SWR2 DIE BUCHKRITIK

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SWR2 DIE BUCHKRITIK
Katajun Amirpur: "Den Islam neu denken –
Der Dschihad für Demokratie, Freiheit und Frauenrechte"
Verlag C.H. Beck, München
256 Seiten
14,95 Euro
Rezension von Widmar Puhl
Donnerstag, 20.06.2013 (14:55 – 15:00 Uhr)
SWR2 MANUSKRIPT
Widmar Puhl
Viele
islamischen
Gesellschaften
haben
ein
Problem
mit
Gleichberechtigung, Demokratie und Menschen-, vor allem Frauenrechten.
Doch nicht der Islam hat den Anschluss an Moderne und Aufklärung
verpasst, sondern privilgierte Gruppen islamischer Geistlicher, die seit 1000
Jahren eine primitive Lesart des Korans vertreten. Ihr Deutungsmonopol ist
verantwortlich für Frauenfeindlichkeit und ein rückständiges Gottesbild, das
nur ihnen nützt. Katajun Amirpur, Professorin für islamische Studien an der
Universität Hamburg, hat jetzt ein überfälliges Buch vorgelegt: „Den Islam
neu denken. Der Dschihad für Demokratie, Freiheit und Frauenrechte“. Ihre
Systemkritik kommt von innen.
„Im Zentrum steht der Koran selbst. Dieser ist als der Referenztext der
islamischen Kultur das einzige, worüber sich alle Muslime einig sind, was
man beispielsweise über die Hadithe nicht sagen kann. Deswegen sind die
hier vorgestellten Denker der Auffassung, dass jede Reform ihren Ausgang
am Koran nehmen muss. Ohne eine koranische Legitimation hat sie keine
Aussicht auf Erfolg.“
Die Autorin zeigt, dass die Vielfalt der Koranauslegun-gen immer ein
Wesensmerkmal der islamischen Theologiegeschichte war. Sie lenkt aber
vor allem die Aufmerksamkeit auf islamische Reformer von heute. Zum
Beispiel
zeigen
die
Auseinandersetzungen
mit
Salafisten
und
Muslimbrüdern in Ägypten seit dem „arabischen Frühling“: Innerhalb der
islamischen Welt tobt ein Kulturkampf, und wir haben die Chance, die
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Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung
und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.
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Modernisierer zu unterstützen. Einer davon ist der iranische Biocheniker,
Literat, Philosph und Theologe Abdolkarim Soroush. Er lebt seit über zehn
Jahren in London, weil er unter anderem den Mullahs unangenehme
Wahrheiten wie diese predigte:
"Freie Gesellschaften, ob religiös oder areligiös, sind göttlich [d.h. mit
Gottes Willen im Einklang] und menschlich; in totalitären Gesellschaften
aber bleibt weder die Menschlichkeit noch die Gottheit übrig".
Phasen der Aufklärung und Toleranz gab es schon früher, doch sie wurden
immer wieder unterdrückt. Die Autorin stellt brillante Analysen des Korans
durch die wichtigsten Denker eines Reformislam vor, der viel zu wenig
Beachtung findet. Die meisten sitzen zwar im Exil, erhalten aber gerade
jetzt Aufwind, weil die Islamisten ganz offensichtlich übertreiben.
Exzesse der Idiotie und Brutalität wie in Iran, Saudiarabien, Pakistan und
Afghanistan oder Somalia und Sudan machen diese Reformer und
Reformerin-nen immer wichtiger. Universitäten in Europa und in den USA
geben ihnen eine Stimme.
Amirpur stellt auch die wichtigsten weiblichen Vordenkerinnen eines neuen
Islam vor. Sie machen Front gegen die Sklaverhaltermentalität von
Machos, die es im Westen ebenso gibt wie in Anatolien, Pakistan oder bei
den Saudis. Sie wehren sich gegen Genitalbeschneidung, Zwangsheirat,
die lebenslange Bevormundung durch Männer, das Eingesperrtsein im
eigenen Haus. Die Verweigerung von Bildung, Gewalt gegen Frauen und
andere Formen von Diskrimi-nierung werden ja auch noch gern – und völlig
unsinnigerweise – mit dem Koran begründet.
Amina Wadud aus den USA zum Beispiel ist die erste Frau, die ein
öffenliches Freitagsgebet leitete, an dem Männer und Frauen teilnahmen.
Die konvertierte Tochter eines schwarzen Methodistenpfarrers sagt:
„Für den, der in den Islam und die Gender-Apartheid hineingeboren wird,
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mag es Situationen geben, in denen manche Denkmuster, obschon sie
unterdrük-kerisch sind, erduldet werden. Ich hatte diesen Hintergrund nicht
und akzeptiere nichts, das meine Würde verletzt. Dagegen hatte ich ja
schon in einem rassistischen Amerika zu kämpfen gelernt.“
Für Wadud und ihre pakistanische Kollegin Asma Barlas beleidigt das
Patriarchat den Islam und die Moral, weil es ungerecht ist. Es setzt die
eigene Auffassung von Gottes Offenbarung mit der Offenbarung selbst
gleich und die eigene Person an die Stelle Gottes. Was wäre das für ein
jämmerlicher
Gott,
der
universale
Gerechtigkeit
verlangt
und
Ungerechtigkeit zwischen Männern und Frauen duldet, zwischen Gläubigen
und Ungläubigen, Reichen und Armen, Verwandten und Fremden?
Gottesrechte gegen Menschenrechte auszuspielen, so die Autorin, ist
gegen (jede) Religion und jede Vernunft: Es ist zutiefst dumm und
anachronistisch. Auch davon erzählt dieses Buch sehr überzeugend.
Katajun Amirpur: „Den Islam neu denken – Der Dschihad für Demokratie,
Freiheit und Frauenrechte“, Verlag C.H. Beck, München, 256 Seiten, 14,95
EURO.
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