Jan Müller [email protected] Master Politikwissenschaft mit Schwerpunkt Area Studies Erfahrungsbericht: Auslandssemester im in La Plata, Universidad Nacional La Palta (UNLP), Soziologie 26.2.2012 – 26.09.2012 Bewerbung Im Masterstudiengang Politikwissenschaften mit Schwerpunkt Area Studies, ist für das dritte Semester ein Auslandsaufenthalt obligatorisch. Mein Studien- und Forschungsschwerpunkt liegt auf Lateinamerika und im Speziellen Argentinien. Zusammen mit Clara Ruvituso, Doktorandin am Lehrstuhl für Vergleichende Politikwissenschaft, kam die Idee zu einem Auslandssemester in ihre Heimatstadt zu gehen. Die Formalitäten sind sehr gering. Das dreiseitige Formular der UNLP muss zusammen mit einem Empfehlungs- und einem Motivationsschreiben nach Argentinien geschickt werden. Dank der Hilfe von Prof. Werz und Dr. Paulus konnten auch diese Hürden genommen werden. Ausführliche Sprachzertifikate und Leistungsübersichten sind nicht notwendig. Vorbereitung Bei der Vorbereitung sind zuerst die unterschiedlichen Semesterzeiträume zu beachten. So beginnt das 1. Semester im Kalenderjahr Mitte März bis Mitte Juni, das zweite Semester geht dann von Mitte August bis Ende November. Dies kollidiert etwas mit den unflexiblen Prüfungsordnungen der Universität Rostock. Neben der Buchung eines Fluges sollte man sich in Deutschland noch um eine Auslandskrankenversicherung kümmern. Selbstverständlich sind gute Spanischkenntnisse Grundvoraussetzung für einen erfolgreichen Argentinienaufenthalt. Es empfiehlt sich hier das Niveau UNIcert II. Zudem ist es ratsam sich über argentinische Filme oder ähnliches an den Akzent zu gewöhnen. Vor Ort habe ich keinen Sprachkurs mehr besucht. Die Möglichkeit besteht jedoch, allerdings ist dieser dann zu bezahlen. Da das argentinische Hochschulsystem frei und öffentlich ist, fallen weder Studien- noch Verwaltungsgebühren an. Bei einem Aufenthalt von nur einem Semester lässt sich alles was für das Visum gebraucht wird, dort mit einigen Behördengängen erledigen. Falls der Aufenthalt für zwei Semester geplant ist, braucht man das deutsche polizeiliche Führungszeugnis übersetzt und mit Apostille. Auch in La Plata ist die Wohnungssituation für Studenten nicht ideal. Die Universität hilft hier mit Listen von Argentiniern, die bereit wären, ein oder mehrere Zimmer an ausländische Studenten zu vermieten. Studium Die Facultad de Humanidades y Ciencias de la Educación liegt zentral neben dem historischen Gebäude des Rektorats. Die Fakultät ist ein Zweckbau, der in den 60er Jahren geplant wurde. Unter den Studenten und Einwohnern La Plata gilt der Mythos, dass das Gebäude als Gefängnis konstruiert wurde. Bereits an der Fassade wird der politische Charakter der Fakultät deutlich. Dort erinnert eine Wandmalerei an den seit sechs Jahren verschwunden Julio López, der kurz vor seiner Aussage im Prozess gegen die Verantwortlichen der letzten Militärdiktatur verschwand. In der Fakultät prägen dann die Plakate der verschiedenen Studentengruppen das Bild. Jeder freier Platz ist mit politischen oder studentischen Forderungen sowie Veranstaltungsankündigungen beklebt. Flyer sowie kleine Zeitungen werden ständig verteilt. An ihren Tischen geben die Aktivisten auch gerne Auskunft über das Studium, Seminare und andere Formalitäten. Zudem bieten sie die verschiedensten Gesprächsrunden, Vorträge und Filmabende an. Ebenfalls übernehmen sie die Organisation zu Reisen, Konferenzen und Zusammenkünften verschiedenster Art. Politisch stehen die Studentengruppen in Humanidades sehr links. Einige sind direkte Studentenorganisationen von politischen Parteien, andere sehen sich eher in einer unabhängigen Tradition. Die Beschaffenheit des Gebäudes sowie Sauberkeit und Zustand der sanitären Einrichtungen entspricht nicht deutschen Standards. Dies liegt daran, dass auch in Argentinien die Gelder für Bildung und Infrastruktur selten in erster Linie an die Geisteswissenschaften gehen. Ein Besuch in der Nachbarfakultät für Wirtschaft macht dies sehr deutlich. An der Facultad de Humanidades y Ciencias de la Educación werden dem Studenten in der Wahl seiner Kurse keine Einschränkungen gemacht. Innerhalb der Fakultät können Seminare aus jedem Studiengang belegt werden. Eine Übersicht über die Materias findet sich auf der Homepage der Fakultät, auch wenn dort die Informationen nicht immer aktuell sind. Es empfiehlt sich die Aushänge der einzelnen Studiengänge zu studieren und nach Interesse sowie Zeiten seinen Stundenplan zu erstellen. In die gewählten Materias wird man von Fernando Rigone eingeschrieben, auch wenn in meinem Fall die jeweiligen Dozenten im Vorab nicht über die Anwesenheit von Auslandsstudenten unterrichtet waren. Hier reicht jedoch ein kurzes Gespräch sowie der Austausch der Emailadressen mit den Dozenten aus. Lernplattformen wie zum Beispiel Stud.IP gibt es nicht. Daher erfolgt die Kommunikation in der Regel über einen Emailverteiler. Die Organisation der Materias unterscheidet sich deutlich von unserem deutschen Modell. Ich habe 3 Materias aus dem Soziologiestudiengang belegt, die sich jeweils unterschiedlich zusammensetzten: - Análisis de la Sociedad Argentina - 4h teório - 2h practico - 2h taller - Historia Social Argentina - 4h teório - 2h practico - Taller: Sujetos Polícticos y Movimientos Sociales en la Argentina contemporánea 3h Teórico ist die Vorlesung während das practico mit dem Seminar zu vergleichen ist. Der Ablauf der Vorlesung ist ähnlich wie in Deutschland. Der Professor legt hier die allgemeinen und theoretischen Grundlagen. Zudem erläutert er bestimmte Interpretations- und Forschungsmuster. Die Qualität dessen war recht unterschiedlich. Während im teórico zu Historia Social Argentina vieles allgemein und oberflächlich blieb und auch Videos gezeigt wurden, war die Vorlesung zur Análisis de la Sociedad Argentina auf einem sehr hohen Niveau. Hier wurden die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Prozesse Argentiniens im Detail beleuchtet und interpretiert. Unterschiede in Arbeitsweise lassen sich zum einen durch die unterschiedlichen Studiengänge erklären. So unterscheiden sich soziologische Erklärungsmuster von denen der Politikwissenschaft. In La Plata stehen vor allem die Arbeiterklasse und Gewerkschaftsentwicklung in Zentrum der Forschung. Grob gesagt sind die Analysen- und Interpretationsweisen deutlich „links“. Selbstverständlich wird marxistisches Vokabular genutzt. „Klassenkampf“, „Gegensatz von Arbeit und Kapital“ sowie der Marxsche Klassenbegriff sind gängige Modelle. Zudem ist der Diskurs deutlich antikapitalistisch, keinesfalls wird dort das liberale Wirtschafts- und Akkumulationsmodell verteidigt oder gelobt. Generell wird eine „linke“ Kritik an den gesellschaftlichen Prozessen vorgenommen. Jedoch muss auch gesagt werden, dass diese keinesfalls als Doktrin behandelt wird. Andere Konzepte und Interpretationsmöglichkeiten werden durchaus auch angeschnitten. In den Seminaren werden dann die Texte besprochen, die als Pflichtlektüre zu lesen waren. Die Texte sind über den Fotocopiadora der Fakultät zu bekommen. Die selbstständige Suche nach Texten in der Bibliothek oder im Internet ist nicht notwendig. Der Umfang der Bibliographie ist oft größer als in Deutschland. 40 bis 60 Seiten sind der Durchschnitt zu einer Sitzung. Die Texte werden im Seminar anhand von Fragen oder Gruppenarbeiten besprochen. Referate, die auf weitere Quellen oder Texte zugreifen fehlen völlig. Im Positiven haben alle Studenten damit den gleichen Kenntnisstand und können auf einer Ebene diskutieren, im Negativen fehlt es oft an zusätzlichem und ergänzendem Wissen in den Seminaren. Nichtsdestotrotz besitzen auch die Seminare ein angemessenes Niveau. Vor allem als Nichtmuttersprachler ist das detaillierte Durchgehen der Texte zur Verfestigung des Gelesenen hilfreich. Insgesamt sind die Seminare mehr auf die Reproduktion bereits vorhandenen Wissens ausgelegt. Dies kommt besonders in den Klausuren zum Ausdruck. Diese bestehen aus mehreren Fragen, die sich explizit auf gelesene Texte beziehen und in deren Beantwortung ein Abriss der Argumentation des Autors ausreichend ist. Eigene Forschungsarbeit wird erst recht spät in Vorbereitung auf die Abschlussarbeit vermittelt und geübt. Dennoch kann festgehalten werden, dass das sich Studium und Lehre auf einem guten Niveau befinden. Die argentinischen Kommilitonen besitzen vor allem im theoretischen Bereich hohe Kenntnisse. Karl Marx, Max Weber, Émile Durkheim und Pierre Bourdieu gehören zu den meistgelesenen Autoren. Diese sehr europäische Ausrichtung im Denken wird jedoch von den Studenten selber kritisiert. Es fehlt in Teilen die Auseinandersetzung mit lateinamerikanischen Autoren und Theoretikern. Die Literatur zu den Seminaren ist im Großteil von argentinischen Autoren, nur wenige Texte stammen von internationalen Wissenschaftlern (zum Beispiel: Daniel James – britischer Experte des Peronismus und der argentinischen Arbeiterbewegung). Des Weiteren diente mein Auslandsaufenthalt in La Plata der Forschung und Sammlung von Dokumenten für meine Masterarbeit, welche sich mit der Studentenbewegung Argentiniens beschäftigt. Über den täglichen Kontakt mit den Gruppierungen bekam ich schon einen ersten Eindruck zu dem Thema. Weiterhin fiel es mir leicht die aktuellen Diskussionen an der Fakultät zu verfolgen. Themen waren hier zum Beispiel der Umzug des Bufett sowie allgemein die Kosten der Serviceleistungen, die vom Centro de Estudiantes zu Verfügung gestellt werden und die Stipendienvergabe. Über die Fotocopiadora waren einige Texte zum Thema Universität und Studentenpolitik zu bekommen. Auch die Fachbibliothek, die sich im Keller der Fakultät befindet, bot eine Möglichkeit zur Recherche. Dort ließen sich einige Publikationen zur Universitätsgeschichte, Bildungsreformen und Studentenbewegungen finden. Am hilfreichsten war jedoch der Besuch einer Konferenz zur Studentenbewegung Argentiniens in Lújan. Die Vorträge und Gesprächsrunden vermittelten einen guten Eindruck über die Forschung zu dem Thema. Deutlich wurde, dass die argentinischen Wissenschaftler größere Probleme bei der Suche von Quellen und Texten haben. So ist die Zugänglichkeit von Quellen und Archiven oft eingeschränkt. Viele Dokumente sind nicht mehr erhalten. Zudem gibt es in Argentinien kein System von Bibliotheksverbunden, die Fernleihen oder ähnliches ermöglichen. Vor allem für Wissenschaftler aus der Provinz erschwert dies die Arbeit, da Bücher und Zeitschriften oftmals nur in Buenos Aires zu erstehen sind. Die Vorträge auf der Konferenz, die alle online zugänglich sind, waren von unterschiedlicher Qualität. Jeder, der zu dem Thema arbeitet, hätte sein Projekt einreichen können. Zudem ist wissenschaftliche Arbeit in Argentinien oft von politischer Aktivität geprägt, die die Neutralität und Objektivität beeinflussen kann. Das Forschungsinteresse ist, historische Zeiträume übergreifend, groß. Hauptaugenmerk liegt jedoch auf die konfliktreichen 60er und 70er Jahre, die von einem politischen Linksruck und einer Radikalisierung geprägt waren. Die Forschungsarbeit selber bleibt in großen Teilen historiografisch, da an vielen Universitäten die Vorarbeit dazu fehlt. Die Arbeiten befassen sich mit den einzelnen Fakten und Abläufen, zum Beispiel des studentischen Widerstandes. Auch die erschienen Sammelbände zu dem Thema weisen ein starke Begrenzung in Ort und Zeit auf. Es fehlen damit aktuelle Gesamtdarstellungen, die eine Einordnung der Studentenbewegung in die Gesellschaft und Politik wagen. Alltag und Freizeit La Plata bieten unzählige Möglichkeiten im kulturellen Bereich etwas zu erleben. Da wäre das Teatro Argentino, welches Oper, klassische Musik und Ballett auf internationalem Niveau bietet. Für unter 26jährige liegen die Preise hier zwischen zwei und drei Euro. Zudem wäre noch das Naturkundemuseum zu nennen, welches ebenfalls zu den Besten des Landes gehört. Jedoch findet das wahre kulturelle Leben abseits der offiziellen Einrichtungen statt. In den unzähligen Centros Culturales gibt es jedes Wochenende die verschiedensten Dinge zusehen, Musik, Literatur und Theater. La Plata ist sehr von den vielen Studenten geprägt, sie ist sehr jugendlich und bietet daher viele Aktivitäten. Wer noch mehr erleben möchte, der fährt mit dem Bus in die Hauptstadt und befindet sich dort in einer Millionenmetropole. Selbstverständlich bietet so ein großes Land wie Argentinien unzählige Möglichkeiten für Urlaube und Ausflüge. Im Allgemeinen sind die Lebenserhaltungskosten etwas geringer als in Deutschland. Jedoch steigen die Preise regelmäßig aufgrund der hohen Inflationsrate. In La Plata selbst sind die meisten Orte gut zu Fuß zu erreichen. Das Bussystem ist unübersichtlich und schlecht organsiert. Es empfiehlt sich lieber das Taxi zu nehmen. Diese sind recht billig und verlässlich. Einen warmen Nachmittag verbringt man am Besten in einem der vielen Parks. Der Parque Saavedra bietet sich zum entspannen und Mate trinken an. An Wochenenden findet hier auch eine Handwerksmarkt statt, auf dem sich allerlei Mitbringsel erwerben lassen. Fazit Mit den sieben Monaten in La Plata war ich sehr zufrieden. Die Universität, die Forschung und das Leben haben viel Spaß gemacht und mich persönlich in vielen Dingen weiter gebracht. Der Aufenthalt hat meine Kenntnisse in der argentinischen Geschichte, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft stark erweitert und verbessert. Wer zu Argentinien forschen will, hat dort vor Ort gute Möglichkeiten. Durch den ständigen Kontakt mit der Sprache waren Fortschritte früh bemerkbar. Als Austauschstudent an der UNLP profitiert man deutlich vom kostenfreien argentinischen Hochschulsystem. Für die Zukunft würde ich mir wünschen, dass die Universität Rostock nicht nur als Konsument in diesem Verhältnis auftritt, sondern auch aktiv das Herkommen argentinischer Studenten unterstützt und erleichtert.