Werkstattfallzahlen 1994 152501 Plätze Ca. 80% geistige Behinderung Ca. 16,5% psychische Behinderung Ca. 3,5% körperliche Behinderung Werkstattfallzahlen 2016 308691 Plätze Ca. 76,5 % geistige Behinderung Ca. 21 % psychische Behinderung Ca. 3,5% körperliche Behinderung Zwei Erkenntnisse Fallzahlanstieg um 50% und damit drastische Erhöhung der Kosten der Eingliederungshilfe Werkstattfallzahlen 2016 deutliche Zunahme psychisch erkrankter Menschen Neue Personenkreise die den geistig behinderten Menschen zugeordnet werden Diese Personenkreise werden in der Fachdiskussion als junge Wilde bezeichnet aber diagnostisch unscharfer Begriff Die jungen Wilden Junge Wilde Es gibt mindestens drei unterschiedliche Störungsmuster die als junge Wilde bezeichnet werden Eine differenzierte Diagnostik ist schwierig aber notwendig Alle Störungsbilder betreffen junge Erwachsene Junge Wilde Zwei der drei Störungsbilder wurden früher in der WfbM kaum betreut Inzwischen ist die WfbM aber deutlich häufiger für alle drei Störungsbilder angefragt Deshalb ist eine Differenzierung notwendig Junge Wilde Typ 2 IQ unter 70 Nicht nur milieugeschädigt sondern auch hirnorganisch Bedingtheit soziale Belastbarkeit deutlich eingeschränkt (Impulsdurchbrüche bis hin zu körperlichen Attacken) Unterstützungsbedarf durch betreuerische Zuwendung und Kommunikation hoch Motorisch weniger geschickt Antriebsarm und wenig belastbar aber auch Phasen großer Unruhe und Hyperaktivität Junge Wilde Typ 2 Unrealistische Selbsteinschätzung Leicht ablenkbar Distanzlos Emotionales Entwicklungsalter ca.3-4 Jahre (Trotzalter) Absprachefähigkeit bezogen auf Regeln nur kurzfristig gegeben Medikamentös behandelt Veränderungsfähigkeit geringer als bei Personenkreis 1 Borderline Störung So genannte Identitätsstörung, d. h. ausgeprägte und andauernde Instabilität der Selbstbildes oder der Selbstwahrnehmung (was bin ich, was bin ich wirklich, wie sehe ich mich und wie sehen mich andere?). Impulsivität in potentiell selbstschädigenden Bereichen: Borderline Störung Geldausgabe, Sexualität Alkohol-, Rauschdrogen-, Medikamentenund Nikotinmissbrauch, rücksichtsloses Fahren, "Fressanfälle" u.a. Borderline Störung Neigung, sich ständig in intensive, dafür aber letztlich instabile Beziehungen einzulassen, oft mit der Folge entsprechender psychosozialer bzw. gemütsmäßiger Krisen. Neigung zu Idealisierung oder Entwertung. Borderline Störung Vor allem aber auch in der Neigung zu Ausbrüchen von Wut oder Gewalt mit der Unfähigkeit, solch explosives Verhalten wirkungsvoll zu kontrollieren (z. B. heftige Zornesausbrüche, andauernde Wut, wiederholte körperliche Auseinandersetzungen). Borderline Störung Ferner Schwierigkeiten, Handlungen oder Reaktionsweisen beizubehalten, die nicht unmittelbar belohnt werden. Dazu eine unbeständige, ja unberechenbare Stimmung bzw. immer wiederkehrende reaktive Verstimmungen (z. B. hochgradige Missstimmung, Reizbarkeit oder aggressive Angstreaktionen, die gewöhnlich einige Stunden, selten mehr als einige Tage Borderlinestörung Chronisches Gefühl innerer Leere, Wiederholte Selbstverletzungsversuche, Selbstmordandeutungen oder -drohungen, mehrfache suizidale Handlungen, manchmal sogar durch wahnhafte Vorstellungen ausgelöst. Die Therapieerfolge halten sich in Grenzen. Borderlinestörung So eingeschränkt bis aussichtslos aber, wie man das früher beurteilte, ist es nach den wissenschaftlichen Untersuchungen und damit auch therapeutischen Erfahrungen der letzten Jahre nicht mehr. Es gibt sogar Borderline-Spezialstationen, wenngleich noch gering an Zahl und damit Aufnahme-Kapazität. Werkstatt aber in der Regel ungeeignet Pubertät Dann kommt der Schock: Die Pubertät. Für viele Erwachsene ist der Sprössling während dieser Phase fremd und unverständlich. Die Arbeit von Jahren scheint über Nacht einfach verpufft zu sein. Pubertät „Ist mir doch egal!“ „Du hast doch keine Ahnung!“ Pubertät Mit Eintritt der Pubertät verändert sich das gesamte Gehirn und fördert hiermit das für Jugendliche typische Verhalten zu tage. Die Pubertät ist eine Zeit der ständigen Überforderung und der Grund dafür liegt in den massiven Veränderungen, die das menschliche Gehirn in dieser Zeit erfährt. Das Verhaltensspektrum Pubertierender reicht in den Jahren zwischen 13 und 20 von tiefer Depression bis zu Euphorie. Pubertät Es werden die Verbindungen im Gehirn, die in der Kindheit aufgebaut wurden, wieder gelöst. Dies geschieht nach dem Prinzip: Was gebraucht wird bleibt, was brach liegt wird abgebaut. Bei diesen Prozessen verlieren Jugendliche ca. 15 % ihrer Hirnmasse Schneller Verbindungen entstehen Pubertät Elektrische Isolierung =Myelinisierung – schnellere und effektivere Übertragung Pubertät Vor allem in der Pubertät werden Verzweigungen die sich in der Kindheit gebildet haben wieder beschnitten. Verknüpfungen, die häufig beansprucht werden, bleiben erhalten, ja, werden sogar verstärkt. Waren diese Verknüpfungen vorher noch instabil, so werden sie jetzt –so beschrieb es ein Artikel einmal- wie mit Wachs überzogen, stabilisiert und die Übertragung schneller. Solche Verknüpfungen aber, die kaum gebraucht wurden, verkümmern und verschwinden. Pupertät Bei Jungs reift bei Einsetzen der Pubertät zunächst der Hippocampus aus. Dieser ist zuständig für das draufgängerische Verhalten. Bei Mädchen ist die erste Station die Ausreifung der Amygdala. Sie ist das „Zentrum für Gefühlswallungen“. Pubertät Der Vorgang beginnt am hinteren Ende des Gehirns und arbeitet sich dann nach vorne durch. Hier beginnt das eigentliche Dilemma, die das Verhalten bedingt. Exakt während der Jahre, in denen sich die Wandlung vom Kind zum Jugendlichen und dann zum Erwachsenen vollzieht, ist das Frontalhirn der Heranwachsenden eine Großbaustelle, auf der die ordnende und strukturierende Instanz fehlt Pubertät Im vorderen Teil des Gehirns sind höhere Funktionen beheimatet wie Motivation, Planung, die Abschätzung von Konsequenzen und die Impulskontrolle. Die Jugendlichen sind motivationslos. Auch Entscheidungen können von Jugendlichen nur schwer getroffen werden. Die hierfür erforderlichen Zentren sind ebenfalls im Frontalhirn angelagert. Normale Hirnentwicklung • Feste Reihenfolge • Von hinten nach vorn • Kann bis zu 30 Jahre dauern Vernunftgesteuertes Handeln und Sozialverhalten entwickeln sich zuletzt, v. a. bei Jungen! Pubertät Die systemübergreifende Koordination Kontrollinstanz: Verhaltens- und Impulskontrolle Arbeitsgedächtnis Entscheidungsfähigkeit Verantwortungsbewusstsein Einfühlungsvermögen Vernunftgesteuertes Handeln Sozialverhalten Höhere geistige und emotionale Fähigkeiten Pubertät Ein weiterer Umstand kommt erschwerend hinzu. Die Wirkung molekularer Botenstoffe (Neurotransmitter), die im Gehirn viele Funktionen ausüben und das allgemeine Erregungsniveau des Gehirns nachhaltig beeinflussen, wird bei Erwachsenen vom Frontalkortex moduliert. Pupertät Für eine normale Erregung des Gehirns und damit für optimale Verhaltenssteuerung ist ein moderater Dopaminspiegel notwendig. Ein Übermaß an Dopamin im Gehirn bewirkt hyperaktives Verhalten, Defizite in der Aufmerksamkeitssteuerung und einÜberschießen an Emotionen. Genau das ist der Fall, wenn die Aktivität der dopaminergen Bahnen auf die «Lustzentren» nicht durch ein hemmendes Eingreifen des Frontalkortex herunter geregelt wird. Teenager müssen somit für einige Jahre weitgehend ohne eine neuronale Bremse im Kopf auskommen. Pupertät Der Hang Jugendlicher, gefährliche Risiken einzugehen, oftmals die Vernunft einem ungezügelten Lustprinzip zu opfern, ihre Schwierigkeiten, Regeln und Grenzen zu respektieren ihre Emotionen im Griff zu halten, Pupertät ihre Ohnmacht, sich in vielen alltäglichen Situationen aus der Sicht der Erwachsenen adäquat und vernünftig zu verhalten, ist primär dem Umstand geschuldet, dass die «Spassbremse» im Kopf nicht vorhanden ist. Pupertät Auch eine erhöhte Anfälligkeit für den regelmäßigen und übermäßigen Konsum von psychoaktiven Substanzen (Alkohol, Cannabis, Methylamphetamine etc.) ist dadurch erklärbar Es ist das Unvermögen aufgrund der mangelnden Reifung des Frontalhirns die langfristigen gesundheitlichen und psychosozialen schädlichen Folgen des Substanzmissbrauchs zu antizipieren und zu kontrollieren. Pubertät Der schnelle «Kick», den die dopamingefluteten Belohnungszentren im Gehirn auslösen, wird von den Jugendlichen als begehrenswerter empfunden als eine rationale und vernünftige Auseinandersetzung mit dem Thema Drogenkonsum». Pubertät Eine Pubertät ohne schwierige Phasen und Krach mit den Eltern ist keine Pubertät! Und: Pubertär unausgeglichenes Verhalten ist auch zum Teil eine Nebenwirkung der Hormone und der Hirnreifung! Umgang mit der Pubertät Voraussetzungen: Auch wenn sie so aussehen, sie sind (noch) keine Erwachsenen! Wir sollten uns (ohne Panik) auf Risikoverhalten einstellen! Jugendliche brauchen mehr Schlaf als Erwachsene! 4. Nur eine Sache auf einmal! Junge Wilde Biologische Pubertät bei intellektuell eingeschränkten Menschen deutlich verzögert und verlängert (2-15 Jahre) Kognitive Defizite erschweren ein Verständnis der Veränderung (unrealistische Zukunftspläne sind die Folge) Wunsch nach Freiheit bei gleichzeitig beschränkten Möglichkeiten kann zu aggressivem regressiven oder distanzlosen Verhalten führen Heterosexuelle Beziehungen müssen in der Regel begleitet werden Junge Wilde Typ 1 Definition: Personen, mit einem IQ zwischen 70 und 85 – manchmal auch über 85, die weder geistig behindert – „oft nicht einmal lernbehindert sind obwohl sie oft große Lerndefizite haben, Sie sind auch nicht chronisch psychisch krank, sodass man von einer psychischen Behinderung sprechen kann obwohl sie häufig auch schon Psychiatrieaufenthalte hatten. Junge Wilde Typ 1 Sie sind aber verhaltensgestört und in ihrer Persönlichkeit so unreif, dass sie nicht in der Lage sind, sich eigenständig zu versorgen und im Leben zu orientieren. Besonders auffällig ist, dass sie nur begrenzt gruppen- und gesellschaftsfähig sind. Ihre Zukunft ist ihnen in der Regel egal oder ihre Zukunftsvorstellungen sind unrealistisch. Junge Wilde Typ 1 das Lebensalter ist häufig 20, das Entwicklungsalter ca. 12, d.h. pubertär Keine Einschränkungen in der Groß- und Feinmotorik Stärken: Relativ schnelle Auffassungsgabe Großes Interesse / Motivation an Maschinen Sichere räumliche und zeitliche Orientierung Junge Wilde Typ 1 Sprachlich zumeist unauffällig und erreichbar Interesse an sozialen Beziehungen (GL, SD) Offensives Hilfesuchverhalten Relativ anpassungsfähig in komplexen oder neuen sozialen Situationen Oft hilfsbereit Teilweise hoch motiviert. Junge Wilde Typ1 Probleme im Werkstattalltag: Umgang mit ständiger Unpünktlichkeit Umgang mit hohen Fehlzeiten Umgang mit gezieltem Ausnutzen von Nischen und Großzügigkeit Umgang mit Regelverletzungen Umgang mit Delinquenz in der WfbM Umgang mit Drogenkonsum Akzeptanzprobleme zwischen den Personenkreisen Betreuerisches Handeln Beschäftigte wert schätzen und ernst nehmen Autorität gewinnen durch konsequentes Verhalten, verlässlich / gerecht sein, authentisch / glaubwürdig sein. Regeln, die aufgestellt werden auch selber einhalten. Konfliktbereit sein, aber auf keine langen Diskussionen einlassen Einzelne klare Regeln Symbole benutzen um Verbindlichkeit von Regeln zu besiegeln („Hand drauf“) Betreuerisches Handeln Mit einfachen Regeln beginnen und loben !!! bei Einhaltung Konsequenzen bei nicht Einhaltung von Regeln können sein: soziale Konsequenzen – z.B. sozialer Rückzug (Distanzierung), traditionelle Dinge einfordern wie Entschuldigung oder Wiedergutmachung Bei ernsten Vorfällen als Konsequenz Freistellung, Suspendierung aber auch Kündigung bei Fehlverhalten sein Betreuerisches Handeln Belohnungen sollten vorher überlegt werden – was machen wir wenn alles klappt (schriftlich, visualisieren – smilies etc.) Personenkreis 1 erfordert im wesentlichen pädagogisches Handeln, das Einhalten von Verhaltensverträgen kann erwartet werden Personenkreis 2 erfordert interdisziplinäres Vorgehen mit psychologischen und psychiatrischen Diensten Gemeinsamkeiten Tendenz, ohne Berücksichtigung der Konsequenzen zu handeln Streitereien und Konflikte mit anderen insbesondere bei Kritik Explosives Verhalten Unbeständige unberechenbare Stimmung Hohe Fehlzeiten Gemeinsamkeiten Schwierige soziale Verhältnisse Eltern mit psychischen Erkrankungen Trennung der Eltern Emotionale Vernachlässigung Mißhandlung sexueller Mißbrauch Unterschiede IQ Bereiche Suizidalität Idealiserung Komorbidität Trotzverhalten Motorische Geschicklichkeit Distanzlosigkeit Unterschiede Sprachliches Verständnis Motivation Prosoziales Verhalten Regelverständnis Auftretenshäufigkeit Borderline-Störung geschätzt Lebenszeitprävalenz 2-3% der Bevölkerung mit zunehmender Abnahme im Alter (9% bei jungen Erwachsenen unter 1% im Alter und auch in WfbM ca. 1%) Junge Wilde Typ II < 0,1% der Bevölkerung in WfbM ca. 1% Auftretenshäufigkeit Schätzzahlen Junge Wilde Typ 1 Consens Studie 2007 belegt ca. 8% der WfbM Neuaufnahmen sind Junge Wilde Typ1 „Deutlich wurde auch, dass Menschen mit einer Lernbehinderung und zusätzlichen Diagnosen sowie Menschen, die eine milieubedingte ‚Negativkarriere‘ durchlaufen, bereits Aufnahme in Werkstätten finden Auftretenshäufigkeit Aber auch Menschen mit Lernbehinderung, die keine weiteren Einschränkungen haben, fragen zunehmend einen Qualifizierungsplatz in WfbM nach. Problem der Diagnostik und Abgrenzung nach oben (wer darf rein wer nicht) Diagnostik Versorgungsdiagnostik Geistige Behinderung wird bescheinigt Psychiatrische Erkrankungen z.B. Borderline auch wenn nicht vorliegend wird diagnostiziert Beliebt ist auch Autismus bei introvertierten Betreuten oder Schwere Persönlichkeitsstörung Diagnostik WfbM wird Auffangbecken für Personen, die aufgrund von Leistungsproblemen unterschiedlicher Ursache auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht vermittelt werden können. Ihre Abweisung würde unter den gegebenen Bedingungen zu Langzeitarbeitslosigkeit führen.“ (ebd. 6) Diagnostik Problematik wird inzwischen auch von Kostenträgern anerkannt Lernbehinderung plus als wesentliche Behinderung definiert Plus bedeutet weiteren Beeinträchtigungen wie: Diagnostik Kompetenzminderung in der Lebensbewältigung, herausforderndem Verhalten, sozialer und emotionale Beeinträchtigung Selbstversorgung Statistik .Junge Wilde Typ 1 sind überwiegend Quereinsteiger 80% kommen nicht direkt von der Schule Häufigste Schulform ist die Sonderschule L die aber ihrerseits nicht homogen ist im intellektuellen Vermögen ihrer Schüler Statistik IQ Intervalle 40-59 60-69 70-79 80-89 90-99 >100 In % 4,7% 15,8% 31,1% 30,8% 13,1% 4,5% Statistik Der Anteil derjenigen die als Schüler mit Verhaltensauffälligkeiten wie Aggression, Schulverweigerung, Delinquenz, Hyperaktivität, selbstverletzendes Verhalten auffielen ist in der LB Schule deutlich erhöht 40-50% Statistik Es scheint nicht so zu sein, dass die von sozialer Benachteiligung betroffenen Personen abnehmen würden, nach Böhnisch (2003, 261) nehmen sie sogar stark zu. Der Autor spricht mit Bezug auf den spezifischen Fachdiskurs von gut 10% die sich „nach unten von der Bevölkerung entfernt haben und kaum noch eine Arbeitsbiographie haben“.