WDR 5 Tiefenblick Islam (1/4) - Sunniten und das Ringen um die wahre Lehre. Zitator Koran: „Trag vor im Namen deines Herrn, der alles erschaffen hat. Und den Menschen aus einem klebrigen Tropfen erschuf. Trag vor, bei deinem Herrn, dem glorreichsten, der den Gebrauch der Feder lehrte und den Menschen lehrt, was er nicht wusste...“ Atmo: Zeltlager in der Wüste, Schritte O-Ton Mohammed Bannounah: We are now north and east of Riad. This area a lot of people they make camp and tent, they come on weekend with families, with friends, to stay just a weekend and be back to Riad, you know. Übersetzer: Wir sind jetzt nordöstlich von Riad. In dieser Gegend bauen viele Leute aus der Stadt ihre kleinen Camps auf, stellen ihre Zelte hin, verbringen das Wochenende hier mit der Familie oder mit ihren Freunden. Anschließend fahren sie wieder nach Riad zurück. Atmo-Schritte Autor: Mohammed Bannounah ist Offizier der saudischen Nationalgarde und zugleich ein typischer Bewohner der saudischen Hauptstadt. Naht das Wochenende, kehrt er seinem militärischen Bürojob den Rücken. Seine Freizeit verbringt er am liebsten mit Freunden in der Wüste, mit Männern, die ihm gleichen: mit Beamten, Verwaltungsangestellten, erfolgreichen Geschäftsleuten. Atmo: Zeltlager in der Wüste, Begrüßung, Klirren, Auspacken der Kühlbox, Handyklingeln… Sie treffen sich bei Sonnenuntergang - ein paar Kilometer vor der Hauptstadt des Königsreichs Saudi-Arabien. Zwischen den Dünen haben sie ihr kleines Lager aufgeschlagen. Generatoren rattern unablässig und sorgen dafür, dass es auch mitten im Wüstensand kalte Getränke und heißes Grillfleisch gibt. Atmo: … Stimme Mohammed: “If you would like to wash your hands...” - Wasser wird über Hände gegossen Ein Bediensteter geht vorbei und schüttet allen aus einer hohen Messingkaraffe Wasser über die Hände. Denn gegessen wird aus ein und derselben riesigen Schüssel. © Westdeutscher Rundfunk Köln 2016 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. Atmo: … Essen Autor: Smartphones klingeln unablässig, mobile Klimaanlagen surren – Mohammed Bannounah und seine Freunde sind 24 Stunden vernetzt. Was nichts daran ändert, dass sie sich an denselben Gebräuchen orientieren, wie die Menschen, die hier 1400 Jahre früher lebten, zu der Zeit, als der Islam entstand. Sprecher: Mekka um das Jahr 600, eine pulsierende Stadt, gebaut aus Lehm, Holz und Leinwand. Kreuzungspunkt zweier international wichtiger Handelswege: Der Ost-West-Achse von Afrika nach Asien und der Nord-Süd-Achse vom Persischen Golf Richtung Europa. Im Norden herrschen die Nachkommen des Römischen Weltreichs, die christlichen Byzantiner, im Osten die Sassaniden, die Dynastie der persischen Kaiser. O-Ton Abu Zaid: The Tribal society in the Arabic Peninsula was reaching its end. People were literally killing each other. Tribes were fighting all over – for the grass, for the water. So, tehey were going to finish eacht other. Übersetzer: Die Stammesgesellschaft auf der Arabischen Halbinsel war am Ende. Die Leute waren im wahrsten Sinne des Wortes dabei, sich gegenseitig umzubringen. Überall lagen die Stämme im Kampf, stritten um Weidegründe, um Wasser. Sie waren drauf und dran, sich gegenseitig auszulöschen. Sprecher: Beide Großmächte unterhalten ihre Vasallen unter den Arabern und bezahlen sie dafür, ihre jeweiligen strategischen Interessen wahrzunehmen. Die Araber sind Polytheisten. Deshalb geht es in den Konflikten immer auch um den Ruhm und die Vormacht der jeweiligen Gottheiten. Krieg ist auf der Arabischen Halbinsel des 7. Jahrhunderts der Normalzustand. O-Ton Abu Zaid: The tribes invented what is called the sacred months. Sacred months was intended to create a period of peace in order not for the population to perish. Simply because they have three months in which commerce and business can go on and stop fighting. And all the tribes respected this. Übersetzer: Die Stämme entwickelten daher die so genannten „heiligen Monate“, als eine wiederkehrende Periode des Friedens, damit die Bevölkerung auf der Halbinsel 2/16 © Westdeutscher Rundfunk Köln 2016 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. nicht ausstarb. Während dreier Monate konnte man in Frieden Handel treiben, das Kämpfen hörte auf. Und alle Stämme hielten sich daran. Autor: Nasr Hamid Abu Zaid. Ägypter. Und einer der führenden arabischen Religionswissenschaftler und Spezialist für die Frühzeit des Islam. Sprecher: Wenn einmal im Jahr die Waffen schweigen, verwandelt sich die Handelsstadt Mekka in ein Pilgerzentrum. In einem würfelförmigen Bau, der Kaaba treffen sich die Stammesführer zu politischen Palavern oder einfach, um alte Beziehungen zu erneuern. Und es geht um Geschäfte, um An- und Verkauf, Imund Export, kurz: um Geld. Autor: Geschäftstüchtigkeit ist auch den Bewohnern des heutigen Saudi Arabien durchaus nicht fremd. Atmo: … Fußmarsch Doch gerade deshalb, meint Mohammed Bannounah, ist es ein Segen, dass es die Wüste noch gibt. Nach dem Essen schlägt er den Vorhang des Zeltes zurück und beginnt querfeldein hinaus in die Dunkelheit zu marschieren. O-Ton Mohammed: A lot of Saudis now they have villas and they have buildings and they have good jobs, they speak English, they play with computers and everything but in desert life you feel, you re a prince, you are a king. You don’t think about anything of this life. And it’s easy life. And your eyes can walk and see everything. But inside the cities you can’t see anything. You can see inside yourself in desert. You can learn a lot of things. Übersetzer: Viele Saudis wohnen heutzutage in ihren Villen oder in Hochhäusern, sie haben gute Jobs, sprechen Englisch, spielen mit Computern, aber hier in der Wüste fühlst du dich wie ein Prinz, wie ein König. Du denkst nicht über irgendwas im Leben nach. Deine Augen schweifen über den Himmel, du kannst alles erkennen. In der Stadt erkennst du nichts. In der Wüste blickst du in dich selbst hinein. Und dadurch lernst du eine ganze Menge. Autor: So wie die gestressten Geschäftsleute aus Riad am Wochenende gern den Alltag hinter sich lassen, entfloh Mitte des 6. Jahrhunderts auch Mohammed, ein junger Kaufmann aus Mekka, dem Alltag. Jenseits der Handelskontore mit ihrer Jagd nach Geld suchte er die Einsamkeit der Wüste, um sich zu sammeln. 3/16 © Westdeutscher Rundfunk Köln 2016 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. Meditieren würde man heute sagen. Und dabei wurde ihm die erste Offenbarung zuteil: Sprecher: Die eines einzigen Gottes, der eine ganz andere neue Ordnung verheißt und sich an Aspekten des Monotheismus orientiert, wie er durch Juden und Christen bereits gelebt wird. Autor: Gott selbst sprach über Mohammed zu den Menschen – so der Glaube. Zitator Koran: „Trag vor im Namen deines Herrn, der alles erschaffen hat. Und den Menschen aus einem klebrigen Tropfen erschuf. Trag vor, bei deinem Herrn, dem glorreichsten, der den Gebrauch der Feder lehrte und den Menschen lehrt, was er nicht wusste...“ Autor: ... lautet die erste Offenbarung. Zahlreiche neue Botschaften folgten. Aus ihnen kristallisierten sich einige grundlegende Regeln heraus: Sprecher: Das Wort Islam bedeutet Unterwerfung, völlige Hingabe. Unterwirf dich dem einen Gott und folge seiner Offenbarung. Bete fünfmal am Tag. Faste einmal im Jahr im heiligen Monat Ramadan und nimm von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang weder Essen noch Trinken zu dir. Spende den Armen und Bedürftigen Zakat, die Armensteuer. Autor: Mohammads Offenbarungen vor 1400 Jahren bildeten die Grundlagen des Islam, im damaligen Umfeld kamen sie einer Revolution gleich. Einer radikalen geistig-moralischen Erneuerung. O-Ton Abu Zaid: Look to Christianity. In the context of the stagnation of the jewish community at the time, it was a project to break through, to establish a new order. To get out of the old stagnised order of religion and of society at the meantime. It applies to Islam. Übersetzer: Wenn Sie das Christentum betrachten – da ist das ähnlich abgelaufen. In einer Zeit, da die jüdische Gemeinschaft stagnierte, entstand es als ein Projekt, das darauf abzielte, eine neue Ordnung herzustellen, aus der alten stagnierenden 4/16 © Westdeutscher Rundfunk Köln 2016 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. Ordnung dieser Religion und dieser Gesellschaft herauszufinden. Und das Gleiche gilt auch für den Islam. Autor: Heute ist es der Terror des so genannten islamischen Staates in Syrien und im Irak, der den öffentlichen Blick auf den Islam prägt. Mitte der 1990er Jahre, als ich Professor Abu Zaid traf, berichteten die Medien täglich über den Terror der „Bewaffneten Islamischen Gruppe“, GIA, in Algerien. Kaum eine Woche verging ohne Entführungen oder Enthauptungen - Morde verübt an Ausländern und Andersgläubigen. Das Gespräch mit dem ägyptischen Islamforscher eröffnete mir eine neue Perspektive. Abu Zaid vermochte schlüssig darzulegen, weshalb seiner Ansicht nach die Religion, die da im siebten Jahrhundert in der arabischen Wüste entstand, nicht einen zivilisatorischen Rückschritt bedeutete, sondern im Gegenteil eine der Quellen der Moderne war. O-Ton Abu Zaid: What is modernisation? Modernisation is a movement in order to establish a new order in the social, political, economical and scientific level, intellectual level. When the old order is going through a crisis, modernity comes here in order to abolish the order and to establish a new order. This is a society which was threatened to disappear because the tribal order was just reaching its final crisis. So, here comes the Islam as a messag to etsablish a new order and you could say: well, of course – it’s modernity. Übersetzer: Was ist Modernisierung? Nichts Anderes als eine Bewegung, die eine neue Ordnung aufrichten will, sozial wirtschaftlich, wissenschaftlich. Wenn das Althergebrachte in der Krise ist, erscheint die Modernität und stellt eine neue Ordnung her. Die arabische Gesellschaft war tatsächlich vom Aussterben bedroht. Die Stammes-ordnung hatte das finale Stadium ihrer Krise erreicht. Der Islam kam mit der Botschaft, eine neue Ordnung zu errichten. Und das können Sie gut und gerne als Modernität bezeichnen. Autor: Die Siegelbewahrer der alten Ordnung waren in Mekka die Kora’isch, eine mächtige Großfamilie. Mohammed gehörte einem verarmten Zweig dieser Stadt-Aristokratie an. Die Kora’isch verwalteten das allen Stämmen gemeinsame Heiligtum, die Kaaba. Je lauter Mohammed als Prophet nun seinen Monotheismus verkündete, desto empfindlicher störte das die Interessen der führenden Familie: 5/16 © Westdeutscher Rundfunk Köln 2016 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. Atmo: Koranrezitation – Sure 1 Sprecher: Was, wenn der Prophet der neuen Religion die Jahrhunderte lang gewachsenen Gebräuche abschafft – die Pilgerzeit, die Verehrung des KaabaHeiligtum oder die Rolle der Kora’isch als Hüter der Religion? Die Mekkaner Elite macht mobil. Mohammed ist seines Lebens nicht mehr sicher und nimmt eine Einladung der Stämme von Medina an. Dort schart er eine wachsende Gemeinde von Muslimen um sich. Zwischen seinen Anhängern und den Mekkanern kommt es zu Feldzügen. Doch am Ende setzt sich der islamische Staat von Medina durch. Nicht nur durch militärische Überlegenheit, sondern auch weil Mohammed die Schlüsselfiguren seiner Heimatstadt davon überzeugen kann, dass ihre Interessen nicht gefährdet sind. Autor: Das Althergebrachte wurde also nicht ausgelöscht, sondern sollte neu gedeutet werden. Atmo: Koranrezitation – Sure 112 Sprecher: In den Offenbarungen des Propheten erscheint die Kaaba als Zentrum eines neuen Monotheismus: Als Haus, das der Gottsucher Abraham seinem Herrn bereits errichtet hatte. Und auch die Pilgerzeit wird eingemeindet und als Hadsch zu einem der fünf Grundpfeiler des Islam. Autor: Angesichts der Zugkraft dieser rasch anwachsenden neuen Religion, gaben die Würdenträger der Kora’isch ihren Widerstand gegen den Monotheismus schließlich auf und setzten sich sogar an die Spitze der neuen Bewegung. Sprecher: In dem Paradigma eines islamischen Staates erkennen sie ein ideales Mittel für ihr Projekt: die arabische Halbinsel zu unterwerfen. Autor: Und genau darin lag das Problem, meint Abu Zaid. Ein Problem, das der Islam bis heute nicht losgeworden ist. O-Ton Abu Zaid: Islam as to start with, you could speak about modernity but as long as the state is proclaiming religion, religion is used against its essential values. It’s used by 6/16 © Westdeutscher Rundfunk Köln 2016 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. the authority to legitimize the actions of the authorities against the people. In reaction, people will try to use religion in order to protest against the authority. In both cases, religion is used. Übersetzer: An seinem Anfang lässt sich der Islam also als ein Modernismus beschreiben. Aber sobald der Staat sich zum Sachwalter der Religion macht, wird die Religion instrumentalisiert, und zwar entgegen ihren grundlegenden Werten. Die Religion gerät zum bloßen Mittel, um die Handlungen des Staates zu rechtfertigen. Die Folge ist, dass sich dann wiederum die Bevölkerung der Religion bedient, um gegen den Staat zu protestieren. In beiden Fällen dient die Religion lediglich als Mittel zum Zweck. Autor: Macht und Protest - der Dualismus setzte schon bald nach dem Tod Mohammeds ein, als es um seine Nachfolge ging. Und immer dann, wenn - in den folgenden Jahrzehnten nach dem Tod eines Chalifa - die Frage nach der Führung erneut anstand. Der bedeutendste Konflikt entzündete sich an der Person Alis, des Schwiegersohns des Propheten. Die Mekkaner Elite der Kora’isch betrachtete Ali nicht als einen der ihren und ermordete ihn. Atmo: Muharram Trauerzug Sprecher: Alis Söhne schwingen sich zu Wortführern einer Protestbewegung auf, der Sch’iat Ali, der Partei Alis. In der Schlacht von Kerbela fügt die Armee der Kora’isch den Schiiten eine vernichtende Niederlage zu. Autor: Bis heute befinden sich die Schiiten, die Anhänger Alis in einer Minderheitenposition und betrachten sich weltweit als latent Unterdrückte und Zukurzgekommene. Atmo: Muharram, Trauerzug Aus der Trauer über das verlorene Kalifat und den Tod der Söhne Alis entwickelten sich Rituale der Selbstkasteiung. Denkschulen entstanden, die im Staat und der Staatsmacht nicht die Sachwalter göttlicher Gerechtigkeit sehen, sondern im Gegenteil: die Sachwalter der ungöttlichen irdischen Ungerechtigkeit. Unter den siegreichen Kalifen aus der Linie der Kora’isch hingegen verwandelt sich der islamische Staat in eine Art Erbmonarchie. Atmo: Zelt, Wüste 7/16 © Westdeutscher Rundfunk Köln 2016 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. O-Ton Mohammed: Abdallah Bin Abdel Aziz. That his picture. Do you see him? Yes. We love him, yeah. Übersetzer: Das ist Abdallah Bin Abdel Aziz. Siehst du sein Bild? Wir lieben ihn. Autor: In der saudischen Hauptstadt Riad zieht Mohammed Bannounah, Offizier in der saudischen Nationalgarde, ein Foto des Herrschers aus der Tasche. O-Ton Mohammed: You can visit him in his office. Any citizen in Saudi Arabia can visit him in his office or in his palace. And if you have any problem or like that you can write your problem and talk with him. He meets the people, anyone. He opens the doors. Really. You can meet him any time. Übersetzer: Du kannst ihn in seinem Büro besuchen. Jeder saudische Bürger kann ihn da oder auch in seinem Palast besuchen. Und wenn du ein Problem oder so was hast, kannst Du ihm schreiben und dann darüber mit ihm sprechen. Er öffnet seine Türen. Wirklich! Du kannst ihn treffen, jederzeit! Autor: Wer es heute in Saudi Arabien, dem Ursprungsland des Islam, zu etwas bringen will, muss sich irgendwie mit der Königsdynastie vernetzen. Egal was man braucht, eine Wohnung, ein Haus, einen Kredit, ein neues Auto… oder auch bei persönlichen Problemen, Sorgen, Streit mit den Nachbarn, Vorgesetzten oder Untergebenen... im Zweifelsfall einfach zum Führer gehen und ihn demütig um Hilfe bitten. 8/16 © Westdeutscher Rundfunk Köln 2016 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. Prinz Turki Bin Sultan Bin Abdelaziz: We always go with our islamic religion – what is legal to discuss and what is not legal to discuss… Übersetzer: In Saudi Arabien richten wir uns ohne Kompromisse nach unserer islamischen Religion und achten strikt darauf, was sich diskutieren lässt und was nicht. Autor: Im heutigen Saudi Arabien hat die Deutungshoheit über den Islam nicht mehr der Stamm der Kora’isch und auch nicht die Omayaden, einer ihrer Familienclans, sondern die Familie al Saud. In dieser Familienhierarchie steht Prinz Turki Bin Sultan weit oben; er ist ein Enkel von König Abdelaziz, jenes Stammesführers, der die Herrscherdynastie der Saud im frühen 20. Jahrhundert begründet hat. Jemand wie Prinz Turki kann Türen öffnen oder verschließen. Und er kann sagen, was die Religion erlaubt und was sie verbietet. Prinz Turki Bin Sultan Bin Abdelaziz: But for us, I mean… if you really got deep into Islam, there is many things that help the country and help the nation. So we all have a great respect for this. Übersetzer: Viele Aspekte des Islam haben bei der Entwicklung unseres Landes eine Rolle gespielt. Der Islam hat unsere Nation zu dem gemacht, was sie heute ist. Und deshalb haben wir dafür den tiefsten Respekt. Autor: Wo aber steht geschrieben, was diskutiert werden darf und was nicht? Nach dem Tod Mohammeds ist der Islam zunächst noch eine Mischung aus mündlich Tradiertem und vereinzelt schriftlich niedergelegten Quellen. Sprecher: Kalif Othman, der dritte Prophetennachfolger, ordnet an, Klarheit in die religiöse Überlieferung zu bringen. Er lässt eine verbindliche Textsammlung erstellen: den Koran. Hinzu kommt bald darauf eine weitere Quelle: die Hadithe – die Aussprüche und Handlungsweisen des Propheten. Je deutlicher der rasch wachsende islamische Staat an Kontur gewinnt, desto mehr bedarf es auch eines neuen Rechts. Auf der Grundlage von Koran und Hadithen, entsteht die Scharia: der Weg. In den einzelnen Regionen des inzwischen angewachsenen islamischen Reiches formulieren unterschiedliche islamische Gelehrte Antworten auf die wichtigsten Rechtsfragen des Alltags. Antworten, die wiederum zu neuen Quellen werden. 9/16 © Westdeutscher Rundfunk Köln 2016 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. Atmo: Koranrezitation – Sure 99 Autor: Unter den wachsamen Augen der Herrscher kristallisiert sich die Sunna heraus, eine Art kleinster gemeinsamer Nenner. Eine allgemein geteilte und verbindliche Meinung darüber, wie sich ein Muslim verhalten soll, wenn er dem Beispiel der Urgemeinde von Medina folgen will. Ebenso alt wie die Festlegung des Überlieferten, ist allerdings der Vorwurf, die Auftraggeber, also die Kalifen, seien nicht unvoreingenommen vorgegangen. Sie hätten mithilfe willfähriger Korangelehrter eine pseudoreligiöse Tradition begründet. Eine vernunftfeindliche Tradition, die den Gläubigen vor allem Unterwerfung und Gehorsam abverlangt. Nicht nur Gehorsam gegen Gott, sondern gegenüber der quasi-göttlichen Autorität des Kalifen als Staatsführer, Armeechef und Oberstem Richter. Als kritischer Gegenentwurf dazu entwickelt sich im Zusammenhang der Sunna bereits sehr früh ein Rationalismus. Islamische Denker greifen auf die Quellen der griechischen Philosophie zurück und stellen dem Paradigma von Einheit und Gehorsam ein anderes gegenüber: das der Vernunft. O-Ton Abu Zaid: Here comes the Mutazilites and try to intruduce a fresh understanding of religion. A metaphorical explanation of demystification of the text, learning from the greek, they introduced a new modernism within islamic thougth; come the philosophy. Übersetzer: Die Bewegung der Mutaziliten versuchte, ein frisches, metaphorisch orientiertes Verständnis der Religion zu etablieren. Den Text zu entmystifizieren. Indem sie von den Griechen lernten, führten sie eine neue Modernität in den Islam ein. Die Philosophie tritt auf. O-Ton Hans Küng: Und in der Zeit kam es eben zu dieser rationalen Theologie, weil in der Begegnung mit der griechischen Philosophie auch viele Muslime den Eindruck hatten, man muss die Vernünftigkeit des Islam darstellen, von der Physik bis zum Gottesverständnis. Autor: Der katholische Theologe Hans Küng ist überzeugt, dass der Islam dadurch die Fundamente auch für die westliche Moderne gelegt hat. O-Ton Hans Küng: 10/16 © Westdeutscher Rundfunk Köln 2016 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. Die Vernünftigkeit hat da eine ganz neue Rolle gespielt und hat zu einer richtigen Blüte einer rationalen Theologie geführt, längst bevor das im Christentum in der Scholastik geschah Das Spannende daran ist, dass im Christentum große Denker wie Albertus Magnus und Thomas von Aquin diese Impulse, die Averroes gegeben hat, in der Vermittlung des großen griechischen Philosophen Aristoteles, dass sie die aufgenommen haben. Autor: Gelehrte wie der arabische Philosoph und Arzt Ibn Ruschd, in Europa als Averroes bekannt, versuchten im 12. Jahrhundert die Religion mit dem wissenschaftlichen Erbe der Griechen in Harmonie zu setzen. Schließlich liegt die Essenz der Botschaft ja in einem Gott, der unvorstellbar ist und keine menschlichen Eigenschaften besitzt – für Averroes also der Inbegriff der metaphysischen Weisheit, und das, was Plato als „Logos“ bezeichnet hatte. Um diesen Gott zu beschreiben, interpretierten also die Rationalisten koranische Begriffe wie Gottes Thron, Gottes Angesicht symbolisch. Doch war ihnen nur eine kurze Blütezeit beschieden. O-Ton Hans Küng: Die arabische Philosophie hat eine ganz große Zeit gehabt in Spanien. Aber dort ist mit Ibn Ruschd, mit Averroes, wie wir ihn lateinisch nennen, der letzte große arabische Philosoph dann verbannt worden und da hat sich gezeigt: es ist aus. Es haben damals die Traditionalisten gewonnen, die Gottesgelehrten, die den Koran wörtlich nehmen wollten, wollten nicht, dass man das rational versteht, dass man versucht, das auf vernünftige Weise zu interpretieren, sie fanden, das wird den Islam untergraben. Und seither ist der Islam zurückgeblieben. Insofern fängt die Stagnation schon sehr früh an und der Islam hat das nicht mehr hergekriegt Autor: Das islamische Recht, die Scharia gilt im Sunnitentum als abgeschlossen und unantastbar. Sprecher: Seit dem 12. Jahrhundert tritt anstelle von Diskussion und neuen Ideen im sunnitischen Islam nun vollends das Paradigma der Einheit. Nicht diskutieren oder kritisieren oder nach Neuerungen suchen, sondern sich dem unterwerfen, worauf sich alle einigen können und was in der islamischen Überlieferung fest geschrieben ist. 11/16 © Westdeutscher Rundfunk Köln 2016 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. Autor: Zugleich wird alles als Irrweg abgetan, was in Mohammeds Urgemeinde von Medina vermeintlich keine Rolle spielte: Wie Philosophie und Wissenschaften aller Art. Sprecher: Bid’a, das Wort für Neuerung gerät beinahe zum Schimpfwort. Es trägt den Vorwurf der Abweichung in sich vom einzig möglichen Weg, vom gesegneten Leben, wie es der Prophet in seiner Urgemeinde vorgeschrieben hatte. Autor: Seit den 1980er Jahren verbreiten die am Golf geschulten sunnitischen Korangelehrten weltweit einen Islam der Tabus und Denkverbote. Atmo: Krankenhaus, Schublade wird aufgezogen Autor: King Saud Hospital in Riad, Saudi Arabien. Im Sektionssaal zieht ein Professor eine Schublade auf. Es erscheint eine Art Mumie, ein menschlicher Körper, ohne Haut. Muskeln und Knochen liegen offen. O-Ton Professor: Dr Gunter, he came her about two times. He brings bodies. Every year about forty bodies. To our department. He shipped by air. I show you. It is very difficult ot get it… about religion, you know what I mean. But in Germany it’s very easy. You can get this by telephone. Übersetzer: Sehen Sie? Dr. Gunther ist zweimal hergekommen. Er bringt uns die Leichen. Jedes Jahr liefert er unserer Abteilung vierzig Leichen, per Flugzeug. Ich zeige Ihnen welche. Die sind bei uns schwer zu bekommen. Der Religion wegen. In Deutschland bekommt man sie ganz einfach, ein Anruf genügt. Autor: In Saudi Arabien - so verdeutlicht der Professor – sind Leichen für die Anatomie Mangelware. Um Medizinstudenten adäquat auszubilden, ist die Kenntnis des menschlichen Körpers zwingend. Der Professor muss die Leichen aus einem anderen Land beschaffen. Der Deutsche Gunther von Hagens liefert sie. O-Ton Professor: In our relegion it is very difficult to give bodies for studies. Haram, it’s called. In our religion. But in Europe this is normal. You see what I mean. Here, nobody gives you the bodies when you died. You can’t ask him: please, we nee this. 12/16 © Westdeutscher Rundfunk Köln 2016 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. For a student. You see what I mean? There is no body allowed. All these bodies is German. (Lacht schallend) All this is German. Came from… Germany. You can see this technique, it’s calles plastination. Dr Gunther did this one. It’s a human, fantastic, you see? He brings to us about twelve bodies, six male and six female. Übersetzer: In unserer Religion ist es sehr schwierig, Leichen zu Studienzwecken zu spenden. Das ist haram. Aber in Europa ist das normal. Hier stellt Ihnen keiner seinen Körper zur Verfügung. In Saudi Arabien kann man einfach keinen fragen: bitte können Sie mir Ihre Leiche geben, wir brauchen sie für Studenten. Alle diese Leichen sind Deutsche! (lacht schallend) Alles Deutsche! Sie kommen aus Deutschland. Sehen Sie diese Technik? Sie heißt Plastination. Diesen hier hat Dr. Gunther persönlich plastiniert. Ein echter Mensch! Fantastisch! Er hat uns neulich zwölf Leichen geliefert, sechs Männer, sechs Frauen. Autor: Konsum technischer Errungenschaften aus dem Ausland – ja. Freiheit der Wissenschaften, geistige Moderne im eigenen Land – nein. So lautet das unausgesprochene Credo der finanzstarken sunnitischen Führungsmächte am Golf. Bei dem Koranwissenschaftler Abu Zaid findet sich eine ganz andere Vision von Moderne. Er interpretiert den Koran in der Tradition der Rationalisten. Mit all dem Handwerkszeug, das die Geschichts-, Sprachwissenschaft und Erkenntniskritik den Religionswissenschaftlern seit dem 19. Jahrhundert zur Verfügung stellt. Der Mensch ist für Abu Zaid nicht nur eine willenlose Hülle, kein Wesen, das ins sichere Verderben läuft, sobald es sich durch die Möglichkeit eigenen Denkens verführen lässt. Das spezifisch Menschliche nimmt in seiner Sichtweise neben dem Göttlichen sogar einen wichtigen Platz ein. O-Ton Abu Zaid: Divinity of the Quoran is related to the speaker, God. So if we look to the speaker, to the sender, it’s divine. But if we look to the language - because God spoke in language… God did not speak his own divine language, God used our human, natural non-divine language - it’s our invention. If God spoke his language, supposedly, who’ll understand? So, God spoke to us through our own linguistice system, through our own code. Our own code is impregnant with our culture. With our notions, with our understanding. In the context, we can understand it. But we have also to be aware of its own linguistic dynamics which reveals its very specific message. So, here in the Quoran, if study it thoroughly, we can see the culture, the conceptions and we can see also by analyzing 13/16 © Westdeutscher Rundfunk Köln 2016 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. metaphores, by analyzing allegories, by analyzing the semantic level on all its apparent and hidden structure the essential message of the Quoran. Übersetzer: Die Göttlichkeit des Korans bezieht sich auf den Absender, auf Gott. Wenn wir ihn betrachten, ist er göttlich. Wenn wir die Sprache betrachten – denn Gott hat in Sprache gesprochen, er bediente sich nicht seines eigenen göttlichen Idioms, er benutzte unsere menschliche, naturgemäße, nichtgöttliche Sprache. Sie ist unsere Erfindung. Hätte Gott seine eigene Sprache gesprochen – wer hätte ihn verstanden? Wenn wir den Koran sorgfältig studieren, erhalten wir Aufschluss über seine Kultur, seine Konzepte und wenn wir Metaphern analysieren, Allegorien, die semantische Ebene in all ihren offenliegenden und verborgenen Strukturen, können wir auch die Essenz der koranischen Botschaft erkennen. Autor: Das gilt in größerem Maße für die Scharia. Denn sie, so Abu Zaid, ist von mittelalterlichen Gelehrten entwickelt worden, also durchaus kein göttliches und kein unabänderliches Recht. Viele ihrer Aspekte, so meint er, lassen sich auf die heutige Zeit nicht mehr anwenden oder widersprechen sogar der eigentlichen Botschaft des Islam. Als Abu Zaid Anfang der 1990er Jahre solche Thesen veröffentlichte, brach über ihn ein Sturm der Entrüstung herein. Atmo: Predigt und Sprechchor in der Moschee „Bid’a“, lautete der Vorwurf – „Neuerung“ – Entfernung von der offiziellen Lehrmeinung, wie sie bis heute die islamischen Gelehrten zwischen Jakarta und Rabat vertreten. Vor 900 Jahren musste sich der Rationalist Ibn Ruschd mit ähnlichen Vorwürfen auseinandersetzen. Doch während der Andalusier nur verbannt, seine Schriften lediglich verbrannt wurden, durfte er seinen Lebensabend friedlich in Marrakesch verbringen. Abu Zaid hingegen traf im Ägypten des 20. Jahrhunderts ein weitaus härteres Schicksal. Als ich ihm im Mai 1996 gegenübersaß, wirkte er wie ein Gejagter. Ein konservativer Scheich hatte ihn durch ein Rechtsgutachten und eine Verurteilung von der Kanzel einer Moschee herab quasi zum Vogelfreien erklärt. O-Ton Abu Zaid: An apostate, according to the Islamic Sharia should be executed. And if the government does not carry on this religious duty, then any individual can do it and he or she should not be punished. Übersetzer: 14/16 © Westdeutscher Rundfunk Köln 2016 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. Gemäß der Scharia sollte ein Glaubensabtrünniger hingerichtet werden. Und wenn die Regierung dieser religiösen Pflicht nicht nachkommt, kann jedes Individuum das tun. Und der oder die Betreffende sollte nicht strafrechtlich verfolgt werden. Autor: Das allerdings, so schilderte er mir, sei seinen Gegnern immer noch nicht genug gewesen. Sie wollten, dass er qua Gesetz zum Ungläubigen erklärt wird. Da es dafür im ägyptischen Strafrecht keine Handhabe gab, wählten sie den Umweg über das Familienrecht. Atmo: Protest O-Ton Abu Zaid: They went to the family court and asked for annuling of my marriage. Why? Because no one could just go to the court and say: this is an apostate. Because there is nothing in the code to for the court to verdict someone being an apostate. So, they wanted to get it in an indirect way, asking the court to annulle the marriage. Übersetzer: Sie zogen vors Familiengericht und beantragten, dass meine Ehe annulliert würde. Warum? Niemand kann einfach vor Gericht gehen und sagen, dass ein anderer ein Glaubensabtrünniger ist. Das ist im Strafrecht nicht vorgesehen. Direkt ließ sich also nichts machen. Deshalb beantragten sie vor dem Familiengericht meine Scheidung. Autor: So war aus der Diskussion über Islam und Reform eine Schlammschlacht über Abu Zaids Privatleben geworden. Um weiter lehren, leben und mit seiner Frau verheiratet sein zu können, ging Professor Abu Zaid ins niederländische Exil. Als er 2010 nach Ägypten zurückkehrte, tat er das ohne die Aussicht, jemals wieder in Kairo, im Zentrum des Sunnitentums unterrichten zu können. Kurz nach seiner Ankunft starb er im Juli 2010 an den Folgen einer Erkrankung. Musik Absage: Islam - Sunniten und das Ringen um die wahre Lehre. Ein Feature von Marc Thörner. 15/16 © Westdeutscher Rundfunk Köln 2016 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. Es sprachen: Tilo Werner Gerhard Mohr Daniel Berger Guido Lambrecht Andreas Potulski und Wolfgang Rüter Technische Realisation: Benedikt Bitzenhofer und Jeanette Wirtz Fabian Regieassistenz: Ellen Versteegen Regie: Philippe Brühl Redaktion: Dorothea Runge Eine Produktion des Westdeutschen Rundfunks 2015. Am kommenden Sonntag hören Sie: Islam - Schiiten und das Trauma der verlorenen Gerechtigkeit. Download und Manuskript der Sendung finden Sie unter wdr 5 de und im WDR-Featuredepot. 16/16 © Westdeutscher Rundfunk Köln 2016 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden.