Referat „Demokratie – kaputt

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Sendung Gegenwind August 2010
Wie ich das sehe – Thema: „Demokratie – kaputt?“
Datum:
Autor:
Länge:
24. August 2010
Klaus Hecker
60:00
Sendeplan
MIC: 00:00
Sie hören jetzt eine Sendung der Medieninitiative Mainz/Wiesbaden –
Radio Quer. Am Mikrofon begrüßt Sie Klaus Hecker
DAT: 00:08
Gegenwind - Intro
MIC: 00:29
Guten Tag! Sie hören heute Gegenwind – Wie ich das sehe! – mit dem
Thema „Demokratie kaputt?“ Sie werden hierzu meine und andere Meinungen hören und ich werde einige Vorschläge aufgreifen, neue machen, wie unsere Demokratie verbessert werden könnte.
Kennen Sie die Dr. Dixie Jazzband? Von dieser stammt heute die Musik
zwischen den Texten – alles Aufnahmen von einem Konzert am 18. Dezember 1992 in der Aula der Universität von Bologna. Ich werde heute
keine Titel und Interpreten ansagen und hoffe, daß Ihnen die Musik gefällt.
CD:
01:08
MIC: 03:49
I’ve found e new baby (Parker – Williams)1
Demokratie – kaputt? Ich beginne mit einem Gedicht von Erich Kästner 2:
Was auch immer geschieht:
Nie dürft ihr so tief sinken,
von dem Kakao,
durch den man euch zieht,
auch noch zu trinken!
Bei Gesprächen über Politik taucht häufig der Satz auf: „Da kann man ja
doch nichts machen“3 oder schlimmer noch „Die machen doch sowieso,
was sie wollen!“. Das sind zum Teil Sprüche am Biertisch, aber es ist
nicht zu bestreiten, daß der Ärger über Regierung, Bundestag, und die
Behörden in der Bevölkerung ständig stärker wird. Formal ausgedruckt:
die Politikverdrossenheit in der Bevölkerung nimmt zu, der Glaube an die
Demokratie nimmt ab.
Um so schlimmer ist es, daß jetzt sogar in der Politikwissenschaft diskutiert wird, ob nicht in besonderen Lagen besondere, eventuell undemokratische Entscheidungen gefällt werden müßten. Als Beispiel: ein Artikel
von einen Wissenschaftler an der Berliner Humboldt-Universität, unter
dem Titel „Lahme Dame Demokratie“ schreibt er:
„Das Unbehagen an der Demokratie erwächst aus der Langsamkeit der
Verfahren, der Schwerfälligkeit der Entscheidungsprozesse, der Mängel
in der Auswahl des politischen Personals, der verbreiteten Neigung von
1
2
3
Alle Musikstücke von der CD „The Jubilee Concert Dr. Dixie Jazzband 1952 – 1992“ – Alle
Aufnahmen Bologna live 18.Dezember 1992 – Aula Magna dell‘ Universita di Bologna
Aus dem letzten Merkheft von Zweitausendund eins
Das hört man allenthalben
2
Politikern, um die Dinge herumzureden, weil sie fürchten, für das Aussprechen von Wahrheiten politisch abgestraft zu werden, schließlich dem
Einfluß von Parteien und Interessengruppen.
Kommt es schlimm, schlägt dieses Unbehagen in die Hoffnung auf einen
überragenden Einzelnen um, der schnelle und klare Entscheidungen treffen und anschließend das Beschlossene zügig durchsetzen soll “4.
Unser Wissenschaftler Prof. Dr. Münkler sieht zwar diese Gefahr kommen, hat aber auch keine Lösung; „da auch Verfassungsordnungen altern, wären Entschlackungs- und Verjüngungskuren erforderlich“; und er
fragt weiter: „Gibt es jenseits der Legalordnung Legimitätsreserven, die
angezapft und in Anspruch genommen werden können, um eine in die
Jahre gekommene Ordnung zu verjüngen?“
Mit anderen Worten: wie können in einem demokratischen Staat undemokratische – um nicht zu sagen: diktatorische – undemokratische Entscheidungen durchgesetzt werden?
CD:
06:19
MIC: 10:09
Once in a while (Green- Edwards)
Unsere Demokratie ist also nicht mehr so ganz demokratisch!
Im Magazin „Zeitpunkt“ weist Gene Hackmann darauf hin, dass wir schon
ein gutes Stück des Weges gegangen sind. Oder wurden Sie gefragt, als
die Regierungschefs für die EU-Länder den sogenannten Rettungsschirm am 9.Mai beschlossen haben? Hackmann nennt das einen
„Staatsstreich“5, der Rettungsschirm wurde nur von den Ministerpräsidenten beschlossen. Nun wäre das ja nicht schlimm, wenn es sich um kleinere Beträge gehandelt hätte; aber es ging um 750 Milliarden Euro! Jetzt
nehmen wir einmal den Fall an: alle anderen EU-Staaten sind nicht in der
Lage, den EURO zu halten – dann müßten wir es tun – und das wären
bloß ein bißchen mehr als € 10.000,- pro Kopf der Bevölkerung – vom
Baby bis Greis – wie fühlen Sie sich denn mit potentiellen Schulden von
€ 10.000,-?
Und Sie sind noch nicht einmal gefragt worden! Gut zu wissen, daß unsere Bundeskanzlerin – es ging um die Wirtschaftskrise – ihre eigenen
Planungen angezweifelt hat – in der Zeitschrift des Hamburger Instituts
für Sozialforschung heißt es: „Der aktuelle politische Plan, durch Steuersenkungen Wachstumsimpulse zu setzen, welche die gigantischen Kosten der jüngsten Steuerungsanstrengungen kompensieren sollen, könne
durchaus auch schief gehen, ließ die alte und neue Bundeskanzlerin das
erstaunte Publikum in einem geradezu widersinnigen Moment der Realitätstüchtigkeit wissen6“.
In der genannten Zeitschrift findet sich auch der Satz: „Hierzulande sind
Konjunkturprogramme und Abwrackprämien, Bürgschaften und Kurzarbeitergeld selbst bei jenen politischen und wirtschaftlichen Kräften zu
Eckpfeilern der Krisensteuerung geworden, die vor kurzem nur mit ideologischer Verachtung vom Staat zu sprechen vermochten. 7“
4
5
6
7
Aus: „Lahme Dame Demokratie“ Herfried Münkler (Internationale Politik Mai/Juni 2010
S.13)
Brennende Bärte (Zeitpunkt 108 S.66)
Erwartungen und Spielräume politischer Planung (Mittelweg 36 Dezember 2009/Januar
2010 S.4 unten)
(ebenda S3. unten)
3
Können selbst die Experten nicht mehr die Auswirkungen ihrer Planungen erkennen? Gelten überhaupt noch Regeln? Aber wie soll Demokratie
funktionieren, wenn es keine verläßlichen Regeln mehr gibt?
Der Parteienforscher Prof. von Arnim sagt, daß die Bundesrepublik von
einer politischen Klasse beherrscht wird, die vornehmlich aus Eigeninteresse handelt. Nach der Rheinischen Post sagte er im Mai 2008: „Das
Volk hat fast nichts zu sagen. Wir haben weder Herrschaft durch das
Volk noch für das Volk – und damit keine wirkliche Demokratie!8“. Also
doch „Demokratie kaputt!“.
CD:
12:52
MIC: 16:43
A flower is a lovely thing (Strayhorn)
Demokratie kaputt? Um das nun etwas genauer anzusehen, wenden wir
uns jetzt der Frage zu: Was ist Demokratie? Im Grundgesetz heißt es:
„Art 209 (1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und
sozialer Rechtsstaat. (2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird
vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe
der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung
ausgeübt.“
Das hilft uns nicht weiter. Die Bundeszentrale für politische Bildung hat in
ihrem Lexikon eine Definition von Demokratie gegeben:
„Demokratie ist ein Sammelbegriff für moderne Lebensformen und politische Ordnungen. Demokratie ermöglicht insofern moderne Lebensformen, als sie a) die Freiheit individueller Entscheidungen und Handlungen
sowie individuelle Verantwortung ermöglicht. b) die individuelle Gleichheit
vor Recht und Gesetz garantiert sowie Minderheiten schützt und c) zahllose Formen gesellschaftlicher Vereinigungen ermöglicht, d.h. kollektives
und solidarisches Handeln auf eine freiwillige Grundlage stellt) 10.“
Es folgen eine ganze Reihe von Unterteilungen und Einschränkungen zum Beispiel sind die modernen Massen-Demokratien durch politische
und gesellschaftliche Einrichtungen (Parlamente, Parteien, Verbände
usw.) geprägt, die die Teilhabe des größten Teils der Bevölkerung auf
gesetzlich geregelte Teilhabeverfahren (z.B. Wahlen) beschränken 11.
Auch hier werden formale Verfahren beschrieben, über die Auswirkung
und damit über den tatsächlichen Zustand erfahren wir nichts. Ein Helfer
in solchen Lagen ist Wikipedia. Hier finden wir auf 15 Seiten ausführliche
Beschreibungen, insbesondere über die Geschichte der Demokratie. Im
Kapitel „Gesamt-gesellschaftliche Perspektive 12“ werden Bedingungen
für das Funktionieren der Demokratie zusammengetragen: „Der demokratische Gedanke bedarf auch einer Verwirklichung in der Gesellschaft,
damit die Prinzipien der demokratischen Staatsform auch in der Realität
erfahrbar werden.“ Und weiter: „In einer Demokratie verläuft die politische Willensbildung von unten nach oben, wird also aus der Mitte der
Bevölkerung an die Eliten getragen – dies setzt allerdings eine am politischen Prozeß interessierte, engagierte und kompetente Bevölkerung vor-
8
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11
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Parteienkritiker klagt an „Deutschland ist keine echte Demokratie mehr (RP ONLINE unter:
www.rp-online.de/public/druckversion/aktuelles/politik/deutschland/563413
Grundgesetz Art 20
Demokratie (Landeszentrale für politische Bildung Lexikon unter:
www.bpb.de/popup/popup_lemmata.html?guid=PN59SN)
(ebenda)
Demokratie (Wikipedia unter:http://de.wikipedia.org/wiki/Demokratie S.9)
4
aus. In einer Diktatur, Oligarchie oder Aristokratie ist dies genau umgekehrt; hier wird die politische Willensbildung von einer Elite der Bevölkerung vorgegeben.
Unsere „Demokratie“ ist also defekt oder besser kaputt!
CD:
19:38
MIC: 22:04
Indiana (Hanley – Mac Donald)
Interessanterweise gibt es auch das Konzept der „defekten Demokratie 13“
- Staaten, die nicht alle Normen der rechtsstaatlich-liberalen Demokratie
erfüllen, aber nicht mehr autoritär sind. Fehler könnten quantitativ bewertet und Vergleichszahlen gebildet werden. Es wäre gar nicht schlecht,
wenn diesem Konzept auch eine Einschätzung der wirklichen Lage hinzugefügt und es auf alle Länder ausgedehnt würde. Die Bundesrepublik
würde sicher nicht mit GUT abschneiden.
Nun wenden wir uns dem Verhältnis Bevölkerung/Demokratie zu.
Anscheinend hat die Bevölkerung das Bedürfnis, irgendwelche Helden
oder Fürsten als Identifikationsfiguren über sich zu haben, an die die Politik dann delegiert wird – man kümmert sich dann nicht mehr darum.
Aber gleichzeitig können diese Helden auch sofort vom Sockel gestoßen
werden – das deutsche Fußballteam ist nach seiner Rückkehr aus Südafrika ganz bedeppert nach Hause gegangen.
Solche Fürsten sind die Abgeordneten des Bundestags und der Landtage. Sie werden sehr reichlich entlohnt, die Höhe der Diäten sind eher
nach Wirtschaftsmanagern als nach der Bevölkerung ausgerichtet, Eigentlich müßten die Diäten nach dem mittleren Einkommen der Bevölkerung berechnet werden; eine andere Lösung wäre, dass die Abgeordneten das gleiche Einkommen bekommen, das sie vor ihrer Abgeordnetenzeit hatten. Da wir heute Abgeordnete haben, die vorher Hartz-4 bezogen haben, würden ja vielleicht auch die Regelsätze so angehoben, daß
Menschen davon leidlich leben können. Die bisherige hohe Aufwandsentschädigung in direktem Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit könnte
nach meiner Meinung sogar noch höher sein, wenn jede Ausgabe überprüft würde.
Die Bundestagsabgeordneten bekommen auch eine Bundesbahn-Jahreskarte 1.Klasse; dort sind sie unter Managern, Geschäftsleuten oder
anderen gut betuchten Menschen. Es wäre doch besser, wenn sie in der
2.Klasse mit der normalen Bevölkerung in Kontakt kämen.
CD:
24:11
MIC: 27:01
13
14
Just friends (Lewis - Klemmer)
Konstantin Wecker14 in einem Graswurzel-Interview: „Wenn Du mal mit
Politikern unterwegs bist, wie die hofiert werden, also allein wenn es um
so Kleinigkeiten geht, einen Platz in einem Restaurant zu kriegen, das eigentlich voll ist; wenn Du Politiker bist, die würden im Restaurant sofort
auf der Stelle einen Extraanbau machen, um Dich dort bewirten zu dürfen. Und so geht das wahrscheinlich überall, Du willst in die Oper, Du
willst ins Theater, Du bist wer, das ist wahrscheinlich ein Gefühl, auf das
man nicht gern verzichtet.“
Defekte Demokratie (Wikipedia unter: de.wikipedia.org/w/index.php?title= Defekte
Demokratie
Eine andere Gesellschaft muss auch eine liebevollere sein (Konstantin Wecker in der
Graswurzel – 3 Hefte)
5
Die Abgeordneten sind in einem Zwiespalt gefangen: sie stehen zwischen ihren eigenen Ansichten, auf der anderen Seite den Plänen und
Wünschen ihrer Partei und als Drittes der Bevölkerung ihres Wahlkreises. Und sie sind meist schon lange Politiker und haben längst den Anschluß an ihren Beruf verloren.– da ist doch die „Alternative“ im Bundestag zu bleiben auf jeden Fall die einfachere! Gewiß, manche ehemaligen
Politiker werden nach ihrer politischen Tätigkeit Berater in Konzernen –
Schröder, Fischer – dadurch wird der „Beruf“ des Politikers weiter abgewertet.
Bundestagswahlen! Für jeden Wahlkreis bestimmt jede Partei einen Kandidaten, von denen dann mit der ersten Stimme nur einer im Wahlkreis
gewählt wird. Für die Wahl mit der Zweitstimme reicht jede Partei eine
Landesliste ein, die mehrere Kandidaten enthält. Proportional dem Wahlergebnis werden Kandidaten aus diesen Listen gewählt. Hier bestimmen
die Parteien bei der Aufstellung der Landesliste mehr oder weniger, wer
auf welchen Platz kommt. Natürlich spielt bei der Aufstellung der Landesliste auch das Verhalten im Bundestag eine große Rolle: wer sich nicht
an die Vorgaben der Parteiführung hält, verringert seine Chancen. Allerdings steht im Grundgesetz: Die Abgeordneten „sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem
Gewissen unterworfen15.“ Im Lichte der genannten Tatsachen ist das
nicht mehr als ein Hohn.
Hier ließe sich mit etwas größerem Aufwand leicht Abhilfe schaffen:
wenn der Wähler mit seiner Zweitstimme nicht nur die Partei, sondern
aus der Landesliste auch einen bestimmten Kandidaten wählen könnte;
die Stimmen würden nach wie vor nach den Prozentzahlen an die Parteien, aber innerhalb der Landeslisten an die Kandidaten mit den meisten
persönlichen Stimmen vergeben.
CD:
29:23
MIC: 31:43
Sonnymoon for two (Rollins)
Unser Wahlsystem kennt die 5%-Klausel, die angeblich „Weimarer Verhältnisse“ verhindern soll; in Wirklichkeit hält sie nur neue Parteien vom
Bundestag fern. Natürlich ist Regieren einfacher, wenn eine Partei die
absolute Mehrheit im Bundestag hat, demokratischer ist das nicht! Im
Grunde geht es ja in der Politik nicht nur darum, die eigene Meinung
durchzusetzen, eigentlich sollte es selbstverständlich sein, dass aus den
unterschiedlichen Meinungen der Abgeordneten – nicht der Parteien –
ein Kompromiß gefunden wird, der am ehesten der Mehrheit der Wähler
entspricht. Es ist nicht einzusehen, daß bei einem solchen Prozeß die
Meinung von Millionen Wählern einfach unter den Tisch gekehrt wird –
bei der Wahl 2009 hatten wir 62 Millionen Wahlberechtigte, davon 5%
sind mehr als 3 Millionen – eine Partei mit 2,5 Millionen Wählern wäre
glatt gescheitert.
Leider läßt auch das Demokratieverständnis unserer Politiker sehr zu
wünschen übrig: zum Beispiel die Wahl des neuen Bundespräsidenten.
Die Neue Zürcher Zeitung brachte am 2.Juli einen Artikel: „Deutsches Erschrecken über die funktionierende Demokratie 16“; dort hieß es: „Dass es
rund 40 bürgerliche Wahlleute am Mittwoch wagten, in den ersten beiden
Durchgängen der Bundespräsidentenwahl die Empfehlungen der Regie-
15
16
Grundgesetz Art. 38
Deutsches Erschrecken über die funktionierende Demokratie (NZZ 2.7.2010)
6
rung in den Wind zu schlagen, fanden zahlreiche Politiker auch am Donnerstag unerhört bis schockierend. Als etwas vollkommen Natürliches,
das eben vorkommt, wenn freie Bürger an einer geheimen Wahl teilnehmen, mochte den Vorgang kaum jemand einstufen.“
Eine radikale Änderung für alle diese antidemokratischen Erscheinungen
würde hier die ursprünglich von den Grünen vorgeschlagene Rotation
bringen, die ein Verbot der sofortigen Wiederwahl in den Bundestag zum
Ziel hatte. Eine solche Regelung würde verhindern, daß Menschen Jahre
und Jahrzehnte im Bundestag sind und dann keine andere Perspektive
haben als bis zur Pensionierung im Bundestag zu bleiben.
Über die Ausgestaltung der Rotation könnte man sich streiten – sicher
sind 2 Jahre zu kurz, aber 4 Jahre – also eine Legislaturperiode – wäre
gerade richtig. Um zu verhindern, daß im Bundestag ständig Anfänger
sind, könnte alle 2 Jahre die Wahl der Hälfte der Mitglieder des Bundestages vorgenommen werden. Im amerikanischen Senat wird jeweils ein
Drittel der Senatoren alle 2 Jahre gewählt, eine „Verweildauer“ von 6
Jahren. Mit einem absoluten Wiederwahlverbot für das gleiche Parlament
wäre auch sichergestellt, daß die betreffenden Personen wieder in ihren
Beruf zurückkehren könnten.
CD:
34:25
MIC: 36:54
Broadway (Woode – McRae - Bird)
Das politische Wissen unter unseren Mitbürgern ist nicht gerade weit verbreitet. Hier greifen allerdings zwei Dinge ineinander: da zur Zeit eine
Mitwirkung der Bürger an der Politik überhaupt nur durch Wahlen statt
findet, die zu den reinsten Schönheitswettbewerben verkommen sind, da
weiter aus Politik eine reine Politiksymbolik geworden ist, die durch
freundliches Händeschütteln im Fernsehen gekennzeichnet ist, da weiter
eine ehrliche öffentliche Diskussion über Probleme daran scheitert, daß
dann ja auch unangenehme Dinge auf den Tisch kämen, hat der Bürger,
die Bürgerin nicht gelernt mit Politik umzugehen und auch kein Interesse
daran.
Die Neue Zürcher Zeitung hat kürzlich unter der Überschrift „Das Gemeinwesen, das sich seinen Bürgern nicht aufdrängt 17“ gesagt: „Damit
die Bürger zu freien und verantwortlichen Wesen werden können, müssen noch andere Bedingungen erfüllt sein. Jede freie Entscheidung verlangt von ihnen, daß sie wissen, wo sie in Raum und Zeit stehen, daß sie
die Geschichte verstehen, die sie hervorgebracht hat, damit sie die wahrscheinlichen Folgen abschätzen können. Weiter müssen sie die Möglichkeit haben, das, was sie denken mit dem zu vergleichen, was andere
Menschen denken oder gedacht haben: die Arbeiten vergangener Generationen zu kennen, die Natur und menschliches Leben grundlegend verändert haben und diese Arbeiten fortsetzen. Das demokratische Regime
braucht also ein Netz von Institutionen im Dienste der Ausbildung, der
Berufslehren und der Kultur.“
Was können wir als Einzelne tun? Bei der Fülle der verschiedenen politischen Themen ist es unmöglich sich über Alles zu informieren.
Daher ist es notwendig, sich ein politisches Thema zu suchen, das einen
interessiert. Dann muß das nötige Wissen für dieses Thema beschafft
werden; da sind die Parteien eine Quelle, aber es ist unbedingt notwen-
17
Das Gemeinwesen, das sich seinen Bürgern nicht aufdrängt (NZZ 10.7.2010)
7
dig sich auch unabhängige Quellen zu suchen. Es gibt für fast jedes Interessengebiet Zeitschriften und Initiativen, die einen Newsletter herausgeben. Wenig Informationen liefern Fernsehen und die Zeitungen mit den
großen Buchstaben.
Es ist natürlich vorteilhaft, wenn wir Gleichgesinnte finden und mit denen
zusammen arbeiten; aber kleine Gruppen können sich weder ein Telefon
noch ein Büro leisten und es ist daher schwierig, mit denen in Verbindung zu treten. Oft helfen da überregionale Organisationen. Aber auch
als Einzelner kann die eigene Meinung durch kleine Handzettel verbreitet
werden..
CD:
39:22
MIC: 43:21
Bye Bye Blackbird (Dixon - Henderson)
Zusammenarbeit, aber wie? In Afrika wird in den Dörfern das sogenannter Palaver durchgeführt, ein Treffen, wo sich die Menschen zuerst untereinander austauschen und erst nach längerem Palaver zu einer Meinung
finden. Ich habe in meiner Zeit in der Industrie einige Male so etwas wie
ein Palaver durchgeführt. Wir hatten in der Firma einmal für die Weiterentwicklung eines Produktes keine Ideen; da haben wir ein 3-tägiges
Treffen in Freizeitkleidung in einem Weinort an der Mosel organisiert
und sind am ersten Tag in Gruppen am Fluß spazieren gegangen, jeder
sollte so alle Stunde von einer Gruppe zu einer anderen überwechseln.
Thema war nicht nur das Projekt, auch persönliche Dinge waren erlaubt.
Wir nannten das eine „Wanderbesprechung“, die am 2. Morgen wiederholt wurde. Nachmittags wurden in ganz lockerer Atmosphäre die vielen
Ideen schriftlich festgehalten. Am 3.Tag wurden die Unterlagen durchgesprochen, Fehler und zu vage Ideen ausgemerzt, ab Mittag waren wir auf
der Heimreise zufrieden mit dem guten Ergebnis.
Aber auch der Staat könnte helfen! Das Wissen der Bevölkerung könnte
auf andere Art auf eine breitere Basis gestellt werden; andere Meinungen
als die Meinungen der Parteien haben es bei uns schwer, obwohl es viele Initiativen gibt, die ernsthaft an Politikproblemen arbeiten; doch alle
diese Initiativen haben das Problem, daß sie nur durch Spenden zu finanzieren sind, während die Parteien – auch über die Einkommensteuer
– großzügig vom Staat alimentiert werden. Ich will hier nicht der verpönten Staatsknete das Wort reden – (Wes Brot ich ess.....) aber es gäbe sicher Wege, diese Gruppen zu unterstützen, ohne eine Abhängigkeit zu
schaffen. Mal ganz trivial: warum muß die Anmeldung eines Infostands in
vielen Städten Geld kosten? Von dem Versuch, für Demonstrationen größere Geldbeträge zu kassieren, wollen wir gar nicht reden!
CD:
45:13
MIC: 49:06
18
My ship (Weill - Gershwin)
Volksentscheide auf Bundesebene! SPD und Grüne sind offen dafür,
aber die vorgesehene Anzahl von Antragstellern und die allein vorgesehenen Politikfelder, für die Volksentscheide eventuell vorgeschlagen werden könnten, sind zu eng. Dazu kommt, daß Volksentscheide auf Landesebene, die in einigen Bundesländern zugelassen sind, fast immer
eine relativ geringe Beteiligung hatten. So zum Beispiel die kürzliche
Volksabstimmung über die Schule in Hamburg18, bei der nicht einmal 40
% der Bürger zur Wahl kamen. In der Neuen Zürcher Zeitung wird gesagt, daß es „Tatsache ist, daß vor allem in den Volksparteien nach wie
Plebiszite bleiben in Deutschland umstritten (NZZ 22.7.2010)
8
vor viele Politiker dem Volk, dem „großen Lümmel“, nicht über den Weg
trauen“ – nicht gerade eine sehr demokratische Einstellung.
In einem Werbefilm von dem gemeinnützigem Verein „Mehr Demokratie19“ spricht Dr. Otmar Jung – Privatdozent am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaften und anerkannter Verfassungsjurist zu dem Thema
Volksbegehren/Volksentscheid. Nach Angabe der Prozentzahlen der
Bürger, die bundesweite Volksabstimmungen wollen (etwa 2/3) wird er
gefragt, warum die Politiker das nicht einführen; seine Antwort: „Die politische Elite will einfach zwischen zwei Wahlen vier Jahre ungestört regieren!“
Zwei andere Themen! In dem Buch „Die Demokratie entfesseln – nicht
die Märkte“20 wird die Forderung gestellt, auch die Verwaltung einer partizipativen Kontrolle zu unterstellen; die Gesetze ließen den Verwaltungen
viel Spielraum, der durch Verwaltungsrichtlinien gefüllt wird, ohne daß irgendeine demokratische Kontrolle vorhanden ist.
Ähnliches gilt für die Wirtschaft. Es ist ein Unding, dass ein Konzern etwas komplett Neues einführt, das sehr viele Menschen betrifft, ohne dass
diese vorher gefragt werden – ein Beispiel ist Googles Street View. Es
macht die Sache nicht besser, dass nun Betroffene gegen die Verwendung der Bilder ihrer Häuser innerhalb eines bestimmten Zeitraums Einspruch einlegen können.
CD:
51:09
MIC: 54:44
After you’ve gone (Creamer - Layton)
Zum Schluß eine kurze Bemerkung: Am 17. März 1793 21 trat das erste in
Deutschland auf demokratischen Weg zustande gekommene Parlament
in Mainz zusammen, am folgenden Tag wurde verkündet:
„Dekret des zu Mainz versammelten rheinisch-deutschen Nationalkonvents vom 18. März 1793, wodurch in dem Striche des Landes von Landau bis Bingen am Rhein alle bisherigen angemaßten willkürlichen Gewalten abgeschafft werden.“
„Artikel 1 – Der ganze Strich Landes von Landau bis Bingen, welcher Deputierte zu diesem Konvent schickt, soll von jetzt an einen freyen, unabhängigen, unzertrennlichen Staat ausmachen, der gemeinschaftlichen,
auf Freiheit und Gleichheit gegründeten Gesetzen gehorcht.
Artikel 2 – Der einzige rechtmäßige Souverän dieses Staats, nämlich das
Volk, erklärt durch die Stimme seiner Stellvertreter allen Zusammenhang
mit dem deutschen Kaiser und Reiche für aufgehoben.“
Aber preußische Truppen besetzten sehr schnell das Land und belagerten Mainz; damit war der neue Staat nur auf das Stadtgebiet von Mainz
beschränkt, das sich am 23. Juli 1793 ergab.
Das war das Ende dieses ersten deutschen demokratischen Freistaats
und gleichzeitig das Ende der heutigen Sendung „Gegenwind – wie ich
das sehe!“ mit dem Thema „Demokratie – kaputt?“.
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Zu hören auf den Webseiten von Mehr Demokratie e.V.
Die Demokratie entfesseln – nicht die Märkte“ (Verlag PapyRossa 2010 ISBN 978-3-89438432-6 S.252)
Mainzer Republik (Wikipedia unter: http://www.wikipedia.org/w/indes.php?
title=Mainzer_Republik)
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Sie können diese Sendung auch im Internet nachlesen und den Textteil
hören unter der Webadresse „www.gegenwind.militaer-gehoert-abgeschafft.de“ – militaer mit ae und gehoert mit oe – „www.gegenwind.militaer-gehoert-abgeschafft.de“
PC: 56:44
CD: 57:03
Ende 60:00
Wie immer sind auch Fragen und Kritik zu dieser Sendung erwünscht;
meine Mail-Adresse ist „[email protected]“.
Ich hoffe, daß Ihnen die Sendung gefallen hat und sage „Auf Wiederhören – bis zum nächsten Mal“.
Gegenwind – Goodby!
Stardust (Carmichael) [bei 60:00 ausblenden]
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