1 Sendung Gegenwind August 2010 Wie ich das sehe – Thema: „Demokratie – kaputt?“ Datum: Autor: Länge: 24. August 2010 Klaus Hecker 60:00 Sendeplan MIC: 00:00 Sie hören jetzt eine Sendung der Medieninitiative Mainz/Wiesbaden – Radio Quer. Am Mikrofon begrüßt Sie Klaus Hecker DAT: 00:08 Gegenwind - Intro MIC: 00:29 Guten Tag! Sie hören heute Gegenwind – Wie ich das sehe! – mit dem Thema „Demokratie kaputt?“ Sie werden hierzu meine und andere Meinungen hören und ich werde einige Vorschläge aufgreifen, neue machen, wie unsere Demokratie verbessert werden könnte. Kennen Sie die Dr. Dixie Jazzband? Von dieser stammt heute die Musik zwischen den Texten – alles Aufnahmen von einem Konzert am 18. Dezember 1992 in der Aula der Universität von Bologna. Ich werde heute keine Titel und Interpreten ansagen und hoffe, daß Ihnen die Musik gefällt. CD: 01:08 MIC: 03:49 I’ve found e new baby (Parker – Williams)1 Demokratie – kaputt? Ich beginne mit einem Gedicht von Erich Kästner 2: Was auch immer geschieht: Nie dürft ihr so tief sinken, von dem Kakao, durch den man euch zieht, auch noch zu trinken! Bei Gesprächen über Politik taucht häufig der Satz auf: „Da kann man ja doch nichts machen“3 oder schlimmer noch „Die machen doch sowieso, was sie wollen!“. Das sind zum Teil Sprüche am Biertisch, aber es ist nicht zu bestreiten, daß der Ärger über Regierung, Bundestag, und die Behörden in der Bevölkerung ständig stärker wird. Formal ausgedruckt: die Politikverdrossenheit in der Bevölkerung nimmt zu, der Glaube an die Demokratie nimmt ab. Um so schlimmer ist es, daß jetzt sogar in der Politikwissenschaft diskutiert wird, ob nicht in besonderen Lagen besondere, eventuell undemokratische Entscheidungen gefällt werden müßten. Als Beispiel: ein Artikel von einen Wissenschaftler an der Berliner Humboldt-Universität, unter dem Titel „Lahme Dame Demokratie“ schreibt er: „Das Unbehagen an der Demokratie erwächst aus der Langsamkeit der Verfahren, der Schwerfälligkeit der Entscheidungsprozesse, der Mängel in der Auswahl des politischen Personals, der verbreiteten Neigung von 1 2 3 Alle Musikstücke von der CD „The Jubilee Concert Dr. Dixie Jazzband 1952 – 1992“ – Alle Aufnahmen Bologna live 18.Dezember 1992 – Aula Magna dell‘ Universita di Bologna Aus dem letzten Merkheft von Zweitausendund eins Das hört man allenthalben 2 Politikern, um die Dinge herumzureden, weil sie fürchten, für das Aussprechen von Wahrheiten politisch abgestraft zu werden, schließlich dem Einfluß von Parteien und Interessengruppen. Kommt es schlimm, schlägt dieses Unbehagen in die Hoffnung auf einen überragenden Einzelnen um, der schnelle und klare Entscheidungen treffen und anschließend das Beschlossene zügig durchsetzen soll “4. Unser Wissenschaftler Prof. Dr. Münkler sieht zwar diese Gefahr kommen, hat aber auch keine Lösung; „da auch Verfassungsordnungen altern, wären Entschlackungs- und Verjüngungskuren erforderlich“; und er fragt weiter: „Gibt es jenseits der Legalordnung Legimitätsreserven, die angezapft und in Anspruch genommen werden können, um eine in die Jahre gekommene Ordnung zu verjüngen?“ Mit anderen Worten: wie können in einem demokratischen Staat undemokratische – um nicht zu sagen: diktatorische – undemokratische Entscheidungen durchgesetzt werden? CD: 06:19 MIC: 10:09 Once in a while (Green- Edwards) Unsere Demokratie ist also nicht mehr so ganz demokratisch! Im Magazin „Zeitpunkt“ weist Gene Hackmann darauf hin, dass wir schon ein gutes Stück des Weges gegangen sind. Oder wurden Sie gefragt, als die Regierungschefs für die EU-Länder den sogenannten Rettungsschirm am 9.Mai beschlossen haben? Hackmann nennt das einen „Staatsstreich“5, der Rettungsschirm wurde nur von den Ministerpräsidenten beschlossen. Nun wäre das ja nicht schlimm, wenn es sich um kleinere Beträge gehandelt hätte; aber es ging um 750 Milliarden Euro! Jetzt nehmen wir einmal den Fall an: alle anderen EU-Staaten sind nicht in der Lage, den EURO zu halten – dann müßten wir es tun – und das wären bloß ein bißchen mehr als € 10.000,- pro Kopf der Bevölkerung – vom Baby bis Greis – wie fühlen Sie sich denn mit potentiellen Schulden von € 10.000,-? Und Sie sind noch nicht einmal gefragt worden! Gut zu wissen, daß unsere Bundeskanzlerin – es ging um die Wirtschaftskrise – ihre eigenen Planungen angezweifelt hat – in der Zeitschrift des Hamburger Instituts für Sozialforschung heißt es: „Der aktuelle politische Plan, durch Steuersenkungen Wachstumsimpulse zu setzen, welche die gigantischen Kosten der jüngsten Steuerungsanstrengungen kompensieren sollen, könne durchaus auch schief gehen, ließ die alte und neue Bundeskanzlerin das erstaunte Publikum in einem geradezu widersinnigen Moment der Realitätstüchtigkeit wissen6“. In der genannten Zeitschrift findet sich auch der Satz: „Hierzulande sind Konjunkturprogramme und Abwrackprämien, Bürgschaften und Kurzarbeitergeld selbst bei jenen politischen und wirtschaftlichen Kräften zu Eckpfeilern der Krisensteuerung geworden, die vor kurzem nur mit ideologischer Verachtung vom Staat zu sprechen vermochten. 7“ 4 5 6 7 Aus: „Lahme Dame Demokratie“ Herfried Münkler (Internationale Politik Mai/Juni 2010 S.13) Brennende Bärte (Zeitpunkt 108 S.66) Erwartungen und Spielräume politischer Planung (Mittelweg 36 Dezember 2009/Januar 2010 S.4 unten) (ebenda S3. unten) 3 Können selbst die Experten nicht mehr die Auswirkungen ihrer Planungen erkennen? Gelten überhaupt noch Regeln? Aber wie soll Demokratie funktionieren, wenn es keine verläßlichen Regeln mehr gibt? Der Parteienforscher Prof. von Arnim sagt, daß die Bundesrepublik von einer politischen Klasse beherrscht wird, die vornehmlich aus Eigeninteresse handelt. Nach der Rheinischen Post sagte er im Mai 2008: „Das Volk hat fast nichts zu sagen. Wir haben weder Herrschaft durch das Volk noch für das Volk – und damit keine wirkliche Demokratie!8“. Also doch „Demokratie kaputt!“. CD: 12:52 MIC: 16:43 A flower is a lovely thing (Strayhorn) Demokratie kaputt? Um das nun etwas genauer anzusehen, wenden wir uns jetzt der Frage zu: Was ist Demokratie? Im Grundgesetz heißt es: „Art 209 (1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Rechtsstaat. (2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.“ Das hilft uns nicht weiter. Die Bundeszentrale für politische Bildung hat in ihrem Lexikon eine Definition von Demokratie gegeben: „Demokratie ist ein Sammelbegriff für moderne Lebensformen und politische Ordnungen. Demokratie ermöglicht insofern moderne Lebensformen, als sie a) die Freiheit individueller Entscheidungen und Handlungen sowie individuelle Verantwortung ermöglicht. b) die individuelle Gleichheit vor Recht und Gesetz garantiert sowie Minderheiten schützt und c) zahllose Formen gesellschaftlicher Vereinigungen ermöglicht, d.h. kollektives und solidarisches Handeln auf eine freiwillige Grundlage stellt) 10.“ Es folgen eine ganze Reihe von Unterteilungen und Einschränkungen zum Beispiel sind die modernen Massen-Demokratien durch politische und gesellschaftliche Einrichtungen (Parlamente, Parteien, Verbände usw.) geprägt, die die Teilhabe des größten Teils der Bevölkerung auf gesetzlich geregelte Teilhabeverfahren (z.B. Wahlen) beschränken 11. Auch hier werden formale Verfahren beschrieben, über die Auswirkung und damit über den tatsächlichen Zustand erfahren wir nichts. Ein Helfer in solchen Lagen ist Wikipedia. Hier finden wir auf 15 Seiten ausführliche Beschreibungen, insbesondere über die Geschichte der Demokratie. Im Kapitel „Gesamt-gesellschaftliche Perspektive 12“ werden Bedingungen für das Funktionieren der Demokratie zusammengetragen: „Der demokratische Gedanke bedarf auch einer Verwirklichung in der Gesellschaft, damit die Prinzipien der demokratischen Staatsform auch in der Realität erfahrbar werden.“ Und weiter: „In einer Demokratie verläuft die politische Willensbildung von unten nach oben, wird also aus der Mitte der Bevölkerung an die Eliten getragen – dies setzt allerdings eine am politischen Prozeß interessierte, engagierte und kompetente Bevölkerung vor- 8 9 10 11 12 Parteienkritiker klagt an „Deutschland ist keine echte Demokratie mehr (RP ONLINE unter: www.rp-online.de/public/druckversion/aktuelles/politik/deutschland/563413 Grundgesetz Art 20 Demokratie (Landeszentrale für politische Bildung Lexikon unter: www.bpb.de/popup/popup_lemmata.html?guid=PN59SN) (ebenda) Demokratie (Wikipedia unter:http://de.wikipedia.org/wiki/Demokratie S.9) 4 aus. In einer Diktatur, Oligarchie oder Aristokratie ist dies genau umgekehrt; hier wird die politische Willensbildung von einer Elite der Bevölkerung vorgegeben. Unsere „Demokratie“ ist also defekt oder besser kaputt! CD: 19:38 MIC: 22:04 Indiana (Hanley – Mac Donald) Interessanterweise gibt es auch das Konzept der „defekten Demokratie 13“ - Staaten, die nicht alle Normen der rechtsstaatlich-liberalen Demokratie erfüllen, aber nicht mehr autoritär sind. Fehler könnten quantitativ bewertet und Vergleichszahlen gebildet werden. Es wäre gar nicht schlecht, wenn diesem Konzept auch eine Einschätzung der wirklichen Lage hinzugefügt und es auf alle Länder ausgedehnt würde. Die Bundesrepublik würde sicher nicht mit GUT abschneiden. Nun wenden wir uns dem Verhältnis Bevölkerung/Demokratie zu. Anscheinend hat die Bevölkerung das Bedürfnis, irgendwelche Helden oder Fürsten als Identifikationsfiguren über sich zu haben, an die die Politik dann delegiert wird – man kümmert sich dann nicht mehr darum. Aber gleichzeitig können diese Helden auch sofort vom Sockel gestoßen werden – das deutsche Fußballteam ist nach seiner Rückkehr aus Südafrika ganz bedeppert nach Hause gegangen. Solche Fürsten sind die Abgeordneten des Bundestags und der Landtage. Sie werden sehr reichlich entlohnt, die Höhe der Diäten sind eher nach Wirtschaftsmanagern als nach der Bevölkerung ausgerichtet, Eigentlich müßten die Diäten nach dem mittleren Einkommen der Bevölkerung berechnet werden; eine andere Lösung wäre, dass die Abgeordneten das gleiche Einkommen bekommen, das sie vor ihrer Abgeordnetenzeit hatten. Da wir heute Abgeordnete haben, die vorher Hartz-4 bezogen haben, würden ja vielleicht auch die Regelsätze so angehoben, daß Menschen davon leidlich leben können. Die bisherige hohe Aufwandsentschädigung in direktem Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit könnte nach meiner Meinung sogar noch höher sein, wenn jede Ausgabe überprüft würde. Die Bundestagsabgeordneten bekommen auch eine Bundesbahn-Jahreskarte 1.Klasse; dort sind sie unter Managern, Geschäftsleuten oder anderen gut betuchten Menschen. Es wäre doch besser, wenn sie in der 2.Klasse mit der normalen Bevölkerung in Kontakt kämen. CD: 24:11 MIC: 27:01 13 14 Just friends (Lewis - Klemmer) Konstantin Wecker14 in einem Graswurzel-Interview: „Wenn Du mal mit Politikern unterwegs bist, wie die hofiert werden, also allein wenn es um so Kleinigkeiten geht, einen Platz in einem Restaurant zu kriegen, das eigentlich voll ist; wenn Du Politiker bist, die würden im Restaurant sofort auf der Stelle einen Extraanbau machen, um Dich dort bewirten zu dürfen. Und so geht das wahrscheinlich überall, Du willst in die Oper, Du willst ins Theater, Du bist wer, das ist wahrscheinlich ein Gefühl, auf das man nicht gern verzichtet.“ Defekte Demokratie (Wikipedia unter: de.wikipedia.org/w/index.php?title= Defekte Demokratie Eine andere Gesellschaft muss auch eine liebevollere sein (Konstantin Wecker in der Graswurzel – 3 Hefte) 5 Die Abgeordneten sind in einem Zwiespalt gefangen: sie stehen zwischen ihren eigenen Ansichten, auf der anderen Seite den Plänen und Wünschen ihrer Partei und als Drittes der Bevölkerung ihres Wahlkreises. Und sie sind meist schon lange Politiker und haben längst den Anschluß an ihren Beruf verloren.– da ist doch die „Alternative“ im Bundestag zu bleiben auf jeden Fall die einfachere! Gewiß, manche ehemaligen Politiker werden nach ihrer politischen Tätigkeit Berater in Konzernen – Schröder, Fischer – dadurch wird der „Beruf“ des Politikers weiter abgewertet. Bundestagswahlen! Für jeden Wahlkreis bestimmt jede Partei einen Kandidaten, von denen dann mit der ersten Stimme nur einer im Wahlkreis gewählt wird. Für die Wahl mit der Zweitstimme reicht jede Partei eine Landesliste ein, die mehrere Kandidaten enthält. Proportional dem Wahlergebnis werden Kandidaten aus diesen Listen gewählt. Hier bestimmen die Parteien bei der Aufstellung der Landesliste mehr oder weniger, wer auf welchen Platz kommt. Natürlich spielt bei der Aufstellung der Landesliste auch das Verhalten im Bundestag eine große Rolle: wer sich nicht an die Vorgaben der Parteiführung hält, verringert seine Chancen. Allerdings steht im Grundgesetz: Die Abgeordneten „sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen15.“ Im Lichte der genannten Tatsachen ist das nicht mehr als ein Hohn. Hier ließe sich mit etwas größerem Aufwand leicht Abhilfe schaffen: wenn der Wähler mit seiner Zweitstimme nicht nur die Partei, sondern aus der Landesliste auch einen bestimmten Kandidaten wählen könnte; die Stimmen würden nach wie vor nach den Prozentzahlen an die Parteien, aber innerhalb der Landeslisten an die Kandidaten mit den meisten persönlichen Stimmen vergeben. CD: 29:23 MIC: 31:43 Sonnymoon for two (Rollins) Unser Wahlsystem kennt die 5%-Klausel, die angeblich „Weimarer Verhältnisse“ verhindern soll; in Wirklichkeit hält sie nur neue Parteien vom Bundestag fern. Natürlich ist Regieren einfacher, wenn eine Partei die absolute Mehrheit im Bundestag hat, demokratischer ist das nicht! Im Grunde geht es ja in der Politik nicht nur darum, die eigene Meinung durchzusetzen, eigentlich sollte es selbstverständlich sein, dass aus den unterschiedlichen Meinungen der Abgeordneten – nicht der Parteien – ein Kompromiß gefunden wird, der am ehesten der Mehrheit der Wähler entspricht. Es ist nicht einzusehen, daß bei einem solchen Prozeß die Meinung von Millionen Wählern einfach unter den Tisch gekehrt wird – bei der Wahl 2009 hatten wir 62 Millionen Wahlberechtigte, davon 5% sind mehr als 3 Millionen – eine Partei mit 2,5 Millionen Wählern wäre glatt gescheitert. Leider läßt auch das Demokratieverständnis unserer Politiker sehr zu wünschen übrig: zum Beispiel die Wahl des neuen Bundespräsidenten. Die Neue Zürcher Zeitung brachte am 2.Juli einen Artikel: „Deutsches Erschrecken über die funktionierende Demokratie 16“; dort hieß es: „Dass es rund 40 bürgerliche Wahlleute am Mittwoch wagten, in den ersten beiden Durchgängen der Bundespräsidentenwahl die Empfehlungen der Regie- 15 16 Grundgesetz Art. 38 Deutsches Erschrecken über die funktionierende Demokratie (NZZ 2.7.2010) 6 rung in den Wind zu schlagen, fanden zahlreiche Politiker auch am Donnerstag unerhört bis schockierend. Als etwas vollkommen Natürliches, das eben vorkommt, wenn freie Bürger an einer geheimen Wahl teilnehmen, mochte den Vorgang kaum jemand einstufen.“ Eine radikale Änderung für alle diese antidemokratischen Erscheinungen würde hier die ursprünglich von den Grünen vorgeschlagene Rotation bringen, die ein Verbot der sofortigen Wiederwahl in den Bundestag zum Ziel hatte. Eine solche Regelung würde verhindern, daß Menschen Jahre und Jahrzehnte im Bundestag sind und dann keine andere Perspektive haben als bis zur Pensionierung im Bundestag zu bleiben. Über die Ausgestaltung der Rotation könnte man sich streiten – sicher sind 2 Jahre zu kurz, aber 4 Jahre – also eine Legislaturperiode – wäre gerade richtig. Um zu verhindern, daß im Bundestag ständig Anfänger sind, könnte alle 2 Jahre die Wahl der Hälfte der Mitglieder des Bundestages vorgenommen werden. Im amerikanischen Senat wird jeweils ein Drittel der Senatoren alle 2 Jahre gewählt, eine „Verweildauer“ von 6 Jahren. Mit einem absoluten Wiederwahlverbot für das gleiche Parlament wäre auch sichergestellt, daß die betreffenden Personen wieder in ihren Beruf zurückkehren könnten. CD: 34:25 MIC: 36:54 Broadway (Woode – McRae - Bird) Das politische Wissen unter unseren Mitbürgern ist nicht gerade weit verbreitet. Hier greifen allerdings zwei Dinge ineinander: da zur Zeit eine Mitwirkung der Bürger an der Politik überhaupt nur durch Wahlen statt findet, die zu den reinsten Schönheitswettbewerben verkommen sind, da weiter aus Politik eine reine Politiksymbolik geworden ist, die durch freundliches Händeschütteln im Fernsehen gekennzeichnet ist, da weiter eine ehrliche öffentliche Diskussion über Probleme daran scheitert, daß dann ja auch unangenehme Dinge auf den Tisch kämen, hat der Bürger, die Bürgerin nicht gelernt mit Politik umzugehen und auch kein Interesse daran. Die Neue Zürcher Zeitung hat kürzlich unter der Überschrift „Das Gemeinwesen, das sich seinen Bürgern nicht aufdrängt 17“ gesagt: „Damit die Bürger zu freien und verantwortlichen Wesen werden können, müssen noch andere Bedingungen erfüllt sein. Jede freie Entscheidung verlangt von ihnen, daß sie wissen, wo sie in Raum und Zeit stehen, daß sie die Geschichte verstehen, die sie hervorgebracht hat, damit sie die wahrscheinlichen Folgen abschätzen können. Weiter müssen sie die Möglichkeit haben, das, was sie denken mit dem zu vergleichen, was andere Menschen denken oder gedacht haben: die Arbeiten vergangener Generationen zu kennen, die Natur und menschliches Leben grundlegend verändert haben und diese Arbeiten fortsetzen. Das demokratische Regime braucht also ein Netz von Institutionen im Dienste der Ausbildung, der Berufslehren und der Kultur.“ Was können wir als Einzelne tun? Bei der Fülle der verschiedenen politischen Themen ist es unmöglich sich über Alles zu informieren. Daher ist es notwendig, sich ein politisches Thema zu suchen, das einen interessiert. Dann muß das nötige Wissen für dieses Thema beschafft werden; da sind die Parteien eine Quelle, aber es ist unbedingt notwen- 17 Das Gemeinwesen, das sich seinen Bürgern nicht aufdrängt (NZZ 10.7.2010) 7 dig sich auch unabhängige Quellen zu suchen. Es gibt für fast jedes Interessengebiet Zeitschriften und Initiativen, die einen Newsletter herausgeben. Wenig Informationen liefern Fernsehen und die Zeitungen mit den großen Buchstaben. Es ist natürlich vorteilhaft, wenn wir Gleichgesinnte finden und mit denen zusammen arbeiten; aber kleine Gruppen können sich weder ein Telefon noch ein Büro leisten und es ist daher schwierig, mit denen in Verbindung zu treten. Oft helfen da überregionale Organisationen. Aber auch als Einzelner kann die eigene Meinung durch kleine Handzettel verbreitet werden.. CD: 39:22 MIC: 43:21 Bye Bye Blackbird (Dixon - Henderson) Zusammenarbeit, aber wie? In Afrika wird in den Dörfern das sogenannter Palaver durchgeführt, ein Treffen, wo sich die Menschen zuerst untereinander austauschen und erst nach längerem Palaver zu einer Meinung finden. Ich habe in meiner Zeit in der Industrie einige Male so etwas wie ein Palaver durchgeführt. Wir hatten in der Firma einmal für die Weiterentwicklung eines Produktes keine Ideen; da haben wir ein 3-tägiges Treffen in Freizeitkleidung in einem Weinort an der Mosel organisiert und sind am ersten Tag in Gruppen am Fluß spazieren gegangen, jeder sollte so alle Stunde von einer Gruppe zu einer anderen überwechseln. Thema war nicht nur das Projekt, auch persönliche Dinge waren erlaubt. Wir nannten das eine „Wanderbesprechung“, die am 2. Morgen wiederholt wurde. Nachmittags wurden in ganz lockerer Atmosphäre die vielen Ideen schriftlich festgehalten. Am 3.Tag wurden die Unterlagen durchgesprochen, Fehler und zu vage Ideen ausgemerzt, ab Mittag waren wir auf der Heimreise zufrieden mit dem guten Ergebnis. Aber auch der Staat könnte helfen! Das Wissen der Bevölkerung könnte auf andere Art auf eine breitere Basis gestellt werden; andere Meinungen als die Meinungen der Parteien haben es bei uns schwer, obwohl es viele Initiativen gibt, die ernsthaft an Politikproblemen arbeiten; doch alle diese Initiativen haben das Problem, daß sie nur durch Spenden zu finanzieren sind, während die Parteien – auch über die Einkommensteuer – großzügig vom Staat alimentiert werden. Ich will hier nicht der verpönten Staatsknete das Wort reden – (Wes Brot ich ess.....) aber es gäbe sicher Wege, diese Gruppen zu unterstützen, ohne eine Abhängigkeit zu schaffen. Mal ganz trivial: warum muß die Anmeldung eines Infostands in vielen Städten Geld kosten? Von dem Versuch, für Demonstrationen größere Geldbeträge zu kassieren, wollen wir gar nicht reden! CD: 45:13 MIC: 49:06 18 My ship (Weill - Gershwin) Volksentscheide auf Bundesebene! SPD und Grüne sind offen dafür, aber die vorgesehene Anzahl von Antragstellern und die allein vorgesehenen Politikfelder, für die Volksentscheide eventuell vorgeschlagen werden könnten, sind zu eng. Dazu kommt, daß Volksentscheide auf Landesebene, die in einigen Bundesländern zugelassen sind, fast immer eine relativ geringe Beteiligung hatten. So zum Beispiel die kürzliche Volksabstimmung über die Schule in Hamburg18, bei der nicht einmal 40 % der Bürger zur Wahl kamen. In der Neuen Zürcher Zeitung wird gesagt, daß es „Tatsache ist, daß vor allem in den Volksparteien nach wie Plebiszite bleiben in Deutschland umstritten (NZZ 22.7.2010) 8 vor viele Politiker dem Volk, dem „großen Lümmel“, nicht über den Weg trauen“ – nicht gerade eine sehr demokratische Einstellung. In einem Werbefilm von dem gemeinnützigem Verein „Mehr Demokratie19“ spricht Dr. Otmar Jung – Privatdozent am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaften und anerkannter Verfassungsjurist zu dem Thema Volksbegehren/Volksentscheid. Nach Angabe der Prozentzahlen der Bürger, die bundesweite Volksabstimmungen wollen (etwa 2/3) wird er gefragt, warum die Politiker das nicht einführen; seine Antwort: „Die politische Elite will einfach zwischen zwei Wahlen vier Jahre ungestört regieren!“ Zwei andere Themen! In dem Buch „Die Demokratie entfesseln – nicht die Märkte“20 wird die Forderung gestellt, auch die Verwaltung einer partizipativen Kontrolle zu unterstellen; die Gesetze ließen den Verwaltungen viel Spielraum, der durch Verwaltungsrichtlinien gefüllt wird, ohne daß irgendeine demokratische Kontrolle vorhanden ist. Ähnliches gilt für die Wirtschaft. Es ist ein Unding, dass ein Konzern etwas komplett Neues einführt, das sehr viele Menschen betrifft, ohne dass diese vorher gefragt werden – ein Beispiel ist Googles Street View. Es macht die Sache nicht besser, dass nun Betroffene gegen die Verwendung der Bilder ihrer Häuser innerhalb eines bestimmten Zeitraums Einspruch einlegen können. CD: 51:09 MIC: 54:44 After you’ve gone (Creamer - Layton) Zum Schluß eine kurze Bemerkung: Am 17. März 1793 21 trat das erste in Deutschland auf demokratischen Weg zustande gekommene Parlament in Mainz zusammen, am folgenden Tag wurde verkündet: „Dekret des zu Mainz versammelten rheinisch-deutschen Nationalkonvents vom 18. März 1793, wodurch in dem Striche des Landes von Landau bis Bingen am Rhein alle bisherigen angemaßten willkürlichen Gewalten abgeschafft werden.“ „Artikel 1 – Der ganze Strich Landes von Landau bis Bingen, welcher Deputierte zu diesem Konvent schickt, soll von jetzt an einen freyen, unabhängigen, unzertrennlichen Staat ausmachen, der gemeinschaftlichen, auf Freiheit und Gleichheit gegründeten Gesetzen gehorcht. Artikel 2 – Der einzige rechtmäßige Souverän dieses Staats, nämlich das Volk, erklärt durch die Stimme seiner Stellvertreter allen Zusammenhang mit dem deutschen Kaiser und Reiche für aufgehoben.“ Aber preußische Truppen besetzten sehr schnell das Land und belagerten Mainz; damit war der neue Staat nur auf das Stadtgebiet von Mainz beschränkt, das sich am 23. Juli 1793 ergab. Das war das Ende dieses ersten deutschen demokratischen Freistaats und gleichzeitig das Ende der heutigen Sendung „Gegenwind – wie ich das sehe!“ mit dem Thema „Demokratie – kaputt?“. 19 20 21 Zu hören auf den Webseiten von Mehr Demokratie e.V. Die Demokratie entfesseln – nicht die Märkte“ (Verlag PapyRossa 2010 ISBN 978-3-89438432-6 S.252) Mainzer Republik (Wikipedia unter: http://www.wikipedia.org/w/indes.php? title=Mainzer_Republik) 9 Sie können diese Sendung auch im Internet nachlesen und den Textteil hören unter der Webadresse „www.gegenwind.militaer-gehoert-abgeschafft.de“ – militaer mit ae und gehoert mit oe – „www.gegenwind.militaer-gehoert-abgeschafft.de“ PC: 56:44 CD: 57:03 Ende 60:00 Wie immer sind auch Fragen und Kritik zu dieser Sendung erwünscht; meine Mail-Adresse ist „[email protected]“. Ich hoffe, daß Ihnen die Sendung gefallen hat und sage „Auf Wiederhören – bis zum nächsten Mal“. Gegenwind – Goodby! Stardust (Carmichael) [bei 60:00 ausblenden]