bereits klar – auf jeweils
reiche Erfahrungen der eigenen „Historienkunst“ als auch auf formale Vorbilder der
älteren griechischen Kunst berufen. Den Römern, als entwicklungsgeschichtlich jüngstem
Glied der antiken Mittelmeerkulturen, stand
so ein reiches Repertoire an Vorgaben und
Möglichkeiten zur Verfügung. Je nachdem,
was es zu erzählen galt, wurden daher reale
Szenen wiedergegeben oder aber Bilder mythischen Inhalts entworfen. Gelegentlich wurde
auch die Kombination beider Sinnebenen versucht. Für das Spektrum an Themen galt es jeweils auch unterschiedliche Stile und Ausdrucksformen einzusetzen. Der Inhalt, so wird
man behaupten können, legt die Erzählsprache
und die Stilmittel der römischen Gemälde und
Reliefs entschieden fest. Auch die räumlichen
Darstellungsmittel oder das Bewegungsmuster
von Figuren werden von solchen inhaltlichen
Komponenten mitbestimmt.
Römische Bildkunst greift also entweder
auf reale Bezugsmomente zurück oder setzt –
ganz im Sinne der griechischen Vorbilder –
auf eine Einbeziehung allegorischer und mythischer Gestalten. Im Gegensatz zur griechischen Kunst und ihrer reichen mythischen
16
Einleitung
Erzählweise ist die römische Bildkunst jedoch
nicht aus den Vorstellungen und Traditionen
dieser Mythenbilder erwachsen: Die Römer
sind, im Gegensatz zu ihren östlichen Nachbarn, nicht mit den Mythen groß geworden.
Daher neigt römische Kunst in ihrer Darstellungsabsicht zu stärkerer Abstraktion. Römische Friese und Wandgemälde zeigen beispielsweise ein Geschehen der Frühzeit in real
historischer Gewandung. Dabei verzichtet man
nicht auf Momente einer Überhöhung. Das
Auftreten von Göttern oder allegorischen Gestalten findet deshalb auf einer innerhalb des
Bildganzen nicht unterschiedenen Ebene statt:
Damit soll letztlich eine geschlossene Wirklichkeitsebene der Erzählung unterstrichen werden. Mit anderen Worten ausgedrückt, besaßen die Römer eine andere Anschauung von
Realität als ihre griechischen Lehrmeister. Der
Redner, Politiker und Philosoph M. Tullius
Cicero (106–43 v. Chr.) bringt es für uns auf
den Punkt: „Lassen wir Mythen und Ereignisse
fremder (gemeint griechischer) Geschichte
beiseite: Kommen wir zu den Tatsachen (ad
rem factam) unserer Geschichte!“ (De officiis
3, 99).
Mithilfe eines konkreten Beispieles lässt
sich dieser besondere Ansatzpunkt der römischen Kunst besser nachzeichnen: Wir werden
anhand der Darstellung, um die es im Folgenden geht, zudem einiges über römische Gründungssagen erfahren.
Auf dem Ausschnitt eines römischen
Wandgemäldes sehen wir das Ende einer
Schlacht: Äneas wird von Victoria bekränzt
(Abb. 2). 3 Aufgefunden wurde das Fresko in
einer Grabkammer am römischen Esquilin,
die mit der Familie des Statilius Taurus, eines
bedeutenden Militärs und Politikers im Umfeld des Kaisers Augustus, in Zusammenhang
gebracht wurde. 4 Die Grabkammer war im Inneren durch einen umlaufenden Fries mit Darstellungen der römischen Gründungssagen verziert. Der hier abgebildete Friesstreifen zeigt
eine Kampfszene: Links befindet sich eine
Gruppe gewappneter beziehungsweise halb-
nackter Krieger. In der Mitte der Szene erkennt
man den siegreich vorstürmenden Anführer
der „regulären Einheiten“, der rechts von der
herbeieilenden Siegesgöttin bekränzt wird.
Die Kämpfe spielen, wie den weiteren Szenen,
aber auch den inzwischen unlesbar gewordenen Namensbeischriften des Frieses zu entnehmen war, in mythischer Vorzeit. Sie handeln von der Ankunft des trojanischen Fürsten
Äneas in Italien. Äneas flieht – der Sage nach –
mit seinem greisen Vater Anchises und dem
Sohn Ascanius (Iulus) aus dem brennenden
Troja. Nach langen Irrfahrten erhält er, während seines Aufenthaltes bei Königin Dido in
Karthago, einen göttlichen Auftrag: Er soll in
Italien eine neue Stadt gründen, aus der
schließlich Rom hervorgehen wird.
Wir begegnen hier einem Grundmuster römischen Selbstverständnisses: Die Gründung
der Stadt wird in mythische Zeit vorverlegt beziehungsweise erhält ihre Einbindung in den
Rahmen der griechischen Überlieferung. Als
Äneas mit den ihm verbliebenen Seinen die
Küste Latiums erreicht hatte, fand er dort beileibe nicht nur eine ländliche Idylle vor, sondern er musste Kämpfe und Auseinandersetzungen mit den einheimischen Stämmen
bestreiten. Auch dieses Grundmuster der Sage
sollte für das römische Selbstverständnis prägend bleiben: Es ist die sowohl bäuerliche als
auch soldatische Bestimmung des Siedlers (colonus), welche auf diese Weise zum Ausdruck
gebracht wird. Äneas ist dem Mythos nach ein
Sohn der Venus. Er und sein Sohn Iulus werden
in Italien zu den Begründern von Städten (Alba Longa, Lavinium) und damit zu Ahnherren
eines königlichen Geschlechtes, dem auch die
Gründungsväter des späteren Rom, Romulus
und Remus, angehören werden. Doch auch die
römische Aristokratie beruft sich vielfach auf
solche göttlichen Ahnherren. Die Vorfahren
C. Iulius Caesars, auch Caesar selbst sowie
schließlich dessen Adoptivsohn und Nachfolger Kaiser Augustus sollten sich in viel späterer
Zeit auf die vornehme Herkunft durch Äneas
berufen. 5 Wir müssen uns die Bedeutung die-
Einleitung
17
Abb. 2: Fresko vom Esquilin: Äneas wird von Victoria bekränzt.
ses Mythenbildes also erst einmal vor Augen
halten, finden wir dadurch doch einen Anschlusspunkt zur römischen Geschichte. Freilich müssen wir in diesem Zusammenhang
noch weiter ausholen: Für den Römer der
beginnenden Kaiserzeit galt es, die ältesten
Gründungslegenden der Stadt und jene des
eigenen Volkes in eine Verbindungslinie zu
stellen. Die literarischen Belege für die Beziehungen Äneas’ zu Rom reichen dabei weit zurück. 6 Hellanikos, ein vielseitiger griechischer
Historiker des 5. Jhs. v. Chr., schlägt die weiteste
Brücke: Er führt Äneas an, der angeblich aus
dem Land der Molosser kam und Rom gemeinsam mit Odysseus gegründet haben soll
(FGrHist 4, Frgm. 80). Dahinter steht das weite
Gesichtsfeld der griechischen Kolonisation im
Westen. Rom ist in den Augen der Griechen
zunächst „eine griechische Stadt im Westen“,
wie es etwa bei Herakleides Pontikus im 4. Jh.
v. Chr. heißt. Rom galt zu dieser Zeit bereits als
Machtfaktor der Mittelmeerwelt und wurde –
so würden wir es heute lesen – in ein vorgefasstes historisches Gesichtsfeld, jenes der Griechen, eingebunden. 7 Griechische Historiker
der spätklassischen und hellenistischen Zeit, so
auch Timaios von Tauromenion (4./3. Jh.
v. Chr.), sahen bereits die Notwendigkeit einer
historischen Anbindung der wichtigen Völker
der Mittelmeerwelt, indem sie die Gründung
Karthagos und Roms zusammenstellten
(FGrHist 566). Die Verbindungen zwischen
der Äneassage und Rom erweisen sich so wahrscheinlich als „Erfindungen“ des 4. Jhs. v. Chr.
An diesem Punkt setzt auch die eigentlich
römische Geschichtsschreibung an. In einem
der ältesten Geschichtswerke Roms, es stammt
aus dem 3. Jh. v. Chr. und wird dem legendären
Historiker Q. Fabius Pictor verdankt, finden
sich die Äneassage und die Romuluslegende
erstmals nebeneinandergestellt. Als Bindeglied
fungiert dabei die Reihe der Könige von Alba
Longa, also die Nachkommen des Iulus. 8 Ein
weiterer römischer Epiker dieses Zeitraumes,
Gn. Naevius, verbindet in seiner Schilderung
des Ersten Punischen Krieges (Bellum Poenicum)
ebenfalls die Ankunft der „Äneaden“ in Latium
mit dem weiteren Geschick der römischen Geschichte, die so zu Romulus und Remus führt. 9
In viel späterer augusteischer Zeit nun nimmt
der Dichter Vergil in seinem monumentalen
Epos, der Äneis (Aeneis), den gängigen Grün-
18
Einleitung
dungsmythos zum Ausgangspunkt einer RomVision 10: In der Rede der Göttin an den Heros
lenkt der Dichter die Bestimmung des Äneas,
„über die Völker zu gebieten“, auf das gesamte
römische Staatswesen: „Dein sei, Römer, das
Amt, als Herrscher die Völker zu regieren.“
Das Wandgemälde vom Esquilin stammt
aus frühaugusteischer Zeit. Es schmückte den
Grabbezirk einer bedeutenden römischen Familie, die mit der Person des Kaisers Augustus
und der Ideologie seiner Zeit in enger Verbindung gestanden haben dürfte. Gezeigt wird
der Moment des Triumphes für den Feldherrn
Äneas, der so zu einem Sinnbild für den Siegeswillen des römischen Volkes wird. Die römische Kunst jener Zeit projiziert das Geschehen
in die mythische Vorzeit. In Wirklichkeit jedoch wurde die Sage – wie wir sehen konnten
– erst relativ spät in Rom aufgegriffen und so
in das Geschichtsbild der Bevölkerung integriert. Rom „erfindet“ sich gewissermaßen
selbst erst relativ spät. Im frühkaiserzeitlichen
Fresko erscheinen die Vorgänge wie eine Vorhersage künftigen Geschehens; sie gleichen
einer Prophezeiung.
Das Gemälde ist zugleich auch Zeuge der
Verbindungswege der Künste zwischen Griechenland und Rom. Der Bildfries mit seinen
aktionsgeladenen Figuren und seiner pastosen
Raumauffassung ist teilweise hellenistischen
Vorbildern verpflichtet. Ein – wie allgemein
angenommen wird – vorbildliches „Originalgemälde“ bildete den Hintergrund für diesen
Freskenzyklus. Im erhaltenen Freskenausschnitt kommen jedoch durch das Thema und
die handelnden Figuren primär römische Gesichtspunkte zum Tragen. Was an dieser Szene
eindeutig römisch wirkt, ist die Erzählweise:
Dazu gehört der faktische Ablauf von Handlungsmomenten und, nicht minder, die plakative Aussage der Figurenschilderung. Die
Kämpfe wirken real, mit dem Auftreten der
Siegesgöttin wird jedoch eine Zielebene markiert: Äneas ist der göttliche Ahnherr des römischen Volkes, sein Sieg bedeutet die Aufbereitung des Bodens für die römische Zivilisation.
Das Gemälde wird so zu einem Zeugen der vorherrschenden Ideologie, aber auch der künstlerischen Erfahrungen in Rom an der Wende
von der Republik zur Kaiserzeit.
Welche Zugänge zur römischen Kunst erhalten
wir aus dem vorliegenden Beispiel?
• Im alten Rom besaßen Herkunft und
Tradition der Familien innerhalb des Staatswesens einen hohen Stellenwert. Mythischhistorische Darstellungen innerhalb der
Kunst trugen dazu bei, den Rang einer Familie zu erhöhen.
• Innerhalb der römischen Grabkunst wurden unter anderem Themen aufgegriffen,
die eine politische wie auch gesellschaftliche Aussagekraft besaßen.
• Es gab für den Ausstattungsschmuck privater Grabbezirke ganz offenkundig Vorgaben und Muster der „großen Kunst“ (Gemäldevorlagen).
• Diese Vorgaben wurden in die jeweilige
Anschauungsform übersetzt und künstlerisch umgedeutet.
Ergebnisse
Im Einführungsteil dieses Handbuches sollte
anhand ausgewählter Beispiele der allgemeine
„kulturelle Habitus“ (Henner von Hesberg) der
römischen Kunst angesprochen und hinsichtlich seiner Muster und Vorgaben hinterfragt
werden. Es konnte dabei festgestellt werden,
dass sich die Bestandteile der römischen Kunst
aus verschiedenen Traditionen und Einflusssphären herausbildeten. Verhältnismäßig spät
erst kommen eigenständige Ausdrucksformen
zum Tragen – eine römische Eigenkonzeption
wird demnach nicht von Anfang an greifbar.
Befragen wir noch einmal die wichtigsten
historischen Stationen: Nach Meinung vieler
Forscher gibt es zumindest ab dem späten 4. Jh.
v. Chr. Anzeichen für eine römisch geprägte
Formensprache und somit eine römische Kunst.
Grund dafür könnte die bedeutende Stellung
Einleitung
des Stadtstaates in Mittelitalien sein. In der Folgezeit bildeten die Auseinandersetzungen
Roms mit den Karthagern eine tiefe Zäsur für
das künstlerische Selbstbewusstsein. Im 2. Jh.
v. Chr. jedoch, dem Jahrhundert triumphalen
Ausgreifens Roms nach dem griechischen Osten und – parallel dazu – dem endgültigen Sieg
Roms über Karthago, ist eine ausgesprochene
Befruchtung der römischen Kunst durch Vorbilder in Griechenland und Leistungen griechischer Werkstätten in Italien festzustellen.
Der sich verändernden Aufgabenstellung eines
nun bis Spanien und Nordafrika reichenden
Imperiums entsprechend, entwickelt Rom nunmehr seine unverkennbare wie auch eigenständige Formensprache in den Künsten. Eine tragende Säule der Entwicklung bilden dabei die
Baukunst und ihre Techniken. Erst zur Zeit der
späten Republik stellen sich endgültig Leitgattungen wie das Porträt, das historische Relief
oder römische Malstile und Dekorationsformen heraus. Auch der technisch bestimmte
Formenapparat der Architektur und ihrer einzelnen Bautypen sind im Wesentlichen ein
Produkt dieser späteren Entwicklung. Die Abschnitte der Kaiserzeit, begonnen mit der Zeit
des Kaisers Augustus, setzten für die Künste jeweils entschieden neue Akzente. Tragende
Kunstformen können nun als Ausdruck einer
„Staatskunst“ begriffen werden. Die Kunst der
römischen Kaiserzeit wird daher zu Recht nach
den Regierungsabschnitten ihrer Regenten untergliedert.
Das Imperium Romanum sollte sich in der
mittleren Kaiserzeit zu einem der größten, jemals existierenden staatlichen Gebilde festi-
19
gen. Es verband zahlreiche Völkerschaften, deren Traditionen und Fähigkeiten, unter- und
miteinander. Damit einhergehend, erreichten
die wirtschaftlichen und technischen Möglichkeiten des Imperium Romanum einen Standard, der – und auch dieses Faktum sollte
man sich vor Augen halten – erst wieder in
der Frühen Neuzeit erreicht werden konnte.
Das römische Herrschafts- und Zivilisationsmuster hat die nachfolgenden Jahrhunderte somit nachhaltig beeinflusst. Rom – so
könnte man behaupten – blieb über einen längeren Zeitraum hindurch Vorbild, als es je
selbst als Staatsgebilde existierte. Mit einer
gleichfalls gegebenen Pluralität der Völker
und Provinzen innerhalb des Imperium
Romanum können unterschiedliche Entwicklungsmöglichkeiten in Europa konstatiert werden. So wie im Staatsgebilde der Zusammenhalt durch die an Rom orientierten und
geschulten Völkerschaften gewährleistet wurde, bildete sich umgekehrt durch die unterschiedliche Bevölkerung eine jeweils eigene
Kultur der Provinzen heraus. Die Besonderheit
dieser Bedingungen innerhalb der Provinzen
führte ganz offenkundig zu eigenständigen
Formbildungen der Kunst. Man wird darüber
hinaus festhalten können: All diese Prägungen
wie auch Vorgaben innerhalb der römischen
Provinzen überlebten teilweise die Geschichte
des Imperium Romanum und trugen wesentlich zur Kunst des Mittelalters und der nachfolgenden Jahrhunderte bei. 11 Auch dadurch
erweist sich die europäische Dimension der römischen Kunst in ihren Grundmustern und
Konstanten.
Herunterladen