Unser Bild vom Islam im Wechsel der Zeit: Von den Kreuzzügen bis zur Gegenwart II Rainer Tetzlaff Wisdom Professor of African and Development Studies Jacobs University Bremen SS 2009 Eine Veranstaltung der AWW Universität Hamburg Juni 2009 2 Prof. Dr. Rainer Tetzlaff, Jacobs University Bremen Vorlesung: Bilder des Islam 15. Juni 2009 3 Prof. Dr. Rainer Tetzlaff, Jacobs University Bremen Präsident Obama in Kairo 4 Prof. Dr. Rainer Tetzlaff, Jacobs University Bremen Prof. Dr. Rainer Tetzlaff, Jacobs University Bremen 5 Xenophobische Projektionen in Deutschland? Tarek Al-Wazir Ein CDU-Abgeordneter aus dem hessischen Landtag 2009 zu dem Grünen Politiker Tarek Al-Wazir: „Na, Al-Wazir, wenn dann die Moslems hier im Land die Macht übernehmen, dann leg ein gutes Wort für mich ein“. 6 Prof. Dr. Rainer Tetzlaff, Jacobs University Bremen Wahlen zum Europäischen Parlament am 7. Juni 2009: Rechtspopulismus im Aufwind • Ein Motto der Dänischen Volkspartei „Gebt uns Dänemark zurück“! • Motto der Österreichschen Rechtspartei „Abendland in Christenhand“ • In den Niederlanden wurde die „Partei für die Freiheit“ des Anti-Islam-Kämpfers Geert Wilders zur 2.stärksten Partei – zum Entsetzen der Sozialdemokraten! 7 Prof. Dr. Rainer Tetzlaff, Jacobs University Bremen Aktuelle Fragen: Sinken Toleranzschwellen in Krisenzeiten? • Reagieren Menschen in Krisenzeiten eher konservativ und suchen Sündenböcke im Ausland oder bei Minderheiten? • Oder zahlen multikulturell gewordene Gesellschaften der Europäischen Union jetzt den Preis für die Versäumnisse einer klugen Migrationspolitik? 8 Prof. Dr. Rainer Tetzlaff, Jacobs University Bremen Oriana Fallaci - Florentinerin in New York • ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ Aus „Die Wut und der Stolz“, eine Reaktion auf den 11. September 2001: „Aufstehen, Leute, aufstehen… Wir haben es mit einem umgekehrten Kreuzzug zu tun… Mit einem Religionskrieg, den Jihad, einen Heiligen Krieg Er wird unsere Kultur zerstören, unsere Wissenschaft, unsere Moral, unsere Werte, unsere Freuden… Welchen Sinn macht es, Leute zu respektieren, die uns nicht respektieren? Welchen Sinn macht es, ihre Kultur zu verteidigen, wenn sie die unsere verachten?“ 9 Prof. Dr. Rainer Tetzlaff, Jacobs University Bremen Oriana Fallaci II: Kontinuität der Eroberung des Okzidents durch Muslime • Auf dieser Welt ist Platz für alle. Bei sich zu Hause macht jeder, was er will… • Ich bin mit der Idee der Freiheit groß geworden,…doch wenn mir die Söhne Allahs diese Dinge aufzwingen wollen, meinem Land, wenn sie meine Kultur durch ihre ersetzen wollen… • Genau das wollen. • Usama Bin Laden hat erklärt, dass der gesamte Planet moslemisch werden muss… 10 Prof. Dr. Rainer Tetzlaff, Jacobs University Bremen Oriana Fallaci III: Der Missbrauch unserer liberalen Grundsätze • Sie – die Söhne Allahs – haben Zugang zu unseren Universitäten, unseren Banken, unserem Fernsehn… • Sie nisten sich in unseren technischen Nervenknoten ein, im Herz unserer Gesellschaft… • Einer Gesellschaft, die sie im Geiste der Demokratie aufnimmt, der Aufgeschlossenheit, des christlichen Mitleids, ihrer liberalen Grundsätze, ihrer zivilen Gesetzgebung .. • Liberale Prinzipien, die sie schamlos ausnutzen…“ 11 Prof. Dr. Rainer Tetzlaff, Jacobs University Bremen Oriana Fallaci IV: Selbstmord Europas • Der Westen mittels seiner liberalen sorglosen Haltung nährt und stützt diesen „umgekehrten Kreuzzug“… • Das ist der Grund, warum die Kreuzfahrer immer mehr werden, immer mehr wollen, immer mehr beherrschen. • In der Tat, mit ihnen zu verhandeln ist unmöglich. • Vernünftig zu reden, undenkbar. • Sie mit Nachsicht zu behandeln, ein Selbstmord. Und wer das Gegenteil glaubt, ist ein Idiot“ (S. 81). 12 Prof. Dr. Rainer Tetzlaff, Jacobs University Bremen Barack Hussein Obama: Gemeinsame Grundsätze an der Universität von Kairo 2009 I • Salam alaikum! Kairo sei ein „leuchtendes Beispiel für islamische Bildung seit mehr als 1000 Jahren“ • Er plädiert für einen „Neuanfang, der auf gemeinsamen Interessen und gegenseitiger Achtung beruht. • Die Vereinigten Staaten und der Islam „überschneiden sich und haben gemeinsame Grundsätze – der Gerechtigkeit und des Fortschritts, der Toleranz und der Würde aller Menschen“. • „Wir müssen uns darum bemühen, einander zuzuhören, voneinander zu lernen, uns gegenseitig zu respektieren und Gemeinsamkeiten zu finden“. 13 Prof. Dr. Rainer Tetzlaff, Jacobs University Bremen Barack Obama „Ex oriente Lux“ Kairo 2009 II • Wie der heilige Koran uns lehrt: „Sei Gott gewärtig und spreche immer die Wahrheit“. Das werde ich heute versuchen… • Als Geschichtsstudent weiß ich um die Schuld der Zivilisation gegenüber dem Islam. • Es war der Islam an Orten wie der Kairo-Universität, der das Licht der Bildung über so viele Jahrhunderte getragen und den Weg für die europäische Renaissance und Aufklärung bereitet hat“. 14 Prof. Dr. Rainer Tetzlaff, Jacobs University Bremen Barack Obama über muslimische Erfindungen Kairo 2009 III • „Es waren Innovationen in muslimischen Gesellschaften, durch die die Ordnung der Algebra entstanden, unserer magnetischer Kompass und die Instrumente der Navigation, unsere Fähigkeit, Federhalter herzustellen und unsere Beherrschung des Drucks sowie unser Wissen um die Verbreitung von Krankheiten und wie sie geheilt werden können… • Im Verlaufe der Geschichte hat der Islam durch Worte und Taten die Möglichkeit der religiösen Toleranz und ethnischen Gleichberechtigung demonstriert. • Ich weiß auch, dass der Islam immer ein Teil der amerikanischen Geschichte gewesen ist“. 15 Prof. Dr. Rainer Tetzlaff, Jacobs University Bremen Barack Obama über Toleranz und interkulturellen Dialog Kairo 2009 IV • • • • • „Der Islam ist nicht Teil des Problems bei der Bekämpfung des gewalttätigen Extremismus (Taliban, Al-Qaida) – er ist ein wichtiger Teil der Förderung des Friedens… Das fünfte Thema, das wir gemeinsam ansprechen müssen, ist Religionsfreiheit. Der Islam blickt auf eine stolze Tradition der Toleranz zurück. Wir sehen das an der Geschichte Andalusiens und Cordobas während der Inquisition…(!) Unter einigen Muslimen gibt es die beunruhigende Tendenz, den eigenen Glauben zu messen, in dem man den Glauben eines anderen Menschen ablehnt… Auch müssen die Spaltungen zwischen Sunniten und Schiiten überwunden werden… Unser Glaube sollte uns vielmehr zusammenbringen. Überall auf der Welt können wir aus Dialog glaubensübergreifendes Engagement machen“ (Saudi-Arabien und Türkei als Führungsmächte). 16 Prof. Dr. Rainer Tetzlaff, Jacobs University Bremen Barack Obama: Vision einer besseren Welt, basierend auf gemeinsamen Interessen, Kairo 2009 V • Wir haben die Verantwortung, uns gemeinsam für die Welt, die wir anstreben, einzusetzen – eine Welt, in der Extremisten nicht mehr unsere Bürger bedrohen und die amerikanischen Soldaten heimgekehrt sind• Eine Welt, in der sowohl Israelis als auch Palästinenser ihr eigenes Land haben [Zweistaaten-Lösung], • In der Atomenergie für friedliche Zwecke genutzt wird, • In der die Regierungen ihren Bürgern dienen und die Rechte aller Kinder Gottes geachtet werden. > Das sind gemeinsame Interessen. Das ist die Welt, die wir anstreben. Aber wir können sie nur gemeinsam erreichen. 17 Prof. Dr. Rainer Tetzlaff, Jacobs University Bremen Barack Obama über Jerusalem Kairo 2009 VI • • • • Wir wollen auf den Tag hinarbeiten, an dem das heilige Land der drei großen Glaubensrichtungen der Ort des Friedens ist, den Gott ffür ihn vorgesehen hat, an dem Jerusalem die sichere und ständige Heimat von Juden, Christen und Muslimen ist Und ein Ort, an dem alle Kinder Abrahams friedlich zusammenkommen können Wie in der Geschichte der Al-Isra, als Moses, Jesus und Mohammed – möge der Friede mit ihnen sein – gemeinsam beteten“. Israels Gegenposition seit dem Knesset-Beschluss 1967: Jerusalem sei die ewige und unteilbare Hauptstadt der Juden! 18 Prof. Dr. Rainer Tetzlaff, Jacobs University Bremen Barack Obama: „Mut für einen Neuanfang“ Kairo 2009, VII • • • • „Es gibt soviel Angst und so viel Mißtrauen, die sich im Laufe der Jahre aufgebaut haben. Aber wenn wir beschließen, dass wir an die Vergangenheit gebunden sind, werden wir niemals Fortschritte machen. Es ist einfacher zu sehen, was uns unterscheidet, als die Dinge zu finden, die wir gemeinsam haben… Es gibt eine Regel, die jeder Religion zugrunde liegt: dass man andere behandelt, wie man selbst behandelt werden möchte. Diese Wahrheit überwindet Nationen und Völker…Es ist ein Glaube, der in der Wiege der Zivilisation pulsierte, und der noch immer in den Herzen von Milliarden Menschen auf der Welt schlägt. Es ist der Glaube an andere Menschen, und er hat mich heute hierher gebracht.“ 19 Prof. Dr. Rainer Tetzlaff, Jacobs University Bremen „Der Wunsch nach einem offenen und aufrichtigen Dialog“ Brief von 38 islamischen Führern an Papst Benedikt XVI Brief vom 12. 10.2006 an Papst Benedikt wegen seiner „Fehler“ , „wie Sie den „Islam als Kontrapunkt zum eigentlichen Gebrauch der Vernunft erwähnten“ (Universität Regensburg 12. 09. 06) Kaiser Manuel II Palaeologus sagte, der Prophet hätte „nichts Neues“ gebracht und seine Lehre sei „schlecht und inhuman“, weil der neue Glaube mit Feuer und Schwert verbreitet würde. > „Es gibt keinen Zwang im Glauben“ (Sure 2,256). > „Und sprich: ‚Die Wahrheit ist von euerm Herrn; und wer will, der glaube, und wer will, der glaube nicht“ (Sure 18, 29). > „Gott sagt im Heiligen Koran: „Nicht ward etwas anderes zu dir (Mohammed) gesprochen, als was zu den Gesandten vor dir gesprochen war“ 20 Prof. Dr. Rainer Tetzlaff, Jacobs University Bremen Offener Brief von 38 islamischen Führern an Papst Benedikt XVI (2) über Vernunft > Bei uns besteht nicht die Trennung zwischen Vernunft und Glauben. „Vielmehr haben sich Muslime auf eigene Art und Weise mit dem Vermögen und den Grenzen menschlicher Intelligenz abgefunden, indem sie eine Hierarchie von Wissen anerkennen, in der Vernunft ein wesentlicher Bestandteil ist… > Von größter Bedeutung ist es, dass die intellektuellen Erkenntnisse von Muslimen in ihren ausgereiftesten und vorherrschenden Formen eine Übereinstimmung zwischen den Wahrheiten der Offenbarung des Koran und den Forderungen menschlicher Intelligenz aufrechterhalten haben, ohne das eine für das andere zu opfern“. „Al-islâm dîn wa-daula“ = Der Islam ist Religion und Welt 21 Prof. Dr. Rainer Tetzlaff, Jacobs University Bremen Offener Brief von 38 islamischen Führern an Papst Benedikt XVI (3) über Wahrheit > „Nach islamischen Glauben predigen alle wahren Propheten verschiedenen Völkern zu verschiedenen Zeiten die gleiche Wahrheit. Die Gesetze mögen unterschiedlich sein, nicht jedoch die Wahrheit. Sie ist unveränderbar“ (!). 22 Prof. Dr. Rainer Tetzlaff, Jacobs University Bremen Tilman Nagel: Allahs Liebling (1): Wahrheit und Wissen im Islam • Die Wahrheit ist nicht außerhalb des Korans und der Prophetenüberlieferung (Hadîthe) zu finden. • Das Leben und das Wirken Mohammeds ist der Geschichte entzogen. Die gesamte Überlieferung wird im 11. Jahrhundert sakralisiert. • Diese Tradenten (Überlieferer) befreien den muslimischen Gelehrten „auch heute noch von der Anstrengung einer eigenverantwortlichen Prüfung des Inhalts einer Aussage“. • Quelle: Tilman Nagel, Allahs Liebling. Ursprung und Erscheinungsformen des Mohammedglaubens, München 2008 (Oldenbourg Verlag) 23 Prof. Dr. Rainer Tetzlaff, Jacobs University Bremen Tilman Nagel: Allahs Liebling (2) Die Sakralisierung des Propheten • Diese Sakralisierung des allgegenwärtigen Prophetentums „schlägt zu allen übrigen Menschen die Tür zu einer Verständigung von gleich zu gleich zu“. • „Der Glaube an ein für alle Lebensbereiche ein für allemal gültiges, vorgefertigtes Wissen und an einen allzuständigen Gesandten Allahs ist das entscheidende Hemmnis, ohne dessen Überwindung die Muslime nicht zu gleichberechtigten Teilhabern einer pluralistischen Weltkultur werden können.“ (S. 128) 24 Prof. Dr. Rainer Tetzlaff, Jacobs University Bremen Iran 2009 • Mohammad Taqi Fazel Meybodi, Reformtheologe in Qom: „Die religiösen Posten müssen von den staatlichen getrennt werden. • Der Staat darf weder Interpret noch Aufpasser über religiöse Dinge sein. • Und Religion darf nicht als Damm gegen Freiheitsbestrebungen missbraucht werden 25 Prof. Dr. Rainer Tetzlaff, Jacobs University Bremen Dilemma der aufgeklärter Muslime – Bassam Tibi • Sie bekennen sich einerseits zu der universellen Gültigkeit der Menschenrechte und verteidigen Meinungsfreiheit und sogar Religionsfreiheit. • „Aber sie setzen sich gleichzeitig auch ein für die Respektierung religiöser Überzeugungen und der ethischen Schranken, vor denen jede literarische Bearbeitung herhalten müsste“ (Tibi). • Wo aber liegen diese „ethischen Schranken“? 26 Prof. Dr. Rainer Tetzlaff, Jacobs University Bremen Die Satanischen Verse“ – • Salman Rushdie, 1947 in Bombay geboren, englischer Staatsbürger, publizierte 1988 seinen Roman „Satanische Verse“. • Ayatollah Chomeini (Iran) verhängte im Februar 1989 über ihn eine fatwa wegen Blasphemie: Jeder eifrige Muslim sei verpflichtet, den Renegaten Salman Rushdie zu töten. 27 Prof. Dr. Rainer Tetzlaff, Jacobs University Bremen Satan bzw. Iblîs: „schaitan“ und „jihad“ • • • • • Iblîs als Symbol für Hoffart und Ungehorsam (gegen Gott) Versucher der Menschheit Triebseele des Menschen („schaitan“) Großer heiliger Krieg (Jihad) Muhammad: „Mein schaitan hat sich mir ganz ergeben und tut nur noch was ich ihm befehle“. 28 Prof. Dr. Rainer Tetzlaff, Jacobs University Bremen Feindbild Islam damals • Konstruiertes Feindbild Islam als willkommener Einigungsfaktor • „Türkengefahr“: Sie schwächten zunächst Byzanz und eroberten weite Teile des Balkans sowie Nordafrikas, nahmen 1453 Konstantinopel und belagerten 1529 Wien. • 1492 fällt Granada als letzte Bastion der Muslime in Europa (Ausnahme Balkan) • 1683: 2. Belagerung Wiens scheitert. 29 Prof. Dr. Rainer Tetzlaff, Jacobs University Bremen Die Integration von Muslimen und die islamische Vielfalt (Vorlesung am 29. Juni 2009) • Wolfgang Schäuble – Vater der Deutschen Islamkonferenz • Das große Weltexperiment: Versöhnung von Koran und moderner Gesellschaft • Magere Ergebnisse bisher • Schäubles Reise in den Nahen Osten: der gut gemmeinte Dialog als Selbsttäuschung? 30 Prof. Dr. Rainer Tetzlaff, Jacobs University Bremen Die theologische Falle • Islamverbände in Deutschland: Scharia vor dem Grundgesetz? • Sure 3, 111: „Ihr seid die beste Gemeinde…“ • Selbstbild und Realität klaffen auseinander • Alles, worauf das tägliche Leben im islamischen Kulturkreis angewiesen ist (Kühlschrank, Telefon, Steckdose…) stellt eine „stumme Demütigung“ dar. • Blockierte Eigenanstrengungen. 31 Prof. Dr. Rainer Tetzlaff, Jacobs University Bremen Monotheismus + die Sprache der Gewalt – Jan Assmann 1 • Wiederkehr der Religionen heute ist verbunden mit Gewalt, Bedrohungs- bewusstsein, Hass, Angst und der Produktion von Feindbildern. • Die Sprache der Gewalt in den heiligen Schriften der Juden, Christen, Muslime u. a. beruhe „auf einen exklusiven Wahrheitsbegriff“. 32 Prof. Dr. Rainer Tetzlaff, Jacobs University Bremen Monotheismus und der Kanon Ägyptologe Jan Assmann 2 • Der exklusive Monotheismus ist nicht nur eine Sache des Kultus sondern der gesamten Lebensführung, Festtag wie Alltag. • Dazu bedarf es der Schrift: „Das Gesetz gilt, weil es geschrieben steht“. • Die gesteigerte Form von Schriftlichkeit ist der Kanon: „Leben ist Schrifterfüllung“. 33 Prof. Dr. Rainer Tetzlaff, Jacobs University Bremen Monotheismus: Genesis und Geltung - Jan Assmann 3 • Die Sprache der Gewalt entstammt dem politischen Druck, aus dem der Monotheismus gerade befreien will. Sie gehört in die revolutionäre Rhetorik der Konversion, der radikalen Wende und Abkehr,des kulturellen Sprungs aus dem Alten ins Neue. • Motive sollen historisiert werden, indem man sie auf ihre Ursprungssituation zurückführt: Es gilt ihre Genese aufzudecken, um sie in ihrer Gültigkeit einzuschränken 34 Prof. Dr. Rainer Tetzlaff, Jacobs University Bremen Die Allgegenwart des Sakralen Der Historiker Dan Diner • „din va-daula“ – Einheit von Religion und Staat • Das sakrale Recht durchdringt die Lebenswelten – vom Alltag bis zur Poliik • Historiker: das heilsrelevante Wissen kann nur überliefert, nicht erschlossen werden • Nur Ibn Khaldun fragte nach dem „warum“ der Dinge; aber Geschichte bewegt sich im Kreis, nicht als aufstrebende Linie (Fortschritt) 35 Prof. Dr. Rainer Tetzlaff, Jacobs University Bremen Die versiegende Wirkung des Sakralen – Dan Diner 2 • Er behauptet einen systematischen Zusammenhang zwischen dem Stillstand der Lebenswelten und der sakralen Versiegelung von Zeit. • Zeit kann durch Recht versiegelt werden, v.a. durch sakral imprägniertes Recht. • Mit Wandel und Entwicklung ist dann nicht zu rechnen. 36 Prof. Dr. Rainer Tetzlaff, Jacobs University Bremen „Kulturelle Semantik“ - ein Schlüssel zum Verständnis der Völker, nach Jan Assmann • Es sind die „die großen Erzählungen und Leitunterscheidungen, mithilfe derer sich eine Gesellschaft in der Welt und in der Zeit orientiert und die sich in ihren fundierenden Mythen, Symbolen, Bildern und literarischen Texten ausprägt“. • Kulturelle Semantiken ändern sich, überlagern sich „und bestimmen dennoch das Handeln und Erleben, das Denken, Erinnern und Planen“. • Quelle: Jan Assmann, Monotheismus und die Sprache der Gewalt. Wiener Vorlesungen, Wien 2004 (Picus) 37 Prof. Dr. Rainer Tetzlaff, Jacobs University Bremen Gudrun Krämer: Zur Frage der Gewalt zw. Umayyaden (Omayyaden) und Abbasiden • • • • • Blutige Nachfolgekriege: Der Haschemit Abu Muslim 747 fällt Merw/Irak Einnahme von Kufa 750 Blutbad: Rache der Abbasiden an den Vorgängern: Ermordung der Familie, Schändung der Gräber 38 Prof. Dr. Rainer Tetzlaff, Jacobs University Bremen Konflikt mit den Mu‘taziliten: Ist der Koran „urewig“ wie Gott oder von diesem „geschaffen“? • Kalif Al‘Mamun beanspruchte Dogmenkompetenz • Wider stand der Ulama, die am alten Dogma festhielt: Koran sei nicht geschaffen. • Mu‘taliza _ Strömung unter den Theologen: betonte die vernunftgemäße Ordnung der Welt wie auch der Religion. Der Koran sei geschaffen worden. • Jeder Gläubige habe die Pflicht, nach bestem Wissen und gewissen die Wahrheit zu suchen (jihad-Prinzip). • 855 wurde die Lehre verboten und die Mutaziliten wurden verfolgt. 39 Prof. Dr. Rainer Tetzlaff, Jacobs University Bremen Monotheismus und die Sprache der Gewalt • These des Arabisten Jan Assman: Monotheismus (in seiner Entstehungsphase) fördere die Gewaltbereitschaft von Gläubigen aller Buchreligionen • Echnaton in Ägypten (um 1350 vor Chr.) • Inklusiver Monotheismus • Exklusiver Monotheismus (Judentum) 40 Prof. Dr. Rainer Tetzlaff, Jacobs University Bremen Gewaltszenen in der Bibel (altem Testament) I • Die Legende vom Goldenen Kalb: Mose befiehlt: „Jeder erschlage seinen Bruder, seinen Freund, seinen Nächsten…“ • Oder: „Wenn dein Bruder dich heimlich verführen will…, sollst du ihn steinigen…“ • > Aufforderung zur Gewalt richtet sich nach innen (an die Gemeinde). • Vorbild sind assyrische Texte: der Großkönig erwartet von allen Vasallen absolute Treue 41 Prof. Dr. Rainer Tetzlaff, Jacobs University Bremen Gewaltszenen in der Bibel (altem Testament) II • „Wenn du aus einer deiner Städte, die der Herr, dein Gott, dir als Wohnort gibt, erfährst: Niederträchtige Menschen sagen: Gehen wir, und dienen wir anderen Göttern… dann sollst du die Bürger dieser Stadt mit scharfem Schwert erschlagen… dann sollst du die Stadt und die gesamte Beute als Ganzopfer für den Herrn, deinen Gott, im Feuer verbrennen… 42 Prof. Dr. Rainer Tetzlaff, Jacobs University Bremen Cultura facit saltus Israel nach der babylon. Gefangenschaft • Totaler Neubeginn nach 430 Jahren Knechtschaft in Ägypten • Kulturelle Selbstinszenierung durch Mosis und seine Einheit stiftenden Gewalttaten • Fazit: die antike Wende zum Monotheismus stellt einen kulturellen Sprung allererster Größenordnung dar. 43 Prof. Dr. Rainer Tetzlaff, Jacobs University Bremen Die Sprache der Gewalt im exklusiven Monotheismus • • • • „Die Sprache der Gewalt wird als eine Ressource im politischen Machtkampf missbraucht, um Feindbilder aufzubauen und Angst und Bedrohungsbewußtsein zu schüren. > Daher kommt es darauf an, diese Motive zu historisieren, indem man sie auf ihre Urspungsituation zurückführt. Es gilt, ihre Genese aufzudecken, um sie in ihrer Gültigkeit einzuschränken“ (Jan Assmann 56-57). Frage: Bleibt nicht aber eine kulturelle Disposition für religiös begründete Gewalt als Lösungsmittel bei Konflikten erhalten? 44 Prof. Dr. Rainer Tetzlaff, Jacobs University Bremen Rechtsentwicklungen in der islamischen Welt nach Matthias Rohe • Keine eindeutige Entwicklungsrichtung • Regional disparate Entwicklungen • Erkennbare Verschlechterungen der Rechtsstellung von Frauen in einigen Ländern (z. B. Iran), Verbesserungen in anderen (Maghreb) • Zu geringer Gebrauch von Igtihâd und Lernen von anderen Völkern 45 Prof. Dr. Rainer Tetzlaff, Jacobs University Bremen Grundhaltungen von Muslimen zur geltenden Rechtsordnung in Deutschland nach Matthias Rohe 1. Alltagspragmatiker 2. Islamgegner 3. Islamisten: a) Zivilisationskritiker; b) Missionare fordern das „deutsche Kalifat“ (M. A. Rassoul); c) Scharia statt Grundgesetz d) SchreckensMänner bzw. die „radikalen Verlierer“ (Hans Magnus Enzensberger) 4. Die Traditionalisten: aber „Not kennt kein Gebot“. Abweichung vom Mainstream mit der so genannten „darûra“ (Notwendigkeit). Grundlage für friedliche Koexistenz gegeben. 5. Einheimische Muslime: Soheib Bencheikh „Marianne et le Prophète“ 1998: Frankreich böte „die unerwartete Chance“ zu theologischen Experimenten und Modernisierungs-Reformen 46 Prof. Dr. Rainer Tetzlaff, Jacobs University Bremen Muslimische „Alltagspragmatiker“ • Alltagspragmatiker sind vermutlich die bei weitem größte Gruppe von Muslimen in Deutschland. • Sie haben ökonomische und bildungsbezogene Probleme. • Bestimmte „kulturelle Prägungen“ erschweren Integration, aber verunmöglichen sie nicht. 47 Prof. Dr. Rainer Tetzlaff, Jacobs University Bremen „Islamgegner“ • Einzelne Intellektuelle (darunter zahlreiche Frauen) mit islamkritischer Grundhaltung, • Wenige Atheisten • Einzelne Organisationen von „Ex-Muslimen“ • Sie haben freilich keine Probleme mit der Integration. 48 Prof. Dr. Rainer Tetzlaff, Jacobs University Bremen Islamisten - Integrationsverweigerer • M. A. Rassoul fordert „Das deutsche Kalifat“ • Mitbegründer eines Islamischen Zentrums in Berlin: Scharia statt Grundgesetz! • Hans Magnus Enzensberger: SchreckensMänner, die bereit sind, sich aus Rache, Enttäuschung, Frustration…sich und andere zu töten 49 Prof. Dr. Rainer Tetzlaff, Jacobs University Bremen H. M.Enzensberger: Versuch einer Deutung der SchreckkensMänner (islam. Terroristen) 1 • Die Enttäuschbarkeit der Menschen habe mit jedem Fortschritt zugenommen! • Denn der soziale Fortschritt bringe immer auch absolute Verlierer (die „absoluten Reste“) hervor. • Gesetz der „zunehmenden Penetranz der Reste“: „Je mehr Negatives aus der Wirklichkeit verschhwindet,desto ärgerlicher wird – gerade weil es sich vermindert – das Negative, das übrigbleibt“. 50 Prof. Dr. Rainer Tetzlaff, Jacobs University Bremen H. M.Enzensberger: Versuch einer Deutung der SchreckkensMänner (islam. Terroristen) 2 • Die Verlierer geraten in „mörderische Wut“. • Die Frage, warum die „radikalen Verlierer“ verlieren, trägt zu ihren Qualen bei. Denn es kann keinesfalls an ihnen selbst liegen. Man muss einen Schuldigen finden. • Beliebte Sündenböcke sind „Ausländer, Geheimdienste, Kommunisten, Amerikaner, Großkonzerne, Politiker, Ungläubige und fast immer auch die Juden“. 51 Prof. Dr. Rainer Tetzlaff, Jacobs University Bremen H. M.Enzensberger: Versuch einer Deutung der SchreckkensMänner (islam. Terroristen) 3 • Die Überzeugung von der eigenen Überlegenheit sei kein Spezifikum der arabischen Mentalität. • Was dieser jedoch ihre „eigentümliche Energie“ verleihen würde, sind zwei Momente: Zum einen sei der Glaube an die eigene Suprematie religiös fundiert; zum anderen kollidiert er mit der unübersehbaren eigenen Schwäche. • Das führe zu einer narzistischen Kränkung, die nach Kompensation verlange: Schuldzuweisungen, Verschwörungstheorien, Projektionen aller Art („Umzingelung durch den Westen“). 52 Prof. Dr. Rainer Tetzlaff, Jacobs University Bremen H. M. Enzensberger: Versuch einer Deutung der SchreckkensMänner (islam. Terroristen) 4 einzige Ausweg aus dem Dilemma ist die Fusion von Zerstörung und Selbstzerstörung, von Aggression und Autoaggression. Einerseits erlebt der Verlierer imMoment seiner Explosion eine einmalige Machtfülle. • Seine Tat ermöglicht es ihm, über andere zu triumphieren, indem er sie vernichtet. • Andererseits trägt er der Kehrseite dieses Machtgefühls, dem Verdacht, dass sein Dasein wertlos sein könnte,dadurch Rechnung, dass er ihm ein Ende macht“. • „Der 53 Prof. Dr. Rainer Tetzlaff, Jacobs University Bremen Die 4. Gruppe nach M. Rohe: Die Traditionalisten - ambivalente Einstellungen • Sie bilden eine beträchtliche Minderheit innerhalb der Muslime in der EU. • Sie sind gut in zahlreichen Moscheevereinen organisiert. • Sie verfolgen pragmatisch das Konzept möglichster „Glaubensbewahrung“ in einer als fremd empfundenen Umgebung. • Defensivposition gegenüber der „eigentlichen“ muslimischen Existenz in islamischen Mehrheitsgesellschaften, nach dem Motto: „Not kennt kein Gebot“ („darûra“). • Manche betrachten das Grundgesetz als eine „ersetzungsbedürftige Rechtsordnung“. 54 Prof. Dr. Rainer Tetzlaff, Jacobs University Bremen 5. Gruppe von Muslimen nach M.Rohe: Einheimische Muslime • Sie betrachten ihr Leben in Europa nicht als Ausnahme, nicht in Diaspora, sondern als neue Regel. • Sie sehen z. B. „die unerwartete Möglichkeit, in Frankreich mit seiner kosmopolitischen Gesellschaft zu experimentieren: hier können liberale und reformatorische Tendenzen erprobt werden. • Der Islam müsse sich auf universelle Normen einstellen. • Das Igtihad-Prinzip sei verstärkt anzuwenden (gegen die orthodoxen Betonköpfe). 55 Prof. Dr. Rainer Tetzlaff, Jacobs University Bremen Erfolgreiche Integration unter zwei Bedingungen • • • Erstens: Positive Identifikation der Muslime mit dem Konzept der westlichen Gesellschaft (demokratisch, an Menschenrechten orientiert, säkular, pluralistisch) Zweitens: Recht der Muslime auf Etablierung einer religiösen Infrastruktur im Rahmen des geltenden Rechts. > Matthias Rohe: „Der demokratische Rechtsstaat ist nicht als bloßes Konzept, sondern nur in gelebter Praxis zukunftsfähig“. 56 Prof. Dr. Rainer Tetzlaff, Jacobs University Bremen Igtihâd als Hoffnung • • • • Scharia – unabänderliche Offenbarung Allahs Fiqh – das Recht in Zeit und Raum (veränderbar) Igtihad – Eigene Anstrengungen zur Weiterentwicklung Rohe fordert von Muslimen in Europa, sich zu integriere und d.h. eine „positive Identifikation mit dem Konzept der Demokratie“. • BVG-Richter Böckenförde: Der freiheitlich säkularisierte Staat lebe von geistigen Voraussetzungen, die er weder selbst zu schaffen noch zu garantieren vermag. 57 Prof. Dr. Rainer Tetzlaff, Jacobs University Bremen Mufti Mustafa Ceric aus Bosnien-Herzegowina Positive Identifikation mit dem Konzept der Demokratie habe zwei Voraussetzungen: • Innere Überzeugung • Die Lebenswelt der Demokratien müsse den Integrationswilligen das Gefühl vermitteln, dazuzugehören. 58 Prof. Dr. Rainer Tetzlaff, Jacobs University Bremen