Wolfgang Wohlmayr Die römische Kunst Sogenanntes Tellus-Relief von der Ara Pacis in Rom, Detail. Wolfgang Wohlmayr Die römische Kunst Ein Handbuch Für Maria-Luise, Michael und Sophia – in Erinnerung an einen schönen Romaufenthalt Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. © 2011 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Typographie und Satz: SatzWeise, Föhren Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-534-20110-5 Die Buchhandels-Ausgabe erscheint beim Verlag Philipp von Zabern ISBN 978-3-8053-3838-7 www.zabern.de Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-534-71994-5 (für Mitglieder der WBG) eBook (epub): 978-3-534-71995-2 (für Mitglieder der WBG) eBook (PDF): 978-3-8053-4335-0 (Buchhandel) eBook (epub): 978-3-8053-4334-3 (Buchhandel) Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 1. Kapitel: Der lange Weg Roms . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 2. Kapitel: Zeugnisse der frühen römischen Kunst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 3. Kapitel: Einflüsse und Stabilisierungsprozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 4. Kapitel: Wendepunkte der römischen Kunst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 5. Kapitel: Die Zeit der späten Republik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 6. Kapitel: Augustus und sein Erbe 189 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Kapitel: Kunst des Imperiums – Kunst der Kaiser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 8. Kapitel: Die erstarkte Weltmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 9. Kapitel: Zeit der Fülle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 10. Kapitel: Die Umformung der römischen Kunst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 11. Kapitel: Auftakt zu einem neuen Zeitalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 12. Kapitel: Späte Entfaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 Roma Aeterna . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 ANHANG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 386 Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389 Abbildungsnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400 Glossar 1 Aqua Marcia, Tepula Iulia 2 Aqua Marcia Iovia 3 Aqua Claudia N Via Sa lar ia Porta Flaminia S V ia ti ca Porta Pinciana Mausoleum des Augustus n Se m Aurelianische Mauer ita Thermae Diocletiani 1 2 tri Thermae Constantini M Vi cu Saepta Iulia sP a Pantheon Odeion Theatrum Pompei ciu s A lta is na Q al rti is in bu ll Co ata V ia L M S Ara Pacis P UThermae M Neronianae CA Stadium Domitiani r ui Ti S a IU Vi T AR (Engelsburg) Castra Praetoria us Circus Caligulae s iu nc in ia Va er r Mausoleum Hadriani F la m Tib Age Mons Pi Kaiserforen SUBURA Thermae Titi o Macellum Liviae ns Thermae E s q Vi a L 3 a ui Traiani l i n bicana us Pons Aurelius Forum Romanum Via Au rel ia Pagus Ianicule Pons n s Aemilius is (Colosseum) Circus Maximus TRANS TIBERIM Tiberhafen Thermae Surae Thermae 3 Decianae (Emporium) tin us Porta Ostiensis Via Os tie nsi s tue Por en iu s Servianische Mauer Thermae Caracallae (Thermae Antoninianae) a V ia Av M el Ca ons pi 600 m s on us M ace t s Te s Amphitheatrum Castrense 3 Ap 400 on Domus Augustana Vi a 200 M r 0 Porticus Aemilia Tibe n s is Porta Portuensis Thermae Helenae Amphitheatrum Flavium Vi a La tin a Porta Appia Aquädukte Vorwort Die Idee zu dem vorliegenden Buch ist im Zusammenhang einführender Vorlesungen zum Thema „Römische Kunst“ an den Universitäten Salzburg und Innsbruck entstanden. Mein Dank für viele Anregungen zum Aufbau dieser Kunstgeschichte des Alten Rom gilt daher den Studierenden und im gleichen Maße der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft in Darmstadt namens ihres stellvertretenden Programmleiters Dr. Harald Baulig, die mir mit Rat und Hilfe zur Seite standen. Dank sagen möchte ich weiterhin all denen, die Korrektur- und Lektoratsarbeiten übernommen und damit zum Gelingen des Bandes beigetragen haben: dem Lektorat der WBG sowie Mag. Birgit Gembinsky, Mag. Magdalena Stütz und Mag. Felix Lang (Salzburg). Bei mehreren Bildvorlagen konnte ich auf das fotografische Geschick von Mag. Monika Hinterhöller und Mag. Manuel Schwembacher zurückgreifen – ihnen gilt gleichfalls mein herzlicher Dank. Handbücher wie dieses stehen zunächst einmal vor dem Problem der Auswahl geeigneter Bildbeispiele. Natürlich gibt es neben den unverzichtbaren Denkmälern eine große Anzahl weiterer Werke, die man zeigen möchte. Aus Platzgründen muss es jedoch – wie auch im vorliegenden Handbuch – bei einer begrenzten Auswahl bleiben und, daraus folgernd, einem sehr persönlichen Leitfaden für Bild wie auch Text. Die hier ausgewählten und in den einzelnen Abschnitten des Buches beschriebenen Beispiele sollen in erster Linie den breiten Gestaltungsmöglichkeiten einer Kunst in Rom und seinen Provinzen Raum geben. Auf dem Weg dorthin ist das Konzept des Handbuches aus Abwägungen und Zwischenschritten heraus immer wieder neu entwickelt worden. Stets sollten dabei die Zusammenhän- ge und das Grundprinzip einer römischen Kunst sichtbar werden. Die ausgewählten Denkmäler werden im Handbuch daher nicht isoliert – als „Topics“ – beschrieben, sondern entsprechend ihrer chronologischen und inhaltlichen Verbindungslinien. Die Zugänge zu den Römern in Geschichte, Literatur und Kunst sind nicht mehr dieselben wie noch vor Jahren: Als „Bildungsgut“ hat die Antike insgesamt zwar lange Zeit gegolten, doch derzeit scheint diese Grundlage abgegriffen zu sein. Es versteht sich daher von selbst, dass ein Basiswissen zu antiken Zeugnissen immer wieder neu gebildet, wesentlicher noch: aus den heutigen Gegebenheiten heraus positioniert werden muss. Dabei spricht einiges für die Kultur Roms und seiner Provinzen: Die Bauten und Bilder der römischen Antike sind nach wie vor präsent – sie begegnen uns auf Reisen und in vielen Museen. Das Imperium Romanum gilt gleichfalls bis heute als Modellfall der Geschichte – und selbst der Bau einer modernen europäischen Ordnung bedient sich seiner Konzeption. Rom hat also innerhalb der gesellschaftlichen Einschätzung kaum etwas von seiner Faszination eingebüßt. Unser Zugang zu den Römern kann vielleicht mit einer Spurensuche verglichen werden, die über eine Zeitspanne von 2000 Jahren hinweg auch greift. Den vielfach erst zu erwerbenden Kenntnissen auf den Gebieten der Sprache und Literatur, der Geschichte der römischen Antike, ebenso jener der Denkmäler, stehen heutzutage Erfahrungen auf dem Gebiet des Reisens gegenüber. Vielen Leserinnen und Lesern wird bereits der Besuch von Museen und Ausstellungen eine Anregung zur weiteren Beschäftigung mit der römischen Antike geboten haben. Es gilt daher, zeitgemäße Informationen zur 8 Vorwort Kunstgeschichte Roms aufzubauen, um so die Zugänge zur Welt der römischen Antike zu vertiefen. Dabei stehen Lesbarkeit und Benutzerfreundlichkeit im Vordergrund; eine umfangreiche Auflistung der relevanten Forschungs- und Spezialliteratur bietet Hilfe zur vertiefenden Beschäftigung mit dem Thema. Welche Beispiele der römischen Kunst sollen in diesem Band vorgestellt werden? Welche Ausgangsfragen stellen sich dabei den Benutzern des Handbuches? Nach welchen Kriterien lassen sich die ausgewählten Kunstwerke lesen? • Denkmäler und Gattungen: Welche Kategorien und Gruppen bildet die römische Kunst in ihrem historischen Verlauf heraus? • Darstellungsformen und Inhalte: Was und mit welchen Mitteln wird dargestellt? • Ikonographie und Vermittlung: Wie und in welcher Zeichensprache wird erzählt? • Politischer und sozialer Hintergrund: Für wen und aus welchen Beweggründen heraus kommen die Künste zum Einsatz, wird dargestellt und vermittelt? Salzburg, 6. Dezember 2010 Es soll also insgesamt um die Bildersprache Roms gehen, aber auch um das „Bedeutungsmuster“ von Kunstdenkmälern, die sich aus den jeweiligen Zeitabschnitten erhalten haben. Das Handbuch bietet dazu eine knappe, jedoch prägnante Auswahl. Den Leitfaden bilden insbesondere jene Bildbeispiele, die einen Bezug zum gesamten System der römischen Kunst aufweisen. Die Verknüpfung der Denkmäler untereinander bildete ein weiteres Kriterium für den vorliegenden Band. Weitgehend musste jedoch auf Werke der Kleinkunst und auf Beispiele der dekorativen Kunst verzichtet werden. Insgesamt zwölf Kapitel dieses Buches – gegliedert nach den chronologischen Abschnitten des rund tausendjährigen Bestehens Roms – sollen die Kunst des Imperium Romanum näherbringen. Ein Ausblick soll schließlich zeigen, dass die römische Kunst mit den Übergängen zur Spätantike und zum Mittelalter keineswegs ihre Wesenszüge verliert. Wolfgang Wohlmayr Tu regere imperio populos, Romane, memento: hae tibi erunt artes – pacique imponere morem, parcere subiectis et debellare superbos Du, Römer, denke daran, durch deine Herrschaft die Völker zu lenken – dies werden deine Fähigkeiten sein – und dem Frieden Gesittung aufzuerlegen, die Unterworfenen zu schonen und die Hochmütigen niederzukämpfen. (Vergil, Aeneis 6,851–853) Einleitung Lassen wir zunächst einzelne Bildbeispiele auf uns wirken! Wir werden dadurch auf Fragen stoßen, die uns Bauten, Bildwerke und Malereien der römischen Antike in ihrer historischen Dimension, wahrscheinlich aber auch durch ihren aktuellen Bezug faszinierend erscheinen lassen. Ein römischer Durchgangsbogen – an sich schon ein verbindendes Element – leitet unser Handbuch ein: der Sergier-Bogen in Pula (Abb. 1). 1 Dieser Bogen erzählt von der reichen und über zweitausendjährigen Geschichte der bedeutenden Hafenstadt Pula (Pola) in Istrien. Als Bogenmonument vertritt er zugleich eine der wichtigsten Grundformen der römischen Architektur. Der Sergier-Bogen war ursprünglich mit dem wichtigsten Eingangstor in die Stadt, der Porta Aurea, verbunden. In der Antike besaß der aus weißem istrischem Kalkstein gemeißelte Durchgangsbogen zudem die Funktion eines Ehrenmonumentes für eine der bedeutendsten Familien der Stadt. Das Bemerkenswerte an diesem Bogen aus heutiger Sicht ist, dass man frei durch ihn spazieren kann und ihn so gewissermaßen als Bestandteil der jetzigen Fußgängerzone wahrnimmt. Wir verdanken diese Tatsache der ursprünglichen Verbindung des Ehrenbogens mit der antiken wie später auch mittelalterlichen Wehrarchitektur, die so die wesentlichen Bestandteile des Bogens schützte. Als man im frühen 19. Jahrhundert Teile der Toranlagen Pulas abriss, wäre der Ser- gier-Bogen dieser Zerstörung beinahe zum Opfer gefallen. In ihren Anfängen wurden römische Städte und Koloniegründungen von einflussreichen Familien angeführt, die ihrerseits bei der Gestaltung und Finanzierung von öffentlichen Bauten mitwirkten. In augusteischer Zeit etwa ist ein besonderer Ausbau der Städte Oberitaliens zu vermerken. Pula zählte damals zur italischen Region Venetia et Histria. Das bedeutende Geschlecht der Sergier 2 war seinerseits mit dem Kaiserhaus eng verbunden und ließ in Pula ein Bogenmonument errichten, das die wesentlichen Aspekte der Monumentalkunst der Zeit, nicht zuletzt aber auch den eigenen Ruhm verkörpern sollte. Der Sergier-Bogen stand in römischer Zeit – wie erwähnt – in unmittelbarer Verbindung zum Haupttor der Stadt, der Porta Aurea. Bei diesem Tor erreichte die Staatsstraße der Via Flavia – von Aquileia und Triest (Tergeste) kommend – die Stadt. Das an glanzvolle Marmorarchitektur erinnernde Monument bot so eine eindrucksvolle Empfangssituation. Es misst mit seiner Höhe von 10,62 m exakt 36 römische Fuß; seine Breite beträgt 30 Fuß oder 8,85 m. Stets wurde die klare Proportionierung im Aufbau des Bogens bewundert. Das Bogenmonument als Ganzes wird durch die Bogenpfeiler (Pylone) und den inneren Bogengang, schließlich durch die Gebälkzone und eine darüber befindliche Attika charakterisiert. Seitlich des von Rankenpilastern flankierten Bo- 10 Einleitung gendurchgangs befinden sich die jeweils durch Halbsäulen hervorgehobenen Bogenpfeiler. Diese ruhen auf vorspringenden, gegliederten Sockeln, die ihrerseits die Pfeiler mit den jeweils zwei nebeneinandergestellten korinthischen Halb- beziehungsweise Dreiviertelsäulen tragen. In den Zwickeln des Bogens befinden sich Reliefs mit fliegenden Siegesgöttinnen (Victoriae). Dieser Bildschmuck sollte durchaus an gleichartig gestaltete Triumphbögen in der Hauptstadt Rom erinnern. Darüber umzieht ein faszierter Architrav das Bogenmonument. Eine Frieszone sowie ein Kranzgesims schließen sich an. Nach oben zu wird der Sergier-Bogen – wie andere römische Triumphbögen und Ehrenbögen auch – von der sogenannten Attikazone abgeschlossen. Die drei vorspringenden Postamente der Attika zeigen mit ihren Inschriften, dass sich darüber einst Statuen von Familienmitgliedern der Sergier befanden. Über die Siegessymbolik des Bogens und der heute nicht mehr erhaltenen Statuen ist viel gerätselt worden. Einer der am Bogen inschriftlich Genannten, L. Sergius Lepidus, hat immerhin an der Seite des Augustus an der Entscheidungsschlacht von Actium gegen Marcus Antonius 31 v. Chr. teilgenommen. Als Befehlshaber der 29. Legion, die allerdings bald nach diesem Ereignis aufgelöst worden sein dürfte, hat diese Persönlichkeit, wie auch seine mitangeführten Familienangehörigen, später wichtige zivile Ämter in Pula bekleidet. Als Stifterin des Bogens fungierte Salvia Postuma, die ebenfalls statuarisch oberhalb der Attika des Ehrenbogens dargestellt war. Es würde an dieser Stelle zu weit führen, den Bogen näher datieren zu wollen. Auch Fachleute sind sich darin nicht einig geworden. Anhand der epigraphischen Hinweise denken einige Forscher noch an die mittelaugusteische Zeit, andere, aufgrund ihrer Beobachtungen zur Bauornamentik des Bogens, bereits an die nachaugusteische Periode. Fest steht, dass die qualitätvolle Ausführung des Sergier-Bogens sowie die hervorragende Durchbildung seiner Schmuckelemente eng mit den Strömungen der Kunst in der Hauptstadt Rom zu tun haben. Der Sergier-Bogen kann so insgesamt als ein Zeugnis für das Aufblühen der Städte in der frühen Kaiserzeit gelten. Damit stellt sich gleich die Frage nach den Gattungen der Kunst in Rom und Italien: In der Regel verbinden wir „Römische Kunst“ mit Zeugnissen einer Architektur, deren erstaunlich hoher technischer Perfektionsgrad auffällt. Häufig angeführt werden auch die Gattungen der Plastik und Skulptur wie etwa das römische Porträt oder das Staatsrelief. Aber auch Beispiele der Kleinkunst, von Bronzestatuetten über Keramik oder Glas und nicht zuletzt die Münzprägungen gelten zu Recht als Leitformen für die künstlerische Produktion im gesamten Imperium Romanum. Kaum einmal macht man sich dabei jedoch klar, dass dieses Bild der häufigsten römischen Kunstformen zwar für die einzelnen Epochen der römischen Kaiserzeit und – mit Einschränkungen – auch für jene der vorangehenden römischen Republik gilt, nicht jedoch für die „Anfänge“ einer römischen Kunst. Viele dieser Kunstgattungen hat es zu den Anfangszeiten Roms noch nicht gegeben oder aber sie stellten sich zum damaligen Zeitpunkt in anderem Kontext dar. Eine der wichtigsten Fragen lautet daher: Wann beginnt eigentlich römische Kunst? Wir werden dabei beobachten, dass es zwar künstlerische Zeugnisse seit den ersten Siedlungen in Rom gibt, dass dieses Faktum jedoch unsere eigentliche Frage nach einer für Rom charakteristischen Kunst nicht lösen wird. Was anfangs fehlt, sind nämlich verbindliche Komponenten einer Kunstentwicklung in Rom und Italien. Die Herausbildung der römischen Kunst Römische Kunst im eigentlichen Sinn setzt spät an. Die Gründung Roms in archaischer Zeit, die Herausbildung der lateinischen Sprache und eines gemeinsamen religiös-kulturellen Kontextes für Mittelitalien stehen in einem Einleitung 11 Abb. 1: Sergier-Bogen in Pula/Kroatien. merkwürdigen Gegensatz zum verspäteten Auftreten von Leitformen einer römischen Kunst. Das ist umso erstaunlicher, als die Kunst in Rom zu Beginn ja auf der künstlerischen Erfahrung der Etrusker und mindestens ebenso jener der Griechen aufbaut. Die Frage lautet jedoch: Gibt es Gemeinsamkeiten zwischen den frühen Artefakten aus Rom und seiner Umgebung und den sich erst entwickelnden Gattungen einer späteren römischen Kunst? Unser Augenmerk richtet sich dabei in erster Linie auf gleichbleibende Merkmale der Kunstentwicklung, aber auch auf die Frage erkennbarer Aufgaben einer Kunst in und für Rom. Eine 12 Einleitung wie immer auch geartete römische Kunst musste offenkundig erst eigene Voraussetzungen entwickeln, um den weiteren Weg ihrer Möglichkeiten sichtbar werden zu lassen. Nach Meinung vieler Fachleute liegt ein Ansatzpunkt für die besondere Note der späteren römischen Kunst im politischen Entwicklungsmodell des Stadtstaates Rom und dessen geografischer Lage im Zentrum Italiens. Die Stadt Rom bildet eine ursprünglich auf dörfliche Siedlungen des frühen 1. Jahrtausends v. Chr. zurückgehende, gewachsene urbane Einheit. Diese urbs Roma lag inmitten ethnisch wie religiös unterschiedlich geformter Gebiete, deren Traditionen weit zurückreichten. Das frühe Rom bildete sich im Einflussbereich verschiedener Völker heraus, unter denen die Latiner eine herausragende Rolle spielten. Während einer langen Zeitspanne formt sich eine „römische Komponente“ zwischen den Kulturkreisen der Etrusker, der mittelitalischen Bergvölker und jenen der griechischen Kolonisten heraus. Von den Anfängen der Stadt erzählen Darstellungen aus viel späterer Zeit anhand mythischer Bilder und Vergleiche. Auch von der Bedeutung Roms zur Zeit seiner Könige sowie der darauf folgenden Gründung der Republik erfahren wir hauptsächlich erst durch spätere Berichte. Die Anzahl der erhaltenen Kunstwerke aus diesen frühen Epochen hält sich in bescheidenem Rahmen. Allerdings gibt es bereits Zeugnisse von Tempelbauten sowie Hinweise auf umfangreiche Baumaßnahmen in Rom selbst (Abb. 730 1339 1541 1642 2053). Von einer Herausformung charakteristischer künstlerischer Gattungen im Sinne der späteren Kunst kann jedoch noch nicht die Rede sein. Die Grundlagen des frührömischen Staates, dessen historischer wie politischer Werdeprozess, führten offenkundig nicht unmittelbar auf eine eigenständige Kunstproduktion zu. In Rom angetroffene Bauten der Frühzeit sowie deren künstlerischer Schmuck folgen ganz offensichtlich Vorbildern aus Etrurien und teilweise jenen der Griechenstädte im Süden der ita- lischen Halbinsel. Um es noch einmal zu unterstreichen: Erst verhältnismäßig spät entsteht das, was man als eigenständige Linie der Kunst in Rom und zugleich als Zukunftslinie der Künste für Italien und die Provinzen wird ansehen können. Die Gründe für einen solchen verzögerten Ansatz könnten in der strengen Bindung der künstlerischen Produktion an vorgegebene Zwecke liegen. Religiöse Vorgaben, rituelle Abläufe sowie Äußerungen der staatlichen Gewalt bildeten – soweit erkennbar – den Hintergrund für erste Auftragswerke in Rom. Viele der in der Frühzeit des 6. bis 4. Jhs. v. Chr. in Rom arbeitenden Künstler und Werkstätten kamen der literarischen Überlieferung nach aus Etrurien oder Unteritalien. Diese Gebiete verfügten über länger zurückreichende Erfahrungen im Bauwesen und im Bildschmuck. Der Formenapparat der meisten Artefakte aus römischem Umfeld scheint daher durch Beispiele der Reliefkunst, der Malerei und auch des Tempelschmuckes in Italien bereits vorgeprägt (Abb. 1848 1949 2358). Auch anhand der ersten Bauten in Rom sowie bedeutender dort angetroffener Bodenfunde, welche die Archäologie gerade der letzten Jahrzehnte bergen konnte, lässt sich ein enger Anschluss Roms an Vorgaben und Erfahrungswerte der Etrusker wie auch ihrer griechischen Nachbarn entnehmen. Erst allmählich kam es auf diesen Gebieten zu Anpassungen und schließlich einem eigenständigen Formenapparat. Eine ausgeprägte Wohnkultur konnte für das frühe Rom bislang nicht nachgewiesen werden. Zeugen etwa Grabkomplexe und darin enthaltene Luxusgegenstände in Etrurien indirekt von einem üppigen Zivilisationsmuster, so können wir in Latium und Rom – zumindest anhand der bisherigen Befundlage – von einer wesentlich nüchterneren Lebenswelt sprechen. Gehen wir historisch nun einen Schritt weiter und fassen damit die Zeitspanne der frühen und mittleren Republik ins Auge. Vereinzelt im 4. Jh. v. Chr. und deutlicher dann im 3. und 2. Jh. v. Chr. finden sich Zeugnisse einer spezi- Einleitung fischen Architektursprache sowie formal ausgeprägte Beispiele der Bildkunst, die den Bedeutungsgrad Roms als dem führenden Zentrum Italiens erkennen lassen. Ausdruck dieser Entwicklung sind zunächst die vielen Koloniegründungen Roms. Die dort anzutreffenden Baulösungen wirken ausgesprochen zukunftsorientiert wie auch technisch innovativ (Abb. 3682 –4087). Erstmals in diesem Zeitraum lassen sich auch Einzelbeispiele für Reliefs, für Statuenformen, für Grabausstattungen sowie für die Anfänge der Malkunst anführen (Abb. 3074 –3480). Doch lassen sich damit auch Kriterien für eine spezifisch römische Kunst aufstellen? Allgemeine Kennzeichnungen und Charakteristika für „das Römische“ gibt es ab diesem Zeitraum zweifelsfrei. Gerade der Formenapparat der Architektur sowie generell die neuartigen Aufgabengebiete der Baukunst lassen sich stellvertretend anführen. Römische Koloniestädte in Italien erhalten allein durch ihr klares Anlageprinzip Modellcharakter wie auch durch den Einsatz spezifischer Bautechniken ihr eigenes Gepräge. Die von Rom unterworfenen Gebiete Italiens werden durch Straßenbauten erschlossen und zentral an die Hauptstadt angebunden. Der Funktionsrahmen der römischen Stadt und ihrer öffentlichen Gebäude erweitert sich und führt schließlich zu eigenen Baulösungen wie jener der Basiliken (Abb. 62125 –64129) oder der Thermenanlagen (Abb. 88169 89171). Die Städtebaukunst bietet so den wichtigsten Anhaltspunkt für den Entwicklungsstand der Architektur. Aber auch die Weiterentwicklung der Nutzarchitektur sowie neuartige technische Konstruktionen wie jene von Brückenbauten, Aquädukten oder Substruktionen betonen die innovative Note der römischen Baukunst im Rahmen der Mittelmeerwelt (Abb. 76151 87168). Auf dem Gebiet der Sakralarchitektur fallen unter die Neuerungen dieses Zeitraumes differenzierte Typenbildungen bei Tempeln und Heiligtümern (Abb. 4188 4289). Schwieriger wird es, gilt es die übrigen Kunstgattungen der römischen Kunst zu bewerten. Innerhalb 13 der Gattungen der Reliefs und der – allerdings kaum mehr greifbaren – Gemälde dieses Zeitraumes lassen sich nur gelegentlich historische oder aber mythologische Begebenheiten ablesen (Abb. 3176 63127). Allerdings, die „Bildersprache“ dieser Zeit verrät erstmals römische Muster: Einzeln komponierte Szenen, Namensbeischriften, Attribute und penible Kennzeichnungen von Personen bildeten für die Erzählkunst offenbar einen wichtigen Bestandteil. Für Ehrenstatuen und öffentliche Monumente der frühen Epochen gibt es mehr literarische Nachweise als tatsächlich erhaltene Beispiele. Folgt man den Schriftquellen, so dürfte sich das republikanische Rom – und mit ihm viele Bündnisstädte in Italien – jedoch durch umfangreichen Statuenschmuck ausgezeichnet haben. Auch für die spezifische Gattung des römischen „Ahnenporträts“ gibt es entschiedene Anhaltspunkte (Abb. 93175 94176). Diese Bildnisgattung entstand offenkundig im Umfeld der Ehrung verstorbener Angehöriger der Oberschicht und damit verbundener ausgeprägter Begräbnisriten, bei denen die Zurschaustellung der Gesichtszüge von Verstorbenen in Form von Wachsmasken eine Rolle spielte. Der Übergang zu echten Porträtformen lässt sich allerdings schwer nachzeichnen. Aus verschiedenen Steinmaterialien gearbeitete Bildnisköpfe aus der Zeit der späten Republik geben durchaus unterschiedliche Qualitätsmuster wieder. Viele Porträts der republikanischen Zeit bringen größte Naturnähe zum Ausdruck, ein Merkmal, das auf den „Abbildcharakter“ von Porträts im römischen Umfeld schließen lässt. Bei anderen Porträts dieses Zeitraumes übten auch Vorbilder der hellenistischen Bildniskunst ihren Einfluss aus, sodass die Bildniskunst in Rom merklich in verschiedene Richtungen zerfällt (Abb. 100182). Diese unterschiedlichen Kunstauffassungen hängen grundlegend mit den verschiedenen Gesellschaftsklassen in Rom, deren Aufgabenstellung und deren Repräsentationsbedürfnis im öffentlichen oder privaten Rahmen zusammen. Nach wie vor bilden die aufkommenden Gattungen einer römi- 14 Einleitung schen Kunst allerdings recht unterschiedlich diskutierte Fragen innerhalb der Forschung. Rein quantitativ, so wird man festhalten müssen, tauchen erst in spätrepublikanischer Zeit wirkliche Leitgattungen der Plastik und Skulptur auf, welche sich schließlich kontinuierlich bis in die Kaiserzeit hinein verfolgen lassen. Es gibt jedoch, und das macht die Betrachtung so spannend, überlieferungsbezogen deutlich frühere Ansätze für eine römische Bildkunst während der ersten Jahrhunderte. Römische Kunst unterliegt – so kann man häufig lesen – realen Gestaltungsmustern: Es geht ihr vorwiegend um das Faktische und Greifbare. Die Wiedergabe von historischen oder aus dem gegenwärtigen Leben gegriffenen Vorgängen, die Bildung eines Realraumes innerhalb der Landschaftsdarstellungen, schließlich Inschriften und Attribute als Veranschaulichungsmomente kennzeichneten die Werke der Malerei und Skulptur. Dabei sollte man nicht übersehen, dass sich die Kunst im öffentlichen Raum häufig einer Symbolsprache bedient, welche sich auf einfache Chiffren beschränkt. Beides: Reale Wiedergabemomente und abstrakt zu Lesendes bilden keinen unmittelbaren Widerspruch innerhalb der römischen Bildersprache. Bleiben wir bei diesen gängigen Charakterisierungen, so müssen wir weiterhin nach Ursachen fragen. Das historische Verständnis für die Gesellschaft der römischen Antike hilft uns dabei entschieden weiter. Die Vorgabe der Maßstäbe für eine Kunst im öffentlichen Raum, man kann auch sagen für eine römische Staatskunst, blieb stets in der Hand der Oberschicht. Es war nicht zuletzt Aufgabe der Magistrate und der höchsten Ämter in Rom und den Städten, Tempel und öffentliche Gebäude, Straßen sowie Nutzbauten zu errichten und für deren Erhalt zu sorgen. Neben den Leitformen einer vom Gemeinwesen getragenen, jedoch von „oben“ her dirigierten Kunst gilt es in Rom zusätztlich den Strang einer „Volkskunst“ zu beobachten. Nach Meinung eines Teiles der Forscher entwickelte sich diese zweite Linie der Kunst entsprechend einer Mehrheit der einfacheren Bevölkerungsschichten (plebs). Darunter fallen etwa Darstellungen aus der „Lebenswelt“ ebenso wie bestimmte Bildnisreliefs der Grabkunst, bei denen deutlich veristische Porträtformen hervorstechen (Abb. 93175 94176). Letztere tauchen am Ende der römischen Republik auf und lassen sich bis hinein in die frühe Kaiserzeit als eine Kunst der „Freigelassenen“ verfolgen (Abb. 96178). Die Nachkommen der ehemaligen Sklaven bildeten während der Kaiserzeit gemeinsam mit den Handwerkern und den Händlern in den Städten eine Art Mittelstand. Die Kunstproduktion dieser Schicht ist deutlich konservativer gehalten als jene der oberen Stände. Das Problem bei diesen Parallelströmungen der römischen Kunst bleibt jedoch, dass sie keinen wirklichen Entwicklungsverlauf zu erkennen geben. Bis zu einem gewissen Punkt vollzieht die sogenannte Volkskunst während der Kaiserzeit eine Reaktion auf offizielle Strömungen der Kunst. Es kommt aber auch vor, dass sich die Strömungen einer „offiziellen“ sowie einer „populären“ Kunstrichtung in Rom in gewissem Maße ablösen beziehungsweise dass eine dieser beiden Richtungen die Oberhand gewinnt. Auch hinsichtlich der gesellschaftlichen Leitformen und Normen macht es uns römische Kunst demnach nicht allzu leicht: insgesamt komplizierte Voraussetzungen also, die uns den Blick auf die Wesenszüge der Kunst eingangs erschweren. Kommen wir damit zurück zum Entwicklungsverlauf der römischen Kunst: In den Phasen der Ausbreitung des römischen Einflusses auf ganz Italien hatte sich das römische Staatswesen neuen Aufgaben zu stellen. Eine der Folgen dieser Expansion bildete der erneut wachsende Einfluss griechischer Kunstformen auf Rom ab dem 3. Jh. v. Chr. Diese Vorgänge erreichten in der Folgezeit – mit der Einrichtung römischer Provinzen in Griechenland und Kleinasien – ihren Höhepunkt. In Rom arbeitende, namhafte griechische Künstler und deren Werkstätten befruchteten die römische Anschauung enorm. Ganze Gattungen der Bild- Einleitung kunst wie jene der Kultbilder, jene der sogenannten Idealplastik (Kopien und Nachbildungen von Statuen) für den öffentlichen und privaten Bereich und schließlich jene der Schmuckreliefs wurden durch die griechische Kunst angeregt beziehungsweise von dieser teilweise detailgetreu übernommen (Abb. 61123 70143 71144 74148 75150 84160). Es wird daher bereits jetzt wichtig festzuhalten, dass einzelne Kunstgattungen und Stile, denen wir während der Kaiserzeit begegnen werden, nicht in Rom selbst entstanden sind. Aber selbst die Kopistenkunst in Italien entwickelte ihre eigenen Gesetze und wird nicht zuletzt durch römische Anschauungsmomente bestimmt. Jene „klassizistischen“ Kunstrichtungen, die zunächst durch römische Auftraggeber und in Rom ansässige Künstler formal und inhaltlich aufgenommen wurden, verbreiteten sich im gesamten Imperium Romanum, wurden dort weiterentwickelt und verselbständigt. Wie auch auf anderen Gebieten – etwa der Literatur oder der Philosophie – bildet der Gesichtspunkt der „Übersetzung“ und Adaptierung von Vorbildern einen wichtigen Bestandteil der römischen Anschauung. Die Kunst Roms zeigt bei der Übersetzung fremden Formguts naturgemäß Brüche und Veränderungen. Innerhalb der bildenden Künste ist eine Neuaufnahme von künstlerischen Formen ebenso zu erkennen wie andererseits die Weitergabe tradierter Formen. Römische Kunst ist in diesem Sinne diskontinuierlich, wie sie umgekehrt an Konstanten festhält. Man könnte es vielleicht auch so formulieren: Der formale und stilistische Ansatzpunkt der römischen Kunst wechselt mehrfach, die inhaltlichen Aussagewerte bleiben hingegen unverkennbar römisch. Ziehen wir ein Fazit zu diesen mitunter komplizierten, jedoch notwendigen Vorüberlegungen: Römische Kunst zeigt, und daran führt kein Weg vorbei, keinen einheitlichen Entwicklungsgang. Und – die Kunst Roms zu umreißen bedeutet auch, Traditionen und Vorgaben, Moden und gesellschaftliche Muster für die jeweilige Denkmälergattung freizulegen. 15 Bei dieser Ausgangsbasis kann jedoch eines als gesichert gelten: Die uns in Form von Bauten, Bildwerken und Gemälden bekannte Kunst Roms und seiner Provinzen sollte sich spätestens während der Kaiserzeit deutlich von jener der übrigen Völker und Kulturen der Mittelmeerwelt unterscheiden. Das Bild der römischen Kunst selbst bleibt damit letztlich unverkennbar. Bilder des Mythos und der Geschichte Mit einer weiteren wichtigen Fragestellung zur römischen Kunstgeschichte wollen wir uns im Folgenden beschäftigen: mit Bildern des Mythos und der Geschichte. Dabei geht es naturgemäß um die Anfänge Roms. Bildliche Darstellungen in Rom konnten sich – so viel wurde ja bereits klar – auf jeweils reiche Erfahrungen der eigenen „Historienkunst“ als auch auf formale Vorbilder der älteren griechischen Kunst berufen. Den Römern, als entwicklungsgeschichtlich jüngstem Glied der antiken Mittelmeerkulturen, stand so ein reiches Repertoire an Vorgaben und Möglichkeiten zur Verfügung. Je nachdem, was es zu erzählen galt, wurden daher reale Szenen wiedergegeben oder aber Bilder mythischen Inhalts entworfen. Gelegentlich wurde auch die Kombination beider Sinnebenen versucht. Für das Spektrum an Themen galt es jeweils auch unterschiedliche Stile und Ausdrucksformen einzusetzen. Der Inhalt, so wird man behaupten können, legt die Erzählsprache und die Stilmittel der römischen Gemälde und Reliefs entschieden fest. Auch die räumlichen Darstellungsmittel oder das Bewegungsmuster von Figuren werden von solchen inhaltlichen Komponenten mitbestimmt. Römische Bildkunst greift also entweder auf reale Bezugsmomente zurück oder setzt – ganz im Sinne der griechischen Vorbilder – auf eine Einbeziehung allegorischer und mythischer Gestalten. Im Gegensatz zur griechischen Kunst und ihrer reichen mythischen 16 Einleitung Erzählweise ist die römische Bildkunst jedoch nicht aus den Vorstellungen und Traditionen dieser Mythenbilder erwachsen: Die Römer sind, im Gegensatz zu ihren östlichen Nachbarn, nicht mit den Mythen groß geworden. Daher neigt römische Kunst in ihrer Darstellungsabsicht zu stärkerer Abstraktion. Römische Friese und Wandgemälde zeigen beispielsweise ein Geschehen der Frühzeit in real historischer Gewandung. Dabei verzichtet man nicht auf Momente einer Überhöhung. Das Auftreten von Göttern oder allegorischen Gestalten findet deshalb auf einer innerhalb des Bildganzen nicht unterschiedenen Ebene statt: Damit soll letztlich eine geschlossene Wirklichkeitsebene der Erzählung unterstrichen werden. Mit anderen Worten ausgedrückt, besaßen die Römer eine andere Anschauung von Realität als ihre griechischen Lehrmeister. Der Redner, Politiker und Philosoph M. Tullius Cicero (106–43 v. Chr.) bringt es für uns auf den Punkt: „Lassen wir Mythen und Ereignisse fremder (gemeint griechischer) Geschichte beiseite: Kommen wir zu den Tatsachen (ad rem factam) unserer Geschichte!“ (De officiis 3, 99). Mithilfe eines konkreten Beispieles lässt sich dieser besondere Ansatzpunkt der römischen Kunst besser nachzeichnen: Wir werden anhand der Darstellung, um die es im Folgenden geht, zudem einiges über römische Gründungssagen erfahren. Auf dem Ausschnitt eines römischen Wandgemäldes sehen wir das Ende einer Schlacht: Äneas wird von Victoria bekränzt (Abb. 2). 3 Aufgefunden wurde das Fresko in einer Grabkammer am römischen Esquilin, die mit der Familie des Statilius Taurus, eines bedeutenden Militärs und Politikers im Umfeld des Kaisers Augustus, in Zusammenhang gebracht wurde. 4 Die Grabkammer war im Inneren durch einen umlaufenden Fries mit Darstellungen der römischen Gründungssagen verziert. Der hier abgebildete Friesstreifen zeigt eine Kampfszene: Links befindet sich eine Gruppe gewappneter beziehungsweise halb- nackter Krieger. In der Mitte der Szene erkennt man den siegreich vorstürmenden Anführer der „regulären Einheiten“, der rechts von der herbeieilenden Siegesgöttin bekränzt wird. Die Kämpfe spielen, wie den weiteren Szenen, aber auch den inzwischen unlesbar gewordenen Namensbeischriften des Frieses zu entnehmen war, in mythischer Vorzeit. Sie handeln von der Ankunft des trojanischen Fürsten Äneas in Italien. Äneas flieht – der Sage nach – mit seinem greisen Vater Anchises und dem Sohn Ascanius (Iulus) aus dem brennenden Troja. Nach langen Irrfahrten erhält er, während seines Aufenthaltes bei Königin Dido in Karthago, einen göttlichen Auftrag: Er soll in Italien eine neue Stadt gründen, aus der schließlich Rom hervorgehen wird. Wir begegnen hier einem Grundmuster römischen Selbstverständnisses: Die Gründung der Stadt wird in mythische Zeit vorverlegt beziehungsweise erhält ihre Einbindung in den Rahmen der griechischen Überlieferung. Als Äneas mit den ihm verbliebenen Seinen die Küste Latiums erreicht hatte, fand er dort beileibe nicht nur eine ländliche Idylle vor, sondern er musste Kämpfe und Auseinandersetzungen mit den einheimischen Stämmen bestreiten. Auch dieses Grundmuster der Sage sollte für das römische Selbstverständnis prägend bleiben: Es ist die sowohl bäuerliche als auch soldatische Bestimmung des Siedlers (colonus), welche auf diese Weise zum Ausdruck gebracht wird. Äneas ist dem Mythos nach ein Sohn der Venus. Er und sein Sohn Iulus werden in Italien zu den Begründern von Städten (Alba Longa, Lavinium) und damit zu Ahnherren eines königlichen Geschlechtes, dem auch die Gründungsväter des späteren Rom, Romulus und Remus, angehören werden. Doch auch die römische Aristokratie beruft sich vielfach auf solche göttlichen Ahnherren. Die Vorfahren C. Iulius Caesars, auch Caesar selbst sowie schließlich dessen Adoptivsohn und Nachfolger Kaiser Augustus sollten sich in viel späterer Zeit auf die vornehme Herkunft durch Äneas berufen. 5 Wir müssen uns die Bedeutung die- Einleitung 17 Abb. 2: Fresko vom Esquilin: Äneas wird von Victoria bekränzt. ses Mythenbildes also erst einmal vor Augen halten, finden wir dadurch doch einen Anschlusspunkt zur römischen Geschichte. Freilich müssen wir in diesem Zusammenhang noch weiter ausholen: Für den Römer der beginnenden Kaiserzeit galt es, die ältesten Gründungslegenden der Stadt und jene des eigenen Volkes in eine Verbindungslinie zu stellen. Die literarischen Belege für die Beziehungen Äneas’ zu Rom reichen dabei weit zurück. 6 Hellanikos, ein vielseitiger griechischer Historiker des 5. Jhs. v. Chr., schlägt die weiteste Brücke: Er führt Äneas an, der angeblich aus dem Land der Molosser kam und Rom gemeinsam mit Odysseus gegründet haben soll (FGrHist 4, Frgm. 80). Dahinter steht das weite Gesichtsfeld der griechischen Kolonisation im Westen. Rom ist in den Augen der Griechen zunächst „eine griechische Stadt im Westen“, wie es etwa bei Herakleides Pontikus im 4. Jh. v. Chr. heißt. Rom galt zu dieser Zeit bereits als Machtfaktor der Mittelmeerwelt und wurde – so würden wir es heute lesen – in ein vorgefasstes historisches Gesichtsfeld, jenes der Griechen, eingebunden. 7 Griechische Historiker der spätklassischen und hellenistischen Zeit, so auch Timaios von Tauromenion (4./3. Jh. v. Chr.), sahen bereits die Notwendigkeit einer historischen Anbindung der wichtigen Völker der Mittelmeerwelt, indem sie die Gründung Karthagos und Roms zusammenstellten (FGrHist 566). Die Verbindungen zwischen der Äneassage und Rom erweisen sich so wahrscheinlich als „Erfindungen“ des 4. Jhs. v. Chr. An diesem Punkt setzt auch die eigentlich römische Geschichtsschreibung an. In einem der ältesten Geschichtswerke Roms, es stammt aus dem 3. Jh. v. Chr. und wird dem legendären Historiker Q. Fabius Pictor verdankt, finden sich die Äneassage und die Romuluslegende erstmals nebeneinandergestellt. Als Bindeglied fungiert dabei die Reihe der Könige von Alba Longa, also die Nachkommen des Iulus. 8 Ein weiterer römischer Epiker dieses Zeitraumes, Gn. Naevius, verbindet in seiner Schilderung des Ersten Punischen Krieges (Bellum Poenicum) ebenfalls die Ankunft der „Äneaden“ in Latium mit dem weiteren Geschick der römischen Geschichte, die so zu Romulus und Remus führt. 9 In viel späterer augusteischer Zeit nun nimmt der Dichter Vergil in seinem monumentalen Epos, der Äneis (Aeneis), den gängigen Grün- 18 Einleitung dungsmythos zum Ausgangspunkt einer RomVision 10: In der Rede der Göttin an den Heros lenkt der Dichter die Bestimmung des Äneas, „über die Völker zu gebieten“, auf das gesamte römische Staatswesen: „Dein sei, Römer, das Amt, als Herrscher die Völker zu regieren.“ Das Wandgemälde vom Esquilin stammt aus frühaugusteischer Zeit. Es schmückte den Grabbezirk einer bedeutenden römischen Familie, die mit der Person des Kaisers Augustus und der Ideologie seiner Zeit in enger Verbindung gestanden haben dürfte. Gezeigt wird der Moment des Triumphes für den Feldherrn Äneas, der so zu einem Sinnbild für den Siegeswillen des römischen Volkes wird. Die römische Kunst jener Zeit projiziert das Geschehen in die mythische Vorzeit. In Wirklichkeit jedoch wurde die Sage – wie wir sehen konnten – erst relativ spät in Rom aufgegriffen und so in das Geschichtsbild der Bevölkerung integriert. Rom „erfindet“ sich gewissermaßen selbst erst relativ spät. Im frühkaiserzeitlichen Fresko erscheinen die Vorgänge wie eine Vorhersage künftigen Geschehens; sie gleichen einer Prophezeiung. Das Gemälde ist zugleich auch Zeuge der Verbindungswege der Künste zwischen Griechenland und Rom. Der Bildfries mit seinen aktionsgeladenen Figuren und seiner pastosen Raumauffassung ist teilweise hellenistischen Vorbildern verpflichtet. Ein – wie allgemein angenommen wird – vorbildliches „Originalgemälde“ bildete den Hintergrund für diesen Freskenzyklus. Im erhaltenen Freskenausschnitt kommen jedoch durch das Thema und die handelnden Figuren primär römische Gesichtspunkte zum Tragen. Was an dieser Szene eindeutig römisch wirkt, ist die Erzählweise: Dazu gehört der faktische Ablauf von Handlungsmomenten und, nicht minder, die plakative Aussage der Figurenschilderung. Die Kämpfe wirken real, mit dem Auftreten der Siegesgöttin wird jedoch eine Zielebene markiert: Äneas ist der göttliche Ahnherr des römischen Volkes, sein Sieg bedeutet die Aufbereitung des Bodens für die römische Zivilisation. Das Gemälde wird so zu einem Zeugen der vorherrschenden Ideologie, aber auch der künstlerischen Erfahrungen in Rom an der Wende von der Republik zur Kaiserzeit. Welche Zugänge zur römischen Kunst erhalten wir aus dem vorliegenden Beispiel? • Im alten Rom besaßen Herkunft und Tradition der Familien innerhalb des Staatswesens einen hohen Stellenwert. Mythischhistorische Darstellungen innerhalb der Kunst trugen dazu bei, den Rang einer Familie zu erhöhen. • Innerhalb der römischen Grabkunst wurden unter anderem Themen aufgegriffen, die eine politische wie auch gesellschaftliche Aussagekraft besaßen. • Es gab für den Ausstattungsschmuck privater Grabbezirke ganz offenkundig Vorgaben und Muster der „großen Kunst“ (Gemäldevorlagen). • Diese Vorgaben wurden in die jeweilige Anschauungsform übersetzt und künstlerisch umgedeutet. Ergebnisse Im Einführungsteil dieses Handbuches sollte anhand ausgewählter Beispiele der allgemeine „kulturelle Habitus“ (Henner von Hesberg) der römischen Kunst angesprochen und hinsichtlich seiner Muster und Vorgaben hinterfragt werden. Es konnte dabei festgestellt werden, dass sich die Bestandteile der römischen Kunst aus verschiedenen Traditionen und Einflusssphären herausbildeten. Verhältnismäßig spät erst kommen eigenständige Ausdrucksformen zum Tragen – eine römische Eigenkonzeption wird demnach nicht von Anfang an greifbar. Befragen wir noch einmal die wichtigsten historischen Stationen: Nach Meinung vieler Forscher gibt es zumindest ab dem späten 4. Jh. v. Chr. Anzeichen für eine römisch geprägte Formensprache und somit eine römische Kunst. Grund dafür könnte die bedeutende Stellung Einleitung des Stadtstaates in Mittelitalien sein. In der Folgezeit bildeten die Auseinandersetzungen Roms mit den Karthagern eine tiefe Zäsur für das künstlerische Selbstbewusstsein. Im 2. Jh. v. Chr. jedoch, dem Jahrhundert triumphalen Ausgreifens Roms nach dem griechischen Osten und – parallel dazu – dem endgültigen Sieg Roms über Karthago, ist eine ausgesprochene Befruchtung der römischen Kunst durch Vorbilder in Griechenland und Leistungen griechischer Werkstätten in Italien festzustellen. Der sich verändernden Aufgabenstellung eines nun bis Spanien und Nordafrika reichenden Imperiums entsprechend, entwickelt Rom nunmehr seine unverkennbare wie auch eigenständige Formensprache in den Künsten. Eine tragende Säule der Entwicklung bilden dabei die Baukunst und ihre Techniken. Erst zur Zeit der späten Republik stellen sich endgültig Leitgattungen wie das Porträt, das historische Relief oder römische Malstile und Dekorationsformen heraus. Auch der technisch bestimmte Formenapparat der Architektur und ihrer einzelnen Bautypen sind im Wesentlichen ein Produkt dieser späteren Entwicklung. Die Abschnitte der Kaiserzeit, begonnen mit der Zeit des Kaisers Augustus, setzten für die Künste jeweils entschieden neue Akzente. Tragende Kunstformen können nun als Ausdruck einer „Staatskunst“ begriffen werden. Die Kunst der römischen Kaiserzeit wird daher zu Recht nach den Regierungsabschnitten ihrer Regenten untergliedert. Das Imperium Romanum sollte sich in der mittleren Kaiserzeit zu einem der größten, jemals existierenden staatlichen Gebilde festi- 19 gen. Es verband zahlreiche Völkerschaften, deren Traditionen und Fähigkeiten, unter- und miteinander. Damit einhergehend, erreichten die wirtschaftlichen und technischen Möglichkeiten des Imperium Romanum einen Standard, der – und auch dieses Faktum sollte man sich vor Augen halten – erst wieder in der Frühen Neuzeit erreicht werden konnte. Das römische Herrschafts- und Zivilisationsmuster hat die nachfolgenden Jahrhunderte somit nachhaltig beeinflusst. Rom – so könnte man behaupten – blieb über einen längeren Zeitraum hindurch Vorbild, als es je selbst als Staatsgebilde existierte. Mit einer gleichfalls gegebenen Pluralität der Völker und Provinzen innerhalb des Imperium Romanum können unterschiedliche Entwicklungsmöglichkeiten in Europa konstatiert werden. So wie im Staatsgebilde der Zusammenhalt durch die an Rom orientierten und geschulten Völkerschaften gewährleistet wurde, bildete sich umgekehrt durch die unterschiedliche Bevölkerung eine jeweils eigene Kultur der Provinzen heraus. Die Besonderheit dieser Bedingungen innerhalb der Provinzen führte ganz offenkundig zu eigenständigen Formbildungen der Kunst. Man wird darüber hinaus festhalten können: All diese Prägungen wie auch Vorgaben innerhalb der römischen Provinzen überlebten teilweise die Geschichte des Imperium Romanum und trugen wesentlich zur Kunst des Mittelalters und der nachfolgenden Jahrhunderte bei. 11 Auch dadurch erweist sich die europäische Dimension der römischen Kunst in ihren Grundmustern und Konstanten.