194 Originalarbeit Therapie Infantiler Hämangiome – Update 2016 P. Ruef; A. Mangatter Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, SLK-Kliniken GmbH, Heilbronn, Germany Schlüsselwörter Infantile Hämangiome, Propranolol, β-Blocker, systemische und topische Behandlung Zusammenfassung Ziele: Zur Behandlung komplizierter infantiler Hämangiome bedarf es einer frühen, sicheren und effektiven Therapie. Die durchgeführten Untersuchungen zur systemischen und topischen Behandlung infantiler Hämangiome sollen weitere Erkenntnisse zur Effektivität und den potenziellen Nebenwirkungen geben. Methoden: Anhand eines spezifischen Hämangiomscores wurde retrospektiv der Therapieerfolg der systemischen (n=207) und topischen (n=148) Propranololbehandlung infantiler Hämangiome bei pädiatrischen Patienten untersucht. Ergebnisse: Die Propranololbehandlung war bei >99 % der Patienten erfolgreich. Es zeigte sich bei systemischer Behandlung jeweils eine signifikante Reduktion des Scores von 8,3 ± 3,3 nach sechs Monaten auf 1,5 ± 1,4 und bei topischer Behandlung von 4,2 ± 1,6 nach drei Monaten auf 2,2 ± 1,3. Unterschiedliche Hämangiomlokalisationen, der Beginn der Behandlung im Alter von 1–8 Mo- Korrespondenzadresse Prof. Dr. med. P. Ruef Klinik für Kinder- und Jugendmedizin/Perinatalzentrum SLK-Kliniken Heilbronn GmbH Am Gesundbrunnen 20–26, 74078 Heilbronn Tel. +49-7131/493701, Fax: +49-7131/493729 E-Mail: [email protected] naten sowie das Geschlecht der Patienten ergab keine signifikanten Unterschiede. Unter topischer Behandlung konnten keine nachweisbaren Serumspiegel von Propranolol gemessen werden. Relevante Nebenwirkungen, die zu einem Beenden der Therapie geführt hätten, wurden nicht beobachtet. Einzig zeigte sich während der systemischen Therapie eine signifikante Herzfrequenzerniedrigung während der ersten sechs Medikamentengaben ohne signifikanten Einfluss auf den Blutdruck. Schlussfolgerung: Die Behandlung mit Propranolol ist hoch effektiv und unter Beachtung von Vorsichtsmaßnahmen sehr sicher anwendbar. Die topische Behandlung mittels Propranololgel ist für ausgewählte infantile Hämangiome neben der systemischen Anwendung und der Kryotherapie eine weitere effektive Therapiealternative (Off-label). Die Ergebnisse geben wichtige Informationen über die Behandlung infantiler Hämangiome mit Propranolol. Keywords Infantile hemangioma, propranolol, β-blocker, systemic and topical treatment Zitierweise des Beitrages Treatment of infantile hemangioma – update 2016 Phlebologie 2016; 45: 194–200 http://dx.doi.org/10.12687/phleb2322-4-2016 Eingereicht: 04. Juli 2016 Angenommen: 11. Juli 2016 English version available at: www.phlebologieonline.de Einleitung Infantile Hämangiome (IH) sind die im Kindesalter am häufigsten auftretenden gutartigen Tumore. Bis zu 5 % aller Säug© Schattauer 2016 linge entwickeln infantile Hämangiome. Bei über 80 % wird jedoch keine Behandlung benötigt (1), sie sollten aber unter Beobachtung bleiben (wait and see). In ▶ Tabelle 1 sind verschiedene Gefäßtumore/Ge- Summary Aim: Complicated infantile hemangioma need early, safe and effective treatment. The aim of this study was to provide greater insight into systemic and topical propranolol treatment efficacy and side effects. Methods: We report our retrospective experiences of 207 paediatric patients treated with systemic propranolol and of 148 paediatric patients treated with propranolol gel topically photographed and analysed with a specific hemangioma score. Results: Propranolol treatment was successful in >99 % of the patients. The hemangioma score showed a significant decrease during systemic treatment (8.3 ± 3.3 at beginning and 1.5± 1.4 after 6 months) and during topical treatment (4.2 ± 1,6 at beginning and 2.2 ± 1.3 after three months). Systemic treatment did not show any differences when distributed according to different localizations or to the patient`s ages. During topical propranolol treatment relevant serum levels were not determined. Relevant side effects that may have made it necessary to discontinue the treatment were not observed. However, there was a statistically significant reduction in heart rate but not in mean arterial blood pressure during the first six in-hospital systemic drug applications. Conclusion: Systemic propranolol treatment is highly effective and nearly always safe. Topical treatment with propranolol gel (offlabel) is suitable for specific hemangioma in addition to cryotherapy and systemic treatment with propranolol. These findings provide highly valuable information on this drug treatment for complicated infantile hemangioma in infants. fäßfehlbildungen aufgelistet, die im Rahmen differenzialdiagnostischer Abgrenzungen relevant sind. Von IH sind kongenitale Hämangiome, RICH (rapidly involuting congenital hemangioma) und NICH Phlebologie 4/2016 195 P. Ruef; A. Mangatter: Therapie Infantiler Hämangiome – Update 2016 (noninvoluting congenital hemangioma), zu unterscheiden. Beide exprimieren im Gegensatz zu IH nicht GLUT-1 (glucose transporter protein-1) (2). Während RICH eine hohe Involutionsrate zeigen, bilden sich NICH nicht zurück und bedürfen einer gezielten Intervention. Weiterhin abzugrenzen sind das Granuloma pyogenicum, das Tufted Angioma, das lokal aggressive kaposiforme Hämangioendotheliom, das maligne Angiosarkom, vaskuläre Malformationen (Naevus flammeus, arterio-venöse Malformationen, Lymphangiome), und weitere. Syndromale Hämangiome sind als PHACES- und LUMBARSyndrom beschrieben (▶ Tabelle 1). IH lassen sich als superfizielle (Häufigkeit 60 %), gemischt superfiziell-subkutane (25 %) und subkutane (15 %) IH einteilen. Komplizierte IH sind jene, die zu einer Einschränkung von Organfunktionen, Bewegungseinschränkungen, Ulzerationen und ästhetischen Beeinträchtigungen führen. Ulzerationen können sehr schmerzhaft sein und weisen ein erhöhtes Risiko von Infektionen auf. Bei ausgedehnteren IH können narbenartige Veränderungen verbleiben, welche in Form und Größe dem Zustand zum Zeitpunkt ihrer maximalen Ausdehnung entsprechen. Diese erfordern aus ästhetischen Gründen eine Intervention, der z.T. erhebliche psychische Belastungen vorausgehen. Zur Therapie komplizierter IH sind verschiedene Verfahren in Anwendung: systemisches Propranolol, lokales Propranolol (off-label) bei flächigen und maximal 3–6 mm tiefen IH, Kryotherapie (insbesondere für IH mit einem Durchmesser bis 15 mm und einer Tiefe bis zu 3 mm) und Lasertherapie (Nd:Yag, schmerzhaft). Gerade die Entdeckung von Léauté-Labrèze et al. (3) über die Wirksamkeit von Propranolol auf IH hat in den letzten Jahren das Behandlungsregime wesentlich revolutioniert. Propranolol hat als first-line Therapie hochdosierte Kortikosteroide, Interferon und Vincristin verdrängt (1, 4). Der Mechanismus der Wirkung ist noch nicht vollständig geklärt. Während der Wachstumsphase der IH scheinen Wachstumsfaktoren (basic fibroblast growth factor, bFGF; vascular endothelial growth factor, VEGF), eine Erniedrigung des Gewebsinhibitors der GewebemetalloproPhlebologie 4/2016 Tab. 1 Gefäßtumore/Gefäßfehlbildungen im Kindesalter Typ Bemerkungen • der im Kindesalter am häufigsten auftretende Infantiles Hämangiom (IH) gutartige (Gefäß-)Tumor, Glut-1 positiv • Verhältnis Mädchen : Jungen = 3 : 1 – superfiziell 60 % – gemischt superfiziell- subkutan 25 % – subkutan 15 % PHACE-Syndrom (posterior fossa defect, IH, arterial anomalies, cardiovascular anomalies, eye anomalies) Syndromaler Gefäßtumor LUMBAR-Syndrome (lower body IH, urogenital anomalies, myelopathy, bone deformities, anorectal malformations, arterial and renal anomalies) Syndromaler Gefäßtumor RICH, (Rapidly involuting congenital hemangio- Gefäßtumor ma) NICH, (Non-involuting congenital hemangioma) Gefäßtumor Pyogenes Granulom Gefäßtumor Kaposiformes Hämangioendotheliom Gefäßtumor, lokal aggressiv Tufted Angioma Gefäßtumor Angiosarkom Maligner Gefäßtumor Naevus flammeus Gefäßfehlbildung Lymphangiom Gefäßfehlbildung Arterio-venöse Malformation Gefäßfehlbildung Tab. 2 Standardisierter Hämangiomscore Komponente Qualität Score 1. Farbe des Hämangioms intensiv rot 2 blass 1 hautfarben 0 stark erhaben 2 erhaben 1 flach 0 fest 2 weniger fest, weicher 1 weich 0 2. Beschaffenheit der Oberfläche 3. Festigkeit 4. Tiefe maximal (>100–90 %) (falls Ultraschall durchgeführt wurde, weniger (89–50 %) sonst „0“) nicht tief oder erheblich flacher (<50 %) 2 5a. Organbeteiligung Betrifft nur systemische Therapie funktionelle Einschränkung 7 drohende funktionelle Einschränkung 4 keine funktionelle Einschränkung 0 >2 % Körperoberfläche 2 1–2 % Körperoberfläche 1 <1 % Körperoberfläche 0 5b. Größe Betrifft nur topische Therapie 1 0 Gesamtscore (0–15 systemische Therapie; 0–10 topische Therapie) © Schattauer 2016 196 P. Ruef; A. Mangatter: Therapie Infantiler Hämangiome – Update 2016 Material und Methoden Abb. 1 Gemischt superfizielles/subkutanes infantiles Hämangiom im Bereich des linken Ohrs, Alter des Patienten 3,5 Monate. Linkes Foto: Zustand zu Beginn der systemischen Behandlung (Score 12); rechtes Foto: nach 6 Monaten Therapie (Score 0). teinase (tissue inhibitor of metalloproteinase, TIMP), eine vermehrte Expression des Glukosetransporterproteins GLUT-1 mit Stimulation der Neovaskularisation und das Renin-Angiotensin-System (RAS) (2) eine wesentliche Rolle zu spielen (2, 5, 6). Auch die Streuung von embryonalen Stammzellen von der Plazenta in den Fetus wird ursächlich diskutiert (2). β-Blocker könnten durch das Herunterregulieren der Wachstumsfaktoren und der Metalloproteinase sowie durch Triggerung der Apoptose ihre auf das Wachstum der IH hemmende Wirkung ausüben (5–7). Durch die vielversprechenden Erfahrungsberichte zur Therapie von IH mit Propranolol führten wir retrospektiv Studien für systemische und lokale Therapie mit Propranolol durch, um erstmalig anhand eines Punktescores (▶ Tabelle 2) die Effektivität des Behandlungserfolgs objektiv zu dokumentieren (4, 8, 9). Da dies Behandlungen auch in dem Zeitraum vor der Zulassung der systemischen Therapie mit Hemangiolsaft betraf (Zulassung in Europa seit September 2014), wurden alle Patienten über die Therapie (Off-label) aufgeklärt. Die Studien erfolgten in Vereinbarung mit der Deklaration von Helsinki in der aktuellen Fassung und mit Votum des Ethikkommitees des Universitätsklinikums Heidelberg (S-020/2013). Die in der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin in Heilbronn wegen komplizierter IH behandelten Patienten wurden retrospektiv untersucht. In der Untersuchung zur systemische Therapie konnten 207 Patienten (8) eingeschlossen werden, bei denen durch das IH folgende Komplikationen oder Risiken bestanden: Behinderung von Körperöffnungen und -funktionen, Risiko einer Alopezie, große segmentale und tiefe subkutane sowie ulzerierte IH. Vor dem Beginn der Therapie wurden die Patienten untersucht, entsprechend dem Score eingeschätzt (▶ Tabelle 3), ein EKG und Echokardiographie durchgeführt und unter stationären Bedingungen über 2,5 Tage die Therapie eingeleitet. Dabei wurden die Patienten bezüglich des Kreislaufs überwacht. Charakteristika und Daten der Patienten sind in ▶ Tabelle 2 aufgeführt. Sie erhielten während der Mahlzeiten am 1. Tag 1 mg/kg Propranolol aufgeteilt in drei Dosen und ab dem 2. Tag 2 mg/kg/d. Der Zeitabstand zwischen den einzelnen Gaben betrug mindestens sechs Stunden. Das mittlere Alter der Patienten bei Beginn der Therapie lag bei 3,9 ± 2,4 Monaten, das Verhältnis Mädchen/Jungen lag bei 2,5 : 1, und folgende Lokalisationen wurden unter- Abb. 2 Infantiles Hämangiom linkes Augenlid mit subkutanen Anteil, Alter des Patienten vor Beginn der systemischen Therapie: 2 Monate. Linkes Foto: Zustand vor Beginn der Therapie (Score 11), darunter ausgeprägte Perfusion im Ultraschallfarbdoppler. Rechtes Foto: nach sechs Monaten Therapie (Score 0), darunter normale Perfusion im Ultraschallfarbdoppler. © Schattauer 2016 Phlebologie 4/2016 197 P. Ruef; A. Mangatter: Therapie Infantiler Hämangiome – Update 2016 Abb. 3 Superfizielles infantiles Hämangiom, Alter des Patienten vor Therapiebeginn: 2 Monate. Linkes Foto: Zustand vor Beginn der topischen Therapie mit Propranololgel (Score 5). Rechtes Foto: nach drei Monaten topischer Behandlung (Score 1). schieden: Kopf (73,4 %) (inklusive Ohr, Augenlider, Nase, Mund, Lippen) (▶ Abb. 1, ▶ Abb. 2), Anogenitalbereich (7,2 %), Thorax/Abdomen (6,8 %), Extremitäten (7,7 %) und multiple Hämangiome im Sinne einer Hämangiomatose (4,8 %). Die Nachkontrollen inklusive Dokumentation der Scores erfolgten nach 3,2 Wochen, Abb. 4 Behandlungsscores systemischer Propranololtherapie vom Start bis zum Ende der Behandlung aller Patienten und unterteilt nach Lokalisation und Alter der Patienten bei Beginn der Behandlung (in Monaten). *p<0,05 bei Vergleich des Scores bei Start der Behandlung zu den Scores bei den ambulanten Kontrol- Phlebologie 4/2016 10,2 Wochen, 17,8 Wochen und nach 25,1 Wochen. Die mittlere Behandlungszeit lag bei 29,3 Wochen. Bei subkutanen Anteil erfolgten außer bei Beginn der Therapie auch als len. Beim Vergleich der Scores zwischen den einzelnen Lokalisationen und zwischen dem Alter bei Beginn der Behandlung (in Monaten) untereinander ergaben sich keine signifikanten Unterschiede. © Schattauer 2016 198 P. Ruef; A. Mangatter: Therapie Infantiler Hämangiome – Update 2016 Verlaufskontrolle Ultraschallfarbdoppler-Untersuchungen (▶ Abb. 2) (Zonare ZS3, hochauflösender 20 Mhz Schallkopf, Zonare Medical Systems, Erlangen, Germany). Topisches Propranololgel wurde als lokale Behandlung (▶ Abb. 3) bei folgenden IH angewendet: 1. wachsende superfizielle IH, die auf Grund der Ausdehnung nicht mehr mit Kryotherapie behandelbar waren; 2. lokalisierte und segmentale IH mit Ausnahme des Gesichts und einer maximalen Tiefe von 5–6 mm; I-H mit erneutem Wachstum nach Kryotherapie und rasch wachsende IH bei Frühgeborenen. In der Studie wurden 148 Patienten eingeschlossen (9). Das mittlere Alter (1–8 Monate) der Patienten lag bei Beginn der Therapie bei 2,9 ± 2,1 Monaten, es waren 68 % Mädchen, 32 % Jungen und folgende Lokalisationen wurden behandelt: Kopf (16 %) (ohne Gesicht und Skalp), Thorax/Abdomen (31 %), Extremitäten (32 %), Genitalbereich (9 %) und gluteale Region (12 %). Das Gel setzt sich aus Propranololhydrochlorid (1 %), Sodiumhyaluronat (3 %) und Aqua Conservans (96 %) zusammen. Angewendet wurde es zweimal täglich für zwei Stunden über drei Monate mit einer Auftragungsschicht von 1–2 mm Dicke und unter einem okklusiven Pflasterverband. Kontrollen wurden nach vier und zwölf Wochen durchgeführt. Die statistische Analyse wurde bezüglich der Effektivität (Hämangiomscore), der Lokalisation, des Geschlechts und des Alters der Patienten bei Beginn der Therapie durchgeführt. Die erhobenen Daten (Mittelwerte und Standardabweichung) zeigten keine Normalverteilung (ShapiroWilk-Test), mittels Kruskal-Wallis-Test (Verwerfung der Null-Hypothese, p≤0,001) und nachfolgendem Dunn`s Test (multipler Mittelwertvergleich) wurde auf signifikante Unterschiede (p≤0,05) getestet (10). Ergebnisse Die systemische Therapie mit Propranolol war bei 99,5 % der Patienten erfolgreich und es zeigte sich ein rasches und gutes Ansprechen. Der initiale Hämangiomscore vor Beginn der Therapie lag bei 8,3 ± 3,3 und am Ende bei 1,5 ± 1,4 (p<0,05) (▶ Abb. Abb. 5 Behandlungsscores topischer Propranololgeltherapie vom Start bis zum Ende der Behandlung aller Patienten und unterteilt nach Lokalisation und Alter der Patienten bei Beginn der Behandlung (in Monaten). *p<0,05 bei Vergleich des Scores bei Start der Behandlung zu den Scores bei den am- © Schattauer 2016 4). Bei der ersten ambulanten Kontrolle nach 3,2 Wochen zeigte sich eine signifikante Involution der IH unter Behandlung. Noch unter stationären Bedingungen zeigte sich nur während der ersten sechs Propranololgaben eine signifikante Herzfrequenzverlangsamung von 142 ± 14 auf 124 ± 13 Schläge/Minute (p<0,05), während sich der mittlere arterielle Druck (MAD) nicht signifikant veränderte (69,7 ± 11 auf 65,4 ± 9). Folgende milde Nebenwirkungen zeigten sich bei den ambulanten Vorstellungen: kalte Extremitäten (1,5 %), nächtliche Unruhe (0,5 %) und muskuläre Hypotension (0,5 %). Bei keinem Patienten musste die Therapie abgebrochen werden. Die Behandlungsdauer betrug im Mittel 29,3 ± 19,2 Wochen. Nach Beendigung der Therapie wurden die Patienten über sechs Monate nachbeobachtet. Bei 12,1 % zeigte sich ein Rebound des Wachstums, nur in 7,7 % (16 von 207) war ein zweiter Therapiezyklus mit Propranolol notwendig. Bei der topischen Behandlung mit Propranololgel zeigten 147 von 148 Patienten schon nach kurzer Zeit eine Beendigung bulanten Kontrollen. Beim Vergleich der Scores zwischen den einzelnen Lokalisationen und zwischen dem Alter bei Beginn der Behandlung (in Monaten) untereinander ergaben sich keine signifikanten Unterschiede. Phlebologie 4/2016 199 P. Ruef; A. Mangatter: Therapie Infantiler Hämangiome – Update 2016 des Wachstums und im Weiteren einen Beginn der Involution (zunehmende Aufhellung, geringerer Tonus; Score vor Therapiebeginn 4,2 ± 1,6; nach drei Monaten 2,2 ± 1,3; p<0,05; ▶ Abb. 5). Nur bei einem Patienten wurde ein weiteres Wachstum beobachtet, worauf eine erfolgreiche systemische Propranololtherapie erfolgte. Nach drei Monaten zeigten sich noch Hämangiomresiduen ohne weitere Größenzunahme. In den Nachuntersuchungen zeigte sich nach Beendigung der topischen Behandlung kein Rebound, sondern eine weitere Involution der IH. Bei 20 Patienten wurden unter lokaler Behandlung Propranolol-Serumspiegel bestimmt, die unter der Nachweisgrenze von <20 ng/ml lagen. Nebenwirkungen, die direkt auf das Propranololgel zurückzuführen wären, wurden nicht beobachtet. Zwischen den einzelnen Lokalisationen, dem Alter und dem Geschlecht der Patienten bei Beginn (1–8 Monate) der Therapie mit systemischem oder topischem Propranolol zeigten sich keine signifikanten Unterschiede (▶ Abb. 4, ▶ Abb. 5). Diskussion In den mittlerweile acht Jahren, in denen wir Propranolol zur Behandlung komplizierter Hämangiome einsetzen, zeigte sich eine hohe Erfolgsrate (in unserer Studie (8) >99 %). Doch auch hierbei ist es wichtig zu beachten, dass ein großer Teil der IH ohne Therapie verschwindet. Auch wenn sich der Therapiebeginn mit Propranolol im ersten Lebensjahr als erfolgreich erweist und keinen Effektivitätsunterschied bei Beginn der Therapie im Alter von 1–8 Monaten aufwies, sollte bei zu erwartenden komplizierten Verläufen die Therapie so früh wie möglich (ab dem 2. Lebensmonat) begonnen werden. Bei der Anwendung systemischen Propranolols ist es wesentlich, dass die Medikamenteneinnahme an die Mahlzeiten gekoppelt wird. Eine Hypoglykämie konnte bei unseren Patienten nicht beobachtet werden. Auch ein kurzfristiges Pausieren der systemischen Behandlung bei bronchial-obstruktiven Infekten ist gelegentlich notwendig. Andererseits sollte, wenn möglich, der Einsatz von β-Mimetika sowohl Phlebologie 4/2016 unter der Therapie mit Propranolol als auch während der weiteren Spontanregression zu Gunsten anderer Therapeutika vermieden werden, da dies zu einem vermehrten Rebound führen kann (unveröffentlichte Beobachtungen). Die während des stationären Einleitens der systemischen Therapie beobachtete Verlangsamung der Herzfrequenz führte zu keiner Beeinträchtigung, im Weiteren adaptierten sich die Patienten ohne Probleme. Bei der systemischen Therapie mit Propranolol erwies sich eine Behandlungsdauer von sechs Monaten oft als erfolgsversprechend. Es kann sich eine Ausdehnung der Behandlungsdauer über das 1. Lebensjahr als notwendig erweisen (11), um die bestmögliche Rückbildung zu erreichen und um die Reboundrate bei einzelnen Patienten zu verringern. Eigene Erfahrungen zeigten, dass bei systemischer Therapie eine Dauer von drei Monaten meist zu kurz ist (8). Dies bestätigte sich auch bei der multizentrischen Studie von Léauté-Labrèze et al (12). In dieser Studie wurden im erfolgreichen Behandlungsarm 88 Patienten sechs Monate lang mit einer Propranololdosis von 3 mg/kg/d behandelt. In unserer Studie mit 207 systemisch behandelten Patienten zeigte sich ein Therapieerfolg mit 2 mg/kg/d ebenfalls mit einer Behandlungsdauer von zirka sechs Monaten. Tan et al. (11) konnten zeigen, dass sich eine Dosis von 1,5–2 mg/kg/d Propranolol für die Behandlung von IH als effektiv erwies bei geringerer Nebenwirkungsrate als bei höherer Dosierung. Die Europäischen Untersuchungskommission über die Behandlung von IH mit Propranolol (PITCH) wies auf, dass die meisten bisher mit Propranolol behandelten Patienten mit IH mit 2 mg/kg/d behandelt wurden und dass bei höheren Dosierungen die Nebenwirkungs- rate steige (13). Von einzelnen Autoren sind Bedenken aufgekommen, ob die systemische Therapie mit Propranolol zu langfristigen, die Entwicklung beeinträchtigenden Nebenwirkungen führen könnte (14, 15). Dem gegenüber zeigte die Untersuchung von Moyakine et al. (16), dass die Behandlung von IH mit systemischem Propranolol nicht zu Entwicklungs- und Wachstumseinschränkungen bei nachuntersuchten Kindern im Alter von vier Jahren im Vergleich zu Kontrollen führte. Bei der topischen Anwendung superfizieller IH hingegen zeigte sich ein guter Behandlungserfolg schon nach einer Dauer von drei Monaten und wir konnten keine Nebenwirkungen, die auf das Propranololgel zurückzuführen waren, beobachten. Da keine Propranololspiegel im Blut messbar waren, ist bei der topischen Anwendung nicht von systemischen Nebenwirkungen auszugehen. Bei der topischen Anwendung von Timolol bei Frühgeborenen wurde über unerwünschte Nebenwirkungen berichtet (17). Die beiden Patienten mit Nebenwirkungen erhielten Timolol-Augentropfen und zeigten Apnoen und Bradykardien. Bei der topischen Anwendung von Propranololgel konnten wir dies bei unseren 148 Patienten nicht beobachten, obwohl wir auch stationäre Frühgeborene, die mittels Monitoring überwacht wurden, behandelten. Allerdings vermieden wir einen Kontakt des Gels zu Schleimhäuten und es wurde kein IH im Gesichtsbereich topisch behandelt. Bei Ulzerationen wurde die topische Behandlung ausgesetzt. Interessenkonflikt Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Ethische Richtlinien Fazit Zusammenfassend erweist sich die Behandlung von IH mit Propranolol als sehr effektiv und mit geringen Nebenwirkungen behaftet. Die topische Behandlung mit Propranololgel, bislang noch eine Off-label-Therapie, stellt für ausgewählte IH neben der systemischen Propranololtherapie und der Kryotherapie eine wichtige Therapieoption dar. Da dies Behandlungen auch in dem Zeitraum vor der Zulassung der systemischen Therapie mit Hemangiolsaft betraf (Zulassung in Europa seit September 2014), wurden alle Patienten über die Therapie (Offlabel) aufgeklärt. Die Studien erfolgten in Vereinbarung mit der Deklaration von Helsinki in der aktuellen Fassung und mit Votum des Ethikkommitees des Universitätsklinikums Heidelberg (S-020/2013). © Schattauer 2016 200 P. Ruef; A. Mangatter: Therapie Infantiler Hämangiome – Update 2016 Literatur 1. Darrow D H, Green A K, Mancini A J, Nopper A J. Diagnosis and Management of infantile hemangioma. Pediatrics 2015; 136: e1060–1104. 2. Itinteang T, Withers A H J, Davis P F, Tan S T. Biology of infantile hemangioma. Front Surg 2014; 1: 1–9. 3. 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